Title: Die Liebe: Novelle
Author: Hans Kaltneker
Release date: October 3, 2021 [eBook #66452]
Most recently updated: October 18, 2024
Language: German
Credits: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)
Novelle
von
Hans Kaltneker
Donau Verlag
Ges. m. b. H.
Leipzig und Wien
1921
Alle Rechte vorbehalten,
insonders das der Übersetzung, der Dramatisierung
und der Verfilmung.
Copyright 1920, Donau Verlag Ges. m. b. H. Wien
Druck der Offizin der Waldheim-Eberle A. G., Wien
Aber sie stärker und stärker zu prüfen,
Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.
Goethe »Der Gott und die Bajadere«
Aber ihr letztes Ziel wirkt die Liebe, die da stark ist wie der Tod. Und das ist, daß der Mensch auch auf sein ewiges Leben Verzicht leistet und auf alles, was er von Gott und seinen Gaben dereinst empfangen könnte.
Magister Ekkehart »Fortis est ut mors dilectio«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich.«
Durch einen Regen verklärter Tränen brechen ihre Blicke und finden sich – ein schimmernder Bogen – Gesicht bindend an Gesicht.
»Dies – daß es sein kann –«
»Daß es nicht sein konnte!«
Worte gehen nicht gerade, aufrechte Boten schwebenden Herzschlags von einem zur andern, Worte schwanken, taumeln, sind Mantel um den nackten Gedanken, in den der Sturm fährt, ihn bauscht und knittert, und der Gedanke ist ein strahlender Gott. Worte sind Hall zwischen Himmel und Hölle, Ruf und Gegenruf zwischen dem Wächter unten und oben und die erdämmernde Nacht dröhnt leise von den Rufen der Engel.
Der Mann: »Irre – Suchen – immer nur dich –«
Die Frau: »Nie gesucht. Seligkeit, gefunden zu werden, sich finden lassen. Ich wußte, wußte, daß du mich finden würdest. O Warten – Jahre des Wartens –! Du warst noch weit, aber manchmal in Nächten fühlte dich näher nahen. Gläser klirrten von deinem entfernten Schritt, Kerze flackerte in deines entfernten Atems Wind und im Schlagen der Uhr metallen donnernd dein Herzschlag. Unendliche Nächte. Ich, geborgen in der Wärme meines Bettes, fliederfarbenes Dunkel leichter Decke über mir, warmer, süßer Schlaf meine Stirne umwehend –. Da wollte ich mir dich verdienen, opfern – Gott und dir – ein paar Schritte dir entgegenkommen auf deinem noch so weiten Weg. Und stand auf, tief in der Nacht, ging mit bloßen Füßen sechs Schritte neben dem Teppich über die kalten Parketten bis zur Türe. Und konnte nun erst schlafen. Lachst du? Geliebter.«
»Das hast du für mich getan!«
»Für dich – für Gott – für dich.«
»Und hast nie gezweifelt?«
»Lebte ich noch?«
»Du lebtest mit einem andern! Mein waren drei Minuten – des andern die Nacht –«
»Still, still du –«
Über seinen Augen liegt weiße Nacht, ihr Arm. Seine sinkenden Wimpern streifen ihre kühle, lebendige Haut.
»Vor vier Jahren auf meiner Hochzeitsreise – in Kairo – sah ich einen leprakranken Bettler im Finstern eines Torbogens kauern. Er wagte sich nicht mehr ins Straßenlicht, sein Zerfall war so furchtbar, daß ihn die Menschen gesteinigt hätten. Aber aus dem Dunkel züngelte sein Blick rot und hündisch über meine Schuhe. So schrecklich war dieser Mensch, daß ich hingehen mußte und ihn streicheln – mit dieser Hand. Damals hatte ich deiner vergessen. Wie hätte ich sonst meinen Leib – deinen Leib, dies Mein, das dein war vom Anbeginn meines Atmens – solcher Gefahr preisgegeben? Willst du eifersüchtig sein auf diesen eiternden Brocken Fleisch? Ihm müßtest du mehr zürnen als dem Manne, der mein Sterbliches bis heute besessen hat. Damals brach ich dir die Treue.«
»Du –!« Als riss' er einen jungen Baumstamm mit allen Wurzeln aus feuchter Erde, reißt er seinen Mund von ihrem auf. Ihr Kuß ist bitter wie das klebrige Innere einer märzlichen Blattknospe. Den Oberkörper emporgehoben über sie wirft er ihr die Worte ins Gesicht. Ihre Lider schlagen in seinem Atem wie an Fenstern schwere Vorhänge im Sturm. »Oft, oft hast du mich betrogen. Du liebtest andere Dinge neben mir, tausend andere Dinge. Tand, Eitelkeit, Ungöttliches!«
Ihre wehenden Lider sinken schwer herab. Und siehe, im Zimmer, dem hell vermeinten, ist solche Nacht, daß sein Leib angstvoll an ihren fliegt.
Die Frau, leise, gebunden: »Vergib. Ich weiß. Es war viel Äußeres um mich und an mir. Und manches davon gefiel mir. Ich war gerne schön gekleidet, edel frisiert und fühlte mich froh, wenn Menschen mich schön fanden. Ich liebte die Jagd, den Winter in der Schweiz, den Frühling auf dem Meer, Konzerte, meinen Hund – du kennst ihn –«
»Und heute – jetzt?«
Ganz zart, mit einem schwebenden Lächeln, in dem ein schwaches Licht ist wie am äußersten Rande des Himmels am Morgen: »Den Hund liebe ich vielleicht noch.«
»Ich werde ihn töten müssen!«
»Wilder du –« Unter ihren kindlichen Fingerspitzen knistert sein Haar, als sprängen Funken über.
Sein Leib stürmt verzweifelt wider ihren an. »Nur mich lieben, du, nur mich! Um uns, außer uns, das Nichts, luftleeres Chaos. Luft, Leben nur mehr in unsrem Atem, nur mehr aus meinem Mund in deinen und zurück. Lassen wir uns los, ersticken wir, stürzen ab in den brennenden Sternenraum –«
»Ja –! Doch noch der Sturz – Seligkeit!«
»Noch nicht stürzen! Leben! Atmen!«
Sie sind eins. Eins und allein. Um sie Gemäuer mit tausend verschlossenen Toren. Tausend Türme stürzen, sich verjüngend, empor in den Raum und ihre Spitzen, ganz zarte Nadeln aus Stein, berühren den aufklingenden Himmel. An die Tore aber donnert in brünstigem Rhythmus graues, gischtiges Meer. In furchtbarer Rundung ist um sie Granit gegossen, nur ganz oben ist der Blick frei. Die Augen der Frau weit offen empfangen den ungeheuer fernen Himmel, Nachthimmel dunkel, blau und gestirnt, über den zuckende Bogen von Blitzen schießen, und der Mann sieht den Widerschein sterbender Sterne in ihren Augen und erschauert.
Ihre Körper entsinken einander. Die Frau weint leise. Ihr ist, als hätte sie den Tod in ihrem Schoß empfangen und müßte ihn nun in die Welt hinausgebären. So grauenvoll war die Lust. Gütig und bruderhaft geht die schöne Hand des Mannes durch ihr verwirrtes, strahlendes Haar.
»Wollen wir sterben – jetzt – jetzt gleich?«
Sie richtet sich dunkel erschrocken halb auf, die eine Hand mit seltsam keuscher Gebärde auf ihren lieben Brüsten.
»Jetzt? Nein. Wäre das nicht zu klein für uns? Wir haben doch noch nicht gelitten.«
»Du nicht?«
»Nicht so. Nicht so. Versteh. Wir waren nie glücklich bis heute, weil wir nicht aneinander glücklich waren. Und so haben wir auch noch nie gelitten, weil wir nicht aneinander gelitten haben. Wäre es nicht klein, uns darum zu betrügen?«
»Nie, nie – nie wollen wir dieses Leiden erleiden! Wie kommst du darauf? Warum glaubst du daran?«
»Ich weiß nicht. Aber müßte die Welt nicht aus ihrer Bahn stürzen, die Erdenellipse zerreißen, wenn diese Stunde nicht ein Gleichgewicht fände? Und können für uns noch Schmerzen sein außer denen, die wir uns zufügen?«
Angstvoll starrt er ihr ins Gesicht hinein: »Was meinst du? Was ahnt dir?«
»Nichts, nichts, Geliebtester. Du liebst mich!«
Ihr Lächeln, ein Sternenstrom, stürzt nieder über sein Antlitz und glüht Angst und Trauriges von seinen Schläfen ab.
»Ich liebe dich. Nichts mehr, was uns trennt, kein Schatten zwischen uns. Über unseren Häuptern die Luft brennt von Glück. Schwere bindet uns nicht mehr. Soll ich fliegen? Jetzt, vom Lager auf, drei Fuß über dem Boden?«
»Ach du! Unerhört Geliebtester!« Sie lacht, lacht wie ein tolles Kind und küßt hunderttausendmal seine Haare.
»Morgen kommt er zurück –. Ich suche ihn auf – morgen, nein, das ist heute noch – zu Mittag. Spreche mit ihm. Du sollst nichts, nichts damit zu tun haben, er gibt dich frei. Wie sollte er nicht? Du bereitest das Nötigste vor, wegzugehen. Du sollst ihn nicht wiedersehen. Nach der Unterredung rufe ich dich an, wie immer sie ausfällt. Dann gehst du – kommst – zu mir!«
»Das alles – und das ist wirklich?«
»In zwei Monaten bist du meine Frau – Und dann fort – ganz, ganz weit fort, auf Jahre werfen wir uns in die Welt. Indien. Java. Japan. Yokohama und Singapore. Die Dschungeln. Der Orinoco. Die Wüste. Das Meer. Panther und Schlangen um uns. Böse gelbe und gute, demütige schwarze Menschentiere unsre Gesellschaft. Wir rauben eine Dschunke und treiben Piraterie in der Südsee. Denk' das alles –!«
Stunden kreisen, Welten altern. Geburt und Sterben ist in der Nacht. Kleine Kinder überwinden Fieberkrisen, Studenten stehen wüst und durstig von Dirnenbetten auf, Succubi mit pompösen Brüsten besuchen einen Einsiedler, in Grabkammern altern weißüberpuderte Skelette.
Um sie ist wieder das Zimmer. Stumpf und weiß tastet Morgenlicht in den todesdunklen Raum.
Der Abschied ist voll namenlosen, betäubenden Schmerzes. Zwölf Stunden Trennung sind vor ihnen, eine Zeitmasse, eine graue, gallertige Masse, ein unübersehbares Tangmeer Zeit, in das sie sich stürzen müssen. Und die träge Masse hindert Tempo und Kampf, sie müssen sich ergeben und – warten.
Er ist gegangen. Die letzte Türe schließt er hinter sich, er steht im Garten. Hart und herbstlich sind alle Konturen. Dünne weiße Nebelfäden hängen sich an seinen Überrock. Ein großer schwarzer Hund kommt langsam und fröstelnd durch den erstorbenen Garten auf ihn zu, erkennt ihn und reibt stumm den riesigen Kopf an seinem Knie. Da erwacht er erst ganz, erst furchtbar. Beugt sich herab und streichelt mit sinnloser Zärtlichkeit das schwarzzottige Fell des Tieres. Der Hund wedelt zweimal, dreimal schwach und meint, daß der Morgen häßlich, Gott aber doch gut sei.
Der Herr nickt und zieht ein Fläschchen aus der Tasche, entkorkt es vorsichtig und schüttet ein paar Tropfen auf sein Taschentuch. Der penetrante saure Geruch macht das Tier zittern. Mit einer Hand hält er den schönen, schweren Kopf fest und drückt mit der andern das Tuch auf die Schnauze des Tieres. Es stirbt ganz ruhig und schmerzlos.
Er läßt es zu Boden gleiten, gerade vor die Türe, kniet nieder und küßt das lang herabhängende kühle, seidige Ohr. Dann geht er aufgestellten Kragens. Der Morgen ist sehr kalt.
Es ist eine Wohnung im zweiten Stock eines alten Hauses der inneren Stadt. Alte Wohnung in einem alten Haus einer alten Gasse. Die Wände des Treppenhauses sind frisch getüncht, aber die Stufen hoch und ausgetreten. Mürrischer, verrunzelter Stein. Er drückt auf den Knopf des elektrischen Läutewerkes, das störend und fremd wirkt. Noch fremder ein Gesellschaftstelephon in dem engen, wenig belichteten Vorzimmer, zu dem eine uralte, verdummte Magd die Tür öffnet.
»Die Exzellenz? Die gnädige Exzellenz seien nicht zu Hause, aber das gnädige Fräulein Tochter würden gewiß empfangen.«
Er tritt ein. Durch eine schmale Tür in unheimlich dicker Mauer. Die Luft des sehr hohen Zimmers ist bitter und staubig. Unter halb herabgelassenen Jalousien, zwischen halb zur Seite geschobenen schweren Stores bricht – Staub auftanzen lassend – graues muffiges Sonnenlicht herein. Wohin es fällt, Sammet, Teppiche, verblichene Seidenpölster, etwas fleckige Plüschmöbel, etwas blinde Spiegel, Bilder im Makartstil mit ausgegangenen Farben, vertrocknete Bukette in imitierten Vasen, kein Fuß Wand, kein Fuß Diele frei von Plüsch, Teppichen und Bildern. Und Nippes, Nippes in erschreckenden Quantitäten. Über einem breit ausladenden Kanapee ein stark gedunkeltes Porträt des Großvater-Feldzeugmeisters. Peinliche Erinnerungen an 59 und 66 steigen auf. Das Urbild des alten Generals – Radetzkyschule – der zehn Attacken reiten und keine Schlacht gewinnen konnte. Um ihn Türkensäbel und Reiterpistolen mit gezogenem Lauf malerisch gruppiert. Das Zimmer wirkt als Ganzes, als müßte sein bloßes Vorhandensein in dieser stillen Gasse und diesem ruhigen Hause durch furchtbare Ausstrahlung ungeahnter Kräfte lähmend auf allen Verkehr und alles Vorwärtskommen in hundert Quadratmeilen Entfernung wirken.
Secundus bleibt stehen und klopft leicht, gedankenlos, gewohnheitsgemäß den Staub aus der Lehne des riesigen, unheimlich tiefen Fauteuils, in den er sich dann setzen wird. Er vermag nichts zu denken. Das halbe Licht, die völlig staubgesättigte Atmosphäre, die verzeichneten Götter auf den antikisierenden Bildern üben selbstverständliche, erschlaffende Suggestion auf ihn aus. Jegliche Gefühlsregung muß mangels Resonanz in diesen Tapeten ersticken.
Betäubende Ruhe sinkt über ihn. Ekstasen, ungeheurer, tobender Gefühlsrausch verrieselt wie Sand, wird Moder, der vom Wind angeblasen zerstiebt.
In müder Gespanntheit hängen seine Blicke an sich öffnender Türe. »Das gnädige Fräulein« treten ein. Es ist schwarz gekleidet – die Trauer um den verstorbenen Feldmarschalleutnant-Vater – schlank, groß, edel, weiß und böse.
Die etwas schütteren Brauen leicht emporgezogen begrüßt sie ihn. Er verbeugt sich und spricht, scharf betonend, als richte er einen höheren Auftrag aus: »Ich bitte Sie um Ihre Hand, Sabine.«
Beherrschtes Erstaunen erwidert seinen Worten. Aufflammender Blick wird mit wahnsinniger Selbstzucht niedergehalten, Mondkühle über das weiße Gesicht gebreitet. Nur die Nüstern beben gierig und bereit.
»Nehmen Sie Platz, Fürst.« Der sonst gebrauchte Vorname wird fallen gelassen, behutsame Konvention scheint am Platze. Das Niedersetzen, leichtes Überschlagen des rechten Beines, unmerkbares Glätten der Kleidfalten gewährt Gelegenheit, sich zu sammeln, die kreisenden Gedanken zu ordnen.
»Ich erbitte Ihre Antwort.«
»Sie fällt mir schwer. Nach Ihrem Benehmen erwartete ich kein Wiedersehen.« Kurzer sparsamer Aufblick kontrolliert die Wirkung.
»Warum?« Ekel und Stumpfheit. Worte. Unnütze Worte. Er kennt die Fechterpose drüben, will aber nicht fechten, schmeißt das Florett weg.
»Sie haben sich nach jenem Abend in der Loge nicht so benommen, wie man es Mädchen meines Kreises schuldig ist.«
Der Feldzeugmeister an der Wand!
»Sie haben, eine gewisse Neigung und ein vielleicht zu sehr geoffenbartes Vertrauen, das ich Ihnen entgegenbrachte, mißbrauchend, mich kompromittiert. Das liegt nun sechs Wochen zurück. Sie kommen spät.«
Ihre schöne, etwas harte Stimme reizt ihn unsäglich. Er wird brutal. »Nehmen Sie an, daß ich bis jetzt keine Zeit hatte.«
Sie öffnet haßvoll die ganz schmal gezogenen Lippen. Schweigt. Er hat sichtlich die Oberhand und beschließt, dies auszunützen.
»Sie können sich ja damit zufrieden geben, daß ich das Versäumte nachhole, Sabine. Im Übrigen bitte ich Sie, mich ruhig anzuhören. Absolute Klarheit zwischen uns scheint mir durchaus vonnöten. Ich stelle Bedingungen.«
»Sie?«
»Berechtigter Weise. Da Sie der empfangende Teil sind. Natürlich nicht, weil ich Ihr – wie heißt das in französischen Schwänken? – Ihr Gatte werde, Sie würden gewiß tausend bessere Männer finden, vielleicht wäre jeder andere besser für Sie, da ich Sie nicht liebe. Worauf es Ihnen aber ankommt, ist die soziale Position, der Reichtum, den ich Ihnen zu bieten habe. Die Luft dieses Zimmers ist schlecht für Sie, vielleicht nur für Ihren Teint, vielleicht auch für Ihre unsterbliche Seele. Sie müssen herrschen, umworben sein, ausstechen, niedermachen. Familientraditionen hindern Sie, Kokotte zu werden. Bleibt also nur die bekannte gute Partie, die Ihnen diese für Sie notwendige Atmosphäre schafft. Ich gebe sie Ihnen. Als meine Frau sind Sie – Sie entschuldigen die Geschmacklosigkeiten, die ich als Argumente vorbringen muß – eine der ersten Damen der internationalen Gesellschaft, mein Vermögen besteht aus etwa dreißig Millionen, zu einem Fünftel in durchschnittlich mit vier Prozent sich verzinsenden Latifundien, das Übrige in hochwertigen Konsols und Industriepapieren angelegt, das heißt, Sie verfügen als meine Frau über ein Jahreseinkommen von beinahe zwei Millionen. Das sind, wenn Sie es überlegen, zweifellos positive Werte, für die ich Gegenleistungen beanspruchen kann.«
Sie nickt, höhnisch und unsicher: »Worin würden diese bestehen?«
Er spricht ruhig und eindringlich: »In drei Stücken. Das erste: es kann zwischen uns keinen ehelichen Verkehr geben.«
Ihre Finger zerren an einem Taschentuch. Ihr Mund ist hochmütig und hexenhaft. »Sie kommen mir entgegen.«
»Umso besser. Ich bitte Sie nur, in dieser Forderung keine Beleidigung erblicken zu wollen. Es ist selbstverständlich, daß ich Sie begehre, es wäre lächerlich und kränkend meinerseits Sie das Gegenteil glauben machen zu wollen. Nehmen Sie also bitte an, daß es mir an der physischen Möglichkeit gebricht, diesem Begehren Handlungen folgen zu lassen.«
Sie lächelt, etwas versöhnt und etwas angewidert.
»Der zweite Punkt bezieht sich auf unsre Scheidung.«
»Daran haben Sie auch schon gedacht?«
Er verbeugt sich zustimmend: »Sie werden sich vertraglich verpflichten, Sabine, mir jederzeit, wann immer ich Sie darum ersuchen sollte, die Scheidung zu gewähren. Natürlich nehme ich für diesen Fall das Verschulden auf mich und Sie erhalten als Abfindung ein Drittel meines Vermögens, das ich zur Sicherstellung heute noch auf Ihren Namen überschreiben lasse.«
»Zehn Millionen?« Sie ist besiegt und vergißt fast das Gegenteil zu posieren.
»Die Ihnen, der freien Frau, dann vollkommen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Sie können sofort den hierauf bezüglichen Vertrag beim Notar unterzeichnen. Er hat ihn bereits aufgesetzt, natürlich vorläufig ohne Kenntnis Ihres Namens.«
»So sicher waren Sie?«
»Der dritte Punkt wird Sie vielleicht etwas in Erstaunen setzen.«
»Nach diesen beiden kaum.«
»Eigentlich nicht gerade eine Bedingung. Eher eine Bitte. Ihrer Freundin, Frau Kathrin Nhilius, als der ersten Ihre Verlobung telephonisch mitzuteilen.«
Sie hebt sich schroff auf, mißt ihn, erschrickt vor dem Blick, der ihren erwidert. »Ach so, das ist der Sinn? Warum haben Sie die Pointe so lange aufgespart? Abgefallen? Und für die kleine Rache, die vielleicht keine ist, eine Ehe und zehn Millionen? Sie sind großzügig in Ihrer Kleinlichkeit.«
»Nehmen Sie es an. Ich habe nichts zu entgegnen. Willigen Sie ein?«
Sie zaudert. Schließt die Augen. Eine Unterschwingung in seiner Stimme macht ihr Angst. Etwa die Angst einer Dirne, die sich mit einem Manne zu gehen entschließt, den sie für einen Lustmörder hält. Grauen, Lust und Angst. Ganz leise, wie eine Liebkosung fast, kommen ihre Worte zu ihm: »Sie sind eigentlich schlechter, Secundus, als ich mir's in diesen sechs Wochen ausgerechnet habe.«
»Sie nicht besser, Sabine, als ich es annahm, da ich Sie zu meiner Frau wählte.«
Sie zuckt, als hätte er ihr mit einer Rute über die Augen geschlagen: »Ich werde telephonieren.«
Er küßt ihre schmale, entartete Hand: »Fürstin!«
Aber dann, da das Brausen des steinernen Meeres, eingefangen in der mißtönenden Muschel, an sein Ohr schlägt, da Ruf und Gegenruf sich antworten, Laute aus Lärm sich ballen und endlich aus schwarzen Wogen Getöses ein nackter, blendender Engel ihre Stimme steigt und elektrische Wellen die Todesbotschaft an ihr unbereites Ohr schwingen, läßt er den Hörer fallen und entstürzt, von wütendem Grausen geschüttelt, die abgetretene Treppe hinab.
Sein Auto rast durch den Mittag, endlose, zum Erbrechen volle Vorstadtstraßen durch. Die Menschheit wimmelt dem Mittagessen entgegen, das Leid der Kreatur erstickt im Suppendampf. Ladenmädchen, von verseuchten Jünglingen gefolgt, lüften unreinliche Jupons, verschimmelte Beamte eilen speisegeil nach Hause, aus einem Fabrikstor donnern dunkel und geschunden Arbeiter auf das Pflaster.
Sein gemartertes Herz grüßt sie mit tausendfacher Liebe. Er läßt das Auto kehren, fährt dann in rasendster Eile zur Bank und bestimmt dort die Satzungen einer Einmillionenstiftung für kranke Arbeiter und erwerbsunfähige Prostituierte. Und fühlt sich nicht entsühnt, vermag seine stürzende Seele nicht an das gute Werk zu klammern, das fremd und leuchtend ihm entschwebt, saust tiefer, gräßlicher und fühlt den Druck eines Meeres auf seinem keuchenden Leib.
Tage und Nächte vergehen. Wie? Wer weiß es? In Kleinlichstem, Unwichtigstem. Der große, strahlende Gottestag – der jungfräuliche Marmorblock, den seine Seele jeden Morgen umarmt hat, demütig wartend, wie die Hand der Mächte ihn formen würde – zerrieben in Minuten und Sekunden von Alltäglichkeit, Vorbereitungen zur Hochzeit, ein paar Diners, Spiel im Klub, bei dem er lächerlich hohe Summen gewinnt, und nichts, nichts, nichts – der Abgrund, durch den er geschlossenen Auges immer weiter sinkt – mit pfeifender, gellender Seele.
Manchmal glaubt er sich endlich wahnsinnig und lächelt dumm und tragisch. Aber dann wirft er angeekelt auch diese Pose von sich und weiß sich alles unendlich wachen Sinnes erleben, weiß, daß er sein Erleben fest in der Hand hält, furchtbaren Willens gestaltet, und weigert sich, den Dichter zu spielen, der sein eigenes Erleben zum schlechten Drama geformt noch obendrein gerührt und weinend für die Bühne inszeniert.
Nur wenn der Diener die Post überreicht oder der Telephonapparat auf dem Schreibtisch ihn anschrillt, erschrickt er und – völlig gefaßt, zwar wissend, daß kein Wunder geschehen kann – erwartet er es dennoch mit der tierischen Andacht des Negers, der, eine weiße Maske vor dem Gesicht, seinen Fetisch umtanzt.
Von ihr weiß er nichts mehr. Nur daß sie lebt. Und wünscht sie tot, um tot zu sein.
Er verläßt spät das Palais durch einen Seitenausgang und wirft sich in die Gassen. An den Himmel gekreuzigt stirbt grandios und blutig der Abend. Gott geht riesig und dunkel durch die Stadt, über Häuser und Dome bricht sein Schatten herein, Schlotrauch umweht, gerade aufsteigend, seine schwebende Stirne.
Ehrfürchtig entweicht Secundus in eine schmale Seitengasse. Ein geschlossener Wagen rollt langsam an ihm vorbei. Hinter dem Coupéfenster erkennt er, vom Licht einer eben entzündeten Gaslaterne magisch umwölkt, ihr Antlitz. Der Wagen ist an ihm vorbeigefahren. Lautlos fällt er, mit der Stirne voraus, auf das Pflaster. Den Beschmutzten, Blutenden richtet ein von der Ecke herbeieilender Schutzmann auf und hilft ihm in einen Taxameter, der ihn nach Hause bringt.
Zwei Nächte später sitzt er, das Gesicht noch etwas zerschunden, das Nasenbein angeschwollen vom Falle, in der Manhattan-Bar. Allein. Trinkt. Scharfe giftige Getränke, die reizen, nicht einschläfern. Vor dem Schlafe fürchtet er sich und meidet ihn seit Tagen. Das Wachsein in seinen entsetzlichsten Formen ist nicht so grauenvoll wie das Erwachen nach dem Schlaf. Um dieser zwei Minuten Erwachens willen bleibt er lieber schlaflos.
Ihm gegenüber am nächsten Tische sitzt eine schöne, lauernde Dirne mit glitzernden Nägeln und einem phantastischen Reiher im irrlichternden Haar. Sie lächelt süß und mädchenhaft. Der Alfons an ihrer Seite blickt frostig und würdevoll und taxiert seine graue Hemdperle.
Er trinkt seinen Cocktail und lauscht, dem Weibe abgeneigt, gedämpften Orchesterklängen, die dem Publikum einzureden suchen, »ein Mäderl müßt' es sein, ein Mäderl lieb und fein.«
Aber siehe, durch die lange Zeile zwischen den weißgedeckten, runden, kleinen Tischen stürzt ein Strom von Harmonie und trägt ihn liebend hoch, die bunten, verschleierten Glühblumen an der Decke beschreiben feurige, kristallene Kreise, das Weltall steht in Musik. Und das Barorchester wird hymnisch und stimmt einen gregorianischen Choral an. Ohne die Augen aufzuheben weiß er jeden Schritt, den sie näher tut, weiß um ihr Vorbeigehen und daß sie jetzt vorüber ist, daß er wieder aufschauen kann, und empfängt eben noch den höflich devoten Gruß des Barons und zweier ihn begleitenden Offiziere, von denen der eine, ein »Freund«, ihn ansprechen will, doch sichtlich erschrocken den an seiner Stirne abprallenden Vorsatz aufgibt und der übrigen Gesellschaft folgt.
Nun sitzt sie, fünf Schritte von ihm entfernt, in einer Loge. Blicklos weiß er, daß sie das türkisfarbene Kleid trägt, sein liebstes. Sie sieht ihn an, er spürt es und alles Blut hört auf durch sein Geäder zu gehen, sein Herz schlägt hart und laut ins Leere. Er wird jetzt aufstehen und zu ihr hingehen – Irrsinn, stürzen zu ihr, alles niederreißen, fortschleudern, was im Weg ist, vor ihr niederfallen, heulend den Kopf in ihren Schoß werfen –! Er wird es – er hebt sich auf, etwas mühsam, einem Rückenmarkleidenden ähnlich, dem die eigenen Beine lächerlich fremd sind, wendet halb den Kopf, sieht ihren Blick dem seinen entgegenfliegen, aber den Ausdruck zu erkennen vermag er nicht mehr, vor seinen Augen ist Dunst, Rauch und Schwefel. Eine Wolke Haß und Hölle blendet und erstickt ihn. Trüb und zwinkernd glotzen seine Augen hindurch. Nur schlagen, treffen, bluten machen – Fangstoß!
Und da sieht er, fast verwundert, daß er schon an dem Tisch der kleinen glitzernden Kokotte steht und hört sich ganz ruhig sagen: »Darf ich mich an Ihren Tisch setzen, Gnädigste? Sie gestatten? Mein Name –« und nimmt triumphierend und zerbrochen Platz.
In dieser Nacht ist es, daß ihn »der Traurige«, den er die ganze Zeit unsichtbar um sich gefühlt hat, zum ersten Male besucht.
Er hat die Hetäre ins Bristol begleitet, liebevoll der hellgelben Paquintoilette entledigt und sich – trotz schönster Beine unter einem Anhauch von Seidenstrümpfen – ohne jede Berührung nach reicher Entlohnung entfernt.
Es ist drei Uhr morgens und der erste Dezemberschnee flimmert seraphisch durch die schweigende Nacht. Er entläßt den schlafwarmen, nachtschweißigen Diener und betritt sein Arbeitszimmer. Das elektrische Licht überflammt es weiß und geheimnislos. An dem dunklen, eingelegten Tisch in der Mitte des Raumes sitzt der Traurige. Er hat die Züge Dantes und trägt ein Gewandstück, das ein Mittelding zwischen Frackmantel und Kutte ist.
Secundus ist weder erschrocken noch erstaunt. Er grüßt still, bringt das Licht zum Schweigen und läßt sich der Erscheinung gegenüber nieder. Bewundernd betrachtet er die überaus schönen florentinischen Hände des Gastes, die schmucklos und ruhig auf dem dunklen Holz der Tischplatte liegen, wie angeheftet an das Holz.
»Ich komme zu dir, weil du sehr leidest.«
Secundus blickt völlig spottlos auf: »Doch kaum, mir Trost zu geben?«
»Nicht Trost. Das ist Sache der Oberen. Dich wissen zu machen. Wissen ist tiefstes Erleiden. Du bist des besten Leides würdig.«
»Ich danke dir. Deine Meinung ehrt. Übrigens deine alte Aufgabe. ‹Und sie erkannten, daß sie nackt waren›.«
»Ja, aber sie machten schlechten Gebrauch davon. Sie legten Kleider an. Nun leben sie dafür, sie sich wieder abzureißen.«
»Fürchtest du nichts ähnliches von mir?«
»Nein. Du wirst nackt bleiben.«
»Doch wenn mich friert?«
»Du kennst das Mittel dagegen. Die Haut peitschen, bis sie rot und heiß ist.«
»Du ehrst mich. Überschätzest du mich nicht?«
»Schwerlich.«
»Ich leide manchmal so, daß mich Endenslust und Todesnotdurst überfällt. Flucht.«
»Du kannst nicht. Du mußt den Weg ausgehen.«
»Ich tappe. Taste. Durch Blutrausch und dunkle Berge von Ekstasen. Blick' ich in mich, Mondlandschaft mit schroffen Kratern im Lichte fremder Planeten. Mich schaudert's. Ich weiß keinen Weg.«
»Ich bin die Wahrheit und der Weg.«
»Das sagt der andere auch.«
»Mein Bruder von oben. Wo ist Grenze zwischen uns? Sein Licht ging in der Nacht auf und sie sahen es. Ich leuchtete im Licht. Das gab Finsternis.«
»Den Weg! Den Weg!!«
»Dir ihn zu weisen sieh mich! Bisher brach er durch Dunkel. Ich atme Blitz auf ihn, daß du ihn wissend gehst.«
»Wird es leichter, etwas leichter so sein?«
»Tausendmal schwerer. Dazu kam ich. Kommt her zu mir, die ihr mühselig seid und beladen. Denn mein Joch ist hart und meine Bürde ist schwer.«
»Qualengel!«
»Schmäh' mich nicht. Dich nicht in mir. Denn du bist ich.«
»Ich – du –?«
»Das Wort ist Fleisch geworden.«
»In mir? In mir?!«
»Fühltest du nicht, daß ich deine Seele war, als du abfielst?«
»Erkläre. Mach' mich wissen um dies Entsetzliche. Chaos donnert an meine Schläfen heran.«
»Nichts Entsetzliches. Du mußtest tun, was ich tun mußte. Denn wir beide sind starke Liebende.«
»Auch du?«
»Von drei Stufen der Liebe spricht ein wissender Meister. Zum ersten scheidet die Liebe, das ist der Tod, den Menschen vom Vergänglichen, von Freunden, Gut und Ehren, daß er nichts mehr besitzt noch benützt um seinetwillen. Ist dies erreicht, fängt die Seele alsbald an zu suchen und auszuschauen nach den geistigen Gütern, nach Andacht, Gebet, Tugend, Verzückung, nach Gott. Und diese Freuden sind nun der Seele so lieblich, daß sie viel widerwilliger von ihnen scheidet als von den irdischen. Aber dies ist nur der Anfang von dem, was die Liebe wirkt. Denn ist sie wirklich »stark wie der Tod«, so wirkt sie weiter, daß die Seele auch vom geistigen Trost Abschied nimmt, daß der Mensch sich darein ergibt, für Gott alles im Stich zu lassen, woran seine Seele bisher Lust gehabt hat, daß er Gott um Gottes willen fahren läßt und sich Gottes um Gottes willen entschlägt. Denn wie könnte man Gott Besseres und Köstlicheres zum Opfer bringen als um seinetwillen ihn selber? Dies ist die zweite Stufe. Aber die dritte, die noch viel stolzer und vollkommener die Seele emporträgt ans letzte Ziel, der letzte Grad, den die Liebe wirkt, die da stark ist wie der Tod und das Herz bricht, der ist, daß die Seele auf ihr ewiges Leben Verzicht leiste, auf alles, was sie von Gott und seinen Gaben besitzen könnte, daß die Hoffnung auf das ewige Leben in Gott sie hinfort nicht rühre, noch erfreue, noch ihre Mühsal leichter mache! Hier hast du die Formel für dich und mich.«
»Dies wäre das Letzte?«
»Da ich die Cherubaugen von Gott wandte, liebte ich ihn am höchsten. So liebte ich Gott, daß ich nicht mehr mich zum Opfer brachte – was hätte das gewogen? – sondern ihn in mir. Denn dies ist die letzte Liebe, die nicht mehr liebt, um geliebt zu werden – das ertrüge sie bereits nicht mehr – sondern sich verbirgt und mit Steinen wirft, um gehaßt zu werden. Unseren Feinden Böses zu tun, was ist da Großes dabei? Tun das nicht auch die Zöllner? Aber die wir lieben zu hassen und zu beleidigen, um nicht mehr wohlgefällig in ihren Augen zu sein, das ist das Stärkste und Äußerste. Mit dieser Sünde erst trittst du aus dem Bereich der Gnade, denn wer selbst auf das ewige Leben Verzicht leistet, stellt sich außerhalb Gottes und Gott vermag nicht mehr in ihm zu wirken.«
»Das war es, daß du abfielst?«
»Daß du und ich abfielen. Um des Guten willen tat ich das Böse, da Gott das Leben schuf, baute ich den Tod aus Mörtel und Lehm, um Gottes willen ward ich der – andere.«
»Und so tat auch ich?«
»Du hattest die große Liebe. Darum wardst du zum Empörer gleich mir.«
»Und es gibt keine Hoffnung?«
»Hegte ich sie, wäre das Opfer vollkommen? Wenn du gemordet hast, wirst du bei der Leiche hocken und hoffen, daß sie dir die Hand reicht?«
»Wenn aber Gott es erkennte? Wenn seine Liebe so groß wäre, daß sie auch das Opfer in sich fassen könnte und über dich hinauswüchse und dich zu sich zöge, trotz deiner Verneinung?«
»Das Einzige kann er nicht. Alle Sünde kann Gott vergeben, denn Sünde ist nur Trübung des Guten. Und welcher Fleck hielte dem Lichte seines Blutes stand? Wer aber aus Liebe ihm entsagt hat, in der freien Erkenntnis, daß Gott das völlig Gute sei, sich selbst dem völlig Bösen zugewandt hat, um seiner nicht teilhaft zu werden, dieser steht außerhalb seiner Gnade. Denn gerade in der Hoffnungslosigkeit, der vollkommenen Abgeschiedenheit von ihm besteht ja das Opfer. Die Liebe, die stark ist wie der Tod, scheidet, sagt der Meister.«
»Wenn es aber eine Liebe gäbe, die stärker noch als der Tod ist? Die, das Opfer erkennend, als Feuer darauf fiele und es verzehrte? Die das Geschiedene unauflöslich aneinander bände? Wenn die Liebe, der du entsagt hast und die du mit Haß verfolgst, so grenzenlos wäre, daß sie sich nicht entsagen ließe?«
»Unmöglich. Das wäre die Harmonie.«
»Ist die Harmonie unmöglich? Glaubst du nicht an sie?«
»Da ich sie zerstörte, wie kann ich an sie glauben?«
»Ist sie zerstört?«
»Fragst du mich? In einer Woche ist deine Hochzeit.«
»Du hast recht. – Warum hast du mich erwählt? Warum hast du dich in mir wiedergeboren?«
»Du bist edel. Nur der völlig Edle kann völlig böse sein.«
»Luzifer.«
»Der Stern, den mein Haar trug, war Gottes strahlendster. Ich zerschlug ihn.«
»Die Frau, die in meinen Händen lebte, war Gottes strahlendste. Ich zerbrach sie.«
»Mein armer Bruder Mensch.«
»Mein armer Bruder Satan.«
Der Traurige erhebt sich und geht zur Türe. Aus seines Mantels knittrigen Falten schmettert fahles Sternenlicht.
»Nun geh den Weg zu Ende.«
»Was bleibt mir noch zu tun, da alles in Trümmern liegt?«
»Auf die Trümmer treten und spucken.«
Die Trauung findet standesamtlich statt. Der Ehekontrakt schließt die sakramentale Verbindung für das erste Jahr aus. Zu dem kleinen Diner sind nur wenige Intime geladen, unter ihnen die Nhilius'. Der Baron entschuldigt sich höflich und bedauernd. Er und seine Frau sind am Tage der Trauung leider nicht mehr in der Stadt. Wie alljährlich Davos, Wintersport.
Sofort nach dem Diner reisen die Vermählten ab. Über Paris nach London. In Zürich steigt er aus dem Expreß. Ersucht seine Frau, vorauszufahren. Ihn in Paris zu erwarten. Vierundzwanzig Stunden später wird er dort sein. In einer heftigen Szene bleibt er Herr und sie handelt nach seinem Willen.
In dem rasch gekauften schnellsten Kraftwagen der Stadt wirft er, selbst steuernd, sich an die Grenze von Graubünden. In dem Kanton ist der Automobilverkehr untersagt. Er muß mit der Bahn weiter. Spät am Abend ist er in Davos. Blick in die Kurliste weist ihm das Belvedere. In der Nacht begibt er sich hin, nimmt unter falschem Namen ein Zimmer in der Nähe ihres – schlau erkundeten – Appartements. Verläßt es nicht mehr bis ein Uhr nacht. Dann tastet er sich durch den verdunkelten Gang zu ihrer Türe. Ihre Schuhe – sehr schmale, längliche, hohe Schuhe mit dunkelgrauem, ganz weichem Lederbesatz – stehen vor der Türe. Aber nicht wagend, ihre Schuhe zu berühren, legt er – lang hingestreckt – die Stirne auf die Schwelle der Türe und küßt den vielleicht von ihr berührten Boden. Witterung eines Menschen macht ihn auffahren. Hinter ihm grinst aus dem Dunkel die devot geile Fratze eines verspäteten Zimmerkellners. Ein Schlag an die Schläfe wirft das Gesicht betäubt auf den roten Teppichläufer. Den Hingestreckten packt Secundus an den Beinen und schleift ihn lautlos durch das lange Dunkel. Die Türe zu einem Liftschacht steht zufällig offen. Der Abgrund dreier Stockwerke gähnt herauf. Im Begriff, den befrackten Fremdkörper hinunterzuschmeißen, läßt er plötzlich angeekelt los. Mit in den Schacht hinabbaumelnden Beinen bleibt die leblose Hemdbrust liegen. Durch um seinen Leib zusammenschlagende Finsternis bricht Secundus in sein Zimmer zurück.
Mit dem ersten Morgenzug fährt er nach Paris weiter. Die Fürstin hat sich inzwischen von einem Liftboy entjungfern lassen und teilt ihm dies mit. Er nimmt es zur Kenntnis und gibt seiner Teilnahme für den Liftboy Ausdruck.
Nach Wien zurückgekehrt finden sie die Saison auf ihrem Höhepunkt. Premièren, Redouten, Soupers, musikalische Soiréen mit Bridge. Das Tempo ist entsetzlich schnell, der Rhythmus häßlich und stampfend wie der einer Lokomotive, die abwechslungshalber von Zeit zu Zeit schrille Pfiffe ausstößt. Zwischen den Rädern ballen sich Leichenklumpen. Jüdinnen reiten durch den Prater, Kommerzialräte verbrüdern sich mit Aristokraten, die Rammelei ist groß und man wahrt Formen, die keine mehr sind.
Er gibt große Feste in seinem Palais. Feste, die auch mit seinem Vermögen nicht im Einklang stehen. Die Nhilius sind nicht mehr geladen. Dies fällt auf. Der früher sehr intime Verkehr mit dem Emporkömmling und der zu schönen Frau ist schon längst in der »Gesellschaft« verurteilt worden. Viele andere »tonangebende« Salons (o Worte des Ekels!) folgen dem Beispiel. Die es nicht tun, veranlassen Secundus' Anspielungen auf die Baronin dazu. Sie wird fallen gelassen. Die giftige Atmosphäre des Skandals liegt dunstig um die Reine.
Ein alter, etwas lächerlicher Diplomat, der viel bei den Nhilius verkehrt hat, nimmt sich ihrer an und stellt Secundus zur Rede.
»Ihr Benehmen ist nicht so, wie es sich einer Dame gegenüber gehört.«
»Sie meinen –?«
»Sie haben diese Frau durch bewußte Verleumdungen um ihren Ruf gebracht. Ich finde das – zum mindesten – mauvais genre.«
»Sie sind siebenzig, lieber Graf.«
»Leider. Das verbietet mir anders für diese Dame einzutreten.«
»Was auch eher Sache des Barons wäre.«
»Der in mexikanischen Goldminen spekuliert und derzeit für wenig anderes Sinn hat. Als ob sie sich beklagte!«
»So bitte ich Sie, bei Ihrer nächsten Begegnung den Herrn darauf aufmerksam zu machen, daß ich – ausschließlich ich es bin, der seine Frau unmöglich gemacht hat.«
»Nichts soll mir lieber sein als diese Mission. Es ist höchste Zeit, Ihnen Einhalt zu tun.«
»Das Recht der Kritik räume ich nur Leuten ein, deren rechter Arm – Sie verzeihen – noch gebrauchsfähig ist.«
»Damit mögen Sie allerdings im Recht sein. Aber – begreifen kann ich Sie nicht. Zu meiner Zeit – Sie werden lachen – aber ich achte die Frau noch in der gemeinsten Dirne.«
»Ich im allgemeinen die Dirne noch in der anständigsten Frau –«
Drei Tage später – an einem föhnigen Vormittag, in dessen dicker Luft furchtbare Ahnung unausweichbar neuen Werdens dampft – meldet der Diener den Baron Nhilius.
Secundus empfängt ihn in der Bibliothek, aufrecht stehend, den in drei Wintermonaten ergrauten Jünglingskopf leicht zurückgeworfen, zwischen zwei bronzenen Kandelabern an das dunkelbraune Holz der Täfelung gepreßt.
Der Baron ist fett und elegant. Sein Bauch schaukelt sanft in einer prallen, taufarbenen Weste. Sein Gesicht weist in den ineinander schwimmenden Konturen Spuren einer dumpfen, traurigen Schönheit. Die Augen sind von der unruhigen Müde schwer Herzkranker, die Lider klappen ab und zu wie Sargdeckel herab und sind dann mühsam zu heben. Der Atem weht asthmatisch durch blond behaarte Nasenlöcher.
Er verneigt sich stumm und höflich, Secundus dankt knapp und im Innersten fast ergriffen von diesem dicken, sterbenden Leib. Seine Handbewegung weist dem andern Platz an, er selbst setzt sich starr und leicht vorgeworfenen Oberkörpers auf den unbequemsten Stuhl.
Der Baron beginnt mit hoher, sanfter Stimme, die in einem unerklärlichen Zusammenhang mit angebrannter Milch steht:
»Sie werden natürlich über den Zweck meines Besuches völlig im Klaren sein, Durchlaucht.«
»Ja – das heißt – Ihres Besuches –?«
»Ich weiß, ich weiß. Sie haben eher zwei meiner Freunde erwartet, nicht wahr? Es war ursprünglich auch meine Absicht so vorzugehen. Aber – gewisse Motive sprachen dagegen. Ich glaube, daß die zwischen uns schwebende Angelegenheit doch kaum auf so primitive Art zu erledigen ist.«
»Wie Sie meinen.« Er hat tatsächlich Mitleid mit der dicken, sich mühenden Zunge.
»Ich möchte diese Sache etwas – menschlicher behandeln, Durchlaucht. Ich hatte früher manchmal das Vergnügen Ihr Gast zu sein, und die Ehre, Ihnen die Gastfreundschaft meines Hauses anbieten zu können. Erinnerung daran läßt mich hoffen, daß vieles uns heute Trennende auf Mißverständnissen beruht und – irgendwie zu ordnen ist. Ich kann mir nicht denken, daß Sie das Odium einer Tat auf sich genommen haben sollten, die schließlich doch immer auf Sie zurückfiele.«
»Ich möchte Sie bitten etwas deutlicher zu sein.«
»Gern. Wenn ich auch als Geschäftsmann im allgemeinen wenig Zeit habe mich um gesellschaftliche Angelegenheiten zu kümmern, so ist es mir doch aufgefallen, daß seitens verschiedener guten alten Bekannten – Sie, Durchlaucht, an der Spitze – mir und insbesondere meiner Frau mit einer Zurückhaltung begegnet wurde, die schließlich bei einigen Gelegenheiten geradezu beleidigende Formen annahm. Von manchen Seiten wurde mir angedeutet, daß dieses veränderte Benehmen oder sagen wir ruhig dieser Boykott auf gewisse Gerüchte zurückzuführen sei, die geflissentlich über meine Frau ausgestreut wurden. Diese Gerüchte beschuldigten meine Frau mehr oder minder offen mit zwei, drei namentlich genannten Persönlichkeiten in Beziehungen zu stehen, die mir angeblich nicht unbekannt wären und von mir aus Motiven persönlichen Vorteils geduldet würden. Also so ziemlich das Gemeinste, was man in dieser Hinsicht kolportieren kann. Und als Urheber dieses ganzen Klatsches wurden mir – was mir eben völlig unglaubhaft schien – wiederholt Sie, Durchlaucht, bezeichnet.«
»Sie sagen ‹wiederholt›. Dann wundert es mich im Grunde, Sie erst heute zwecks Aufklärung an mich herantreten zu sehen.«
Das ist offene Beleidigung und das graue Gesicht errötet in leichter Verstörung. »Ich sagte Ihnen ja, die Sache schien mir im höchsten Grad unglaubwürdig und meine Frau bestärkte mich in der Ansicht, daß Ihnen, gerade Ihnen eine solche Handlung in keinem Falle zuzutrauen wäre.«
»Ihre Frau?« Seine dünnen, knochigen Finger klammern sich aneinander. O, das ist gemein! Sie, die ihn haßt, hassen muß bis in die letzte Faser ihres Blutes, posiert Edelmut! ‹Ihm nicht zuzutrauen› – der am Morgen nach der ersten Nacht um die andere Frau angehalten hat, der sich vor ihren Augen eine Kokotte genommen hat! Das ist Rache, kleine, gutsitzende Rache. Es ist gut so! So gut! Er fühlt sich um so viel leichter. Alles Mitleid zieht sich langsam aus seinen Augen zurück, die Pupillen bohren sich grün und spitzig in den Leib des Feindes. Nun ist er schlagbereit und harrt in grausamer Spannung der ersten Blöße, die der korrekte, fette Feind sich geben wird.
»Ja. Aber das nur nebenbei. Gestern erhielt nun die Affäre ein anderes Aussehen, das mich zu diesem – mir mindestens wie Ihnen – peinlichen Besuch zwang. Graf Kolosvary teilte mir gestern Abend mit, und gab an, dies auf Ihren ausdrücklichen Wunsch zu tun, daß Sie selbst sich offen als den Erfinder und Kolporteur dieser Geschichten bezeichnet, ja, sich dieser ‹Tat› geradezu gerühmt hätten.«
»Sie machen eine Pause. Verlangt diese Pause eine Antwort oder wünschen Sie noch –«
»Nein, nein, ich bin noch nicht ganz fertig!« Das kommt fast bittend. »Natürlich war daraufhin mein erster Gedanke der übliche an die zwei Freunde – – Wie Sie sehen, habe ich ihn fürs erste wieder fallen gelassen.«
Secundus' Mundwinkel biegen sich höhnisch herab. »Vielleicht auch unter dem Einfluß Ihrer Frau Gemahlin?«
Das arme Tier stöhnt schwerfällig und gedrückt: »Ja. Teilweise vielleicht. Meine Frau hielt ein derartiges Vorgehen Ihrerseits auch nach dieser Aufklärung für unmöglich.«
»Ach – wirklich –?«
»Und tatsächlich, es konnte ja in der Art, wie der Graf eine von Ihnen vielleicht gemachte Äußerung wiedergab, ein Irrtum – er ist immerhin über siebzig und kann sich verhört haben –. Jedenfalls, ich hab' es vorgezogen in Gottes Namen unkommentgemäß zu handeln und mir aus Ihrem Munde Gewißheit zu holen, ehe nicht Gutzumachendes geschehen ist.«
»Sehr liebenswürdig.« Seine Stimme ist schneidend und ganz licht vor Haß. »Sie fragen mich also – quasi offiziell – als der Gatte –«
Der Baron hat sich erhoben und steht arm und gedunsen – schwebenden Bauches – im Raum. »Ja – als Mann meiner – meiner Frau – und wenn ich so sagen darf – als Ihr einstiger Freund frage ich Sie: sind wirklich Sie es, der diese Gerüchte –«
»Ja.« Klatschend wie ein Hieb fällt das Wort in das wehrlose Gesicht des andern.
Die Lider klappen haltlos und schwer herab. Wie sie mit Mühe wieder emporgezogen werden, erschrickt Secundus einen Moment vor dem schmachvoll bittenden Hundeblick in den kleinen schwimmenden Augen.
Schwerfällig werden drüben Worte geformt und schleppen sich zu ihm herüber.
»Wenn – wenn das so ist, Durchlaucht, dann habe ich nur noch ein letztes Wort, eine Bitte – Mensch an Mensch – wir werden uns dann schießen, Sie dürfen mich ruhig erschießen – nur das eine – hatten Sie – verzeihen Sie, es ist gemein, ich weiß, aber ich kann sonst nicht mehr so weiter – hatten Sie einen Grund, von meiner Frau so zu sprechen? – Meine Frau ist mir nämlich ziemlich viel –. Ist, kann es einen Grund geben, der Sie ermächtigt – ist irgend etwas wahr von dem, was Sie –?«
Klar und kalt – ein eisiger, giftiger Strom – kommt die Antwort: »Genügt es Ihnen, daß ich bei Ihrer Frau im Bett gelegen habe?«
Zwei Schritte Vorwärtstaumeln – dann ein jähes Stehenbleiben mit erzitternden, schwankenden Knieen – – die schon fremd gewordene Hand legt sich auf die Magengrube und tastet von dort herzaufwärts. Durch erblauende Lippen pfeift der Atem stoßweise Secundus' Gesicht an.
Und im Anhauch dieses fremdesten Atems, den er in tausend qualendurchschmetterten Nächten ihre Lippen abweiden geahnt hat, packt Secundus wilde, zerreißende Tierwut und macht ihn zum Sekretär stürzen, aus irgend einer Lade irgendwelche alten Briefe oder Rechnungen ans Licht reißen und schreiend dem halb schon Gefällten vor die zerbrechenden Augen zu halten.
»Wollen Sie den lesen – und den – und den – ?! Wollen Sie – Genügt's? Ihre Frau war meine Geliebte, meine Hure – meine Bett- –!!«
Schmerzlich aufblöckend stürzt der Mensch ein, rollt, mit beiden flachen Händen den Boden schlagend, zweimal um die eigene Achse und bleibt dann mit traurig hängender Zunge und in dem straffen Gilet etwas eingezogenem Bauche liegen.
Die Beine ganz gerade – uneingeknickter Kniee – den Rumpf im rechten Winkel weit vorgebeugt starrt Secundus herabgebogenen Gesichtes mit unterlaufenen Augen in das schon göttlich werdende Totenantlitz.
»Meine Frau – ‹meine Frau› – – du, du Besitzer – Gottgehaßter, der sie gehabt hat – – Hund – Hund – Kanaille!!«
Und schlägt mit voller Kraft die geballte Faust in das entschlafene Angesicht.
Er besucht Fanto in seinem Bureau. Das geschieht sehr selten und Fanto weiß die Ehre zu würdigen, breitet Sonnenschein über sein quittengelbes Gesicht und lacht knöchern und ergeben.
Fanto war früher Direktor einer unter unsäglichen Operationen gegründeten Winkelbank und stand infolge genialer, aber nicht ganz einwandfreier und vor allem durch unerhörte Schicksalstücken mißlungener Finanztransaktionen vor der Krida. Secundus rettete ihn damals durch ein nicht unbeträchtliches Darlehen, das jenem ermöglichte, anständig und ohne Kollision mit leider bestehenden Gesetzen zu liquidieren. Dann ernannte er ihn zum Verwalter seines Vermögens. In dieser Stellung leistete der Mann Unglaubliches und hob im Verlauf seiner fünfjährigen Geschäftsführung die Verzinsung des sehr vernachlässigten Riesenvermögens um fast zwei Prozent. – Fanto ist ehrwürdig, orthodox, gerissen, zu jeder Schurkerei freudig bereit und dem Herrn gegenüber von stiefelleckender Treue.
»Danke. Ich lege nicht ab, Fanto. Nur ein paar Worte. Ich möchte bis Abend wissen, wie es um die Vermögensverhältnisse der Baronin Nhilius steht. Sie wissen – Nhilius, der vor einer Woche –. Ja. Der. Ich möchte alles genau hören, wie das Geld angelegt ist, wer ihr Sachwalter ist, das Testament usw. Heute Abend werden Sie mir berichten.«
Um neun Uhr Abend erscheint Fanto. Er schwitzt und lacht knöchern und glücklich.
»Setzen Sie sich, Fanto, und erzählen Sie. Was haben Sie herausgebracht?«
»Nix Schönes, nix Erfrailiches, Durchlaucht – ich mein' für die Frau Baronin. Also zuerst: Der Mann, was die Sachen in der Hand hat, der Advokat von der Frau Baronin Nhilius, was ihr jetzt die Geschäfte führen tut, vor dem soll ein' Gott behüten! Kopetzky heißt er und Schuft is er, so weit er warm is. Ich hab' mit ihm zu tun gehabt!«
»Hat er Sie hereingelegt, Fanto?«
»Nein. Ich ihn. Aber die Schwierigkeiten, was er mir gemacht hat! Ich sag' Ihnen, an der Müh' hab' ich gesehn, was das für ein Mensch is!«
»Gut. Aber die Hauptsache: das Geld –!«
»Geld is da und is nicht da. Ich werd' Ihnen genau sagen, Durchlaucht. Zuerst – er, der Baron selig, hat nicht ein Drittel von dem gehabt, was ihm die Lait' so nachgesagt haben.«
»Nicht? – Interessant.«
»Nein. Er hat auf großem Fuß gelebt, hat für die Wohltätigkeit gearbeitet, hat Feten gegeben, hat sich die Baronie gekauft, aber gehabt – so – Fundus, Kapital hat er nix.«
»Nichts?«
»Na also – nix is zu viel gesagt. Eins, zwei Millionen unberufen hat er gehabt und – Kredit. Denn er war doch kein schlechter Kopf, Gott behüt'! Aber jedenfalls vor einem Jahr hat er bei der Baumwollbaisse mächtig Pech gehabt und sich sehr mühsam aus der Patsche gezogen. Nach dieser Sache hat er nicht viel mehr als eine Million in Konsols und seine Villa in Döbling – Verkaufswert gut gerechnet 400.000 Kronen – und seine aristokratischen Beziehungen gehabt.«
»Villa 400.000 Kronen – seltsamer Zusammenhang.«
»Wieso seltsam? Die Gründe sind dort stark gestiegen.«
»Ja? Ja, Fanto. Ich weiß.« Traurig dämmert die Stimme durch den Raum.
»Schulden waren auch noch da aus der Baumwollpleite. Kurz, was soll ich Ihnen sagen, der Mann hat gewankt, ich sag' Ihnen, so hat er gewankt.« Und Fanto wackelt pagodenhaft mit dem kurzen Oberkörper, daß Secundus, der den Mann wirklich wanken hat sehen, erschauert.
»Aber er is doch nicht machulle gegangen. Er hat sich nix ergeben. Der Nhilius war gute Klasse. Er hat sich gesagt: Entweder – oder. Und ist Kopf voraus zurück ins Wasser gesprungen.«
»Das heißt? Sie meinen das ja wohl bildlich?«
»Natürlich, Euer Durchlaucht«, feixt Fanto. »Vor etwas über einem Jahr hat sich in Paris eine Gesellschaft konstituiert – mit 'm pompösen französischen Namen, ich weiß ihn im Moment auf Ehre nicht – etwa Aktiengesellschaft zur Verwertung mexikanischer Goldminen – auf daitsch: eine Société, was den Ankauf und die Ausbeutung eines neu entdeckten kolossalen Goldfeldes in Mexiko zum Ziel hatte. Dieses Minenfeld sollte sehr günstig – nahe der atlantischen Küste und vom Kanal liegen – fabelhafte Proben waren da – kurz und gut – eine große Sache! Die Gesellschaft hatte ein paar gute Namen angekauft, ein paar tüchtige Macher waren auch dabei, Primrose, Myers, Latour, also es wurden 25.000 Aktien à 500 Francs – macht ein Aktienkapital von fünfzehn Millionen – herausgegeben und, weil's doch Gott sei Dank immer Trotteln gibt, zum Teil auch abgesetzt. Mir war die Sache von Anfang an nix koscher – Mexiko is ä dunkles Land und die Lait' dabei waren auch nicht die dümmsten. Daß a großer Bluff dahintersteckte, hab' ich mir an den fünf Fingern abgezählt. Die Geschichte hatte aber anfangs kein Glück – Mai war sie gemanaged worden – und im Oktober standen die Shares 100 unter Pari – und die Nichteingeweihten, ich mein' die kleinen Lait', die Bluter, fingen an, rapid zu verkaufen. Damals hatte der Baron selig die Baumwollaffäre gerade abgewickelt und die Hände frei. Was glauben Sie, daß er tut? Geht hin und kauft auf ein' Tag 7000 Stück Aktien, was herumschwimmen, auf, zum Durchschnittskurs von 450, macht rund drei Millionen!«
»Da er aber nur eine hatte –?«
»Deponiert er seine Konsols und läßt die anderen zwei Drittel von der Bank belehnen.«
»Von welcher Bank?«
»Einer daitschen. Mit österreichischen hat er doch nicht operiert, der Baron selig. Also er kauft, kauft wie ein Gott, ist über Nacht Großaktionär. Durch den Riesenkauf an sich steigen die Aktien und er sorgt dafür, daß sie weiter steigen. Im November geht er nach Paris.«
»November – Paris –.« Das war damals. Dämonen, den Staub des Totenreiches auf den wunden Flügeln, streifen pfeifend Secundus' Schläfen.
»Geht nach Paris und arbeitet mit Primrose zusammen. Zehn Zeitungen werden gekauft – eine Reklame gemacht, daß mir sogar der Mund wässrig wird. Dazu tut Gott, daß sich die Lage in Mexiko zu konsolidieren beginnt, Huerta scheint das Regiment in der Hand zu haben, Rothschild in Paris interessiert sich für die Sache, der kleine Mann kauft, also was soll ich Ihnen sagen – Ende Jänner stehen die Shares auf 800 – Primrose und Myers beginnen ganz langsam im Dunkeln abzustoßen – Nhilius hält und kauft noch 500 Stück dazu – Nhilius hat recht – an dem Tag, wo er selig gestorben ist, notieren sie 880, heute 904.«
»Also war die Spekulation doch gut?«
»Ich will Ihnen sagen, Euer Durchlaucht – sie war gut, wenn Nhilius am Leben bleibt. Er hätt' den richtigen Moment erwischt zum Verkauf. Was aber Kopetzky damit machen wird – denn die Baronin, eine feine, schöne Dame, kümmert sich doch nicht darum – weiß nur Gott und der wird nix davon wissen wollen!«
»Ich verstehe. Das Unternehmen selbst halten Sie für völlig faul?«
»Durchlaucht, wer hat schon mit Mexiko Geschäfte gemacht? Das Gold kann da sein, kann auch nicht da sein – zu sehen wird's keiner kriegen. Die Sache steht so: Die großen Hintermänner stoßen seit einem Monat sehr vorsichtig in kleinen Posten ab, die kleinen Lait' kaufen wie wütig zusammen, darum steigen die Shares noch immer. Aber seien Sie sicher, wie Myers, Latour und Letellier ihr Schäfchen im Trocknen haben, beginnt die Kontermine und die Sache ist so labil, daß der kleinste Anblaser sie umwirft.«
»Aber warum hält Kopetzky dann?«
»Ich hab' mir die Sache so ausbaldowert. Kopetzky war ein Freund vom Nhilius, heißt Geschäftsfreund, und Nhilius hat ihn in ei'm Anfall von Geistesstörung in seinem Testament zum Sachwalter eingesetzt. Etwa was ich bei Ihnen bin, ist er bei der Baronin. Er hält die Aktien und wird sie halten, bis sie wieder glücklich unter Pari sind. Dann wird er als der Retter in der Not zur Baronin kommen, die doch wirklich nicht weiß, wo Gott auf der Börse wohnt, und ihr den Posten billigst abnehmen.«
»Ja, diese Theorie hat etwas für sich. Besten Dank, Fanto. Nun noch eine Frage. Es liegt in meinem Interesse, die Baronin zu ruinieren. Vollständig. Wie soll ich da Ihrer Meinung nach vorgehen?«
Fanto zeigt keine Spur von Überraschung und überlegt kurz und ruhig.
»Es ist ziemlich einfach und wird uns nicht einmal viel kosten. Sie kaufen zirka 500 Shares auf, lancieren dann – das heißt, ich lanciere zwei, drei Depeschen in meine Presse – eine über politische Umwälzungen in Mexiko überhaupt, das kann immer wahr sein – die zweite, daß neue Untersuchungen den Golddistrikt leider als völlig unergiebig erwiesen haben und eine dritte, daß in den Goldfeldern eine Überschwemmung oder meinetwegen ein Erdbeben alle Arbeiten für die nächsten zwei Jahre lahmgelegt hat. Zugleich stoße ich Ihre 500 Aktien unter Lärm an verschiedenen Plätzen ab und drei Tag' später haben wir den Krach. Die Bank fordert neue Deckungen, die Baronin kann sie nicht leisten, ihre Aktien kommen unter den Hammer, die Villa dazu, Kopetzky kauft und sie behält, wenn's gut geht, ihr Hemd auf dem Leib.«
Secundus nickt langsam, fast feierlich! »Das ist gut Nur eines. Die Aktien sind heute bei kleinen Leuten, nicht?«
»Beinahe die Hälfte. Um so besser. Die verlieren am ehesten den Kopf und machen Panik.«
»Und sind mit ruiniert?«
»Natürlich.«
»Dann geht das nicht.«
»Wieso, Euer Durchlaucht?«
»Ich will nur die Nhilius treffen. Nicht die Kleinen.«
»Ach so – von wegen Sozialismus? Euer Durchlaucht, glauben Sie mir, es hat kan' überzeugteren Sozialisten gegeben als mich, wie ich jung war. Dann hab' ich gesehen, daß meine Lebensgewohnheiten zu meiner Überzeugung nicht passen und hab' meine Überzeugung geopfert.«
»Das war sehr hübsch von Ihnen, Fanto – aber es geht so nicht. Nur die Nhilius.«
»Dann müssen Sie sich gedulden, Durchlaucht, bis sich die Geschichte von selbst entwickelt. Kann auch nicht lang dauern.«
»Und inzwischen kann Kopetzky verkaufen.«
»Kann, aber wird nicht. Ich glaube, ich berechne ihn richtig. Übrigens können Sie sich seiner versichern. Man gibt ihm einen Wink und hundert Mille bar und der verkauft nicht bis an den jüngsten Tag.«
»Schön, das wird man für alle Fälle tun. Aber trotzdem will ich nicht warten. Sie müssen mich verstehen, Fanto, ich will den Schlag selbst führen.«
»Ja, schon. Aber – entschuldigen Sie, Euer Durchlaucht – was haben Sie gegen die Frau Baronin? Sie ist doch eine so eine nette Dame.«
Secundus lacht lieb und traurig wie als Kind von zehn Jahren. »Ja, das ist sie wohl, Fanto.«
Und er drückt dem gelben Juden die Hand, weil er schön von ihr gesprochen hat.
»Na also«, strahlt Fanto. »Wissen Sie übrigens, Durchlaucht, daß man sagt, Sie hätten ihn – Sie entschuldigen schon – um die Ecke gebracht, den Baron?«
»Sagt man das?«
»Man spricht von ei'm Mal im Gesicht wie von e'm Faustschlag, das der Tote –.«
Gequält erhebt sich Secundus und geht, die Hände am Rücken verschränkt, auf und ab. »Ja, ja, Fanto – und wenn schon?«
»Ja, das is auch wahr. Und wenn schon.«
»Übrigens!« Aufleuchtend bleibt Secundus stehen. »Ich weiß jetzt, wie wir's machen.« Er setzt sich fast fröhlich wieder in den schwarzen Klubsessel. »Hören Sie aufmerksam zu. Und keinen Einwand, Fanto. Keinen.«
Fanto weiß, was das bedeutet, und hebt beteuernd die Hände.
»Sie machen soviel Geld wie möglich flüssig, verkaufen meinetwegen Hoherode dem Springer und kaufen sämtliche Shares, das heißt, soweit sie eben bei den Kleinen liegen, auf.«
»Das dürfte aber eher eine Hausse geben«, bemerkt Fanto trocken.
»Warten Sie. Wir kaufen also gegen 10.000 Shares auf.«
»Zum Durchschnitt wahrscheinlich zu 1500 Kronen. Macht summa summarum fünfzehn Millionen. Kleinigkeit.«
»Natürlich werden Myers und Primrose darauf stutzig und halten mit dem Abstoßen vorläufig ein.«
»Anzunehmen. Sie werden sich denken, wenn Fanto kauft wie ein Meschuggener, ist am End' wirklich Gold darin.«
»Damit haben wir die Kleinen, soweit sie nicht ganz stützköpfig sind, aus dem Spiel. Und wenn die Macher dabei ein paar Millionen verlieren, schadet's nichts.«
»Nein. Aber ich seh' noch nicht ein –. Bisher haben wir die schönste Hausse und Kopetzky wird mehr verlangen, wenn er halten soll.«
»Wir geben ihm mehr. Er muß halten.«
»Gut. Und dann –.«
»Dann kommen Ihre Depeschen und wir stoßen am selben Tag durch Strohmänner die Shares in Paris, London, New York, Hamburg und Wien unter Pari ab, indem wir die Strohmänner sich gegenseitig unterbieten lassen.«
»Einen Moment, Durchlaucht, mir schwindelt ein bischen. Wir stoßen ab – unterbieten uns – überschwemmen den Markt – auf daitsch: wir geben die zum Durchschnitt um 1500 gekauften Shares zum Durchschnitt von 300 her. Verlieren demnach pro Stück 1200 Kronen, macht rund zwölf Millionen bei 10.000 Stück.«
»Ja.«
»Sie erlauben einen Moment. Die zehn Millionen, die ihrer Durchlaucht, der Fürstin, verschrieben sind, müssen ja wohl unberührt bleiben. Sie verfügen heute, da Sie heuer zwei Millionen vom Kapital für Ihre Stiftungen usw. – na, Sie wissen ja, Durchlaucht – genommen haben, über rund achtzehn Millionen. Von denen zwölf für den Spaß weg, bleiben sechs.«
»Nun also, die bleiben doch.«
»Nicht ganz, Euer Durchlaucht. Selbstredend wird durch die ganze Transaktion auch Ihr übriges Kapital so erschüttert, unser Kredit so untergraben, daß ich froh sein muß, wenn ich Ihnen drei, vier Millionen aus dem Debakel rette. Das heißt, vorausgesetzt, daß ich die Güter gut anbringe. Auch das Palais können Sie nicht halten, es kost't zuviel.«
»Drei Millionen, das wäre ungefähr die Summe, die sie heute gewänne, wenn Kopetzky verkaufte –?«
»Das Palais geht dann weg, Euer Durchlaucht!«
»Drei Millionen –. Gut. Und?«
»Die Güter kommen in fremde Händ'. Und das Palais. Zweihundert Jahr' hat Ihre erlauchte Familie –!«
»Ja. Und?«
»Es stürzt.«
»Aber sie – die Nhilius – ist fertig?«
»Sie auch, Durchlaucht.«
»Heute Nacht noch sprechen Sie mit Kopetzky. Morgen beginnen Sie mit den Aufkäufen.«
Fanto verneigt sich: »Was sind Sie für ein Hasser, Euer Durchlaucht. Ich werde kaufen.«
»Danke, Fanto. – Noch etwas?«
»Es ist das letzte Geschäft, das ich für Euer Durchlaucht mache.«
»Vermutlich, Fanto.«
Fanto verbeugt sich noch einmal. Noch viel tiefer als sonst. Fast bis zur Erde. Geht. Den Buckel gekrümmt. Von tausendjährigen Flüchen plötzlich müde und zur Erde gezogen.
Secundus steht allein und wachsend im Raum. Lichtstrahl um ihn.
Die Zeit erfüllt sich, das Maß läuft voll.
Unter schaudernden Sternen tritt der Traurige in das schlaflose Zimmer, dessen Grenzen seines Bruders edler, verfallender Körper abschreitet.
Diesmal spricht er nicht, legt nur seine krystallen ergrünenden Hände auf Secundus' dröhnende Schläfen. Seine Hände sind durchscheinend und kühl und vergottende Kraft strömt aus ihnen in den Zerbrechenden.
In dieser Nacht geht er ans äußerste Werk.
In einem Vorstadtnachtcafé, drin die Menschheit ihr letztes, konvulsivisches Gelächter ausstößt, findet er, den er braucht. Einen verkommenen, triefäugigen Burschen, der nicht schmutzig wie die anderen, sondern ungewaschen aussieht, allein in einer Ecke sitzt, hungrig die Schenkel einer auf dem Billard sich räkelnden Dirne blickkost und dabei – kaum versteckt – die ihm nicht erschwingliche Lust an sich selbst büßt.
Er setzt sich zu ihm auf die Bank, bestellt Kirsch für beide und legt einen Tausendkronenschein vor sich hin.
Bursche blinzelt blöd und verschlafen nach der Note.
»Den kannst du haben.«
»Wie denn? Ach so, ich soll mit Ihnen? Na meinswegen.« Er spielt kokett mit der Zunge.
»Nein. Das nicht.« Brechreiz zu vertreiben stürzt er den Kirsch herunter. »Bist du jeder Gemeinheit fähig?«
»Ich weiß nicht. Bisher hab' ich mir meinen Unterhalt mehr oder minder ehrlich durch Diebstahl verdient.« Er zeigt elegante, griffige Finger.
»Die sind gut. Ich brauche dich zu einem Diebstahl.«
»Ach so. Große Sache dreh'n? Na, schieß los.«
»Ich miete dich für zwanzig Kronen pro Tag und freie Station, Mädels extra. Du bekommst einen neuen guten Anzug und folgst mit mir im Auto einer Dame. Wir passen auf, bis sie in ein Geschäft eintritt. Sie wird wahrscheinlich Schmuck verkaufen. Ist es so weit, folgst du ihr in das betreffende Geschäft. Stiehlst ein Schmuckstück oder ein Stück Spitze, je nachdem, um was für ein Geschäft es sich handelt, und schmuggelst es ihr in die Tasche. Dann machst du dich aus dem Staub. Das Weitere ist meine Sache.«
Der überwache Bursche starrt ihn verständnislos an. »Pfui Teufel, das ist aber schon ganz fis. Woher kommst du auf so 'ne Idee?«
»Wenn's gelungen ist, kriegst du das« – er deutet auf den Schein – »drauf«.
»Donnerwetter. Du läßt's dich was kosten.«
»Dafür unterschreibst du mir einen Revers, daß du diese ganze Sache in meinem Auftrag gedreht hast und die Dame unschuldig ist.«
»Das tu ich nicht. Dann haben Sie mich in der Hand.«
Secundus lacht. »Das will ich ja. Und was tut's dir? Kommt die Sache auf, halten sie sich doch an mich. Du kriegst höchstens einen Monat. Das sind tausend Kronen schon wert.«
»Das schon. Gib Angeld, so unterschreib' ich.«
»Zwanzig Kronen. Nicht mehr. Jetzt schreib!«
»Nein – nachher.«
»Jetzt.«
»Also – leck' mich – da hast es! Wann geht mein Dienst an?«
»Morgen, neun Uhr. Pestsäule wartest du. Erst wirst du ausstaffiert.«
»Schön – Also morgen. Servus.«
Er streckt ihm frech die Hand hin. Secundus berührt sie lächelnd.
Er ist dreißig Schritte in die Nacht gegangen, hört katzenhaftes Anschleichen hinter sich, geht noch fünf Schritte, dreht sich dann blitzschnell um und fängt das auf seinen Nackenwirbel gezückte Messer auf.
»Ich würde dir dein Handgelenk auskegeln, wenn ich's nicht brauchte.«
»Sie entschuldigen schon. Der Tausender schien mir so einfacher zu verdienen.«
»Nein, du mußt schon meinen Weg einschlagen. Gute Nacht. Morgen neun Uhr. Und gewaschen.«
Schwachen Mond überjagt Gewölk. Der Himmel ist wunderlich wolkengetigert. Der Wind dreht sich. Der du vom Himmel bist – –
Die Verhandlung gegen die des Ladendiebstahls beschuldigte Kathrin Nhilius findet Ende Juli im Bezirksgericht L. statt.
Die Stadt ist ausgestorben und nur wenige ehemalige Freundinnen der Angeklagten, die ein Zufall noch zurückgehalten hat, können sich's nicht versagen, dem interessanten Schauspiel beizuwohnen.
Die Hitze ist unerträglich. Der Himmel ungeheuer gelb und staubig. Am Horizont ziehen violette Gewitter auf. Hinter scharf grauen Dunstfetzen Wetterleuchten in fahlen Garben. Die paar Menschen im Saal halten sich geduckt, als sei Vernichtung auf ihre Nacken gezückt.
Der Strafrichter, ein großer, nachtköpfiger Aasgeier, sitzt, die Gedärme des letzten Opfers noch blutig aus dem Schnabel hängend, mit sieben Schrecken gerüstet auf seinem erhöhten Sitz hinter dem grünen Tisch. Seine Stimme, schriller Vogelschrei über falbe Wiesen geworfen, heischt gierig ihr Kommen. Ein Schutzmann schleppt sie unter dem gedämpften »Ah« des Auditoriums zur schmerzlichen Bank.
Über Stirne und Haar schmiedet die Sonne eine schwere Glorie. Kaum noch erträglichen Glanz. Der übrige Saal liegt in bösem, gelbem Schatten.
Über die Geschehnisse selbst berichten die Blätter am nächsten Tage folgendes:
»Sehr interessant gestaltete sich eine Verhandlung, die gestern vor dem Bezirksrichter Dr. Hanka, Bezirksgericht L., stattfand. Raffinierten Ladendiebstahls war eine noch vor kurzer Zeit in der Wiener Gesellschaft bekannte und gefeierte Dame, Frau Baronin N., angeklagt. Nach dem im Februar erfolgten plötzlichen Ableben ihres Mannes war Frau von N. infolge verfehlter Börsenspekulationen desselben in finanzielle Bedrängnis geraten, die schließlich zur Versteigerung ihres ganzen Besitzes führten und die schöne Frau zwangen, ihr Leben durch Sprach- und Klavierstunden zu fristen. Natürlich sagte diese Beschäftigung – wie auch der Richter im Verlauf des Verhörs konstatierte – der verwöhnten Weltdame nicht sehr zu und mit wenig Skrupeln behaftet entschloß sie sich, auf einem andern Weg eine Vergrößerung ihres Einkommens zu erreichen. Am 2. Juli besuchte die Dame gegen sechs Uhr abends das Kaufhaus Gerngroß und erstand daselbst eine einfache Waschbluse. Als sie sich entfernen wollte, machte ein Herr – Fürst C., eine in Wien gleichfalls sehr bekannte Persönlichkeit – den Abteilungschef darauf aufmerksam, daß sich die Dame nach seiner Wahrnehmung mehrere Meter einer kostbaren Spitze angeeignet und in ihrem Täschchen versteckt habe. Man holte Frau von N., die das Geschäft bereits verlassen hatte, zurück und untersuchte das Täschchen, in dem sich tatsächlich der Spitzenrest fand. Frau von N. wurde daraufhin der Polizei übergeben.
Das Merkwürdige an der gestrigen Verhandlung, die sich mit diesem Diebstahl befaßte, war, daß die Angeklagte anfangs trotz des klaren Tatbestandes hartnäckig leugnete und die etwas romanhafte Geschichte von einem Unbekannten erzählte, der sich beim Ausgang angeblich an sie gedrängt und ihr bei dieser Gelegenheit die Spitze in das Täschchen geschmuggelt haben müsse. Vom Richter auf das Unwahrscheinliche ihrer Darstellung aufmerksam gemacht, erklärte Frau von N. ganz ruhig, sie sähe diese Unwahrscheinlichkeit selbst ein, könne sich aber den Vorgang nicht anders erklären. Ihr den Diebstahl einer für sie doch wertlosen Spitze zuzutrauen sei absurd.
Richter: »Gar so absurd wär's schließlich nicht. Sie hätten immerhin 50 bis 60 Kronen beim Trödler für die Spitzen bekommen. Das wär' doch ein ganz hübsches Nadelgeld gewesen.«
Angeklagte schweigt.
Richter: »Gestehen Sie's lieber ein. Leugnen hilft doch nichts. Wir haben doch einen Zeugen, der beobachtet hat, wie Sie sich die Spitze angeeignet haben.«
Angeklagte: »Konfrontieren Sie bitte den Zeugen mit mir. Er soll vor meinen Augen seine Aussage wiederholen.«
Richter: »Das wird ohnehin sofort geschehen. Aber ich rate Ihnen, legen Sie lieber vorher ein volles Geständnis ab. Das wird Ihnen als mildernder Umstand angerechnet. Die Sache ist doch klar. An Luxus gewöhnt, konnten Sie sich nicht so rasch in Ihr neues Leben schicken und haben eben zu diesem Mittel gegriffen, sich etwas von diesem Luxus zu verschaffen. Sie sind die Erste nicht!«
Da die Angeklagte trotzdem bei ihrer Verteidigung beharrt, wird unter starker Spannung des kleinen Auditoriums Fürst C. als Zeuge einvernommen. Zeuge gibt unter Eid an, er habe beim Vorbeigehen in der Auslage ein hübsches Blusenmodell gesehen und dasselbe gekauft mit dem Auftrag, es seiner Frau ins Palais zu senden. Beim Bezahlen habe er zufällig bemerkt, wie Frau von N., die er nicht gleich erkannt habe, in einem scheinbar unbeobachteten Moment den aufgewickelten Spitzenrest, der auf einem Ladentisch gelegen habe, schnell an sich genommen und in das Täschchen gesteckt habe. Er habe den Abteilungschef darauf aufmerksam gemacht und sich sodann entfernt, um nicht Zeuge der folgenden peinlichen Szene sein zu müssen. Erst später habe er sich erinnert, daß die Diebin eine ehemalige Bekannte seiner Frau sei, und das sei ihm natürlich sehr unangenehm gewesen.
Richter: »Soll das heißen, Durchlaucht, daß Sie, wenn Ihnen diese Tatsache früher eingefallen wäre, von der Anzeige abgesehen hätten?«
Zeuge (zögernd): »Kaum. Ich hätte wohl auch in diesem Falle meine Pflicht erfüllt, zumal ja sonst die arme Verkäuferin die Geschädigte gewesen wäre.«
Richter: »Diese Anschauung macht Ihnen alle Ehre. Man muß ja gegen derartige ‹Damen› schonungslos vorgehen, sonst könnte man sich bald nicht mehr vor Ladendiebstählen schützen.«
Verteidiger Dr. Morgentau: »Ich protestiere gegen den neuerlichen Angriff auf meine Klientin, der in der ironischen Betonung des Wortes Dame liegt.«
Richter (scharf): »Ich muß den Herrn Verteidiger bitten, nicht über Betonungen zu Gericht zu sitzen. (Zur Angeklagten:) Leugnen Sie auch diesem Zeugnis gegenüber?«
Zum allgemeinen Erstaunen legt die Angeklagte nunmehr ruhig ein volles Geständnis ab. Über ihre Motive befragt, verweigert sie jedoch jede weitere Auskunft und verhält sich auch bei der Urteilsverkündung völlig teilnahmslos.
Der Richter sprach die Angeklagte der Übertretung des Diebstahls schuldig und verurteilte sie, indem er ihre bisherige Unbescholtenheit und das schließliche Geständnis als mildernd annahm, zu einer Woche Gefängnis.
Ein schneller Sturz von der Höhe der Gesellschaft in die Tiefe des ersten Verbrechens!«
Und das sozialdemokratische Organ fügt hinzu: »Da sieht man wieder, wie sich die kapitalistische Moral bewährt, sobald ihr die nötige Unterlage – das Kapital – entzogen wird.«
An anderer Stelle der Blätter aber findet sich der Bericht über das furchtbare, von einer Windhose begleitete Gewitter, das sich zur selben Zeit über der Stadt entlud, in vier Häusern zündete und sieben Todesopfer forderte. Denn zwischen zwölf und ein Uhr, da Kathrin Nhilius zum Gefängnis verurteilt wurde, hatte die Hölle Macht über die Stadt und aus gelbem rauchenden Gewölk zerleuchteten Blitze ehernen Glanzes das Dunkel des Bezirksgerichtssaales L., aus dem sie abgeführt wurde.
Secundus aber ging hinaus und weinte bitterlich.
Während sie die Woche im Gefängnis erleidet, in eine Zelle gesperrt mit zwei Gewohnheitsdiebinnen und einer alten lesbischen Dirne, die sie bei Nacht mit Anträgen und unzüchtigen Zärtlichkeiten verfolgt, geplagt von Unreinlichkeit, einer höllischen Wächterin Stößen und Speichel preisgegeben, sorgen anonyme Briefe, denen Zeitungsausschnitte über die Verhandlung beigeklebt sind, an ihre Vermieterin und die Familien, die ihr Stunden gewährten, für den völligen Zusammenbruch ihrer materiellen Existenz. Dem Gefängnis entlassen, findet sie sich wohnungs- und subsistenzlos. Ein neues Zimmer, das sie mit Hilfe des letzten verkauften Ringes mietet, und neue Stunden, durch Annoncen gewonnen, werden ihr nach Ablauf einer Woche auf Grund der anonymen Briefe aufgekündigt. Der Versuch, in eine Modisterei als Aufputzerin einzutreten, scheitert an der Wachsamkeit des Verfolgers. Auch in einem dritten Zimmer bei einer alten, hochmütigen Beamtenswitwe kann sie sich nicht halten und als sie es in einem vierten mit einer Falschmeldung wagt, wird sie von unbekannter Seite angezeigt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie entschließt sich endlich, ein allzu teures Zimmer in einer ziemlich fragwürdigen Pension zu nehmen, wo ihr wenigstens der Steckbrief kaum zu Schaden gereichen kann. Seitens der Pensionsinhaberin an sie gestellte Anträge, sich an einem der »intimen Abende« in der Pension zu zeigen, lehnt sie – nicht mit Entrüstung oder Entsetzen – nur mehr müde und aus Gleichgültigkeit fast schon erliegend ab.
Nun hält Secundus die Zeit für reif geworden und geht zur Adèle Osterer.
Die Osterer ist die Besitzerin zweier großen Maisons des rendez-vous in Wien und Budapest und des elegantesten Bordells der City. Sie ist etwas wie eine Präsidentin des internationalen Mädchenhändlertrustes, nimmt eine anerkannte soziale Position ein, protegiert manchmal die Polizei bei ihren Streifungen und ist ob ihrer Beziehungen, die von rumänischen Bauernhöfen bis in die höchsten Kreise reichen, gefürchtet und unantastbar wie ein Abgeordneter.
Bei dieser Dame läßt sich Secundus melden, wird in einem strotzenden Salon empfangen und steuert nach Austausch gegenseitiger Höflichkeiten direkt auf sein Ziel los.
»Sagen Sie mir, ganz im Vertrauen, beste Frau Adèle, haben Sie die Nhilius schon?«
Sie lächelt geschmeichelt, daß der Puder stiebt. »Durchlaucht überschätzen mich. Ich habe die Dame allerdings seit längerer Zeit ins Auge gefaßt, glaubte aber bisher den Moment für ein Eingreifen meinerseits noch nicht gekommen.«
»Ich wußte, daß Ihnen dieser interessante Fall nicht entgangen sein könnte.«
»Gott, Durchlaucht – man muß doch ein Auge für die Vorgänge dieser Welt haben. Meine Hauptgeschäfte wickeln sich in der großen Gesellschaft ab. Ich spüre ihren Herzschlag, ich fühle gleichsam ihren Puls, die geheimsten Unregelmäßigkeiten seiner Schwingung, die feinsten Reize und Wünsche dieses Blutes muß ich kontrollieren und zu befriedigen suchen. Ließe ich nach, versagte die Feinheit meiner nachtastenden Finger, Durchlaucht können mir glauben, es käme zu den empfindlichsten Krisen des hiesigen gesellschaftlichen Lebens, zu Stockungen, die stationär würden, und jene sexuelle Revolution, die wir am Steuer Stehenden um jeden Preis verhindern müssen, da sie angesichts der Kreise, in denen sie ausbräche, leicht zu einer politischen werden könnte, stände uns unmittelbar bevor. In diesem Sinne kann auch ich mit Stolz sagen, daß ich den Posten, den mir die Gesellschaft – fast drängt sich mir das Wort ‹Vaterland› auf die Lippen – angewiesen hat, ganz ausfülle und trotz aller Schwierigkeiten, die Taktlosigkeit und Impotenz mir zwischen die Beine wirft, mit Gottes Hilfe aushalten werde.«
»Falls es bei uns zu einem passiven Wahlrecht der Frauen kommen sollte, stände ich nicht umhin, Ihnen als erster meine Stimme zu geben, verehrte Frau.«
»Ich danke, ich danke, Durchlaucht. Mir genügt mein stilles Wirken und der vertrauensvolle Dank der höchsten Stelle. Aber, um auf Ihre Anregung zurückzukommen, es ist mir nicht unbekannt, daß Durchlaucht ein gewisses Interesse an der Baronin haben.«
»Ein negatives, rein psychologisches, liebe Frau Adèle. Experimentalpsychologie.«
»Ich verstehe vollkommen, Durchlaucht. Da Sie zweifellos besser informiert sein dürften als ich, gestatten Sie die Frage: Sie halten den Moment für gekommen, an die Dame heranzutreten?«
»Soweit ich die Lage überblicke, glaube ich ‹Ja› antworten zu dürfen.«
»Sie halten also die Widerstandskraft der – für hiesige Verhältnisse zweifellos ganz merkwürdig anständigen – Frau genügend geschwächt, einem Anerbieten meinerseits nachzugeben?«
»‹Geschwächt› möchte ich nicht sagen. Aber ich glaube, daß jener psychologische Augenblick vollständiger Gleichgültigkeit, Nervenerschlaffung, Apathie, mit einem Wort, désinteressement absolu an der eigenen Person eingetreten ist, der bewirken wird, daß die Dame, schon um sich die Mühe weigernder Worte zu ersparen, bedingungslos auf jede halbwegs geschickt gestellte Proposition eingehen dürfte.«
»Ich würde natürlich mit der äußersten Delikatesse ans Werk gehen, die Baronin völlig als Dame behandeln, als meinesgleichen, wenn ich so sagen darf –«
»Auch das dürfte von guter Wirkung sein, da die Baronin seit jüngst in dieser Hinsicht kaum verwöhnt ist und jede Liebenswürdigkeit Ihrerseits in ihrem Unterbewußtsein sicher dankbar empfinden würde.«
»Verlassen Sie sich auf mich, Durchlaucht. Ich glaube auf diesem Gebiet alle Register zu beherrschen. Die Gräfin V. nach ihrer Scheidung zu dem ersten Schritt in mein Haus zu bewegen, war auch keine Kleinigkeit. Heute führt sie eine Maison in Petersburg.«
»Ich vertraue Ihnen unbedingt. Vor allem jedoch wird starke Energie, möglichst große persönliche Suggestion am Platze sein.«
»Wenn tatsächlich jener Moment seelischer Stagnation eingetreten ist, wie Durchlaucht es schildern, halte ich den Erfolg für sicher. Durchlaucht können überzeugt sein, daß ich alles einsetzen werde, schon aus Prestigerücksichten. Frau von Nhilius gilt als eine der anständigsten Frauen der Stadt, ihre Anwesenheit in meinem Salon würde triumphal für die Sache wirken, auch finanziell viel für mich bedeuten.«
»In dieser Hinsicht liegt ein Scheck auf 100.000 Kronen bereit, an Ihre Adresse abzugehen.«
»Meinen herzlichsten Dank, Durchlaucht. Eine so enorme Summe gibt Ihnen natürlich Vorrechte. Haben Sie für den Fall eines Gelingens besondere Wünsche?«
»Ich möchte, daß alles geheimgehalten wird, bis ich selbst das nötige Arrangement getroffen habe. Und dann – ich glaube, Sie werden die Dame wohl ziemlich mühelos herbekommen, sobald sie aber hier ist, dürfte starker Widerstand einsetzen.«
»Das ist meist so.«
»Für diesen Fall empfehle ich Ihnen äußerste Strenge. Schrecken Sie auch vor Erniedrigungen nicht zurück. Sie haben von mir aus völlig freie Hand.«
»Ich verstehe. Wir greifen nur selten und ungern zu körperlicher Züchtigung, aber wenn eine solche unvermeidlich ist –«
Secundus' Mund verzerrt sich leicht: »Es liegt mir daran, daß die Baronin alles auf diesem Gebiet kennen lernt – alles –«
Die elegante dicke Dame lacht etwas tückisch und durch ihr Parfüm beißt leichter Hyänengeruch. »Sie werden zufrieden sein.«
Nicht ganz drei Wochen später – der Umkreis des Jahres ist geschlossen, es ist wieder November und der Tag Allerseelen bricht mit heiseren Glocken aus schwarzen Nebelschwaden herauf – erhält er ein sanft parfümiertes Billet, in dem eine zierliche Handschrift ihm mitteilt, daß die neulich gesprächsweis erwähnte Dame es nunmehr vorgezogen habe, ihr bisheriges Logis zu wechseln und die besprochene neue Wohnung zu beziehen, woselbst sie sich freuen würde, Seine Durchlaucht gelegentlich zu empfangen.
Er ruft sofort die Osterer an und erfährt von ihr, daß sich die Dame bereits seit drei Tagen in ihrer Obhut befinde. Alles sei programmgemäß verlaufen, der in der Tat völlig apathische Seelenzustand der Dame habe ihr die Aufgabe sehr erleichtert. Sie – Madame Adèle – hätte natürlich schon längst Mitteilung gemacht, aber nach vollzogener Übersiedlung habe die Dame, gleichfalls wie erwartet, Spuren von Renitenz gezeigt und einen hysterischen Anfall erlitten, man habe zu den bewährten Hausmitteln gegriffen und nun sei alles in Ordnung. Seine Durchlaucht könne jederzeit erscheinen, es sei kein wie immer gearteter Widerstand seitens ihres Schützlings mehr zu befürchten. Sie selbst sähe den Anordnungen Seiner Durchlaucht mit Vergnügen entgegen.
Secundus dankt höflich für ihr Bemühen und bittet sie, für den Abend ein Souper zu etwa zehn Gedecken herzurichten, da er einige seiner intimeren Bekannten zu der Première einzuladen gedenke, ferner die Dame auf die kleine Abendgesellschaft entsprechend vorzubereiten, jedoch ohne den Veranstalter zu nennen, das Menu sei von Sacher zu bestellen, er lege Wert auf schönes Blumenarrangement. Champagner Mumm extra dry und Moët et Chandon 1892.
Wie er abläutet und sich wendet, sieht er um sich zerreißendes Licht aufstieben und knapp vor seinem ungeheuer aufgetanen Antlitz die spiegelnde Schärfe eines breiten Beiles niederblitzen und stürzt – das dumpfe, schwarze Rauschen aller Glocken der Erde enthallend in den Ohren – gelben Schaum vor dem Munde zu Boden.
Diener finden ihn die Zähne in den Parkettboden verbissen und tragen ihn aufgerissenen Kragens nach dem Diwan. Erweckt, verweigert er die Hilfe des rasch herbeigeholten Arztes und schickt – alles sehr sanften und gütigen Tones – die Umgebung fort. Eine halbe Flasche Whisky, unverdünnt getrunken, setzt ihn instand, die Einladungen zu dem Souper zu schreiben, die sofort ausgetragen werden, und dann ein längeres Schriftstück aufzusetzen, das er auf der Schreibmaschine vervielfältigt. Letzteres enthält eine Selbstanzeige wegen Verbrechens der schwersten Verleumdung, Mißhandlung eines Toten, begangen an weiland Baron Nhilius, Verleitung zum Diebstahl, fälschlicher Anzeige, Meineides und Unterstützung von Kuppelei. Als Beweise führt er die Zeugenschaft des Grafen Kolosvary, den Obduktionsbefund an dem Baron, der von einem schweren Faustschlag im Gesicht des Toten sprach, das Dokument des von ihm gedungenen Diebes, das Protokoll über seine Aussage in der Verhandlung kontra Kathrin Nhilius sowie den Brief der Osterer an. Als Motiv seines Vorgehens bekennt er Rachsucht für die Ablehnung eines von ihm an die Baronin gestellten Antrages. Die Vervielfältigungen des Schriftstückes, das er an die Staatsanwaltschaft schickt, sendet er den meistgelesenen Tageszeitungen ein mit dem beigefügten Ersuchen um Abdruck im nächsten Morgenblatt zwecks völliger Rehabilitierung der genannten Dame vor der Öffentlichkeit. Die adressierten Briefe übergibt er seinem Kammerdiener zur Beförderung.
Gegen fünf Uhr nachmittag – der werdende Abend dampft grau und naß an die hohen Fenster – ist er mit seiner Arbeit fertig, begibt sich in die Appartements der Fürstin und bittet diese um eine kurze Unterredung. Sie empfängt ihn, damit beschäftigt, Schuhe und Strümpfe zu wechseln, ohne sich von ihm – wie einem Nichtanwesenden – stören zu lassen. Er erklärt ihr, daß es für sie am vorteilhaftesten wäre, noch im Laufe des Tages die Scheidungsklage gegen ihn einzureichen, da sein Name bereits morgen kaum mehr ehrenvoll zu tragen und es ihr sicher gesellschaftlich von Nutzen sein würde, wenn sie bereits vor Erscheinen der morgigen Zeitungen sein Haus verlassen hätte. Das ihr überwiesene Dritteil seines ehemaligen Vermögens stehe ihr völlig integer zur Verfügung, ein weiteres Verbleiben an seiner Seite hätte schon aus dem Grunde keinen Sinn, weil er selbst vollkommen ruiniert sei und nach Verkauf des Palais ihm kaum noch drei Millionen bleiben würden, die übrigens einer von ihm zu leistenden Entschädigung zur Verfügung gestellt werden müßten. Die Fürstin dankt für seinen Rat und erklärt, die Spange an ihrem Schuh schließend, ihn befolgen zu wollen. Sein Gesicht ist so völlig in Unirdisches getaucht, daß eine boshafte Abgangsglosse, die sie seit Monaten vorbereitet hat, unterbleibt. Sie scheiden höflich und in Form.
In der Einsamkeit seines Zimmers faltet er, betäubt von der Größe des aus ihm Geschehenen, hilflos und armselig vor der mächtig die Stirne ihm überschattenden Ewigkeit, seine Hände.
»Mein Bruder in der Nacht, Engel aus den Engeln, dessen Weg meine Seele gegangen ist, du äußerster Liebender, Schatten, den das Licht wirft, weil es das Licht ist, du weißt, was das Licht nicht wissen kann, weil es das Licht ist, du weißt um das letzte schauderndste Dunkel der Seelen, du weißt, daß ich in äußerster Liebe gehandelt habe, daß ich aus Liebe meine Liebe geopfert habe, daß ich mich selbst verstieß, weil ich es nicht mehr tragen konnte, aufgenommen zu werden, daß ich schuldig wurde, weil ich schuldlos nicht mehr leben konnte, daß ich haßte und schlug und quälte und mordete, um gehaßt, geschlagen, gequält, gemordet zu werden, weil meine Liebe zu groß war, sich noch lieben lassen zu können! Du weißt, daß ich myriadenfach alles erlitten habe, was ich erleiden machte, daß ich zehntausend Tode gestorben bin ohne die Hoffnung der Auferstehung. Dies weißt du vor allem, daß ich gänzlich hoffnungslos gelitten habe, seit du mich wissen machtest, daß ich mir bewußt war, außerhalb der Gnade und der Vergebung zu stehen, daß ich so inbrünstig um die Verdammnis gerungen habe wie kein Mensch um seine Seligkeit. Nun bitte ich dich, du lässest meine Seele hinfahren in diese Verdammnis, du bindest mich an Händen und Füßen und werfest mich in die äußerste Finsternis, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird – dahier ist mein Weg zu Ende. Ich bin ihn aufrecht gegangen, aufrecht mit zerschmetterten Gliedern, getreu bis in den Tod!!«
Aber das Schweigen wächst und das Dunkel wächst und strickt sich netzhaft um seine geschüttelten Glieder. Hölle und Himmel sind stumm und verfinstert; und ihm ist, als hinge er klein und nackt und gekrümmt an einem riesigen, blutbespritzten Kreuz und es wäre die sechste Stunde angebrochen, von der da geschrieben steht: Und es ward eine Finsternis über das ganze Land.
Der Eintritt des Dieners, der Licht macht und ihm den Smoking bringt, reißt ihn aus seiner entsetzlichen Halluzination. Verstört und naß von fiebrigem Schweiß kleidet er sich um, läßt das Auto vorfahren und begibt sich ins Johann Strauß-Theater, wo er den beiden ersten Akten der neuen Operette beiwohnt. Mehrere der zum Souper eingeladenen Freunde, die sich gleichfalls im Theater befinden, kommen im Zwischenakt in seine Loge und bedrängen ihn neugierig um das Geheimnis, das er bei Madame Adèle für sie vorbereitet habe. Er schweigt, geheimnisvoll schmutziges Lächeln um die grauen Lippen gelegt. Nach dem zweiten Aktfinale, es ist halb zehn geworden, fahren sie zur Osterer. Der erste Stock des unauffällig eleganten Hauses ist hell erleuchtet. Ein reinigender Wind hat die dicken Allerseelennebel auseinandergefetzt, der ungeheuer hohe Himmel beginnt sich zu bestirnen und in Strahlen zu werfen. Musik flattert aus einem nahen Restaurant, da sie in das Haus eingehen.
Frau Adèle in großer Toilette – distinguiert und busig – macht die Honneurs und empfängt die Gäste mit liebenswürdigen Scherzreden. Im ganzen acht Herren. Einer hat mit Berufung auf seine leider am Vormittag stattgefundene Verlobung abgesagt. Zum größern Teil Offiziere, darunter die beiden, die an jenem Abend in der Manhattan-Bar mit den Nhilius waren, lauter junge Leute, von denen Secundus weiß, daß sie die Frau umworben und nicht bekommen haben, lauter Menschen, von denen er weiß, daß sie an ihrem Tisch gesessen sind, ihre Hand geküßt und ihr Fleisch verehrt haben, weil es ihnen unerreichbar war. Menschen, die er haßt wie Aussatz und für würdelos genug hält, die Statisten in dieser letzten großen Entwürdigung zu spielen.
Eine Zigeunerkapelle beginnt gedämpft und geil den Walzer aus der neuen Operette zu spielen:
»Eine nur, das ist die Echte, |
Eine nur, das ist die Rechte –.« |
Auf eine einladende Geste Frau Adèles begeben sie sich ins Nebenzimmer, wo die Tafel, festlich in Weiß und Rosa gedeckt, sie erwartet. An dem einen Ende der Tafel steht, mit Rosen und Flieder bekränzt, etwas erhöht – gleichsam als Thron gedacht – ein prunkvoller Lehnstuhl mit Brokatüberzug Secundus, der am unteren Ende der Tafel Platz genommen hat, gegenüber.
Man setzt sich, etwas erstaunt, etwas leiser werdend, zu Tisch. Madame Adèle ist verschwunden, acht Herren allein, damenlos, in einem Bordell bei Tisch, die Situation ist entschieden originell. Bemerkungen wagen sich vor, Witze werden versucht:
»Hören Sie mal, lieber Fürst, ich hoffe doch entschieden, daß die Geschichte allmählich 'n weniger Liebenbergischen Anstrich bekommt?«
»Du hast uns doch nicht zu einem Junggesellensouper ausgerechnet zur Osterer bestellt! Das wär' doch auch im Bristol gegangen.«
»Nein, nein, Kinder, der Secundus hat noch a besondere Gaudee für uns in petto. Schauts doch den Thron an!«
»Aber nachher fix. Ich weiß nicht, der Hummer is doch sicher vom Sacher, aber mir schmeckt's gar nicht, wenn ich nicht a hübsches Weib zum Fußeln neben mir hab'!«
»Ich kenne diese deine Gewohnheit, lieber Kiki«, lächelt Secundus höhnisch. »Wie du siehst, habe ich darauf Rücksicht genommen und dich neben die Dame des Festes placiert.«
»Die Dame? Also kommt doch wenigstens eine?«
»Nur eine, Fürst? Neun sind wir – das wird schwer halten!«
»Also jetzt zum Teixel, wer is denn dieser steinerne Gast? Schau, Secunderl, ich bin solchen Aufregungen nicht gewachsen –«
»Das tut mir leid um dich, so jung –«
»Also, Kinder, nach den Zurüstungen serviert er uns entweder die Gaby Deslys oder die Kaiserin von China zum Dessert!«
»Aber um Gottes willen, Kinder, das ist ja –!«
Alle haben sich wandweiß und erschrocken erhoben, machen eine unsichere, halb wieder fallen gelassene Verbeugung, starren mundoffen auf die Erscheinung der Frau. Secundus allein ist sitzen geblieben. Langsam hebt er den Blick von den fleischigen Blumen auf, die in einer schlanken, grünes Licht versplitternden Vase vor seinem Gedeck stehen, und sagt, den Blick ganz fest in ihrem, leicht und nonchalant in die peinliche Stille:
»Sitzen bleiben, Kinder. Nur kein Zeremoniell. Voilà la dernière acquisition de madame Adèle. – Guten Abend, Kathrin, nimm Platz. Eine Vorstellung erübrigt sich. Du kennst ja alle, nicht? Es ist alles wie immer, nur daß wir hier ‹Du› zu dir sagen. Du erlaubst doch?« Und leert langsam mit einer niederträchtig höllischen Gebärde sein Glas gegen sie.
Sie steht starr und heilig lächelnd vor sich schließenden Vorhängen. Ihre Schönheit ist dem Ewigen so nahe, daß sie Stille und Schatten auch über diese wirft. Sie ist fast nackt, trägt ein phantastisches Kostüm, etwa im Stil des Directoire, aus dünnster, leuchtendster Gaze, das ihre Brüste frei und den völlig edlen Körper in triumphierender Enthüllung allen Falten entstrahlen läßt. An die bloßen Füße sind rotseidene Sandalen gebunden, die Hände sind nackt von Schmuck, in das griechisch zurückgetürmte violette Haar ist fahles Laub des Ölbaumes geflochten. Das zu weiße Antlitz ist sanft und stilisiert geschminkt und macht aus dem Todesgenius eine Kokotte.
Allen ist sie ungeheuer unwirklich und alle, auch die Verhärtetsten unter ihnen, erwarten unklar ein Wunder. Herabsturz von Engeln durch gebrochene Decke rauschend, der sie ihren Blicken entzöge, eine Blendung, ein Gericht. Aber da nichts Entscheidendes geschieht, da sie unter Secundus' Worten widerstandslos den ihr zugewiesenen Platz einnimmt und schamvoll lächelnd, fast grüßend die Gesichter entlang blickt, löst sich langsam der würgende Bann, der ihren Atem in der Kehle zurückhielt, und der Ausbruch – eine ganze Weile noch verhalten unter peinlichen Erinnerungen und letzten Resten von äußerer Form und Zucht – ist endlich riesenhaft und satanisch.
Primitive Geilheit und Lust an dem halbnackten, edlen Fleisch, gewürzt von dem Reiz der Situation, die ihnen das längst verloren gehaltene Genußmittel plötzlich in unwahrscheinlichster Erfüllung unter Finger und Atem wirft, gestachelt von dem männlichen Rachekitzel für den immerhin noch nicht verziehenen Abfall, dazu der Triumph der brutalen Überlegenheit über die überlegen Geglaubte an sich entladen sich in einer wilden, fanatischen Zügellosigkeit. Der ganze Haß des Geschlechtes steht nackt und roh auf und wirft sich – ein brünstiges, boshaftes Tier – auf die Wehrlose. Die unkomplizierteren Smokings begnügen sich damit, sie als Dirne zu behandeln und ihr ein schmutziges »Du« oder eine Zote ins Gesicht zu werfen, die feiner Organisierten machen es geschickter, sprechen zu ihr wie zu einer Dame, sagen sogar »Sie«, erinnern an gemeinsam Erlebtes, die Dolomitentour, das Fest bei der Croy, um plötzlich, wenn sie in Sicherheit gewiegt scheint, unter Tisch nach ihrem nackten Bein zu tasten oder einen Kuß auf ihre Brüste zu wagen oder ihr eine dreckige Liebkosung ins Ohr zu flüstern.
Sie spricht nicht, versucht sich innerlich ganz fern zu machen, von den obszönsten Scherzen fortzuhören, den gemeinsten Berührungen auszuweichen; gewohnt an die häßliche Entzündung des Fleisches rings um sie, hofft sie noch immer, daß die völlige Makellosigkeit ihres Selbst das Äußerste von ihr abwenden werde, aber sie muß erfahren, daß hier, wo sie keinen äußern Rückhalt mehr besitzt, wo sie nur als Weib, »nacktes Weib« eingerechnet wird, diese Makellosigkeit zur Stimulanz dient. Sie fühlt, entsetzt lächelnd, wie der gelbe, trübe Gischt näher an sie heranbrodelt, ihre Knöchel umspült, ihre Kniee bespeichelt, ihre Stirne mit schmutzigen Flocken überwischt.
Die Stimmung ist auf jenen Siedepunkt gestiegen, wo hinter der Begierde schon Verbrechen und Mord hockt. Das Zimmer dampft von Schweiß und Geschlecht, fad und süß geilt die Musik im Nebenzimmer, niemand berührt mehr eine Speise, kaum führt der eine oder der andere noch das Champagnerglas an die Lippen, ihre Münder sind trocken und klebrig, die Stimmen werden gedämpft und lallender, der Atem wird in kleinen, kurzen Zügen durch witternde Nasenflügel gestoßen.
Sie blickt in furchtbarster, letzter Todesangst um sich und starrt in verzogene Tierfratzen, schaudert in der plötzlichen völligen Stille und öffnet die gerougeten Lippen zu einem kleinen halben Schrei. Da fühlt sie sich schon in jäh sie überstürzendem Geheul von ihrem Stuhle gehoben, auf den Tisch geworfen, zwischen stürzende Flaschen und noch nicht abgespeiste Teller gebettet, sieht zerbrechenden Blickes, wie ein beschnurrbarteter Mann ihr die Sandale vom Fuß reißt, spürt einen Biß in die linke kleine Zehe, ringt mit unsicher tastenden, feuchten Händen, die die kaum hüllenden Gazeschleier zerreißen, und windet sich in irrer Verzweiflung unter Lippen, die sich keuchend in ihre Lippen, ihre Brüste, ihren Schoß wühlen –!
In diesem Augenblick vollzieht sich das Wunder.
Secundus, vom Sessel aufwachsend, die Lider ganz hoch gehoben und die Augen weit und offen für die Ewigkeit, sieht Decke zerreißen, Wände stürzen und den Boden des Zimmers mit sich, der Frau und den Tieren – eine schwankende Platform – in das azurene Dunkel des Raumes getragen. Und plötzlich entzünden sich Millionen Gestirne, die Milchstraße steht in Flammen und brennend blauer Äther umströmt in reißendem Wirbel seine Stirne. Von der Erde, der entsinkenden, aber weht ein würziger Geruch von Harz und Ölgärten ihm nach und läßt ihn tief und beruhigt aufatmen. Und einen unbeschreiblichen Frieden auf dem weiß verkohlten Antlitz, zieht er einen kleinen Browning aus der Tasche und schießt dem über ihr Antlitz gebeugten Tier knapp an ihrer Wange vorbei in den halb geöffneten Mund. Einen gurgelnden Blutstrom über ihr Gesicht erbrechend, stürzt der Erlegte, die Schläfe im Fall an der Tischkante aufschlagend, zu Boden. Zwei Schüsse in die auf ihn Eindringenden, die zwar nicht töten, aber stark blutende Fleischwunden reißen, genügen, diese zum Rückzug zu veranlassen. Sie gewinnen – den Körper des unter Blutstößen noch japsenden Rittmeisters mit sich schleppend – die Türe, die er ruhig hinter ihnen schließt und versperrt.
Wände und Decke begrenzen den Raum wieder. Der Tisch steht da mit dem halb herabgeglittenen Tischtuch, den zerschmissenen Gläsern, den zerscherbten Tellern, Blumen in umgeworfenen Vasen, Champagnerflaschen in Eiskübeln und Blut, Blut, Blut. Starr und müde, fast schläfernd blickt er in das stellenweise schon krustende, schwärzlichrote Blut.
Draußen verhallt Lärm, eilige Schritte, eine Telephonklingel schrillt auf entferntem Korridor. Dann Ruhe.
Langsam, leicht schwankenden Ganges tritt er an den Tisch heran, auf dem sie nackt und weiß, von fremdem Blut übersprungen liegt, nimmt sie leicht in seine Arme und bettet sie auf den breiten, prunkvollen Diwan, der fellübergossen – anderen Zwecken bestimmt – in der Ecke steht. Dann kniet er still vor ihr nieder und senkt seine Stirne auf ihre Brüste.
Leise und spielend geht ihre Hand durch sein Haar. »Lieber du. Armer du.«
An dem krampfhaften Schüttern seiner Schultern merkt sie, daß er weint, ein lautloses, zwischen den Zähnen zerrissenes Weinen.
»Nicht, nicht, Lieber, Lieber. Alles ist gut. So gut.«
Er hebt, wie aus äußerster Finsternis herauf erschaffen, noch am Lichte zweifelnd, sein Haupt und blickt in ihr Angesicht: »Und du hast – alles gewußt? Immer alles?«
Ihr Lächeln – ein Sternenstrom stürzt nieder über sein Antlitz und glüht Angst und Trauriges von seinen Schläfen ab. »Immer alles. Das heißt – nein. Die erste Zeit – die ersten Tage – gab es Stunden – nein, das nicht – Minuten – nein, nicht so lang – Sekunden gab's, wo ich zweifelte. Dann erzählte mir jemand, er hätte dich gesehen, wie du einem alten Schimmel, der vor einem Lastwagen auf der Straße, schlecht zugedeckt, dampfte, die Decke über den Rücken zogst. Seither wußte ich, daß alles nur Liebe ist.«
»Und hast nie gezweifelt?«
»Lebte ich noch?«
»Ich habe so viel gelitten, weißt du –?«
»Kind du – meinst du, ich weiß es nicht? Mir war ja alles leicht, denn ich wußte es doch, daß das Ende solche Seligkeit sein würde. Aber du, du littest ja hoffnungslos, mußtest hoffnungslos leiden, denn du glaubtest außerhalb der Gnade zu stehen und wußtest nicht, daß Gott dein Opfer wog und wertete. Mich erniedrigend, hast du mich erhöht, mich hassend, hast du mich besser geliebt als je Liebe auf Erden war, denn du hast nicht Dich mir dargebracht, sondern, was dir tausendmal mehr galt, du hast in dir mich selber mir geopfert. Du hast deiner Liebe die Liebe selbst verbrannt!«
»Das alles – wußtest du! –«
»Ich liebte dich doch. Und hätte das nicht wissen sollen? So gerne hätte ich dir geholfen, mein Geliebter. Aber auch das mußte geschehen. Auch meinen Körper mußtest du mir opfern. Du bist doch ein Mann. Gesteh nur, daß dir das am schwersten fiel?«
»Aber warum, warum mußte das sein?«
»Entsinnst du dich nicht? Damals, als du mit mir sterben wolltest, sprach ich zu dir: Wäre das nicht zu klein für uns? Wir haben doch noch nicht aneinander gelitten? Nun haben wir gelitten, mein Geliebter, bis aufs Blut, bis aufs Herz, bis in die Seele. Denn auch mir, ob ich auch alles verstand, weh tat es mir schon. Ich bin ja nur eine Frau. Aber nein, was war das? Tausendfach littest du mehr, mein Geliebtester.« Und mit einem ganz kleinen, fast beschämten Lächeln: »Vergib mir, daß du mich so lieben mußtest.«
»Dies – daß es sein kann –«
»Dies – daß es sein kann –«
Worte gehen nicht gerade, aufrechte Boten schwebenden Herzschlags von einem zur andern, Worte schwanken und taumeln, sind Mantel um den nackten Gedanken, in den der Sturm fährt, und der Gedanke ist ein strahlender Gott.
Plötzlich erlischt das Licht. Secundus wendet, durch die unerwartete Finsternis unwillkürlich betroffen, halb den Kopf und sieht in undeutlichen Konturen den Traurigen im Dunkel stehen und lächeln.
Da kehrt er sich zu ihr zurück. Durch einen Regen verklärter Tränen brechen ihre Blicke und finden sich – ein schimmernder Bogen – Gesicht bindend an Gesicht.
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich.«
Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.
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Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen,
auf Seite 36:
im Original "gerade Ihnen einen solche Handlung"
geändert in "gerade Ihnen eine solche Handlung"
auf Seite 38:
im Original "Und im Anhauch dieses fremdestens Atems"
geändert in "Und im Anhauch dieses fremdesten Atems"