The Project Gutenberg eBook of Tom Sawyers Neue Abenteuer This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Tom Sawyers Neue Abenteuer Author: Mark Twain Release date: May 15, 2021 [eBook #65346] Most recently updated: October 18, 2024 Language: German Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TOM SAWYERS NEUE ABENTEUER *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter, unterstrichener oder kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. [Illustration: Cover] [Illustration: S. L. Clemens (Mark Twain) Gezeichnet von _Henry Rauchinger_.] Tom Sawyers Neue Abenteuer Von Mark Twain Autorisiert Tom Sawyer im Luftballon Tom, der kleine Detektiv [Illustration] Stuttgart Verlag von Robert Lutz 1903. Alle Rechte vorbehalten. Druck von A. Bonz’ Erben, Stuttgart. _Tom Sawyer_ im _Luftballon_. [Illustration] Erstes Kapitel. War nun Tom Sawyer zufrieden nach all seinen Abenteuern? Ich meine die Abenteuer auf dem Fluß, als wir den Nigger Jim frei machten und Tom den Schuß ins Bein kriegte.[1] [1] Humor. Schriften, Bd. 2 (Fahrten des Huckleberry Finn). Nein, er war _nicht_ zufrieden! Es fraß an ihm, er wollte nur noch mehr. Ja, als wir drei auf dem Fluß zurückkamen von unserer langen Reise, in voller Glorie -- so kann man wohl sagen -- und als das Städtchen uns mit einem Fackelzug und mit Ansprachen und mit allgemeinem Hurra und Jubelgeschrei empfing, -- ja, da waren wir Helden, und darnach war ja Tom Sawyers Sehnsucht immer gestanden. Eine Zeitlang war er denn auch wirklich zufrieden. Alle Leute feierten ihn, und er trug seine Nase hoch und ging mit einer Miene im Städtchen herum, als ob es ihm ganz allein gehörte. Einige nannten ihn ›Tom Sawyer den Reisenden‹, und dieser Titel machte ihn so aufgeblasen, daß er beinahe geplatzt wäre. Natürlich stand er ganz anders da, als ich und Jim, denn wir waren ja auf einem gewöhnlichen Floß stromabwärts gefahren und nur stromauf mit dem Dampfer, Tom aber hatte den Hin- sowohl wie den Rückweg auf dem Dampfboot gemacht. Die Jungens beneideten Jim und mich nicht wenig, aber vor Tom -- ach, du liebe Zeit, da krochen sie geradezu im Staube. Vielleicht wäre nun Tom doch zufrieden gewesen, wäre nur nicht der alte Nat Parsons dagewesen. Das war der Postmeister, ein riesenlanger und dünner, gutmütiger und ein bißchen beschränkter Mann, mit ganz kahlem Kopf -- denn er war schon sehr alt -- und so ziemlich das schwatzhafteste alte Geschöpf, das ich je gesehen habe. Volle dreißig Jahre lang war er im Städtchen der einzige berühmte Mann gewesen; berühmt war er als Reisender, und natürlich war er über alle Maßen stolz darauf, und man hatte ihm nachgerechnet, daß er im Lauf der dreißig Jahre mehr als eine Million Male die Geschichte von seiner Reise erzählt und jedesmal wieder selber eine kindliche Freude daran gehabt hatte. Und nun kommt da auf einmal ein Bengel von noch nicht fünfzehn, und jedermann reißt Mund und Augen auf über _dessen_ Reisen! Natürlich brachte das den alten Herrn außer Rand und Band. Es machte ihn ganz krank, wenn er mit anhören mußte, wie Tom erzählte und wie die Zuhörer dabei fortwährend riefen: »Ach Herrjeh,« »Nee, aber so was!« »Ach du himmlische Barmherzigkeit!« usw. usw. Aber trotzdem mußte er immer wieder zuhören; er war wie die naschhafte Fliege, die mit einem Hinterbein in der Sirupschüssel festsitzt Und jedesmal, wenn Tom eine Pause machte, dann fing der arme alte Herr von seiner abgedroschenen alten Reise an und quälte sich ab, sie so recht zur Geltung zu bringen -- aber sie war wirklich schon _zu_ abgedroschen und zog nicht mehr, und es konnte einem wirklich leid tun, wenn man’s mit ansah. Dann kam Tom wieder an die Reihe und dann wiederum der Alte -- und so fort, und so fort, eine Stunde lang und noch länger, und jeder wollte immer den andern übertrumpfen. Mit Parsons Reise verhielt es sich so: Als er eben die Postmeisterstelle gekriegt hatte und noch ein ganz grüner Neuling war, da kam eines schönes Tages ein Brief für jemand, den er nicht kannte, denn einen Mann mit solchem Namen gab’s im Städtchen überhaupt nicht. Er wußte denn nun absolut nicht, was er anfangen sollte, und so lag denn der Brief da, von einer Woche zur andern, bis der bloße Anblick dem Postmeister übel machte. Das Porto für den Brief war nicht bezahlt und das war ebenfalls ein Grund zu Sorgen. Wie sollte er denn nur die 10 Cents einziehen? Und dann, wer konnt’s wissen, vielleicht machte die Regierung ihn verantwortlich dafür und setzte ihn ab, weil er das Strafporto nicht eingezogen hatte ... Zuletzt konnte er’s einfach nicht länger aushalten; er konnte nachts nicht mehr schlafen, konnte nicht mehr essen und war zu einem Schatten abgemagert. Trotzdem wagte er’s nicht, jemand um Rat zu fragen; denn der Ratgeber konnte ja womöglich hinterlistig sein und der Regierung die Geschichte von dem Brief mitteilen. Er hatte den Brief unter dem Fußboden versteckt, aber auch das half nichts. Wenn zufällig mal jemand auf der betreffenden Stelle stand, so bekam der Postmeister eine Gänsehaut; schwarzer Verdacht bemächtigte sich seiner und er blieb auf, bis die Stadt still und dunkel war; dann schlich er sich an die Stelle und holte den Brief wieder hervor und verbarg ihn an einem andern Platz. Natürlich wurden die Leute scheu und schüttelten die Köpfe und flüsterten allerlei, denn aus seinen Blicken und Bewegungen schlossen sie, er hätte einen Menschen totgeschlagen oder sonst irgend was Fürchterliches begangen -- und wäre er ein Fremder gewesen, so hätte man ihn gelyncht. Also, wie gesagt, er konnte es nicht länger aushalten, und so beschloß er denn in seinem Sinn, er wollte nach Washington machen und geraden Wegs zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gehen und frei von der Leber weg sprechen und den Brief herausholen und ihn vor der ganzen Regierung offen hinlegen und sagen: »So! da ist er! Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Aber der Himmel ist mein Zeuge: ich bin unschuldig und verdiene nicht die volle Schwere der gesetzlichen Strafe, und ich lasse eine Familie zurück, die ohne mich Hunger leiden muß und doch gar nichts mit der Geschichte zu tun gehabt hat. Und das ist die reine Wahrheit und darauf kann ich einen Eid leisten!« Gedacht, getan. Er fuhr ein Stückchen mit dem Dampfer und ein Stückchen mit der Postkutsche, aber den ganzen übrigen Teil der Reise machte er zu Pferde, und er brauchte drei Wochen bis Washington. Er sah viele Länder und unzählige Dörfer und vier große Städte. Acht Wochen lang war er fort und nie zuvor war in unserem Städtchen[2] ein Mann so stolz wie er, als er nun wieder daheim war. Durch seine Reisen war er der größte Mann in der ganzen Gegend geworden; von keinem hatte man je so viel gesprochen; dreißig Meilen weit kamen die Leute angereist, ja sogar von Illinois her, bloß um ihn zu sehen -- und da standen sie dann und glotzten ihn an und er plapperte. So was war noch niemals dagewesen. [2] Hannibal am Mississippi. Nun war denn natürlich die Frage, wer der größte Reisende sei: Nat oder Tom. Einigkeit war darüber nicht zu erzielen; die einen sagten, Nat wäre es, die anderen schworen auf Tom. Jedermann gab zu, daß Nat dem jüngeren Nebenbuhler in der Länge der Reise über war, aber dafür war Tom denn doch in einem ganz anderen Klima gewesen. Die Wage hielt so ziemlich das Gleichgewicht. Jeder von den beiden mußte deshalb seine gefährlichsten Abenteuer in die Wagschale werfen. Die Kugel in Toms Bein war für Nat sozusagen eine harte Nuß zu knacken, aber Nat knackte, so gut er konnte. Er war jedoch dabei entschieden im Nachteil, denn Tom saß nicht still, wie er eigentlich hätte tun sollen, sondern er hinkte fortwährend im Zimmer herum, während Nat das Abenteuer ausmalte, das er seiner Zeit in Washington gehabt hatte. Tom hinkte nämlich noch, als seine Wunde schon längst wieder heil war; er übte sich nachts in seiner Schlafstube im Hinken und konnte es daher natürlich großartig. Mit Nats Abenteuer nun verhielt es sich folgendermaßen: Ob die Geschichte ganz wahr ist, das weiß ich nicht; vielleicht hatte er sie in einer Zeitung gelesen oder sonstwo aufgeschnappt; aber das muß ich sagen: er verstand sie zu erzählen! Es schauerte einem durch alle Glieder und der Atem stand einem still, wenn er sie vortrug, und Frauen und Mädchen wurden manchmal so blaß und schwach dabei, daß sie gar nicht mehr wußten, wo sie hin sollten. So gut ich’s vermag, will ich ihm die Geschichte nacherzählen: Er kommt also nach Washington und stellt sein Pferd ein und holt seinen Brief heraus und fragt nach dem Weg zu des Präsidenten Haus. Man sagt ihm, der Präsident sei auf dem Kapitol und wolle nach Philadelphia reisen -- keine Minute sei zu verlieren, wenn er ihn noch sprechen wolle. Nat fiel beinahe in Ohnmacht, so schlecht wurde ihm zumute. Sein Pferd stand abgesattelt im Stall; was sollte er nun bloß anfangen? Aber gerade in dem Augenblick kommt ein Nigger mit seiner alten rumpligen Droschke vorbeigefahren. Sofort erfaßt Nat die Situation; er stürzt auf die Straße und schreit: »’nen halben Dollar, wenn du mich in ’ner halben Stunde nach dem Kapitol fährst, und ’n viertel extra, wenn du’s in zwanzig Minuten machst!« »Schön!« sagt der Nigger. Nat also springt in die Droschke und schmeißt den Schlag zu, und los geht’s holterdipolter über das fürchterlichste Pflaster, das man sich denken kann, und das Gerumpel und Geratter war geradezu schauerlich. Nat steckt die Arme durch die Halteriemen und hält sich aus Leibeskräften fest, aber nicht lange, da stößt die Karre an einen großen Stein, und fliegt, hops!, hoch in die Luft empor und der Boden fällt heraus, und als die Droschke wieder unten ist, da sind Nats Füße auf dem Grund und er sieht sofort, daß er in verzweifelter Lage ist, wenn er nicht so schnell laufen kann, wie die Droschke fährt. Er hatte einen fürchterlichen Schreck bekommen, aber er ging mit aller Macht ins Zeug und hielt sich an den Armriemen und streckte die Beine, daß es eine Art hatte. Er schrie und rief dem Kutscher zu, er sollte halten, und alle Menschen auf der Straße schrieen ebenfalls, denn sie sahen unter dem Wagen seine dünnen Beine entlang wirbeln und durch die Fenster seinen Kopf und seine Schultern immer auf und nieder fahren, und merkten, daß er in fürchterlicher Gefahr war. Aber je mehr sie riefen, desto lauter kreischte und gröhlte der Nigger und hieb auf die Pferde los und rief: »Habben keine Bange nich der Herr; gemachen muß es werden und ich machen’s!« Denn natürlich dachte er, sie wollten ihn zum Schnellfahren antreiben, und von Nats Rufen konnte er vor dem Geratter nichts hören. Und so ging es denn, hast du nicht gesehen, immer weiter, und den Leuten, die es sahen, standen die Haare zu Berge. Und als sie schließlich beim Kapitol ankamen, da war’s die schnellste Fuhre, die je ’ne Droschke gemacht hat, das sagten alle. Die Pferde waren ganz matt und Nat troff vor Schweiß und war wie gerädert, und er war voll Staub, die Kleider hingen in Fetzen an seinem Leibe und seine Stiefel hatte er verloren. Aber er war zur rechten Zeit da, und zwar gerade noch im allerletzten Augenblick. Er kam vor den Präsidenten und gab ihm den Brief und alles war in schönster Ordnung. Der Präsident begnadigte ihn auf der Stelle und Nat gab dem Nigger drei Vierteldollars extra statt nur eines; denn das sah er ja ein, hätte er nicht die Droschke gehabt, so hätte er auch nicht annähernd zur rechten Zeit kommen können. Es war tatsächlich ein großes Abenteuer, und Tom Sawyer mußte sich alle Mühe geben, um mit seiner Kugelwunde dagegen aufzukommen. Nun, wie’s so geht, nach und nach verblaßte Toms Ruhmesglanz, denn es kamen andere Gesprächsstoffe auf, worüber die Leute schwatzen konnten: erst ein Wettrennen, und dann eine Feuersbrunst, und dann der Zirkus, und darauf die Sonnenfinsternis; und diese brachte dann, wie es meistens der Fall ist, eine Wiederbelebung der Frömmigkeit zuwege, und so war denn von Tom nicht mehr viel die Rede, und das machte ihn ganz krank und vergällte ihm alle Freude am Leben. Es dauerte nicht lange, so war er den ganzen Tag verdrießlich und reizbar und wenn ich ihn fragte, warum er denn nur in solcher Stimmung sei, dann antwortete er, es bräche ihm beinahe das Herz, wenn er daran dächte, wie die Zeit verränne und daß er immer älter und älter würde, ohne daß ein Krieg ausbräche und er auch nur die geringste Menschenmöglichkeit sähe, sich einen Namen zu machen. So denken ja nun freilich alle Jungen, aber er war der erste, den ich diese Gedanken frei und offen aussprechen hörte. Er sann also Tag und Nacht auf einen Plan, wie er berühmt werden könnte. Bald hatte er denn auch einen und er bot Jim und mir an, an seinem Ruhme teil zu nehmen. In dieser Hinsicht war Tom Sawyer immer edelmütig. Viele Jungen sind über die Maßen gut und freundlich, wenn einer was Gutes hat, aber wenn sie selber mal was Gutes kriegen, dann sagen sie einem kein Wort davon und versuchen es für sich allein zu behalten. So war Tom Sawyer niemals, das kann ich ihm wohl nachsagen. Viele Jungen schlängeln sich an einen heran, wenn man einen Apfel hat und bitten einen um das Kernhaus. Aber wenn sie dann selber einen haben, und man bittet sie um’s Kernhaus und erinnert sie daran, daß man ihnen auch ’mal ein Kernhaus gegeben hat -- jawohl, da heißt’s ›Prost die Mahlzeit‹, aber vom Kernhaus sieht man nichts. Da kann man sich den Mund wischen. Wir gingen in das Gehölz auf dem Berg, und Tom sagte uns, was es war. Es war ein Kreuzzug. »Was ist ein Kreuzzug?« fragte ich. Tom sah mich geringschätzig an, wie er’s immer tut, wenn ihm jemand leid tut. Dann sagte er: »Huck Finn, du willst doch nicht behaupten, daß du nicht weißt, was ein Kreuzzug ist?« »Nee,« sag’ ich, »ich weiß es nicht. Und ich mache mir auch nichts daraus. Ich habe so lange gelebt und bin gesund gewesen, ohne es zu wissen. Aber so bald du mir es sagst, was es ist, dann weiß ich’s ja, und das ist früh genug. Ich sehe nicht ein, wozu ich mir Sachen austifteln und mir meinen Kopf damit vollpfropfen soll, wenn ich vielleicht niemals ’ne Gelegenheit habe, davon Gebrauch zu machen. Na, was ist denn also ein Kreuzzug? Aber eins kann ich dir zum Voraus sagen: wenn’s was zum Patentieren ist, da ist kein Geld mit zu machen. Bill Tompson ...« »Zum Patentieren?« rief Tom. »Hat man je so einen Schafskopf gesehen? Ein Kreuzzug ist eine Art von Krieg.« Ich dachte, er hätte seinen Verstand verloren. Aber nein, er meinte es in vollem Ernst und fuhr ganz ruhig fort: »Ein Kreuzzug ist ein Krieg, um das heilige Land von den Heiden zu erlösen.« »Was für’n heiliges Land?« »Na, das heilige Land -- es gibt doch bloß eins.« »Was sollen wir denn damit anfangen?« »Nanu, begreifst du denn das nicht? Es ist in den Händen der Heiden, und ’s ist unsere Pflicht, es ihnen abzunehmen.« »Warum haben wir’s ihnen denn überlassen?« »Wir haben’s ihnen gar nicht überlassen. Sie haben es immer gehabt.« »Ja, Tom, dann muß es aber doch ihnen gehören, nicht wahr?« »Natürlich gehört es ihnen. Wer hat denn was anderes gesagt?« Ich dachte über seine Worte nach, konnte aber nicht recht herausbekommen was er meinte. Ich sagte daher: »Das ist für mich zu hoch, Tom Sawyer. Wenn ich ’ne Farm hätte, und die wäre mein, und ein anderer wollte sie haben, wäre es dann recht, wenn er ...« »Ach, Quatsch, Huck Finn! Es handelt sich um keine Farm, es handelt sich um ganz was anderes. Höre mal zu, die Sache ist so: ihnen gehört das Land, aber bloß das Land und nichts weiter; aber _wir_, wir Juden und Christen, haben’s zum _heiligen_ Land gemacht und darum haben sie dort gar nichts zu suchen. Es ist ’ne wahre Schande und wir können es keine Minute länger dulden. Wir sollten gegen sie ausziehen und es ihnen wegnehmen.« »Hm, die Sache kommt mir denn doch über alle Maßen verzwickt vor. Wenn ich ’ne Farm hätte und ein anderer ...« »Sagte ich dir nicht, es hat mit ’ner Farm gar nichts zu tun? Ein Farmer hat ein Geschäft, ein ganz gewöhnliches alltägliches Geschäft; weiter kann man darüber nichts sagen. Aber dies hier -- das ist was Höheres -- das ist Religion, also ganz was anderes.« Jim schüttelte den Kopf und sagte: »Massa Tom, gewiß sein da eine Irrung -- ganz gewiß. Ich selber haben Relion und kennen viele andere mit Relion, aber nie haben ich gehört von so was.« Darob wurde Tom hitzig und er rief: »Wahrhaftig, so eine vernagelte Dummheit kann einen ja ganz krank machen! Wenn einer von euch beiden ’was von Weltgeschichte gelesen hätte, so würde er wissen, daß Richard Kördeloon und der Papst und Gottfried von Buloon und ’ne Masse andere höchst edelherzige und fromme Leute mehr als zweihundert Jahre lang auf die Heiden losgedroschen und losgehackt haben, um ihnen ihr Land wegzunehmen, und daß sie die ganze Zeit über bis an den Hals in Blut wateten -- und hier erlauben sich ein paar Dummköpfe von Hinterwäldlern am Missouri die Anmaßung, besser als alle jene Helden wissen zu wollen, was Recht und was Unrecht an den Kreuzzügen gewesen sei. Quatscht ihr und der Deubel!« Na, das ließ natürlich die Sache in einem ganz andern Licht erscheinen, und Jim und ich kamen uns recht gering und unbedeutend vor und wir dachten bei uns, wir hätten lieber nicht so vorlaut sein sollen. Ich konnte keine Worte finden und Jim brachte ’ne Zeit lang auch nichts heraus; endlich aber sagte er: »Nu, so ich denken, alles sein in die Richte; denn wenn sie nix wußten, wie sollten wir arme dumme Leut’ versuchen, was zu wissen? Und so, wenn’s unsere Schuldigkeit is, nu, so müssen wir Werk in Hand nehmen und tun, was möglich sein. Aber die arme Heidenvolk tun mir leid. Sein es nix hart, Leut’ zu Tode zu machen, das man nie hat gesehen? Seh’ Sie, Massa Tom, das sein es! Aber dann ...« »Dann? wann dann?« »Hem, Massa Tom, ich haben eine Gedank. Es tun nu mal nix helfen, wir können die arme Fremders nix zu Tode machen, was uns nie nix getan haben. Erst müssen wir uns in die Todmacherei üben, Massa Tom -- jawoll, das müssen wir! jawoll, ich wissen, es gehen sonst nix. Wenn wir nu aber eine Beil nehm’ oder zwei, ich meinen bloß Sie, Massa Tom, un Jim un Huck, un husch husch über die Fluß, wann heut nacht die Mond nix mehr scheinen, un schlagen die kranke Leut’ tot da oben auf die Hügel un brennen ihre Haus nieder un ...« »O, ihr macht mir Kopfweh!« rief Tom, »Ich will mich auf gar keine Worte mehr mit Leuten wie du und Huck einlassen, die nie bei der Sache bleiben können und nicht mal’n Ding begreifen, das so gut und gesetzlich ist wie die schönste Theologie!« Nun, das war aber nicht schön von Tom Sawyer! Jim meinte es doch nicht böse und ich auch nicht. Wir wußten vollkommen, daß er im Recht war und wir Unrecht hatten, und wir wollten ja bloß das ›Warum?‹ wissen und weiter nichts. Und wenn er’s nicht so auseinandersetzen konnte, daß wir’s verstanden, nun so lag das einzig und allein an unserer Unwissenheit; unwissend waren wir und ein bißchen gar zu schwer von Begriff auch, das leugne ich nicht. Aber, du lieber Gott, das ist doch kein Verbrechen! Aber er wollte nun ’mal nichts mehr davon hören; sagte bloß, wenn wir die Sache richtig begriffen hätten, so hätte er ’n paar tausend Ritter aufgebracht und hätte sie von Kopf zu Fuß in Stahl gekleidet, und ich wäre Leutnant geworden und Jim sein Marketender. Und er selber hätte ’s Kommando übernommen und hätte die ganze Heidenwirtschaft ins Meer gefegt wie Fliegen und wäre als Sieger in einem Glorienschein wie Abendgold durch die Welt gegangen. Aber wir wüßten ja nicht mal so ’ne Gelegenheit zu benutzen, sagte er, und darum wollte er sie uns auch nicht wieder bieten. Und dabei blieb’s. Wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, dann war nichts zu machen. Aber darum ließ ich mir keine grauen Haare wachsen. Ich bin von friedfertiger Anlage, und was soll ich mich mit Leuten ’rumschlagen, die mir nichts zuleide tun? Ich dachte bei mir: wenn die Heiden zufrieden sind, mir solls Recht sein, und dabei wollen wir’s belassen. Diese ganze Geschichte hatte sich Tom aus dem Buch von Walter Scott, worin er immer las, in den Kopf gesetzt. Und es war ’ne wilde Sache, denn meiner Meinung nach hätte er die Ritter nicht zusammengebracht, und wenn schon, so hätte er höchst wahrscheinlich mit samt all seinem Kriegsvolk Klopfe gekriegt. Ich machte mich nachher auch über das Buch her und las es von A bis Z, und, soweit ich daraus klug werden konnte, hatten die meisten Leute, die ihre Bauernhäuser verließen und auf die Kreuzzüge gingen, nicht gerade ein sanftes Leben davon! Zweites Kapitel Tom dachte sich denn nun also ein Ding nach dem andern aus, aber ein jedes hatte seine schwache Stelle und mußte daher auf die Seite geschoben werden. Zuletzt war er in heller Verzweiflung. Auf einmal standen in den Zeitungen von St. Louis lange Geschichten von dem Luftballon, der nach Europa segeln sollte; Tom dachte wohl daran, auch hinzufahren und sich das Ding anzusehen, konnte aber nicht recht zu einem festen Entschluß kommen. Die Zeitungen schrieben jedoch immerfort darüber; so dachte er denn, wenn er nicht hinginge, würde sich ihm vielleicht nie wieder ’ne Gelegenheit bieten, ’nen Ballon zu sehen. Außerdem erfuhr er, Nat Parsons wolle auch hinfahren, und das brachte ihn natürlich zum Entschluß. Er konnte doch nicht leiden, daß Nat nach seiner Rückkunft überall von dem Luftballon schwadronierte, den er gesehen; da hätte er dabeisitzen müssen und ruhig den Mund halten! Er bat also mich und Jim mitzukommen und wir reisten ab. Es war ein prächtiger großer Luftballon mit Flügeln und dergleichen, ganz anders als die Ballons, die man abgebildet sieht. Die Auffahrtsstelle befand sich weit draußen am Rande der Stadt, auf einem leeren Bauplatz an der Ecke der zwölften Straße. Eine dichte Menschenmenge stand herum und machte schlechte Witze über das Luftschiff und über den Mann, einen mageren blassen Herrn mit jenem bekannten Mondscheinblick im Auge. Sie sagten fortwährend, das Ding würde nicht gehen. Er wurde ganz wild darüber, drehte sich alle Augenblicke nach den Leuten um und rief mit geballten Fäusten, sie wären blindes Viehzeug, aber eines Tages würden sie merken, daß sie einen von den Männern vor sich gehabt hätten, durch welche Nationen hochgebracht würden und denen allein alle Fortschritte der Zivilisation zu verdanken wären. Ja, dann würden sie merken, daß sie nur zu dumm gewesen wären, um das zu sehen, und hier auf dem Fleck würden ihre Kinder und Enkel ein Denkmal errichten, das ein Jahrtausend überdauern würde; sein Name aber würde das Denkmal überdauern! Darauf brüllte dann wieder die Menge vor Lachen und allerlei Fragen hagelten auf ihn nieder: wie er vor seiner Heirat geheißen hätte, und was er haben wollte, wenn er’s bleiben ließe, und wie die Großmutter von seiner Schwester Katze hieße usw., wie eben der große Haufe sich benimmt, wenn er ’nen Mann vor sich hat, den er gehörig plagen kann. Na, einiges von dem, was sie sagten, war wirklich lustig, -- gewiß, und sogar sehr witzig, das leugne ich nicht, aber trotzdem war’s nicht schön und war keine Heldentat: alle diese Leute mit behendem und scharfem Mundwerk gegen den einen Mann, der seine Zunge absolut nicht zu gebrauchen wußte. Aber freilich, wozu um Gottes willen mußte er überhaupt seinen Mund auftun? Sie _waren_ ihm nun doch mal über. Aber ich vermute, ’s lag so in seiner Natur und er konnte nichts dafür. Er war gewiß ein ganz guter Kerl, eine harmlose Seele, aber er war, wie die Zeitungen sagten, ein Genie und das war doch nicht seine Schuld. Wir können nicht alle vernünftig sein und wie wir sind, so müssen wir eben verbraucht werden. Wenn ich die Sache recht verstehe, so meinen Genies, sie wissen alles, und hören darum nicht auf das, was andere Leute sagen, sondern gehen ihre eigenen Wege, und deshalb wenden sich denn alle von ihnen ab und sprechen verächtlich über sie, wie es ja ganz natürlich ist. Wenn sie bescheidener wären und auf andere Leute hörten und was zu lernen sich bemühten, so wären sie besser daran. Das Ding, worin der Professor war, sah aus wie ’n Boot, groß und geräumig, und auf der Innenseite liefen rings herum wasserdichte Behälter, um alle möglichen Sachen aufzubewahren; man konnte auf ihnen sitzen und sie auch als Bettstellen benutzen, wenn man schlafen wollte. Wir gingen an Bord. Es waren ungefähr zwanzig Leute darin, die überall herumschnüffelten und sich alles ansahen, und der alte Nat Parsons war auch dabei. Der Professor machte sich eifrig mit den Vorbereitungen zum Aufstieg zu schaffen und die Besucher stiegen daher wieder aus, einer nach dem andern, und Nat Parsons war der letzte. Natürlich ging es nicht an, daß er nach uns das Luftschiff verließ, denn wir mußten unbedingt die Letzten sein, um Toms und seines Publikums willen. Deshalb blieben wir ganz ruhig in der Gondel. Endlich aber war er draußen; es wurde daher auch für uns Zeit auszusteigen. Ich hörte ein lautes Geschrei und drehte mich um -- die Stadt sank unter uns in die Tiefe als wäre sie aus einer Kanone geschossen! Mir wurde vor Angst ganz übel. Jim wurde grau und konnte kein Wort herausbringen und Tom sagte ebenfalls nichts, sah aber ganz aufgeregt aus. Die Stadt sank immer tiefer, tiefer, tiefer; wir selber aber schienen ganz still immer auf demselben Fleck in der Luft stehen zu bleiben. Die Häuser wurden kleiner und immer kleiner, und die Stadt schob sich zusammen, dicht und immer dichter, und Menschen und Fuhrwerke sahen aus wie herumkrabbelnde kleine Ameisen und Käfer und die Straßen wurden zu Fäden und feinen Spalten. Dann schmolz alles ineinander zusammen und es war überhaupt keine Stadt mehr da -- nur ein großer Fleck auf der Erde, und es kam mir vor, als könnte man tausend Meilen stromaufwärts und tausend Meilen weit stromabwärts sehen -- obwohl es natürlich nicht so viel war. Allmählich wurde die Erde zu einer Kugel von düsterer Färbung, die kreuz und quer von hellen Streifen durchgezogen -- das waren Flüsse. Witwe Douglas hatte mir immer schon erzählt, die Erde sei rund wie ’ne Kugel, aber ich mochte auf ihren abergläubischen Kram nicht hören und hatte natürlich auch diesen Unsinn nicht weiter beachtet, denn ich sah ja selber, daß die Welt flach ist wie ’n Teller. Ich war sogar auf den Berg gegangen und hatte mich mit eigenen Augen umgeguckt, um mich zu überzeugen -- denn ich bin der Meinung, man kriegt am besten ’nen richtigen Begriff von einer Sache, wenn man sie sich selbst ansieht, und sich nicht auf das verläßt, was andere Leute sagen. Aber nun mußte ich zugeben, daß Witwe Douglas recht gehabt hatte. Das heißt: sie hatte recht mit Bezug auf den übrigen Teil der Welt; aber der Teil, worauf unser Städtchen liegt, der ist und bleibt flach wie ’n Teller, darauf will ich ’nen Eid leisten! Der Professor war die ganze Zeit über ruhig gewesen, beinahe als ob er schliefe; aber auf einmal brach er los und rief in bitterem Zorn: »Die Idioten! Sie sagten mein Schiff würde nicht fliegen, und wollten’s untersuchen und darauf herumspionieren und das Geheimnis aus mir herauslocken! Aber ich hab’ sie angeführt! Kein Mensch kennt das Geheimnis außer mir. Niemand außer mir weiß, was das Schiff treibt; ’s ist ’ne neue Kraft -- ’ne ganz neue, tausendmal so stark als alles andere auf Erden. Dampf ist Kaff dagegen. Sie sagten, ich könnte nicht nach Europa fahren. Nach Europa! Bah, ich habe Kraft für fünf Jahre an Bord und Lebensmittel für drei Monate. Sie sind verrückt! Was verstehen sie davon? Und dann sagten sie, mein Schiff sei zerbrechlich! Zerbrechlich! Fünfzig Jahre lang kann’s aushalten. Ich kann mein ganzes Leben lang in den Lüften herumfahren, wenn ich Lust habe, und kann es steuern, wohin ich will. Und sie lachten mich aus und sagten, ich könnt’s nicht. Könnt’ nicht steuern! Komm her, Junge; das wollen wir gleich mal sehen. Du drückst bloß auf die Knöpfe, die ich dir bezeichne.« Er ließ nun Tom das Schiff nach allen Richtungen hin steuern und Tom lernte es im Handumdrehen; er sagte uns, es ginge ganz leicht. Der Professor ließ ihn das Schiff beinahe ganz auf den Erdboden herunterbringen, und es strich so dicht über die Felder von Illinois hin, daß man mit den Landleuten hätte sprechen können, denn wir hörten ganz deutlich jedes Wort, das sie sagten. Und der Professor warf ihnen bedruckte Zettel zu, darin stand allerlei über den Ballon, und daß wir nach Europa segelten. Dann brachte der Professor Tom bei, wie er den Ballon zu landen hätte. Auch das lernte er famos, er setzte uns ganz sanft und leise auf die Wiese nieder. Aber sowie wir Miene machten auszusteigen, rief der Professor: »Nä, das nicht!« und ließ den Ballon wieder in die Lüfte emporschießen. Jim und ich begannen zu flehen, aber das machte den Mann bloß ärgerlich, er fing an zu toben und vor Wut die Augen zu verdrehen, und ich kriegte ’ne Höllenangst vor ihm. Dann fing er wieder von den bösen Menschen an und brummte und knurrte darüber, wie man ihn behandelt hätte; und besonders darüber, daß die Leute gesagt hatten, sein Schiff sei zerbrechlich, konnte er, wie’s scheint, nicht hinwegkommen. Und dann hatte man gesagt, das Luftschiff sei nicht einfach genug und werde fortwährend in Unordnung geraten. In Unordnung! Das regte ihn fürchterlich auf; er rief, der Ballon würde so wenig in Unordnung geraten wie ’ne Sonnenzisterne.[3] [3] Eine kleine Verwechselung mit dem Sonnensystem. Es wurde immer schlimmer mit ihm und ich habe niemals einen Menschen in solcher Wut gesehen. Beim bloßen Anblick überlief mich ’ne Gänsehaut und Jim ging’s nicht besser. Allmählich wurde sein Sprechen zu lautem Geschrei und Gekreisch; er schwor, die Welt sollte sein Geheimnis überhaupt nicht kennen lernen; man hätte ihn zu niederträchtig behandelt. Er wollte mit seinem Ballon um den ganzen Erdball herumfahren, um ihnen zu zeigen, was er damit leisten könnte, und dann wollte er den Ballon und sich selber und uns dazu ins Meer versenken. Es war ’ne verflucht ungemütliche Lage für uns, und dabei brach auch noch die Nacht herein. Er gab uns was zu essen und befahl uns dann, nach dem hinteren Ende der Gondel zu gehen. Er selbst streckte sich auf einer von den Bänken aus, von wo aus er den ganzen Mechanismus hantieren konnte, legte seine alte Revolver-Pfefferbüchse unter seinen Kopf und sagte, wenn einer von uns so verrückt wäre, das Luftschiff landen zu wollen, den würde er totschießen. Wir saßen aneinander geschmiegt und machten uns recht viele Gedanken, sprachen aber wenig -- wir hatten zu große Angst. Allmählich senkte sich die Nacht hernieder. Wir segelten ziemlich niedrig, und im Mondschein sah alles so hübsch und lieblich aus; wir hörten die Geräusche, die von den Gehöften kamen, und wünschten, wir wären dort unten. Aber wie ein Geisterhauch schwebten wir über sie hin, ohne eine Spur zu hinterlassen. Spät in der Nacht -- man hörte den Geräuschen von drunten an, daß es spät war, und man merkte es an der Luft, ja man roch es ihr sozusagen an -- dem Gefühl und Geruch der Luft nach dachte ich, es müsse etwa zwei Uhr sein -- spät in der Nacht also sagte Tom, der Professor wäre jetzt so still, er müßte wohl eingeschlafen sein, und darum sollten wir ... »Sollten wir ... was?« fragte ich flüsternd. Und mir war ganz schlimm dabei zu Mute, denn ich wußte, woran Tom dachte. »Wir sollten uns zu ihm heranschleichen und ihn binden und mit dem Luftschiff landen!« antwortete er. Ich sagte: »Um Gottes willen nicht! Rühr’ dich nicht vom Fleck, Tom Sawyer!« Und Jim -- ja, dem blieb vor Angst einfach die Luft weg. Er sagte: »O, Massa Tom, tu Sie ja nich! Wenn Sie ihn anrühren, es sein alle mit uns, warraftig alle mit uns! Ich tät’ ihm nich zu nah kommen, nich für nix auf die Welt! Er sein verrückt wie ’ne ...« »Eben drum!« flüsterte Tom. »Eben drum _müssen_ wir das tun. Wäre er nicht verrückt, so gäbe ich, ich weiß nicht was, darum, um bloß hier auf dem Luftschiff zu sein; keine zehn Pferde sollten mich von hier wegkriegen, jetzt wo ich mit dem Ding umzugehen weiß und die erste Angst, als wir plötzlich den festen Grund unter den Füßen verloren, überwunden ist. Wenn er nur seinen rechten Verstand hätte! Aber mit so ’nem Menschen ’rumzugondeln, der ’ne Schraube verloren hat und sagt, er wolle um die Welt segeln und nachher uns alle ersäufen -- nee, das geht nicht. Wir _müssen_ was tun, sage ich euch, und zwar bevor er aufwacht, sonst haben wir vielleicht niemals wieder ’ne Gelegenheit dazu. Kommt!« Aber uns überlief ’ne eiskalte Gänsehaut bei dem bloßen Gedanken daran, und wir rührten uns nicht von der Stelle. Tom sagte darauf, er wollte allein an den Professor herankriechen und versuchen, ob er nicht an den Steuerapparat herankommen und den Ballon landen könnte. Wir baten und flehten, er möchte es nicht tun, aber es half uns nichts. Er kroch auf Händen und Füßen Zoll um Zoll vorwärts, und uns stockte der Atem, als wir das mit ansahen. Als er in der Mitte der Gondel angekommen war, fing er an noch langsamer zu kriechen, und mir kam es vor, als vergingen Jahre darüber. Zuletzt aber sahen wir, wie er bei des Professors Kopf war; da richtete er sich halb auf und sah ihm ins Gesicht und lauschte. Dann kroch er wieder Zoll um Zoll zu des Professors Füßen herunter, wo die Steuerknöpfe waren. Er kam auch richtig an und griff langsam und bedächtig nach den Knöpfen; aber dabei stieß er an irgend etwas an. Es gab ein Geräusch, und plumps! lag er flach auf dem Boden der Gondel. Der Professor fuhr empor und rief: »Was ist das?« Aber wir hielten uns alle mäuschenstill; er brummte und gähnte und streckte sich wie jemand, der aus dem Schlaf aufwacht, und ich dachte, ich sollte vor Angst und Zagen umkommen. Auf einmal schob sich eine Wolke vor den Mond, und ich hätte vor Freude beinahe laut aufgeschrieen. Der Mond verschwand immer tiefer in den Wolken und es wurde so dunkel, daß wir Tom nicht mehr sehen konnten. Dann begannen Regentropfen zu fallen und wir hörten, wie der Professor an seinen Stricken und Knöpfen herumbastelte und auf das Wetter fluchte. Wir fürchteten jede Minute, er könnte Tom entdecken -- und dann wären wir alle rettungslos verloren gewesen. Aber Tom war schon auf dem Rückweg und auf einmal fühlten wir seine Hände auf unseren Knieen. Da ging mir vor Angst plötzlich die Luft aus und das Herz fiel mir in die Hosen; denn in der finsteren Nacht konnte ich nicht wissen, ob es nicht der Professor wäre; und ich dachte wirklich, er wär’s. O je, die Freude, als wir ihn nun wirklich zurück hatten! So vergnügt kann bloß einer sein, der mit einem Verrückten in der Luft ’rumfährt! Im Dunkeln kann man mit einem Luftballon nicht landen; ich hoffte daher, der Regen möchte andauern, denn ich wünschte durchaus nicht, daß Tom noch ’mal sein Glück versuchte und uns wieder in die unbehagliche Angst versetzte. Na, mein Wunsch ging in Erfüllung. Den ganzen übrigen Teil der Nacht regnete es immer sachte weg; das war nun freilich keine sehr lange Zeit, uns aber kam sie endlos vor. Mit Tagesanbruch heiterte der Himmel sich auf und die Welt sah über alle Maßen lieblich und hübsch aus in ihrem grauen Dunst, und was für’n schöner Anblick war’s, Felder und Wälder wieder zu sehen! Und Pferde und Ochsen standen so klar und deutlich da und sahen so nachdenklich aus. Dann kam in heiterer Pracht die Sonne herauf, und wir fühlten auf einmal wie müde und kaput wir waren, und ehe wir’s uns versahen, waren wir alle drei fest eingeschlafen. Drittes Kapitel. Als wir einschliefen, war es ungefähr vier Uhr und gegen acht wachten wir auf. Der Professor saß auf seinem Platz und machte ein verdrießliches Gesicht. Er warf uns etwas zum Frühstück zu und sagte uns, wir dürften nicht weiter gehen als bis zum Mittelschiffs-Kompaß; dieser befand sich ungefähr in der Mitte der Gondel. Wenn man so einen rechten Hunger gehabt hat und dann auf einmal sich ordentlich satt essen kann, dann sieht man die Welt mit ganz anderen Augen an; es wird einem beinahe ganz behaglich zu Mute, selbst wenn man mit einem Genie sich in einem Ballon hoch oben in den Lüften befindet. Nach dem Essen rückten wir drei näher zusammen und begannen zu plaudern. Besonders ein Umstand war da, der mir gar nicht aus dem Kopf wollte, und im Lauf des Gesprächs bemerkte ich: »Tom, fahren wir nicht nach Osten?« »Ja.« »Wie schnell sind wir gesegelt?« »Na, du hörtest doch selber, was der Professor sagte, als er gestern so herumtobte. Manchmal, sagte er, machten wir in der Stunde fünfzig Meilen[4], manchmal neunzig, manchmal hundert; wenn er mit einem tüchtigen Sturm segelte, so könnte er jederzeit dreihundert machen, und wenn er einen Sturm haben wollte, so brauchte er bloß den Ballon höher steigen oder tiefer sinken zu lassen, bis er den Sturm und die gewünschte Richtung hätte.« [4] englische. »Na ja, das hatte ich mir gedacht: der Professor log!« »Warum?« »Wenn wir so schnell gefahren wären, so hätten wir doch schon über Illinois hinaus sein müssen, nicht wahr?« »Gewiß.« »Na, so weit sind wir aber nicht!« »Woher weißt du das?« »Ich seh’s an der Farbe. Wir sind immer noch mitten über Illinois. Und du kannst selber sehen, daß Indiana noch nicht in Sicht ist.« »Was ist denn bloß dir in die Krone gefahren, Huck? Du sagst, du siehst es an der Farbe?« »Natürlich!« »Was hat denn die Farbe damit zu tun?« »’ne ganze Masse! Illinois ist grün, Indiana hellrot. Nun zeig mir mal da unten auch nur den kleinsten hellroten Fleck, wenn du kannst! Gibt’s gar nicht -- ’s ist alles grün!« »Indiana hellrot?! Donnerwetter, was bist du für ein Lügenbeutel!« »Nichts von Lügen! Ich hab’s auf der Karte gesehen, und Indiana ist hellrot!« Machte aber der Tom Sawyer ein ärgerliches Gesicht! Endlich sagte er: »Weißt du, Huck Finn, wenn ich so dämlich wäre wie du, da spränge ich lieber gleich über Bord! Hat’s auf der Landkarte gesehen!! Huck Finn, meintest du wirklich, die Oberfläche jedes einzelnen Staates wäre von derselben Farbe, wie sie auf der Karte dargestellt ist?« »Tom Sawyer, was hat ’ne Landkarte für ’nen Zweck? Man soll doch wohl Tatsachen draus ersehen können?« »Natürlich.« »Schön! Wie kann man aber das, wenn die Karte lügt? Das möcht’ ich wohl wissen!« »Du bist ein Quatschkopf! Sie lügt ja gar nicht!« »Ach nee! wirklich nicht? lügt sie nicht?« »Natürlich nicht!« »Sehr gut! Na, wenn die Landkarte nicht lügt, dann gibt’s keine zwei Staaten von derselben Farbe. Was sagst du _dazu_, Tom Sawyer?!« Er sah, ich hatte ihn fest und Jim sah es auch; und ich muß sagen, ich war mächtig stolz darauf, denn Tom Sawyer war einer, mit dem man in einem Wortgefecht nicht so leicht fertig wurde. Jim schlug sich auf den Schenkel und rief: »Donnawetta! Das is fermost! Das is einfach fermost! Da is nix zu sagen, Massa Tom; diesmal hat Huck Finn Sie fest! Jawoll!« Und dabei schlug er sich noch einmal auf den Schenkel und sagte: »Junge, Junge! Das war warraftig fermost!« Nie in meinem Leben war ich innerlich so stolz gewesen, und dabei hatte ich gar kein Bewußtsein davon gehabt, daß ich so was Berühmtes sagte, als bis es heraus war. Ich plapperte eigentlich bloß so in den Tag hinein, aber auf einmal, paff!, da schoß es aus mir heraus! Aber Tom war ärgerlich und sagte, Jim und ich wären zwei unwissende Windbeutel und es wäre besser, wenn wir unseren Mund hielten. Ich habe herausgefunden, daß fast jeder ärgerlich wird, wenn er auf einen guten Einwand nichts zu erwidern weiß. Auf einmal bemerkte er ganz tief, tief unter uns einen Kirchturm; er nahm ein Fernrohr zur Hand und sah nach der Turmuhr, holte seine silberne Taschenuhr hervor und sah nach der Zeit, und dann wieder auf den Turm und nochmals auf die silberne Zwiebel und sagte schließlich: »Das ist komisch! Die Uhr da geht beinahe ’ne Stunde vor!« Er zog seine Taschenuhr auf; dann bemerkte er einen andern Kirchturm und sah wieder hin, und wieder ging die Uhr ’ne Stunde vor. Das machte ihn nachdenklich und er sagte: »Die Geschichte ist wirklich sonderbar. Wie das zugeht, versteh’ ich nicht!« Wieder nahm er das Fernrohr und suchte sich noch einen Kirchturm, und richtig -- auch diese Uhr ging ’ne Stunde vor. Auf einmal riß er die Augen ganz weit auf und machte ein paarmal den Mund auf und zu, als müßte er nach Luft schnappen, und dann plötzlich rief er: »Hei--li--ges -- Don--nerr--wet--terrr! ’s ist der Längengrad!« Ich kriegte einen ganz gehörigen Schreck und fragte: »O je, o je, was ist denn nun wieder los?« »Nichts weiter, als daß diese alte Blase ganz mir nichts dir nichts über Illinois und Indiana und Ohio weggesaust ist und daß wir da unter uns die Ostseite von Pennsylvanien oder New York oder so ’ne ähnliche Gegend haben!« »Tom Sawyer, das ist doch nicht dein Ernst!« »Jawohl, das ist es, und die Sache steht bombenfest! Seit wir gestern nachmittag aus St. Louis abfuhren, haben wir ungefähr fünfzehn Längengrade gekreuzt, und die Uhren da unten gehen richtig! Wir haben an die achthundert Meilen gemacht.« Ich glaubte ihm das nicht, aber trotzdem lief mir eine eiskalte Gänsehaut über den Buckel. Ich wußte aus eigener Erfahrung, daß man zu einer solchen Strecke auf einem Floß den Mississippi herunter beinahe zwei Wochen gebraucht. »Seht mal!« belehrte Tom uns. »Der Zeitunterschied beträgt für jeden Längengrad ungefähr vier Minuten. Fünfzehn Grade machen ’ne Stunde, dreißig zwei Stunden usw. Wenn sie in England Dienstag morgen um ein Uhr haben, so ist es in New York Montag abend um acht.« Jim rückte auf seiner Bank ein Stück von Tom ab, und man konnte ihm ansehen, daß er beleidigt war, denn er schüttelte fortwährend den Kopf und brummte vor sich hin; ich schob mich darum nahe zu ihm heran und tätschelte ihn auf die Beine und gab ihm gute Worte und brachte ihn denn auch schließlich so weit, daß er seinen Gefühlen Luft machte. »Massa Tom!« sagte er. »Quassel Sie nix sowas! Dingsdag auf’m einen Ort un Mondag auf’m annern, un beides auf’m selben Dag! Huck, hier is nix gut zu spaßen, hier ganz oben, oben in die Luft! Zwei Dage auf einen Dag?! So? Wie kriegt man denn zwei Dage in _einen_? Kann Sie zwei Stunden in _eine_ kriegen, häh? Kann Sie zwei Nigger in _eines_ Niggers Haut kriegen, häh? Kann Sie zwei Maß Whisky in ’ne Kruke kriegen, wo bloß _ein_ Maß ringeht, häh? Nu, guckemal, Huck -- wenn nu dieser Dingsdag Neujahrsdag wär’ -- was dann? Will da einer behaupten, ’s wär am einen Ort Neujahr, un am annern Ort Altjahr, akkrat in dieselbigte Minute? Das is ja ’n vermaledeiter Unsinn! So was kann ich gar nix mit anhören, ach du lieber großer Gott, nä!« Auf einmal fängt er an zu zittern und wird ganz grau und Tom sagt: »Na, was ist denn nun los? Was hast du denn?« Jim kann gar kein Wort hervorbringen, aber endlich sagt er: »Massa Tom, Sie mach’ nix Spaß, un es _is_ so?« »Nein, ich denke nicht dran, und es ist wirklich so!« Jim kriegt wieder das Zittern und sagt: »Denn könnt’ ja der Dingsdag der Jüngste Dag sein, un denn hätten sie in England keinen Jüngsten Dag, un denn würden die Doten nix geruft. Da dürfen wir nix hingehn, Massa Tom! Bitte, krieg Sie ihm dazu, daß er umkehrt; ich will un muß dabei sein, wenn der Jüngste Dag ...« Auf einmal sahen wir was und sprangen alle miteinander auf unsere Füße und vergaßen alles und jedes und konnten bloß staunen und die Augen aufreißen. Und Tom rief: »Ist das nicht ...?« Ihm ging die Luft aus, aber dann fuhr er fort: »Jawohl, er ist’s! Sowahr ich lebe! ’s ist der Ozean!« Da blieb auch Jim und mir die Luft weg! Wie versteinert standen wir alle drei da, aber glücklich! Denn keiner von uns hatte je ’nen Ozean gesehen oder auch nur gedacht, daß uns mal so etwas beschieden sein könnte. Tom brummelte fortwährend vor sich hin: »Atlantischer Ozean -- Atlantischer! Herrgott, klingt das großartig! Und da unten _ist_ er -- und wir, wir sehen ihn mit unseren eigenen Augen -- wir! Das ist ja so was Wundervolles, daß man sich gar nicht getraut, es zu glauben!« Dann sahen wir ’ne dicke Wolke von schwarzem Rauch, und als wir näher kamen, da war’s ’ne Stadt, und zwar ein riesiges Ungetüm von einer Stadt, mit einem dicken Kranz von Schiffen an der einen Seite; und wir dachten, ob das wohl New York sein möchte, und stritten uns darüber herum und ehe wir’s uns versahen, da war die Stadt unter uns weggeglitten und lag weit, weit hinter uns -- und da waren wir mitten über dem Ozean selber und fuhren dahin mit der Schnelligkeit einer Windsbraut. Da wurden wir aber mit einem Mal ganz hell wach, das kann ich versichern! Wir stürzten nach hinten und erhoben ein Jammergeheul und baten den Professor himmelhoch, er möchte doch umkehren und uns an Land setzen, aber er riß sein Pistol aus der Tasche und schrie uns an, wir sollten zurückgehen -- und wir gingen, aber wie jämmerlich uns zu Mute war, davon wird kein Mensch je sich einen Begriff machen können. Das Land war verschwunden, bloß noch ein kleiner Streif, so schmal wie ’ne Schlange, war am Rande des Wassers, und in der Tiefe unter uns, da war nichts als Ozean, Ozean, Ozean -- Millionen Meilen von Ozean und das hob sich und warf sich und wirbelte, und weißer Gischt sprühte von den Wogenkämmen, und im ganzen Gesichtskreise waren bloß ein paar Schiffe, die wurden hin- und hergeschleudert und legten sich erst auf die eine Seite und dann auf die andere und fuhren bald mit dem Bug, bald mit dem Stern in die Tiefe. Und es dauerte nicht lange, dann waren überhaupt keine Schiffe mehr zu sehen und wir waren ganz mutterseelenallein zwischen dem hohen Himmel und dem endlosen Meere -- und es war die weiteste Fläche, die ich je gesehen hatte, und die grenzenloseste Einsamkeit. Viertes Kapitel. Und einsamer wurde es und immer einsamer. Ueber uns war das riesige Himmelsgewölbe -- leer und furchtbar tief; und unter uns war der Ozean, auf dem wir bloß die Wellenköpfe sahen. Rund um uns her war ein Ring, in welchem Himmel und Wasser zusammenliefen; ja ein riesengroßer Ring war es und wir waren genau in dessen Mitte. Wir sausten dahin mit der Schnelligkeit eines Prairiebrandes; aber das machte in der Entfernung keinen Unterschied, allem Anschein nach kamen wir über unseren Mittelpunkt nicht hinaus; so viel ich sah, konnten wir dem Ring nicht um Zollbreite näher kommen. Es wurde einem ganz seltsam dabei zu Mute; es war so eigentümlich und so unerklärlich. Und dabei war alles so furchtbar still, daß wir unwillkürlich anfingen leise zu sprechen, und die Einsamkeit machte uns immer bänger und benahm uns die Lust zu plaudern und schließlich hörte das Gespräch ganz auf und wir saßen bloß da und ›denkten‹, wie Jim sich ausdrückt, und sagten kein Wort mehr. Der Professor rührte sich nicht, bis die Sonne über unseren Köpfen stand; da richtete er sich auf und hielt eine Art Dreieck vor seine Augen, und Tom sagte, das wäre ein Sextant, und er nähme die Stellung der Sonne, um zu sehen, wo der Luftballon sich befände. Hierauf rechnete er ein bißchen und sah in einem Buche nach und dann kriegte er wieder seinen Anfall. Er sprach eine Menge wildes Zeug und sagte unter anderem, er wollte dieses Hundertmeilentempo bis zum nächsten Nachmittag beibehalten und dann würde er in London landen. Wir sagten, dafür würden wir ihm in tiefster Seele dankbar sein. Er hatte sich umgedreht, aber als wir das sagten, da sprang er auf einmal ganz wild wieder herum und warf uns einen ganz abscheulichen langen Blick zu -- selten habe ich einen so boshaften und mißtrauischen Blick gesehen! Dann sagte er: »Ihr wollt von mir gehen! Versucht nicht, das abzuleugnen.« Wir wußten nicht, was wir antworten sollten, und hielten deshalb den Mund und sagten gar nichts. Er ging nach hinten und setzte sich wieder hin, aber augenscheinlich konnte er diesen Gedanken nicht wieder los werden. Von Zeit zu Zeit rief er uns irgend etwas zu, was darauf Bezug hatte, und versuchte eine Antwort aus uns heraus zu bringen; aber wir wagten nicht zu sprechen. Immer drückender wurde das Gefühl der Einsamkeit, und es kam mir vor, als könnte ich’s bald nicht länger aushalten. Als die Nacht hereinbrach, wurde es damit noch schlimmer. Auf einmal kneift mich Tom und flüstert: »Sieh mal hin!« Ich gucke nach hinten und sehe, wie der Professor einen Schluck aus ’ner Flasche nimmt. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ab und zu nahm er wieder einen Schluck und es dauerte nicht lange, so fing er an zu singen. Es war jetzt dunkel -- eine schwarze und stürmische Nacht. Er sang fortwährend, immer wilder und wilder, und der Donner begann zu grollen, und der Wind zu brausen und im Tauwerk zu heulen -- und das alles zusammen war fürchterlich. Es wurde so dunkel, daß wir den Professor überhaupt nicht mehr sehen konnten, und wir wünschten, wir hätten ihn auch nicht hören können -- aber da hätten wir keine Ohren haben müssen. Dann wurde er still. Aber als er noch keine zehn Minuten still gewesen war, da wurde uns das noch unheimlicher, und wir wünschten, er möchte wieder mit seinem Spektakel anfangen, damit wir wenigstens wüßten, wo er wäre. Auf einmal zuckte ein Blitz und wir sahen, daß er aufzustehen versuchte, aber er stolperte und fiel wieder hin. Wir hörten ihn in die Finsternis hineinschreien: »Sie mögen nicht nach England gehen? Auch recht; ich will den Kurs ändern. Sie wollen von mir gehen. Jawohl, ich weiß, sie wollen es! Schön, sie sollen’s -- und zwar _jetzt gleich_!« Ich kam vor Angst beinahe um, als er dies sagte. Dann war es wieder still -- eine so lange Zeit, daß ich’s gar nicht mehr aushalten konnte, und es kam mir vor, als wollte der Blitz niemals wieder kommen. Aber schließlich da kam so ein ersehnter Blitz, und richtig, da war der Professor; er kroch auf Händen und Knieen und war keine vier Fuß weit von uns entfernt. O, was machte er für fürchterliche Augen! Er machte einen Satz auf Tom zu und rief: »Ueber Bord mit dir!« Aber es war schon wieder pechdunkel und ich konnte nicht sehen, ob er ihn kriegte oder nicht, und Tom war mäuschenstill. Dann kam wieder ein langes gräßliches Warten! Dann wieder ein Blitz und ich sehe außerhalb des Bootes Tom seinen Kopf niederducken und verschwinden. Er war auf der Strickleiter, die vom Dollbord herunter frei in der Luft hing. Der Professor stieß einen Schrei aus und tat einen Satz, und im Nu war’s wieder pechfinster, und Jim stöhnte: »Arme Massa Tom, er is hin!« Damit wollte Jim sich auf den Professor stürzen, aber der Professor war nicht da. Dann hörten wir zwei entsetzliche Schreie -- dann noch einen, nicht ganz so laut -- und noch einen, der kam ganz tief von unten her, und man konnte ihn gerade eben noch hören. Und Jim sagte: »Arme Massa Tom!« Dann wurde es grauenhaft still; man hätte, glaube ich, bis viertausend zählen können, bis der nächste Blitz kam. Als es blitzte, sah ich Jim auf den Knieen liegen; die Arme hatte er über die Bank gestreckt und sein Kopf lag auf seinen Armen und er weinte. Ehe ich über Bord sehen konnte, war alles wieder dunkel, und das war mir lieb, denn ich _wollte_ nichts sehen. Aber als der nächste Blitz kam, da war ich mit meinem Kopf schon über’m Bootsrand, und da sehe ich unter mir jemanden auf der schaukelnden Strickleiter -- und es ist Tom! »Komm ’rauf!« schrei’ ich. »Komm ’rauf, Tom!« Seine Stimme war so schwach und der Sturm brüllte so fürchterlich, daß ich nicht verstehen konnte, was er sagte; aber es kam mir vor, als fragte er, ob der Professor bei uns oben sei. Ich schrie: »Nein! Der ist unten im Ozean! Komm ’rauf! Können wir dir helfen?« Dies alles ging natürlich in düsterster Finsternis vor sich. »Huck! wen rufst du da?« stöhnte auf einmal Jim. »Ich rufe Tom.« »O, Huck, wie kannst du? Du weißt doch, arme Massa Tom ...« Weiter kam er nicht; er stieß einen fürchterlichen Schrei aus und gleich darauf noch einen und warf seinen Kopf und seine Arme hintenüber -- denn gerade in dem Augenblick kam ein weißer Blitz und über dem Dollbord hob sich Toms Gesicht, ganz schneeweiß, empor und sah ihm gerade in die Augen. Er dachte natürlich, es sei Toms Geist. Tom kletterte an Bord, und als Jim merkte, daß er’s _wirklich_ war und nicht sein Geist, da herzte er ihn und gab ihm alle möglichen Kosenamen und tat, als wäre er vor Freuden ganz verrückt geworden. Als schließlich ein bißchen Ruhe eintrat, fragte ich: »Worauf wartetest du denn, Tom! Warum kamst du nicht gleich wieder herauf?« »Durfte ich nicht, Huck! Ich merkte, daß jemand bei mir vorbei plumpste, aber in der Dunkelheit wußte ich nicht, wer es war. Es hätte Jim sein können oder auch du, Huck Finn!« Das war der echte Tom Sawyer -- immer vernünftig! Er kam nicht eher nach oben, als bis er wußte, wo der Professor war. Der Sturm hatte sich inzwischen zu seiner höchsten Gewalt entwickelt; es war fürchterlich, wie der Donner brüllte, wie die Blitze blendend zuckten, wie der Wind im Tauwerk heulte und pfiff und wie der Regen herniederströmte. In der einen Sekunde konnte man nicht seine Hand vor Augen sehen und in der nächsten konnte man die Fäden im Rockärmel zählen und sah durch einen Regenschleier eine ganze weite Wüste von rollenden schäumenden Wellen. Ein solcher Sturm ist das Prächtigste, was es auf der Welt gibt -- aber nicht wenn man oben unter dem Himmel fährt, wo man in der Einsamkeit den Weg nicht weiß, wenn man bis auf die Haut durchnäßt ist, und gerade eben einen Todesfall in der Familie gehabt hat! Wir saßen am Bugspriet zusammen gedrängt und sprachen leise vom Professor; und uns allen tat er leid, der arme Mann, den die Welt verspottet und hart behandelt hatte, während er ihr doch sein Bestes gab; und dabei hatte er keinen Freund oder sonst einen Menschen gehabt, um ihn zu ermutigen und ihn aufzuheitern, wenn die trüben Gedanken über ihn kamen, die ihn schließlich verrückt machten. Am andern Ende der Gondel waren Kleider und Decken und dergleichen in Hülle und Fülle; aber wir ließen uns lieber durchnaß regnen als daß wir in jener Nacht etwas davon angerührt hätten. Fünftes Kapitel. Wir versuchten irgend einen Plan aufzustellen, konnten aber nicht einig werden. Jim und ich waren dafür, umzukehren und wieder nach Hause zu fahren. Tom aber meinte, wir sollten lieber den Tagesanbruch abwarten, um ordentlich sehen zu können; bis dahin aber würden wir so nahe bei England sein, daß wir ebensogut dorthin fahren könnten; wir könnten dann zu Schiff zurückkehren, und was wäre das nicht für ein Ruhm, wenn wir später so etwas von uns sagen könnten! Gegen Mitternacht legte sich der Sturm; der Mond kam hervor und beschien die Meeresfläche; uns wurde ganz behaglich zu Mute und der Schlaf kam über uns. Wir streckten uns auf den Bänken aus und schliefen ein und wachten nicht früher auf, als bis die Sonne am Himmel stand. Die See funkelte wie von lauter Diamanten und es war schönes Wetter und sehr bald waren alle unsere Sachen wieder trocken. Wir gingen achter, um uns etwas zum Frühstück zu suchen, und das erste, was uns in die Augen fiel, war ein trübes Lichtchen, das in einem Kompaß unter ’nem Glasdeckel brannte. Tom machte sich sofort Gedanken darüber und sagte: »Ihr könnt euch wohl denken, was das bedeutet! Nichts anderes, als daß hier jemand auf Wache stehen und dies Ding steuern muß, genau wie ein Schiff gesteuert wird. Denn wenn der Ballon nicht gesteuert wird, so treibt er sich in der Luft herum und segelt, wohin der Wind ihn führt.« »Hm,« sagte ich, »was hat denn unsere Gondel gemacht, seit wir ... eh ... seit wir den Unfall hatten?« »Sich herumgetrieben,« antwortete er, ein bißchen aus seiner Ruhe gebracht, »sich herumgetrieben -- ohne allen Zweifel! Jetzt haben wir einen Wind, der uns südöstlich treibt; wir können nicht wissen, wie lange wir schon diesen Kurs halten.« Er stellte das Steuer wieder auf Osten und sagte, er wolle so lange aufpassen, bis wir das Frühstück fertig gemacht hätten. Der Professor hatte sich so gut verproviantiert, wie man’s nur wünschen konnte. Da war alles in Hülle und Fülle vorhanden. Milch gab es allerdings nicht zum Kaffee, aber Wasser war vorhanden und alles, was man sonst nötig hatte, auch ein Kochofen mit Holzkohlenfeuerung und mit dem erforderlichen Geschirr, und Pfeifen und Zigarren und Zündhölzer. Ferner Weine und Liköre -- wofür _wir_ allerdings keine Verwendung hatten; dann Bücher und Land- und Seekarten und ’ne Ziehharmonika -- und Pelze, Decken und eine unendliche Menge von allerlei Tand, wie Messingperlen und dergleichen Zierat. Das war, wie Tom bemerkte, ein sicheres Anzeichen, daß er darauf gerechnet hatte, mit Wilden zusammenzukommen. Auch Geld war da. Ja, der Professor war nicht schlecht ausgerüstet. Nach dem Frühstück zeigte Tom mir und Jim, wie das Steuer gehandhabt wurde; dann verteilte er die Wachen, für jeden immer vier Stunden. Als er mit seiner Wache fertig war, löste ich ihn ab, und er holte des Professors Papier und Schreibzeug heraus, und setzte sich hin und schrieb einen Brief nach Hause an seine Tante Polly. Darin erzählte er ihr alles, was uns passiert war, und als er fertig war, datierte er den Brief: ›Im Firmament, in der Nähe von England‹, und faltete ihn säuberlich zusammen und versiegelte ihn mit einer roten Oblate. Dann adressierte er ihn und über der Adresse schrieb er mit dicken Buchstaben: _Von Tom Sawyer, dem Erronauter_ und er sagte, wenn der Brief mit der Post ankäme, da würde der alte Nat Parsons, der Postmeister, einfach auf den Rücken fallen. Ich äußerte meine Meinung, wir wären ja doch nicht im Firmament, sondern in einem Luftballon; aber über so etwas war mit Tom nun einmal nicht zu diskutieren. Im Grunde wußte ich auch nicht so recht, was eigentlich ein Firmament ist; Tom wollte es mir erklären, aber Jim und ich bekamen trotzdem keinen rechten Begriff davon, und schließlich ließen wir es sein und sprachen davon, was ein Erronauter sei. Ein Erronauter, sagte Tom, wäre ein Mensch, der in Luftballons ’rumführe, und es wäre ganz was Anderes und viel was Feineres, wenn er sich ›Tom Sawyer, den Erronauter‹ nennen könnte, als wenn er bloß ›Tom Sawyer, der Reisende‹ wäre. Man würde überall auf der ganzen Welt von uns sprechen, wenn wir nur das Ding zum rechten Ende brächten, und darum hustete er von jetzt an was drauf, ›Tom Sawyer, der Reisende‹ zu heißen. Als die Mitte des Nachmittags herankam, machten wir alles zum Landen fertig, und uns war recht leicht ums Herz und wir fühlten einen mächtigen Stolz in uns. Wir guckten fortwährend durch unsere Ferngläser, wie Kolumbus, als er Amerika entdecken wollte. Aber wir sahen nichts als lauter Ozean und Ozean. Der Nachmittag verstrich, die Sonne ging unter und immer noch war nirgendwo Land zu sehen. Die Sache kam uns sonderbar vor, aber wir dachten, sie würde schon in Ordnung kommen. Wir blieben also dabei, ostwärts zu steuern, nur stiegen wir etwas höher hinauf, damit wir nicht im Dunkel gegen einen Berg oder sonstige Hindernisse anstoßen möchten. Von acht Uhr abends bis Mitternacht hatte ich die Wache, dann löste Jim mich ab; aber Tom blieb auf, weil Schiffskapitäne, wie er sagte, das immer täten, wenn sie dicht beim Lande wären. Als es nun Tag wurde, da stieß auf einmal Jim ein lautes Geschrei aus und wir sprangen auf und guckten über den Rand der Gondel und richtig! da war das Land -- rund um uns herum nichts als Land, soweit das Auge reichte, und vollkommen flach und ganz gelb! Wir wußten nicht, wie lange wir schon über dem Land gewesen waren, denn da waren weder Bäume, noch Berge, noch Felsen, noch Städte, und Tom und Jim hatten gedacht, es sei das Meer, das spiegelglatt unter ihnen daläge; übrigens hätte es von der Höhe aus, in der wir uns befanden, spiegelglatt ausgesehen, selbst wenn die Wellen haushoch gegangen wären. Wir waren jetzt alle riesig aufgeregt und nahmen schnell die Ferngläser vor die Augen und suchten überall nach London, aber da war nicht das geringste weder von London noch überhaupt von einer menschlichen Niederlassung zu sehen -- nicht ’mal ein See oder ein Fluß war zu erblicken. Tom war ganz kleinlaut geworden. Er sagte, so einen Begriff hätte er sich von England nicht gemacht; er hätte immer gemeint, England sähe genau so aus wie Amerika. Er schlug schließlich vor, wir wollten lieber unser Frühstück essen und dann den Ballon herunterlassen und uns erkundigen, wie wir auf dem kürzesten Wege nach London kämen. Mit dem Frühstück waren wir sehr schnell fertig -- unsere Ungeduld war zu groß. Als wir nachher uns in niedrigere Regionen herabließen, begann das Wetter milde zu werden, und sehr bald zogen wir unsere Pelze aus. Aber es wurde immer noch milder, und im Nu war’s beinahe zu milde. Wir waren nämlich jetzt dicht über dem Erdboden und da herrschte geradezu eine Backofenhitze. Ungefähr dreißig Fuß über dem Lande machten wir Halt; ich sage ›Land‹, indem ich annehme, daß man so etwas Land nennen darf; denn da gab es nichts als reinen Sand! Tom und ich kletterten die Leiter herunter und fingen an zu laufen, um unsere Beine wieder ein bißchen geschmeidig zu machen; den Beinen tat denn auch die Bewegung wunderbar gut -- aber den Füßen weniger, denn der Sand verbrannte uns die Sohlen, als wären wir auf glühende Kohlen getreten. Nicht lange, so sahen wir jemanden herankommen, und sofort liefen wir ihm entgegen; aber wir hörten Jim schreien und drehten uns nach ihm um und sahen, daß er wie ein Besessener herumsprang und Zeichen machte und schrie. Was er sagte, konnten wir nicht verstehen, aber wir kriegten es doch mit der Angst und liefen so schnell wir konnten nach dem Luftschiff zurück. Als wir nahe genug gekommen waren, unterschieden wir seine Worte, und mir wurde ganz übel zumute, als ich sie hörte: »Rennt!« schrie er. »Rennt, wenn euch euer Leben lieb is. Das is ’n Löwe! Ich seh ihm durch die Fernglas! Rennt Jungens! Rennt, was das Zeug halten will! Er is gewiß aus die Menascherie gelaufen un da is niemand, der ihn wieder kriegen kann!« Tom flog wie ein Pfeil dahin, aber mir schlotterten die Beine, als wenn ich gar keine Knochen mehr drin gehabt hätte. Ich konnte mich bloß so hinschleppen, wie’s einem im Traum manchmal passiert, wenn ein Gespenst hinter einem her ist. Tom war natürlich der Erste bei der Leiter; er kletterte ein Stück hinauf und wartete auf mich; sobald ich glücklich auf der untersten Stufe stand, rief er Jim zu, er sollte losrutschen. Aber Jim hatte völlig den Kopf verloren und sagte, er wüßte nicht mehr, wie’s gemacht würde. Tom kletterte daher weiter hinauf und sagte, ich sollte nachkommen; aber der Löwe war schon ganz in der Nähe und stieß bei jedem Sprung ein ganz fürchterliches Gebrüll aus; davon zitterten mir die Beine dermaßen, daß ich nicht wagte, mich von der Sprosse zu rühren, denn ich dachte, wenn ich den einen Fuß hochhöbe, so würde der andere allein mich nicht mehr tragen können. Inzwischen aber hatte Tom sich in die Gondel hineingeschwungen; er ließ den Ballon ein Stück in die Höhe gehen, hielt aber sofort wieder an, als das Ende der Strickleiter zehn oder zwölf Fuß über dem Boden war. Und da war auch schon der Löwe. Wie tobte er unter mir herum, wie brüllte er, wie sprang er in die Höhe und schnappte nach der Leiter! Es sah aus als verfehlte er sie nur um Viertelszollbreite. Es war ja köstlich, wirklich köstlich, außer seinem Bereich zu sein, und ich empfand dies als ein ungeheuer angenehmes Gefühl, wofür ich herzlich dankbar war; andererseits aber hing ich hilflos da und konnte nicht hochklettern, und dabei wurde mir denn wieder sterbensübel zu Mute. Es kommt wohl sehr selten vor, daß jemand derartig gemischte Gefühle empfindet, und im großen und ganzen kann ich eine derartige Situation nicht für empfehlenswert erklären. Tom fragte mich, was er anfangen sollte, aber ich konnte ihm daraufhin keinen Bescheid geben. Er meinte, ich könnte mich vielleicht so lange festhalten, bis er nach einem sicheren Platz gesegelt wäre, wohin der Löwe nicht so schnell mitlaufen könnte. Ich antwortete, es würde mir wahrscheinlich möglich sein, wenn er den Ballon nicht höher steigen ließe; aber wenn er höher ginge, so würde ich ganz gewiß schwindlig werden und herunterfallen. »Halt dich nur ordentlich fest!« rief Tom, und damit segelte er los. »Nicht so schnell!« schrie ich. »Mir wird schon gelb und grün vor den Augen!« Er war nämlich mit Blitzzugsgeschwindigkeit abgefahren. Tom mäßigte die Schnelligkeit und wir glitten langsamer über den Sand hin; aber es ist und bleibt doch im höchsten Grade ungemütlich, wenn man in lautloser Stille den Boden so unter sich weggleiten sieht. Mit der Lautlosigkeit nahm es indessen sehr bald ein Ende, denn der Löwe kam uns nachgesprungen. Und sein Gebrüll wurde beantwortet. Wir sahen die Bestien aus allen Himmelsrichtungen herangehopst kommen und im Nu waren ein paar Dutzend unter mir. Sie sprangen nach der Leiter und fauchten sich gegenseitig an und schnappten nacheinander. So rutschten wir übers Land hin und die braven Löwen taten, was in ihren Kräften stand, um uns das Erlebnis unvergeßlich zu machen; und es kamen immer mehr Bestien -- sie schienen es nicht für nötig zu halten, eine Einladung von uns abzuwarten -- und das Getümmel unter uns wurde unbeschreiblich. Wir sahen ein, so konnte es nicht weiter gehen. Wenn wir nicht schneller segelten, wurden wir die Löwen nicht los, und ich konnte mich nicht ewig an der Strickleiter festhalten, denn dazu reichten meine Kräfte nicht. Tom dachte über den Fall nach und kam auf eine andere Idee: einer von den Löwen mußte mit des Professors Revolver totgeschossen werden, und während die anderen Halt machten, um ihren Kameraden zu verspeisen, konnten wir verschwinden. Gedacht, getan! Tom hielt den Ballon an, schoß eine von den Bestien über den Haufen und der Spektakel ging los, ganz wie wir’s erwartet hatten. Wir segelten eine Viertelmeile weiter und Tom und Jim halfen mir in die Gondel hinein. Kaum waren wir damit fertig, so war auch die Löwenbande wieder da. Aber es war zu spät für sie. Und als sie sahen, daß sie uns nicht mehr kriegen konnten, da setzten sie sich auf ihre Hinterbacken und sahen uns mit so schmerzlich enttäuschten Gesichtern nach, daß die armen hungrigen Löwen uns wirklich leid taten. Sechstes Kapitel. Ich war so angegriffen, daß ich an gar nichts weiter dachte, als mich schnell hinzulegen. Ich streckte mich daher auf meiner Bank aus, aber in solcher Backofenhitze war nicht daran zu denken, wieder zu Kräften zu kommen; Tom befahl daher, das Luftschiff höher steigen zu lassen, und Jim führte seine Weisungen sofort aus. Wir mußten eine volle Meile aufsteigen, bis wir in eine angenehme Luftschicht kamen, wo eine erfrischende Brise wehte und es weder zu kalt noch zu warm war. Bald war ich wieder völlig bei Kräften. Tom hatte die ganze Zeit über still und nachdenklich dagesessen, aber auf einmal sprang er auf und sagte: »Ich will tausend gegen eins wetten: ich weiß, wo wir sind! Wir sind in der Großen Sahara -- das ist bombensicher!« Er war so aufgeregt, daß er weder Arme noch Beine still halten konnte; mich regte seine Mitteilung weniger auf; ich fragte bloß: »So? Na, wo ist denn die Große Sahara? In England oder in Schottland?« »Weder da noch dort -- sie ist in Afrika.« Da riß aber Jim die Augen auf! Mit riesiger Neugierde sah er sich das Land an; und das war auch kein Wunder, denn da waren ja seine Vorfahren hergekommen. Aber ich selber konnte es nur so halb und halb glauben; mir schien denn doch, eine so kolossale Reise könnten wir unmöglich gemacht haben. Tom indessen war voll von seiner ›Entdeckung‹, wie er es nannte. Die Löwen und der Sand, sagte er, das bedeutete ganz bestimmt die große Wüste. Jim sah immer noch durch das Fernrohr auf den Sand herunter. Auf einmal schüttelte er den Kopf und sagte: »Massa Tom, da muß woll was nix richtig sein! Ich hab noch gar keine Nigger nix gesehen!« »Das will nichts sagen! Sie leben nicht in der Wüste. Aber was ist denn das? Da hinten ganz in der Ferne? Gebt mir ’mal ’n Fernrohr!« Er sah lange durch das Glas und sagte, es sähe aus wie ein langer schwarzer Strich, der sich über den Sand hinzöge, aber er könnte nicht begreifen, was es wohl sein möchte. »Na,« sagte ich, »vielleicht hast du jetzt ’ne Möglichkeit, genau festzustellen, wo der Luftballon ist. Denn höchstwahrscheinlich ist das doch eine von den Linien, die auf der Karte verzeichnet sind, und die du Meridianlängen nanntest; wir brauchen bloß ’runterzugehen und uns die Nummer anzusehen und ...« »O, Huck Finn! Was für ein Blödsinn! So einen Quatschkopf wie du bist habe ich noch nie gesehen! Meinst du im Ernst, die Längenmeridiane sind _auf der Erde_?« »Tom Sawyer, sie sind auf der Karte abgebildet, das weißt du recht gut, und hier ist ja eine, das kannst du doch mit deinen eigenen Augen sehen!« »Natürlich stehen sie auf der Karte; aber das beweist noch nichts! Auf dem _Erdboden_ gibt es selbstverständlich keinen.« »Tom, weißt du das gewiß?« »Natürlich!« »Nun, dann hat die Landkarte wieder mal gelogen. So eine Lügerei wie auf der Karte ist mir noch gar nicht vorgekommen!« Das brachte nun wieder Tom in hellen Eifer; aber ich wußte ihm mit Worten zu dienen und Jim, der ganz meiner Meinung war, kam auch in Hitze, und es ist gar nicht unmöglich, daß unsere Beweisführungen ein bißchen handgreiflich geworden wären -- aber auf einmal warf Tom das Fernrohr hin und klatschte in die Hände, wie wenn er den Verstand verloren hätte, und schrie aus vollem Halse: »Kamele! Kamele!« Ich nahm schnell ein Fernrohr und Jim guckte auch darnach; aber ich war enttäuscht und sagte: »Deine Großmutter hat wohl Kamele! Das sind ja Spinnen!« »Spinnen in ’ner Wüste, du Schafskopf? Spinnen, die in einer langen Reihe marschieren? Streng’ mal ’n bißchen deinen verehrlichen Schädel an, Huck Finn, -- aber es kommt mir allerdings fast so vor, als hättest du nichts drin! Du denkst wohl gar nicht dran, daß wir ’ne volle Meile hoch oben in der Luft sind und daß der Streifen von Krabbeltieren zwei oder drei Meilen entfernt ist. Spinnen -- heiliger Bimbam! Spinnen so groß wie ’ne Kuh? Willst du nicht vielleicht runtergehen und eine von ihnen melken? Aber verlaß dich nur darauf, was ich sage: es sind und bleiben Kamele. ’s ist ’ne Karawane, ganz einfach ’ne Karawane, und sie ist ’ne Meile lang!« »Na, denn wollen wir doch runtergehen und sie uns ansehen! Ich glaube es nun ’mal nicht und werde nicht eher dran glauben, als bis ich’s genau und deutlich selber sehe!« »Meinetwegen!« rief Tom und kommandierte: »Tiefer mit dem Ballon!« Als wir in die heiße Luftschicht kamen, da konnten wir denn sehen, daß es wirklich Kamele waren -- eine endlose Reihe von bedächtig schreitenden Tieren, die große Ballen auf ihren Rücken trugen. Auch mehrere hundert Männer waren dabei, die hatten lange weiße Gewänder an und um ihre Köpfe trugen sie lange Binden gewickelt, von denen Troddeln und Fransen herniederhingen. Einige von ihnen hatten lange Flinten und andere hatten keine; einige ritten und andere gingen zu Fuß. Und die Hitze -- na, wir kamen uns vor, wie wenn wir auf ’nem Bratrost lägen. Und wie langsam krochen sie durch die Wüste hin! Wir ließen uns nun plötzlich hernieder und stoppten, als wir ungefähr hundert Meter über ihnen waren. Die Männer schrieen alle miteinander plötzlich laut auf, und einige warfen sich platt auf den Bauch, andere fingen an, mit ihren Flinten nach uns zu schießen, und der Rest stob nach allen Windrichtungen auseinander -- Menschen, Pferde und Kamele. Wir sahen, daß wir Wirrwarr anrichteten, und stiegen deshalb wieder auf, bis wir ungefähr in der alten Höhe von einer Meile uns befanden, wo die kühle Luftschicht war; von dort aus sahen wir uns alles an. Sie brauchten beinahe eine Stunde, bis sie wieder alle zusammen und in der richtigen Marschordnung waren; dann brachen sie wieder auf, aber wir konnten durch unsere Fernrohre beobachten, daß sie bloß für unseren Luftballon Augen hatten. Wir fuhren in ihrer Richtung weiter, indem wir sie durch unsere Gläser genau betrachteten; das war ein sehr interessanter Anblick. Auf einmal sahen wir einen großen Sandhügel und jenseits desselben eine Menge Gestalten, die wir für Menschen hielten; und oben auf dem Hügel lag etwas -- dem Anschein nach ein Mann; der hob alle Augenblicke mal den Kopf in die Höhe und sah sich um -- ob nach uns oder nach der Karawane, das konnten wir nicht unterscheiden. Als die Karawane näher gekommen war, rutschte er auf der anderen Seite des Hügels herunter und lief schnell zu den anderen Menschen -- wir sahen jetzt, daß es solche waren -- die neben ihren Pferden hinter dem Sandberg auf der Lauer gelegen hatten. Im Nu waren sie im Sattel und wie ein Donnerwetter kamen sie hervorgesprengt, einige mit Lanzen bewaffnet und andere mit langen Flinten, und alle miteinander schrieen und heulten sie aus vollem Halse. Eins, zwei, drei waren sie bei der Karawane und in der nächsten Minute prallten die beiden Parteien aufeinander. Dann folgte ein wildes Durcheinander und ein Flintengeknatter, wie wir’s nie gehört hatten, und die Luft war so voll von Pulverdampf, daß wir nur ab und zu einen schnellen Blick auf das Handgemenge werfen konnten. Es müssen wohl mindestens sechshundert Mann an der Schlacht beteiligt gewesen sein, und der Anblick war fürchterlich. Allmählich lösten sie sich in einzelne kleine Abteilungen und Gruppen auf, die in verzweifelter Wut miteinander kämpften und nicht abließen, wie wenn sie sich ineinander verbissen hätten. Wenn der Pulverqualm sich auf kurze Augenblicke ein wenig verzog, konnten wir tote und verwundete Menschen und Kamele überall auf dem Boden verstreut liegen sehen, und die Tiere liefen wie toll nach allen Richtungen davon. Schließlich sahen die Räuber ein, daß sie nichts ausrichten konnten; ihr Hauptmann blies ein Signal und was von ihnen noch am Leben war, sprengte über die Wüste davon. Der Letzte von den Räubern riß noch ein Kind an sich und warf es vor seinem Sattel über das Pferd, und ein Weib rannte schreiend und flehend hinter ihm her, bis sie eine weite Strecke von ihren Leuten entfernt war. Sie konnte ihn nicht einholen und schließlich gingen ihr die Kräfte aus und wir sahen, wie sie auf dem Sande zusammenbrach und das Gesicht mit den Händen bedeckte. Da sprang Tom ans Steuer; wie der Sturmwind sausten wir auf den Schurken los und unsere Gondel traf ihn, daß das Pferd niederfiel und Räuber und Kind aus dem Sattel flogen. Er hatte eine ganz gehörige Schramme gekriegt, aber das Kind war heil und ganz und lag mit Armen und Beinen strampelnd da, wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist und nicht wieder hoch kommen kann. Der Mann humpelte davon, um wieder sein Pferd zu besteigen; er machte ein ganz verblüfftes Gesicht, weil er nicht wußte, was ihn umgeschmissen hatte, denn wir waren inzwischen schon wieder drei- bis vierhundert Meter hoch oben in der Luft. Wir dachten, das Weib wäre nun hingegangen und hätte sich ihr Kind geholt; aber das tat sie nicht. Wir sahen durch unsere Ferngläser, wie sie noch immer auf derselben Stelle saß, den Kopf auf die Kniee gesenkt. Sie hatte deshalb natürlich von dem ganzen Vorgange nichts bemerkt und glaubte, ihr Kind wäre ihr von dem Mann für ewig geraubt. Sie mochte eine halbe Meile von der Karawane entfernt sein und das Kind lag etwa eine Viertelmeile von ihr auf dem Sand. Wir beschlossen daher, es aufzuheben, denn vor den Leuten der Karawane brauchten wir keine Angst zu haben; sie konnten nicht so schnell zu uns herankommen; außerdem hatten sie noch für eine gute Weile alle Hände voll zu tun, um für ihre Verwundeten zu sorgen. Deshalb beschlossen wir, das Wagnis zu unternehmen. Wir gingen bis auf den Grund herab; Jim kletterte die Leiter herunter und hob das kleine Kindchen auf; es war ein hübscher dicker Bengel und er jauchzte und kreischte vor Vergnügen, was in Anbetracht der Umstände eine anerkennenswerte Leistung war -- denn er hatte doch gerade eben eine große Schlacht mitgemacht und war von einem Pferde abgeworfen worden. Darauf segelten wir an die Mutter heran; wir hielten dicht hinter ihrem Rücken und Jim kletterte wieder heraus und ging leise mit dem Kind auf dem Arm zu ihr heran, und das Kleinchen lallte und quiekte und sie hörte es und fuhr mit einem Freudenschrei herum. Dann nahm sie ihr Kind und herzte und küßte es und setzte es wieder hin und herzte und küßte Jim und hing ihm eine goldene Kette um, und fiel ihm wieder um den Hals. Und dann riß sie wieder ihr Kind an sich und drückte es gegen ihren Busen und schluchzte und jauchzte immer durcheinander. Jim sprang schnell nach der Strickleiter und war im Nu oben bei uns in der Gondel. Eine Minute darauf waren wir wieder hoch oben unterm Himmel, und da stand das Weib und sah uns nach, den Kopf ganz tief in den Nacken zurückgeworfen, und das Kind hatte die Aermchen um ihren Hals geschlungen. Und so stand sie und sah uns nach, bis wir vor ihren Blicken tief im Himmel verschwunden waren. Siebentes Kapitel. »Mittag!« sagte Tom. Und so mußte es wohl sein, denn sein Schatten bildete nur einen kleinen Fleck um seinen Fuß herum. Wir hatten in unserer Gondel zwei Uhren, die nebeneinander befestigt waren und ganz verschiedene Zeiten anzeigten. Tom sagte, es wären Chronometer, und der eine zeigte die Zeit von St. Louis, der andere die von Grinnitsch. Wir sahen nun auf diesen nach und es war beinahe aufs Haar zwölf Uhr. So sagte denn Tom, Grinnitsch -- oder London, denn das wäre ein und dasselbe -- wäre entweder direkt nördlich oder direkt südlich von uns; aus der Hitze aber und dem Sand und den Kamelen schlösse er, daß London wohl eher nördlich läge und zwar ’ne ganz gehörige Anzahl Meilen -- etwa soweit wie von New York nach der Stadt Mexiko. Jim meinte, ein Luftballon wäre doch wohl das schnellste Ding auf der Welt; wenn nicht etwa irgend ein Vogel noch schneller wäre -- vielleicht ’ne wilde Taube oder ’ne Eisenbahn. Aber Tom sagte, er hätte gelesen, daß in England mit der Eisenbahn auf kurze Strecken bereits eine Geschwindigkeit von hundert Meilen in der Stunde erzielt worden wäre, und es gäbe auf Erden keinen Vogel, der eine solche Leistung fertig brächte -- mit Ausnahme eines einzigen, und das wäre ein Floh. »Ein Floh? Hm, Massa Tom, erst mal is ein Floh sozusagen kein Vogel nix ...« »Ist kein Vogel, häh! Na, was ist er denn?« »Ich weiß nix so genau, Massa Tom, aber ich denk beinah, es is woll bloß so ’n Art Tier. Oder nein -- das is woll auch nix richtig -- denn for’n Tier is er nix groß genug. Er muß ’n Käfer sein -- jawoll, das muß er -- ’n Käfer muß er sein.« »Ich will wetten, er ist keiner -- aber einerlei! Was hast du für’n ›Zweitens‹ vorzubringen?« »Nu, zweitens: Vögel machen ’ne weite Entfernung, aber ’n Floh nix.« »Nicht? Wirklich nicht? Na, denn sag mir mal, was ist denn wohl ’ne weite Entfernung?« »Nu, Meilen! ... ne Masse Meilen! Das weiß doch eine jede Kind!« »Kann ein Mensch meilenweit laufen?« »Jawoll, kann er!« »So viel Meilen wie ’ne Eisenbahn?« »Jawoll, wenn er Zeit haben tut.« »Kann ein Floh das auch?« »Nu, hm, o jawoll ... warum nix? Wenn er _viel_ Zeit haben tut.« »Aha! Nun fängst du wohl an zu begreifen, daß es nicht auf die Entfernung an sich ankommt, sondern auf die Zeit, die man braucht, um eine Entfernung zurückzulegen, nicht wahr?« »Hm, nu ja, es sieht so aus -- aber ich hätt’s nix geglaubt, Massa Tom!« »Es kommt aufs _Verhältnis_ an, mein Lieber; und wenn ihr über die Schnelligkeit eines Geschöpfes urteilen wollt, so müßt ihr dessen verhältnismäßige Größe in Betracht ziehen. Und wo bleibt da euer Vogel und euer Mensch und eure Eisenbahn, wenn ihr damit einen Floh vergleicht? Der schnellste Mensch kann laufend nicht mehr als ungefähr zehn Meilen in der Stunde zurücklegen -- nicht viel mehr als das Zehntausendfache seiner eigenen Länge. Aber in jedem Buch könnt ihr lesen, daß ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte hundertfünfzigmal so weit springt wie er selber groß ist; und in einer Sekunde kann er fünf Sprünge machen -- das ist das Siebenhundertfünfzigfache seiner eigenen Länge, in einer einzigen kleinen Sekunde, denn er verliert keine Zeit damit, daß er anhält und einen neuen Anlauf nimmt; das macht er sofort in _einem_ ab. Ihr könnt das selber sehen, wenn ihr versucht, einen Floh unter euren Finger zu kriegen. Nun, das leistet ein ganz gewöhnlicher Floh dritter Güte; nehmt aber mal erst einen erstklassigen italienischen, der sein Leben lang der Liebling der hohen Aristokratie gewesen ist und gar nicht weiß, was Not und Hunger ist: der macht Sprünge, die das Dreihundertfache seiner Länge betragen, und der hält eine Leistung von fünfzehnhundert Flohlängen in der Sekunde einen ganzen Tag aus! Nun nehmen wir mal an, ein Mann könnte in einer Sekunde fünfzehnhundert Mannslängen zurücklegen -- das macht ungefähr anderthalb Meilen. In einer Minute neunzig Meilen und in einer einzigen Stunde beträchtlich mehr als fünftausend Meilen. Na, wo bleibt jetzt euer Mensch? und euer Vogel und eure Eisenbahn und euer Luftballon? Auf ihre Geschwindigkeiten hustet ja unser Floh! Ein Floh ist an Geschwindigkeit geradezu ein Komet im kleinen!« Jim war ganz verblüfft -- und ich nicht weniger. Schließlich sagte Jim: »Sein auch diese Zahlen ganz genau, un is es kein Spaß nix un keine Lüge nix, Massa Tom?« »Ja, die Zahlen stimmen ganz genau!« »Nu, denn alle Achtung vor eine Floh! Ich hab’ nix grad viel Achtung gehabt vor die Floh ... aber die Floh verdient sie ... das is gewiß!« »Na, das will ich meinen! Er ist nicht bloß schneller, sondern auch klüger und verständiger als irgend ein Geschöpf auf der Welt -- immer im Verhältnis zu ihrer Größe. Man kann Flöhe fast zu allem abrichten: und sie lernen es schneller als jedes andere Wesen. Sie können in vollem Geschirr kleine Wagen ziehen, und gehen damit hierhin oder dorthin -- je nachdem der Befehl lautet. Und marschieren und exerzieren tun sie wie richtige Soldaten und so stramm aufs Kommando, wie nur der beste Soldat. Sie haben alle möglichen schwierigen und anstrengenden Uebungen gelernt. Angenommen, man könnte einen Floh züchten, der die Größe eines Mannes erreichte und seine angeborene Klugheit und geistige Regsamkeit nähme dabei im selben Verhältnis zu, wie das Wachstum seiner Glieder -- was meint ihr wohl, wo bliebe da das Menschengeschlecht? _Der_ Floh würde Präsident der Vereinigten Staaten werden -- dagegen wäre ebensowenig was zu machen, wie wir verhindern können, daß es blitzt!« »O du liebe große Gott, Massa Tom! Davon hatt’ ich ja nie nix ’ne Ahnung, daß die Floh so eine gewaltige Tier sei! Warraftig, das kam mir nie nix in Sinn, un das sag _ich_!« »Im Verhältnis zu seiner Größe übertrifft er, und zwar bei weitem, jedes andere Geschöpf, Mensch wie Tier. Er ist das interessanteste von allen. Man redet so viel von der Stärke einer Ameise, eines Elefanten, einer Lokomotive. Quatsch! An ’nen Floh können die nicht tippen! Der kann das Zwei- oder Dreihundertfache seines eigenen Gewichts heben. Das kann sonst niemand auch nur annähernd. Außerdem macht so’n Floh sich seine eigenen Gedanken; er ist ein origineller Kopf und läßt sich kein X für ein U machen; sein Instinkt oder seine Ueberlegung -- oder was es sonst ist -- ist vollkommen gesund und klar und irrt sich niemals. Die Leute meinen, ’nem Floh sei ein Mensch so lieb wie der andere. Aber das stimmt nicht. Gewissen Menschen kommt er niemals zu nahe, mag er noch so hungrig sein, und zu diesen Menschen gehöre ich. Ich habe in meinem ganzen Leben niemals ’nen einzigen Floh auf mir gehabt.« »Massa Tom!!« »Ja, so ist’s. Ich spaße nicht.« »Nanu! Da mussen ich sagen: sowas hab’ ich in mein Leben nix gehören!« Jim konnte es nicht glauben, und ich auch nicht. So mußten wir denn den Ballon ’runterlassen, uns auf den Sand setzen und ’ne Anzahl Flöhe auf uns ’rauf hüpfen lassen; denn so eine wunderbare Geschichte wollten wir mit eigenen Augen sehen. Tom hatte recht. An mich und Jim gingen sie zu Tausenden ’ran, aber kein einziger ließ sich auf Tom nieder. Eine Erklärung gab’s dafür nicht, aber die Tatsache war da -- darum ließ sich nicht ’rumkommen. Er sagte, es sei schon immer so gewesen und er wolle sich ganz ruhig unter ’ner Million von Flöhen niederlassen; sie würden ihn weder anrühren noch sonstwie belästigen. Wir stiegen in die kalte Luftschicht empor, um die Flöhe durch den Frost zu vertreiben; da blieben wir ’ne kleine Weile und begaben uns dann wieder in die behagliche Temperatur. Wir bummelten ganz gemütlich mit ’ner Geschwindigkeit von zwanzig oder fünfundzwanzig Meilen in der Stunde durch die Luft. So hatten wir’s die letzten paar Stunden schon gemacht; denn je länger wir in dieser feierlichen friedvollen Wüste waren, desto mehr schwand alle Hast und Unruhe aus unseren Herzen, und desto glücklicher und zufriedener ward uns zu Mute; die Wüste gefiel uns immer besser und schließlich liebten wir sie geradezu. So hatten wir denn, wie gesagt, die Geschwindigkeit beträchtlich gemindert und faulenzten so recht mit Behagen, indem wir bald mal durch die Fernrohre guckten, bald uns auf den Bänken ausstreckten und lasen, bald ein bißchen druselten. Das klingt eigentlich komisch -- denn wie eilig hatten wir’s noch ganz kurz vorher gehabt, an Land zu kommen und auszusteigen! Aber daran dachten wir gar nicht mehr. Wir waren mit dem Luftschiff jetzt völlig vertraut und hatten keine Angst mehr und wünschten uns gar nichts Besseres, als nur so weiter zu fahren. Wir fühlten uns wahrhaftig ganz wie zu Hause; mir kam’s beinahe vor, als sei ich in dem Luftballon geboren und aufgewachsen; und Jim und Tom sagten, ihnen sei’s auch so. Und ich hatte ja immer eklige Menschen um mich ’rum gehabt, die mich ausschalten und pufften, und fortwährend dies und das zu tadeln hatten und bald dies bald jenes anders gemacht haben wollten und überhaupt fortwährend was für mich zu tun hatten und gerade immer etwas, wozu ich keine Lust hatte. Und wenn ich mich dann natürlich drückte und irgendwas anderes machte, gab’s Keile, daß mir gar manchmal das ganze Leben zur Last war. Aber hier oben in den himmlischen Lüften, da war’s so still und sonnenwarm und lieblich; dabei zu essen, so viel man mochte, und schlafen können, so oft man Lust hatte, und merkwürdige Dinge zu sehen, und kein Nörgeln und Schimpfen, keine braven Leute und immerzu Sonntag! Herrgott -- ich hatt’s wahrhaftig nicht eilig, unser Luftschiff zu verlassen und mich wieder mit der Zivilisation ’rumzuschlagen. Zu den ekligsten Eigenschaften der Zivilisation gehört es, daß jeder, der ’nen unangenehmen Brief gekriegt hat, damit zu einem kommt und einem die ganze Geschichte haarklein erzählt, daß einem hundeelend zu Mute wird; und die Zeitung teilt alles Widerwärtige mit, was auf der ganzen Welt passiert, so daß man fast immer trübsinnige und katzenjämmerliche Gefühle hat -- und das ist für ’nen einzelnen Menschen wirklich ’ne schwere Last. Ich hasse diese Zeitungen! ich hasse Briefe! und wenn’s nach mir ginge, dürfte niemand einen, den er gar nicht kennt, am andern Ende der Welt mit seinen Schauergeschichten anöden. Na, hoch oben in ’nem Luftballon gibt’s so was nicht und deshalb ist so’n Luftballon das reizendste Ding auf der ganzen Welt. Wir aßen zu Abend und dann kam die Nacht; und diese Nacht war eine von den schönsten, die ich je erlebt habe. Der Mond schien so hell, daß wir denken konnten es sei Tag; nur war das Licht viel viel sanfter. Einmal sahen wir ’nen Löwen, der ganz einsam dastand, wie wenn er auf der weiten Welt mutterseelenallein wäre, und auf dem Sand lag sein Schatten wie ein schwarzer Tintenklex. Das ist gerade die richtige Sorte Mondschein! Die meiste Zeit über lagen wir auf dem Rücken und plauderten; zum Schlafen hatten wir gar keine Lust. Tom sagte, wir seien jetzt mitten drin in Tausendundeiner Nacht. Gerade hier müsse die Gegend sein, wo mal eine von den verschmitztesten Geschichten sich zugetragen habe. Wir guckten über den Rand unseres Luftballons und sahen uns die Gegend an, während er erzählte; denn nichts ist so interessant anzusehen, als ’ne Gegend, die in ’nem Buch vorkommt. Die Geschichte handelte von ’nem Kameltreiber, der sein Kamel verloren hatte; er läuft in der Wüste ’rum und trifft ’nen Mann und sagt: »›Bist du nicht heute einem verlaufenen Kamel begegnet?‹ »Und der Mann sagt: »›War es auf dem linken Auge blind?‹ »›Ja.‹ »›Hatte es einen von den oberen Vorderzähnen verloren?‹ »›Ja.‹ »›War es auf dem rechten Hinterfuß lahm?‹ »›Ja.‹ »›War es auf der einen Seite mit Hirse, und auf der anderen mit Honig beladen?‹ »›Ja! Aber du brauchst keine Einzelheiten mehr anzuführen. Es ist mein Kamel, und ich hab’s eilig. Wo hast du es gesehen?‹ »›Gesehen hab ich’s überhaupt nicht‹, sagt der Mann. »›Was? Ueberhaupt nicht gesehen? Wie kannst du’s denn so genau beschreiben?‹ »›Das ist ganz einfach! Wenn einer seine Augen zu benutzen weiß, so hat alles was er sieht, Sinn und Bedeutung; aber die meisten Leute wissen mit ihren Augen gar nichts anzufangen. Daß ein Kamel vorbeigelaufen war, wußte ich, weil ich seine Spur sah. Ich wußte, daß es auf dem rechten Hinterfuß lahmte, weil es diesen Fuß geschont hatte und leicht damit aufgetreten war. Das sah ich an der Spur. Auf dem linken Auge mußte es blind sein, weil es nur rechts vom Wege das Gras abgerupft hatte. Einen von den oberen Vorderzähnen mußte es verloren haben, weil in der Zahnspur im Grase eine Lücke war. Die Hirse war an der einen Seite herausgerieselt -- das erzählten mir die Ameisen; an der anderen Seite war Honig herniedergeträufelt -- das erzählten mir die Fliegen. Also wußte ich von deinem Kamel ganz genau Bescheid; aber gesehen hab’ ich’s nicht.‹« »Weiter, Massa Tom!« ruft Jim. »Das is ein riesig guter Geschicht, un mächtig intressant!« »Das ist alles,« sagt Tom. »Alles?« schreit Jim verblüfft. »Was werd denn aus die Kamel?« »Weiß ich nicht.« »Massa Tom, stehen nix von in das Geschicht?« »Nein.« Jim denkt kopfschüttelnd ’ne Minute nach; dann sagt er: »Warraftig! Das is der verflixteste Geschicht, wo ich kennen! Grad an die Platz, wo die Neugier werden gluhig heiß -- schwapp ab! Warraftig, Massa Tom, in ein Geschicht, der sich so benehmen tun, is kein Sinn nix un keine Verstand. Habbe Sie keine Idee nix, ob die Mann seinen Kamel wieder kriegen tun oder nix?« »Habe keine Ahnung.« Ich sah selber ein, in der Geschichte war kein Sinn und Verstand, denn was soll das heißen, daß es plötzlich alle ist, ehe es zum Schluß kommt? Aber ich wollte lieber nichts sagen, denn Tom machte schon ein ganz saures Gesicht, weil Jim richtig wieder den wunden Punkt von der Geschichte angetippt hatte, und ich find’s nicht schön, wenn sich alle auf einen stürzen, der schon unterliegt. Aber Tom dreht sich nach mir um und fragt: »Was meinst du denn zu der Geschichte?« Na, da mußte ich denn natürlich aus dem Loch heraus und Farbe bekennen; und so sagte ich, mir käm’ es auch so vor wie Jim: daß die Geschichte gerade in der Mitte abbräche und gar nicht zu Rande käme; und darum wär’s überhaupt nicht der Mühe wert, sie zu erzählen. Tom ließ sein Kinn auf die Brust sinken; aber er wurde nicht wild, wie ich gedacht hatte, als er mich seine Geschichte tadeln hörte, sondern er wurde bloß traurig und sagte: »Es gibt Leute, die sehen können, und es gibt welche, die’s nicht können -- gerade wie der Mann in der Geschichte sagte. Da könnte ’ne Windhose vorbeikommen geschweige denn ein Kamel -- _ihr_ Dämelsäcke würdet keine Spur davon sehen!« Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht und erklären tat er seine Worte nicht; es war wohl eine von seinen ›Irrulevanzen‹, wie er die Dinger selber nannte -- manchmal war er ganz voll von denen, nämlich besonders, wenn er in die Enge getrieben war und nicht wußte, wie er wieder ’rauskommen sollte. Aber ich machte mir weiter nichts draus. Wir hatten ihm einen aufgemutzt und der hatte gesessen -- davon konnte er nichts abstreiten. Und ich glaube, das wurmte ihn, obwohl er sich Mühe gab, sich nichts merken zu lassen. Achtes Kapitel. Zeitig am Morgen frühstückten wir etwas; dann guckten wir wieder auf die Wüste ’runter und das Wetter blieb fortwährend so mollig und warm, aber nicht heiß, obwohl wir nicht sehr hoch über der Erde schwebten. Nach Sonnenuntergang muß man nämlich immer tiefer herabsteigen, weil die Luft sich so schnell abkühlt; und so streicht man denn um die Zeit der Morgendämmerung ganz dicht über den Sand weg. Wir sahen zu, wie der Schatten unseres Ballons über den Boden hinglitt, und ließen dann und wann mal die Blicke über die Wüste streifen, ob sich nicht irgendwo was regte -- da sahen wir plötzlich unmittelbar unter uns eine Menge Menschen und Kamele auf dem Sande verstreut herumliegen. Und sie lagen so ruhig, wie wenn sie schliefen. Wir stellten die Bewegungskraft unseres Luftschiffs ab und hielten still, und da sahen wir, daß sie alle tot waren. Ein kalter Schauer überlief uns, wir wurden ganz kleinlaut und sprachen leise wie Leute bei ’nem Leichenbegängnis. Langsam ließen wir unser Schiff zur Erde nieder und hielten still; Tom und ich stiegen aus und gingen zu den Toten. Es waren Männer, Weiber und Kinder. Sie waren von der Sonne gedörrt und die Haut war zusammengeschrumpft und sah aus wie Leder -- genau wie die Abbildungen von Mumien, die man in den Büchern sieht. Und trotzdem sahen sie ganz menschlich aus, wie wenn sie nur schliefen -- wenn ich’s nicht selber gesehen hätte, ich würde es nicht glauben. Einige von den Menschen und Tieren waren zum Teil mit Sand bedeckt, die meisten aber nicht, denn der Sand bildete an jener Stelle nur eine dünne Schicht über felsigem Erdreich. Die Kleider waren ihnen fast gänzlich vom Leibe gefault; wenn man ein Stück Zeug anfaßte, blieb es einem zwischen den Fingern wie Spinnewebe. Tom meinte, sie müßten schon jahrelang dagelegen sein. Den Männern lagen zum Teil rostige Flinten zur Seite; andere waren mit Schwertern umgürtet und hatten lange Binden um den Leib gewickelt, in denen große silberbeschlagene Pistolen staken. Alle Kamele trugen noch ihre Lasten auf dem Rücken, aber die Bündel waren geborsten oder zerfallen und ihr Inhalt hatte sich über den Boden ergossen. Uns dünkte, die Toten könnten mit ihren Säbeln ja doch nichts mehr anfangen; deshalb nahm jeder von uns einen zu sich, dazu auch mehrere Pistolen. Auch nahmen wir ein kleines Kästchen, weil es so hübsch und mit so feiner Arbeit eingelegt war. Gern hätten wir dann die Leute begraben; aber obwohl wir lange darüber nachdachten, wollte uns nicht einfallen, wie wir das bewerkstelligen könnten, denn wir hatten bloß Sand zur Verfügung, und der wäre natürlich sofort wieder auseinandergefegt worden. Hierauf stiegen wir wieder in die Lüfte empor und segelten weiter, und gar bald war der schwarze Fleck auf dem Land außer Sicht und wir dachten, die armen Menschen da unten würden wir auf dieser Welt wohl niemals wiedersehen. Wir stellten allerlei Mutmaßungen auf, wie sie wohl an jene Stelle in der Wüste gekommen wären und was ihnen alles passiert sein könnte, aber wir wußten nicht, was wir daraus machen sollten. Zuerst dachten wir, vielleicht hätten sie sich verirrt und wären in der Wüste herumgezogen, bis ihr Essen und Trinken ihnen ausgegangen und sie verhungert und verdurstet wären; aber Tom sagte, weder wilde Tiere noch Geier hätten ihre Leichen angerührt, und deshalb könnte diese Vermutung nicht richtig sein. Schließlich gaben wir’s auf, uns den Kopf darüber zu zerbrechen, und nahmen uns vor, gar nicht mehr daran zu denken, denn es versetzte uns in eine traurige Stimmung. Dann öffneten wir das Kästchen: Edelsteine und Schmucksachen waren darin -- ein ganzer Haufen! Dazu auch mehrere kleine Schleier von derselben Art, wie wir sie an den toten Frauen bemerkt hatten; die Säume dieser Schleier waren mit sonderbaren Goldmünzen besetzt, wie wir sie nie in unserem Leben gesehen hatten. Wir überlegten voller Erstaunen, ob wir nicht lieber wieder umkehren und die Kostbarkeiten zurückgeben sollten; Tom bedachte sich aber die Sache noch einmal und sagte: nein! Die ganze Gegend wäre voll von Räubern und die würden die Sachen stehlen; und dann würde die Sünde auf uns fallen, weil wir sie in Versuchung gebracht hätten. So segelten wir denn weiter; ich dachte aber bei mir selber, am besten wär’s gewesen, wir hätten den Toten _alles_ abgenommen, was sie bei sich hatten; denn dann wäre es überhaupt nicht mehr möglich gewesen, daß andere Leute in Versuchung kamen. Wir waren da unten zwei Stunden lang in der sengenden Hitze gewesen und hatten einen fürchterlichen Durst, als wir wieder an Bord gingen. Wir stürzten uns auf unser Wasserfaß, aber das Wasser war schlecht geworden und bitter und außerdem recht hübsch heiß, so daß es uns beinahe den Mund verbrannte. Wir konnten es nicht trinken. Es war Mississippiwasser -- ›das beste der Welt‹ -- und wir rührten den Bodensatz auf, um mal zu sehen, ob das nicht vielleicht hülfe -- aber nein, der Schlamm machte das Wasser auch nicht besser! Na, so _übermäßig_ durstig waren wir vorher, solange uns das Schicksal jener verirrten Menschen interessierte, eigentlich nicht gewesen -- aber nun waren wir’s, und sobald wir sahen, daß wir nichts zu trinken haben konnten, da waren wir fünfunddreißigmal so durstig als ’ne Viertelminute zuvor. Wahrhaftig, es dauerte nicht lange, so sperrten wir vor Durst den Mund auf und keuchten wie Hunde. Tom sagte, wir müßten nur nach allen Himmelsrichtungen recht scharfen Ausguck halten, denn jedenfalls würden wir ’ne Oase finden oder es würde uns sonst irgendwas Merkwürdiges passieren. Das taten wir denn auch. Die ganze Zeit bestrichen wir mit den Ferngläsern den Horizont, bis unsere Arme so lahm waren, daß wir die Dinger nicht mehr halten konnten. So vergingen zwei Stunden -- drei Stunden -- wir guckten und guckten: aber da war nichts als Sand, Sand, _Sand_, und der flimmernde heiße Dunst zitterte über dem Erdboden. O je, o je! was es heißt, sich so recht hundeelend zu fühlen, das weiß man erst, wenn man fortwährend einen fürchterlichen Durst hat und dabei denkt, man wird überhaupt niemals mehr Wasser zu sehen kriegen. Zuletzt konnte ich’s nicht mehr aushalten, immerzu auf diese backofenheiße Ebene zu gucken; ich gab es auf und streckte mich auf der Bank aus. Auf einmal aber stößt Tom ’nen Jauchzer aus -- und richtig, da war das Wasser! Ein großer glänzender See, von schläfrig wiegenden Palmen umsäumt, die sich ganz wunderbar zart und fein im Wasser spiegelten. Es war eine tüchtige Entfernung bis zu dem See; aber was machte das uns aus? Wir zogen einfach den Knopf der Hundertmeilengeschwindigkeit, sodaß wir nach unserer Berechnung in sieben Minuten dort sein mußten. Der See blieb aber immerzu in derselben Entfernung; wir vermochten ihm nicht um Haaresbreite näherzukommen; auf mein Wort: er blieb immer glänzend und fern vor uns liegen wie ein Traumbild. Aber näher kamen wir nicht; und auf einmal -- war der See verschwunden! Tom riß die Augen ganz weit auf und rief: »Jungens, es war ’ne Fata Morgana!« Er sagte das, als ob’s ihn riesig freute; ich sah aber durchaus nichts, worüber er sich hätte freuen können und sagte: »Kann sein. Wie der See heißt, ist mir ganz schnuppe. Aber eins möchte ich wohl wissen: wo ist er hingekommen?« Jim schlotterte an allen Gliedern und hatte solchen Schreck gekriegt, daß er kein Wort sprechen konnte; aber ich sah ihm an, daß er genau dasselbe fragen wollte wie ich. »Wo er hingekommen ist?« rief Tom. »Na, ihr seht doch selber, daß er verschwunden ist!« »Na, das weiß ich. Aber _wohin_ ist er verschwunden?« Tom sieht mich von oben bis unten an und sagt: »Na, Huck Finn, wo sollte er denn wohl hingekommen sein? Weißt du denn nicht, was ’ne Fata Morgana ist?« »Nee. Was ist es denn für’n Ding?« »Nichts als Einbildung. ’s ist überhaupt nichts Reelles dran.« Es fuchste mich ein bißchen, daß er so ’nen Unsinn redete, und ich sagte: »Wie kannst du bloß so quatschen, Tom Sawyer? Hab’ ich denn nicht den See gesehen?« »Ja -- du glaubtest, du sähest ihn.« »Geglaubt hab’ ich ganz und gar nichts. Ich _hab’_ ihn gesehen!« »Ich sage dir, du hast ganz und gar nichts gesehen -- denn es war überhaupt nichts da.« Jim war ganz verblüfft, Tom so reden zu hören; er konnte nicht länger den Mund halten und sagte traurig und in flehendem Ton: »Massa Tom, bitte, bitte -- sagen nix so ’ne Sach’ in so ’ne schröcklicher Zeit wie nu! Sie riskier nix bloß ihr eigenes Haut, sonnern auch unsern sein -- grad wie Anna Nias un Siffira. Die See _waren_ da -- ich sahen ihm ganz genau so wie ich in diese Minuten Ihnen un Huck sehn tu!« »Was willst du denn, Jim?« ruf ich. »Tom sah ihn ja selber! Er war ja der Allererste, der ihn zu allererst sah! Na, also!« »Ja, Massa Tom, das is so -- Sie könn’ es nix leugnen. Wir sahen ihm alle, un das _beweisen_, ihm war da!« »Beweist? Wieso _beweist_ es das?« »So wie vor die Gerichte un überall, Massa Tom! Eine Mensch könnten betrunken sein oder was träumen oder in Dussel, un könnten sich irren -- un auch zwei könnten. Aber ich will Sie was sagen, Massa Tom: wenn drei ein Ding sehen, un sie sind nüchtern oder betrunken, denn is es so. Da kann Sie nix gegen sagen, Massa Tom, un das weiß Sie wohl!« »Ich weiß von nichts. Früher haben vierzigtausend Millionen Menschen existiert, die alle sahen, daß Tag für Tag die Sonne von der einen Seite des Himmels nach der anderen ’rüberwanderte. Bewies das, daß die Sonne sich wirklich bewegte?« »Natürlich bewiesen es! Un was brauchte das erst bewiesen zu sein? Wenn eine Mensch eine kleine bißchen Grips hat, wie kann sie zweifeln? Gucke Sie, Massa Tom -- da segeln sie über das Himmel, wie sie jeden lieben Tag tun!« Da dreht Tom sich nach mir um und sagt: »Und was sagst _du_ dazu -- steht die Sonne still?« »Tom Sawyer, was hat’s für’n Zweck, so ’ne quatschige Frage zu tun? Jeder, der nicht blind ist, kann sehen, daß die Sonne nicht still steht!« »Na ja!« ruft Tom. »Da segle ich nun hoch im Himmel herum mit zwei dummen Biestern, die von diesen Geschichten nicht mehr wissen als vor drei- oder vierhundert Jahren ein Universitätsrektor.« Das war nicht schön von Tom, daß er so was sagte, und ich gab ihm das auch zu verstehen. Ich sagte: »Mit Schimpfereien beweist du nichts, Tom Sawyer.« »O meine himmlische Güte! O meine gütige Barmherzigkeit! Das is das See wieder!« kreischt Jim gerade in diesem Augenblick. »Nu, Massa Tom, was will Sie nu sagen?« Jawohl, das war der See wieder! ganz fern hinten am Rand der Wüste, vollkommen deutlich mit Palmen und allem anderen, genau wie vorher. Ich sage: »Ich denke, nun bist du überzeugt, Tom Sawyer!« Aber er antwortete vollständig ruhig: »Ja, überzeugt, daß kein See da ist.« Da ruft Jim: »O, sprech Sie nix so, Massa Tom -- ich kriegen die Zitter, wenn Sie so reden. Es is so heiß un Sie haben so große Durst, daß Sie nix ganz wohl sein, Massa Tom. O, wie sieht doch das See schön aus! Ich können es gar nix mehr abwarten, daß wir da sein. Ich haben so fürchterliche Durst!« »Nu, du wirst eben warten müssen; und du wirst an dem See nicht viel Freude haben, denn ich sage dir: es ist gar kein See da!« »Jim!« sage ich; »laß den See nur nicht aus dem Auge; ich werde ebenfalls scharf hingucken, damit wir ihn nicht wieder verlieren.« »O, wie werden ich weggucken! Un wenn ich auch wollen, ich konnten es ja gar nix!« Wir flogen mit aller Geschwindigkeit auf den See zu, Meile auf Meile, wie wenn’s gar nichts gewesen wäre. Aber nicht um einen Zoll kamen wir ihm näher, und auf einmal -- da war er wieder weg! Jim schwankte auf den Füßen und wäre beinahe umgefallen. Als er endlich wieder zu Atem kam, schnappte er wie ein Fisch nach Luft und sagte: »Massa Tom -- es is ein _Gespenst_! Das is diese See, un ich hoffen zu die liebe Gott, wir sehen ihm nu nix mehr! Eine See _waren_ da un mit die See is was passieren un sie is tot geblieben un wir sahen seine Geist von diese See; wir sahen ihm zweimal un das is eine _Beweis_. Der Wüste is behext, ganz gewiß sein ihm behext! O, Massa Tom, laß uns fort. Lieber wollen ich sterben, als daß die Nacht uns überfallen in diese Wüste, un der Gespenst und das See kommen un packen uns wenn wir in Schlaf liegen un gar nix wissen, daß wir in eine Gefahr sein!« »Ein Gespenst, du Gänserich! Es ist weiter nichts als Luft und Hitze und die Einbildungskraft von ’nem Menschen, der großen Durst leidet. Wenn ich -- gib mir mal das Fernrohr!« Er nahm das Glas und fing aufmerksam an, nach rechts vor uns den Horizont zu beobachten. Schließlich sagte er: »Es ist ein Vogelschwarm; er fliegt nach Sonnenuntergang zu und wird unsern Kurs in gerader Linie kreuzen. Sie haben es eilig und fliegen nicht zu ihrem Vergnügen -- vielleicht suchen sie Nahrung oder Wasser oder beides zugleich. Steuerbord, Huck! Einen Schlag herum! So! Halt’ ein bißchen ’ran! Nun ist’s recht, -- vorwärts, geradeaus!« Wir mäßigten die Fahrgeschwindigkeit ein bißchen, um nicht bei den Vögeln vorbeizusegeln, und fuhren immer ein paar hundert Meter hinter ihnen her. Als wir anderthalb Stunden so gesegelt waren, wurden wir immer mutloser und unser Durst war rein unerträglich geworden. Da sagt Tom auf einmal: »Nehme mal einer von euch das Fernrohr und sehe, was da gerade vor den Vögeln ist!« Jim sah zuerst durch und plumpste halb ohnmächtig auf die Bank nieder. Ganz weinerlich schrie er: »Das is sie wieder, Massa Tom! Da is diese See, un nu wissen ich, ich müssen sterben, denn wenn eine Mensch einen Gespenst das dritte Mal sehen tun, dann sein es alles aus! O! Wenn ich doch nie un nie in diese Ballone gekommen wäre! O, nie un nie!« Er wollte gar nicht mehr durchs Fernrohr gucken, und seine Worte machten mir ebenfalls Angst, denn ich wußte, er hatte ganz recht; genau so geht es mit Gespenstern immer zu. Und darum wollte ich auch nicht durchgucken. Wir baten beide Tom, er möchte doch abstoppen und in ’ner anderen Richtung segeln, aber das wollte er nicht; er sagte sogar, wir seien alle beide unwissende, abergläubische Windbeutel. Jawohl! dachte ich bei mir selber, das wird ihm recht bald schlecht bekommen; daß er Geister auf solche Weise beleidigt. ’ne Zeitlang sehen sie’s vielleicht geduldig mit an, aber immer lassen sie sich es nicht gefallen; denn wer auch bloß ein bißchen mit Geistern Bescheid weiß, der weiß, wie empfindlich und leicht beleidigt und wie rachsüchtig sie sind. So waren wir denn alle drei ruhig und still: Jim und ich, hatten Angst, und Tom machte sich mit dem Steuerapparat zu schaffen. Nach ’ner kleinen Weile ließ er das Luftschiff ganz stillstehen und sagte: »Na, nun mal den Kopf hoch und euch umgeschaut, ihr Wasserköpfe!« Wir taten’s, und richtig -- da war Wasser gerade unter uns! Klar und blau und kalt und tief, und von einer leichten Brise gekräuselt -- der reizendste Anblick, den man sich nur denken kann. Die Ufer waren ringsherum mit Gras und Blumen bewachsen, mit schattigen Wäldchen von großen Bäumen bestanden, zwischen denen sich Weinreben rankten. Und alles sah so friedlich und so gemütlich aus -- so wunderschön, daß man hätte geradezu laut herausweinen mögen. Jim weinte wirklich und tanzte dazu und heulte dann wieder, so dankbar war er und vor Freuden ganz außer sich. Ich hatte die Wache und mußte daher an Bord bleiben; aber Tom und Jim kletterten runter und tranken jeder ein Faßvoll und ließen mir auch was zukommen, und ich habe in meinem Leben Manches genossen, was gut schmeckte, aber nichts, was sich mit diesem Wasser auch nur annähernd vergleichen ließe! Dann gingen Tom und Jim ins Wasser und schwammen ein Stückchen; hierauf kam Tom an Bord und löste mich ab, und ich schwamm mit Jim in den See hinaus. Dann löste Jim wieder Tom ab, und ich und Tom veranstalteten einen Wettlauf und ein kleines Boxen. Und ich glaube, so wohlig hab’ ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt. Die Hitze war gar nicht so übermäßig, weil es schon auf den Abend zuging; außerdem hatten wir nicht ein einziges Stück Zeug an. Kleider sind ja ganz schön und gut in der Schule und in Städten und meinetwegen auch auf Bällen, aber es wäre ja gar kein Sinn und Verstand drin, Kleider zu tragen, wenn keine Zivilisation mit all ihrem Getue und Genörgele in der Nähe ist. Auf einmal schreit Jim: »Löwen! Löwen kommen! Schnell, Massa Tom! Lauf was du kannst, Huck!« O, wie rannten wir! Wir hielten uns nicht mal damit auf, unsere Kleider aufzunehmen, sondern walzten, hast du nicht gesehen!, auf die Strickleiter los. Jim verlor völlig den Kopf -- das geht ihm nämlich immer so, wenn er in Aufregung und Angst gerät. Anstatt den Ballon ein kleines bißchen höher steigen zu lassen, so daß die Bestien die Leiter nicht mehr erreichen konnten, ließ er die ganze Kraft los, und hoch in den Himmel sausten wir hinauf, an unserer Strickleiter baumelnd! Zum Glück merkte er sofort, was für einen Unsinn er gemacht hatte. Er stoppte also ab; nun hatte er aber völlig vergessen, was er zunächst zu tun hatte -- und da hingen wir denn oben in der Luft, so hoch, daß die Löwen wie Schoßhündchen aussahen, und trieben vor dem Winde. Aber Tom kletterte an Bord, stellte den Steuerapparat wieder richtig und ließ den Ballon langsam zur Erde hinunter und zwar wieder nach dem See zurück, wo ’ne Menge Bestien versammelt waren, wie wenn sie da Biwak halten wollten. Ich dachte, er hätte gerade wie Jim seinen Kopf verloren, denn er wußte doch, daß ich vor Angst nicht die Strickleiter ’raufklettern konnte. Er wollte mich doch nicht etwa mitten zwischen den Löwen und Tigern auf den Erdboden setzen? Aber nein -- in seinem Kopf war alles richtig, er wußte ganz genau, was er wollte. Er ließ den Ballon nieder, bis er ungefähr dreißig oder vierzig Fuß über dem Wasserspiegel schwebte und genau über der Mitte hielt er still und rief: »Laß los und hops’ hinein!« Das tat ich; mit den Füßen voran schoß ich ins Wasser, und es kam mir vor, als tauchte ich ’ne Meile, bis ich auf den Grund kam; und als ich wieder nach oben kam, sagte Tom: »Nun leg’ dich auf den Rücken und laß dich treiben, bis du dich ausgeruht und wieder deine ganze Schneid beisammen hast; dann will ich die Leiter bis ins Wasser ’runterlassen, und du kannst an Bord klettern.« So machte ich es denn. Na, und diese Strategik war riesig schlau von Tom; denn wenn er nach irgend ’ner anderen Stelle gesegelt wäre und mich da auf den Sand gesetzt hätte, so wäre die ganze Menagerie ebenfalls dahin gelaufen, und so hätten sie uns vielleicht nach einer sicheren Stelle herumsuchen lassen, bis ich schließlich schwindlig geworden und von der Leiter gefallen wäre. Und während dieser ganzen Zeit stritten die Löwen und Tiger sich um unsere Kleider, und versuchten sich so darin zu teilen, daß jeder von ihnen etwas kriegte; aber es gab fortwährend Meinungsverschiedenheiten unter ihnen, indem alle Augenblicke irgend eine Bestie sich mehr anzueignen versuchte, als auf ihren Anteil kam. Es dauerte nicht lange, so gab es wieder Aufruhr, und so etwas wie diesen Anblick hat die Welt noch nicht erlebt! Es müssen ihrer ein Stücker fünfzig gewesen sein, alle in einem wilden Kuddelmuddel, fauchend, brüllend, schnappend, beißend, kratzend -- Beine und Schwänze hoch in die Luft, und man konnte die einzelnen Biester nicht mehr unterscheiden, und rings um sie herum stoben Haare und Sand. Und als sie fertig waren, da lagen mehrere tot da, andere humpelten verwundet davon und die übrigen saßen auf dem Schlachtfeld ’rum. Die einen beleckten ihre Wunden, die anderen guckten zu uns empor, als ob sie uns einladen wollten, wir möchten doch ’runterkommen und den Spaß ein bißchen mitmachen. Aber wir dankten für den Spaß -- wir brauchten keinen. Von Kleidern war nichts, aber auch rein gar nichts mehr vorhanden. Die Bestien hatten sie bis auf den letzten Fetzen verschlungen; und ich glaube, sie dürften ihnen nicht sonderlich gut bekommen sein, denn es waren eine beträchtliche Menge Messingknöpfe dran, und in den Taschen befanden sich Messer, Rauchtabak, Nägel, Kreide, Marmeln, Angelhaken und andere solche Sachen. Aber mir war’s einerlei. Nur das machte mich ein bißchen nachdenklich, daß wir jetzt bloß des Professors Kleider hatten. Die Auswahl war ja allerdings reich genug, aber die einzelnen Stücke waren nicht gerade danach gemacht, um mit ihnen in Gesellschaft zu gehen -- für den Fall, daß wir einer begegnet wären. Denn die Hosen waren so lang wie Eisenbahntunnel und die Röcke usw. dementsprechend. Schließlich brauchten wir aber doch bloß ’nen Schneider, um das alles in Ordnung zu bringen, und Jim hatte so ’nen kleinen Begriff von der Schneiderkunst, und er sagte, er könnte uns wohl ein paar Anzüge zurecht machen, die uns einstweilen genügen würden. Neuntes Kapitel. Ehe wir weiter segelten, hatten wir aber noch ein kleines Geschäftchen zu besorgen, und zu diesem Zweck mußten wir doch mal den Löwen und Tigern ’nen Besuch abstatten. Der größere Teil von des Professors Mundvorrat bestand in Büchsenkonserven von einer gerade damals erfundenen neuen Art; der Rest war frisches Fleisch. Nun, wenn man Missouribeefsteak nach der Großen Sahara mitnimmt, so muß man ein bißchen vorsichtig damit umgehen und sich in den kühleren Luftschichten halten. Wir dachten daher bei uns selber, es wäre am besten, wenn wir die Löwenversammlung besuchten und mal sähen, was da zu machen wäre. Wir zogen die Strickleiter ein und ließen das Luftschiff sinken, bis wir gerade über den Bestien waren; dann ließen wir ein Tau mit ’ner Schlinge nieder und haspelten einen toten Löwen an Bord, einen kleinen zarten, und außer diesem noch einen jungen Tiger. Wir mußten die Versammlung mit dem Revolver in respektvoller Entfernung halten, sonst hätten die verehrlichen Tiere sich an dem Spaß beteiligt und uns ein bißchen geholfen. Wir schnitten uns von den beiden Tieren einen guten Vorrat herunter, zogen ihnen die Felle ab und warfen den Rest über Bord. Dann versahen wir einige von des Professors Angelhaken mit Ködern von dem frischen Fleisch und fingen an zu fischen. Wir schwebten gerade in der richtigen Entfernung über dem Seespiegel und fingen eine Menge von den reizendsten Fischen, die man sich nur denken kann. Nachher hatten wir ein ganz großartiges Abendessen: Löwensteak, Tigerschnitzel, gebackene Fische und warme Maiskuchen. Was Besseres verlange ich meiner Lebtage nicht. Zum Nachtisch hatten wir Obst. Dieses kriegten wir aus der Krone eines riesengroßen Baumes. Es war ein sehr schlanker Baum, der vom Fuß bis zum Wipfel nicht ’nen einzigen Ast hatte; oben aber brach er auseinander wie ein Flederwisch. Natürlich war’s ein Palmbaum; ’nen Palmbaum kennt jedermann in der ersten Minute, wo er ihn sieht, nach den Abbildungen. Wir suchten in diesem Palmenwipfel nach Kokosnüssen -- aber ’s gab keine, sondern da waren bloß große Bündel von ’ner Art von überlebensgroßen Weintrauben, aber es waren auch keine Trauben, sondern Datteln, wie Tom uns erklärte; denn die Beschreibungen in Tausend und einer Nacht und in den anderen Büchern, sagte er, paßten ganz genau auf sie. Natürlich konnten wir nicht wissen, ob’s wirklich welche waren; sie konnten ja auch giftig sein. Darum mußten wir denn ein Weilchen warten und aufpassen, ob die Vögel von diesen Früchten äßen. Sie taten’s, und darum taten wir’s auch und sie schmeckten über alle Maßen gut. Inzwischen waren riesengroße Vögel herangekommen und hatten sich auf den toten Bestien niedergelassen. Es waren freche Geschöpfe; sie zerrten ganz munter am einen Ende von ’nem toten Löwen, an dessen anderem ein andrer Löwe nagte. Wenn der Löwe den Vogel wegjagte, nützte ihm das auch nicht viel; sobald der Löwe wieder am Knabbern war, war auch der Vogel an seinem Ende schon wieder da. Es war seltsam und unnatürlich anzusehen, wie Löwen Löwenfleisch fraßen; wir dachten, vielleicht wären sie nicht miteinander verwandt, aber Jim sagte, das machte keinen Unterschied. Eine Sau, sagte er, fräße auch mit Vorliebe ihre eigenen Kinder, und ’ne Spinne machte es gerade so; und er meinte, vielleicht wäre auch ein Löwe annähernd ebenso grundsatzlos, wenn auch nicht ganz so schlimm. Ein Löwe würde wahrscheinlich nicht seinen eigenen Vater fressen -- vorausgesetzt, daß er ihn erkannt hätte, -- aber seinen Schwager z. B. würde er doch wohl verspeisen, wenn er ganz besonders hungrig wäre, und seine Schwiegermutter würde unter allen Umständen dran glauben müssen. Aber das alles waren Mutmaßungen, mit denen nichts bewiesen wurde. Man kann die Zeit berechnen, wann die Kuh nach Hause kommen muß -- aber ob sie wirklich kommt, das ist ’ne andere Frage. Darum gaben wir’s denn auch auf und zerbrachen uns nicht länger den Kopf darüber. Für gewöhnlich war’s sehr still in diesen Wüstennächten, aber diesmal hatten wir Musik. Eine ganze Schar von anderen Tieren kam zum Mahl; schleichende Kläffer, die, wie Tom uns erklärte, Schakale waren, und andere, bucklige: Hyänen. Und diese ganze Gesellschaft unterhielt ein unaufhörliches Gebell. In dem Mondschein boten sie einen ganz eigenartigen Anblick. Wir hatten unser Luftschiff mit einem Seil an einem Baumwipfel festgemacht und brauchten deshalb keine Wache zu halten, sondern legten uns alle zum Schlafen hin. Aber zwei- oder dreimal war ich auf, um mir die Biester anzusehen und ihre Musik anzuhören. Ich saß sozusagen mit ’nem Freibillet auf dem ersten Rang in ’ner Menagerie. Sowas war mir in meinem Leben noch nie passiert, und deshalb wäre es ja ’ne Dummheit gewesen zu schlafen und die Gelegenheit nicht nach Möglichkeit auszunutzen; denn wer konnte wissen, ob sie sich mir jemals wieder bieten würde? Mit dem Morgengrauen fingen wir wieder Fische; nachher faulenzten wir den ganzen Tag im tiefen Schatten einer Insel; indessen hielten wir abwechselnd Wache, damit nicht irgend ’ne Bestie uns auf den Hals käme und sich ’nen Erronauter zum Mittagessen holte. Wir hatten die Absicht, den nächsten Tag weiter zu fahren, konnten’s dann aber doch nicht übers Herz bringen -- es war zu reizend! Als wir endlich am dritten Tag himmelwärts flogen und nach Osten davonsegelten, konnten wir die Augen nicht von dem lieblichen Ort wenden, bis er nur noch als ein kleines Fleckchen in der Wüste erschien, und ich kann versichern, uns war gerade so zu Mute, wie wenn wir auf Nimmerwiedersehen von einem lieben Freunde Abschied nähmen. Jim hatte schon ’ne Zeitlang nachdenklich vor sich hingeguckt; zuletzt sagte er: »Massa Tom, wir sein nu bald an die Ende von die Wüste, denken ich.« »Warum?« »Nu, das sagen uns doch bissel Vernunft! Sie weiß, wie lange wir schon über sie gondeln tun. Muß aus lauter Sand gemachen sein. Sand müssen ein Ende nehmen, denn wo sollen die viele Sand herkommen?« »Unsinn! ’s gibt Sand genug auf der Welt -- darum brauchst du keine Sorgen zu haben!« »O, habben ich keine Sorgen nix, Massa Tom. Aber ich wundere mir. Die liebe Gott haben viele Sand, daran zweifle ich nix; aber ihm werden doch gewiß seine Sand nix _verschwenden_! Un ich sagen: dies Wüste is nu viel groß genug, so wie sie sein, un größer können sie nix werden, wenn nix liebe Gott seine Sand verschwenden.« »O, laß dich begraben! Wir sind auf unserer Reise über die Wüste kaum erst ein hübsches Stück über den Anfang weg. Die Vereinigten Staaten sind ein recht tüchtig großes Land, nicht wahr? Nicht wahr, Huck?« »Ja,« sag’ ich, »größere Länder gibt’s überhaupt nicht, so viel ich weiß.« »Na, diese Wüste ist ungefähr so groß wie die Vereinigten Staaten, und wenn du sie oben auf unser Land legtest, so wäre von diesem nichts mehr zu sehen -- gerad’ wie wenn du ’n Tuch drübergedeckt hättest. Ein kleines Eckchen würde da oben bei Maine ’rausgucken und auch im Nordwesten eins, und Florida würde herausragen wie’n Schildkrötenschwanz -- aber das wäre alles. Vor’n paar Jahren haben wir ja Kalifornien den Mexikanern abgenommen; dieser Teil von der Pazifikküste ist also jetzt auch unser, und wenn ihr die Große Sahara so hinlegtet, daß ihr Rand genau am Stillen Ozean entlang liefe, so würde sie die ganzen Vereinigten Staaten bis New York bedecken und noch ein sechshundert Meilen breites Stück vom Altlantischen Ozean obendrein!« »O du himmlische Güte!« ruf’ ich. »Hast du das schwarz auf weiß gesehen, Tom Sawyer?« »Jawohl, ich kann’s dir sogar schwarz auf weiß zeigen. Sieh’ selber in diesem Buch nach. Mit der Wüste könntest du jeden Quadratzoll von den Vereinigten Staaten zudecken und unter den überschießenden Teil könntest du England, Schottland, Irland, Frankreich, Dänemark und Deutschland ’reinstopfen. Jawoll! Die Heimat der Braven und all die anderen Länder könntest du mit der Großen Sahara zudecken und hättest noch ’ne hübsche Menge Quadratmeilen reinen Sand über!« Wir unterhielten uns noch lange über die Ausdehnung der Wüste, und je mehr wir sie mit diesem und jenem und sonst ’nem Ding verglichen, desto nobler und gewaltiger und großartiger kam sie uns vor. Schließlich fand Tom aus seinen Zahlentabellen ’raus, daß sie genau so groß ist wie das chinesische Reich. Dann zeigte er uns, was für ’nen großen Raum das Kaiserreich China auf der Landkarte einnimmt und was für ein großes Stück von der ganzen Welt chinesisch ist. Man konnte sich’s wirklich kaum vorstellen, und ich rief unwillkürlich: »Ich hab’ ja von dieser Saharawüste schon oft sprechen hören, aber nie hab’ ich ’ne Ahnung gehabt, wie bedeutend sie ist!« »Bedeutend?« sagte Tom. »Die Sahara bedeutend! Ja, so reden die Leute! Wenn etwas groß ist, ist es bedeutend! Danach beurteilen sie alles; sie sehen immer bloß den Umfang. Nun, sieh dir mal England an. Das ist das allerbedeutendste Land auf der Welt; und dies Land könntest du in Chinas Westentasche stecken und nicht nur das -- du würdest es in dieser Westentasche ’ne verflixt lange Zeit zu suchen haben, wenn du’s das nächste Mal brauchtest. Nun sieh dir auch mal Rußland an. Das dehnt sich nach allen Seiten aus und hat trotzdem auf dieser Welt nicht mehr zu bedeuten als Rhode Island, und du findest in ganz Rußland nicht halb so viel wie in Rhode Island, was des Suchens wert ist.« In der Ferne erblickten wir jetzt einen kleinen Hügel, der gerade am Ende der Welt stand. Tom unterbrach sich, griff ganz aufgeregt nach dem Fernrohr, sah hindurch und rief: »Das ist er -- das ist ganz bestimmt gerade der, nach dem ich schon lange ausgeschaut habe! Ganz gewiß ist das der Berg, in den der Derwisch den Mann hineinführte, um ihm all die Schätze zu zeigen.« Wir guckten natürlich uns den Berg ganz genau an, und Tom begann uns die Geschichte davon zu erzählen, wie sie in Tausend und einer Nacht steht. Zehntes Kapitel. Tom sagte, die Sache hätte sich folgendermaßen zugetragen: »Ein Derwisch wanderte durch die Wüste; es war ein sengend heißer Tag und er ging zu Fuß und hatte schon seine tausend Meilen hinter sich und war sehr arm und hungrig und abgerissen und müde, und hier in der Gegend, wo wir jetzt sind, begegnete er einem Kameltreiber mit hundert Kamelen und bat ihn um ein Almosen. Der Kameltreiber sagte aber, er möchte ihn entschuldigen, leider könnte er ihm nichts geben. »›Gehören dir denn nicht diese Kamele?‹ fragte der Derwisch. »›Ja, sie gehören mir.‹ »›Hast du Schulden?‹ »›Wer -- ich? Nein!‹ »›Nun, ein Mann, der hundert Kamele besitzt und keine Schulden hat, der ist reich -- und nicht nur reich, sondern sogar sehr reich. Nicht wahr?‹ »Der Kameltreiber räumte ein, dies sei richtig. Da sagte der Derwisch: »›Gott hat dich reich gemacht und Er hat mich arm gemacht. Er hat Seine Gründe und sie sind weise -- gesegnet sei Sein Name! Aber Er hat befohlen, daß Seine Reichen Seinen Armen helfen und du hast dich von mir, deinem Bruder, in seiner Not abgewandt; Er wird dir das gedenken und es wird zu deinem Schaden sein.‹ »Dem Kameltreiber wurde unbehaglich zumute, als er diese Worte hörte; er war aber von Natur gewaltig aufs Geld erpicht und mochte nicht einen Cent missen. So begann er denn zu winseln und allerlei Entschuldigungen vorzubringen: es seien harte Zeiten, er habe zwar eine volle Ladung nach Balsora zu befördern, und bekomme dafür ein schönes Stück Geld, aber er könne in Balsora keine Rückfracht erhalten und darum werde seine Reise ihm nichts Rechtes einbringen. So machte denn der Derwisch sich wieder auf seinen Weg und sagte zum Abschied bloß: »›Na, meinetwegen -- wenn du’s riskieren willst. Aber ich glaube, diesmal hast du ’nen Irrtum gemacht und ’ne gute Gelegenheit verpaßt.‹ »Natürlich wollte nun der Kameltreiber wissen, was für ’ne Gelegenheit er verpaßt hätte, denn es hätte ja Geld dabei zu verdienen sein können. Er lief daher dem Derwisch nach und bat ihn so lange und so inständig, er möchte doch Mitleid mit ihm haben, daß der Derwisch zuletzt nachgab und sagte: »›Siehst du den Berg dort hinten? In jenem Berge sind alle Schätze der Erde, und ich suchte gerade einen Mann mit einem recht guten milden Herzen und einem edlen hochsinnigen Charakter; denn wenn ich so einen Mann finden könnte, so hab’ ich hier ’ne Salbe bei mir, die ich auf seine Augen streichen würde; er könnte dann alle Schätze sehen und sie aus dem Berge hervorholen.‹ »Da kam der Kameltreiber in riesige Aufregung; er weinte und bat und ließ nicht nach, warf sich auf seine Kniee nieder und rief, er sei gerade so ein Mann, wie ihn der Derwisch suche, und er könne tausend Zeugen beibringen, die alle bestätigen würden, daß die Beschreibung ganz über alle Maßen genau auf ihn zutreffe. »›Nun, dann meinetwegen!‹ sagte der Derwisch. ›Wenn wir deine hundert Kamele beladen, kann ich dann die Hälfte von ihnen abbekommen?‹ »Der Kameltreiber war so vergnügt, daß er kaum an sich halten konnte; und er rief: »›Das soll ein Wort sein!‹ »Sie schüttelten sich also zur Bekräftigung des Handels die Hände, und der Derwisch holte seine Büchse heraus und rieb dem Kameltreiber mit der Salbe das rechte Auge ein: Da tat sich der Berg auf und er ging hinein, und richtig -- da lagen Haufen neben Haufen, Goldstücke und Juwelen, die funkelten, wie wenn alle Sterne vom Himmel heruntergefallen wären. »Der Derwisch und der Kameltreiber machten sich nun fix an die Arbeit und beluden jedes Kamel mit einer Last, so schwer es sie nur zu tragen vermochte; dann nahmen sie Abschied von einander und jeder von ihnen zog mit seinen fünfzig von dannen. Aber es dauerte nur einen ganz kleinen Augenblick, da kam der Kameltreiber dem Derwisch nachgelaufen, holte ihn ein und sagte: »›Du lebst ja doch eigentlich nicht unter den Menschen und darum brauchst du wirklich nicht all die Schätze, die du gekriegt hast. Willst du nicht so gut sein, mir zehn von deinen Kamelen abzulassen?‹ »›Na,‹ sagt der Derwisch, ›was du da sagst, ist ja ganz vernünftig; dagegen kann ich nichts einwenden.‹ »Er tat es also; sie nahmen wiederum Abschied, und der Derwisch zog mit seinen vierzig weiter. Aber gleich darauf läuft der Kameltreiber wieder mit Halloh hinter ihm her und fängt an zu winseln und zu betteln, er möchte ihm doch noch zehn Kamele geben, denn mit dreißig Kamelladungen Gold und Juwelen könnte ein Derwisch sich ganz gut durchs Leben schlagen. Bekanntlich leben ja die Derwische sehr einfach und haben keine eigene Wohnung, sondern ziehen in der Welt ’rum und quartieren sich bald hier bald dort ein. »Aber damit war’s noch nicht zu Ende. Der gemeine Hund kam immer und immer wieder, bis er sich alle Kamele zusammengebettelt hatte und die sämtlichen hundert besaß. Dann war er zufrieden und sogar riesig dankbar und sagte, er wollte es dem Derwisch sein Lebenlang nicht vergessen, und niemand sei je zuvor so gut gegen ihn gewesen und so freigebig; so schüttelten sie sich denn die Hände, sagten sich Lebewohl und gingen auseinander, der eine hierhin und der andere dorthin. »Aber wißt ihr -- es waren noch keine zehn Minuten verstrichen, da war der Kameltreiber schon wieder unzufrieden -- er war das allergemeinste Reptil in sieben Grafschaften -- und kam wieder hinter dem Derwisch hergerannt. Und diesmal wünschte er, der Derwisch solle ihm auch auf sein anderes Auge ein bißchen von der Salbe streichen. »›Warum?‹ fragte der Derwisch. »›O! Du weißt schon!‹ antwortete der Kameltreiber. »›Was denn?‹ »›Na, mir kannst du nichts weismachen!‹ sagt der andere. ›Du möchtest mir irgendwas verheimlichen, das weißt du selber recht gut. Ich denke mir aber, wenn ich die Salbe auch auf dem anderen Auge hätte, so könnte ich ’ne ganze Menge noch viel wertvollere Sachen sehn. Also bitte -- streich’ sie mir auf!‹ »Sagt der Derwisch: »›Ich habe dir nicht das allergeringste verhehlt. Aber ich will dir sagen, was dir geschehen würde, wenn ich dir die Salbe auf das linke Auge striche: du würdest niemals wieder sehen können -- du wärest stockblind bis ans Ende deiner Tage.‹ »Aber, versteht ihr, das Biest wollte ihm nicht glauben. Nein, er bettelte und bettelte und winselte und flennte, bis zuguterletzt der Derwisch seine Büchse aufmachte und ihm sagte, er möchte sich die Salbe selbst aufstreichen, wenn er’s durchaus wollte. Der Mann tat es und richtig -- in Zeit von ’ner Minute war er so blind wie ’n Maulwurf. »Da lachte der Derwisch ihn aus und verhöhnte ihn und sagte: »›Leb wohl! Ein Blinder braucht kein Gold und keine Juwelen.‹ »Dann machte er sich mit seinen hundert Kamelen davon und der Blinde mußte arm und elend und hilflos bis an sein Lebensende in der Wüste umherirren.« Jim sagte, er wollte wetten, das wäre ’ne gute Lehre für ihn gewesen. »Ja,« sagte Tom, »und ’ne Lehre, wie’s die allermeisten sind, die man kriegt. Sie nützen einem nichts, weil derselbe Vorfall einem niemals wieder passieren wird, ja gar nicht passieren kann. Als damals Hen Scovil den Schornstein ’runterfiel und sich das Rückgrat brach, daß er für immer krumm blieb, da sagte ein jeder, es würde ’ne Lehre für ihn sein. Was für ’ne Lehre denn? Was konnte er mit der Lehre anfangen? Er konnte nicht mehr in Schornsteine ’raufkriechen und hatte kein Rückgrat mehr zu brechen.« »Aber einerlei, Massa Tom, es sein doch was Wahres dran, daß eine von die Erfahrung klug werden. In die Gute Buch stehen: die gebrannte Kind tun den Feuer scheuen.« »Nu ja, ich leugne ja nicht, daß etwas ’ne gute Lehre sein kann, wenn’s was ist, was zweimal passieren kann. Es gibt ’ne Masse solche Sachen, und dadurch gerade wird ’n Mensch erzogen, wie Onkel Abner immer zu sagen pflegte; aber es gibt vierzig Millionen Sachen von der andern Sorte -- Sachen, die nie sich zweimal auf dieselbe Weise zutragen -- und die haben absolut keinen reellen Wert, die lehren einen Menschen genau so wenig, wie wenn er die Pocken kriegt. Wenn man sie mal erst hat, so nützt es einem nichts, daß es einem klar wird, man hätte sich sollen impfen lassen; und sich nachträglich impfen zu lassen, hat auch keinen Zweck, weil man die Pocken bloß einmal kriegt. Andererseits, sagte Onkel Abner, lernt einer, der mal ’nen Bullen an den Schwanz gefaßt hat, sechzig- oder siebzigmal so viel wie einer, der das nicht getan hat, und einer, der mal ’ne Katze am Schwanz nach Hause gezerrt hätte, sagte Onkel Abner, der lernte dadurch allerlei, was ihm mal von Nutzen sein würde und was sich nie in seiner Erinnerung verwischen würde. Aber ich kann dir sagen, Jim: auf _die_ Leute, die aus allem immer ’ne Lehre ziehen wollen, auf die war Onkel Abner nicht gut zu sprechen; denn es wäre doch nicht einerlei, ob ...« Aber Jim war eingeschlafen. Tom guckte ein bißchen verlegen drein, denn es ist ja immer ein unangenehmes Gefühl, wenn man etwas ganz besonders Schönes sagt und wenn man denkt, der andere hört ganz andächtig und bewundernd zu, und wenn dann der andere ganz mir nichts dir nichts einschläft. Natürlich hätte er nicht einschlafen sollen -- denn das ist schäbig; aber je schöner jemand redet, desto sicherer schläfert er den anderen damit ein, und wenn man sich die Sache richtig überlegt, so hat eigentlich keiner von ihnen schuld -- oder sie haben alle beide schuld. Auf einmal fing Jim an zu schnarchen -- zuerst sanft und süß, dann ein langes Sägen, hierauf ein noch stärkeres und dann ein halbes Dutzend ganz fürchterliche Schnarcher, wie wenn in ’ner Badewanne der letzte Rest Wasser in das Abflußloch hineingesaugt wird -- hierauf dieses letzte halbe Dutzend noch einmal, aber noch stärker und mit etlichen Schnörkeln verziert, wie wenn ’ne Kuh in den letzten Zügen liegt -- und wenn ein Mensch _so_ schnarcht, so hat er den Höhepunkt der Leistung erreicht und kann einen aufwecken, der in der nächsten Straße mit ’nem Eimer voll Opium im Leibe schläft, aber er selber wacht nicht auf, obwohl der ganze gräßliche Spektakel keine drei Zoll von seinen Ohren entfernt ist. Und das ist, wie mich dünkt, das Allersonderbarste dabei. Aber reibe ein Streichholz an, um das Licht anzuzünden, und dieses leise Geräusch wird ihm in die Glieder fahren! Ich möchte wohl wissen, was der Grund hiervon ist, aber der läßt sich, wie’s scheint, nicht feststellen. Unser Jim schnarchte also, daß er die ganze Wüste in Aufruhr brachte; auf Meilen in der Runde stürzten die wilden Tiere aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um zu sehen, was denn da oben in der Luft los sei; kein Mensch und kein Tier und kein Ding war dem Lärm so nahe wie Jim selber, und doch war er in der ganzen Gegend das einzige Geschöpf, das sich nicht dadurch stören ließ. Wir schrieen und brüllten ihn an -- nützte alles nichts; aber sowie ein leises ungewohntes Geräusch gemacht wurde, da wachte er auf. Wahrhaftig, ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen und Tom auch, aber wir haben’s nicht herausbringen können, warum ein Schnarcher sich nicht schnarchen hört. Jim sagte, er habe nicht geschlafen; er habe bloß die Augen zugemacht, um besser zuhören zu können. Tom sagte, ihm hätte ja niemand einen Vorwurf gemacht. Da machte Jim ein Gesicht, wie wenn er wünschte, er hätte lieber gar nichts gesagt. Und ich glaube, er wollte die Unterhaltung auf was anderes bringen, denn auf einmal fing er an, über den Kameltreiber herzuziehen. Er ließ kein gutes Haar an ihm, und ich mußte ihm recht geben; und den Derwisch erhob er bis in den siebenten Himmel, und auch darin mußte ich ihm beistimmen. Tom aber sagte: »Das weiß ich denn doch nicht so gewiß. Ihr nennt den Derwisch so fürchterlich freigebig und gut und selbstlos -- aber ich bin davon nicht so ganz überzeugt. Er suchte in der Wüste nicht nach ’nem andern armen Derwisch, nicht wahr? Oder? Nee, fiel ihm gar nicht ein. Wenn er so selbstlos war -- warum ging er nicht einfach selber in den Berg, nahm ’ne Tasche voll Juwelen ’raus und ging damit zufrieden weiter? Aber nein -- was er suchte, das war ein Mann mit hundert Kamelen. Er wollte so viele Schätze fortschleppen, wie er nur irgend konnte.« »Abers, Massa Tom, ihm wollten doch teilen -- ehrliche halb und halb! ihm wollten bloß fufzig Kamele haben!« »Weil er wußte, daß er sie schließlich doch alle hundert kriegen würde.« »Massa Tom, er sagten abers zu die Mann, das Salbe täte ihm blind machen tun!« »Ja, weil er den Charakter des Mannes kannte. Es war gerade die Sorte von ’nem Mann, wonach er gesucht hatte -- ein Mann, der nie an eines andern Wort oder Ehrlichkeit glaubt, weil er selber gar nicht weiß, was ein wahres ehrliches Wort ist. Ich glaube, es gibt viele Leute, die’s genau so machen, wie dieser Derwisch. Sie gaunern nach rechts und nach links, aber richten es immer so ein, daß es so aussieht, als ob gerade der andere der Gauner sei. Sie bleiben stets innerhalb des Buchstabens der Gesetze, und darum kann man sie nie erwischen. _Sie_ legen nicht die Salbe auf -- o nein! Das wäre ja Sünde! Aber sie wissen den anderen so an der Nase zu führen, daß er sich selber damit beschmiert -- und dann hat er sich eben selber blind gemacht. Ich glaube, der Derwisch und der Kameltreiber waren ein edles Brüderpaar: ein schlauer, gerissener, verschmitzter Schurke und ein plumper, roher, unwissender -- aber Schurken alle beide, der eine wie der andere!« »Massa Tom, glauben Sie, daß es auf diese Welt noch so ein Salben geben tun?« »Ja, Onkel Abner sagt, es gibt welche. In New York, sagt er, haben sie sie und sie schmieren sie dem Landvolk auf die Augen und zeigen ihnen alle Eisenbahnen von der Welt und sie fallen drauf ’rein und schaffen sie ’ran; und dann reiben sie sich auch das andere Auge mit der Salbe ein und der kluge Mann sagt ihnen Adieu und geht mit ihren Eisenbahnen ab. Na, hier sind wir beim Schatzberg! Tiefer mit dem Ballon!« Wir landeten, aber es war nicht so interessant, wie ich erwartet hatte, weil wir nämlich die Stelle nicht finden konnten, wo sie ’reingegangen waren, um die Schätze zu holen. Immerhin war es noch sehr interessant, auch nur den Berg zu sehen, wo eine so wunderbare Geschichte sich zugetragen hatte. Jim sagte, er hätte nicht für drei Dollars bei dem Berg vorbeifahren mögen, ohne sich ihn näher anzusehen, und ich war ganz derselben Meinung. Aber das Allerwundervollste war für mich und Jim, wie Tom in so’n großes fremdes Land kam wie dies und einfach geradeswegs auf so ’nen kleinen Steinhaufen lossegeln und ihn in ’ner Minute aus ’ner Million von anderen geradeso aussehenden Bergen ’rauskennen konnte, und ohne irgend welche fremde Hilfe, bloß durch sein eigenes Wissen und seine eigene Schläue. Wir besprachen das lange Zeit, konnten aber nicht ’rausbringen, wie er’s anfing. Er hatte den besten Kopf, den ich je gesehen, und ihm fehlte weiter nichts als das richtige Alter, um sich ’nen Namen zu machen wie Kapitän Kidd, der große Seeräuber, oder George Washington. Ich will wetten, die wären alle beide in ’ner häßlichen Verlegenheit gewesen -- trotz all ihrer Klugheit -- wenn sie den Berg hätten ausfindig machen sollen. Aber für Tom Sawyer war das ganz und gar nichts; der ging quer über die Sahara drauf los und tippte ihn mit dem Finger an -- so leicht, wie man ’nen Nigger aus ’nem Haufen Engelein ’rauskennen würde. Ganz in der Nähe fanden wir einen Salzwasserteich, von dessen Rändern wir einen Vorrat Salz einsammelten; damit rieben wir die Löwen- und die Tigerhaut ein, so daß sie sich halten konnten, bis Jim Zeit kriegte, sie richtig zu gerben. Elftes Kapitel. Einen Tag oder zwei strolchten wir nach unserem Behagen in den Lüften herum, und dann, gerade als der Vollmond den Erdboden auf der anderen Seite der Wüste berührte, sahen wir eine Reihe von kleinen schwarzen Gestalten quer an der großen silberglänzenden Scheibe vorüberziehen. Man sah sie so deutlich, wie wenn sie mit Tinte auf den Mond aufgezeichnet gewesen wären. Es war wieder ’ne Karawane. Wir stellten unseren Apparat auf mäßige Geschwindigkeit und fuhren hinter ihr her, bloß um ein bißchen Gesellschaft zu haben, obwohl wir dadurch eigentlich von unserem Wege abkamen. Diese Karawane war ein ganz mächtig großes Ding und ein großartiger Anblick war’s am andern Morgen, als die Sonne flammend über die Wüste schien und die langen Schatten der Kamele langbeinig-knickebeinig in Prozession über den goldenen Sand hinmarschierten. Wir kamen der Karawane niemals ganz nahe, weil wir mit solchen Sachen jetzt besser Bescheid wußten und nicht mehr friedfertigen Leuten die Kamele bange machen und ihre Karawane in Unordnung bringen wollten. Es war der bunteste lustigste Zug, den man sich nur denken kann, alles in reichen Gewändern und fein herausgeputzt. Einige von den Häuptlingen ritten auf Dromedaren; es waren die ersten, die wir je in unserem Leben sahen, und mächtig große Viecher, die wie auf Stelzen gehen und den Mann, der auf ihnen sitzt, beträchtlich schütteln und ihm das Essen, das er im Leibe hat, ganz gehörig durcheinander rütteln; aber sie reiten ein ganz famoses Tempo und ein Kamel kann es an Schnelligkeit auch nicht annähernd mit ihnen aufnehmen. Den mittleren Teil des Tages über hielt die Karawane Lagerruhe; in den Nachmittagsstunden zog sie weiter. Es dauerte nicht lange, so fing die Sonne an, ganz merkwürdig auszusehen -- erst wie Messing, dann wie Kupfer und schließlich wie eine blutrote Kugel; die Luft wurde heiß und beklemmend und im Nu war der ganze westliche Himmel verdunkelt und dunstig, daß es ganz fürchterlich anzusehen war -- so wie wenn man ihn durch ’nen roten Glasscherben ansieht. Wir sahen ’runter und bemerkten, daß in der Karawane ein großer Wirrwarr herrschte, ein Hin- und Herlaufen, wie wenn die Leute eine entsetzliche Angst hätten. Und auf einmal warfen Menschen und Tiere sich platt auf den Boden nieder und lagen da vollständig still. Gleich darauf sahen wir etwas herankommen. das sah aus wie eine riesig hohe Wand, und reichte von der Wüste in den Himmel empor, daß die Sonne dahinter verschwand, und es kam heran wie ein heiliges Donnerwetter. Dann wehte eine ganz schwache Brise uns an, dann wurde der Wind stärker und auf einmal flogen Sandkörner uns in’s Gesicht, die brannten uns wie Feuerfunken, und Tom schrie auf: »’s ist ein Sandsturm -- dreht ihm den Rücken zu!« Das taten wir; und ’ne Minute später blies es uns an wie ein Orkan und der Sand flog wie mit Schaufeln geworfen gegen uns an, und die Luft war so dick, daß wir überhaupt nichts mehr sehen konnten. Binnen fünf Minuten war unser Luftschiff bis an den Rand voll, und wir saßen auf unseren Bänken, bis ans Knie in Sand begraben, und bloß unsere Köpfe guckten oben ’raus und wir konnten kaum noch Luft kriegen. Dann wurde der Sturm schwächer und der Sand dünner und wir sahen, daß die ungeheure Wand quer über die Wüste weitersegelte -- und es war fürchterlich anzusehen, das kann man mir wohl glauben! Wir wühlten uns aus dem Sand ’raus und sahen nach der Erde hinunter -- und an der Stelle, wo vorher die Karawane gewesen war, da war jetzt gar nichts mehr als bloß der Sandozean, und alles war still und ruhig. All die Menschen und Kamele waren erstickt und tot und begraben -- begraben unter einer Sandschicht, die nach unserer Schätzung zehn Fuß tief sein mußte, und Tom meinte, es könnte Jahre dauern, ehe der Wind sie wieder bloßlegte, und all die Zeit über würden ihre Freunde nicht wissen, was aus der Karawane geworden wäre. Und Tom sagte: »Jetzt wissen wir auch, was den Leuten passiert war, denen wir die Säbel und Pistolen abnahmen.« Ja, so verhielt sich’s ganz genau -- das war uns jetzt so klar wie der helle Tag. Sie wurden in einem Sandsturm begraben, und die wilden Tiere konnten nicht an sie ’rankommen, und der Wind deckte sie nicht eher wieder auf, als bis sie zu lederartigen Mumien vertrocknet und nicht mehr zu essen waren. Mir war’s damals so vorgekommen, als sei uns das Schicksal jener armen Menschen so tief zu Herzen gegangen und habe uns so traurig gemacht, wie sich’s nur denken läßt -- aber das war ein Irrtum von uns: der Untergang dieser zweiten Karawane ging uns tiefer zu Herzen, _viel_ tiefer! Nun, das kam davon, daß die andern eben völlige Fremde für uns gewesen waren; so hatten wir denn gar nicht das Gefühl gehabt, als seien wir überhaupt mit ihnen bekannt gewesen -- ausgenommen vielleicht ein bißchen mit dem Mann, der das Mädchen in seinen Armen zu schützen gesucht hatte. Aber mit dieser letzten Karawane war es ganz was anderes! Wir hatten eine ganze Nacht und beinahe einen vollen Tag um sie herumgeschwebt, und da hatten wir ein wirklich freundschaftliches Gefühl für sie gefaßt; sie waren für uns Bekannte geworden. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß es kein besseres Mittel gibt, herauszufinden, ob Leute einem lieb oder zuwider sind, als daß man mit ihnen zusammen eine Reise macht. Genau so ging es uns mit diesen. Sie gefielen uns eigentlich gleich von Anfang an, und im Verlauf der Reise gewannen wir sie wirklich lieb. Je länger die Reise dauerte, und je mehr wir mit ihren Manieren vertraut wurden, desto besser gefielen sie uns und desto größer wurde unsere Freude, daß wir sie getroffen hatten. Einige von ihnen kannten wir bald so genau, daß wir sie bei ihren Namen nannten, wenn wir von ihnen sprachen, und wir gingen schließlich so vertraulich mit ihnen um, daß wir sogar das ›Herr‹ oder ›Fräulein‹ fortließen und einfach ihre Namen nannten, wenn wir von ihnen sprachen; und das klang ganz und gar nicht unhöflich, sondern im Gegenteil ganz natürlich. Selbstverständlich waren es nicht ihre richtigen Namen, sondern die Namen, die wir ihnen beigelegt hatten. Da war Herr Alexander Robinson und Fräulein Adaline Robinson, Oberst Jacob Mc Dougal und Fräulein Harriet Mc Dougal und Richter Jeremiah Butler und der junge Buschrod Butler, und diese Herrschaften waren meistens große Häuptlinge mit prachtvollen großen Turbanen und Handscharen, und angezogen wie der Groß-Mogul, nebst ihren Familienmitgliedern. Aber sobald wir sie recht kannten, und sie so gern hatten, da gab’s für uns kein ›Herr‹, ›Richter‹ oder dergleichen mehr, sondern bloß Alex und Addy und Jake und Nattie, Jerry, Buck usw. Als sie ihr Lager aufschlugen, da hielten auch wir unmittelbar über ihnen still, tausend oder zwölfhundert Fuß hoch in der Luft. Als sie ihre Mahlzeit verzehrten, da speisten wir auch, und es war wirklich ein behagliches Gefühl, uns dabei in ihrer Gesellschaft zu wissen. Während der Nacht feierten sie eine Hochzeit, und Buck und Addy wurden miteinander verheiratet; da putzten wir uns zur Feier dieses festlichen Anlasses mit des Professors schönsten Kleidern heraus, und als bei ihnen das Tanzen losging, da schwangen wir oben in unserer Höhe auch ein bißchen das Tanzbein. Aber am allernächsten werden die Menschen doch durch Kummer und Leid zusammengebracht, und so ging es auch uns, als sie am nächsten Morgen in der ersten Dämmerung einen begruben. Wir wußten nicht, wer der Abgeschiedene war, und er war ja nicht mit uns verwandt, aber das machte gar keinen Unterschied; er gehörte zur Karawane -- das genügte, und es wurden keine aufrichtigeren Tränen über seinem Grabe vergossen, als die unsrigen, die aus einer Höhe von elfhundert Fuß herabfielen. Ja, der Abschied auf ewig, den wir von dieser Karawane nahmen, war viel bitterer, als der Abschied von jenen anderen Toten, die im Vergleich mit diesen nur Fremde für uns waren, und die zudem schon so lange tot waren. Aber diese hatten wir bei Lebzeiten gekannt und hatten sie gern gehabt -- und nun kam der grimmige Tod und riß sie vor unsern Augen weg und wir blieben mitten in der großen Wüste so einsam und verwaist -- das tat uns so weh und wir wünschten, wir möchten auf unserer Reise lieber gar keine Freunde mehr gewinnen, wenn wir sie auf solche Art wieder verlieren sollten. Als wir am nächsten Morgen erwachten, war’s uns ein bißchen fröhlicher ums Herz; denn wir hatten großartig gut geschlafen, weil Sand das allerbequemste Bett auf der ganzen Welt ist, und ich begreife nicht, warum Leute, die’s haben können, sich nicht eine solche Ruhestatt leisten. Außerdem ist Sand auch ein schrecklich guter Ballast; unser Ballon war nie zuvor so ruhig gesegelt wie jetzt. Tom meinte, wir hätten wohl zwanzig Tonnen Sand an Bord, und dachte darüber nach, was wir wohl am besten damit anfangen könnten; es war guter Sand und es schien uns unvernünftig zu sein, ihn fortzuschmeißen. Da sagte Jim: »Massa Tom, können wir nix mit ihm zu Hause nehmen un die Sand verkaufen? Wie große Zeit brauchen wir zu die Reise?« »Das kommt auf den Weg an, den wir fahren.« »Nu, Massa Tom, die Sand is zu Haus mehr als eine Viertel Dollar for die Wagenladung wert, un ich glauben, wir haben zu ’s allermindeste zwanzig Wagenladungen. Wieviel würden die machen?« »Fünf Dollars.« »Bei Jingo, Massa Tom, laß Sie uns auf die Stelle zu Haus reisen! Das machen ja mehr als annerthalb Dollars auf jede von unsere drei Köpf -- nich?« »Ja.« »Na! Das is doch so leicht Geld verdient, wie ich in meine Leben nie nix erleben tun! Die Sand is ja bloß so ’reingeregnet -- kost uns nix ’n bissel Arbeit. Laß Sie uns gleich hinfahren, Massa Tom!« Aber Tom dachte nach und rechnete so eifrig und so aufgeregt, wie ich ihn nie gesehen habe. Und nach ’nem kleinen Augenblick sagte er: »Fünf Dollars -- pah! Hört mal zu: dieser Sand ist wert ... wert ... na, er ist ’n ganz kolossalen Haufen Geld wert!« »Wie denn, Massa Tom? Erzähl Sie, süßes Herrchen, erzähl Sie!« »Na -- sobald die Leute wissen, ’s ist _echter_ Sand aus der _echten_ Wüste Sahara, da werden sie sich sofort in den Kopf setzen, sich ein bißchen davon zu verschaffen und es als Kuriosität in ’ner Phiole mit ’nem Zettel dran auf den Nippstisch zu stellen. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als ihn in Phiolen zu füllen, über den ganzen Vereinigten Staaten ’rumzugondeln und ihn zu zehn Cents das Stück zu verhökern. Wir haben in unserem Schiff für mindestens zehntausend Dollars Sand!« Ich und Jim sprangen vor Freuden beinahe in Stücke und sangen: »Hupjamborihu!« und Tom sagte: »Und wir brauchen ja bloß wieder zurückzusegeln und neuen Sand zu holen und das immer fortzusetzen, bis wir zuletzt die ganze Wüste ’rübergeschafft und phiolenweise verkauft haben; und Konkurrenz brauchen wir nicht zu befürchten, denn wir lassen uns einfach ein Patent darauf geben.« »Himmlische Güte!« rief ich. »Wir werden ja so reich sein wie Kreosot -- was, Tom?« »Ja -- wie Kresus, meinst du. Hört mal -- der Derwisch suchte in jenem kleinen Berg nach den Schätzen der ganzen Welt und wußte nicht, daß er tausend Meilen weit auf lauter wirklichen Schätzen gegangen war. Er war blinder als der Kameltreiber durch ihn wurde!« »Massa Tom -- wie sehr reich, mein’ Sie, daß wir werden tun?« »Ja, das weiß ich noch nicht. Das muß erst ausgerechnet werden -- und das ist gar nicht so leicht, denn es sind mehr als vier Millionen Quadratmeilen Sand zu zehn Cents die Phiole.« Jim war fürchterlich aufgeregt, aber diese letzte Bemerkung gab ihm einen beträchtlichen Dämpfer. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Massa Tom -- all die Violen können wir nix beschaffen -- kein König nix hat so viele Violen. Wir mussen lieber nix die ganze Wüste wollen haben -- Massa Tom, die Violen wer’n uns zu Grunden richten, warraftig!« Toms Erregung ließ jetzt ebenfalls bedeutend nach und ich dachte, es sei von wegen der Phiolen -- aber nein. Er saß da und dachte, und sein Gesicht wurde immer saurer und finsterer, und zuletzt sagte er: »Jungens -- die Sache wird nicht gehen. Wir müssen sie aufgeben!« »Warum denn, Tom?« »Wegen der Zollgebühren. So oft man über eine Grenze kommt -- ’ne Grenze ist der Rand von einem Lande, wie ihr wohl wißt -- so findet man dort ein Zollamt; und dann kommen die Zollbeamten heran und wühlen einem in den Sachen herum und erheben eine hohe Gebühr davon -- und wenn wir nicht die Gebühr bezahlen, so beschummeln sie uns um unsern Sand. Sie nennen das ›konfiszieren‹ -- aber damit können sie keinem Menschen was weismachen -- es ist ganz einfach beschummeln. Wenn wir nun versuchen, den Sand auf dem Wege heimzubringen, auf dem wir jetzt sind, so müssen wir über so viele Grenzen wegsteigen, daß wir bald müde sein werden -- denn da kommt Grenze hinter Grenze: Aegypten, Arabien, Hindustan usw., und an jeder stehen sie mit ihrer Zollgebühr bereit. Ihr seht also klar und deutlich: diesen Weg können wir nicht segeln!« »Nu, Tom,« sagte ich, »wir können doch einfach über ihre ollen Grenzen wegsegeln. Wie sollten _die_ uns daran hindern?« Er sah mich betrübt an und sagte ganz ernst: »Huck Finn -- meinst du, daß das ehrlich sein würde?« Derartige Unterbrechungen hasse ich, darum erwiderte ich gar nichts darauf, und Tom fuhr fort: »Na, der andere Weg ist uns ja ebenfalls versperrt. Wenn wir den Weg zurücksegeln, den wir gekommen sind, so ist da das New Yorker Zollamt, und das ist schlimmer als alle anderen zusammen, von wegen der Fracht, die wir führen.« »Warum?« »Ja, Saharasand können sie in Amerika natürlich nicht produzieren; und auf alles, was dort nicht produziert werden kann, beträgt die Zollgebühr vierzehntausend Prozent, wenn man versucht, es aus dem Ursprungsland einzuführen.« »Da liegt ja gar kein Sinn und Verstand drin, Tom Sawyer!« »Wer hat denn das behauptet? Wie kannst du so zu mir sprechen, Huck Finn? Warte doch ab, bis ich sage, es sei Sinn und Verstand drin, ehe du solche Beschuldigungen gegen mich erhebst!« »Schon gut, Tom! Nimm an, ich bereue und beweine meinen Fehler. Weiter!« Da sagt Jim: »Massa Tom -- packen Sie diese Gebühre auf alle Dinge, wo nix in Amerrika waxen un mach Sie gar nix keine Unterschied nix?« »Nee, das tun sie nicht.« »Massa Tom -- is nix die Segen von liebe Herrgott die wertvölligste Ding auf diese Welt?« »Ja, das ist er.« »Stehen nix das Preddiger auf die Kanzel un ruf die Segen nieder auf die Volk?« »Ja.« »Wo kommen die Segen her?« »Vom Himmel.« »Jawoll -- da hab Sie ganz recht -- ganz recht, mein süßes Herrchen -- die Segen komm’ von die Himmel un die Himmel is eine fremde Land. Nu -- nehm’ sie auch Zollgebühr von die Segen?« »Nein, das tun sie nicht.« »Natürlich tu’ sie nix! Un so is es klar, daß Sie sich tun irren, Massa Tom! Sie nehm’ doch ganz gewiß nix Gebühr von armselige Sand, die keine Mensch zu haben brauchen un lassen die beste Ding, wo niemand ohne sein können, frei von die Gebühr!« Da saß Tom Sawyer fest! Er sah auch wohl selber ein, daß Jim ihn gefaßt hatte und daß er sich nicht rühren konnte. Allerdings versuchte er sich herauszuwinden, indem er sagte, sie hätten bloß _vergessen_, auch darauf eine Abgabe zu legen, aber ganz gewiß würden sie bei der nächsten Kongreßtagung daran denken und sie nachträglich einführen -- aber das war nur eine armselige lahme Ausrede, und Tom wußte es ganz gut. Er sagte, es gäbe außer diesem einzigen nichts Ausländisches, was nicht mit ’ner Zollgebühr belegt wäre, und darum müßten sie diese Abgabe ebenfalls festsetzen, denn sonst wären sie nicht konsistent oder konsequent, und Konsistenz wäre die erste Regel in der Politik. Er blieb dabei, sie hätten’s bloß aus Versehen ausgelassen und würden sich ganz gewiß beeilen, dies Versehen wieder gut zu machen, ehe man sie darob ertappte und auslachte. Aber ich hatte für seine Auseinandersetzungen kein Interesse mehr, da wir nun doch mal mit unserem Sand nichts mehr anfangen konnten; denn das machte mich ganz niedergeschlagen und Jim auch. Tom versuchte uns wieder aufzuheitern, indem er sagte, er wollte eine andere Spekulation ausdenken, die für uns gerade so gut und noch besser wäre -- aber das half nichts, denn wir konnten nicht glauben, daß irgend eine andere so großartig sein könnte. Es war wirklich sehr hart für uns: vor einer ganz kleinen Weile noch waren wir so reich, hätten uns ein ganzes Land kaufen und ’n Königreich drin einrichten können -- und jetzt waren wir wieder so arm und so ordinär und saßen da mit all unserm Sand. Vorher hatte der Sand so reizend ausgesehen, wie lauter Gold und Diamanten, und er war so weich und so seidig und so angenehm anzufühlen gewesen -- aber jetzt konnte ich nicht mal seinen Anblick mehr ertragen; es machte mich ganz krank, ihn bloß zu sehen, und ich wußte, mir würde nicht eher wieder wohl sein, als bis wir den Krempel los wären, der uns fortwährend daran erinnerte, was wir hätten sein können und nun nicht mehr waren. Den andern beiden war ganz genau so zumute wie mir. Das merkte ich ihnen an und sie wurden auf einmal ganz lustig, als ich ihnen sagte: »Laßt uns das ganze Zeug über Bord werfen!« Na, das war ja nun ’ne ganz tüchtige Arbeit, und darum teilte Tom sie im Verhältnis zu unserer verschiedenen Stärke ein. Er sagte, er und ich sollten jeder ein Fünftel von dem Sand über Bord schaffen und Jim die andern drei Fünftel. Dem Jim gefiel diese Einteilung aber nicht recht und er sagte: »Natürlich sein ich die Stärkste un will auch meine Teil größer mach’ -- abber bei Jingo: Sie lad’ ein bissel zu viel auf alte Jims Buckel -- tu’ Sie nix, Massa Tom?« »Na, das glaub’ ich eigentlich nicht, Jim; aber du kannst ja selber sagen, wie die Arbeit verteilt werden soll und nachher können wir dann sehen.« Jim meinte nun, es sei nicht mehr als recht und billig, wenn Tom und ich jeder _ein Zehntel_ von der Arbeit täten. Tom drehte sich um und verzog seinen Mund zu einem Grinsen, das sich nach Westen zu über die ganze Sahara bis an den Atlantischen Ozean erstreckte. Dann wandte er sich wieder zu Jim und sagte, die Einteilung sei ganz schön und gut und er sei ganz damit einverstanden, wenn sie Jim ebenfalls recht sei. Jim war sie recht. So maß denn Tom unsere zwei Zehntel im Bug des Schiffes ab und den Rest bekam Jim. Und es überraschte den guten Jim sehr als er sah, wie groß der Unterschied war und was für eine fürchterliche Menge Sand auf seinen Anteil kam. Er sagte, er sei doch mächtig froh, daß er zur rechten Zeit den Mund aufgetan habe, und daß der erste Vorschlag abgeändert worden sei; denn selbst so wie’s jetzt sei, meinte er, möchte auf seinen Teil wohl mehr Sand als Vergnügen kommen. Dann fingen wir an. Es war ’ne mächtig heiße Arbeit und dazu sehr langwierig; sie war tatsächlich so heiß, daß wir zu ’ner kühleren Luftschicht aufsteigen mußten, sonst hätten wir’s einfach nicht aushalten können. Tom und ich lösten uns ab, und der eine ruhte sich immer aus, während der andere arbeitete, aber niemand war da, um den armen Jim abzulösen, und er machte diesen ganzen Teil von Afrika naß, so schwitzte er. Wir konnten nicht recht arbeiten, weil wir fortwährend lachen mußten, und Jim wollte immerzu wissen, warum wir alle Augenblicke laut herausprusteten. Da mußten wir denn irgend einen Vorwand ersinnen, und unsere Vorwände waren wirklich recht kümmerlich, aber schließlich genügten sie, denn Jim glaubte uns. Als wir endlich mit unserem Teil fertig waren, da waren wir halb tot, aber nicht von der Arbeit, sondern vom Lachen. Jim war beinahe ganz tot, aber von der Arbeit; da lösten wir ihn denn abwechselnd ab, und er war uns dafür so dankbar, wie wir nur wünschen konnten; er setzte sich aufs Dollbord und trocknete sich den Schweiß ab und keuchte und schnaufte und sagte, wie gut wir doch zu ’nem armen alten Nigger wären und er wollt’s uns nie vergessen. Er war immer der dankbarste Nigger, den ich je gesehen habe, mochte man ihm auch nur die geringste Gefälligkeit erwiesen haben. Nigger war er überhaupt nur äußerlich -- innerlich war er so weiß wie du und ich. Zwölftes Kapitel. Unsere nächsten Mahlzeiten waren recht sandig, aber das macht nichts aus, wenn man hungrig ist; und wenn man nicht hungrig ist, so hat man ja vom Essen doch keinen Genuß und nach meiner Meinung kommt’s auf so’n kleines Sandkörnchen im Essen überhaupt nicht an. Endlich kamen wir an den Ostrand der großen Wüste, indem wir einen nordöstlichen Kurs einhielten. Fern am Rande des Sandes, in einem zarten rosenroten Licht, sahen wir drei kleine scharfe Dächer wie Zelte sich abheben und Tom sagte: »Das sind die ägyptischen Pyramiden!« Da fing aber mein Herz an zu puppern! Ich hatte ja so manches, manches Bild von ihnen gesehen und hatte hundertmal von ihnen erzählen hören -- aber als ich sie so ganz plötzlich vor mir sah und fand, daß sie _wirklich_ existierten und nicht bloß in der Phantasie, da stand mir vor Ueberraschung beinahe der Atem still. Es ist sonderbar -- je mehr man von ’nem großartigen Ding oder Menschen hört, desto mehr nimmt es sozusagen was Traumhaftes an und wird schließlich zu ’ner übergroßen verschwommenen Figur aus lauter Mondschein, aber ohne ’nen soliden Inhalt. Gerade so ist’s mit George Washington -- und so ist’s auch mit den Pyramiden. Außerdem war es mir immer so vorgekommen, als ob die Geschichten, die man von den Pyramiden erzählte, zum größten Teil ganz gewaltige Uebertreibungen seien. Da war mal einer, der kam zu uns in die Sonntagsschule und hatte ein Bild von ihnen und hielt ’ne Rede drüber und sagte, die größte Pyramide bedeckte eine Fläche von dreizehn Morgen und wäre beinahe fünfhundert Fuß hoch; sie wäre ein richtiger steiler Berg, aufgebaut aus lauter Steinblöcken, die so groß wären wie ’ne Kommode und in regelmäßigen Reihen lägen wie Treppenstufen. Na, dreizehn Morgen für ein einziges Gebäude -- das ist ja ’ne Farm! Wär’ ich nicht in der Sonntagsschule gewesen, so hätte ich die Geschichte für ’ne Lüge gehalten; und sobald ich draußen war, hielt ich sie auch wirklich dafür. Und er sagte, in der Pyramide wäre ein Loch und man könnte mit Fackeln da hineingehen und dann immer einen langen schrägen Tunnel hinauf, bis man schließlich zu einem großen Raum mitten im Bauch dieses Berges käme und da fände man einen großen Steinkasten mit ’nem König drin -- und der wär’ viertausend Jahre alt! Als ich das hörte, sagte ich bei mir selber: wenn das keine Lüge ist, will ich den König sehen, d. h. wenn er da ist; denn _so_ alt war ja nicht mal Methusalem, und kein Mensch denkt daran, viertausend Jahre alt werden zu wollen. Als wir ein bißchen näher herankamen, sahen wir auf einmal den gelben Sand mit einem langen graden Rand aufhören -- ganz scharf abgeschnitten wie ein großes Tuch -- und mit dem Rand an diesen Sand anstoßend ein weites Land von hellem Grün, durch das ein langer heller Streifen sich in Schlangenwindungen hindurchzog, und Tom sagte, das sei der Nil. Da fing mein Herz wieder an zu puppern, denn der Nil war auch so ein Ding, das ich eigentlich nie für Wirklichkeit gehalten hatte. Nun, so viel ist todsicher: wenn man über dreitausend Meilen gelben Sandes weggegondelt ist, wenn dieser Sand so von Hitze flimmert, daß einem vom bloßen Hinsehen das Wasser aus den Augen läuft, und wenn man beinahe ’ne ganze Woche über diesem Sand war -- dann wird einem das grüne Land wie Heimat und Himmel erscheinen und es wird einem _wieder_ das Wasser aus den Augen laufen. So ging es mir und so ging’s auch Jim. Und als Jim merkte, daß er wirklich auf Aegyptenland ’runterguckte, da wollte er nicht stehend in dieses Land hineinsegeln, sondern er warf sich auf seine Kniee und nahm den Hut ab, denn für einen armen alten Nigger, sagte er, schicke es sich nicht, anders in ein Land zu kommen, wo Moses und Joseph und Pharao und die andern Propheten gelebt hätten. Jim war Presbyterianer und hatte einen sehr tiefen Respekt vor Moses, der, wie er sagte, ebenfalls ein Presbyterianer gewesen war. Er war ganz aus dem Häuschen und rief: »Das is die Aegyptenland, die Aegyptenland! -- un ich dürfen sie mit meine eigene Augen ansehn! Un da is die Fluß, das zu Blut wurden, un ich sehen auf dieselbige Stellen ’runter, wo die Pest un die Läusen un die Froschen un die Hauschrecken un die Hagel gewesen sein tun -- un wo die Türpfosten gezeichnet war un die Engel des Herrn kam un schlugen allen Erstgeburt in ganze Aegyptenland. Alte Jim is nix würdig, diesen Tag zu sehn!« Und dann warf er sich hin und weinte vor lauter Dankbarkeit. Da gab es denn zwischen ihm und Tom ein langes Gespräch: Jim war aufgeregt, weil das Land so voll von Weltgeschichte war: von Joseph und seinen Brüdern, von Moses in den Binsen, von Jakob, der nach Aegypten kam, um Korn zu kaufen, vom silbernen Becher im Sack und von all den anderen interessanten Sachen. Und Tom war gerade so aufgeregt, weil das Land so voll von Weltgeschichte war, die in _sein_ Fach schlug: von Nurreddin und Bedreddin und ähnlichen ungeheuren Riesen, bei deren Beschreibung Jims Wollhaar zu Berge stand, und von ’ner ganzen Menge anderer Leute aus Tausend und einer Nacht, die nach meiner Meinung nicht die Hälfte von all dem getan haben, was sie getan haben wollen! Dann erlebten wir eine Enttäuschung, denn es erhob sich ein Frühnebel und wir durften nicht über ihn hinwegsegeln, weil wir sonst gewiß auch über ganz Aegypten weggesegelt wären. Wir hielten’s daher für das beste, nach dem Kompaß in geradem Kurs auf die inzwischen immer mehr im Dunst verschwindenden Pyramiden zuzuhalten, so dicht wie möglich über dem Boden hinzufahren und scharf Ausguck zu halten. Tom nahm das Steuer, ich stand neben ihm, um, wenn’s nötig wäre, den Anker auszuwerfen, und Jim hockte auf dem Bug, um mit den Augen durch den Nebel zu bohren und etwaige Gefahren rechtzeitig zu bemerken. Wir fuhren ein stetiges Tempo, aber nicht sehr schnell, und der Nebel wurde dicker und dicker -- so dick zuletzt, daß von Jim nur noch schwache Umrisse zu erkennen waren. Es war beängstigend still und wir sprachen leise und waren aufgeregt. Ab und zu rief Jim: »Eine Strich höcher ’rauf, Massa Tom, eine Strich höcher!« und dann ließ Tom das Schiff ein paar Fuß höher steigen, und wir fuhren scharf über das flache Dach einer Lehmhütte weg und über die Leute, die gerade eben aufgestanden waren und noch gähnten und sich streckten. Einmal hatte ein Bursche sich auf seinen Hinterbeinen so recht hoch aufgerichtet, um besser gähnen und sich strecken zu können; der bekam von unserer Gondel einen Puff in den Rücken, daß er auf den Bauch fiel. So verging ungefähr eine Stunde; alles war totenstill und wir spitzten unsere Ohren und hielten den Atem an, damit uns kein Laut entginge; da, ganz auf einmal wurde der Nebel ein bißchen dünner, und Jim schrie in fürchterlicher Angst: »O, um die liebe Heiland willen, steuer Sie rückwärts, Massa Tom! Hier is die größte Riese aus die Tausendste Nacht un kommen auf uns los!« Und damit fiel er rücklings in die Gondel hinein. Tom stürzte sich auf einen Hebel und gab dem Schiff Gegenkraft, und als wir infolgedessen plötzlich stillstanden -- da guckte ein Menschengesicht so groß wie unser Haus daheim in unsere Gondel und ich fiel um und war tot. Denn ich muß wirklich ’ne Minute lang oder so tot gewesen sein. Schließlich kam ich wieder zu mir und da hatte Tom ’nen Bootshaken in die Unterlippe des Riesen eingehakt und hielt damit den Ballon fest, und dabei hatte er den Kopf hintenübergelegt und sah mit einem langen festen Blick das fürchterliche Riesenantlitz an. Jim lag auf den Knieen und sah mit gefalteten Händen das Ding an und bewegte betend die Lippen, konnte aber keinen Ton hervorbringen. Ich warf bloß einen Blick auf den Riesenkopf und wollte gerade wieder in Ohnmacht fallen, da sagte Tom: »Es ist ja gar nicht lebendig, ihr Narren! Es ist die Sphinx.« Nie hab’ ich Tom so klein gesehen -- er sah wahrhaftig nicht größer aus als ’ne Fliege, aber das kam davon, daß der Riesenkopf so schrecklich groß war. Groß und schrecklich, ja, das war er -- aber er machte einem doch keine Angst mehr, denn man konnte wohl sehen, daß es ein edles, beinahe trauriges Antlitz war und daß es gar nicht an uns Menschlein dachte, sondern an was Anderes, Größeres. Es war aus Stein, rötlichem Stein, und Nase und Ohren waren verstümmelt, so sah es aus, als ob es mißhandelt sei, und das tat einem unwillkürlich in der Seele weh. Wir hielten ein Stück von dem Bildwerk ab und segelten rund darum herum und dann darüber weg, und es war einfach großartig. Es war der Kopf eines Mannes oder vielleicht auch einer Frau, auf einem hundertfünfundzwanzig Fuß langen Tigerleib, und zwischen seinen Vorderpranken stand ein süßer kleiner Tempel. Viele hundert Jahre lang -- vielleicht Tausende -- war das ganze Bildwerk mit Ausnahme des Hauptes unter dem Sand begraben gewesen; aber gerade vor ganz kurzer Zeit hatten sie den Sand weggeräumt und den kleinen Tempel gefunden. Es war jedenfalls ’ne mächtige Masse Sand nötig, um so ’ne Kreatur zu begraben -- wohl mindestens so viel wie um ein Dampfschiff zu begraben. Wir setzten Jim oben auf dem Kopf der Sphinx ab, nachdem wir ihm, da wir im Ausland waren, zum Schutz ’ne amerikanische Flagge gegeben hatten. Dann segelten wir ab und besahen uns das Werk bald aus dieser, bald aus jener Entfernung; das war, wie Tom sagte, nötig, um die richtigen Effekte und Perspektiven und Proportionen herauszukriegen. Und Jim tat wirklich sein Bestes, indem er die allerverschiedensten Stellungen einnahm, die er sich nur ausdenken konnte; am besten gefiel er uns aber, als er auf dem Kopf stand und wie ein Frosch mit den Beinen spaddelte. Je weiter wir wegsegelten, desto kleiner wurde Jim und desto großartiger die Sphinx, bis er zuletzt sozusagen wie ’ne Stecknadel auf einem Dome aussah. Auf diese Weise bringt die Perspektive die richtigen Proportionen zuwege, sagte Tom; er sagte, Cäsars Nigger hätten nicht gewußt, wie groß er war, weil sie zu nahebei gewesen wären. Dann segelten wir immer weiter und weiter weg, bis wir Jim überhaupt nicht mehr sehen konnten, und da machte die große Figur den edelsten Eindruck -- so still und feierlich und einsam blickte sie über das Niltal herüber, und all die schäbigen kleinen Hütten und Menschenwerklein, die rings um sie herum zerstreut waren, sie waren völlig verschwunden und rund um sie herum nur noch eine weiche große Decke von gelbem Sammet, nämlich der Wüstensand. Das war die richtige Stelle, um Halt zu machen, und das taten wir auch. Eine halbe Stunde lang hielten wir da und guckten und dachten und keiner von uns sagte ein Wort, denn uns wurde so ruhig und feierlich zu Mute, wenn wir daran dachten, daß die Sphinx schon seit Jahrtausenden gerade so über das Tal hinübergeschaut und ihre majestätischen Gedanken so ganz für sich gedacht hatte -- ihre Gedanken, von denen kein Mensch sagen kann, was sie sind. Zuletzt nahm ich das Fernrohr zur Hand und da sah ich mehrere kleine schwarze Dinger auf dem Sammetteppich herumspringen und andere, die auf den Rücken der Sphinx hinaufkletterten, und dann sah ich zwei oder drei weiße Rauchwölkchen aufpuffen, und ich sagte Tom, er möchte auch mal hinsehen. Er tat das und sagte: »Das sind Käfer. Nein -- wart’ mal; sie -- wahrhaftig, ich glaube, es sind Menschen. Ja, es sind Menschen -- Menschen und auch Pferde. Sie legen gerade ’ne lange Leiter an den Rücken der Sphinx an -- ist das aber komisch! Und nun versuchen sie, die Leiter hinaufzuziehen -- da sind auch wieder Rauchwölkchen -- das sind Flinten! Huck, sie machen Jagd auf Jim!« Wir ließen die ganze Kraft los und segelten wie das heilige Donnerwetter auf die Sphinx zu. Im Nu waren wir da und sausten mitten unter die Menschen hinein, daß sie nach allen Seiten auseinanderstoben, und ein paar von denen, die die Leiter hinaufkletterten, um Jim zu fangen, verloren den Halt und fielen herunter. Wir sausten hinauf und fanden Jim keuchend und beinahe besinnungslos auf dem Kopf der Sphinx liegen. Er hatte eine lange Belagerung ausgehalten -- eine Woche, sagte er, aber das war nicht wahr; sie war ihm nur so lang vorgekommen, weil ihm die Leute so nahe auf den Leib gerückt waren. Sie hatten auf ihn geschossen und der Kugelregen war um ihn herumgerasselt, aber getroffen war er nicht; und als sie merkten, daß er nicht mehr aufstand, und daß ihre Kugeln ihn nicht mehr treffen konnten, wenn er auf dem Bauch lag, da holten sie die Leiter, und da wußte er, daß es mit ihm aus wäre, wenn wir nicht _sehr_ bald kämen. Tom war höchst entrüstet und fragte ihn, warum er denn nicht die Flagge gezeigt und im Namen der Vereinigten Staaten ihnen befohlen hätte, Frieden zu halten? Jim sagte, das hätte er ja getan, sie hätten sich aber gar nicht darum gekümmert. Tom sagte, er wollte dafür sorgen, daß diese Sache in Washington in die Hand genommen würde. »Und ihr sollt sehen,« rief Tom, »sie werden sich wegen Insultierung der Flagge zu entschuldigen haben und werden obendrein noch ’ne Indemnität bezahlen müssen!« Sagt Jim: »Was is ein Indemmität, Massa Tom?« »Bares Geld ist’s!« »Un wer kriegen es, Massa Tom?« »Na, natürlich wir!« »Un wer kriegen die Entschuldigung?« »Die Vereinigten Staaten. Oder wir können sie auch nehmen, wenn wir wollen. Wenn uns die Entschuldigung besser gefällt, können wir die nehmen, und die Regierung kriegt dann das Geld.« »Wie viele Geld werden es sein, Massa Tom?« »Na, in einem Fall wie dieser, wo erschwerende Umstände dabei sind, mindestens drei Dollars pro Kopf und möglicherweise sogar noch mehr.« »Nu, denn wolle wir die Geld nehm’, Massa Tom; zum Kuckuck mit die Entschuldigung! Meinen Sie nix auch, Massa Tom? Un du auch, Huck?« Wir besprachen die Sache ein bißchen und kamen zum Schluß, es wäre gar nicht so übel, wenn wir’s so machten; also wurden wir uns einig, wir wollten das Geld nehmen. Für mich war das ’ne ganz neue Geschichte und ich fragte Tom, ob Staaten immer sich entschuldigen, wenn sie was Unrechtes getan hätten, und er antwortete: »Ja, die kleinen tun’s.« Wir segelten nun herum und sahen uns die Pyramiden an und ließen uns schließlich auf der abgeplatteten Spitze der größten von ihnen nieder; und wir fanden, daß alles genau so war, wie der Mann in der Sonntagsschule gesagt hatte. Das Ding sah aus wie vier Treppenfluchten, die, am Boden breit, immer enger werdend schräg aufsteigen und sich oben in einer Spitze treffen. Nur konnte man diese Treppenstufen nicht hinaufsteigen wie irgend ’ne andere Treppe -- denn jede Stufe war so hoch, daß sie ’nem gewöhnlichen Menschen bis ans Kinn reichte, und man mußte sich von hinten hinaufheben lassen. Die beiden andern Pyramiden waren nicht weit von der unsrigen entfernt, und die Leute, die zwischen den Pyramiden sich auf dem Sand bewegten, sahen aus wie krabbelnde Käfer, so hoch waren wir über ihnen. Tom war gar nicht mehr zu halten vor lauter Freude und Erstaunen, daß er an so ’nem berühmten Ort wäre, und er schwitzte sozusagen Weltgeschichte aus jeder Pore -- wenigstens kam es mir so vor. Er sagte, er könnte es kaum glauben, daß er genau auf demselben Platz stände, von dem der Prinz auf dem Bronzepferde aufgeflogen wäre. Die Geschichte stände in Tausend und einer Nacht, sagte er. Irgend einer gab dem Prinzen ein bronzenes Pferd mit ’nem Zapfen in der Schulter; und er konnte sich auf dies Pferd setzen und durch die Luft fliegen wie ein Vogel und die ganze Welt bereisen, und er konnte es steuern, indem er den Zapfen drehte, und konnte hoch und niedrig fliegen und landen, wo er nur wollte. Als Tom die Geschichte zu Ende erzählt hatte, da entstand ein Schweigen -- jenes bekannte Schweigen, das sich einstellt, wenn jemand einen Unsinn erzählt hat und wenn den Zuhörern das leid tut und sie gerne das Gespräch auf ein anderes Thema bringen möchten, aber nicht wissen, wie sie das anfangen sollen, und ehe sie sich richtig besonnen haben, da ist das Schweigen schon da und macht die Stimmung unbehaglich. Ich war verlegen, Jim war verlegen und keiner von uns konnte ein Wort herausbringen. Tom sah mich ’ne Minute lang an und sagte dann: »Na, heraus damit! Was denkst du?« Ich sage: »Tom Sawyer, _du_ glaubst die Geschichte doch selber nicht?« »Warum sollte ich nicht? Was könnte mich daran hindern?« »Hindern kann dich nur eins: sie kann nicht passiert sein -- weiter nichts.« »Und warum kann sie _nicht_ passiert sein?« »Sag’ du mir doch, warum sie passiert sein _kann_?« »Unser Ballon ist ein ganz guter Beweis dafür, sollt’ ich meinen.« »Wieso?« »Wieso? So ’nen Idioten hab’ ich nie gesehen! Sind denn nicht dieses Luftschiff und das bronzene Pferd genau das gleiche, nur unter verschiedenen Namen?« »Nein, das sind sie nicht. Das eine ist ’n Luftballon und das andere ist ’n Pferd. Das ist ein großer Unterschied. Nächstens wirst du wohl gar sagen, ein Pferd und ’ne Kuh seien ein und dasselbe.« »Bei Jackson! Da hat Huck ihm wieder fest! Da könn’ Sie nix um ’rumkommen, Massa Tom!« »Halt den Mund, Jim! Du weißt nicht, was du redest! Und Huck auch nicht. Hör’ mal zu, Huck, ich will euch beiden die Sache klar machen, und dann werdet ihr mich verstehen. Seht mal: wenn man von zwei Dingen sagt, sie seien sich ähnlich oder unähnlich, so kommt es dabei nicht bloß auf ihre Form an, sondern vor allem auf ihr _Wesen_; und das Wesen ist in beiden das gleiche. Versteht ihr mich jetzt?« Ich bedachte mir seine Worte bei mir selber und sagte dann: »Tom, das zieht nicht! So ’n Wesen ist ja recht schön und gut, aber damit kommen wir nicht um die eine große Tatsache herum: wenn ein Luftballon etwas machen kann, so ist das absolut noch kein Beweis, daß ein Pferd dasselbe machen kann.« »Quatsch, Huck! Du hast die ganze Geschichte noch gar nicht begriffen! Nun hör’ mal ’ne Minute zu -- es ist alles vollkommen einfach! Fliegen wir nicht durch die Luft?« »Ja.« »Schön! Fliegen wir nicht hoch oder niedrig, grad’ wie wir Lust haben?« »Ja.« »Steuern wir nicht, wohin wir wollen?« »Ja.« »Und landen wir nicht, wann und wo es uns Spaß macht?« »Ja.« »Wie bewegen und steuern wir unser Luftschiff?« »Indem wir auf die Knöpfe drücken.« »Na, _jetzt_ denke ich, wird die Geschichte dir endlich klar sein. Bei dem Pferde geschah die Bewegung und Steuerung, indem ein Zapfen gedreht wurde. Wir drücken auf einen Knopf, der Prinz drehte ’nen Zapfen. Du siehst, es ist kein Atom von ’nem Unterschied vorhanden. Ich wußte wohl, ich würde dir’s in den Schädel trichtern, wenn ich mir nur Mühe gäbe!« Und Tom fühlte sich so glücklich, daß er zu pfeifen begann. Aber ich und Jim blieben still; und so brach Tom überrascht sein Pfeifen ab und sagte: »Höre mal, Huck Finn, siehst du’s immer noch nicht ein?« »Tom Sawyer,« antwortete ich, »ich möchte ’ne Frage an dich richten.« »Nur zu!« sagt er; und ich sehe, wie Jim ein ganz helles Gesicht macht und mächtig aufhorcht. »Wenn ich die Sache recht verstehe,« sag’ ich, »so kommt es bei dem ganzen Ding nur auf die Knöpfe und den Zapfen an -- der Rest ist Nebensache. Ein Knopf sieht anders aus als ein Zapfen -- aber darauf kommt es wohl nicht an?« »Nein, darauf kommt es ganz und gar nicht an, wenn nur beiden dieselbe Kraft innewohnt.« »Schön! Was ist die Kraft, die ’ner Kerze und ’nem Streichholz innewohnt?« »Das Feuer.« »Diese Kraft ist also in beiden die gleiche?« »Ja, ganz genau die gleiche in beiden.« »Schön! Angenommen, ich zünde mit einem Streichholz ’ne Tischlerwerkstatt an -- was wird damit passieren?« »Sie wird aufbrennen.« »Und angenommen, ich zünde mit ’ner Kerze diese Pyramide an -- wird sie auch aufbrennen?« »Natürlich nicht!« »Schön! Nun ist aber doch beidemale das Feuer das gleiche. _Warum_ brennt denn also die Tischlerwerkstatt, und die Pyramide nicht?« »Weil die Pyramide nicht brennen _kann_.« »Aha! _Und ein Pferd kann nicht fliegen!!!_« »O du meine liebe Heiland! Da haben Huck ihm _wieder_! Diesmal haben Huck ihm richtig auf die Sand gesetzt -- Junge, Junge! Un ...« Aber Jim mußte so furchtbar lachen, daß er beinahe erstickte und nicht weiter sprechen konnte, und Tom fuhr beinahe aus der Haut, als er sah, wie elegant ich ihn abgeführt hatte, indem ich seine eigene Beweisführung gegen ihn wandte und sie in Stückchen und Fetzen zerpflückte. Und er wußte nichts weiter zu sagen, als daß er jedesmal, wenn er Jim oder mich disputieren hörte, sich des Menschengeschlechts schämte. Ich sagte gar nichts mehr, aber ich war innerlich sehr mit mir zufrieden. Wenn ich jemandem auf solche Weise heimgeleuchtet habe, so ist es nicht meine Art ’rumzugehen und zu krähen, wie’s manche Leute machen, denn ich glaube, wenn er an meiner Stelle wäre, so wär’s mir auch nicht angenehm, wenn er über mich krähte. Es ist besser, man ist edel und hochherzig -- das ist _meine_ Meinung. Dreizehntes Kapitel. Nach einem Weilchen ließen wir Jim im Luftschiff allein in der Nähe der Pyramiden herumgondeln und wir selber kletterten bis zu dem Loch hinunter, durch das man in den engen Gang kommt. Wir nahmen einige Araber und Kerzen mit, und mitten in der Pyramide da fanden wir ein Gemach und einen großen Steinkasten drin, worin sie den König aufbewahrt hatten -- genau wie der Mann in der Sonntagsschule es uns erzählte. Aber er war jetzt nicht mehr da; irgend einer hatte ihn mitgenommen. Ich hatte aber kein rechtes Vergnügen in dieser Kammer, denn es konnten ja natürlich Geister drin hausen -- wenn auch gerade keine neuen, aber ich mag mit Geistern überhaupt nichts zu tun haben. Wir gingen also wieder hinaus und mieteten uns ein paar kleine Esel und ritten ein Stück; dann fuhren wir ein Stück in ’nem Boot auf dem Nil, dann ritten wir wieder auf Eseln und so kamen wir nach Kairo. Und der ganze Weg war so wunderschön glatt und eben, wie ich nur je in meinem Leben einen Weg gesehen habe; auf beiden Seiten der Straße wuchsen große Dattelpalmen, und überall krochen nackte Kinder herum und die Menschen waren so rot wie Kupfer und feingebaut, kräftig und schön. Und die Stadt war ’ne Sehenswürdigkeit. Diese engen Straßen -- es waren wahrhaftig nur Gäßchen -- dicht gefüllt mit beturbanten Männern und verschleierten Weibern und alles in hellen, bunten Gewändern! Und man wunderte sich, wie die Kamele und Menschen in solchen engen Gäßchen beieinander vorbeikommen konnten -- aber es ging. Aber zusammenpressen mußten sie sich wie Pökelheringe und dabei machten sie alle einen Heidenlärm. Die Läden waren nicht so groß, daß man in sie hineingehen konnte, aber das war auch gar nicht nötig: der Verkäufer saß mit übergeschlagenen Beinen nach Schneiderart auf seinem Ladentisch, rauchte seine lange Pfeife mit dem Schlangenschlauch und hatte all seine Sachen in Reichweite um sich herum. Ab und zu sauste ein Würdenträger in einer Kutsche vorbei; buntaufgeputzte Männer liefen laut rufend vor dem Wagen her und schlugen jeden, der nicht schnell auswich, mit einem langen Stecken. Nach einer Weile kam sogar der Sultan zu Pferde an der Spitze einer Prozession geritten und uns blieb beinahe der Atem stocken, als wir seine glänzenden Kleider sahen. Jeder warf sich platt auf die Erde nieder und blieb auf dem Bauch liegen, bis er vorüber war. Ich vergaß es, mich hinzuwerfen, aber da war einer, der mir daran zu denken half. Es war einer von denen, die mit ’nem langen Stecken vorausliefen. Kirchen waren auch da, aber die Leute da sind noch zu dumm, um den Sonntag zu heiligen; sie heiligen den Freitag und schänden den Sabbath. Wenn man hineingeht, muß man die Schuhe abziehen. Ganze Haufen von Männern und Knaben waren in der Kirche, hockten in Gruppen auf dem Fußboden und machten einen endlosen Spektakel -- Tom sagte, sie lernten was aus dem Koran auswendig, den sie für ’ne Bibel halten. Ich hatte in meinem Leben nicht so ’ne große Kirche gesehen; sie war ganz fürchterlich hoch, so daß einem schwindlig wurde, wenn man hinaufschaute; unsere Stadtkirche zu Hause ist gar nichts dagegen; man könnte sie in diese hineinstellen und die Leute würden denken, sie sei ’ne Putzwarenschachtel. Was ich am meisten zu sehen wünschte, das war ein Derwisch, denn für Derwische interessierte ich mich wegen ihres Kollegen, der dem Kameltreiber den bösen Streich gespielt hatte. Wir fanden denn auch einen ganzen Haufen von ihnen in ’ner Kirche, und sie nannten sich Tanz-Derwische. Und tanzen taten sie, das muß ich sagen. So was hatte ich in meinem Leben nicht gesehen! Sie hatten zuckerhutförmige Mützen auf und leinene Unterröcke an, und sie wirbelten und wirbelten und wirbelten herum wie Kreisel und die Röcke standen ganz schräg von ihnen ab; es war riesig nett anzusehen, und ich wurde vom Hingucken wie betrunken. Sie waren alle Moslim, wie Tom mir erzählte, und als ich ihn fragte, was ein Moslim sei, da sagte er, das wäre einer, der nicht Presbyterianer wäre. Dann gibt’s also in Missouri sehr viele Moslim, obwohl ich davon bisher nichts wußte. Wir sahen uns nicht die Hälfte von den Sehenswürdigkeiten von Kairo an, weil Tom so wild darauf versessen war, Oertlichkeiten aufzusuchen, die in der Weltgeschichte berühmt geworden sind. Wir hatten eine abscheuliche Mühe, den Speicher aufzufinden, worin Joseph vor der Hungersnot das Korn aufgespeichert hatte, und als wir ihn endlich fanden, war eigentlich gar nichts daran zu sehen, denn es war bloß ein altes, verfallenes Gerümpel. Aber Tom war sehr befriedigt und machte mehr Redensarten darüber, als ich Worte sagen würde, wenn ich mir ’nen Nagel in den Fuß getreten hätte. Wie er die Scheuer überhaupt herausfand, das ging über meinen Horizont; denn wir waren bei mehr als vierzig ganz gleichen schon vorbeigekommen und ich wäre mit jeder von diesen Scheunen zufrieden gewesen, aber er mußte natürlich durchaus die echte haben -- anders tat er’s nicht. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der in dieser Beziehung so heikel war wie Tom Sawyer. Sowie er die richtige sah, erkannte er sie sofort, so leicht wie ich mein anderes Hemd erkennen würde (wenn ich eins hätte), aber wie er das machte, das vermochte er mir so wenig zu erklären, wie er fliegen konnte. So sagte er selber. Als wir zurück kamen, landete Jim, und wir stiegen ein. Bei dieser Gelegenheit lernten wir einen jungen Mann kennen mit ’nem roten betroddelten Fez und einer schönen seidenen Jacke und Sackhosen, mit ’nem Tuch um den Bauch und mit Pistolen in diesem Tuch. Er konnte englisch sprechen und bat uns, wir möchten ihn als Führer annehmen; er wollte uns nach Mekka und Medina und Zentralafrika und überallhin bringen und verlangte nur einen halben Dollar täglich nebst freier Verköstigung. Wir nahmen ihn an und fuhren mit voller Schnelligkeit los, und als wir mit unserem Mittagessen fertig waren, da schwebten wir gerade über der Stelle, wo die Israeliten durch das Rote Meer gezogen waren und wo Pharao sie eingeholt hatte und von den Gewässern ereilt wurde. Da machten wir denn natürlich Halt und guckten uns die Stelle ganz in aller Ruhe an, und Jim hatte seine Freude dran, sie zu sehen. Hierauf fuhren wir weiter, so schnell wir konnten, und segelten um den Berg Sinai herum und sahen die Stellen, wo Moses die steinernen Tafeln zerbrach, und wo die Kinder Israels in der Ebene lagerten und das goldene Kalb anbeteten, und es war alles ungeheuer interessant und der Führer kannte jedes Plätzchen so genau, wie ich bei uns zu Hause im Ort Bescheid weiß. Aber jetzt hatten wir einen Unfall, und der hemmte alle unsere Pläne. Toms alte ordinäre Maiskolbenpfeife war so alt und aufgeschwollen und krumm geworden, daß sie trotz allen Schnüren und Bindfäden, die er herumwickelte, nicht mehr zusammenhalten wollte, sondern in Stücke zerfiel. Tom wußte nun gar nicht, was er jetzt anfangen sollte. Des Professors Pfeife konnte ihm nichts nützen, denn die war bloß von Meerschaum; und jeder, der sich mal an Maiskolbenpfeifen gewöhnt hat, der weiß, daß sie himmelhoch über allen anderen Pfeifen der Welt stehen, und so einer läßt sich nicht dazu kriegen, ’ne andere Pfeife zu rauchen. Meine wollte Tom nicht nehmen, so sehr ich ihn auch zu überreden versuchte. So saß er denn da in der Patsche. Er überlegte den Fall und sagte, wir müßten ’ne Rundfahrt machen und versuchen, ob wir nicht in Aegypten oder Arabien oder daherum eine auftreiben könnten, aber der Führer sagte, das hätte keinen Zweck, denn solche Pfeifen hätte man da nicht. Tom saß eine Weile recht verdrießlich da, plötzlich aber hellte sich sein Gesicht auf und er sagte, er hätte ’ne Idee und wüßte jetzt, wie die Sache gemacht werden müßte. Nämlich: »Ich habe noch ’ne andere Maiskolbenpfeife, sogar ’ne ganz ausgezeichnete und beinahe neue. Sie liegt auf dem Wandbrettchen gerade über dem Küchenherd bei uns zu Hause. Jim -- du und der Führer, ihr fahrt hin und holt sie, und ich und Huck kampieren hier auf dem Berge Sinai, bis ihr wieder hier seid.« »Aber, Massa Tom, wir könnte nix finden die Städtchen. Ich könnten wohl die Pfeife finden, weil ich die Küche kennen tun, aber o du liebe Heiland: wir können niemals nix unser Stadt oder Sent Luis oder die andere Orte finden! Wir tun ja nix die Wegen kennen, Massa Tom!« Das war ’ne unbestreitbare Tatsache, und Tom wußte ’ne Minute lang nichts zu erwidern. Dann sagte er aber: »Hör’ mal zu: die Sache läßt sich trotz alledem machen, und ich will dir sagen, wie. Du nimmst die Richtung mit dem Kompaß und segelst gerade wie ein Pfeil immer westlich, bis du die Vereinigten Staaten findest. Ein Versehen ist dabei nicht möglich, denn es ist das erste Land, das du auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans antriffst. Wenn du bei Tage ankommst, so fährst du gleich weiter, direkt westlich vom oberen Teil der Küste von Florida und in eindreiviertel Stunden stößt du auf die Mündung des Mississippi -- wenn du mit der Geschwindigkeit fährst, die ich dir vorschreiben werde. Du wirst so hoch oben in der Luft sein, daß dir die Erde sehr gekrümmt vorkommen wird -- ungefähr wie ’ne umgestülpte Waschschüssel -- und du siehst da unten ’ne Menge Flüsse durcheinander krabbeln, lange schon, ehe du in die tieferen Luftschichten herunter kommst; den Mississippi wirst du ohne jede Schwierigkeit dazwischen herausfinden, denn er ist bei weitem der größte von ihnen. Dann folgst du in beinahe nördlicher Richtung dem Lauf des Flusses, eindreiviertel Stunden lang, bis du den Ohio einmünden siehst; nun mußt du anfangen scharf aufzupassen, weil du jetzt schon in die Nähe kommst. Zu deiner Linken aufwärts siehst du einen anderen Strom einmünden, das ist der Missouri, ein bißchen oberhalb der Stadt St. Louis. Du steigst dann noch tiefer herab, damit du während der Fahrt die kleinen Städte dir ansehen kannst. In den nächsten Viertelstunden wirst du ungefähr bei fünfundzwanzig vorbeikommen, und du wirst unser Städtchen erkennen, sobald du’s siehst -- und wenn du’s nicht erkennst, so brauchst du bloß ’runterzurufen und zu fragen.« »Is das so leicht, Massa Tom, so denken ich, wir können es machen -- jawoll, ich wissen, wir können.« Der Führer war ebenfalls davon überzeugt und meinte, er würde es in einer ganz kleinen Weile lernen, seine Wache zu halten. »Jim kann Euch die Geschichte in ’ner halben Stunde beibringen,« sagte Tom. »Der Luftballon ist so leicht zu handhaben wie ein Kanoe.« Dann holte Tom die Karte hervor, zeichnete den Kurs hin und maß den Weg aus und sagte: »Der westliche Weg ist der kürzeste, wie ihr seht. Es sind bloß etwa siebentausend Meilen. Wenn ihr östlich fahrt, so ist’s mehr als doppelt so weit.« Dann wandte er sich an den Führer und fuhr fort: »Ich wünschte, daß ihr alle beide während eurer Wache auf den Geschwindigkeitsanzeiger acht gebt, und wenn er nicht dreihundert Meilen in der Stunde angibt, so steigt ihr höher oder tiefer, bis ihr eine Orkanströmung findet, die in eurer Richtung weht. Der alte Kasten hier macht seine hundert Meilen in der Stunde, ohne daß man überhaupt den Wind zu Hilfe zu nehmen braucht. Zweihundert-Meilen-Stürme findet ihr, so oft ihr einen haben wollt. Manchmal werdet ihr ein paar Meilen hoch steigen müssen, und da oben wird es verflixt kalt sein; meistens aber werdet ihr euren Sturm ein gutes Stück tiefer finden. Wenn ihr nur ’nem Zyklon begegnen könntet -- das wär’ für euch ein gefundenes Fressen. Ihr werdet aus des Professors Büchern sehen, daß sie in diesen Breiten westlich ziehen, und noch dazu in geringer Höhe.« Hierauf rechnete Tom ein Weilchen und fuhr dann fort: »Siebentausend Meilen -- dreihundert Meilen in der Stunde -- ihr könnt die Spazierfahrt in einem Tag, also vierundzwanzig Stunden, machen. Heute haben wir Donnerstag; ihr werdet also Samstag nachmittag wieder hier sein. So, nun packt mir ein paar Decken, Lebensmittel, Bücher und dergleichen für mich und Huck aus, und dann könnt ihr gleich abfahren. Von Rumtrödeln mag ich nichts wissen -- ich muß meine Pfeife haben, und je schneller ihr sie mir bringt, desto besser.« Alle Mann halfen beim Auspacken; binnen acht Minuten lagen unsere Sachen draußen und der Ballon war segelfertig für Amerika. Wir schüttelten uns also zum Abschied die Hände und Tom gab seine letzten Befehle: »Jetzt ist es zehn Minuten vor zwei, Sinaizeit. In vierundzwanzig Stunden seid ihr zu Hause, das ist sechs Uhr früh nach dortiger Zeit. Ihr landet ein bißchen seitwärts vom Ort auf dem Gipfel des Hügels, im Walde, so daß man euch nicht sieht. Dann springst du in die Stadt, Jim, und steckst beim Posthaus diese Briefe in den Kasten, und wenn schon jemand auf den Beinen sein sollte, ziehst du dir den Schlapphut ins Gesicht; so wird man dich nicht erkennen. Dann schlüpfst du von hinten in unsere Küche hinein und nimmst die Pfeife und legst diesen Zettel auf den Küchentisch; leg’ irgend ’was drauf, damit er nicht ’runterfliegt. Dann schleiche dich hinaus und mach’ dich dünne und lass’ ja nicht Tante Polly oder sonst jemand dich zu Gesicht kriegen. Lauf so schnell du kannst nach dem Ballon und sause mit Dreihundertmeilen-Geschwindigkeit nach dem Berg Sinai zurück. Du wirst dich nicht länger als ’ne Stunde aufzuhalten haben. Um sieben oder acht, heimatliche Ortszeit, wirst du wieder abfahren und bist in vierundzwanzig Stunden zurück, kommst also um zwei oder drei Uhr nachmittags, Sinaizeit, hier an.« Den Zettel las Tom uns vor. Er hatte darauf geschrieben: »_Donnerstag nachmittag._ Tom Sawyer, der Erronauter, sendet seiner Tante Polly herzliche Grüße vom Berge Sinai, wo die Arche war;[5] desgleichen Huck Finn; und sie wird den Zettel morgen früh um halb sieben kriegen. Tom Sawyer, Erronauter.« [5] Dieser Irrtum in Betreff der Arche ist wahrscheinlich nicht Tom, sondern Huck auf Rechnung zu setzen. M. T. »Da wird sie die Augen aufreißen und die Tränen werden ihr ’rausschießen,« sagte Tom. Und dann: »Achtung! Eins -- zwei -- drei -- los!!« Und los segelte der Ballon! Wahrhaftig, in einer Sekunde war er aus unserem Gesichtskreis ’rausgewirbelt. Dann fanden wir eine sehr bequeme Höhle mit ’ner prachtvollen Aussicht über die ganze weite Ebene; und da biwakierten wir und warteten auf die Pfeife. Der Ballon kam pünktlich und heil zurück und brachte die Pfeife. Aber Tante Polly hatte Jim abgefaßt, als er sie aus der Küche holte, und nun kann sich wohl jeder denken, wie es weiter kam: Tom sollte nach Hause zurück. So sagte denn Jim: »Massa Tom, Tante Polly stehen vor die Haustür un haben ihr Aug oben an die Himmel, un sie sag’, sie rühren sich nix von den Fleck, bis Massa Tom wieder da sein. Das geben eine nasse Jahr, Massa Tom, warraftig!« So schoben wir denn ab nach Hause, und nicht gerade mit sehr lustigen Gefühlen. Tom, der kleine Detektiv. Von Huck Finn erzählt. [Illustration] Erstes Kapitel. Ein Jahr war herum, seitdem Tom Sawyer und ich unsern alten Neger Jim befreit hatten, der auf der Farm von Toms Onkel Silas in Arkansas als fortgelaufener Sklave in Ketten gelegt worden war. Nun wurde es Frühling; der gefrorene Boden taute auf und mildere Lüfte wehten. Immer näher winkte die Zeit, wo man wieder barfuß gehen konnte; dann kam das Murmelspiel an die Reihe, später Kreisel und Reifen oder man ließ den Drachen steigen, und wenn es endlich Sommer geworden war ging’s zum schwimmen. Doch das lag unabsehbar fern, und der Gedanke, wie lange es noch dauern muß, bis der Sommer kommt, macht unsereinen ganz schwermütig. Dann schleicht so ein armer Junge trübselig umher; er seufzt und stöhnt und weiß nicht was ihm fehlt. Er sucht sich ein einsames Fleckchen hoch oben am Berghang, wo er weit hinausschauen kann, wie der große Mississippi sich um eine Landzunge nach der andern windet, bis er mit der dämmerigen Ferne verschwimmt. Alles ist so still und feierlich wie beim Begräbnis, und man wünscht, man wäre selber tot und begraben, damit das Erdenleid ein Ende hätte. Wißt ihr, wie die Krankheit heißt? Man nennt sie Frühlingsfieber. Und wenn sie einen befällt, hat man immerzu Herzweh, man weiß nicht wonach. Man möchte weit weg von dem ewigen Einerlei der alltäglichen Dinge, die einem zum Ueberdruß sind. Etwas Neues sehen und als Wanderer in fremde Länder ziehen, wo alles wunderschön, geheimnisvoll und noch nie dagewesen ist -- ja, danach sehnt man sich. Doch nimmt man allenfalls auch mit einer kleineren Wanderschaft fürlieb und ist froh, wenn man überhaupt fort kann. Also, wir beide litten stark am Frühlingsfieber, Tom Sawyer und ich. Aber es war gar keine Aussicht vorhanden, daß Tom etwa die Schule versäumen und über Land gehen durfte; seine Tante Polly hielt das für Zeitverschwendung und hätte es nie zugegeben. Recht mutlos und niedergeschlagen saßen wir eines Tages gegen Sonnenuntergang draußen auf den Steinstufen und bliesen Trübsal; da kam Tante Polly mit einem Brief in der Hand gegangen. »Tom,« sagte sie, »du wirst wohl dein Bündel schnüren müssen, um dich nach Arkansas auf den Weg zu machen -- Tante Sally verlangt nach dir.« Ich hätte vor Freude aus der Haut springen mögen und glaubte nicht anders, als daß Tom seiner Tante um den Hals fallen und sie halbtot herzen würde; aber er saß stockstill da und that keinen Mucks. Warum er nur solch ein Narr war, die herrliche Gelegenheit, die sich ihm bot, nicht beim Schopf zu fassen? Sie konnte ihm leicht entgehen, wenn er jetzt nicht bald den Mund aufthat und sagte, wie froh und dankbar er wäre. Ich war ganz außer mir und dem Weinen nahe, als er immer weiter lernte und lernte und zuletzt ganz gelassen sagte: »Es thut mir sehr leid, Tante, aber davon kann wirklich jetzt keine Rede sein!« -- Da hätt’ ich ihn totschießen können. Tante Polly war wie vor den Kopf geschlagen und so voll Zorn über die freche Antwort, daß sie eine ganze Minute lang sprachlos dastand und mir Zeit ließ, Tom einen Puff zu geben und ihm zuzuflüstern: »Bist du denn übergeschnappt? Wie kannst du ein solches Glück wegwerfen und mit Füßen treten?« Aber das machte ihm keinen Eindruck. »Schweig still, Huck Finn,« brummte er, »soll sie’s etwa merken, daß ich für mein Leben gern hin möchte? Gleich würden ihr tausend Zweifel kommen -- lauter eingebildete Krankheiten, Gefahren und Hindernisse. Im Handumkehren hätte sie die Erlaubnis zurückgenommen. Laß mich nur machen, ich weiß schon, wie man sie behandeln muß.« Na, so was wäre mir nie eingefallen; aber Tom hatte recht, wie immer. Ein Schlaukopf erster Sorte und nie unbesonnen -- der läßt sich nicht verblüffen. Jetzt hatte Tante Polly sich vom Schreck erholt, und nun ging’s los: »So -- davon kann nicht die Rede sein? Hat man je so was gehört! Und das sagst du mir ins Gesicht? -- Auf der Stelle gehst du hinauf und packst deine Siebensachen. Kein Wort mehr, das bitt’ ich mir aus -- sonst setzt’s Hiebe.« Sie gab ihm noch eine Kopfnuß mit dem Fingerhut als wir uns duckten und rasch an ihr vorbeiliefen. Tom fing an zu flennen und wir sprangen die Treppe hinauf. Oben in seinem Zimmer fiel er mir um den Hals und war wie wahnsinnig vor Freude, weil’s nun auf die Reise ging. »Sie wird’s bald bereuen, daß sie mich fortgelassen hat,« sagte er. »Aber nun weiß sie keinen Ausweg und kann’s nicht wieder rückgängig machen, dazu ist sie viel zu stolz.« In zehn Minuten war Tom mit packen fertig, bis auf das, was seine Tante und Mary an Sachen dazu thun würden; dann wartete er noch zehn Minuten, damit sich ihr Zorn abkühlen und sie wieder sanft und freundlich werden sollte. »Wenn sie nur halb aus dem Häuschen ist,« sagte er, »braucht sie zehn Minuten sich zu erholen; habe ich sie aber ganz wild gemacht, dann dauert es zwanzig Minuten, und das ist jetzt so ein Fall.« Nun gingen wir rasch hinunter, weil wir vor Neugierde brannten zu hören, was Tante Sally eigentlich geschrieben hatte. Der Brief lag auf Tante Pollys Schoß und sie saß ganz in Gedanken versunken da. Als wir Platz genommen hatten, sagte sie: »Unsere Leute dort unten sind in großer Trübsal; sie hoffen, ihr werdet sie zerstreuen, du und Huck Finn, und ein rechter Trost für sie sein. Na, ihr beide seid mir ein paar nette Tröster! -- Die Sache ist nämlich so: Ein Nachbar von ihnen, Brace Dunlap, hat vor drei Monaten um die Hand ihrer Benny angehalten. Sie haben lange mit der Antwort gezögert und ihm endlich geradeheraus erklärt, daß aus der Heirat nichts werden könnte. Das hat er ihnen sehr übel genommen, und nun machen sie sich Kummer darüber. Mir scheint, sie wollen’s nicht ganz mit dem Nachbar verderben, denn um ihn zu versöhnen haben sie seinen nichtsnutzigen Bruder als Gehilfen auf der Farm in Dienst genommen, obgleich ihre Mittel das kaum erlauben und der Mensch ihnen so wie so nur im Wege ist. Wer sind denn diese Dunlaps?« »Sie wohnen etwa eine Meile von Onkel Silas’ Besitzung, Tante -- alle Farmen dort in der Gegend sind gleich weit von einander entfernt. Brace Dunlap ist viel reicher als die andern Nachbarn und hat einen ganzen Haufen Neger. Er ist ein kinderloser Witwer, sechsunddreißig Jahre alt, dabei sehr stolz und hochfahrend, so daß alle Welt vor ihm zu Kreuze kriecht. Vermutlich hat er gedacht, er brauchte nur bei irgend einem Mädchen anzuklopfen, das er zur Frau wollte; es wird ihn nicht wenig gewundert haben, daß er Benny nicht bekommen kann. Sie ist nur halb so alt wie er und das süßeste, reizendste -- -- na, du kennst Benny ja selbst. Mir thut nur der arme alte Onkel Silas leid, der sich aufs äußerste einschränken muß und einen Thunichtgut wie den Jupiter Dunlap in Dienst nimmt, bloß um seinem hochnasigen Bruder einen Gefallen zu thun.« »Ist das ein Name -- Jupiter! Wo hat er den her?« »Es ist nur ein Spitzname; wie er eigentlich heißt, weiß wohl kein Mensch mehr. Man nennt ihn schon siebenundzwanzig Jahre lang so, seit er zum erstenmal baden ging. Da sieht der Schulmeister, daß er am linken Bein über dem Knie ein rundes braunes Mal hat, so groß wie ein Zehnpfennigstück und vier kleinere Mäler drum herum und sagt, es erinnere ihn an Jupiter und seine Monde. Den Kindern kam das komisch vor, sie fingen an ihn Jupiter zu nennen, und der Name ist ihm geblieben bis auf den heutigen Tag. Er ist groß und faul, verschmitzt, hinterhältig und feige, dabei aber doch wieder gutmütig. Keinen roten Heller nennt er sein eigen; Brace giebt ihm das Gnadenbrot und seine abgelegten Kleider, auch seine Verachtung obendrein. Jupiter trägt langes Haar, aber keinen Bart; er ist ein Zwilling.« »So? Wie sieht denn der andere Zwillingsbruder aus?« »Man sagt, er gleicht Jupiter auf ein Haar; wenigstens früher -- jetzt hat man ihn seit sieben Jahren nicht gesehen. Als er neunzehn oder zwanzig Jahre alt war, wurde er bei einem Einbruchsdiebstahl ertappt und ins Gefängnis gesteckt. Aber er entkam nach dem Norden und beging bald hier bald dort Raub oder Diebstahl; doch das ist lange her. Jetzt ist er tot; das heißt, die Leute behaupten es -- man hört eben nichts mehr von ihm.« »Wie hieß denn der?« »Jack.« Es entstand eine Pause; die alte Dame war offenbar mit ihren Gedanken beschäftigt. Endlich sagte sie: »Am meisten macht sich Tante Sally Sorge darüber, daß der Onkel immer in so furchtbaren Zorn gerät über diesen Jupiter.« »Was,« rief Tom verwundert, »Onkel Silas? Das ist wohl nur ein Scherz -- der kann ja gar nicht zornig werden!« »Die Tante schreibt, er wird oft so wütend, daß sie immer fürchtet, er könnte sich thätlich an dem Mann vergreifen.« »Da hört aber alles auf! -- Onkel ist ja so sanft wie ein Lamm.« »Er soll wie ausgewechselt sein durch das ewige Zanken und Streiten. Die Nachbarn reden schon darüber und schieben alle Schuld auf den Onkel, weil er ein Prediger ist und Frieden halten müßte. Tante Sally sagt, er schämt sich ordentlich, auf die Kanzel zu steigen; auch hat die Gemeinde das Vertrauen zu ihm verloren und er ist gar nicht mehr so beliebt wie früher.« »Wie sonderbar! Onkel war doch immer so sanft und freundlich, so zerstreut, so träumerisch, so voller Einfalt und Herzensgüte, kurz ein wahrer Engel. Wie kann das nur zugegangen sein?« Zweites Kapitel. Wir hatten riesiges Glück. Auf einem Raddampfer, der vom Norden gerade nach der Sumpfgegend von Louisiana steuerte, kamen wir den ganzen Mississippi bis zur Farm in Arkansas hinunter und brauchten nicht einmal in St. Louis das Boot zu wechseln. Eine Fahrt von fast tausend Meilen in einem Zug. Man fühlte sich recht einsam auf dem Dampfer, denn die wenigen Passagiere waren alte Männer, die weit von einander auf Deck saßen und schliefen oder sich still verhielten. Vier Tage dauerte die Fahrt auf dem Oberen Mississippi, weil wir so oft auf den Grund gerieten, aber langweilig fanden wir Jungen es gar nicht -- wie kann man sich langweilen, wenn man auf Reisen ist! -- Gleich nach der Abfahrt hatten Tom und ich herausgebracht, daß in der Kajüte neben unserer jemand krank liegen müsse, weil das Essen immer hineingetragen wurde. Wir erkundigten uns danach, und der Kellner sagte, der Mann da drinnen sähe gar nicht krank aus. »Aber, er muß doch krank sein.« »Wohl möglich -- ich weiß nicht -- mir scheint, er stellt sich nur an.« »Woher glaubt Ihr das?« »Na, wenn er krank wäre, würde er sich doch mal ausziehen, aber das thut er nicht. Wenigstens seine Stiefel behält er immer an.« »Ist das möglich? Auch wenn er zu Bett geht?« »Auch dann.« Ein Geheimnis! Das war Wasser auf Toms Mühle. »Wie heißt denn der Mann?« »Phillips; in Alexandria ist er an Bord gekommen.« »Und hat er noch andere Eigenheiten?« »Nein -- nur schrecklich ängstlich ist er. Tag und Nacht hält er seine Thür verschlossen, und wenn man klopft macht er nur ein Ritzchen auf und guckt erst wer da ist.« »Wahrhaftig, den möchte ich gern zu sehen bekommen. Sagt mal -- könntet Ihr nicht die Thür weit aufmachen, wenn Ihr wieder hineingeht, so daß -- --« »Bewahre. Das würde auch wenig nützen. Er stellt sich immer hinter die Thür.« Tom dachte eine Weile nach. »Wißt Ihr was? Gebt mir Eure Schürze und laßt mich morgen das Frühstück hineintragen. Ihr bekommt auch einen Vierteldollar.« Der Kellner war es zufrieden, wenn der Oberkellner nichts dagegen hätte. »Mit dem will ich’s schon abmachen,« sagte Tom. Und richtig, am nächsten Morgen hatten wir jeder eine Schürze um und trugen die Speisen hinein. Tom hatte die ganze Nacht wach gelegen und sich den Kopf zerbrochen über Phillips und sein Geheimnis. Das war verlorene Mühe nach meiner Ansicht; viel besser, wir kamen selbst dahinter wie die Sachen wirklich standen, statt uns erst allerlei Falsches auszudenken. »Ich kann’s ja abwarten,« dachte ich und ließ mich im Schlaf nicht stören. Als Tom morgens an die Thür klopfte, guckte der Mann durch die Spalte, ließ uns herein und schloß rasch hinter uns zu. Aber, Donnerwetter -- als wir ihn ansahen, hätten wir vor Schreck fast die Kaffeebretter fallen lassen. »Du meine Güte -- Jupiter Dunlap -- wo kommt Ihr denn her?« rief Tom. Natürlich war der Mann überrascht und zuerst sah er aus als ob er nicht wüßte, sollte er sich fürchten oder freuen. Er war ganz bleich geworden, doch bald bekam er wieder Farbe im Gesicht und fing an mit uns zu plaudern, während er sein Frühstück aß. Nach einer Weile sagte er: »Ich bin gar nicht Jupiter Dunlap; doch heiß’ ich auch nicht Phillips. Wenn ihr schwören wollt reinen Mund zu halten, will ich euch offenbaren wer ich bin.« »Wir verraten nichts,« rief Tom; »aber wenn Ihr nicht Jupiter Dunlap seid, braucht Ihr mir Euern Namen nicht erst zu sagen.« »Wieso?« »Weil Ihr ihm gleicht wie ein Ei dem andern. Ihr seid sein Zwillingsbruder Jack.« »Da kannst du recht haben. Aber, sag’ mal, Junge, woher kennst du uns denn alle beide?« Nun erzählte ihm Tom, was wir im vergangenen Sommer für Abenteuer auf Onkel Silas’ Farm erlebt hatten. Als er hörte, daß wir alle seine Familienverhältnisse und seine eigene Lebensgeschichte kannten, wurde er ganz offenherzig und mitteilsam. Er sagte, er wäre von jeher ein Thunichtgut gewesen, auch jetzt sei er ein schlechter Kerl und würde wohl sein Lebtag ein Taugenichts bleiben. Freilich sei es ein gefährliches Ding und -- -- Er brach plötzlich ab und hielt die Hand ans Ohr um zu lauschen. Wir sprachen kein Wort; ein paar Sekunden blieb alles mäuschenstill. Man hörte nichts als das Knarren des Holzwerks und das Bumbum der Maschine im Schiffsraum. Um ihn zu beruhigen fingen wir an, ihm allerlei von seiner Familie zu berichten: daß Brace seine Frau vor drei Jahren verloren hätte und als er Benny heiraten wollte von ihr einen Korb bekommen habe, daß Jupiter bei Onkel Silas in Arbeit stehe, der immer in Streit mit ihm sei, und dergleichen mehr. Auf einmal lachte er laut auf. »Jungens,« rief er, »euer Geplapper versetzt mich ganz in alte Zeiten zurück; mir wird ordentlich wohl dabei. Seit länger als sieben Jahren hab’ ich so was nicht mit angehört. Was spricht man denn aber von mir in der Nachbarschaft?« »Von Euch spricht man schon lange nicht mehr; höchstens alle Jubeljahr wird Euer Name einmal erwähnt.« »Ist’s möglich! Und wie kommt denn das?« »Weil man Euch für längst gestorben hält.« »Wirklich? Sprichst du auch die Wahrheit?« Er war in großer Erregung aufgesprungen. »Mein Wort zum Pfande. Kein Mensch glaubt, daß Ihr noch am Leben seid.« »Hurra, dann bin ich gerettet! Ich kann mich nach Hause wagen. Gewiß werden mir meine Verwandten beistehen und mich verbergen. Nicht wahr, ihr haltet reinen Mund! Schwört mir’s noch einmal. Schwört, daß ihr mich nun und nimmermehr verraten werdet. Jungens, habt Erbarmen mit mir armem Teufel, der Tag und Nacht keine Ruhe findet und sich nirgends sehen lassen darf. Ich hab’ euch nie etwas zuleide gethan und meine es nur gut mit euch, so wahr Gott im Himmel ist. Schwört, daß ihr schweigen wollt, und rettet mir das Leben.« Natürlich thaten wir ihm den Willen und leisteten den Schwur. Er dankte uns von ganzem Herzen, der arme Kerl, ich glaube, er hätte uns am liebsten umarmt und geküßt. Wir plauderten noch lange zusammen; dann holte er einen kleinen Reisesack herbei, öffnete ihn und bat, wir möchten nicht hinsehen. Wir drehten ihm den Rücken, und als wir uns wieder umwenden durften, war er ganz und gar verändert. Er hatte eine blaue Brille auf und einen langen braunen Knebel- und Schnauzbart, der ihm sehr natürlich zu Gesicht stand. Seine eigene Mutter hätte ihn nicht wiedererkannt. »Sehe ich jetzt noch meinem Bruder Jupiter ähnlich?« fragte er. »Nein,« sagte Tom, »nichts erinnert mehr an ihn, außer Euer langes Haar.« »Das lasse ich mir kurz scheren, ehe ich nach Hause komme. Er und Brace werden mein Geheimnis bewahren und ich kann als Fremder bei ihnen wohnen, ohne daß die Nachbarn Argwohn schöpfen. Wie gefällt euch mein Plan?« Tom dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Huck und ich, wir werden natürlich kein Wort verraten, aber wenn Ihr nicht selber schweigt, so lauft Ihr doch Gefahr, erkannt zu werden. Es würde den Leuten auffallen, daß Eure Stimme genau so klingt, wie die von Jupiter, und dann erinnern sie sich vielleicht an den Zwillingsbruder, den sie für tot gehalten haben und der sich die ganze Zeit unter einem falschen Namen verborgen haben kann.« »Alle Wetter, bist du klug!« rief er; »aber recht hast du. Ich muß mich taubstumm stellen, sobald ein Nachbar in meine Nähe kommt. Es hätte eine schöne Geschichte gegeben, wäre mir das nicht eingefallen. Aber ich wollte ja eigentlich gar nicht nach Hause, sondern nur an irgend einen Ort, wo ich vor den Burschen sicher bin, die mich verfolgen. Dann dachte ich den Bart und die Brille anzulegen, auch andere Kleider und -- --« Mit einmal lief er nach der Thür, hielt das Ohr daran und horchte. Er war bleich geworden und sein Atem flog. »Es klang ganz als würde der Hahn einer Flinte gespannt,« flüsterte er. »Herr des Himmels, ist das ein erbärmliches Leben!« Matt und kraftlos sank er auf einen Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Drittes Kapitel. Von da ab waren wir fast immer bei ihm; meist schlief einer von uns in seiner obern Koje. Er hatte sich so schrecklich einsam gefühlt und es war ihm ein Trost in seiner Not, jemand um sich zu haben, mit dem er reden konnte. Wir brannten natürlich vor Neugier, hinter das Geheimnis zu kommen; aber Tom sagte, wir sollten uns ja nichts merken lassen, dann würde er einmal ganz von selbst anfangen davon zu sprechen. Wollten wir ihn ausfragen, so würde er gleich Argwohn schöpfen und verschwiegen sein wie eine Auster. Es traf auch genau so ein. Daß er uns alles gern erzählt hätte, merkte man ihm leicht an, aber jedesmal wenn wir dachten: jetzt kommt’s! überfiel ihn die Angst und er lenkte das Gespräch auf etwas anderes. Wir erfuhren’s aber doch noch, und das ging so zu: Er hatte angefangen, uns in scheinbar gleichgültigem Ton nach den Passagieren im Zwischendeck zu fragen, die heraufkamen, um sich am Schenktisch Branntwein zu kaufen; wir versuchten sie zu beschreiben, aber das genügte ihm nicht, er wollte alle Einzelheiten wissen. Tom gab sich die größte Mühe und als er bei der Schilderung eines der rohesten und zerlumptesten Kerle angekommen war, fuhr Jack Dunlap schaudernd zusammen. »O Jemine, das ist einer von ihnen! Sie sind wahrhaftig an Bord -- dachte ich mir’s doch! Ich hoffte, ich wäre ihnen entwischt, aber zweifelhaft war mir’s immer. Nur weiter!« Als Tom nun noch einen andern groben und schäbigen Zwischendecks-Passagier beschrieb, ward Dunlap schreckensbleich. »O weh, das ist der zweite, was fang’ ich nur an? Hätten wir doch eine stürmische pechfinstere Nacht und ich könnte das Ufer erreichen. Aber sie haben gewiß jemand bestochen, den Stiefelputzer oder den Kofferträger, um mich zu bewachen. Gelänge es mir auch unbemerkt fortzukommen, so würde keine Stunde vergehen, bis sie es wüßten.« Unruhig ging er auf und ab. Es dauerte gar nicht lange, da fing er an zu erzählen, wie es ihm bald gut bald schlecht ergangen sei, und ehe wir’s uns versahen, kam er ins rechte Fahrwasser. »Wir hatten alles genau verabredet,« sagte er. »Es handelte sich um zwei wunderschöne Diamanten, so groß wie Haselnüsse, in einem Juwelierladen zu St. Louis, die von jedermann bewundert wurden. Wir zogen feine Kleider an und spielten den Streich bei hellem Tage. Die Diamanten ließen wir uns ins Hotel kommen, als ob wir sie kaufen wollten, wenn sie uns gefielen, und schickten dem Juwelier statt dessen zwei Glaspasten, die wir in Bereitschaft gehalten hatten, mit dem Bescheid zurück, die Diamanten seien nicht vom reinsten Wasser und wir fänden den Preis von zwölftausend Dollars zu hoch.« »Zwölf -- tausend -- Dollars!« rief Tom. »Waren sie denn wirklich so viel Geld wert?« »Keinen Cent weniger.« »Und ihr habt euch damit aus dem Staube gemacht?« »Ohne alles weitere. Der Juwelier weiß vielleicht heutigen Tages noch nicht, daß er bestohlen worden ist. Aber wir hielten es doch für unklug, in St. Louis zu bleiben. Wir überlegten hin und her und beschlossen nach dem Obern Mississippi zu reisen. Vorher aber wickelten wir die Diamanten in ein Papier, schrieben unsere Namen darauf und übergaben das Päckchen dem Hoteldiener mit der Anweisung, es keinem von uns wieder einzuhändigen, wenn nicht die beiden andern als Zeugen zugegen wären. Dann machten wir einen Gang in die Stadt, aber jeder für sich allein; ich glaube, wir hatten alle den gleichen Plan, obgleich ich es nicht gewiß behaupten will.« »Welchen Plan?« fragte Tom. »Die andern zu berauben.« »Was -- einer sollte alles nehmen, nachdem er es erst mit Hilfe der andern bekommen hatte?« »So meine ich’s.« Tom war ganz empört darüber; er sagte, es wäre der schändlichste, niederträchtigste Streich, von dem er je gehört hätte. Aber Jack Dunlap versicherte ihm, daß es in seiner Zunft nichts Ungewöhnliches sei. Wer sich einmal diesem Beruf gewidmet hätte, müßte selber auf seinen Vorteil bedacht sein, weil kein anderer Mensch das für ihn besorgen würde. Dann fuhr er in seinem Bericht fort: »Es war natürlich schwierig, zwei Diamanten unter drei Leute zu teilen, das werdet ihr wohl einsehen. Hätten wir drei Diamanten gehabt, ja dann -- -- Aber, wozu noch weiter darüber reden; mehr als zwei waren es nun einmal nicht. So trieb ich mich denn in den Hintergassen umher und dachte nach, wie ich es wohl anstellen könnte, der Diamanten habhaft zu werden. War mir dies geglückt, dann wollte ich mich so verkleiden, daß mich niemand erkennen sollte, und auf und davon gehen. Ich kaufte mir zu diesem Zweck den falschen Bart, die blaue Brille und den bäuerischen Anzug, in dem ihr mich hier seht, und that alles in einen Reisesack, den ich mitgenommen hatte. Als ich vor einem Laden vorbeikam, in dem allerlei Waren feilgeboten wurden, sah ich durchs Fenster. Drinnen stand Bud Dixon, einer von meinen Spießgesellen. ›Ich will doch mal sehen, was der kauft,‹ dachte ich bei mir und verbarg mich, beobachtete aber alles genau. Na, was glaubt ihr wohl, daß er gekauft hat? -- Doch das ratet ihr euer Lebtag nicht, Jungens. Nichts als einen winzig kleinen Schraubenzieher.« »Wie sonderbar. Was wollte er denn damit?« »Das fragte ich mich auch. Ich zerbrach mir den Kopf, konnte aber nicht ins reine kommen. Bei einem Trödler erstand er nun noch ein rotes Flanellhemd und zerlumpte Kleider; dieselben, die er jetzt anhat nach eurer Beschreibung. Nachdem ich das gesehen hatte, ging ich nach der Werft und versteckte meine Sachen auf dem Flußboot, mit dem wir fahren wollten. Als ich dann abermals durch die Straßen schlenderte, sah ich auch meinen andern Kameraden seine Einkäufe machen. Gegen Abend holten wir uns die Diamanten aus dem Hotel und gingen an Bord. »Jetzt waren wir alle übel daran, denn wir durften uns nicht zu Bette legen; wie hätten wir sonst ein wachsames Auge aufeinander haben können. Es war nämlich schon seit ein paar Wochen böses Blut zwischen uns, und wir hielten nur zusammen, solange es das Geschäft erforderte. Zwei Diamanten für drei Personen, das war eben die Verlegenheit. Erst aßen wir zu Abend, dann rauchten wir und schlenderten dabei auf dem Deck umher bis gegen Mitternacht. Endlich gingen wir in meine Kajüte, schlossen die Thür zu, überzeugten uns, ob die Diamanten wirklich noch im Papier waren und legten sie auf die untere Koje, wo wir sie alle drei im Auge behalten konnten. Nun saßen wir stockstill und wurden immer schläfriger. Bud Dixon ließ sich endlich von der Müdigkeit übermannen; der Kopf sank ihm auf die Brust und er schnarchte, daß es eine Art hatte. Da deutete Hal Clayton zuerst auf die Diamanten und dann nach der Thür. Ich verstand ihn, streckte die Hand nach dem Papier aus und nahm es an mich. Wir warteten nun eine Weile, aber Bud schlief fort und regte sich nicht. Leise drehte ich den Schlüssel um und drückte auf die Klinke, dann schlichen wir auf den Zehen hinaus und machten die Thür geräuschlos hinter uns zu. »Das Boot glitt ruhig durch die Flut; Wolken verbargen den Mond und wir wurden von niemand bemerkt. Ohne ein Wort zu reden schritten wir geradeswegs hinauf nach dem Sturmdeck und setzten uns am äußersten Ende neben das Deckfenster. Was das zu bedeuten hatte, wußten wir beide; es bedurfte keiner Erklärung. Wenn Bud Dixon aufwachte und sah, daß die Diamanten fort waren, würde er gleich hinter uns dreinkommen, denn er kannte keine Furcht. Dann wollten wir ihn über Bord werfen, oder bei dem Versuch unser Leben lassen. Mir schauderte, wenn ich nur daran dachte, denn ich bin nicht so mutig wie mancher andere; doch durfte ich meine Angst nicht zeigen, das wäre mir schlecht bekommen. Ich hoffte immer noch, das Boot würde irgendwo anlegen, so daß wir ans Land springen und allen Skandal vermeiden könnten, denn mit Bud Dixon war nicht zu spaßen. »Aber eine Stunde nach der andern verging, wir schifften immer weiter und der Mensch kam nicht auf Deck. Als der Morgen zu dämmern anfing und Bud sich noch nicht sehen ließ, erwachte unser Argwohn. ›Er hält uns vielleicht zum Narren, meinte Hal, mach’ das Papier auf!‹ Das that ich und meiner Seel’, es war nichts darin, als ein paar Zuckerkrümel. Deshalb also hatte er die ganze Nacht so ruhig schnarchen können. Ein schlauer Kerl, so wahr ich lebe. Er muß zwei ganz gleiche Papiere bereit gehalten und sie vor unserer Nase vertauscht haben. »Wir waren nicht wenig verblüfft, doch hatten wir bald einen neuen Plan fertig. Es schien uns am klügsten, leise in die Kajüte zurückzuschleichen, das Papier wieder an Ort und Stelle zu legen und zu thun, als hätten wir nicht gemerkt, daß er uns mit seinem verstellten Schnarchen nur zum Besten hielt. Wir wollten ihm nicht von der Seite gehen und ihn am ersten Abend nach der Landung betrunken machen, seine Kleider durchsuchen, die Diamanten nehmen und ihm womöglich den Garaus machen; denn er würde uns immer auf den Fersen sein, um uns die Beute wieder abzujagen, und wir wären keinen Augenblick unseres Lebens sicher. Das Gelingen des Plans war mir jedoch sehr zweifelhaft. Bud betrunken zu machen, hatte keine Schwierigkeit, aber was nützte es, wenn wir hernach suchten und suchten und doch nichts fanden. »Plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, der mir fast den Atem benahm; doch dann wurde mir auf einmal ganz froh und leicht zu Mute. Ich hatte nämlich gerade meinen Stiefel in der Hand, um ihn anzuziehen, und als ich einen Blick auf die Sohle warf, mußte ich an den rätselhaften kleinen Schraubenzieher denken. Erinnert ihr euch noch daran?« »Das will ich meinen,« rief Tom ganz aufgeregt. »Na, wie ich den Absatz ansah, wußte ich auf einmal, wo Bud die Diamanten versteckt hatte. Schaut her -- das Stahlplättchen hier ist mit kleinen Schrauben festgemacht; die einzigen Schrauben, die der Mensch an sich trug, waren an seinem Stiefelabsatz, und wenn er einen Schraubenzieher brauchte, so wußte ich wohl wozu.« »Ist das nicht famos, Huck?« rief Tom dazwischen. »Als wir in die Kajüte kamen, schnarchte Bud Dixon noch immer, und auch Hal Clayton schlief bald ein, aber ich nicht -- in meinem Leben war ich noch nicht so wach gewesen; ich spähte auf dem Boden umher nach einem Stückchen Leder. Lange konnte ich nichts entdecken, aber endlich fand ich’s. Es war ein rundes, kleines Pflöckchen, fast von der Farbe des Teppichs und etwa so dick wie die Spitze meines kleinen Fingers. ›Aha,‹ dachte ich, ›in dem Nest, wo das herausgekommen ist, liegt jetzt ein Diamant.‹ Auch das zweite Pflöckchen fand ich nach einigem Suchen. »Nun stellt euch einmal diese Unverschämtheit vor! Der Kerl hatte sich ganz genau überlegt, was wir thun würden und wir Dummköpfe waren blindlings in die Falle gerannt. Während wir ihn oben auf dem Sturmdeck erwarteten, um ihn ins Wasser zu werfen, saß er unten, schraubte sich in aller Gemütsruhe die Stahlplättchen ab, schnitt Löcher in seine Absätze, steckte die Diamanten hinein und schraubte die Plättchen wieder fest. Ein Schlaufuchs erster Sorte, nicht wahr?« »Nein, so was ist mir noch nicht vorgekommen!« rief Tom voller Bewunderung. Viertes Kapitel. »Es war ein saueres Stück Arbeit, den ganzen Tag über noch zu thun, als ob wir einander beobachteten, das versichere ich euch. Gegen Abend landeten wir bei einem Städtchen in Missouri, kehrten in einer Schenke ein und ließen uns nach dem Nachtessen ein Schlafzimmer zu dreien im obern Stock geben. Der Wirt ging mit dem Licht voran und wir im Gänsemarsch hinterdrein, die Treppe hinauf. Ich kam zuletzt und schob meinen Reisesack unter den tannenen Tisch auf dem dunkeln Vorplatz. Wir ließen uns eine tüchtige Portion Whisky bringen und spielten Karten um Fünfcentstücke. Als wir die Wirkung des Whisky spürten, hörten wir beide auf zu trinken, schenkten aber Bud immer wieder ein, bis er toll und voll war. Er fiel vom Stuhl, lag am Boden und schnarchte. »Nun ging es ans Geschäft. Ich schlug vor, wir wollten ihm die Stiefel ausziehen und unsere auch, damit es keinen Lärm machte, wenn wir ihn um und um kehrten und ihn durchsuchten. Das geschah, und ich stellte meine Stiefel neben Buds, damit ich sie bei der Hand hätte. Wir zogen ihn aus, befühlten alle Nähte seiner Kleider, suchten in seinen Taschen und Socken, auch inwendig in seinen Stiefeln, kurz überall; auch sein Bündel machten wir auf, fanden aber keine Diamanten. Als der Schraubenzieher zum Vorschein kam, fragte Hal: ›Was kann er wohl damit wollen?‹ Ich sagte, das wüßte ich nicht, aber sobald er sich abwandte steckte ich ihn ein. Endlich sah Hal ganz niedergeschlagen aus und meinte, wir müßten es aufgeben. Darauf hatte ich nur gewartet. »›Etwas haben wir noch nicht durchsucht.‹ »›Was denn?‹ fragte er. »›Seinen Magen.‹ »›Wahrhaftig, daran habe ich nicht gedacht. Das ist die Lösung des Rätsels, so wahr ich lebe. Wie wollen wir’s anfangen?‹ »›Na,‹ sagte ich, ›bleib’ du hier bei ihm, und ich will in die Apotheke gehen und ein Mittel holen, das die Diamanten rasch ans Tageslicht fördern soll.‹ »Er war’s zufrieden, und ich zog vor seiner Nase Buds Stiefel an statt meiner eigenen, ohne daß er’s merkte. Ein wenig zu groß waren sie mir freilich, aber das schadete nicht so viel, als wenn sie zu klein gewesen wären. Ich tappte im Dunkeln durch den Vorplatz, nahm den Reisesack mit und war in der nächsten Minute zur Hinterthür hinaus. »Mit Siebenmeilenschritten ging’s nun am Fluß entlang; mir war dabei gar nicht schlecht zu Mut, ich marschierte ja auf Diamanten. Nach der ersten Viertelstunde hatte ich schon eine große Strecke zurückgelegt. Alle fünf Minuten dachte ich daran, wie Hal Clayton auf meine Rückkehr wartete und immer unruhiger wurde. ›Jetzt fängt er an zu fluchen,‹ sagte ich zu mir, ›und allmählich geht ihm ein Licht auf. Er bildet sich ein, ich hätte die Diamanten gefunden, als wir Bud durchsuchten, sie heimlich in die Tasche geschoben und mir nichts merken lassen. Natürlich wird er gleich meiner Spur folgen, aber ich habe doch wenigstens einen guten Vorsprung.‹ »Indem kam ein Mann auf einem Maultier dahergeritten, und ohne zu überlegen sprang ich ins nächste Gebüsch. Das war dumm! Eine Weile hielt der Mann still, um zu sehen, ob ich wieder herauskäme, dann ritt er weiter. Das konnte mir sehr zum Nachteil gereichen, wenn er etwa auf Hal Clayton stieß und der ihn ausfragte. »Um drei Uhr morgens kam ich nach Alexandria und als ich den Raddampfer vor Anker liegen sah, war ich heilfroh und glaubte, jetzt sei ich gerettet. Es dämmerte bereits und ich ging an Bord, ließ mir die Kajüte hier geben, zog diese Kleider an und setzte mich neben das Ruderhaus, damit mir nichts entgehen könne. Ich wartete mit großer Ungeduld auf die Abfahrt des Bootes, aber es rührte sich nicht. Die Maschine wurde erst ausgebessert, doch davon hatte ich keine Ahnung. »Es wurde Mittag bis wir absegelten und ich hatte mich längst in der Kajüte eingeschlossen. Schon vor dem Frühstück sah ich nämlich von fern einen Mann herankommen, dessen Gang mich an Hal Clayton erinnerte und mir wurde übel und weh. Wenn er mich hier auf dem Boot ausfindig machte, so saß ich wie eine Ratte in der Falle. Er brauchte nur zu warten bis ich ans Land ging und mir zu folgen. An einem abgelegenen Ort würde er mich zwingen die Diamanten herauszugeben und dann -- ja dann war’s um mich geschehen. O, es ist gräßlich -- entsetzlich! Und wenn ich mir nun vorstelle, daß der _andere_ auch an Bord ist! Sagt selbst, Jungens, ist das nicht ein schreckliches Mißgeschick? -- Aber, nicht wahr, ihr verlaßt mich nicht! Ihr helft einem armen Teufel durch, den man zu Tode hetzen will. Auf den Knieen will ich euch verehren, wenn ihr mir beisteht und mich rettet.« Wir thaten was wir konnten, um ihn zu beruhigen: wir versprachen ihm unsere Hilfe, machten allerlei Pläne und redeten ihm seine übergroße Furcht aus. Da wurde er bald wieder zuversichtlicher und zuletzt schraubte er gar die Plättchen von seinen Absätzen und hielt die Diamanten bald so bald so gegen das Licht. Nein, wie sie funkelten und glitzerten und ihr Feuer nach allen Seiten ausstrahlten! Es war schön, das muß ich sagen. Aber er kam mir doch vor wie ein rechter Narr. Ich an seiner Stelle hätte den beiden Spießgesellen die Diamanten ausgeliefert und ihnen gesagt, nun sollten sie ans Land gehen und mich in Ruhe lassen. Doch das fiel ihm gar nicht ein. Er meinte, es wäre ein ganzes Vermögen; der Gedanke es zu verlieren schien ihm unerträglich. Zweimal mußten wir anlegen, um die Maschine in Ordnung zu bringen, was eine ganze Weile dauerte. Die Nacht war aber nicht dunkel genug; er hätte sich schwerlich unbemerkt aus dem Staube machen können. Gegen ein Uhr nachts kamen schwarze Wolken am Himmel herauf, ein Gewitter war im Anzug. Wir hatten an einem Holzhof angelegt, noch etwa vierzig Meilen von Onkel Silas’ Farm, und Jack hielt die Gelegenheit für günstig. Es regnete stark, der Sturm brach los, und die Leute, die das Holz einluden, zogen sich zum Schutz grobe Säcke über den Kopf. Auch Jack verschafften wir einen. Er nahm seine Reisetasche, lief aufs Hinterdeck, kam dann wie die andern Matrosen nach vorn marschiert und ging mit ihnen ans Land. Als er aus dem Bereich der Fackeln war und in der Finsternis verschwand, holten wir tief Atem und waren voller Dank und Freude. Allein das Vergnügen dauerte nicht lange. Kaum zehn Minuten vergingen, da stürmten die beiden schlimmen Gesellen auf Deck; sie sprangen ans Ufer und wir sahen sie nicht wieder. Bis zum Morgengrauen warteten wir und hofften sie würden zurückkommen, allein vergebens. Vielleicht hatten sie aber doch Jack nicht mehr einholen können und seine Spur verloren; darauf setzten wir unser ganzes Vertrauen. Er wollte am Fluß entlang gehen und sich in dem Ahornwäldchen hinter Onkel Silas’ Tabakfeld verbergen. Dort hatten wir versprochen ihn zu treffen, sobald es dämmerig würde und ihm Nachricht zu bringen, ob seine Brüder Brace und Jupiter zu Hause wären und keinen fremden Besuch hätten. Tom und ich sprachen lange darüber, wie es ihm wohl ergehen würde. Rannten seine Verfolger flußaufwärts statt abwärts, dann war er gerettet. Aber das ließ sich kaum erwarten. Wahrscheinlich, meinte Tom, würden sie ihm tagsüber auf den Fersen bleiben, ohne daß er Argwohn schöpfte, und sobald es dunkelte ihn umbringen und ihm die Stiefel fortnehmen. -- Das betrübte uns sehr. Fünftes Kapitel. Erst spät am Nachmittag war die Maschine fertig ausgebessert. Als wir nicht weit von Onkel Silas’ Farm anlegten, ging die Sonne bereits unter. So liefen wir denn zuerst spornstreichs nach dem Ahornwäldchen, um Jack den Grund der Verzögerung mitzuteilen, damit er auf uns wartete, bis wir bei Brace gewesen wären und wüßten, wie die Sachen standen. Gerade als wir keuchend um die Ecke bogen und die Ahornbäume schon von fern sahen, kamen zwei Männer quer über den Weg in das Wäldchen gesprungen und wir hörten einen gräßlichen Hilfeschrei, der sich mehrmals wiederholte. »Jetzt haben sie den armen Jack umgebracht,« sagten wir und flohen voll Todesangst nach dem Tabakfeld. Kaum hatten wir uns dort versteckt und zitterten noch wie Espenlaub, als wir abermals zwei Männer an uns vorbeilaufen und in dem Wäldchen verschwinden sahen. Schon im nächsten Augenblick kamen ihrer vier wieder heraus: zwei hatten die Flucht ergriffen und zwei verfolgten sie. Kalter Angstschweiß perlte uns auf der Stirn, während wir auf dem Boden lagen und horchten; doch vernahmen wir keinen andern Laut als das Pochen unserer Herzen. Immer mußten wir an den Ermordeten drüben im Wäldchen denken und uns gruselte als wäre uns ein Gespenst in nächster Nähe. Plötzlich kam der Mond hinter den Baumwipfeln hervor, groß, rund und glänzend, wie ein Gesicht, das durch die Eisenstäbe der Gefängniszelle guckt. Schwarze Schatten und weiße Flecken huschten hierhin und dorthin; es war unheimlich still ringsum, nur der Nachtwind stöhnte in den Zweigen. Da flüsterte Tom auf einmal: »Sieh! -- was ist das?« »Du brauchst mich nicht noch unnötig zu erschrecken; ich bin sowieso schon halb tot,« rief ich. »Aber, so sieh doch, was da aus dem Ahornwäldchen herauskommt!« »Hör’ auf, Tom!« »Eine riesige Gestalt; sie kommt auf uns zu!« Er hatte vor Erregung kaum Atem genug zum flüstern. Ich wollte nicht hinsehen und doch that ich’s. Wir knieten jetzt beide auf der Erde, stützten das Kinn auf den Lattenzaun und starrten in Schweiß gebadet die Straße ’runter. Die Gestalt ging im Schatten der Bäume, man konnte sie erst ordentlich sehen, als sie dicht in unserer Nähe war und ins helle Mondlicht hinaustrat. Da fielen wir um wie vom Donner gerührt -- kein Zweifel, es war Jack Dunlaps Geist! -- Ein paar Minuten lagen wir regungslos da; als wir wieder aufsahen war das Gespenst verschwunden. »Du,« flüsterte Tom, »Gespenster sehen doch immer grau und neblig aus, als ob sie lauter Dunst wären; aber dieses gar nicht.« »Nein; ich hab’ seine Brille und den Schnurrbart ganz deutlich erkannt.« »Ja, und den Anzug -- die grün und schwarz gewürfelten Hosen --« »Die feuerrote Weste von Baumwollsammet mit den gelben Punkten --« »Die ledernen Stege unten am Hosenbein -- einer war nicht angeknüpft --« »Ja, und der Hut -- eine richtige hohe Angströhre mit breiter Krempe.« »Glaubst du, Huck, daß es ebensolches Haar hatte wie er?« »Ja -- doch bin ich nicht ganz sicher.« »Ich auch nicht; aber den Reisesack hab’ ich in seiner Hand gesehen.« »Haben denn Gespenster einen Reisesack, Tom?« »Warum nicht, Huck? Aber natürlich aus Gespensterstoff, wie die Kleider und alles. Stell’ dich doch nicht so dumm an!« Jetzt kamen Bill Withers und sein Bruder Hans an uns vorüber. Sie waren in ihr Gespräch vertieft, wir verstanden aber alles, was sie sagten: »Es sah aus als könnte er es kaum mehr schleppen,« meinte Bill. »Jawohl, schwer schien es zu sein. Es war gewiß ein Neger, der dem alten Pfarrer Silas Korn gestohlen hat,« sagte Hans. »Das dachte ich gleich und that, als bemerkte ich ihn nicht.« »So hab’ ich’s auch gemacht. Hahaha!« Also, Onkel Silas war so unbeliebt geworden, daß die Leute lachten, wenn ihm ein Dieb sein Korn stahl! Wie war das nur möglich? Bald hörten wir wieder Stimmen; je näher sie kamen, um so lauter wurde das Gespräch. Es waren zwei Nachbarn, Lem Beebe und Jim Lane. »Wer?« fragte Jim, -- »Jupiter Dunlap?« »Ja, ganz gewiß,« entgegnete Lem. »Hm. Vor etwa einer Stunde, eben als die Sonne unterging, hab’ ich ihn mit dem Spaten gesehen; sie gruben ein Stück Land um, er und der Pfarrer. Seinen Hund wollte er uns leihen, sagte er, aber er selber käme heute abend wahrscheinlich nicht.« »Er wird wohl zu müde sein von der schweren Arbeit.« »Verlaß dich drauf. Haha!« Sie gingen lachend weiter; Tom sprang auf und wir folgten ihnen von fern. Dem Gespenst ganz allein zu begegnen, wäre doch gar zu unbehaglich gewesen. Dies alles geschah am 2. September, einem Sonnabend. Den Tag werde ich nie vergessen; man wird bald erfahren weshalb. Sechstes Kapitel. Schon sahen wir die Lichter vom Hause zu uns herüberscheinen, und die Hunde kamen alle herbeigelaufen, uns zu begrüßen, da sagte Tom: »Warte noch ’nen Augenblick. Wenn wir jetzt ’reinkommen, meinst du wohl, ich müßte gleich unser ganzes Abenteuer erzählen, daß alle Mund und Nase aufsperren vor Verwunderung?« »Versteht sich; solche Gelegenheit wirst du dir doch nicht entgehen lassen, Tom.« »Na, da irrst du dich gewaltig. Kein Sterbenswörtchen verraten wir davon und zwar aus sehr nahe liegenden Gründen. Sag ’mal, Huck -- ging das Gespenst barfuß?« »Bewahre, es hatte ja Stiefel an.« »Hast du das wirklich gesehen? Kannst du ’nen Eid darauf leisten?« »Jawohl, das kann ich.« »Ich auch. Und das ist der beste Beweis dafür, daß die Diebe die Diamanten nicht gefunden haben. Natürlich nicht -- die zwei andern Männer haben sie ja vertrieben, ehe sie der Leiche die Stiefel ausziehen konnten; deshalb trug sie das Gespenst auch noch.« »Stiefel aus dem Geisterstoff wie die andern Kleider, nicht wahr, Tom?« »Freilich. Und weißt du, Huck, was nun geschieht? Die zwei Männer erzählen, sie hätten das Geschrei gehört, die Mörder verjagt, aber den Fremden nicht retten können. Nun kommt die Totenschau, besichtigt alles an Ort und Stelle, und ehe man die Leiche begräbt, werden ihre Sachen versteigert, um die Kosten herauszuschlagen. Dann ist unser Glück gemacht.« »Wieso?« »Na, das ist doch klar: Wir kaufen die Stiefel für zwei Dollars.« »Und kriegen die Diamanten?« »Versteht sich. Eines schönen Tages wird man eine hohe Belohnung dafür bieten -- wenigstens tausend Dollars. Und das ist unser Geld. -- Jetzt komm ins Haus; aber von den Räubern, den Diamanten und dem Mord weißt du keine Silbe -- das merke dir.« »Wie sollen wir es aber Tante Sally erklären, wenn sie fragt, warum wir erst so spät kommen und wo wir so lange geblieben sind?« »Das überlasse ich dir; du wirst schon eine Ausrede finden.« Das sah Tom ganz gleich. Er war viel zu wahrheitsliebend um selbst eine Lüge zu sagen. Wir gingen nun quer über den Hof, wo wir zu unserer Freude alles unverändert fanden, und kamen in den bedeckten Gang zwischen dem Holzschuppen und der Küche. Da hingen noch mancherlei Gegenstände, die wir kannten, unter anderm auch Onkel Silas’ grüner Arbeitskittel mit der Kaputze und dem weißen Flicken zwischen den Schultern, der immer aussah, als hätte ihn jemand mit ’nem Schneeball geworfen. Rasch drückten wir auf die Klinke der Stubenthür und traten ein. Tante Sally wirtschaftete im Zimmer herum; in einer Ecke saßen die Kinder auf einem Häufchen, in der andern las der Onkel im Gebetbuch. Tante fiel uns gleich vor Freuden um den Hals, dann zauste sie uns bald an den Haaren, bald drückte sie uns ans Herz, während ihr helle Thränen über die Backen liefen, so froh war sie, uns wiederzusehen. »Wo habt ihr Taugenichtse euch denn so lange herumgetrieben?« rief sie. »Ich hab’ mir um euch schier die Seele aus dem Leib geängstet. Eure Siebensachen sind schon vor ’ner Ewigkeit angekommen, und viermal hab’ ich das Essen wieder aufgewärmt, damit ihr nicht zu warten braucht. Die Haut sollte man euch über die Ohren ziehen. Aber nun setzt euch nur, ihr müßt ja halb verhungert sein; setzt euch, ihr armen Jungen, und laßt’s euch schmecken.« O, wie behaglich saß sich’s dort an der reich besetzten Tafel! Onkel Silas sprach sein längstes Tischgebet und bald stand ein aufgehäufter Teller an meinem Platz. Als ich gerade im besten Schmausen war, fragte die Tante plötzlich, wo wir denn gewesen wären. Ich hatte mir’s schon zum voraus überlegt: »Wir sind zu Fuß durch den Wald gegangen,« sagte ich, »da sind uns Lem Beebe und Jim Lane begegnet und haben uns aufgefordert mit ihnen Heidelbeeren zu suchen; Jupiter Dunlap wollte ihnen seinen Hund dazu leihen, das hatte er ihnen gerade versprochen -- --« »Wo haben sie ihn gesehen?« fiel mir der alte Silas auf einmal so hastig in die Rede, daß ich verwundert dreinschaute und ganz verwirrt wurde, weil er mich mit durchbohrenden Blicken ansah. Aber ich nahm mich zusammen und antwortete: »Als Ihr mit ihm das Stück Land umgrubet, bei Sonnenuntergang.« »Hm,« sagte er mit enttäuschter Miene und nahm weiter keine Notiz von mir, während ich fortfuhr: »Wir gingen mit, und -- --« »Schweig still mit deinem Unsinn, Huck Finn,« rief jetzt Tante Sally entrüstet; »wer hat je davon gehört, daß man bei uns im September Heidelbeeren pflückt und obendrein zur Nachtzeit? Was soll der Hund dabei -- vielleicht die Heidelbeeren aufspüren?« -- »Sie sagten -- sie hätten eine Laterne -- --« stammelte ich. »An dem allen ist kein wahres Wort. Ich weiß, ihr habt irgend einen dummen Streich gemacht, da müßte ich euch beide nicht kennen. Na, Tom, heraus mit der Sprache, nicht erst lange gefackelt!« Tom nahm eine gekränkte Miene an. »Wie kannst du nur den armen Huck schelten, Tante, bloß weil er sich versprochen hat. Er meint natürlich Erdbeeren, wenn er Heidelbeeren sagt. Das weiß doch ein jedes Kind, daß man in der ganzen Welt -- nur nicht hier in Arkansas -- einen Hund und eine Laterne mitnimmt, wenn man Erdbeeren suchen geht.« Nun riß aber Tante Sally der Geduldsfaden; sie wurde ernstlich böse und schüttete einen ganzen Schwall von Worten, die sie gar nicht schnell genug heraussprudeln konnte, über unsere schuldigen Häupter aus. Darauf hatte Tom aber wie gewöhnlich gerechnet. Er ließ sie sich immer in Zorn reden und schwieg mäuschenstill, bis ihre Hitze verflogen war; dann wollte sie meist vor Aerger keine Silbe mehr über die ganze Angelegenheit hören. So kam es auch diesmal. Als sie sich heiser gesprochen hatte und einen Augenblick Atem schöpfen mußte, sagte Tom in aller Seelenruhe: »Und trotzdem weiß ich doch, Tante --« »Schweig’ still,« rief sie; »du thust den Mund nicht mehr auf, das sage ich dir!« So kamen wir aus aller Verlegenheit und von der Verzögerung unserer Ankunft war nicht mehr die Rede. Das hatte Tom wirklich schlau eingerichtet. Siebentes Kapitel. Benny machte ein sehr ernstes Gesicht und seufzte auch hin und wieder; aber bald fing sie an sich nach Toms Geschwistern Mary und Sid zu erkundigen und besonders nach Tante Polly. Allmählich erheiterte sich auch Tante Sallys Miene, ihre gute Laune kehrte zurück, sie fragte uns dieses und jenes und war wieder so gut und lieb wie immer, so daß unser Abendessen noch einen ganz lustigen Verlauf nahm. Nur der alte Silas beteiligte sich nicht an der Unterhaltung; er war unruhig und zerstreut, auch stieß er oft so tiefe Seufzer aus, daß es einem in der Seele wehthat, ihn so verstört und bekümmert zu sehen. Eine Weile nach dem Abendessen klopfte es an die Thür; ein Neger steckte den Kopf herein, er trug seinen alten Strohhut in der Hand und sagte unter vielen Bücklingen und Kratzfüßen, sein Herr, Massa Brace, warte draußen am Zaun und lasse den Massa Silas fragen, wo sein Bruder wäre, der zum Essen nicht nach Hause gekommen sei. Da fuhr Onkel Silas so heftig auf, wie ich es noch nie von ihm gehört hatte: »Bin ich etwa seines Bruders Hüter?« Gleich nachher war es ihm aber wieder leid, er sank in sich zusammen und sprach im sanftesten Ton: »Du brauchst ihm das nicht zu wiederholen, Billy, ich bin seit einigen Tagen gar nicht wohl und so reizbar, daß ich meine Worte nicht wägen kann. Er ist nicht hier, sage ihm das.« Als der Neger fort war, ging der alte Mann ruhelos in der Stube auf und ab, wobei er fortwährend unverständliche Worte murmelte und sich mit den Händen ins Haar fuhr. Es war recht jämmerlich anzusehen; doch Tante Sally flüsterte uns zu, nicht acht auf ihn zu geben. Sie sagte, seit so viel Mißgeschick über ihn gekommen sei, gerate er oft tief in Gedanken und wisse kaum mehr, was er thue und treibe. Auch bei Nacht wandle er viel häufiger als früher im Schlaf, entweder nur im Hause oder auch draußen im Freien. Wenn wir ihn einmal dabei beträfen, sollten wir ihn ruhig gehen lassen und ihn ja nicht aufwecken. Es könne ihm niemand helfen, außer Benny, die ihn am besten zu behandeln verstehe. Auch diesmal schlich sie sich an seine Seite, als er anfing müde zu werden von dem ewigen Hin- und Herwandern. Sie schlang ihren Arm um ihn und ging mit, bis er lächelnd auf sie herabschaute und sich niederbeugte um sie zu küssen. Allmählich wich der gequälte Ausdruck aus seinem Gesicht und er ließ sich von ihr auf sein Zimmer geleiten. Es war eine Freude, den liebevollen Verkehr von Vater und Tochter zu sehen. Tante Sally mußte nun die Kinder zu Bett bringen und da Tom und ich anfingen uns zu langweilen, machten wir noch einen Gang bei Mondschein in das Feld, wo die reifen Wassermelonen standen. Wir aßen nach Herzenslust und besprachen dabei mancherlei. Tom meinte, er hege nicht den geringsten Zweifel, daß Jupiter ganz allein an dem Streit schuld sei. Bei erster Gelegenheit werde er sich Gewißheit darüber verschaffen und dann Onkel Silas nach Kräften bereden ihn fortzuschicken. Wohl zwei Stunden lang schwatzten, rauchten und schmausten wir dort. Als wir ins Haus zurückkehrten war es ganz still und dunkel; alle hatten sich zur Ruhe begeben. Tom, dem nichts entging, bemerkte jetzt, daß der alte grüne Arbeitskittel seltsamerweise von dem Nagel verschwunden war, wo er ihn noch vorhin hatte hängen sehen. Dann suchten wir unsere Schlafkammer auf. Im Nebenzimmer hörten wir Benny noch lange herumhantieren; sie sorgte sich gewiß um ihren Vater und fand keinen Schlaf. Auch wir waren viel zu aufgeregt, um zu Bette zu gehen; so blieben wir denn wach, unterhielten uns im Flüsterton und waren in recht trübseliger Stimmung. Wir sprachen immer wieder von dem Ermordeten und dem Gespenst, bis uns so unheimlich und gruselig zu Mute wurde, daß von Einschlafen keine Rede sein konnte. Es war schon spät in der Nacht, als mich Tom plötzlich mit dem Ellenbogen stieß und nach dem Fenster deutete. Ich sah hin; drunten im Hof trieb sich ein Mann herum, doch konnte ich ihn bei der Dunkelheit nicht erkennen. Jetzt kletterte er über den Zaun und da kam gerade der Mond heraus und schien auf den weißen Flicken des alten Arbeitskittels. »Siehst du den Nachtwandler,« sagte Tom. »Ich wollte, wir dürften ihm folgen und sehen, wo er hingeht mit der langen Schaufel, die er über der Schulter trägt. Er biegt nach dem Tabakfeld ein -- nun ist er verschwunden. Der arme Onkel, -- es thut mir so leid, daß er gar keine Ruhe findet.« Wir warteten lange, aber er kam nicht zurück; vermutlich hatte er einen andern Heimweg eingeschlagen. So legten wir uns denn endlich nieder und verfielen in einen unruhigen Schlaf, der uns mit tausenderlei Beängstigungen quälte. Im Morgengrauen waren wir schon wieder wach; ein Gewitter war heraufgezogen, Blitze zuckten, der Donner krachte, der Wind schüttelte die Bäume, der Regen fuhr in Strömen nieder und die Rinnsteine wurden zu rauschenden Bächen. »Höre mal, Huck,« sagte Tom, »mir kommt’s sehr seltsam vor, daß man noch gar nichts von Jack Dunlaps Ermordung gehört hat. Die Männer, von denen Hal Clayton und Bud Dixon verjagt wurden, haben die Sache doch in der nächsten halben Stunde sicherlich überall erzählt und sie muß sich wie ein Lauffeuer von Farm zu Farm verbreitet haben. Solche große Neuigkeit kommt doch alle dreißig Jahr höchstens zweimal vor. Es ist wirklich merkwürdig, Huck, ich kann es nicht begreifen. Wäre nur erst das Gewitter vorüber, damit wir hinauskönnten um zu sehen, ob nicht irgend jemand auf der Straße davon anfängt. Wir müssen dann natürlich sehr überrascht und entsetzt sein.« Es war schon heller lichter Tag, als der Regen aufhörte. Wir schlenderten die Straße hinunter, begrüßten jeden, der uns begegnete, sagten wann wir angekommen wären, wie wir die Unserigen verlassen hätten, wie lange wir zu bleiben gedächten, und dergleichen mehr; aber kein Mensch äußerte eine Silbe über den Mord, was uns höchlich wundernahm. Tom meinte, wenn wir in das Ahornwäldchen gingen, würde die Leiche ganz einsam und verlassen daliegen und keine Menschenseele weit und breit zu sehen sein. Wahrscheinlich hätten die Verfolger die Mörder tief in den Wald hinein gejagt, diese hätten sich endlich umgewendet und sich auf sie geworfen. Nachdem sie einander alle umgebracht, wäre natürlich niemand mehr am Leben gewesen, um die Nachricht zu verbreiten. Während dieser Reden waren wir unversehens nach dem Ahornwäldchen gekommen. Mir lief der kalte Schweiß den Rücken hinunter und ich wäre um nichts in der Welt auch nur einen Schritt weiter gegangen. Doch Tom ließ es keine Ruhe -- er mußte wissen, ob der Ermordete die Stiefel noch anhatte. So kroch er denn ins Dickicht, kam aber schon im nächsten Augenblick in größter Erregung wieder heraus. »Huck, er ist fort,« rief er. »Im Ernst, Tom?« fragte ich starr vor Staunen. »Jawohl, er ist wirklich fort; es ist nichts mehr von ihm zu sehen. Der Boden ist nur etwas zertrampelt und wenn blutige Spuren da waren hat sie der Regen verwaschen; es ist lauter Schmutz und Morast da drinnen.« Nun faßte ich mir ein Herz und überzeugte mich mit eigenen Augen, daß kein Leichnam mehr da war. »Verwünscht,« rief ich, »die Diamanten sind weg!« »Glaubst du nicht, daß die Mörder zurückgekommen sind und ihn fortgeschleppt haben?« »Höchst wahrscheinlich. Wo meinst du wohl, daß sie ihn versteckt haben können?« »Wie soll ich das wissen?« sagte er ärgerlich. »Es ist mir auch einerlei. Mir war nur an den Stiefeln etwas gelegen. Nach der Leiche werde ich den Wald nicht durchsuchen; meinetwegen mag sie sein wo sie will. Die Hunde werden sie sowieso bald aufspüren.« Wir schlichen betrübt und enttäuscht nach Hause zurück. Mein Lebtag hatte mich noch keine Leiche so geärgert und betrogen wie diese. Achtes Kapitel. Beim Frühstück ging es nicht sehr munter zu. Tante Sally sah alt und müde aus; sie ließ die Kinder unter einander zanken und streiten ohne ihnen zu wehren, wie sie es sonst immer that. Tom und ich waren so voller Gedanken, daß wir gar nicht sprachen und Benny mochte wohl die ganze Nacht kein Auge zugethan haben. So oft sie den Kopf ein wenig hob und nach ihrem Vater hinschaute, mußte sie mit den Thränen kämpfen. Der Alte ließ das Essen auf seinem Teller kalt werden, er rührte keinen Bissen an, redete kein Wort, sondern sann und sann nur immer vor sich hin. Als die Stille am allerdrückendsten war, steckte der Neger wieder den Kopf durch die Thür und sagte, Massa Brace hätte schrecklich Angst um seinen Bruder Jupiter, der noch immer nicht heimgekommen wäre. Massa Silas sollte doch so gut sein und -- -- Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, denn Onkel Silas hatte sich plötzlich aufgerichtet. Er sah den Neger an und zitterte dabei so, daß er sich am Tisch festhalten mußte. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt; erst nach einer Weile stammelte er mühsam: »Er glaubt wohl -- er glaubt wohl -- was denkt er sich eigentlich? -- Sag’ ihm -- sag’ ihm --« kraftlos sank er wieder in seinen Stuhl zurück. »Geh fort -- geh fort!« murmelte er so leise, daß man es kaum verstehen konnte. Der Neger machte sich erschrocken aus dem Staube, während Onkel Silas die Hände rang und seine Augen verdrehte, als läge er im Sterben; es war ein schrecklicher Anblick. Wir saßen alle da, wie festgebannt, nur Benny erhob sich leise, Thränen liefen ihr die Wangen herunter, sie trat neben den Stuhl ihres Vaters, bettete sein graues Haupt an ihrer Brust und streichelte ihn sanft und liebevoll. Dann winkte sie uns, wir sollten fortgehen, und wir verließen das Zimmer so still, als läge ein Toter darin. In furchtbar ernster Stimmung schlugen Tom und ich den Weg nach dem Walde ein. Wie ganz anders war es doch hier bei unserm Besuch letzten Sommer gewesen: alles so glücklich und friedevoll, Onkel Silas so heiter, so wunderlich und voll kindlicher Einfalt und dabei so hochgeachtet von jedermann. Jetzt hatte er entweder den Verstand schon verloren, oder man mußte doch jeden Augenblick fürchten, daß er von Sinnen käme. Es war ein sonniger, herrlicher Tag; weiter und weiter gingen wir über die Hügel nach der Ebene zu und konnten uns nicht satt sehen an den Bäumen und Blumen ringsum. Daß es in dieser schönen Welt auch Unglück gab, schien uns ganz unbegreiflich. Traurig zu sein, kam uns wie ein Unrecht vor. Auf einmal fühlte ich, daß mir der Atem stockte; ich hielt Tom am Arm fest und mein Herz pochte wie ein Schmiedehammer. »Da ist es!« rief ich; wir sprangen hinter einen Busch und Tom flüsterte: »St! -- Mach’ keinen Lärm.« Es saß gerade am Ende der kleinen Waldwiese auf einem Holzblock und stützte den Kopf in die Hand. Vergebens bemühte ich mich, Tom zur Flucht zu überreden; er rührte sich nicht vom Fleck, denn er meinte, vielleicht würde er sein Lebtag keine so günstige Gelegenheit mehr haben, ein Gespenst zu sehen, deshalb wollte er dieses nach Herzenslust betrachten und wenn es sein Tod wäre. So blieb ich denn auch da und riß die Augen auf, obgleich mir’s gar nicht wohl dabei zu Mute war. »Der arme Jack,« raunte mir Tom zu, denn schweigen konnte er nicht; »alle seine Sachen hat er an, wie er’s uns vorausgesagt hat. Auch das Haar hat er sich kurz geschoren. Daß ein Gespenst so natürlich aussehen könnte, hätte ich nie gedacht.« »Ich auch nicht; man würde es überall wiedererkennen.« »Ganz wie bei Lebzeiten. Und am meisten wundert mich noch, daß es bei Tage umgeht. Die andern kommen immer erst nach Mitternacht zum Vorschein. Du, Huck, mit dem ist’s nicht ganz richtig; es hat kein Recht, sich jetzt hier herumzutreiben, das kannst du mir glauben. Jack wollte sich taubstumm stellen, weil ihn die Nachbarn sonst an der Stimme erkannt hätten. Meinst du, das Gespenst würde das auch thun, wenn ich’s jetzt anriefe?« »Tom, ums Himmels willen, du wirst doch so was nicht wagen!« »Sei nur ganz ruhig, ich denke nicht dran. Aber, was ist das -- jetzt kratzt es sich am Kopf -- ein Gespenst kann’s doch nicht jucken, das ist ja aus lauter Dunst! Wahrhaftig, Huck, ich glaube, es ist gar kein wirkliches Gespenst, es müßte doch sonst --« »Was denn, Tom?« »_Durchsichtig_ sein, so daß man die Büsche dahinter sehen könnte.« »Du hast recht, sein Körper ist so fest wie der einer Kuh. Weißt du, ich fange an zu glauben --« »Jetzt nimmt es den Mund voll Tabak und fängt an zu kauen -- das ist ja unmöglich, es hat doch keine Zähne. Höre, Huck!« »So sprich doch!« »Es ist gar kein Gespenst, sondern Jack Dunlap wie er leibt und lebt! -- Haben wir etwa eine Leiche im Ahornwäldchen gefunden?« »Nein, keine Spur.« »Weißt du auch warum? -- Weil nie eine da war.« »Aber Tom, wir haben doch das Geschrei gehört!« »Ist das etwa ein Beweis, daß jemand umgebracht worden ist? -- Erst sahen wir vier Männer laufen und dann kam dieser aus dem Wald gegangen. Wir hielten ihn für einen Geist, aber es war so wenig ein Geist wie du einer bist. Es war Jack Dunlap selbst und der sitzt jetzt dort drüben und spielt den Fremden und Taubstummen, ganz wie er’s mit uns verabredet hatte. Der -- ein Gespenst! Nein, Fleisch und Bein ist er, da wett’ ich alles drauf.« Ich sah nun auch unsern Irrtum ein, und wir waren beide herzlich froh, daß Jack nicht umgebracht worden war. Was sollten wir aber jetzt thun? Ihn anreden oder vorgeben, ihn nicht zu kennen? Tom hielt es für das beste, ihn selber zu fragen, wie er es haben wolle. Also ging er geradeswegs auf ihn zu, während ich mich etwas im Hintergrund hielt, für den Fall, daß es doch ein Gespenst wäre. Als Tom ganz nahe bei ihm war sagte er: »Guten Tag! Wir freuen uns sehr, Euch wiederzusehen, Huck und ich. Fürchtet nur nicht, daß wir Euch verraten. Wenn Ihr es für besser haltet wollen wir thun, als hätten wir Euch nie gekannt. Sagt nur, ob Euch das recht ist. Ihr könnt Euch dann fest auf uns verlassen; wir würden uns eher die Hand abhacken als Euch Schaden thun.« Zuerst zeigte er sich sehr überrascht uns zu sehen und keineswegs erfreut; aber bei Toms Rede erhellte sich sein Gesicht und zuletzt lächelte er, nickte mehrmals mit dem Kopf, machte allerlei Zeichen mit den Händen und sagte: »Goo -- goo -- goo -- goo,« ganz wie ein Taubstummer. Indessen sahen wir ein paar von Steffen Nickersons Angehörigen, die jenseits der Wiese wohnten, daherkommen. »Ihr macht Eure Sache ganz ausgezeichnet,« sagte Tom, »natürlich müßt Ihr Euch üben so viel Ihr könnt, an uns so gut wie an den andern, damit Ihr auf Eurer Hut seid und niemals aus der Rolle fallt. Wir wollen Euch auch so wenig wie möglich in den Weg kommen und keiner Seele verraten, daß wir Euch kennen. Laßt es uns aber ja wissen, wenn Ihr einmal Hilfe braucht.« Als wir den Nickersons begegneten, hielten sie uns natürlich an und wollten wissen, wer der Fremde dort drüben sei, wie er heiße, woher er komme, ob er Baptist oder Methodist, liberal oder konservativ wäre und was dergleichen Fragen mehr sind, die wir Amerikaner bei jeder neuen Erscheinung gleich auf der Zunge haben. Tom erwiderte jedoch, er hätte aus den Zeichen des Taubstummen und seinen Naturlauten nicht klug werden können. Mit großer Spannung beobachteten wir nun von ferne, wie sie Jack auszuforschen begannen. Erst als wir ihn seine Zeichen machen sahen und wußten, daß alles gut ablaufen würde, beruhigten wir uns wieder und machten, daß wir weiter kamen, weil wir gern während der Zwischenstunde beim Schulhaus sein wollten. Es war recht ärgerlich, daß uns Jack nicht erzählen konnte, was sich in dem Ahornwäldchen zugetragen hatte und ob er fast umgebracht worden wäre; aber Tom bemerkte ganz richtig, daß ein Mensch in Jacks Lage nicht vorsichtig genug sein könne und am besten thäte still zu schweigen, um sich keiner Gefahr auszusetzen. In der Zwischenstunde ging es sehr lustig zu, alle Knaben und Mädchen freuten sich, uns wiederzusehen. Die beiden Hendersons waren auf ihrem Schulweg dem Taubstummen begegnet und wurden deshalb von den übrigen sehr beneidet, da alle vor Neugier brannten, ihn zu sehen, und von gar nichts anderm reden mochten. Es kostete Tom keine kleine Ueberwindung, nichts zu verraten. Hätten wir alles erzählen dürfen, wie würde man uns bewundert haben! Aber viel heldenhafter war es doch noch, Stillschweigen zu bewahren. Unter Millionen Jungen hätte man nicht zwei finden können, die das fertig brachten. Davon war Tom wenigstens überzeugt und schließlich mußte er es doch am besten wissen. Neuntes Kapitel. In den nächsten zwei oder drei Tagen ging der Taubstumme bei den Nachbarn aus und ein und war bald allgemein beliebt. Jeder war stolz, mit einer so merkwürdigen Persönlichkeit zu verkehren; man lud ihn zum Frühstück, zu Mittag und zum Abendessen ein, bewirtete ihn aufs beste und wurde nicht müde, ihn anzustarren. Gern hätten die Leute mehr über ihn erfahren, aber seine Zeichen verstanden sie nicht -- er wußte wohl selbst nicht, was sie bedeuteten. Seine Naturlaute bewunderten sie dagegen sehr und freuten sich, so oft er sie hören ließ. Auch reichte er eine Tafel herum nebst Schieferstift, damit man Fragen an ihn stellen könne; die Antworten, die er aufschrieb, konnte aber niemand lesen, außer Brace Dunlap, dem es freilich auch Mühe machte; doch fand er häufig wenigstens den Sinn heraus. Er sagte, der Taubstumme käme von weit her und habe früher im Wohlstand gelebt, dann sei er Schwindlern in die Hände gefallen, die sein Vertrauen mißbraucht hätten. Jetzt sei er arm und wüßte nicht, wie er sein Brot erwerben solle. Man lobte Brace allgemein, daß er sich des Fremden so hilfreich annahm. Er hatte ihm ein kleines Blockhaus zur Wohnung angewiesen, seine Neger mußten es in Ordnung halten und ihm zu essen bringen so viel er wollte. Auch in unser Haus kam der Taubstumme öfters, weil es Onkel Silas Trost gewährte, einen Menschen zu sehen, der auch von Trübsal heimgesucht war wie er. Tom und ich thaten, als hätten wir ihn noch nie erblickt, und auch er stellte sich uns gegenüber ganz fremd. Der Familienkummer wurde in seiner Gegenwart ohne Scheu besprochen, was ja im Grunde nichts schadete. Gewöhnlich schien er gar nicht acht darauf zu geben, aber manchmal that er es doch. Als drei Tage vergangen waren, fingen die Nachbarn an, sich über Jupiter Dunlaps Ausbleiben zu beunruhigen. Einer fragte den andern, wo er wohl hingeraten sein könne; man schüttelte den Kopf und fand es höchst seltsam und unerklärlich. Abermals verstrichen ein paar Tage; da entstand ein Gerücht, daß er vielleicht ermordet wäre. Das machte natürlich großes Aufsehen und ein endloses Gerede. Am Samstag zogen die Leute truppweise in den Wald, um die Leiche aufzustöbern. Tom und ich gingen auch mit und halfen suchen. Tom konnte vor Aufregung tagelang weder essen noch schlafen und glühte vor Eifer, weil er meinte, wenn wir den Leichnam fänden, würden wir berühmt werden und unser Name in aller Munde sein. Die andern bekamen es zuletzt satt und gaben das Suchen auf. Aber Tom Sawyer dachte nicht daran, er war unermüdlich. Die ganze Nacht schloß er kein Auge, er sann über einen Plan nach und als der Morgen dämmerte, war ihm ein Licht aufgegangen. In größter Hast kam er und holte mich aus dem Bette. »Rasch Huck, wirf deine Kleider über,« rief er, »ich hab’s! Wir brauchen einen Schweißhund.« Zwei Minuten später liefen wir im Dunkeln am Fluß entlang nach dem Dorfe zu. Der alte Schmied Jeff Hooker hatte einen Hund, den wollte sich Tom von ihm borgen. »Die Spur ist zu alt,« sagte ich, »und geregnet hat es auch.« »Das schadet nichts, Huck. Wenn der Leichnam irgendwo im Walde steckt, findet ihn der Hund gewiß. Er wird es schon wittern, an welcher Stelle man den Ermordeten verscharrt hat. Auch auf die Spur des Mörders wird er uns helfen, und wenn wir die erst haben, verfolgen wir sie ohne Unterlaß, bis wir den Kerl fangen. Dann werden wir berühmt, so wahr ich lebe.« »Na, laß uns nur erst die Leiche finden,« sagte ich, um sein Feuer etwas zu dämpfen, »daran werden wir wohl für heute genug haben. Wer weiß, ob überhaupt eine da ist; vielleicht ist der faule Jupiter einfach durchgebrannt und gar nicht ermordet worden.« Doch davon wollte Tom nichts hören. »Wie kannst du nur so reden, Huck, das ist ganz abscheulich. Schämst du dich nicht, ein solcher Spielverderber zu sein, wenn wir gerade die beste Gelegenheit haben uns auszuzeichnen und unsern Ruhm zu begründen.« »Ach was, ich nehme alles zurück; mache es nur ganz wie du willst, Tom. Ob Jupiter tot ist oder lebendig, kümmert mich im Grunde wenig.« Bald war Tom wieder Feuer und Flamme für das Unternehmen, bis wir vor die Schmiede des alten Jeff Hooker kamen, der seine Begeisterung gewaltig abkühlte. »Den Hund könnt ihr haben,« sagte er, »aber ihr werdet keinen Leichnam finden, weil keiner da ist. Die Leute haben ganz recht, daß sie nicht weiter suchen. Sobald sie anfingen nachzudenken, mußte sich eben jeder sagen, daß von einem Mord gar keine Rede kein kann. Ich will euch auch sagen weshalb: Wenn jemand einen Menschen umbringt, thut er es doch nicht ganz ohne Grund, das werdet ihr mir zugeben. Na, und warum sollte man wohl dem Jupiter Dunlap, diesem Schafskopf, nach dem Leben trachten? Etwa aus Rache? Meint ihr, daß irgend jemand einen Groll gegen solchen Menschen hat?« Tom fand kein Wort der Erwiderung; von diesem Gesichtspunkt aus hatte er sich die Sache noch nicht überlegt. »Oder glaubt ihr, man hätte ihn berauben wollen? Haha! Das wird’s wohl sein. Die Hosenschnallen hat man ihm gestohlen und deshalb -- --« Der Alte wollte sich vor Lachen ausschütten; er mußte sich die Seiten halten, um nicht zu bersten. Tom machte ein ganz verblüfftes Gesicht; ich sah’s ihm an, daß er sich meilenweit weg wünschte, während Jeff Hooker von neuem anhub: »Wer irgend Grütze im Kopf hat, mußte sich’s ja gleich sagen, daß der Faulpelz nur ausgekniffen ist, weil er nach seiner schweren Arbeit eine Weile herumbummeln wollte. Paßt auf, nach ein paar Wochen kommt er wieder und lacht sich ins Fäustchen. -- Wenn du aber nach seinem Leichnam suchen willst, Tom, so nimm den Hund und thu’s, ich werd’ dich nicht hindern.« Tom war zu weit gegangen, er konnte nicht mehr zurück. »Na, also, macht ihn nur von der Kette los,« sagte er. Der Alte that es und sah uns lachend nach, während wir beschämt abzogen. Der Hund kannte uns, wedelte mit dem Schwanz und sprang mit lustigen Sätzen vor uns her, im Genuß seiner Freiheit. Aber Tom verzog keine Miene, er war tief gekränkt, daß der alte Hooker ihn lächerlich gemacht hatte, und verwünschte das ganze Abenteuer. In düsterm Schweigen schlichen wir durch die Hintergassen heim. Als wir eben um die Ecke unseres Tabakfeldes bogen, stieß der Hund ein klägliches Geheul aus. Wir eilten herzu und sahen, wie er mit aller Macht die Erde aufwühlte und dann und wann den Kopf laut heulend zur Seite wandte. In dem vom Regen durchweichten Boden ließ sich deutlich ein eingesunkenes längliches Viereck erkennen, das aussah wie ein Grab. Stumm standen wir da und sahen einander an. Der Hund hatte kaum ein paar Zoll tief gegraben, als er einen Gegenstand zu packen bekam und ihn herauszerrte; es war ein Männerarm, der im Aermel steckte. »Komm fort, Huck,« stieß Tom keuchend heraus, »die Leiche ist gefunden.« Mich durchrieselte es kalt. Rasch liefen wir nach der Landstraße und holten die ersten besten Leute, die uns begegneten. Sie nahmen einen Spaten mit und gruben den Leichnam aus. Nein, war das eine Aufregung! Sein Gesicht konnte man nicht mehr erkennen, aber das war auch nicht nötig. Alle riefen: »Der arme Jupiter; das sind die Kleider, die er zuletzt getragen hat.« Ein paar Männer eilten ins Dorf, um die Nachricht zu verbreiten und dem Friedensrichter Anzeige zu machen, damit die Totenschau gehalten werden könnte. Auch Tom und ich liefen spornstreichs nach Hause; ganz atemlos kamen wir zu Onkel Silas, Tante Sally und Benny hereingestürzt und Tom rief: »Wir zwei, ich und Huck, haben ganz allein mit einem Schweißhund Jupiter Dunlaps Leiche gefunden. Alle hatten es aufgegeben; ohne uns hätte man sie niemals entdeckt. Er ist doch ermordet worden, mit einem Knüttel hat man ihn totgeschlagen; aber ich will den Mörder schon finden, er soll mir nicht entgehen, so wahr ich Tom heiße.« Tante Sally und Benny sprangen bleich und erschrocken auf, aber Onkel Silas fiel vorn über vom Stuhl auf den Boden und rief ächzend: »Gott erbarme sich meiner -- _du hast ihn schon gefunden_!« -- Zehntes Kapitel. Bei diesen gräßlichen Worten standen wir wie zu Stein erstarrt und konnten wohl eine Minute lang kein Glied rühren. Sobald wir uns etwas von dem Schreck erholt hatten, hoben wir den alten Mann auf und setzten ihn wieder in seinen Stuhl; er ließ sich von Benny streicheln und küssen, auch die arme Tante versuchte ihn zu beruhigen. Doch waren sie beide so verwirrt und außer sich, daß sie kaum wußten, was sie thaten. Am allerunglücklichsten war aber Tom selbst. Daß er seinen Onkel vielleicht ins Verderben gestürzt hatte, war ihm fürchterlich. Hätte er nicht solchen Ehrgeiz gehabt, berühmt zu werden und hätte das Suchen nach der Leiche aufgegeben, wie die andern Leute, so wäre es ja am Ende nie herausgekommen. Doch nicht lange, da besann er sich und änderte seine Gedanken: »Sag’ das nicht noch einmal, Onkel Silas; solche Reden sind gefährlich und es ist auch kein Körnchen Wahrheit daran,« versicherte er mit Bestimmtheit. Tante Sally und Benny atmeten erleichtert auf bei diesen Worten; aber der Onkel schüttelte traurig den Kopf. »Nein, nein -- ich hab’s gethan -- der arme Jupiter -- ich hab’s gethan!« -- sagte er im Ton der Verzweiflung, während ihm die Thränen über die Backen liefen. Es war schrecklich mit anzuhören. Dann erzählte er weiter, es sei an dem Tage geschehen, als Tom und ich ankamen, bei Sonnenuntergang. Jupiter hatte ihn gequält und geärgert, bis ihn der Zorn übermannte und er ihm mit seinem Stock über den Kopf schlug, daß er zu Boden stürzte. Sofort bereute er seine Hitze; er kniete neben Jupiter hin, hob ihm den Kopf auf und bat, er solle doch sprechen und sagen, daß er nicht tot sei. Der kam auch bald wieder zu sich; doch als er sah, wer ihm den Kopf hielt, sprang er, wie zu Tode erschrocken, auf, war mit einem Satz über den Zaun, lief nach dem Walde zu und verschwand. Da hoffte Onkel natürlich, er hätte ihm keinen Schaden gethan. »Aber ach,« fuhr er fort, »nur die Furcht hatte ihm dies letzte Fünkchen Lebenskraft eingeflößt, das rasch erlosch; im Gebüsch ist er dann zusammengebrochen, wo ihm niemand beistehen konnte, und ist gestorben.« Der alte Mann jammerte und weinte, er sagte, er sei ein Mörder, er trüge das Kainszeichen und brächte seine Familie in Schande und Schmach. Seine Missethat würde entdeckt werden und ihn an den Galgen bringen. »Davon ist gar keine Rede,« sagte Tom. »Du hast ihn gar nicht umgebracht. Ein einziger Schlag ist nicht gleich tödlich. Den Mord hat ein anderer begangen.« »Nein, ich habe es gethan, sonst niemand. Wer hätte auch außer mir etwas gegen ihn haben sollen?« Er sah uns an als hoffte er, wir würden jemand nennen können, der dem harmlosen Menschen grollte; allein das war vergebens, wir mußten alle verstummen. Als er das sah, überfiel ihn die Trauer von neuem; seine jammervolle Miene war zum erbarmen. »Aber halt,« rief Tom plötzlich, »jemand muß ihn doch begraben haben. Wer kann das denn --« Weiter kam er nicht. Ich wußte wohl warum, und es überlief mich kalt. Hatten wir doch beide Onkel Silas in jener Nacht mit der langen Schaufel über der Schulter gesehen. Auch Benny mußte ihn bemerkt haben; sie hatte einmal etwas davon erwähnt. Tom war nun eifrig bemüht, Onkel zu überreden, daß er sich nicht verraten solle; wir andern stimmten ihm bei und sagten, wenn Onkel schwiege, würde man es nie erfahren und er dürfe sich nicht selbst anklagen, weil es uns allen das Herz brechen würde, wenn ihm ein Leid geschähe. Es würde niemand Nutzen bringen und die Seinigen nur unglücklich machen. Zuletzt versprach er es denn auch und wir suchten ihn nun nach Kräften zu trösten und aufzuheitern. Ueber der ganzen Sache würde bald Gras wachsen, sagten wir, und kein Mensch würde mehr daran denken. Gegen Onkel Silas Verdacht zu schöpfen könne niemand auch nur im Traum einfallen; er stehe in viel zu gutem Ruf und sei so lieb und freundlich gegen jedermann. »Ueberlegt es doch nur,« sagte Tom mit großem Nachdruck, »es liegt ja auf der Hand: Seit so und so vielen Jahren ist Onkel Silas hier Prediger gewesen ohne einen Pfennig Gehalt; alles mögliche Gute hat er gethan, von Alt und Jung wird er geliebt und geachtet. Wie sollte er, der friedliebendste Mensch von der Welt, der sich nie in fremde Angelegenheiten gemischt hat, dazu kommen, sich thätlich an jemand zu vergreifen? Es kann gar kein Argwohn gegen ihn entstehen; das ist ebenso gut ein Ding der Unmöglichkeit wie -- --« »Im Namen und Auftrag des Staates Arkansas verhafte ich Euch als den Mörder des Jupiter Dunlap,« rief in diesem Augenblick der Sheriff an der Thür. Es war furchtbar. Tante Sally und Benny klammerten sich weinend und schreiend an Onkel Silas und wollten ihn nicht fortlassen; auch die Neger liefen heulend herbei, es war ein herzzerreißender Auftritt und ich machte, daß ich zum Haus hinauskam. Als er nach dem kleinen Dorfgefängnis geführt wurde, begleiteten wir ihn alle, um ihm Lebewohl zu sagen. Tom hatte schon einen Plan fix und fertig im Kopf, wie wir ihn in einer dunkeln Nacht heldenmütig befreien wollten. Aber als er gegen Onkel etwas davon verlauten ließ, kam er übel an. Der arme Alte meinte, es sei seine Pflicht, zu dulden, was das Gesetz über ihn verhänge; selbst wenn die Thür des Gefängnisses offen stünde, würde er von dort nicht wanken und weichen. Natürlich war Tom sehr enttäuscht, doch mußte er sich drein ergeben. Den Gedanken, seinen Onkel zu befreien, gab er aber deshalb noch lange nicht auf; er betrachtete das als seine Schuldigkeit, denn er fühlte sich gewissermaßen verantwortlich für ihn. Er versprach auch Tante Sally, daß er Tag und Nacht nicht ruhen würde, bis er Onkels Unschuld ans Licht gebracht hätte, sie solle sich nur keinen Kummer machen. Tante umarmte ihn zärtlich, dankte ihm und sagte, sie sei überzeugt, er werde alles thun, was in seinen Kräften stehe. Dann bat sie uns noch, wir möchten Benny helfen das Haus und die Kinder zu versorgen, und nachdem wir mit Thränen von ihr Abschied genommen hatten, kehrten wir nach der Farm zurück. Tante wollte bei der Frau des Gefängniswärters wohnen bleiben, bis im Oktober die Gerichtsverhandlung stattfand. Elftes Kapitel. Der nächste Monat war für uns alle sehr traurig. Die arme Benny nahm sich zusammen, so gut sie konnte; auch Tom und ich trugen unser möglichstes zur allgemeinen Aufheiterung bei, aber das half wenig. Wir besuchten die alten Leute jeden Tag, was furchtbar trübselig war. Onkel Silas hatte meist schlaflose Nächte oder er wandelte im Schlaf; sein Aussehen war erbärmlich, auch nahm er körperlich und geistig so sehr ab, daß wir alle fürchteten, er würde vor Kummer krank werden und sterben. Wenn wir ihm Mut zusprachen, schüttelte er nur den Kopf und meinte, wir wüßten nicht, welche Last es wäre, einen Mord auf der Seele zu tragen, sonst würden wir anders reden. Wie oft wir ihm auch wiederholten, daß es kein Mord, sondern fahrlässiger Todschlag wäre, er ließ sich nicht davon abbringen. Ja, als der Tag der Verhandlung näher rückte, war er ganz bereit einzugestehen, er habe den Mann mit Vorbedacht getötet. Das verschlimmerte die Sache natürlich hundertfach; Tante Sally und Benny verzehrten sich fast vor Angst. Doch nahmen wir Onkel das Versprechen ab, daß er im Beisein anderer keine Silbe von dem Mord sagen wolle und das war wenigstens ein Trost. Den ganzen Monat über zerbrach sich Tom den Kopf, um einen Ausweg zu finden. Viele Nächte mußte ich mit ihm aufbleiben und Pläne schmieden, aber wir arbeiteten uns nur unnütz ab, es führte alles zu nichts. Ich war zuletzt so mutlos und niedergeschlagen, daß ich Tom riet es aufzugeben; doch er war anderer Meinung und ließ nicht nach, sich mit immer neuen Entwürfen das Hirn zu zermartern. So kam Mitte Oktober der Tag der Gerichtsverhandlung. Wir waren alle da und der Saal natürlich gedrängt voll. Der arme alte Onkel Silas sah selbst fast aus wie ein Toter, so hohläugig, abgezehrt und jämmerlich. Benny und Tante Sally saßen ihm rechts und links zur Seite, tief verschleiert und gramerfüllt. Aber Tom saß bei unserm Verteidiger und redete in alles mit herein; der Anwalt ließ ihn gewähren und der Richter auch. Manchmal hielt er’s für besser, dem Verteidiger die Sache ganz aus der Hand zu nehmen, denn der war nur ein Winkeladvokat und verstand so gut wie gar nichts. Die Vereidigung der Geschworenen war vorüber und der öffentliche Ankläger hielt seine Rede. Er sagte so schreckliche Dinge von Onkel Silas, daß Tante Sally und Benny zu weinen anfingen. Was er über den Mord berichtete, nahm uns fast den Atem, es war so ganz anders als Onkels Erzählung. Er sagte, er werde beweisen, daß zwei zuverlässige Zeugen gesehen hätten, wie Onkel Silas den Jupiter Dunlap umgebracht habe. Es sei mit Vorbedacht geschehen, denn er habe gerufen, er wolle ihn kalt machen, während er mit dem Knüttel zuschlug, dann habe er Jupiter ins Gebüsch geschleppt, der sei aber schon ganz tot gewesen. Später sei Onkel Silas wiedergekommen und habe die Leiche ins Tabakfeld geschafft, was zwei Männer bezeugen könnten. In der Nacht habe er sie dann begraben und sei auch dabei von jemand beobachtet worden. Ich sagte mir, der arme alte Onkel müsse uns belogen haben, weil er sich darauf verließ, daß ihn niemand gesehen hätte und er Tante Sally und Benny nicht das Herz brechen wollte. Daran hatte er ganz recht gethan; jeder, der nur das geringste Gefühl im Leibe hatte, würde auch gelogen haben, um den beiden, die doch gar nichts dafür konnten, Kummer und Herzeleid zu ersparen. Unser Verteidiger machte ein bedenkliches Gesicht und auch Tom war einen Augenblick wie auf den Mund geschlagen, doch nahm er sich rasch wieder zusammen und that ganz zuversichtlich -- aber es war ihm schlecht dabei zu Mute, das weiß ich. Unter den Zuhörern entstand eine furchtbare Aufregung während der Rede. Als der Ankläger fertig war, setzte er sich und die Zeugen wurden aufgerufen. Zuerst kamen mehrere um zu beweisen, daß Onkel Silas dem Ermordeten feindlich gesinnt gewesen war. Sie sagten, sie hätten ihn öfters Drohungen gegen Jupiter ausstoßen hören; es sei zuletzt so schlimm geworden, daß alle Welt darüber gesprochen habe. Der Ermordete, dem um sein Leben bangte, habe gegen mehrere von ihnen geäußert, Onkel Silas würde ihn gewiß noch einmal umbringen. Das Kreuzverhör, das Tom und unser Verteidiger mit diesen Zeugen anstellten, nützte nichts; sie beharrten bei ihrer Aussage. Zunächst betrat Lem Beebe den Zeugenstand. Das rief mir den Tag unserer Ankunft ins Gedächtnis, wie Lem mit Jim Lane an uns vorbeigegangen war und gesagt hatte, er wollte sich einen Hund von Jupiter Dunlap borgen. Alles zog wieder an meiner Erinnerung vorüber: Bill und Hans Withers, die von einem Neger redeten, der Onkel Silas Korn gestohlen hatte, und unser Geist, der aus dem Ahornwäldchen kam und uns so erschreckte. Der saß jetzt leibhaftig vor mir und nahm als Taubstummer und Fremder obendrein einen besondern Stuhl innerhalb der Schranken ein; da konnte er gemütlich die Beine übereinander schlagen, während die übrigen Zuhörer so zusammengepfercht waren, daß sie kaum Platz zum Atemholen hatten. Lem Beebe leistete den Eid und begann: »Am zweiten September gegen Sonnenuntergang ging ich mit Jim Lane am Zaun des Angeklagten vorbei. Da hörten wir lautes Reden und Streiten, ganz in unserer Nähe, nur das Haselgebüsch war dazwischen. Wir erkannten die Stimme des Angeklagten, welche rief: ›Ich hab’ dir’s oft gesagt, ich bringe dich noch um!‹ dann sahen wir einen Knüttel, der hoch emporgehoben wurde und wieder hinter dem Gebüsch verschwand; wir hörten einen dumpfen Schlag und gleich darauf ein Aechzen. Nun krochen wir leise näher und als wir durch den Zaun guckten, sahen wir Jupiter Dunlap tot am Boden liegen und neben ihm stand der Angeklagte mit dem Knüttel in der Hand. Er schleppte die Leiche fort, um sie zu verbergen; wir aber duckten uns, damit wir nicht gesehen würden und machten, daß wir wegkamen.« Es war schrecklich. Den Zuhörern erstarrte fast das Blut in den Adern und im ganzen Saal herrschte lautlose Stille. Erst als der Zeuge fertig war, hörte man die Leute seufzen und stöhnen und sie sahen einander mit entsetzten Mienen an. Am meisten mußte ich mich aber über Tom verwundern. Bei den ersten Zeugen hatte er aufgepaßt wie ein Schweißhund und sobald einer mit seiner Aussage zu Ende war, fuhr er drauf los und that alles, was er konnte, um ihn auf Unwahrheiten zu ertappen und sein Zeugnis zu entkräften. Auch jetzt, als Lem anfing und nichts davon sagte, daß er mit Jupiter gesprochen hatte und sich seinen Hund borgen wollte, glühte Tom vor Eifer und ich merkte, wie er nur darauf lauerte, Lem ins Kreuzverhör zu nehmen. Dann dachte ich, würden wir beide als Zeugen auftreten und erzählen, was wir aus Lems eigenem Munde gehört hatten. Ich sah wieder zu Tom hin, aber der war auf einmal wie ausgewechselt. Er hörte gar nicht mehr auf das, was Lem sagte, sondern saß ganz in sich versunken da, als schweiften seine Gedanken in weiter, weiter Ferne. Als Lem fertig war, stieß unser Verteidiger Tom mit dem Ellenbogen an; einen Augenblick sah er verwirrt auf und meinte: »Nehmen Sie den Zeugen ins Verhör, wenn Sie wollen; aber mich lassen Sie in Ruhe -- ich muß nachdenken.« Na, da hörte doch alles auf; es ging über meine Begriffe. Ich sah auch wie Benny und ihre Mutter den Schleier zurückschoben und mit angstvoller Miene nach Tom hinschauten, um seinem Blick zu begegnen, aber sie bemühten sich vergebens, er starrte immer nur auf einen Fleck. Der Winkeladvokat nahm zwar den Zeugen vor, brachte aber nichts heraus und verdarb die Geschichte noch vollends. Dann wurde Jim Lane aufgerufen; er erzählte den Vorgang genau ebenso. Tom aber gab gar nicht acht; er saß noch immer in tiefen Gedanken da und merkte nicht, was um ihn her vorging. Der Verteidiger mußte wieder ganz allein fragen, und auch das Ergebnis war das gleiche. Nun schaute der öffentliche Ankläger sehr befriedigt drein, aber der Richter machte ein verdrießliches Gesicht, denn Tom versah fast die Stelle eines richtigen Advokaten. In Arkansas durfte der Angeklagte nämlich nach dem Gesetz wen er wollte, zum Beistand seines Verteidigers wählen. Tom hatte Onkel Silas überredet, ihm den Fall anzuvertrauen, und nun that er nichts zur Sache, was dem Richter natürlich unangenehm war. Schließlich fragte der Verteidiger Lem und Jim: »Warum habt ihr nicht gleich angezeigt, was ihr gesehen hattet?« »Wir fürchteten, selbst in die Sache verwickelt zu werden,« lautete die Antwort. »Als wir aber hörten, daß nach dem Leichnam gesucht wurde, sind wir gleich zu Brace Dunlap gegangen und haben ihm alles erzählt.« »Wann war das?« »Samstag abend, den 9. September.« Hier ließ sich der Richter vernehmen: »Sheriff,« sagte er, »verhaften Sie diese beiden Zeugen als Hehler des Mordes.« »Herr Richter,« rief der Ankläger in großer Erregung, »ich erhebe Einspruch gegen dieses außergewöhnliche -- --« »Setzen Sie sich,« erwiderte der Richter und legte sein Dolchmesser vor sich auf den Tisch. »Ich bitte, daß Sie dem Gerichtshof die schuldige Achtung erweisen.« Der nächste Zeuge war Bill Withers. Nach seiner Vereidigung sagte er aus: »Ich kam am Samstag den 2. September gegen Sonnenuntergang mit meinem Bruder Hans am Feld des Gefangenen vorbei, da sahen wir einen Mann, der eine schwere Last auf dem Rücken trug. Wir konnten ihn nur undeutlich sehen, aber es schien, als schleppe er einen Menschen, dessen Glieder so schlaff herabhingen, daß wir meinten, er müsse wohl betrunken sein. Nach dem Gang des Mannes zu urteilen, war es Pastor Silas und wir dachten, er hätte vielleicht den Trunkenbold Sam Cooper, den er schon lange zu bessern versucht, im Straßengraben gefunden und schaffte ihn nun nach Hause.« Den Leuten grauste, als sie sich vorstellten, wie der alte Onkel Silas den Ermordeten in seine Tabakpflanzung geschleppt hatte, wo der Hund hernach die Leiche aufwühlte. Viel Mitgefühl war aber nicht in den Gesichtern zu lesen, und einer sagte zu seinem Nachbar: »Schauderhaft, den Toten so herumzutragen und dann im Boden zu verscharren, wie das erste beste Tier -- und so was kann ein Pastor thun!« Auch diesen Zeugen mußte der Verteidiger allein vornehmen; Tom war wie blind und taub, er rührte sich nicht. Nach Bill kam Hans Withers und wiederholte alles, was sein Bruder gesagt hatte. Dann wurde Brace Dunlap aufgerufen. Der sah so kummervoll aus, als ob ihm das Weinen nahe wäre. Im Saal entstand eine große Bewegung; alle horchten auf, um ja kein Wort zu verlieren; die Weiber flüsterten: »Der arme Mensch!« und viele sah man sich die Augen trocknen. Brace Dunlap leistete den Eid, dann sagte er: »Ich war schon lange in Sorge um meinen armen Bruder, doch hoffte ich immer noch, die Sachen stünden nicht so schlimm wie er sie schilderte. Wie hätte ich auch denken sollen, daß es irgend jemand übers Herz bringen würde, einem so harmlosen Geschöpf ein Leid anzuthun. Und daß gar der Pastor ihm nach dem Leben trachtete, konnte mir gar nicht in den Sinn kommen. Aber nie, nie werde ich mir vergeben, daß ich der Sache nicht gleich ein Ende gemacht habe; hätte ich das gethan, so wäre mein armer unschuldiger Bruder heute noch am Leben, und nun liegt er dort drüben -- grausam ermordet.« Die Rührung übermannte ihn; er mußte eine Weile warten, weil ihm die Stimme versagte. Von allen Seiten wurden teilnahmvolle Worte laut und die Weiber weinten. Dann entstand eine feierliche Stille; nur der arme alte Onkel Silas stöhnte aus tiefster Brust, so daß es jedermann hörte. Brace fuhr fort: »Samstag den 2. September kam er nicht zum Nachtessen heim. Als es spät wurde, schickte ich einen meiner Neger nach der Wohnung des Angeklagten; aber dort war mein Bruder nicht. Meine Unruhe wuchs; zwar legte ich mich zu Bette, aber an Schlaf war nicht zu denken. In der Nacht stand ich noch einmal auf, ging nach dem Hause des Angeklagten und irrte da lange umher in der Hoffnung, meinen armen Bruder zu treffen. Ach, ich wußte ja nicht, daß er schon aus aller Not in ein besseres Jenseits entrückt war.« Wieder versagte ihm die Stimme und man hörte die Weiber schluchzen. Bald nahm Brace einen neuen Anlauf: »Das Warten war vergebens. Ich ging heim und legte mich nieder. Ein paar Tage später gerieten die Nachbarn auch in Sorge und fingen an, von den Drohungen zu reden, die der Angeklagte ausgestoßen hatte. Ihre Ansicht, daß mein Bruder ermordet sei, teilte ich nicht; aber das Gerücht verbreitete sich, man fing an, nach der Leiche zu suchen. Ich war der Meinung, mein Bruder habe sich irgendwohin geflüchtet, um etwas Ruhe zu haben und er werde über kurz oder lang zurückkehren. Da kamen am Samstag den 9. Lem Beebe und Jim Lane noch spät abends zu mir und erzählten mir alles -- so erfuhr ich den gräßlichen Mord, der mir fast das Herz brach. Zugleich erinnerte ich mich an einen Umstand, auf den ich vorher kein großes Gewicht legte, weil ich gehört hatte, der Angeklagte sei ein Nachtwandler und thue im Schlaf allerlei, wovon er kein Bewußtsein habe. In jener schrecklichen Nacht, am Samstag nämlich, als ich voll Sorge und Kummer umherirrte, kam ich auch an die Tabakpflanzung des Angeklagten und hörte ein Geräusch, als ob der Boden aufgegraben würde. Ich schlich näher und sah durch die Hecke einen Mann, der Erde in ein Loch schaufelte, das schon fast zugefüllt war. Er stand mit dem Rücken nach mir, aber im Mondlicht erkannte ich den Angeklagten an seinem alten grünen Arbeitskittel mit dem weißen Flicken zwischen den Schultern, der aussieht, als hätte ihn jemand mit einem Schneeball geworfen. Er war gerade beschäftigt, den Mann, _den er erschlagen hatte, im Boden zu verscharren_.« Weinend und schluchzend sank Brace auf seinen Stuhl nieder und durch den ganzen Saal ging ein Klagegestöhn. »Wie schauderhaft, wie gräßlich!« klang es von allen Seiten; die Unruhe nahm mit jeder Minute zu. Da auf einmal erhob sich der alte Onkel Silas; er sah so weiß aus, wie ein Tuch und rief: »_Es ist alles buchstäblich wahr -- ich habe ihn mit kaltem Blute umgebracht!_« Die Leute waren erst starr vor Schrecken, dann entstand ein wilder Lärm. Jeder sprang von seinem Sitze auf und reckte den Hals, um besser sehen zu können. Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch und der Sheriff kreischte: »Ruhe und Ordnung im Gerichtssaal -- Ruhe!« Von alledem schien Tom Sawyer nicht das mindeste zu merken. Wahrhaftig, da saß er, starrte ins Leere und schaute auch nicht ein einzigesmal nach Onkel Silas hin. Unterdessen stand der alte Mann noch immer hoch aufgerichtet, mit glühenden Blicken und an allen Gliedern bebend da. Er wehrte seine Frau und Tochter ab, die sich an ihn klammerten und flehten, er solle schweigen. Nein, er _wollte_ das Verbrechen nicht mehr auf der Seele haben, er _wollte_ die Last abwälzen, unter der er erliegen mußte, keine Stunde länger wollte er sie tragen. Und während alle Zuschauer ihn entsetzt anstarrten, während der Richter, die Geschworenen, die Anwälte nach Atem rangen, während Benny und Tante Sally schluchzten, daß es einen Stein erbarmen konnte, floß dem alten Mann sein grausiges Bekenntnis über die Lippen, wie ein Strom, der aus seinen Ufern bricht: »Ich habe ihn umgebracht. Ich bin der Schuldige! Doch hatte ich noch nie im Leben daran gedacht, ihm Schaden oder Leid zuzufügen, bis zu dem Augenblick, als ich den Stock erhob. Daß ich ihm schon früher gedroht haben soll, ist nicht wahr. Ganz plötzlich ward es mir eiskalt ums Herz, alles Mitleid war verflogen, ich wollte ihn töten und schlug zu. In dem Moment kam mir alles zum Bewußtsein, was ich erlitten hatte, aller Schimpf, den mir der Mann und sein schurkischer Bruder dort angethan, die zusammen darauf ausgegangen waren, mich bei den Leuten in Verruf zu bringen, mir den guten Namen abzuschneiden und mich solange zu quälen, bis ich eine That beging, die mich und die Meinigen ins Verderben stürzte, während wir ihnen doch, weiß Gott, nie etwas zuleide gethan hatten. Es war nichts, als gemeine Rache von ihnen. Und wofür? -- Bloß weil meine arme unschuldige Tochter hier den reichen, frechen und feigen Nichtsnutz, den Brace Dunlap, nicht heiraten wollte, der jetzt solchen Schmerz um seinen Bruder heuchelt, dem er sein Lebtag nichts Gutes gegönnt hat. -- In jenem Augenblick vergaß ich mein Seelenheil und dachte nur an meinen bittern Groll -- ich schlug zu, um meinen Feind zu töten -- verzeih mir’s Gott! -- Sofort that mir’s von Herzen leid, mich überfiel die Reue; doch dachte ich an die Meinigen und um ihretwillen wollte ich meine Missethat verbergen. Erst schleppte ich die Leiche ins Gebüsch und später in das Tabakfeld. Im nächtlichen Dunkel schlich ich mich dorthin und begrub den Erschlagenen -- --« Auf einmal schnellte Tom von seinem Sitz in die Höhe: »Jetzt hab’ ich’s,« rief er triumphierend und streckte die Hand mit förmlich hoheitsvoller Gebärde nach dem alten Mann aus. »Setz’ dich, Onkel! Es ist zwar ein Mord verübt worden, aber du bist’s nicht gewesen, der ihn begangen hat.« Im Nu wurde es totenstill im Saal. Der Alte sank verwirrt auf seinen Stuhl; Tante Sally und Benny starrten Tom mit offenem Munde an und auch die übrigen Anwesenden wußten kaum, wo ihnen der Kopf stand, vor maßlosem Staunen und unbeschreiblicher Ueberraschung. »Darf ich reden, Herr Präsident?« »Um Gottes willen ja -- so sprich doch!« rief der Richter, der seinen Ohren nicht traute. Tom stand und wartete noch ein paar Sekunden -- um die Wirkung zu erhöhen, wie er es nennt -- dann begann er mit größter Gelassenheit: »Seit etwa zwei Wochen ist hier vorn am Gerichtshause eine Bekanntmachung angeschlagen, in der eine Belohnung von 2000 Dollars für Wiedererlangung von zwei großen Diamanten geboten wird, die in St. Louis gestohlen worden sind. Die Diamanten sind zwölftausend Dollars wert. Doch darauf komme ich später zurück. Jetzt will ich von dem Mord reden und sagen, wie es dazu kam, wer ihn begangen hat -- und alle Einzelheiten.« Nein, wie sie alle die Köpfe vorstreckten und horchten, damit ihnen kein Wort entginge! -- »Der Mann hier, der jetzt so um seinen toten Bruder jammert, für den er, solange er lebte, keinen Pfifferling gegeben hätte, wie ihr recht wohl wißt -- dieser Brace Dunlap wollte das junge Mädchen dort heiraten, aber sie nahm ihn nicht. Da drohte er Onkel Silas, das sollte ihnen noch allen teuer zu stehen kommen. Onkel wußte, daß er gegen solchen Mann nichts auszurichten vermochte; das ängstigte ihn sehr und er that alles Erdenkliche, um ihn zu besänftigen und wieder zu versöhnen. Er nahm sogar seinen nichtsnutzigen Bruder Jupiter als Arbeiter auf die Farm und sparte sich und den Seinigen den Lohn, den er ihm zahlte, am eigenen Leibe ab. Jupiter aber that alles, was sein Bruder nur ersinnen konnte, um Onkel Silas zu beleidigen, zu ärgern und zu quälen, damit Onkel sich vom Zorn fortreißen ließe und so um seinen guten Ruf kam. Der Plan gelang. Alle wandten sich von Onkel ab und glaubten den ausgestreuten Verleumdungen. Das nahm sich der alte Mann so zu Herzen, daß er vor lauter Kummer und Trübsal oft gar nicht recht bei Sinnen war. »An jenem schrecklichen Samstag nun, kamen die zwei Zeugen Lem Beebe und Jim Lane an dem Acker vorüber, wo Onkel Silas und Jupiter bei der Arbeit waren -- so viel von ihrer Aussage ist wahr, das übrige sind lauter Lügen. Sie haben weder Onkel Silas sagen hören, daß er Jupiter umbringen wollte, noch haben sie ihn den Schlag führen sehen. Den Leichnam haben sie auch nicht erblickt und ebenso wenig, daß Onkel etwas im Gebüsch verborgen hat. -- Seht sie nur an, wie sie jetzt dasitzen und wünschen, sie hätten ihre Zungen besser im Zaum gehalten. Sie werden noch ganz andere Gesichter machen, wenn ich alles erst ins reine gebracht habe. »An dem nämlichen Samstag abend haben Bill und Hans Withers gesehen, wie ein Mann den andern auf der Schulter fortschleppte. Soweit haben sie die Wahrheit gesprochen, das andere ist erlogen. Zuerst glaubten sie, ein Neger hätte dem Onkel Silas Korn gestohlen. -- Seht nur, wie verdutzt sie jetzt dreinschauen, weil sie erfahren, daß jemand sie das hat sagen hören. Später ist’s ihnen sonnenklar geworden, wer die Leiche fortgeschafft hat, und sie wissen recht gut, warum sie hier vor Gericht geschworen haben, sie hätten Onkel Silas am Gang erkannt. Er war’s aber doch nicht, und das wußten die meineidigen Zeugen ebenfalls. »Es ist möglich, daß ein Mann beim Mondenschein gesehen hat, wie der Leichnam in der Tabakpflanzung vergraben wurde -- aber Onkel Silas hat nichts damit zu thun gehabt. Der lag zu selbiger Zeit daheim in seinem Bett. »Ehe ich weiter erzähle, möchte ich die Anwesenden noch daran erinnern, daß viele Menschen, wenn sie tief in Gedanken geraten oder innerlich erregt sind, die Gewohnheit haben, irgend etwas mit ihren Händen zu thun, ohne es zu wissen. Sie fassen sich ans Kinn oder an die Nase, drehen an einem Knopf oder ihrer Uhrkette, streichen sich übers Haar oder den Bart. Manche zeichnen sich auch mit dem Finger ein Bild oder einen Buchstaben ins Gesicht. Das ist meine Manier. Wenn mich etwas quält oder ärgert, oder wenn ich recht nachdenke, male ich mir immerfort ein großes ~V~ auf die Backe oder das Kinn und meistens merke ich selbst gar nichts davon.« Komisch! Mir geht das ebenso. Nur mache ich ein ~O~. Ich sah auch, wie die Leute im Saal einander anstießen und zunickten, was so viel heißen sollte, wie: Ja, so ist’s! »Am selben Samstag -- nein, es war am Abend vorher --« fuhr Tom fort, »lag ein Dampfboot an der Landungsbrücke vierzig Meilen flußaufwärts von hier; es stürmte und regnete, was nur vom Himmel wollte. An Bord war der Dieb, der die zwei großen Diamanten gestohlen hatte, von denen die Bekanntmachung hier am Gerichtshaus redet. Er schlich sich mit seinem Reisesack ans Land, ging in die dunkle Sturmnacht hinaus und hoffte, diese Stadt mit heiler Haut zu erreichen. Allein auf dem Dampfboot hielten sich auch zwei seiner Genossen verborgen, welche, wie er wußte, nur auf die Gelegenheit lauerten, ihn umzubringen, um die Diamanten zu bekommen. Die drei Spießgesellen hatten die Edelsteine nämlich miteinander gestohlen, jener erste Dieb aber hatte sie eingesteckt und sich damit aus dem Staube gemacht. »Na, er war kaum zehn Minuten fort, als seine Genossen Lunte rochen. Sie sprangen ans Land und jagten hinter ihm drein. Wie sie seine Spur gefunden haben, weiß ich nicht, aber den ganzen Samstag über blieben sie ihm auf den Fersen und gaben dabei acht, daß er sie nicht zu Gesicht bekam. Gegen Sonnenuntergang erreichte er das Ahornwäldchen bei Onkel Silas’ Tabakpflanzung und schlich hinein, um die Verkleidung anzulegen, die er im Reisesack trug und in der er sich den Leuten zeigen wollte. -- Das geschah ungefähr zur selben Zeit, als Onkel Silas den Jupiter Dunlap mit dem Knüttel schlug -- denn, daß er ihn geschlagen hat, ist richtig. »Kaum hatten aber die Verfolger ihren Diebsgenossen in das Wäldchen treten sehen, als sie aus dem Gebüsch sprangen und ihm nachliefen. Ohne Gnade und Barmherzigkeit fielen sie über ihn her und schlugen ihn tot, wie laut er auch heulte und schrie. »Zwei Männer, die auf der Straße gelaufen kamen, hatten das Angstgeschrei gehört; sie drangen in das Wäldchen ein, -- das ohnehin ihr Ziel gewesen war -- verjagten die Mörder und verfolgten sie in atemloser Hast. Aber nur eine Strecke weit; dann kehrten die zwei Männer verstohlen nach dem Ahornwäldchen zurück. »Was thaten sie aber dort? -- Das will ich euch sagen: Sie fanden den Ermordeten samt dem Reisesack, der alles enthielt, was zu der Verkleidung gehörte. Die legte nun einer der Männer an, nachdem er seine eigenen Kleider ausgezogen hatte.« Hier machte Tom eine kleine Pause -- natürlich wegen der Wirkung -- dann sagte er mit Nachdruck: »Der Mann, welcher die Verkleidung des Erschlagenen anlegte, war -- _Jupiter Dunlap_!« »Gerechter Himmel!« Ein Schrei der Ueberraschung ging durch den Saal und in Onkel Silas’ Gesicht spiegelte sich maßloses Erstaunen. »Ja, es war Jupiter Dunlap, der folglich nicht tot sein konnte. Er zog dem Ermordeten die Stiefel aus und vertauschte sie gegen seine eigenen abgetragenen Schuhe; diese, sowie seine übrigen Sachen wurden der Leiche angelegt. Jupiter Dunlap blieb nun wo er war, der andere Mann aber schleppte den Leichnam im Dämmerlicht nach der Tabakpflanzung; um Mitternacht schlich er sich dann in Onkel Silas’ Haus, nahm den grünen Arbeitskittel von dem Nagel im Gang zwischen dem Haus und der Küche, wo er immer hängt, zog ihn an, holte die große Schaufel und ging damit nach dem Feld, wo er den Toten begrub.« Jetzt stand Tom wohl eine Minute schweigend da. Dann fuhr er fort: »Wer aber glaubt ihr, daß der Ermordete war? -- Kein anderer, als Jack Dunlap, der längst verschollene Einbrecher!« »Gerechter Himmel!« »Und der Mann, der ihn begraben hat, war sein Bruder -- Brace Dunlap.« »Gerechter Himmel!« »Der Fremde dort aber, der jetzt ein so blödsinniges Gesicht macht und sich seit Wochen gestellt hat, als ob er taub und stumm wäre, das ist -- Jupiter Dunlap!« Solches Gebrüll, solcher Wirrwarr wie jetzt entstand, ist mir all mein Lebtag nicht vorgekommen. Tom sprang auf Jupiter zu, er riß ihm die Brille samt dem falschen Bart herunter und siehe, da stand der Ermordete leibhaftig da und war ganz und gar nicht tot. Tante Sally und Benny fielen Onkel Silas um den Hals und erstickten ihn fast mit ihren Küssen und Liebkosungen, so daß der alte Mann noch erstaunter und verwirrter dreinschaute, als je zuvor. Nun aber fing die ganze Versammlung an zu schreien: »Tom Sawyer, Tom Sawyer! Er soll weiter reden! Stille! Stille! Tom Sawyer soll uns alles berichten!« Na, das schmeichelte Tom nicht wenig. Ich weiß, ihm ist nichts lieber, als wenn er in der Oeffentlichkeit auftreten und eine Heldenrolle spielen kann, wie er’s nennt. Als sich der Lärm wieder gelegt hatte, sagte er: »Der Rest ist bald erzählt. Es war dem Brace Dunlap gelungen, Onkel Silas durch seine Quälereien so zur Verzweiflung zu bringen, daß er fast von Sinnen kam und seinem nichtsnutzigen Bruder den Schlag versetzte. Nun lief Jupiter nach dem Wald, um sich da zu verstecken, und der Plan war vermutlich, daß er bei Nacht außer Landes gehen sollte. Dann konnte Brace das Gerücht verbreiten, Onkel Silas habe seinen Bruder umgebracht und die Leiche irgendwo versteckt. Dadurch war Onkel zu Grunde gerichtet; er mußte den Ort verlassen, ja er kam vielleicht an den Galgen. Als die beiden aber den Toten im Wäldchen fanden -- ohne zu wissen, daß es ihr Bruder war, denn die Mörder hatten ihn arg zugerichtet -- da änderten sie den Plan. Sie verkleideten alle beide, begruben Jack und als die Leiche aufgefunden wurde, hatte sie Jupiters Kleider an. Jim Lane und die andern Zeugen ließen sich bestechen, ein paar Lügen zu beschwören, die in Brace Dunlaps Kram paßten. Seht nur, wie übel ihnen jetzt zu Mute ist -- ich hab’s ja vorausgesagt. »Wir sind nämlich auf dem Dampfboot mit den Dieben flußabwärts gefahren, Huck Finn und ich. Da erzählte uns der Tote von den Diamanten und sagte, seine Genossen würden ihn umbringen, sobald sie könnten und wir versprachen ihm nach Kräften beizustehen. Eben wollten wir nach dem Ahornwäldchen, da hörten wir sein Todesgeschrei; als wir aber am frühen Morgen nach dem Gewitter wieder hinkamen, fanden wir keine Leiche und meinten, es wäre am Ende gar kein Mord begangen worden. Wir sahen Jupiter in derselben Verkleidung herumstolzieren, die Jack uns gezeigt hatte und die er anziehen wollte. Natürlich glaubten wir, es wäre Jack selbst, der sich taubstumm stellte, wie verabredet war. »Nun suchten wir, Huck und ich, nach der Leiche, als die andern es aufgaben; wir fanden sie auch und waren zuerst stolz darauf. Aber Onkel Silas jagte uns einen furchtbaren Schreck ein mit der Behauptung, er hätte Jupiter totgeschlagen. »Da der Leichnam durch uns ans Tageslicht gekommen war, fühlten wir uns verpflichtet, für Onkels Rettung zu sorgen; aber das war ein schweres Stück Arbeit, denn Onkel wollte sich nicht aus dem Gefängnis befreien lassen, wie damals unser alter Neger Jim. »Den ganzen Monat lang dachte ich über ein Mittel nach, Onkel Silas loszukriegen, doch mir fiel nichts ein. Als ich heute zur Gerichtsverhandlung ging, wußte ich weder Rat noch Hilfe, mir kam kein rettender Gedanke. Nicht lange aber, da beobachtete ich etwas, nur eine winzige Kleinigkeit, aber sie brachte mich zum Nachdenken. Während ich nun scheinbar im Sinnen verloren dasaß, war ich fortwährend auf der Lauer und richtig, gerade als Onkel Silas uns all den Unsinn auftischte, wie er Jupiter Dunlap umgebracht hatte, sah ich das Ding wieder. Da sprang ich auf und unterbrach die Verhandlung, weil ich wußte, daß Jupiter Dunlap dort leibhaftig vor mir saß. Ich erkannte ihn an etwas, das er zu thun pflegte, als ich letztes Jahr hier war und das er jetzt wieder that.« Tom wartete die Wirkung ein Weilchen ab, machte dann eine Bewegung, als ob er sich setzen wollte und sagte in gleichgültigem Ton: »Na, ich glaube, das ist alles!« Ein Geschrei aus hundert Kehlen ging durch den Saal: »Was hat er gethan? Was war es, das du gesehen hast? Bleib’ stehen, du Teufelsjunge und sag’ es uns. Denkst du, wir lassen uns so abspeisen, nachdem du uns den Mund wässerig gemacht hast!« »O, es war gar nicht viel. Ich sah, wie er immer ängstlicher und aufgeregter wurde, während sich Onkel Silas um den Hals redete, wegen eines Mordes, der gar nicht begangen worden war -- auf einmal fuhr er mit den Händen hin und her, hob seine Linke in die Höhe und zeichnete sich mit dem Finger ein Kreuz auf die Backe -- da war ich meiner Sache sicher.« Nun begann ein Beifallklatschen, ein Stampfen und Hochrufen, bis Tom Sawyer sich kaum zu lassen wußte, vor lauter Stolz und Glück. Der Richter blickte über den Tisch nach ihm hin und sagte: »Mein Sohn, hast du denn die verschiedenen Einzelheiten dieser seltsamen Verschwörung und Tragödie, die du uns schilderst, alle selbst gesehen?« »Nein, Herr Präsident, gesehen habe ich nichts davon!« »Nichts gesehen? -- Aber du hast uns ja die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählt, als ob du Augenzeuge gewesen wärest. Wie ist das möglich?« »Ich habe nur die Thatsachen zusammengestellt, und dies und jenes daraus gefolgert,« erwiderte Tom leichthin. »Es war ein kleines Stück gewöhnliche Detektiv-Arbeit, die jedermann ausführen könnte.« »Ganz und gar nicht! Unter Millionen hätten das nicht zwei fertig gebracht. Du bist wirklich ein merkwürdiger Junge!« »Tom Sawyer hoch! Hurra Tom Sawyer!« klang es wieder durch den Saal, und Tom hätte den Triumph nicht für eine ganze Silbermine hergegeben. Dann sagte der Richter: »Bist du denn aber auch sicher, daß sich die Geschichte ganz so verhält, wie du sagst?« »Jawohl, Herr Richter. Da sitzen ja die Zeugen und niemand weiß ein Wort dagegen zu sagen, weder Brace Dunlap noch sein Bruder. Auch die andern, die sich ihre Lügen haben bezahlen lassen, sind jetzt muckstill. Falls aber Onkel Silas Widerspruch erheben sollte, so würde ich ihm nicht glauben und wenn er es eidlich versicherte.« Das kam den Zuhörern sehr komisch vor; sogar der Richter gab seine würdevolle Haltung auf und lachte. Tom strahlte ordentlich vor Freude, und als alle sich wieder gefaßt hatten, sagte er: »Herr Präsident, hier im Saal ist ein Dieb.« »Was, ein Dieb?« »Ja. Er hat die Diamanten für zwölftausend Dollars bei sich.« »Wo -- wo ist er? -- Wer ist es? -- Zeige ihn uns!« schrien alle durcheinander. »Nenne ihn mir, mein Sohn, der Sheriff soll ihn festnehmen. Wer ist es?« sagte der Richter. »Jupiter Dunlap, der Totgeglaubte.« Wieder entstand die grenzenloseste Aufregung; aber Jupiter, der vorher schon ganz verdutzt gewesen war, schien jetzt förmlich versteinert vor Ueberraschung. Endlich rief er in weinerlichem Ton: »Herr Präsident, das ist wirklich erlogen. Ich bin ja schon schlecht genug ohne das. Alles andere habe ich gethan und bereue es jetzt sehr. Brace hat mich dazu überredet und mir versprochen, er wollte mich über kurz oder lang zum reichen Manne machen. Aber die Diamanten habe ich nicht gestohlen. Gewiß und wahrhaftig, ich habe keine Diamanten, der Sheriff kann mich durchsuchen soviel er will.« »Herr Präsident,« warf Tom ein, »es war vielleicht nicht richtig, daß ich ihn einen Dieb genannt habe. Er hat die Diamanten gestohlen, ohne es zu wissen. Sein Bruder Jack stahl sie den andern Dieben und Jupiter stahl sie seinem Bruder Jack, als er tot am Boden lag. Seit einem Monat läuft er mit den Zwölftausend-Dollar-Diamanten hier herum, als wenn er ein armer Mann wäre. Auch jetzt trägt er diesen ganzen Reichtum bei sich.« »Durchsucht ihn, Sheriff,« sagte der Richter. Der Sheriff durchsuchte ihn von Kopf bis zu Fuß: seinen Hut, die Socken, die Nähte seiner Kleider, die Stiefel, kurz, alles. Tom stand ruhig dabei und paßte auf den geeigneten Moment. Endlich gab es der Sheriff auf. Enttäuschung malte sich in allen Mienen und Jupiter sagte: »Da seht ihr doch, daß ich recht hatte!« »Diesmal hast du dich wohl geirrt, mein Sohn,« äußerte der Richter. Tom nahm eine nachdenkliche Stellung an; er schien sich aus allen Kräften zu besinnen und kratzte sich verlegen den Kopf. Plötzlich machte er ein vergnügtes Gesicht. »Jetzt hab’ ich’s,« sagte er aufschauend. »Ich hatte es bloß vergessen.« Tom sprach nicht die Wahrheit, das wußte ich; doch er fuhr ruhig fort: »Will jemand so gut sein mir einen kleinen Schraubenzieher zu leihen? In dem Reisesack Eures Bruders, den Ihr Euch angeeignet habt, Jupiter, ist einer gewesen, aber den habt Ihr wohl nicht mitgenommen?« »Nein, ich konnte ihn nicht brauchen und hab’ ihn weggegeben.« »Weil Ihr nicht wußtet, wozu er dienen sollte.« Sobald Tom den Schraubenzieher bekam, forderte er Jupiter auf, der nach der Durchsuchung die Stiefel wieder angezogen hatte, einen Fuß auf den Stuhl zu stellen; dann kniete er nieder und schraubte das Plättchen vom Absatz ab. Als er den großen Diamanten zum Vorschein brachte und ihn im Sonnenschein funkeln ließ, waren die Leute ganz außer sich vor Verwunderung. Nun holte Tom auch den Diamanten aus dem andern Absatz und Jupiters Miene wurde immer trübseliger. Er mochte wohl denken, daß er hätte auf und davongehen und als ein reicher, gemachter Mann im Ausland leben können, wäre er klug genug gewesen, zu erraten, wozu der Schraubenzieher im Reisesack steckte. Jetzt erntete Tom Lob und Ruhm nach Herzenslust. Der Richter nahm die Diamanten an sich, stand auf, schob seine Brille in die Höhe, räusperte sich und sagte: »Ich werde sie verwahren und dem Eigentümer Anzeige machen. Wenn er sie dann abholen läßt, wird es mir ein großes Vergnügen bereiten, dir, mein Sohn, die zweitausend Dollars Belohnung einzuhändigen. Du hast aber nicht nur dies Geld verdient, sondern auch den aufrichtigen Dank der ganzen Bürgerschaft. Durch dich ist eine unschuldige Familie vor Schmach und Verderben gerettet worden und ein ehrenwerter Mann vor dem Verbrechertode. Obendrein ist es dir gelungen, die Schändlichkeit eines grausamen, verruchten Schurken und seiner elenden Helfershelfer ans Licht zu ziehen und der Gerechtigkeit einen großen Dienst zu erweisen.« Wäre nur noch ein Musikchor zur Stelle gewesen, um einen Tusch zu blasen, so hätte nach meiner Meinung die Sache gar keinen schöneren Abschluß finden können; darin stimmte Tom Sawyer ganz mit mir überein. Der Sheriff nahm nun Brace Dunlap und seine Spießgesellen in Haft; einige Wochen später ward ihnen der Prozeß gemacht und sie erhielten ihre gerechte Strafe. Onkel Silas und die Seinigen aber standen von jetzt ab wieder in hohem Ansehen bei der Gemeinde; seine kleine alte Kirche war immer gedrängt voll und man erwies ihnen so viel Liebes und Gutes, als man nur konnte. Mit der Zeit kam der alte Mann auch wieder zu Verstande und seine Predigten waren nicht besser und nicht schlechter, als sie früher gewesen. So war denn die ganze Familie seelenvergnügt und Tom Sawyer wurde aus lauter Dankbarkeit gepflegt und verhätschelt, wie noch nie; ich aber auch, obgleich ich nichts gethan hatte. Als dann die zweitausend Dollars kamen, gab mir Tom die Hälfte ab und sagte keinem ein Wort davon, worüber ich mich gar nicht verwunderte, denn ich kannte ihn ja. [Illustration] Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=. Memoirenbibliothek Bisher erschienen 24 Bände. Jedes Werk ist einzeln käuflich. [Illustration] Die hier angekündigten Memoirenwerke bergen _eine Fülle der besten Unterhaltungslektüre für den Gebildeten._ Die »Kreuzzeitung« schrieb: »Solche Werke sind für gebildete Laien eine =weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die Mehrzahl aller Romane=.« Siehe die Urteile über die einzelnen Memoiren. -- Die Werke von =Boyen=, =Bourgogne=, =Macdonald=, =Marbot=, =Ryan=, =Genast= und =Helen Keller=, eignen sich auch für _=die reifere Jugend=_. [Illustration] _Ausführliche Prospekte über jedes einzelne Werk stehen zur Verfügung._ _General Marbot_ Memoiren 1789--1815 Deutsche Ausgabe nach der 40. Auflage des Originals. =3 Bände=, 70 Bg. m. Porträt, brosch. Mk. 13.50, geb. Mk. 16.50, in Halbfrz. Mk. 19.50. =I. Band=: Genua -- Austerlitz -- Jena -- Eylau. =II. Band=: Madrid -- Aspern -- Torres-Vedras. =III. Band=: Polozk -- Beresina -- Leipzig -- Waterloo. [Illustration] Es dürfte dem hochinteressanten Werke zur besonderen Empfehlung gereichen, dass es eine =Lieblingslektüre des Fürsten Bismarck= in seinen letzten Jahren gewesen ist. Bohemia, Prag. Marbots Aufzeichnungen in ihrer vorliegenden Verdeutschung halten sich von jeder Anstössigkeit frei, sei es der Tendenz nach, oder in sittlicher Beziehung, und sind dabei =mit einem Elan geschrieben=, der auf =junge Leser= unfehlbar seine Wirkung tun muss. Es ist so recht ein Buch, das auf den Weihnachtsgabentisch eines Soldaten in spe gehört. Nordd. Allg. Ztg. Ruhig muss man diese Memoiren geniessen, mit der frischen Empfänglichkeit der Jugend. Dann sind sie einfach bezaubernd. Französische Eleganz, gallischer Esprit, loyale Gesinnung auch gegen den Feind, Stimmungen vom lautersten Humor bis zur tiefernsten Rührung durchziehen das Ganze. St. Galler Blätter. ... Wenn wir Marbots erfolgreiches Buch überschauen, müssen wir zugeben, dass keine anderen Memoiren aus jenen Tagen =eine solche Fülle von Ereignissen umspannen= ... Niemand, der sich vom inneren Wesen jener Zeit ein Bild machen will, kann das Buch entbehren. Carl Bleibtreu, Pester Lloyd. Die Memoiren Marbots leuchten mit besonderer Klarheit in die Zeit des ersten Napoleon hinein, weil sie von einem ehrlichen und unbefangenen Manne geschrieben sind, der, von einem seltenen Glück begünstigt, Teilnehmer fast aller damaligen Feldzüge gewesen ist und fast alle entscheidenden Katastrophen miterlebte. Ueber Land und Meer. _Feldmarschall Boyen_ Denkwürdigkeiten und Erinnerungen 1771--1813 =2 Bände=, 49 Bog. m. Porträt. =Preis= brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. Mk. 11.--, in Halbfrz. Mk. 13.--. [Illustration] =Zu den schönsten Memoirenwerken= und überhaupt zu den =Perlen der deutschen Literatur= gehören die Denkwürdigkeiten des Feldmarschalls v. Boyen; sie geben ein mächtiges Bild von der Individualität des Verfassers und von dem Geiste seiner Zeit. Preuss. Jahrbücher. Beim Lesen der Memoiren wird jeder erkennen, dass ein =grosser Geist= mit offenem Auge und völliger Beherrschung der Verhältnisse dieselben geschrieben hat. Histor. Monatsbl. f. Posen. Diese Darstellung einer der wichtigsten Epochen der deutschen Geschichte ist wie wenige Bücher geeignet in der =reiferen deutschen Jugend= vaterländische Gesinnung und Opferfreudigkeit zu entfachen. Südwestd. Schulblätter. Wie ein ernstes, erhabenes Drama, dem es aber bei aller Härte doch auch an behaglichen und idyllischen Zügen nicht fehlt, lässt sich der Verfasser die Blumen- und Dornenkette seiner Tage durch die Erinnerung gleiten. Westerm. Monatshefte. Man wird in Zukunft Boyens Denkwürdigkeiten nicht ausser Acht lassen dürfen, wenn man sich über Persönlichkeiten, Stimmungen und Ereignisse der Befreiungskriege unterrichten will. Allg. Schweizer Zeitg. Man wird von Seite zu Seite aufs Neue gefesselt, und ehe man sich dessen versieht, hat man die 2 Bände von Anfang bis zu Ende durchgelesen. Posener Zeitung. Boyens Denkwürdigkeiten vereinigen jedenfalls =eine Fülle von hochinteressanten Erlebnissen=, die umso prägnanter wirken, als sie uns in der eleganten Darstellung eines hochgebildeten und scharfbeobachtenden Mannes entgegentreten. Düna-Zeitung. Riga. _C. F. von Holten_ Vom dänischen Hofe Erinnerungen aus der Zeit Friedrichs VI., Christians VIII. und Friedrichs VII. 16 Bg. m. 4 Porträts. Preis brosch Mk. 4.50, in Lwd. geb. Mk. 5.50, Halbfranz Mk. 6.50. [Illustration] Wir durchschreiten gewissermassen eines jener alten dänischen Königsschlösser, die träumerisch auf den grauen Sund hinausschauen, und betrachten die Porträts: die Herrscher und ihre Gemahlinnen, die fürstlichen Verwandten, den Hofstaat, die Grössen der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, die sie umgeben -- -- -- Holten hat eine charmante Art, das =Charakteristische= an den Personen herauszuheben und ergötzt oft durch humoristische Darstellung. Kleines Journal, Berlin. Sein Werk macht nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches zu sein; es bringt uns in schlichtem Plauderton die Grossen der Welt näher und lässt uns mancherlei Blicke in ihr privates Leben tun. Viele werden gerne zu dem Buche greifen, und die Stunden nicht bereuen, welche sie bei der harmlosen Lektüre verbracht haben. Nord-Ostsee-Zeitung. Das Buch, =das sich spannend wie ein Roman= liest, ist voll von Anekdoten vielfach heiterer Natur: Eine Menge von Originalen zieht an uns vorüber; der Hofstaat dreier Könige, sie selbst nebst ihren Familien, darunter die vielgenannte Gräfin Danner. =Bezaubernd ist der Freimut=, mit dem der liebenswürdige Verfasser ungeniert über all diese internen Dinge zu plaudern weiss. Für jeden, der den dänischen Verhältnissen in den 30er Jahren und dem ganzen Zeitraum bis 1864 Interesse entgegenbringt, werden diese Memoiren lehrreich und amüsant sein. Düna-Zeitung, Riga. _François Bourgogne_ Sergeant der franz. Kaisergarde Kriegserlebnisse 1812--13 Mit 16 Vollbildern von Faber du Faur und Yvon. =2. Aufl.= (4.--5. Tausend.) 363 Seiten. Preis brosch. M. 6.--, in Lwd. geb. M. 7.50, in Halbfranz. M. 8.50. [Illustration] Bourgognes Memoiren gehören zu den Büchern, bei denen der Leser die Schläge der Mitternachtsstunde überhört; und viele Scenen, wie die des brennenden Posthauses zwischen Moskau und Smolensk, die an den Lederstrumpf erinnernden Jagden der Kosaken vor der Beresina, die Uebergangsszenen, und die letzten Abenteuer bei Wilna und Kowno prägen sich dem Leser unverlöschlich ins Gedächtnis. Literar. Echo. Der =spannendste Roman=, die interessanteste Reiseschilderung =kann kaum fesselnder sein=, als hier das Buch des schlichten Sergeanten. Oft wenn er von den Schrecknissen des Winters, der fürchterlichen Kälte, die bis zu 28 Grad stieg, erzählt, bei der die todesmüden Krieger marschieren, kampieren und die grössten Entbehrungen erdulden mussten, wird man lebhaft an Nansens Wanderungen in Nacht und Eis erinnert. Leipziger Tageblatt. ... Es sind =erschütternde Bilder= des Elends und tiefsten Jammers, die sich vor unsern Augen entrollen, aber auch echter Kameradschaft und Menschenliebe, die sich =unvergänglich ins Herz graben=. Generalanzeiger, Hamburg. Diese Schlichtheit und Ehrlichkeit gerade sichert seiner ganzen Darstellung die Glaubwürdigkeit und hebt Bourgognes so ungemein inhaltsreiches Buch über allen Verdacht romanhafter Erfindung hoch empor auf die =Wertstufe weltgeschichtlicher Dokumente=, wie es ihrer gleich ergreifende und erschütternde nur wenige gibt. Westerm. Monatsh. Die ausserordentliche Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung dieser durch ihre Ursprünglichkeit sich auszeichnenden Denkwürdigkeiten wird noch unterstützt durch Reproduktionen der 15 charakteristischsten Blätter aus dem seltenen Illustrationswerk des württembergischen Offiziers Faber du Faur, der den russischen Feldzug von 1812 mitgemacht hat. Ill. Zeitung, Leipzig. _Fürst Krapotkin_ Memoiren eines Revolutionärs Mit Vorwort von =Georg Brandes=. 3. Auflage. =2 Bände=; 44 Bg. mit 3 Porträts. Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--. [Illustration] Die Schilderungen sind von einer Intimität und einem Stimmungsgehalt, die an Turgeniew erinnern. Ein Künstler ersten Ranges gibt hier seine Erlebnisse und Eindrücke wieder ... ... Aus der Schlichtheit und Wahrhaftigkeit seiner Darstellung, aus dem Begreifen der russischen Volksseele, aus dem unerschöpflichen Reichtum einer gross und edel angelegten Natur entstand ein =Buch mit Ewigkeitswerten= ... Die Nation. ... Der Adel der Gesinnung, der aus den Memoiren spricht, ein Adel ohne jedes Pathos und ohne heroischen Aufputz, macht ihre Lektüre zum ungewöhnlichen Genuss, und wo die nüchterne Kritik nicht fehlt, auch zum ausserordentlichen Gewinn. Niemand soll es versäumen, diese geradezu =klassisch geschriebenen Memoiren mit Andacht zu lesen=. Neue freie Presse. Nicht der Nihilist und nicht der Anarchist stehen in erster Reihe, wenn diese Memoiren gewürdigt werden sollen, sondern der =Mensch= Krapotkin selbst. Die beiden Bände Memoiren verdienen dem modernen Plutarch angereiht zu werden. Neues Wiener Tagblatt. Dass er ein unermüdlicher Kämpfer für die Revolution, dass er ein bedeutender Gelehrter war und ist, wussten wir schon lange. Jetzt aber hat er uns bewiesen, dass er auch ein feinsinniger Künstler und ein edler guter Mensch ist, ein Mensch voll Milde und Herzlichkeit. -- -- Vor uns ersteht die Sittengeschichte jener Zeit, wie sie packender, treffender und plastischer kein Geschichtsforscher und kein Romancier gezeichnet hat. Prager Tagblatt. In der Memoirenliteratur kann das vorliegende Buch einen ganz hervorragenden Platz beanspruchen; denn der Verfasser hat wie kaum einer die Höhen und Tiefen des modernen Lebens, besonders in Russland, kennen gelernt. ... Das ganze russische Volk hat hier einen =Darsteller ersten Ranges= gefunden. Kölnische Zeitung. _Henri Rochefort_ Abenteuer meines Lebens Autorisierte deutsche Bearbeitung von =Heinr. Conrad=. =2 Bände=; 50 Bg. mit Porträt. Preis brosch. Mk. 10.--, in Lwd. geb. Mk. 12.--, in Halbfranz Mk. 14.--. [Illustration] Es sind fesselnde, mit zahlreichen unterhaltenden und pikanten Einzelheiten durchwirkte Bilder aus dem öffentlichen und privaten Leben Frankreichs während der letzten 2 Drittel des vergangenen Jahrhunderts -- Bilder von scharfer Einseitigkeit, gesehen und gezeichnet von der prononcierten Persönlichkeit eines hitzigen Draufgängers, und deshalb hinsichtlich ihrer vollen Wahrheit wohl mancher Korrektur bedürftig, aber in ihrer individuellen Beleuchtung =in hohem Grade interessant=. St. Petersburger Zeitung. Der Stil des Werkes ist äusserst lebendig, geistreich und epigrammatisch; ein richtiger Journalistenstil, der sich nur an Tatsachen hält, alles Ueberflüssige und allen Wortprunk verschmähend. =Wer sich über die letzten 40 Jahre Zeitgeschichte in amüsanter Weise unterrichten will, der greife zu diesem Werke.= Elberfelder Zeitung. Die Uebersetzung ist so mustergültig, dass es für jeden gebildeten Leser schon an und für sich ein hoher Genuss ist, hier der liebevollen und geistreichen Arbeit des Herausgebers zu folgen, der es verstanden hat, den eigenartigen, geist- und witzfunkelnden Stil Rocheforts stets sinngemäss und treffend wiederzugeben. Dresdener Anzeiger. Die Darstellung Rocheforts unterhält durch ihre ausserordentliche Farbigkeit und Beweglichkeit, sie ist unvergleichlich amüsant, und auch historisch nicht wertlos als ein grosses Stück erlebter Zeitgeschichte. Vossische Zeitung. Das Werk ist mit einer =solchen Frische und Anschaulichkeit geschrieben=, dass man bei der Lektüre glaubt, =einen Roman vor sich zu haben=. Die Szenen aus dem Gefängnisleben, die verschiedenen Fluchtversuche, und die endlich glücklich erreichte Befreiung aus Neu-Kaledonien stellen sich ähnlichen Kapiteln aus Dumas’schen oder Sue’schen Romanen würdig an die Seite. Pester Lloyd. _D. Thiébault_ Friedrich der Grosse und sein Hof Persönliche Erinnerungen an einen 20jährigen Aufenthalt in Berlin. Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=. 2 Bände, 49 Bogen mit 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 9.--, in Lwd. geb. Mk. 11.--, in Halbfranz Mk. 13.--. [Illustration] Diese Erinnerungen, in einer kritisch revidierten, abgekürzten Ausgabe, füllen zwei stattliche Bände, die aber durch ihre anziehende Darstellung nichts Ermüdendes haben und gewiss alsbald jene Popularität sich erwerben werden, die sie um ihres Gegenstandes und ihrer Form willen verdienen. Es hat wohl nie einen moderneren Herrscher gegeben als diesen »aufgeklärten Despoten« aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Zuweilen glaubt man nicht von einem, =der da war=, sondern von einem, =der da kommen wird=, zu lesen. So reif, so vorschauend, so grossdenkend, so frei von Vorurteilen war dieser Monarch! Neue freie Presse. =Ein Muster französischer Memoiren sind die Thiébaults= über seinen Aufenthalt am Hofe Friedrichs des Grossen. Es mag einer noch so viele historische Werke über jene Zeit gelesen haben, Friedrich II. wird ihm ein genialer Feldherr, ein grosser König, ein merkwürdiger Mensch sein; er lese diese Memoiren, und der Feldherr, der König, der Mensch steht leibhaftig vor ihm mit all seinen Tugenden und Fehlern, in seiner Herrscherglorie und seiner menschlichen Schwäche. Wiener Allg. Zeitung. In der reichen französischen Memoirenliteratur gibt es nur wenige Werke, die für uns Deutsche ihrem ganzen Inhalte nach ein so =hervorragendes historisches Interesse= darbieten, wie die Denkwürdigkeiten D. Thiébaults. Karl Witte, Berlin. Das Buch ist von Anfang bis zu Ende in allen Einzelheiten fast gleich interessant. Ausserdem ist es durchweg in dem Ton des feinsinnigen, gebildeten Mannes gehalten, der auch delikate Dinge mit Geschmack und Anstand behandelt. Hamb. Korrespondent. _General Gourgaud_ Napoleons Gedanken und Erinnerungen St. Helena 1815--18 Deutsche Bearbeitung von =H. Conrad=. =3. Auflage.= 25 Bg. m. 6 Porträts. Preis brosch. Mk. 5.50, geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. [Illustration] Man gewinnt ein höchst anschauliches Bild davon, wie das grösste militärische und administrative Genie, der hervorragendste Gesetzgeber und Finanzmann, den die neuere Geschichte kennt, sich nach Abschluss seiner meteorhaften Laufbahn den wenigen Getreuen gegenüber, die sein Exil teilten, gab und aussprach, wie er über seine Feldherren, ihre Vorzüge und Fehler, wie er über seine eigenen Taten und Untaten dachte, wie er seine Zeitgenossen und Gegner, wie er die Politik der Gegenwart und Zukunft beurteilte, wie er grollte und wie er scherzte. Petersburger Zeitung. Das Buch bringt eine =Fülle der interessantesten=, man kann sagen lehrreichsten =Aussprüche des Kaisers= über wichtige Ereignisse seines tatenreichen Lebens; es verbreitet Klarheit über viele Seiten seines Charakters, besonders über die dunkeln, beleuchtet mit grellem Licht seinen grenzenlosen Ehrgeiz, seine Verachtung des menschlichen Geschlechts und seine widerwärtige, man kann sagen niederträchtige Beurteilung der Frauen. Monatsschr. f. Stadt u. Land. Sind wir mit der Lektüre des Werkes fertig, so steigen Zweifel in uns auf in Bezug auf all die andern von uns gelesenen Werke über jene Epoche, und wir haben die Ueberzeugung gewonnen, dass dieses =der Wahrheit, der ungeschminkten Wahrheit= am nächsten kommt. Lord Rosebery. Abgesehen von den Erwägungen, zu denen Napoleons Gedanken und Erinnerungen Anlass geben, enthält das Buch eine solche Fülle =der interessantesten Einzelheiten=, dass wir uns kaum eine Lektüre denken können, die den Leser mehr fesseln und anregen würde, als Gourgauds Tagebuch in deutscher Bearbeitung. Neue Zürcher Zeitung. _Dr. med. Ryan_ Unter dem roten Halbmond =Erlebnisse eines Arztes= b. d. türk. Armee i. Kriege 1877/78. Autor. Übersetzung von =H. von Natzmer=. -- 24 Bg. m. Portr. Osman Paschas. Preis brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. [Illustration] ... =Beispiele heldenmütigster Aufopferung im Dienst edelster Menschlichkeit, sympathische Züge der Kameradschaft und des Edelmuts= gegen den überwundenen Gegner treten uns hier mit dramatischer Lebendigkeit entgegen. ... Aber mit diesen =spannenden Schilderungen der Kriegsereignisse=, mit den =glänzenden Malereien des Schlachten- und Lagerlebens=, die dem Buch unter den militärischen Schriften einen =hervorragenden Rang sichern=, sind die Vorzüge desselben keineswegs erschöpft ... Hamburger Neueste Nachrichten. =Ryan ist ein Erzähler ersten Ranges, dem man mit wahrem Vergnügen lauscht=, mag er uns von seinen =tollen Fahrten und lustigen Streichen= berichten oder =ergreifende Schilderungen= von grenzenlosem Elend geben. Reichs-Medizinal-Anzeiger. Seinen eigentümlichen Reiz gewinnt das Buch dadurch, dass neben den erzählten ernsten Dingen =eine fast erstaunliche Fülle von Humor= platzgreift. Hamburg. Correspondent. =Hier lernen wir wahres Heldentum kennen=, Heldentum im mutigen Angriff, Heldentum im stummen Ertragen fürchterlicher Qualen, =höchste Entsagungsfähigkeit= und =wahrhaft ideale Glaubenszuversicht=. Aufregende Kampfesbilder aus der Zeit der glänzenden türkischen Ruhmestaten während der Belagerung von Plewna ziehen an dem Leser vorüber, so =greifbar plastisch=, als ob man =all das Aufregende, Fürchterliche vor seinen Augen sich abspielen sähe= ... Das Ryan’sche Werk ist in ganz vorzüglicher Weise von H. v. Natzmer übersetzt. Internat. Literaturberichte. _General Thiébault_ Memoiren a. d. Zeit d. frz. Revolution u. des I. Kaiserreichs Deutsche Bearbeitung von =F. Mangold=, Major a. D. =3 Bände= m. 15 Porträts berühmter Männer d. Revolution u. d. Kaiserreichs. Brosch. Mk. 15.--, in Lwd. geb. Mk. 18.--, in Halbfranz Mk. 21.--. [Illustration] Das Werk ist im =höchsten Grade kulturgeschichtlich interessant=, ist flott und elegant geschrieben und eignet sich daher =in hohem Masse als Unterhaltungslektüre= für Gebildete. Jedenfalls sind solche Werke für gebildete Laien =eine weit empfehlenswertere geistige Nahrung als die Mehrzahl aller Romane=. Kreuzzeitung. Das ebenso glänzend wie spannend geschriebene Werk bringt ein =so reiches Material an Erlebnissen des Augenzeugen=, dass man nicht müde wird, immer wieder darin zu lesen. Das Werk umfasst alle Geschehnisse, alle Personen, und lässt sie wie in einem grossen Wandelpanorama an uns vorüberziehen. Oft liest sich das Werk =wie ein gewaltiges Schlachtenbuch, oft wie ein spannender Roman über Hof- und Feldlager-Intrigue=. Neueste Nachrichten, Berlin. ... Die Zeit von 1789 bis 1815 hat selten eine so intensive Beleuchtung erfahren wie bei Thiébault, der nicht bloss hinter die Kulissen der Weltgeschichte, der mit psychologischem Scharfblick auch den Menschen, die die Fäden der Weltgeschichte zogen, in die Seele geblickt hat. Westermanns Monatshefte. Schicksale und Herzen haben in Thiébault einen =Beobachter und Kenner gefunden, der seinesgleichen sucht=. Vossische Zeitung, Berlin. _Marschall Macdonald_ Memoiren 1785--1825 Deutsche Bearb. nach der =7. Auflage= des =Originals= von =H. v. Natzmer=, Generalmajor z. D. 22 Bg. m. Porträt. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. [Illustration] Die Memoiren geben in festen, markigen Zügen das Bild einer geschichtlich stark bewegten Zeit wieder, und zeigen den Verfasser als eine voll ausgeprägte Persönlichkeit. Alle Soldatentugenden und unter dem Kanonendonner der Schlacht dennoch ein warm empfindendes Herz, bringen uns den Marschall nicht nur als Soldaten, sondern vor allem als Menschen nahe. =Die Schilderung der Ereignisse ist von dramatischer Spannung und Beweglichkeit=, jeder äussere Vorgang wird bei diesem Mann zum inneren Erlebnis. Und dies gerade macht das Buch so packend, so interessant. Deutsche Zeitung. Mit Genuss wird ein jeder, der dies Memoirenwerk einmal gelesen hat, es wieder und wieder zur Hand nehmen. Leipz. Zeitung. =Ein ausgezeichnetes Werk=, dem wir recht viele Leser wünschen. Eine von Anfang bis zu Ende fesselnde Lektüre. Berner Bund. Wir möchten das schön ausgestattete Buch noch besonders =für die reifere Jugend=, und =zur Anschaffung für Schülerbibliotheken= empfehlen. Südwestd. Schulblätter. Keine einzige Zeile ermüdet -- keine ist da, die man nicht gern gelesen haben möchte. Allg. Zeitung. Die Memoiren lesen sich von Anfang bis zu Ende wie ein spannender Roman. Hamb. Korresp. _Eduard Genast_ Aus Weimars klassischer und nachklass. Zeit Erinnerungen eines weimarischen Hofschauspielers Neu herausgegeben von =Rob. Kohlrausch=. =3. Auflage.= 24 Bg. m. 2 Porträts. Brosch. Mk. 4.50, in Lwd. geb. Mk. 5.50, in Halbfranz Mk. 6.50. [Illustration] =Wie Eckermanns »Gespräche mit Goethe« dürfte auch Genasts Buch in keiner Bibliothek der deutschen Leser fehlen.= Hamburger Nachrichten. In seiner =jetzigen= Gestalt ist das Werk =wie ein Zauberspiegel=, in dem die längst schlafen gegangenen Gestalten unserer grossen Dichter wieder lebendig werden. Das Erinnerungsbuch sollte seinen =Platz in jeder Klassikerbibliothek= finden. Hamburger Fremdenblatt. Eine =Fundgrube= von =fesselnden Darstellungen= aus dem literarischen und künstlerischen Leben Deutschlands der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ... =Eines der wertvollsten Bücher=, dem kein Gebildeter sein Interesse wird versagen können. Kölnische Zeitung. ... So wird das Buch zu einem =wertvollen Beitrage= zur deutschen =Literatur-= und =Musikgeschichte=, aus dem wir, die Kinder einer späteren Zeit, zum Verständnis der geistigen Strömungen des verflossenen Jahrhunderts =manchen bleibenden Gewinn= schöpfen können. Pustets Deutscher Hausschatz. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, dass Genasts Aufzeichnungen allen Literatur- und Theaterfreunden eine Quelle edelsten Genusses sind. New-Yorker Staatszeitung. Zu den interessantesten und belehrendsten Bänden der Memoirenbibliothek gehören zweifellos die Erinnerungen Eduard Genasts. Tageblatt Altona. =Eines der interessantesten Bücher der Memoirenliteratur= und ein treues Bild des weimarischen Theaterwesens zu Goethes Zeiten. Wiesbadener Tageblatt. _Helen Keller_ Die Geschichte meines Lebens Autorisierte Deutsche Ausgabe. =23. Auflage.= 23 Bg. mit 8 Bildern. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. [Illustration] Erzieher und Eltern werden in dem Buche viele =Anregungen= finden. Aber nicht nur Erzieher und Eltern; =jeder Mensch=, der an Frischem und Klugem Gefallen hat, =muss mit Freude das Buch der Helen Keller lesen=. =Dem Schriftsteller, dem Künstler, dem Gelehrten= eröffnet es neue Aussichtspunkte. =Leute, die in Krankheit und Trübsal am Leben verzweifeln wollen, richtet es auf=: denn es zeigt ihnen, wie nichts so hoffnungslos ist, dass es nicht Trost und Linderung fände. =Uebermütige lehrt es Demut, Leichtfertige Besinnung.= Es ist ein Werk, das keiner vergessen kann, der es einmal gelesen hat. Berliner Tageblatt. ... O, ich könnte das ganze Buch zitieren! Es ist voller =Sonnenschein und Liebe und Glückseligkeit=. Und Sonnenschein strahlt es in unsere müden Herzen. Dr. M. Wilhelm Meyer. ... =Das Buch enthält Schönheiten über Schönheiten, Wahrheiten tief wie ein Bergsee, Lichtquellen der Seele, die leuchten wie die Sonnen der Ewigkeit.= Ill. Sonntagszeitung. Dieses Buch repräsentiert entschieden =die originellste und interessanteste Autobiographie, die je geschrieben worden ist=. ... Wir haben es mit einem Interesse gelesen, wie selten ein anderes; diese Lektüre möchten wir einem jeden unserer Leser gönnen. Alte u. Neue Welt (Einsiedeln). Und mit dem =erhebenden Bewusstsein=, ein neues Stück menschlichen Heldenmuts in diesen beiden Frauen kennen gelernt zu haben, legt man diese, wohl =in der ganzen Weltliteratur einzig dastehende Selbstbiographie= aus der Hand. Kölnische Zeitung. _Herbert Spencer_ Eine Autobiographie Autorisierte Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. =Ludwig= und =Helene Stein=. =2 Bände.= 47 Bg. Brosch. Mk. 14.--, in Lwd. geb. Mk. 16.--, in Halbfranz Mk. 18.--. [Illustration] Ein autobiographisches Werk von der Wahrheit und Exaktheit des vorliegenden =hat in der ganzen Weltliteratur nicht seines Gleichen, und es sollte auf dem Büchertisch keines Gebildeten fehlen=. Posen. Neueste Nachricht. Ein deutscher Leser der Autobiographie schreibt: ... Dann aber hat das Buch den =immensen Vorzug=, dass es den Philosophen in ihm kennen zu lernen gestattet, ohne dass man seine Werke zu lesen braucht. Es ist zweifelhaft, ob je ein Denker von schöneren Anlagen unter unserem Volke aufgetreten ist. Wir sind überzeugt, dass die hübsch ausgestattete deutsche Ausgabe auch über den Kreis der eigentlichen Fachinteressenten hinaus eifrige Leser finden wird. Hamb. Korrespondent. ... Doch genug des Nörgelns! Spencers nachgelassenes Werk bleibt trotz alledem eine der interessantesten und originellsten Selbstbiographien, die es in der Weltliteratur gibt. Münchener Neueste Nachr. Dies Buch ist ein Dutzend Bücher in einem. =Dem Psychologen, dem Künstler, dem Romanschriftsteller, dem Moralisten, dem Lehrer, dem Prediger, dem Kritiker, dem Dichter, dem Philosophen= -- allen diesen bietet das Buch =eine besondere Quelle des Genusses=. Chicago Herald. _W. Debogory-Mokriewitsch_ Erinnerungen eines Nihilisten (Ein Seitenstück zu Fürst Krapotkins Memoiren.) Autorisierte Deutsche Ausgabe von =Dr. H. Röhl=. Mit Vorwort von =Alex. Ular=. =2. Auflage.= 22 Bg. Brosch. Mk. 5.50, in Lwd. geb. Mk. 6.50, in Halbfranz Mk. 7.50. [Illustration] Die vorliegenden »Erinnerungen eines Nihilisten« bieten in mehr als einer Hinsicht grosses Interesse. Schon als rein persönliche Erinnerungen genommen, bilden die Aufzeichnungen =eine äusserst spannende Lektüre=. Aber der Schwerpunkt der Erinnerungen liegt in der =glänzenden Charakteristik der politischen Zustände und der revolutionären Bewegung unter Alexander II. und Alexander III.= Neue freie Presse. Es ist zweifellos, dass das Werk in mannigfacher Weise Interesse, ja Aufsehen erregen wird ... Als rein persönliche Erinnerungen genommen, geben diese Aufzeichnungen eine Lektüre, =die den Leser zuweilen in fieberhafte Spannung versetzt=, wie sie der kunstvollst aufgebaute Roman nicht zu erregen vermöchte. Berliner Börsen-Courier. ... Dann kam die Flucht aus Sibirien. Hier häufen sich =die aufregenden Momente des Buches zu einer wahren Seelenfolter für den Leser=. =Man zittert mit dem Flüchtigen= bei den mannigfachsten Gefahren, und man glaubt, die Hetzjagd, welche von den Behörden auf Mokriewitsch gerichtet ist, gegen sich selbst ausgeführt zu empfinden. Neues Wiener Journal. Aus der Zeit der ernstlich beginnenden revolutionären Bewegung, die jetzt in Russland alle Dämme überflutet, weiss dieses Buch interessante Ereignisse und Erlebnisse zu erzählen. Münchener Neueste Nachrichten. Mark Twains Ausgew. humoristische Schriften. Inhalt: Bd. I. =Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.= Bd. II. =Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.= Bd. III. =Skizzenbuch.= Bd. IV. { =Leben auf dem Mississippi.= { =Nach dem fernen Westen.= Bd. V. =Im Gold- und Silberland.= Bd. VI. =Reisebilder u. verschiedene Skizzen.= Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden. Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden. _Neue Folge_: Bd. I. =Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.= Bd. II. =Querkopf Wilson.= Bd. III./IV. =Meine Reise um die Welt.= 2 Abt. Bd. V. =Adams Tagebuch= u. a. Erzähl. Bd. VI. =Wie Hadleyburg verderbt wurde= u. a. Erzähl. Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden. Preis _aller 6 Bände_, zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Der Werbeteil ist im Original in Antiqua gesetzt, auf eine entsprechende Auszeichnung wurde verzichtet. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK TOM SAWYERS NEUE ABENTEUER *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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