The Project Gutenberg eBook of Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff 56: Die Weltenfahrer auf dem Riesen-Planeten

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Title: Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff 56: Die Weltenfahrer auf dem Riesen-Planeten

Author: Anonymous

Release date: November 28, 2017 [eBook #56067]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski, Norbert H. Langkau, and the
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LUFTPIRAT UND SEIN LENKBARES LUFTSCHIFF 56: DIE WELTENFAHRER AUF DEM RIESEN-PLANETEN ***

56. Band. Jeder Band ist vollständig abgeschlossen. Preis 10 Pf. (15 Heller.)

Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff. Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff.

Die Weltenfahrer auf dem Riesen-Planeten.

„Fort, fort, ehe das Wasser der Geyser zu kochen beginnt!“ schrie Mors mit furchtbarer Stimme.

Druck- und Verlags-Gesellschaft
Berlin

Die Weltenfahrer auf dem Riesen-Planeten.

1. Kapitel.
Ungelöste Rätsel des Weltenraumes.

Das Tagesgestirn bestrahlte die Wolkenmassen über dem Festland und den Meeren, die allmählich in blauen Dunst zu verschwimmen schienen.

Alles dies aber erschien von einem seltsam geformten Koloß aus gesehen, der plötzlich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus der Atmosphäre der Erde hinaus in den Weltenraum flog, bald kleiner und kleiner.

War das ein Meteor, welcher den Luftkreis der Erde passiert und sich nunmehr in schier rasender Geschwindigkeit wieder nach anderen Welten wendete?

Nein, es war ein Werk von Menschenhand, das wunderbare Weltenfahrzeug des maskierten Luftpiraten, welches den Namen „Meteor“ führte.

Fast schien es, als wollte Kapitän Mors, der Erbauer des Weltenfahrzeuges, der schon so seltsame Abenteuer erlebt, sein und seiner Leute Leben zum Opfer bringen.

Eben war er erst auf Erden mit Mühe und Not dem drohenden Verhängnis entkommen und nun suchte er schon wieder Weltenräume auf, in denen zu fast jeder Minute das Verderben drohte.

Dennoch ging Kapitän Mors nach einem genau bestimmten Plan vor, er konnte eben nicht müßig bleiben.

Sein ganzes Leben war den Abenteuern geweiht und er meinte, jeder Tag sei verloren, an dem er nicht die Macht, welche ihm die Wissenschaft verlieh, auf der Erde oder in anderen Weltenräumen erproben konnte.

Mors fuhr diesmal nach einer ganz anderen Richtung.

Er hatte mit seinem Weltenfahrzeug das Unendliche durchflogen, sogar die Planeten Venus und Mars besucht und die wunderbarsten und gefährlichsten Abenteuer erlebt.

Er wußte aus Erfahrung, daß jene intelligenten Bewohner der Planeten ihn und sein Werk stets feindlich betrachteten. Daß sie durch größeres Wissen Machtmittel besaßen, welche ihm und seinen Leuten leicht verderblich werden konnten.

Der Kurs des Weltenfahrzeuges ging also in einer Richtung durch den Weltenraum, bei der ein Zusammentreffen mit den genannten Planeten vermieden wurde.

Diesmal lockte Mors ein anderes Rätsel.

Es war Professor van Halen, der ihn auf den Gedanken gebracht hatte, eins der größten Rätsel der Sternenwelt lösen zu wollen.

Dies Rätsel war der Ring des riesenhaften Planeten Saturn.

Professor van Halen, der Mors auch diesmal begleitete, hatte schon bei den früheren Weltenfahrten seine ausgezeichneten Instrumente auf diesen merkwürdigsten aller Himmelskörper gerichtet und ihn mit dem Eifer eines Gelehrten betrachtet, wollte er doch gern wissen, woraus der Ring des Saturn eigentlich bestand.

Nun hatte schon vor Jahren ein äußerst scharfsinniger Astronom die Vermutung aufgestellt, daß sich die Ringe des Saturns aus unzähligen kleinen Körpern zusammensetzten.

Der Professor teilte diese Meinung, aber er wollte sie bestätigt wissen, und als er Kapitän Mors dies mitgeteilt, hatte der Luftpirat den Kurs des Weltenfahrzeugs in jene unbekannten Fernen gerichtet.

In den Räumen des mächtigen Fahrzeuges standen Kapitän Mors und der Professor im Gespräch neben den wissenschaftlichen Apparaten.

„Meine Leute sind während der letzten abenteuerlichen Fahrt auf der Erde nicht müßig gewesen,“ sagte Kapitän Mors. „Sie haben alle meine Anweisungen auf das Genaueste befolgt und das Weltenfahrzeug in einer Weise hergerichtet, daß es selbst den höchsten Anforderungen genügt. Der Bug, die Mitte und das Achterteil sind nochmals gepanzert worden, und so habe ich mich vor allen Dingen gegen das Anrennen fremder Weltenfahrzeuge gesichert.“

„Jetzt können die Fahrzeuge vom Mars kommen, ich würde nicht einmal die Blitze mehr fürchten, mit denen sie damals einen Teil meines „Meteor“ demolierten, jetzt trotze ich ihnen.“

„Aber diesmal kommen wir nicht in ihrer Nähe vorüber,“ meinte der Professor, in dessen Augen das Feuer der Erwartung glühte.

„Nein, das ist allerdings nicht der Fall,“ meinte Mors, „aber Sie, bester Professor, wissen ja aus Erfahrung, daß die intelligenten Bewohner jener zwei gefährlichen Planeten weite Weltenreisen unternehmen. Wir haben ja selbst mal eine solche Weltenflotte erblickt, denn so muß ich diese Erscheinung bezeichnen. Sie erinnern sich wohl noch, wie wir einer ganzen Anzahl solcher Fahrzeuge begegneten. Da muß ich stets und ständig auf Angriffe gefaßt sein. Aber ich denke, wir werden diesmal verschont bleiben und die Rätsel lösen, an denen Ihnen so viel gelegen ist. Wenn nichts dazwischen kommt, muß sich uns das Geheimnis des Saturnringes enthüllen.“

„Gewiß!“ erwiderte der Professor. „Bei den Vorsichtsmaßnahmen, die wir getroffen haben, erscheint es fast ausgeschlossen, daß uns Unfälle begegnen. Die Sternschnuppenzonen liegen ganz außer unserem Kurs, wir müssen nur die ungeheure Anziehungskraft des größten aller Planeten, des Jupiter berücksichtigen, denn die hat uns schon einmal sehr zu schaffen gemacht. Es scheint, als ob diese ungeheure Masse selbst unserem Riesenmagneten trotzt, und Sie wissen ja, Kapitän, der Jupiter hat schon, wie man zu sagen pflegt, einige Male Weltenkörper abgefangen.“

„Nun, das war nicht allzu schwer,“ meinte Mors. „Darüber hat man ja klassische Beispiele. Der Jupiter hat oft Kometen aus ihrem Kurs geworfen, ihren Lauf verändert, ja sie sogar in Atome auseinandergetrieben. Aber das sind ja gasförmige Körper, die keinen Widerstand zu leisten vermögen.“

„Das ist richtig,“ erwiderte der Professor. „Aber ich huldige da noch einer Anschauung, welche vielleicht wenige Astronomen teilen. Früher glaubte man, daß die Monde, von denen der Jupiter vier größere besitzt, während der Saturn sogar acht Trabanten mit sich führt, der Festwerdung und Erstarrung dieser Planeten entstammten. Ich aber glaube, daß dies kleine Weltkörper sind, welche die beiden Riesen durch ihre ungeheure Anziehungskraft gewissermaßen abfingen und sie bereits seit ungezählten Millionen Jahren mit sich führen. Kommen wir näher an diese Weltkörper heran, so hoffe ich auch dies Rätsel lösen zu können.“

Damit ging der Professor an seine Arbeit.

Mors aber inspizierte seiner Gewohnheit gemäß die Räume des Weltenfahrzeugs.

Unsere Leser werden sich entsinnen, daß der Luftpirat bei seinen letzten Abenteuern die größte Anzahl seiner Mannschaften einbüßte.

Der Verlust war jetzt einigermaßen ersetzt durch eine Anzahl Inder aus den Hochgebirgen, die Kapitän Mors in seine Dienste genommen.

Er war bis jetzt mit diesen Männern sehr zufrieden, zumal diese ihr geliebtes Vaterland für immer verlassen mußten. Diese Inder hatten sich an einem Aufstand gegen die englische Regierung beteiligt, an einer Rebellion, die vorzeitig verraten, vor den Bajonetten der Engländer kläglich scheitern mußte.

Eine Anzahl der freiheitsliebenden Verschwörer wurde im Kampf getötet, andere gefangen und nach kurzem Prozeß hingerichtet. Diejenigen, welche zu flüchten vermochten, begaben sich in indische Hochgebirge, wurden aber auch dort von den Engländern verfolgt und wie die wilden Tiere umhergehetzt.

Die freiheitsliebenden Männer gaben sich schon verloren, als sie mit Kapitän Mors’ Sendboten zusammentrafen.

Dieser hatte seinen getreuen Lindo und zwei andere Inder ausgeschickt, um neue Mannschaft anzuwerben und schwebte mit seinem lenkbaren Luftschiff über den schneebedeckten Hochgebirgen.

Mit tausend Freuden nahmen die Gehetzten und Geächteten das Anerbieten Lindos an und schwuren den fürchterlichen Eid, durch den sie sich für immer an Kapitän Mors banden.

Bald führte sie das lenkbare Luftschiff nach der Insel im Südmeer und die zähesten und widerstandsfähigsten dieser Männer waren es, welche Mors bei seiner neuen großen Reise in den Weltenraum begleiteten.

Auch zwei Normannen befanden sich unter der Mannschaft, die zwanzig Köpfe zählte. Dazu kamen noch Mors und der Professor.

Aber es war noch ein anderes Wesen zugegen, nämlich die Schwester des ehemaligen Todfeindes des Luftpiraten.

Es war Nelly, Ned Gullys Schwester, die jetzt auf den Luftpiraten schwor.

Ihren dämonischen Bruder, den Kapitän Mors vernichtet, hatte sie längst vergessen und war mit Leib und Seele eine Anhängerin des Mannes mit der Maske geworden. Dieses noch so junge Mädchen besaß einen wahren Feuergeist und einen glühenden Hang zu phantastischen Abenteuern; sie besaß außergewöhnliche mechanische und technische Kenntnisse, in denen sie sogar die Töchter des Ingenieurs Long, die beide auf der Insel als glückliche junge Frauen zurückgeblieben waren, übertraf.

Anita war die Gattin des Professors und auch Lucy Long hatte einen Mann gefunden. Es war einer der stolzen Inder aus den Hochgebirgen, in dessen Adern fürstliches Blut rollte.

Da Nelly dem Professor bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten behülflich war, und Terror, der Mors diesmal begleitete, die Maschinen im Lenkraum bediente, gab ihr der Kapitän auf ihr Bitten endlich die Erlaubnis, an der Weltenfahrt teilnehmen zu dürfen, was sie mit größter Freude erfüllte.

Sie hatte es auch übernommen, die Speisen für die Mannschaft zuzubereiten und war bei dieser Arbeit ebenso zufrieden, als wenn sie an den Instrumenten saß.

Mors warf einen Blick in den Raum, der als Küche diente.

Dort stand Nelly am Herd und Mors konnte sich nicht verhehlen, daß sie bildschön war.

In einer gewissen Beziehung war ihm das nicht lieb, denn ein schönes Mädchen ist auf einem Fahrzeug, welches eine Reise in unbekannte Welten unternimmt, immerhin eine gewisse Gefahr.

Hätte Mors noch seine Mannschaft besessen, die er damals bei Ned Gullys Angriff verlor, so hätte er sich nicht die geringsten Sorgen gemacht, denn diese Männer waren ja unbedingt zuverlässig gewesen.

Aber er hatte ja schon mit einem Teil der Normannen früher Unannehmlichkeiten gehabt und alle diese Gedanken kamen ihm durch den Sinn, als er die schmiegsame Gestalt seiner reizenden Begleiterin betrachtete.

Er besann sich einen Augenblick und trat dann in diesen blitzsauberen Raum, wo Elektrizität die Dienste des Feuers verrichtete.

Nelly hörte den Schritt des Luftpiraten und wendete sich schnell um. Ihr schönes Gesicht wurde rot, als sie den stolzen Mann mit der Maske gewahrte.

Es ging ja ein eigentümlicher Zauber von Kapitän Mors aus, ein Zauber, dem alle Frauen- und Mädchenherzen erlagen.

Auch Nelly konnte sich diesem merkwürdigen Zauber nicht entziehen.

Ein bitteres Lächeln schwebte um den Mund des Luftpiraten, als er in den dunklen Augen des Mädchens die Verwirrung las.

Mors dachte an die Zeiten, wo auch er glücklich gewesen war. Er erinnerte sich an jene furchtbaren Tage, wo er alles verlor, was er lieb hatte, wo die Verzweiflung, der Grimm gegen die Menschheit, ihn zum Luftpiraten machte, wo er seine furchtbare Waffe, das lenkbare Luftschiff erbaute.

Aber das ging rasch vorüber.

„Nelly,“ sprach der Mann mit der Maske. „Ich habe Euch etwas zu sagen. Ich fahre diesmal mit einer Mannschaft, die ich noch nicht ganz genau kenne, die beiden Normannen sind freilich treu und zuverlässig, aber die Inder habe ich, obwohl sie mir den Treueid geschworen, doch noch nicht so prüfen können, wie meine Veteranen. Nun hört. Sollte jemand Euch in irgend einer Weise unbescheiden nahen, dann kommt Ihr sofort zu mir und teilt mir alles mit. Laßt Euch nicht durch Scheu oder durch Rücksicht anderen Sinnes machen. Sagt es mir ganz offen, wenn Euch jemand irgendwie belästigt oder beleidigt. Das ist nötig, schon um die Autorität aufrecht zu erhalten. Ich erwarte, daß Ihr mir in diesem Falle sofort Meldung erstattet.“

Nelly versprach das und schien über das ihr bezeigte Vertrauen ganz glücklich zu sein. Der stolze Mann aber verließ den Raum und schritt weiter, durch die Gänge und Räume des Weltenfahrzeugs, welches mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit durch die Unendlichkeit dahinflog.

2. Kapitel.
Unbekannte Verfolger.

Seit dem Beginn der Weltenfahrt waren Wochen verstrichen.

Die Erde erschien schon längst als ein Stern, der sich nur durch etwas helleren Glanz von den übrigen Himmelskörpern unterschied.

Dagegen hatte man sich dem Ziel, welchem man zustrebte, um ein Bedeutendes genähert.

Schon konnte man mit bloßem Auge die Gestalt des Saturn und selbst mit dem kleinsten Fernrohr das Ringsystem dieses merkwürdigsten aller Weltenkörper betrachten.

Professor von Halen befand sich in fieberhafter Aufregung und gönnte sich kaum die nötigste Ruhe.

Er schrieb seine Beobachtungen nieder und versicherte oftmals mit leuchtenden Augen, daß die Welt über alle diese Entdeckungen staunen würde.

Aber dasjenige, was ihm am meisten am Herzen lag, das Geheimnis des Saturnringes, hatte der Professor noch immer nicht enträtseln können.

Es schien, als wollte der Planet mit seinem Ring der menschlichen Wissenschaft spotten.

Der Professor richtete die stärksten Instrumente auf den Planeten und glaubte mehrmals seine Vermutung bestätigt zu sehen. Aber bestimmt ließ es sich noch nicht sagen, daß der Ring aus lauter kleinen rotierenden Weltenkörperchen bestand. Man mußte noch näher herankommen.

Terror versah seinen Dienst mit Eifer und Hingebung. Er wurde dabei zuweilen von einem der als treu befundenen Normannen abgelöst, aber es war auch nicht selten, daß sich Kapitän Mors halbe Tage lang im Maschinenraum aufhielt.

Die Geschwindigkeit, mit welcher das Weltenfahrzeug durch den unendlichen Raum schoß, war geradezu unheimlich. Es mochte an Schnelligkeit sogar diejenige der Meteore und Sternschnuppen übertreffen.

„Würde uns Luft umgeben, so würde der Panzer unseres Fahrzeuges durch die furchtbare Reibung zu glühen anfangen,“ sprach Professor von Halen öfters. „Aber hier fehlt ja die Luft. Hier herrscht nur die tödliche Kälte des Weltenraumes.“

Von dieser furchtbaren Kälte aber verspürten die Insassen des merkwürdigen Fahrzeuges nicht das geringste. Dagegen schützten die doppelten Wände, in denen sich Behälter mit flüssiger Luft befanden. Drinnen im Weltenfahrzeug war es warm und behaglich, die Elektrizität spendete die Wärme, die man brauchte.

Diese Kraft bereitete die Speisen, sie trieb Maschinen und setzte Signale in Bewegung, sie speiste auch den riesenhaften Scheinwerfer, der von Zeit zu Zeit in den Weltenraum hinausleuchtete.

Nelly war ebenso tätig wie alle anderen und schien sich unentbehrlich machen zu wollen. Sie hoffte, daß Kapitän Mors sie auch bei fernern Weltenfahrten mitnehmen würde, denn sie sehnte sich nach Abenteuern.

Der phantastische Sinn von Ned Gullys Schwester liebte das Ungewöhnliche und Ungeheuerliche.

So waren die Wochen vergangen, als plötzlich ein Signal aus dem Lenkraum erschallte.

Mors, der sich gerade bei Professor von Halen befand, sah rasch auf die kleinen bunten Fahnen, die aus bemaltem Blech bestanden.

Diese Fahnen besaßen verschiedene Farben. Sie waren blau, grün, gelb, weiß.

Alle diese Farben hatten ihre besondere Bestimmung, aber Gefahr verkündeten nur zwei solcher Blechfahnen, von denen die eine rot, die andere schwarz war.

Bemerkte man irgend etwas Ungewöhnliches, was Gefahr verkündete, so richtete sich das rote Fähnchen empor. War die Gefahr aber schon ganz nahe und unvermutet aufgetaucht, so zeigte sich die schwarze Flagge.

Mors sah, daß dort, wo der Apparat arbeitete, das rote Fähnchen aufrecht stand und eilte hastig nach dem Lenkraum. Der Professor folgte ihm auf dem Fuße.

Terror befand sich bei seinen Maschinen. Er putzte, reinigte und ölte sie immer eigenhändig, sodaß er die geringste Unregelmäßigkeit sofort bemerkte.

Mors bemerkte sogleich, daß der Schieber von einem der Beobachtungsfenster entfernt war.

„Hast Du was Besonderes bemerkt, Terror?“ fragte er seinen getreuen Begleiter.

„Gesehen habe ich was, Kapitän, aber ich kann nicht recht daraus klug werden, es scheint irgend was hinter uns herzukommen und zwar sind es wohl mehrere Dinger. Eins weiß ich aber sicher, es hat von Zeit zu Zeit rötlich aufgeleuchtet und beim Schein war es mir, als ob kugelförmige Gegenstände hinter uns hergeflogen kämen. Deshalb gab ich das Warnungszeichen.“

Van Halen hatte schon bei den ersten Worten Terrors einen Beobachtungsapparat herbeigeholt.

Er stellte ihn so auf, daß er durch die Fenster des Achterteils am Magneten vorüber in den Weltenraum blicken konnte.

Draußen bot sich das gewöhnliche Bild.

Man sah den rabenschwarzen Himmel mit seinen funkelnden Sternen, mitten unter diesen die Sonne, welche den Riesenleib des Weltenfahrzeugs grell beleuchtete.

Das war merkwürdig, aber erklärlich, denn bei solchen Fahrten herrschte immer Tag und Nacht zugleich.

Die Sonne konnte nie verschwinden. Andererseits aber sah man unablässig die Sterne, weil ja die Luft fehlte. Auch erschien die Sonne nicht als Strahlenkugel, wie auf der Erde, sondern als gelbrote Scheibe, die freilich ein ungemein grelles Licht ausstrahlte.

Van Halen war an solche Beleuchtungen schon gewöhnt und so richtete er langsam das Beobachtungsinstrument nach der Richtung, wo Terror die sonderbaren Dinge erblickt haben wollte. Auch Mors schaute hinaus.

„Ich glaube, es zu haben,“ sprach er plötzlich und zwar im selben Moment, als der Professor eine Bewegung mit der Hand machte.

„Ich sehe es auch,“ rief der Gelehrte. „Ja, ja, Terror hat recht. Die Dinger kommen hinter uns her und leuchten von Zeit zu Zeit rot auf, um dann wieder zu verschwinden. Sie erscheinen aber nur kugelförmig, weil wir sie von vorn sehen. Ich glaube doch, daß sie in Wirklichkeit eine etwas längliche Form besitzen.“

Nun kam die Frage, ob man unbekannte Weltkörper vor sich hatte, die den ewigen Naturgesetzen gehorchend, eine bestimmte Bahn verfolgen.

Das konnte man sehr leicht feststellen, denn man brauchte ja nur den Kurs des Fahrzeuges zu ändern. Waren die unbekannten Dinger, von deren Größe man sich noch keine Vorstellung machen konnte, Weltenkörper, so mußten sie eben die Bahn, die hinter dem „Meteor“ herzuführen schien, inne halten und bald aus dem Gesichtskreis verschwinden.

Der Riesenmagnet wendete sich und das merkwürdige Fahrzeug gehorchte wie ein Schiff dem Steuer.

Seine Geschwindigkeit mäßigte sich nicht im geringsten, aber es schoß jetzt in einer anderen Richtung davon, die mit der bisher innegehaltenen einen spitzen Winkel bildete.

Nun vergingen zwei Stunden, ohne daß im Lenkraum ein Wort gesprochen wurde.

Der Luftpirat hatte sich ein Beobachtungsinstrument herbeigeholt und den Schieber geöffnet, der das zweite Ausgucksfenster verdeckte.

Er saß rechts, der Professor links und nun beobachteten die beiden Männer mit Aufmerksamkeit die befremdlichen Erscheinungen.

Die dritte Stunde war beinahe zu Ende.

Da erhob sich Mors von seinem Sitz und sprach mit eisiger Ruhe:

„Professor, es sind keine Weltkörper, die merkwürdigen Erscheinungen haben ihren Kurs geändert und kommen wieder hinter uns her.“

„Eben wollte ich das gleiche sagen,“ erwiderte van Halen, indem er sich umblickte. „Es ist kein Zweifel übrig, wir werden verfolgt.“

Mors ging mehrere Male im Lenkraum hin und her.

„Was halten Sie davon, Kapitän?“ sprach der Professor, als der Luftpirat endlich stehen blieb.

„Ich weiß es wirklich nicht,“ lautete die Antwort. „Das, was ich gesehen habe, läßt sich mit meinen früheren Beobachtungen im Weltenraum absolut nicht in Vereinbarung bringen. Wir haben Weltenfahrzeuge vom Mars und von der Venus gesehen, diese Erscheinungen aber sind gänzlich verschieden. Im übrigen zweifle ich nicht daran, daß wir das Werk irgend einer Intelligenz vor uns haben, die uns verfolgt und es ist möglich, daß es so fürchterliche Gegner sind, daß sie uns vernichten können. Eins aber habe ich entdeckt, die Schnelligkeit, mit der sie sich bewegen, ist nicht viel größer als die unsere und noch habe ich unsere Schnelligkeit nicht aufs Höchste gesteigert. Wir können, wenn wir wollen, noch rascher fahren, ja vielleicht schneller als unsere geheimnisvollen Verfolger und ihnen auf diese Weise entkommen.“

Der Professor nickte zustimmend.

„Da wenden wir einfach unseren Magneten nach dem Saturn zu,“ fuhr Mors fort. „Das wird die Geschwindigkeit bedeutend steigern.“

„Allerdings,“ erwiderte der Professor. „Aber es ist ein zweischneidiges Schwert. Wir können bei dieser Gelegenheit sehr leicht in den Bannkreis des Planeten Jupiter geraten. Da steht der Riese.“

Van Halen deutete durch das Fenster hinaus auf eine kleine, glänzende Scheibe, neben der man vier helle, leuchtende Punkte gewahrte.

Ja, das war der größte aller Planeten, der Jupiter, der die Erde im Volumen an Größe um das fast Dreizehnhundertfache übertrifft.

Der Riese, der, wie der Professor meint, schon öfter Weltenkörper abgefangen hatte.

Kam der „Meteor“ in den Bannkreis dieses Kolosses, so konnte er mit rasender Geschwindigkeit angezogen und für immer festgehalten werden.

Aber vielleicht war es doch noch besser, mit solcher Gefahr zu rechnen, als sich auf ein Zusammentreffen mit den rätselhaften Verfolgern einzulassen.

Es waren sicherlich Fahrzeuge, die von intelligenten Wesen erbaut worden waren. Als der Professor ihre Größe berechnete, fand er, daß sie wohl fünfzigmal größer als das Weltenfahrzeug sein müßten.

Es wäre Tollkühnheit gewesen, sich diesen Giganten entgegen zu stellen. Mors entschloß sich deshalb, die größte Geschwindigkeit anzuwenden.

Wieder wurde der Riesenmagnet gedreht und zum geheimen Bedauern des Professors auf den Saturn gerichtet.

Das Weltenfahrzeug verfolgte jetzt einen Kurs, der mit dem bisherigen einen rechten Winkel bildete.

Der letzte Zweifel schwand schnell als man sah, wie die Verfolger, fünf an der Zahl, ihren Lauf auch änderten und hinter dem Fahrzeug des Luftpiraten herjagten.

Am unheimlichsten erschien das zeitweilige Aufglühen der Verfolger, denn es sah so aus, als ob sie in Glut getaucht wären.

Niemand konnte sagen, was es bedeutete, nur der Professor meinte, daß sich die Verfolger wohl zu einem Angriff bereit machten.

Ueber ihre eigentliche Form, die Gestaltung und alles andere konnte man sich vorerst keine genauere Kenntnis verschaffen.

Merkwürdigerweise erschien es auch so, als ob sie das Sonnenlicht gar nicht reflektierten, sondern sich eher an das geheimnisvolle Dunkel des Weltenraums anpaßten.

Noch immer schienen sie näher zu kommen, ihre ganze Erscheinung hatte etwas Grausiges, Entsetzliches.

Mors war fest davon überzeugt, daß er mitsamt seinem Weltenfahrzeug und dessen Insassen verloren war, wenn ihn diese unheimlichen Verfolger erreichten.

Doch nun hatte sich der Riesenmagnet gewendet und in kurzer Zeit machte sich eine vermehrte Schnelligkeit des Weltenfahrzeuges bemerkbar.

Nachdem zwei Stunden vergangen waren, rief der Professor: „Sie bleiben zurück, Kapitän, sie werden immer kleiner und kleiner.“

„Das bewirkt unsere unheimliche Schnelligkeit,“ entgegnete Mors. „Es war das einzige Mittel, um uns diesen unheimlichen und ganz unbekannten Gegnern zu entziehen. Wenn wir so weiter fahren, werden wir sie allmählich aus den Augen verlieren.“

So schnell ging es aber doch nicht, denn die rätselhaften Erscheinungen waren noch nach vielen Stunden sichtbar.

Von Zeit zu Zeit zeigte sich auch noch das merkwürdige rötliche Aufleuchten, aber auch dieses nahm allmählich ab und zuletzt erschienen die Verfolger nur noch wie unheimliche, glühende rote Punkte.

Mors gab jetzt den Befehl, die Richtung nochmals zu verändern, denn er meinte, daß die seltsamen Verfolger nun die Jagd aufgeben würden.

Terror drehte die Kurbeln und ließ die Maschinen arbeiten, er versuchte es zwei- und dreimal, aber vergeblich.

„Kapitän,“ rief er. „Das Fahrzeug gehorcht ja nicht mehr.“

„Ich fürchtete das,“ erwiderte Mors. „Aber, unter den Umständen blieb uns nichts anderes übrig. Wir müssen auf unser gutes Glück vertrauen. Jetzt sind wir in den Bannkreis des Planeten Jupiter geraten.“

3. Kapitel.
Die rote Wolke.

Wieder war ein Tag vergangen.

Die merkwürdigen Verfolger des Weltenfahrzeugs waren verschwunden und irgend wo in den unendlichen Raum des Weltalls untergetaucht.

Möglicherweise hatten jene intelligenten Wesen, welche diese rätselhaften Fahrzeuge leiteten, eingesehen, daß sie das Weltenfahrzeug nicht einholen konnten. Möglicherweise aber waren sie nur der gefahrdrohenden Anziehungskraft des Jupiter aus dem Wege gegangen.

Mors hatte übrigens verschiedenes getan, um dem Bannkreis zu entkommen, aber als er merkte, daß dies keinen Zweck hatte, ließ er die Dinge ihren Lauf gehen.

Er vertraute seinem Glücksstern, er meinte, es würde ihm schon gelingen, wieder von dem Riesenplaneten hinwegzukommen.

Nun schoß sein Fahrzeug mit großer Geschwindigkeit nach dem Planeten Jupiter hinüber.

Es war überraschend, mit welcher Schnelligkeit sich derselbe vergrößerte. Ein Beweis, daß er eine ungeheure Anziehungskraft ausübte.

Schon verschwand die leuchtende Sonne neben der ungeheuren strahlenden Scheibe, die schließlich den größten Teil des Firmaments einnehmen mußte.

Die Mannschaften des Weltenfahrzeuges betrachteten natürlich diese sich fast mit jeder Stunde vergrößernde Scheibe des Riesenplaneten mit gemischten Gefühlen.

Die einzigen, welche kaltblütig darüber dachten, waren die beiden Normannen, die ja schon mehrere Weltenfahrten mitgemacht hatten, dagegen verrieten die neuangeworbenen Inder trotz ihres sonstigen Mutes und ihrer Entschlossenheit jene abergläubische Scheu, die sich beim Anblick von etwas Fremdartigem nie ganz verbergen ließ.

Die Leute sahen alle auf Mors, aber als sie bemerkten, daß dieser ganz ruhig blieb, schienen auch sie ruhiger zu werden.

Vielleicht ergaben sie sich mit jenem Fatalismus, der den Orientalen eigen ist, in das Unvermeidliche. Aber sie meinten wohl im Geheimen, daß ihre Laufbahn hier ein Ende nehmen würde.

An Mors wagte sich niemand heran, denn vor diesem Manne empfanden die Leute bei aller Verehrung immerhin Scheu.

Deshalb gingen sie zu Terror, der freilich auch nicht viel gesprächiger als der Kapitän war.

Die neuangeworbenen Inder hatten einen der ihren zum Wortführer erwählt und dieser Mann wendete sich an Terror mit der Frage, wohin die Reise eigentlich ginge.

„Na, Ihr seht es ja, zu diesem Planeten dort,“ erwiderte Terror etwas knurrig. „Bei solchen Reisen, wie wir sie unternehmen, müssen wir immer auf Abenteuer rechnen. Der Kapitän hat übrigens gesagt, daß die Sache nicht viel zu bedeuten hat, und daß auf diesem riesigen Weltkörper dort sicherlich Luft und Wasser existiert. Na und wenn wir da auch ein Weilchen bleiben müssen, das schadet nichts. Der Kapitän hat schon ganz andere Dinge vollführt, der wird auch von da wieder loskommen.“

„Und wenn wir nicht wieder loskommen?“ fragte der Inder.

„Dann bleiben wir eben dort,“ erwiderte Terror. „Ich bin ganz zufrieden damit, wenn ich nur bei meinem Kapitän bin, alles andere ist mir gleichgiltig.“

Der Inder hatte aber noch eine wichtige Frage auf dem Herzen.

„Werden wir unseren Gott Brahma dort vorfinden?“ fragte er feierlich. „Wenn uns der Tod bevorsteht, so wollen wir wenigstens in das Paradies Brahmas gelangen.“

Terror aber war kein Freund von den Heldengöttern, besonders nicht von Brahma, da derselbe, wie er einmal gehört, mehrere Köpfe und eine ganze Anzahl Arme besitzen sollte.

„Ja, das weiß ich wirklich nicht,“ erwiderte er. „Wenn Ihr hinkommt, könnt Ihr Euch ja mal nach ihm umsehen. Vielleicht findet Ihr ihn. Im übrigen laßt mich nun mal in Ruhe, denn ich habe mich um meine Instrumente zu bekümmern. Die Maschinen müssen tadellos funktionieren, wenn es nötig wird. Mit Eurem Brahma hat es noch Zeit, bis wir ankommen. Vorläufig braucht Ihr ihn ja noch nicht, denn Ihr seid ja noch alle am Leben.“

Der Inder schnitt ein verdrießliches Gesicht, denn es gefiel ihm ganz und gar nicht, daß sich Terror in solcher Weise über ihre Gottheit äußerte.

Terror wendete ihnen einfach den Rücken zu und ließ die Inder mit ihrem Brahma machen, was sie wollten.

Die Leute kehrten also wieder an ihre Beschäftigung zurück, aber sie befanden sich offenbar in einiger Erregung.

Man hörte sie öfter flüsternd sprechen und Bemerkungen über das Kommende austauschen. Einige meinten auch, Terror müsse, da er so unehrerbietig über Brahma gesprochen, zur Strafe in die Hölle geschleudert werden.

Der Ingenieur aber kümmerte sich nicht mehr um das indische Paradies, sondern setzte alle seine Maschinen instand, damit sie im Notfalle ihre ebenso furchtbaren als nützlichen Dienste leisten konnten.

Näher kam man dem Riesenplaneten und schon sah man mit bloßen Augen ein höchst merkwürdiges Gebilde.

Dieses war schon vor ungefähr vierzig Jahren auf der Erde entdeckt worden und hatte zu den seltsamsten Vermutungen Anlaß gegeben.

Man bezeichnete es als die rote Wolke. Es war dies ein eiförmiger Fleck, der in der dichten Atmosphäre des Jupiter zu schweben schien.

Einige Astronomen glaubten, es sei eine besonders starke Wolkenbildung, die durch irgend einen Umstand die dunkelrote Färbung zeigte.

Andere Beobachter aber glaubten an fürchterliche Vulkanausbrüche dieses Planeten, der sich noch im Urzustand befinden mußte. Die gleiche Meinung hatte auch der Professor.

Beim Näherkommen gewahrte man übrigens, daß man von der Oberfläche des Planeten so gut wie gar nichts sehen konnte.

Das, was man erblickte, waren alles Wolken, welche den Riesenkörper umhüllten, Wolken, welche die Sonnenstrahlen aufleuchtend grell reflektierten.

Der Professor meinte, es würde schon noch anders kommen und war überzeugt, daß man über kurz oder lang einen Blick auf die Oberfläche des Planeten werfen könne.

Der Gelehrte vergaß jede Gefahr und war nur darauf gespannt, die Rätsel des ungeheuren Weltkörpers enthüllt zu sehen.

Er gönnte sich keine Ruhe, vergaß Speise und Trank, und es kam oft genug vor, daß er bei seinen Fernröhren und Instrumenten, von der Müdigkeit überwältigt, die Augen schloß.

Die rote Wolke verschwand übrigens bald, was nicht verwunderlich war, da sich ja der riesige Planet in noch nicht zehn Stunden um seine eigene Achse dreht.

Diese furchtbare Geschwindigkeit mußte es auch bewirken, daß der Koloß an den Polenden stark abgeplattet erschien. Alles aber, was man sah, verriet eine ungemein dichte, im übrigen aber der Erde sehr ähnliche Atmosphäre.

„Luft werden wir genug haben,“ sprach der Professor zu Nelly, als sie ihm wieder einmal mit sanfter Gewalt einige Nahrungsmittel aufnötigte. „Ich glaube sogar, unsere Lungen werden ordentlich Mühe haben, in dieser starken Luftmasse zu atmen. Aber der Mensch gewöhnt sich eben an alles. Wasser ist dort auch zu finden. Es sollte mich übrigens nicht wundern, wenn wir durch die ungeheure Anziehungskraft gezwungen würden, bis zu unserem Ende Bewohner des Jupiters zu bleiben.“

Nelly zuckte mit den runden Schultern und ihre Augen glänzten. Solch Abenteuer war recht nach dem Geschmack der phantastisch veranlagten Schönen.

Die Normannen ergaben sich mit Gleichmut in alles, was ihnen bevorstand. Die Inder dagegen saßen oft zusammen und meinten, wie schrecklich es sein müsse, wenn ihr Gott Brahma nicht auf dem Planeten hauste, denn dann wäre ihnen ja das Paradies für ewig verloren.

Unter einem Teil dieser Leute machte sich bereits Unzufriedenheit bemerkbar, aber da die anderen treu zu Mors hielten, so verbargen die Unzufriedenen ihre Empfindungen auf das Sorgfältigste.

Nach zehn Stunden wurde die rote Wolke wieder sichtbar und da sah man schon mit bloßen Augen, daß sie eine ungeheure Ausdehnung besaß. Ihr Umfang war geradezu ungeheuer und es schien, daß dieser dunkelrote Fleck wohl den zwanzigsten Teil der den Weltenfahrern sichtbaren Jupiterscheibe bedeckte.

Ferner sah man andere ungeheure Wolkenmassen, vor allen Dingen aber jene Ringe, die der Jupiterscheibe ein so merkwürdiges Aussehen verleihen.

Zeitweise glaubte auch der Professor, einen Blick durch die dichte Atmosphäre tun zu können.

Es sah zuweilen so aus, als ob die Wolkenmassen zerrissen und Teile der Oberfläche des riesigen Planeten enthüllten.

Geschah dies, so war der Professor gleich mit seinen Instrumenten zur Hand, aber diese Perioden dauerten immer nur ganz kurze Zeit, sodaß van Halen nur wenige klare Beobachtungen machen konnte.

Mors erkundigte sich übrigens bei dem Gelehrten, was er bemerkt hatte, und der Professor gab bereitwilligst Auskunft.

„Man hatte auf unserer Erde angenommen, daß der Jupiter noch fast flüssig sein soll,“ sprach er, als er wieder einmal eine Beobachtung gemacht. „Aber nach reiflicher Ueberlegung bin ich überzeugt, daß dies nicht der Fall ist. Das, was ich durch das Fernrohr sehe, bestärkt meine Annahme. Der Koloß befindet sich in einem Zustande, den man auf Erden als die sogenannte Devon-Zeit bezeichnet hat, als die Zeit der Panzerfische, und der ersten Landpflanzen. Aber ich vermute auch, daß auf dem Jupiter noch ungeheuerliche vulkanische Ausbrüche stattfinden und zwar Ausbrüche, bei denen Wasser und Feuer zusammen in Aktion treten.“

„Und was schließen Sie daraus?“ fragte der Luftpirat.

„Nun, das eine, daß wir in eine sehr seltsame Welt kommen,“ lautete die Antwort, „in eine Welt, wo alle Augenblicke Katastrophen eintreten, Feuer- und Wasserausbrüche, schreckliche Erschütterungen des Festlandes, kurzum, ein wahres wildes Durcheinander, welches jeder menschlichen Beschreibung spottet.“

„Hauptsache ist, daß ich mein Fahrzeug fliegend erhalte,“ bemerkte Kapitän Mors. „Wenn mir das gelingt, so können wir vorerst der Wut der Elemente trotzen. Schlimmer wäre es freilich, wenn wir direkt durch die ungeheure Anziehungskraft an den Planeten gebannt würden, sodaß mein Weltenfahrzeug hilflos wird. Versagt der Magnet dann seine Dienste, so können wir nimmermehr nach der Erde zurückkehren.“

„Nun, wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen,“ erwiderte der Professor. „Bei solchen großartigen Naturereignissen kann der Mensch sein Wissen und seine Erfahrungen benutzen. Solche Naturereignisse können uns vielleicht sogar zur Rettung dienen.“

Bei den letzten Worten deutete der Gelehrte auf die geheimnisvolle rote Wolke, welche gerade in der Mitte des Planeten schwebte.

Mors zuckte die Achseln und begab sich in den Lenkraum.

Dort arbeitete Terror wie ein Verzweifelter.

Der Brave machte sich wenig aus dem Jupiter, denn als er hörte, wie es dort aussehen sollte, verstärkte sich die Abneigung gegen diese neue Welt.

„Was soll ich dort unter den Panzerfischen und Stachelpflanzen,“ brummte er. „Fische esse ich zwar ganz gern, aber ob die Biester dort zu essen sein werden, möchte ich mit Recht bezweifeln, und die Gemüse aus solchen Pflanzen würden uns zwischen den Zähnen stecken bleiben. Aber was hilft es, wenn wir dort bleiben müssen und unsere Vorräte allmählich zu Ende gehen, müssen wir doch mit dem Vorlieb nehmen, was sich dort befindet. In der Not frißt der Teufel Fliegen.“

Terror ließ den Magneten nach allen Richtungen spielen, aber es war umsonst. Die Anziehungskraft des Giganten spottete seinen Bemühungen.

Sein einziger Trost war nur der, daß die Schnelligkeit, mit der das Weltenfahrzeug dahin sauste, einigermaßen gemildert werden konnte.

Immerhin war mit einem Aufsturz des Fahrzeuges auf den Jupiter zu rechnen.

Geschah dies, so mußte das Fahrzeug in Trümmer gehen und alles menschliche Leben darin vernichtet werden.

Aber das ließ sich nicht ändern und es kam sicherlich die Stunde, wo alle menschlichen Machtmittel versagten.

Immer größer wurde der Planet, dem man mit zunehmender Schnelligkeit näher kam. Allmählich breitete sich die kolossale Scheibe über das ganze Firmament aus.

War es Tag, so blendeten die leuchtenden Wolken derartig, daß man Schutzbrillen tragen mußte. Stand die Sonne aber hinter dem ungeheuren Planeten, so wurde es dennoch nicht dunkel, denn die Atmosphäre des Jupiter schien ein eigenes Licht zu besitzen.

Dies war freilich schwach im Vergleich zu dem reflektierten Sonnenlicht, wenn der Planet ganz beleuchtet wurde, war der Glanz derselben kaum zu ertragen.

Der Magnet wurde auf die Scheibe des Jupiter gerichtet, um so die Anziehungskraft nach Möglichkeit abzuschwächen. Mehr konnte man nicht tun. Das Weitere war dem Walten des Schicksals überlassen.

Der Professor berechnete kaltblütig die Zeit, in welcher der Aufsturz stattfinden würde.

Erst waren es noch Tage, nun wurden es nur noch Stunden.

Man hörte van Halen, der jetzt nicht mehr von seinen Instrumenten ging, zuweilen halblaute Worte vor sich hinmurmeln.

„Vier Stunden vierzig Minuten, vier Stunden dreißig Minuten. Vier Stunden zwanzig Minuten, jetzt nur noch vier Stunden!“

Die Inder machten sich auf ein furchtbares Ende gefaßt.

Da sie sehr religiös waren, so empfahlen sie ihre unsterbliche Seele Brahma, der mächtigen, indischen Gottheit.

Die beiden Normannen dagegen machten sich wenig aus dem, was nach ihrem Ende wurde. Van Halen und Terror, sowie Mors hatten nur Sinn für ihre Instrumente und Maschinen.

Mors blieb so ruhig und gelassen, als wenn er sich auf Erden auf seiner geheimnisvollen Insel befände. Er, Terror und van Halen bewunderten im Stillen Nelly, die eine unglaubliche Entschlossenheit zeigte und keine Furcht zu kennen schien.

Sie besorgte die Mahlzeiten wie gewöhnlich und redete den ziemlich niedergeschlagenen Indern zu, daß sie Speise und Trank zu sich nehmen sollten.

Wieder neigte sich der Professor auf seine Instrumente.

„Noch dreißig Minuten,“ sprach er. „Dann haben wir den Planeten erreicht. In einer halben Stunde muß sich unser Schicksal entscheiden.“

4. Kapitel.
Wunderbare Abenteuer.

Die dreißig Minuten schienen eine Ewigkeit zu werden.

Bald sah man nichts mehr, denn das Weltenfahrzeug befand sich zwischen den ungeheuren Wolkenmassen, die den Jupiter verhüllten.

Mors warf noch einen letzten Blick durch die Gucklöcher, welche durch starke Gläser verschlossen wurden.

Er sah nichts als eine wirbelnde Masse, graue, weiße, braune Wolken, zuweilen auch ein rötliches Aufleuchten.

Jedenfalls befand sich die Atmosphäre des Riesenplaneten in ungeheurer Erregung.

Was da aber vorging, konnte kein Sterblicher sagen.

Die letzten Minuten vergingen.

„Jetzt kommt der Luftprall,“ sprach der Professor zu Mors, der mit der Uhr in der Hand die kommenden Dinge erwartete.

Nelly war auch da und sah mit ihren feurigen Augen auf den Luftpiraten.

Wenn es zum Sterben kam, wollte sie wenigstens in seiner Nähe den Tod erleiden.

Jeden Augenblick erwartete man die Katastrophe.

Der Luftpirat war darauf gefaßt, daß das Fahrzeug in Stücke zerschellen würde.

Mit einem Male verspürte man eine seltsame Berührung.

Es war, als hätte das Fahrzeug etwas Weiches, Widerstandsfähiges berührt und dann vernahm man deutlich, wie etwas gegen die gepanzerten Wände schlug.

Der Professor sprang empor.

„Wir sind angelangt,“ rief er. „Aber wir sind nicht auf festem Boden, sondern auf Wasser angekommen. Kein Zweifel, der „Meteor“ ist mit großer Geschwindigkeit in eine ungeheure Wasseransammlung hineingetaucht.“

Das Meer oder der See oder was es nun sein mochte, mußte sehr tief sein.

Plötzlich richtete sich das Fahrzeug, welches bis dahin eine schräge Lage gezeigt, wieder auf und schoß so schnell empor, daß Nelly und der Professor sich festklammern mußten.

Es schoß direkt aufwärts, aber nun verlangsamte sich die Bewegung nach vorwärts, dafür aber geschah etwas anderes, was nicht minder merkwürdig war.

Das Weltenfahrzeug geriet nämlich in schaukelnde Bewegungen, es war gerade so, als ob irgend etwas Geheimnisvolles, Starkes mit dem „Meteor“ spielte.

„Was ist das?“ rief Nelly, die sich tapfer festgehalten.

„Wir schwimmen,“ sprach Mors, „wir sind wieder aufgetaucht und da der „Meteor“ trotz seines ungeheuren Gewichtes, dank seiner Innenräume und der Behälter mit flüssiger Luft, leichter ist als Wasser, so schwimmen wir höchstwahrscheinlich auf der Oberfläche eines Jupiter-Gewässers.“

„Da mag es aber toll hergehen,“ meinte Terror, der eben an der Tür erschien. „Ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht ein fürchterlicher Sturm diesen Jupiter-See von Grund auf aufwühlt. Wir werden ja hin- und hergeschleudert, als ob unser Koloß eine Seifenblase ist.“

Mors sah wieder durch die kleinen Gucklöcher.

In wenigen Augenblicken überzeugte er sich, daß Terror Recht hatte.

Der „Meteor“ schwamm auf einer empörten See, die durch einen fürchterlichen Sturm aufgewühlt wurde.

Da sah man Wellen, gegen die die der irdischen Gewässer harmlos erschienen, Riesenwellen, die das sonderbare Fahrzeug wie einen Spielball hin- und herwirbelten.

Terror und der Professor waren jetzt auch an die Gucklöcher getreten, ebenso Nelly, die mit glänzenden Augen das Naturschauspiel einer unbekannten Welt bewunderte.

Die Schwester Ned Gullys besaß scharfe Augen, und sie war es auch, welche zuerst etwas Ungewöhnliches bemerkte.

„Kapitän,“ rief sie plötzlich. „Da ist etwas Dunkles. Das ist Land!“

Wenige Augenblicke später erhielt das umhergeschleuderte Fahrzeug einen gewaltigen Stoß.

Es war aber sicherlich kein Felsen, gegen den es stieß, sondern eine Sandbank.

Man vernahm deutlich, wie das Fahrzeug sich auf der Sandbank hin- und herschob und wie es sich allmählich immer höher auf das Land hinaufwühlte.

Der Sand türmte sich zur Linken und Rechten empor und bildete allmählich einen Schutzwall. Die von dem Sturm gepeitschten Wogen schlugen noch zuweilen über das Achterteil des Weltenfahrzeuges, bis es zuletzt still und unbeweglich im weichen Triebsand ruhte. — — — — —

Es vergingen viele Stunden, ehe sich der Aufruhr der Elemente legte.

Der Sturm schien schon längst zu Ende gegangen zu sein, aber die Wellen gingen noch immer hoch. Man sah durch die Gucklöcher, wie die Wogenberge über die Oberfläche des unbekannten Meeres hinüberfegten.

Dann kam ja die Nacht, da ja bekanntlich der Tag auf dem Jupiter kaum zehn Stunden lang dauert.

Aber dunkel wurde es nicht, denn der Jupiter besaß ja vier Monde, die eine großartige Beleuchtung spendeten.

Bei diesem Schein sah man die noch immer außerordentlich unruhige Oberfläche der See, auch hörte man das Donnern einer entfernten Brandung.

Mors glaubte auch zuweilen durch die Gucklöcher Umrisse von Felsen und Hügeln sehen zu können, aber die Atmosphäre war sehr wenig durchsichtig.

So blieb denn vorläufig nichts weiter übrig, als daß man die Ruhestätte aufsuchte, aber Mors sorgte dafür, daß stets einige Wachen Ausguck hielten.

Als die Nacht zu Ende ging, gewahrte Mors, daß sich die Oberfläche des Jupitermeeres bedeutend beruhigt hatte.

Da drängte es ihn, hinauszugehen und die Luft dieser neuen, unbekannten Welt zu atmen.

Das war nicht unbedenklich, indessen hatte der Professor schon einige Beobachtungen gemacht und die feste Ueberzeugung ausgesprochen, daß die dicke Luft des Jupiter, wenn auch mit einigen Beschwerden, geatmet werden konnte.

Das Weltenfahrzeug lag ungefähr zur Hälfte in den Sand gebettet, aber die luftdicht schließenden Türen, welche nach außen führten, waren freigeblieben.

Mors öffnete die innere Tür und schloß sie wieder sorgfältig. Er wies jede Begleitung zurück, obwohl Nelly und van Halen ihn nicht verlassen wollten.

Hierauf öffnete der Kapitän vorsichtig die äußere Tür und versuchte, die Luft zu atmen.

Sie war dick, schwer, aber zu ertragen. Sie schien nur eine ungeheure Menge Kohlensäure zu enthalten. Dies verursachte die Empfindung eines leichten Rausches. Da aber der menschliche Organismus sehr anpassungsfähig ist, meinte Mors, daß sich seine Mannschaft auch daran gewöhnen würde.

Jetzt stieg der Luftpirat langsam an der eisernen Treppe hinan, die zur oberen Plattform führte.

Er hatte ein merkwürdiges Empfinden, denn es war ihm zu Mute, als ob sein ganzer Körper aus Blei bestände.

Das war erklärlich, da der Planet Jupiter um soviel mal größer als die Erde war, mußte naturgemäß alles, was sich da befand, auch bedeutend schwerer wiegen.

Immerhin erwies sich dies nicht hinderlich, wenn man Bewegungen mit den Gliedern machte. Mors kam es so vor, als besäße er jetzt die Kraft, einen Felsen zertrümmern zu können.

Jetzt stand er auf der Plattform.

Zur Rechten lag das Meer, dessen Oberfläche noch immer in ziemlicher Bewegung war. Zur Linken aber sah man das Land, welches freilich ein höchst sonderbares Aussehen besaß.

An den Ufern des Meeres dehnte sich ein mächtiger Sandstrand aus, weiterhin stieg das Land empor. Da sah Kapitän Mors Felsen, Hügel und Klippen.

Die meisten aber besaßen eine höchst eigentümliche Form, denn sie waren kegelförmig und auf ihren Höhen befanden sich kreisrunde Öffnungen.

Ferner sah Mors merkwürdige Felsenringe, die fast riesigen Springbrunnenbecken glichen. Das Sonderbarste aber war, daß sie mit Wasser angefüllt waren, welches zuweilen aufbrodelte.

Mors sah sich um, ob er nicht irgendwo Pflanzenleben entdeckte. Es dauerte einige Zeit, ehe er dieses bemerkte, aber endlich gewahrte er solches zwischen den Hügeln.

Diese Flora war sehr spärlich, aber immerhin sah Mors hier und da üppige Pflanzen stehen.

Es waren eine Art Gräser, aber wie der Professor vorausgesagt, ungemein stachelig, alles schien von Dornen förmlich zu starren und das Ganze besaß direkt ein unheimliches Aussehen.

Als Mors in das Wasser blickte, gewahrte er, daß es recht klar und durchsichtig war.

Da unten war ein ganz anderes Leben und da sah Mors zunächst eine Menge Algen und Tang, er sah auch lebende Geschöpfe, die dort ihr Wesen trieben. Fischartige, anscheinend mit Knorpeln und Horn gepanzerte Ungetüme.

„Van Halen hat recht gehabt,“ murmelte der Luftpirat. „Das ist hier eine Epoche, die man auf Erden längst überwunden hat. Eine Zeit, die noch der Steinkohlenperiode voranging. Vor allen Dingen eine Welt, in der fürchterliche, vulkanische Erscheinungen zu den alltäglichen Ereignissen gehören. Aber es hilft nichts, wir müssen uns damit abfinden.“

Er erprobte noch einmal die Luft und ging dann hinunter, um seine Gefährten von seinen Beobachtungen zu benachrichtigen.

Mors forderte alle Insassen des Weltenfahrzeuges auf, nach der Plattform zu kommen und die fremdartige Umgebung zu betrachten.

Der Professor und Nelly waren natürlich die ersten, welche diesem Rufe folgten und sich nicht wenig über die bleierne Schwere in den Gliedern wunderten. Mißtrauischer benahm sich schon Terror, der bedächtig die neue Luft einsog und nach allen Richtungen umherschnüffelte.

Er brummte auch allerlei Bemerkungen in den Bart, die keine Schmeicheleien für die neue Welt sein mochten.

Dann kamen die Normannen, die ziemlich gleichgültig die fremdartige Umgebung betrachteten.

Die Inder waren die letzten, die sich auf die Plattform hinauswagten.

Mors beobachtete diese Leute aufmerksam, denn er hatte schon bemerkt, daß die Inder ein wenig verzagt schienen.

Der Luftpirat staunte aber, als die Bewohner der indischen Gebirgswelt, nachdem sie kaum ein paar Blicke auf die Umgebung geworfen, sichtliche Freude verrieten.

Ihre Augen begannen zu glänzen, sie deuteten bald hier hin, bald dorthin, und machten sich auf die sonderbaren Formen der Hügel und Felsen aufmerksam.

Mors trat zu den braunen Leuten.

„Nun, was sagt ihr zu dieser neuen Welt?“ forschte er, die Inder betrachtend.

„O Herr,“ erwiderte der eine, der das Wort führte, „dieses Land ist uns schon bekannt. Das haben wir schon früher gesehen.“

„Nicht möglich,“ erwiderte Mors mit flüchtigem Lächeln. „Ihr habt doch noch keine Reise nach dem Planeten Jupiter unternommen?“

„Wir haben dieses Land auf den Bildern in unseren Tempeln gesehen,“ lautete die Antwort. „Es ist das Land, in welchem unser Gott Brahma wohnt. Es ist seine Heimat und deshalb sind wir glücklich. Dort aber, jene wassergefüllten Ringe sind die Eingänge zur Hölle, in welche die grasgrünen Teufel alle die hinabziehen, welche nicht an Gott Brahma glauben.“

„Der Henker hole euch mit euren grasgrünen Teufeln und eurem Brahma,“ murmelte Terror, der sich hier ganz und gar nicht behaglich fühlte. „Ich wollte, wir schwebten fünfzigtausend Meilen von dieser vertrackten Welt, anstatt daß wir hier im Sande eines unbekannten Ozeans liegen. Der Teufel weiß, wann wir hier wieder loskommen. Meinethalben kann mir der ganze Jupiter gestohlen bleiben.“

5. Kapitel.
Im Bann des Aberglaubens.

Am glücklichsten war der Professor, denn der geriet vor Entzücken außer sich.

Mors mußte ihn festhalten, sonst wäre der Professor Hals über Kopf in den Sand hinuntergesprungen und in die fremdartige Landschaft hineingelaufen.

Das gab der Luftpirat aber nicht zu, denn er wollte sich erst überzeugen, ob nicht etwa Gefahren in diesem fremden Lande lauerten.

Allerdings hatte es zur irdischen Devonzeit keine Ungeheuer gegeben, die den Menschen gefährlich werden konnten. Aber auf dem Jupiter konnte sich das anders verhalten und Mors dachte nicht im mindesten daran, van Halen einer Gefahr auszusetzen.

Mors hatte den Professor, der mit solcher Begeisterung an ihm und seinen Werken hing, schon sehr lieb gewonnen und zählte ihn zu den vertrautesten seiner Gefährten. Auch dachte er daran, daß Anita verzweifeln würde, wenn der Professor nicht nach der Erde zurückkehrte.

Aber konnte man denn überhaupt zurück? Blieb denn nicht das Weltenfahrzeug für immer an diesen Planeten gebannt? Jetzt sah es so aus, als ob die tollkühnen Abenteurer ihr Leben auf dem Jupiter beschließen müßten.

Mors beobachtete mit dem Glas aufs sorgfältigste die Umgebung. Aber er sah nirgends ein verdächtig aussehendes Tier. Die Zeit für die Tiere am Lande war wohl noch nicht gekommen und in der See sah man nur Panzerfische und Trilobiten; ferner gewahrte man die sonderbarsten Meergewächse und wunderlich geformte Muscheln. Da war man um Millionen Jahre in den Zeiten zurückversetzt, denn dieser Planet befand sich erst im Werdezustande.

Als Mors die Umgebung genug betrachtet, bemerkte er, wie das Meer rasch zurückwich.

Naturgemäß mußten hier, wo vier riesige Monde existierten, Ebbe und Flut in ganz ungeahntem Maße auftreten.

Höchstwahrscheinlich war die Flut gewesen, als der „Meteor“ strandete, denn in kurzer Zeit war alles in der Runde trocken. Man sah nur noch in der Ferne eine weißblaue Linie, die den Rand des Jupiterozeans andeutete.

Mors faßte einen kurzen Entschluß.

Gerätschaften fanden sich ja in Menge in seinem Fahrzeug und so ließ der Luftpirat seine Inder und Normannen mit Schaufeln über die Treppe auf den Sand hinabsteigen.

Sie sollten den feuchten, weißen Sand so viel als möglich bei Seite schaufeln und das Fahrzeug auf diese Weise befreien.

Mors vermutete nämlich, daß nicht die ungeheure Masse des Planeten es sei, welche das Weltenfahrzeug herniedergezogen, sondern elektrisch-magnetische Ströme, die unter der noch dünnen Kruste des Jupiter ihr Wesen trieben.

Alle legten mit Hand an, selbst Nelly schaufelte unverdrossen und in vier Stunden war rund um den „Meteor“ herum eine Rinne gegraben.

Die Flut war noch immer nicht zurückgekehrt, aber sie mußte sicherlich nach einigen Stunden kommen.

Mors hieß jetzt alle seine Leute wieder auf den „Meteor“ hinaufsteigen und sich in das Innere des Fahrzeuges begeben. Dann wurde der Magnet, der bis dahin nach oben gerichtet war, möglichst gesenkt, sodaß er sich auf die Sandfläche richtete.

Im nächsten Augenblick erhielt das gewaltige Fahrzeug einen mächtigen Ruck. Man hörte den Sand knirschen und im nächsten Augenblick schnellte das Weltenfahrzeug in die Höhe.

Terror war ganz außer sich vor Freude, als er dies bemerkte, dagegen schienen die Inder eher traurig, als freudig bewegt zu sein.

Das Weltenfahrzeug schwebte einige hundert Meter empor, aber dann erhielt es wieder einen Ruck und neigte sich langsam nach unten.

„Jetzt weiß ich es, weshalb wir hier so gebannt bleiben,“ sprach Mors zu Terror und dem Professor. „Wir befinden uns wieder über der dünnen Kruste, welche die magnetischen und elektrischen Strömungen deckt. Dadurch werden wir hinabgezogen. Jetzt müssen wir vorsichtig manövrieren, daß wir wieder auf dem Sande landen. Auf den anderen Boden dürfen wir nicht hinunterkommen, denn dadurch würden wir der ungeheuren Anziehungskraft ausgesetzt bleiben. Der Sand schützt uns, denn der leitet keine Elektrizität. Also wollen wir uns wieder am Rande dieses seltsamen Meeres niederlassen.“

Das geschah denn auch und nach kaum einer halben Stunde lag der „Meteor“ auf einer Sanddüne, die sicherlich nicht von den Wogen bespült wurde.

Die Situation war klar.

Kam man mit dem Weltenfahrzeug über die sonderbaren Felsformationen des Planeten, so wurde der Riesenmagnet nutzlos. Man mußte also, um fliegen zu können, immer in der Nähe des Meeres bleiben.

Aber auch das genügte nicht, denn, als man nach einer Weile emporstieg, gelangte das Weltenfahrzeug höchstens fünfhundert Meter über die Oberfläche des Jupiter.

Dann schienen die geheimnisvollen Ausstrahlungen wieder zu wirken und trotz aller Anstrengungen mußte man wieder auf die Sanddüne hinunter.

Terror war über diese Ereignisse ziemlich niedergeschlagen und meinte, man könne den Planeten nimmer verlassen.

Aber Mors und der Professor waren anderer Meinung.

„Wir dürfen nie den Mut verlieren,“ sprach der erstere. „Es ist ja richtig, daß wir augenblicklich nicht hochsteigen können. Aber möglicherweise tritt doch ein Ereignis ein, welches uns die Abfahrt gestattet. Wir sind mit Vorräten versehen, wir können also warten.“

Mors hatte einen geschützten Platz gewählt, wo das Weltenfahrzeug zwischen zwei kolossalen Sanddünen ruhte.

Er vermutete nämlich, daß hier ungeheure Stürme tobten, Orkane von fürchterlicher Wut.

Dort, wo man sich befand, war das aber nicht zu befürchten, und so konnte man geschützt die Umgebung betrachten.

Der Professor und Mors verließen den „Meteor“ und erstiegen die nach dem Lande zugewendete Sanddüne. Von da aus betrachteten sie mit Fernrohren die Stachelpflanzen und die wunderbaren Erscheinungen am Himmelskörper.

Der kurze Tag, die kurze Nacht, die Phasenbildung der vier Monde und deren Erscheinen und Verschwinden war so großartig, daß man gar nicht wußte, was man alles bewundern sollte.

Dazu kamen fürchterliche elektrische Entladungen in den Wolkenmassen, die von Zeit zu Zeit das ganze Firmament bedeckten. Dann schien es, als ob sich eine ungeheure graue Masse über Land und Wasser herabsenkte.

Mors und seine Begleiter waren so in Erstaunen versunken, daß sie gar nicht auf die Mannschaft achteten.

Die Normannen nahmen alles mit Gleichmut hin und meinten, der Luftpirat, der so viel geleistet, würde das Fahrzeug schon wieder aus dieser fremden Welt hinwegführen. Auch einige Inder zeigten sich gleichmütig, aber die anderen standen immer zusammen, zischelten und flüsterten. Sie schwiegen aber, wenn jemand in ihrer Nähe vorüberging.

Von Zeit zu Zeit stiegen sie auch auf die Plattform und von dort auf die Düne, denn Mors hatte jedem seiner Leute freigestellt, die Umgebung des Weltenfahrzeugs in Augenschein zu nehmen.

Plötzlich bemerkte man dort, wo die merkwürdigen Felsen aufstiegen, etwas Sonderbares.

Aus einem der Kegel, die kleinen Kratern ähnlich sahen, stieg plötzlich eine mächtige Wassersäule wie ein riesiger Springbrunnen empor.

Gleichzeitig begannen die Gewässer in den nahe befindlichen großen Felsenringen zu schäumen und zu sprudeln.

Mors und dem Professor waren diese Erscheinungen nicht fremd.

Solche gab es auch auf der Erde, auf der Insel Island und in den Felsengebirgen Nordamerikas, man pflegte solche Wasservulkane mit dem Namen Geyser zu bezeichnen.

Hier schienen sie in wahrer Unzahl vorhanden zu sein und das ganze Land, so weit das Auge reichte, zu bedecken.

Diese Wasservulkane waren es wohl auch, welche im Ruhezustande den elektrischen und magnetischen Strömen einen Ausgang gewährten, so daß sie ihre verderbliche Anziehungskraft auf alles Metallene ausüben konnten.

Die Inder dagegen, die in ihrem ganzen Leben noch keinen Wasservulkan gesehen hatten, betrachteten diese Erscheinung mit ehrerbietigem Staunen.

Das hatte seine Gründe.

Auf indischen Bildern werden nämlich die Gottheiten sehr häufig auf den heiligen Bergen dargestellt und zwar auf einem Thronsessel, um den rings umher Wolken aus der Erde emporsteigen.

Diese Malereien aber erinnerten merkwürdigerweise an solche Geyser, weil der Dampf auf den indischen Bildern scheinbar stoßweise aus der Erde kam.

Da glaubten die Inder, abergläubisch wie sie nun einmal waren, daß sie sich jetzt in dem Lande befänden, von welchem ihnen ihre Priester so oft erzählten, nämlich im himmlischen Paradiese.

Hier wohnte Brahma, kein Zweifel, der Göttergeist lebte hier zwischen diesen wasserspeienden Kratern und dort, wo Wolken die Aussicht versperrten, mußte sich aller Wahrscheinlichkeit nach das Paradies befinden.

Alle Furcht war bei den Indern verschwunden, sie dachten jetzt gar nicht mehr daran, auf die Erde zurückzukehren.

Hat doch nach dem indischen Glauben der Gestorbene eine ungemein lange und mühselige, gefahrreiche Reise durchzumachen, ehe er in das Paradies gelangt. Wenn er irgendwie gesündigt hat, wird er nach dem Volksglauben der Inder verwandelt, als Katze, als Hund, als Schlange, dann muß er immer und immer wieder die mühselige Erdenwanderung von neuem beginnen.

Vielleicht fühlten sich diese Männer nicht ganz von Sünden frei, genug, sie dachten gar nicht daran, dies seltsame Land zu verlassen, sie wollten gleich hier bleiben und zu ihrem mächtigen Gott Brahma ins Paradies eingehen.

Nun gehörte einer von ihnen, der auch bis jetzt den Sprecher gemacht, und der, wie er oft betonte, von fürstlichem Blute abstammte, zur Priesterkaste der Brahmanen. Dieser Mann war es, der seine Gefährten in diesem Aberglauben bestärkte.

Er zweifelte gar nicht daran, daß man sich im Paradies befand und gab zuerst seine Absicht kund, hierzubleiben und die Seligkeit des Jenseits zu genießen.

„Brahma wird uns mit offenen Armen aufnehmen,“ sprach er zu den Indern, die ihm willig zuhörten. „Die Gottheit wohnt hinter diesen Felsen, denn es sind die heiligen Tempel, die den Göttersitz umgeben. Wir wollen ihnen nahen und dann sind uns die ewigen Freuden beschieden. Das Geschick hat uns hierhergeführt, wo Brahma auf uns wartet.“

Es waren freilich nur wenige der Männer, die so fanatisch veranlagt waren, daß sie alles, was der ehemalige Priester sagte, für volle Wahrheit nahmen. Die anderen mochten freilich noch einige Zweifel hegen.

Darum kümmerten sich aber diejenigen, welche an das Paradies glaubten, nicht im mindesten und waren fest entschlossen, die ewigen Freuden zu erringen.

Aber dazu gehörte noch eins. Man mußte dem mächtigen Gott Brahma ein Opfer bringen.

Der ehemalige Brahmanenpriester wußte auch hier Rat. Er kannte die ganzen alten Bücher und heiligen Schriften, nämlich die sogenannten Veden.

Da erzählte er den Männern, die seinen Worten wie einem Evangelium lauschten, folgendes:

„Es war einst ein Brahmane, der wurde durch einen Zufall mit einem Schiff auf das Meer geführt. Dort entstand eine ungeheure Windhose, die das Schiff in die Höhe riß und es nach langer, langer Fahrt nach dem Lande der Glückseligkeit brachte. Das ist dieses Land hier gewesen.“

Die Worte des Mannes verrieten freilich, daß er wenig von der Beschaffenheit eines Weltenfahrzeuges wußte, denn man hätte fragen können, wie diese Kunde von dem Ereignis auf die Erde gekommen war.

Aber danach fragten die Inder nicht, denn ihre alten Ueberlieferungen galten ihnen als etwas, an dem nicht gezweifelt werden durfte.

„Ja, sie gelangten nach jenem Lande,“ fuhr der Brahmane fort, „und als sie da ankamen, erkannten sie, daß sie sich im Reiche der Gottheit befinden mußten. Sie wollten Brahmas Paradies nahen, aber die Dampfwolken versperrten ihnen den Weg. Da gedachten sie einer alten Vorschrift unserer heiligen Bücher und sie opferten ein Weib, welches sich bei ihnen befand. Und so wie das Blut dieses Weibes den heiligen Boden tränkte, wichen die Dämpfe und die Männer gingen in das irdische Paradies, wo sie mit Jauchzen und Frohlocken empfangen wurden.“

Es waren noch vier Männer, die sich um den Brahmanen drängten und seinen Worten lauschten, Leute, die nach dem Paradies förmlich lechzten.

„Und das Opfer?“ fragten sie, als der Mann schwieg.

Der Brahmane deutete auf Nelly, die gerade ahnungslos nach der Plattform schritt.

„Ist es nicht wie damals?“ flüsterte er. „Sind wir nicht auch hierhergelangt und befindet sich nicht auch ein Weib unter uns? Laßt uns dies Mädchen opfern, denn Weiber sind nicht würdig, in Brahmas Paradies zu gelangen. Auch ist sie eine Ungläubige.“

„Was aber wird der Mann mit der Maske dazu sagen?“ fragte ein zweiter.

Der Brahmane schien schon ganz verzückt zu sein, seine Augen glänzten in unnatürlichem Feuer.

„Mag er sagen was er will,“ erwiderte er. „Wenn wir uns im Paradies befinden, denken wir nur an die ewige Glückseligkeit. Brahma aber wird alle diejenigen, die nicht seine Diener sind, aus seinem Reich ausschließen. Wir werden allein zum Antlitz der Gottheit gelangen.“

So kam es, daß sich die fünf Männer mit einander verbanden.

Ihren anderen Genossen trauten sie nicht recht, auch gehörten diese einer niederen Kaste an, während die Verschwörer alle aus der Priesterkaste oder doch aus der Kriegerkaste stammten.

Sie sprachen einen seltsamen Eid und zwar eine unheimlich klingende Formel. Wurde ein solcher Eid gebrochen, so verlor derjenige, welcher ihn brach, jedes Anrecht auf die himmlische Glückseligkeit.

Die fünf Männer flüsterten zusammen, aber ihr Plan war bereits gefaßt. Die Abergläubischen waren fest davon überzeugt, daß dort hinter den sonderbar gestalteten Felsen und Hügeln das indische Paradies lag.

Sie warteten nur auf den Augenblick, wo sie ihr Unternehmen ins Werk setzen konnten. Sie wollten an jenen glücklichen Ort gelangen und hatten insgeheim den Tod der ahnungslosen Nelly beschlossen.

6. Kapitel.
Der Geyser-Ausbruch.

Tag auf Tag ging vorüber, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete.

Am Horizont zeigten sich zuweilen die Wogen des rätselhaften Ozeans, dessen blaue Linie aber niemals bis zu den Sanddünen vorrückte.

Freilich war die erste Landungsstelle, wo das Weltenfahrzeug strandete, ziemlich weit entfernt und die mochte von Zeit zu Zeit vom Ozean überflutet werden.

Alles deutete darauf hin, daß die neue Welt hier erst in der Entwicklung begriffen war.

Es gab grauenvolle Stürme, die mit entsetzlicher Wut tobten. Stürme, die es begreiflich machten, daß hier kein höherer Pflanzenwuchs vorhanden war. Jeder Baum wäre durch diese fürchterlichen Orkane entwurzelt worden, aber die zähen, stachligen Graspflanzen beugten sich nur und schienen durch den Ansturm desto festeren Halt zu bekommen.

Die Fische und sonstigen Lebewesen im Meere wurden durch die Wut der Stürme gar nicht berührt, sondern tummelten sich lustig in der klaren Tiefe.

Die ungeheuren Sanddünen schützten das Weltenfahrzeug und wenn das Wetter ruhig war, konnte man zuweilen in einiger Entfernung die Ausbrüche der Geyser beobachten.

Am großartigsten sah es aus, wenn von den Felsen kochende Gewässer herabrieselten und wunderbar gefärbte Dämpfe in die Höhe stiegen. Dann glich die Landschaft in der Tat einem übernatürlichen Ort, auf dem zahllose Wunderfontänen emporsprudelten.

Die fünf Inder aber, welche sich mit einander verschworen hatten, waren mehr als je überzeugt, daß sie sich hier an der Schwelle des himmlischen Paradieses befanden, in dem sie sich durch das geplante Opfer Eintritt verschaffen konnten.

Sie warteten nur auf den Augenblick, wo sich Nelly allein aus der Umgebung des Weltenfahrzeugs entfernte. Dann wollten sie den Eingang in das vermeintliche Paradies erzwingen.

Man gewöhnte sich allgemach an die sonderbare Welt und es kam oft vor, daß die Insassen des Weltenfahrzeuges eine Strecke landeinwärts wanderten.

Mors warnte seine Leute, daß sie sich nur nicht in die Nähe der Geyser begaben, damit nicht etwa ein größerer Ausbruch Unheil anrichte.

Wenn es dunkel wurde, verschwanden die Wolken, dann leuchteten die Monde und die Sterne in schier überirdischem Glanze.

Der Professor meinte sogar, der Anblick der Geyser sei bei Mondbeleuchtung viel großartiger als bei Tage, da dann immer Wolkenmassen das Firmament verhüllen, und Nelly teilte seine Meinung.

Mors setzte jetzt unablässig seine Beobachtungen fort. Er trachtete danach, eine Stelle zu finden, wo sich größere Sandmassen befanden.

Am liebsten hätte er eine Wüste auf dem Planeten gefunden, denn der die Elektrizität hemmende Sand hätte ihm dann die Rückkehr in den Weltenraum gestattet.

Aber derartiges war nicht zu finden, und so mußte Mors schon seinem guten Glück vertrauen. Wohl aber hatte er Terror angewiesen, bei Gelegenheit kleine Aufstiege zu machen und zu sehen, ob irgend wo die Anziehungskraft des Planeten minder heftig wirkte.

Terror tat dies gern, denn er sehnte sich sobald als möglich von dem unheimlichen Weltkörper fort, er hatte nicht die geringste Lust, hier sein Leben zu beschließen.

Das war nicht etwa Furcht, denn die kannte Terror nicht, aber er meinte, man könnte anderes verrichten, als hier in dieser fremdartigen Welt das Dasein zu vertrauern. Abenteuer wollte er haben, hier erschien ihm alles zu eintönig.

Der Abend nahte, als Nelly wieder nach dem Reich der Geyser hinüberwandelte. Sie hatte das schon öfters getan und konnte sich gar nicht daran satt sehen, besonders gefiel es ihr, wenn im Mondschein die natürlichen Fontänen emporsprudelten.

In gemessener Entfernung von diesen Geysern hielt sie an und setzte sich auf einen Stein, um in Muße das grandiose Naturschauspiel betrachten zu können.

Plötzlich vernahm Nelly Schritte und sah fünf Leute von der Besatzung herankommen.

Sie ahnte nichts Schlimmes, wußte sie doch nicht, daß es die fünf Verschworenen waren, die nach Brahmas Paradies trachteten.

Schon war die Sonne verschwunden und mit ihr wie gewöhnlich die Wolkenmassen. Die Monde des Jupiter begannen wieder zu glänzen.

Beim Umblicken hatte Nelly auch gewahrt, daß das Weltenfahrzeug wieder einmal in die Höhe stieg. Jedenfalls machte Terror wieder Schwebeversuche.

Sie sah noch hin und hatte den Indern den Rücken zugekehrt, als sie plötzlich fühlte, wie sie von kräftigen Armen umschlungen wurde. Erschrocken wendete Nelly den Kopf und da sah sie in fanatische Gesichter, in schier überirdisch blickende Augen.

Sofort überkam sie die Ahnung, daß ihr Gefahr drohte, sie schrie laut auf.

Sie konnte nur einen einzigen Schrei tun, da sich gleich darauf eine Hand auf ihre Lippen preßte. Dann wurde sie emporgehoben und die fünf Männer schleppten sie nach den wasserspeienden Kratern hinüber.

Nur ein einziger Mann hatte den Schrei vernommen und auch nur gedämpft, aber er ahnte, daß hier jemand in Angst aufschrie.

Es war Kapitän Mors, der sich nicht auf dem Weltenfahrzeug befand.

Er stand in der Nähe der Sanddünen und beobachtete die Bewegungen, die das Fahrzeug machte.

Mors hatte nämlich bemerkt, daß der „Meteor“, wenn er hoch stieg, immer erst die Spitze nach oben wendete, dann aber wieder von der unheimlichen Macht hinuntergezogen wurde. Diese Bewegung wollte er genau beobachten, um sie vielleicht bei Befreiungsversuchen verwenden zu können. Jetzt aber wurde er durch den fernen Hilfeschrei unterbrochen.

Im nächsten Moment rannte der Luftpirat mit gewaltigen Sprüngen nach den Geysern hinüber.

Hier waren überall Felsen, die seine Gestalt verbargen. Er strengte alle Kräfte an, um rasch vorwärts zu kommen und erreichte bald den Platz, wo seine Leute sonst die Naturerscheinung zu beobachten pflegten. Aber dieser Platz war heute leer.

Mors sah nach den Geysern hinüber und da glaubte er in den Strahlen des Mondes etwas Bewegliches zu sehen. Wieder rannte er vorwärts.

Plötzlich blieb er betroffen stehen.

Er sah Seltsames.

Zur Linken und zur Rechten gewahrte er die Wasserkrater und zwischen denselben sah er eine Menschengruppe.

Zwei der Inder hielten eine Gestalt fest, die eine dünne weiße Hülle trug.

Es war Nelly.

Die Inder hatten das Mädchen auf einen Felsblock gelegt und zwar so, daß die Arme und Füße herabhingen. Ein Mann hielt die beiden entblößten Arme Nellys fest, ein zweiter die Füße.

So war die halbenthüllte Brust frei und emporgereckt, und neben ihr stand der dritte der Männer, der ehemalige Brahmane.

Die Linke preßte er auf den Mund Nellys, damit sie nicht schreien konnte. In der Rechten aber hielt er eine jener dolchartigen Klingen, wie sie die Inder immer mit sich führten.

Seitwärts aber knieten die beiden letzten Inder auf dem Boden und streckten die Arme flehend nach der Stelle aus, wo leichte Dämpfe auf einem Wasserkrater emporstiegen.

„Brahma, Brahma,“ riefen sie mit halblauter Stimme. „Höre das Flehen deiner treuen Diener. Sieh, wir bringen Dir ein Opfer dar, ein junges Mädchen. Das Blut des Opfers soll fließen und uns das Paradies öffnen. Brahma, öffne uns Deine Arme, Deine treuen Diener sehnen sich nach Deinem Anblick.“

Mors wußte in wenigen Augenblicken, was hier geschehen sollte.

Diese Inder befanden sich im Banne des finsteren Aberglaubens, sie wollten Nelly töten, um sich Einlaß in ein hier vermutetes Paradies zu verschaffen.

Der unheimliche Brahmane wartete nur, bis das Gebet seiner Gefährten zu Ende war. Nun hob er das Messer und wollte die Klinge in Nellys Brust stoßen.

Wenn Mors jetzt noch einen Augenblick zögerte, war das junge Mädchen verloren.

Mit furchtbarem Satz schwang sich der Luftpirat über den nächsten Steinblock.

Der Brahmane wollte den tötlichen Stoß führen, als ihn die eiserne Faust des Maskierten im Genick packte.

„Was tust Du!“ schrie der Luftpirat mit mächtiger Stimme, indem er den Aufheulenden weit hinwegschleuderte.

Die beiden anderen Inder ließen Nelly los und prallten zurück. Sie kannten den Kapitän, seine Kraft und Entschlossenheit. Sie kannten auch seine fürchterlichen Waffen.

Auch die Betenden sprangen empor und schauten verdutzt auf Mors, der so unerwartet unter ihnen erschienen war.

Der Luftpirat aber kam nicht dazu, Aufklärung zu fordern.

Denn in diesem Augenblick begann es zu sausen und zu brausen, man hörte ein Zischen und Schäumen.

Von den Felsen sprudelte Wasser herunter und aus den Rissen am Boden quoll es empor. Gleichzeitig begann es im Innern des nahen Geysers seltsam zu poltern und zu grollen.

Das Wasser stieg so schnell empor, daß die fünf Inder im Nu bis an den Gürteln im Wasser standen.

Mors aber hatte Nelly, die ohnmächtig geworden war, emporgehoben und hielt das schöne Mädchen in seinen Armen. Hinter ihm zischte und brauste es, aus dem Geyser aber stieg eine Wassersäule.

„Fort, fort, ehe das Wasser der Geyser zu kochen beginnt,“ schrie Mors mit furchtbarer Stimme.

Der Zuruf galt den Indern, denn trotz ihres unheimlichen Aberglaubens wollte Mors diese Leute erhalten.

Er selbst aber sprang schnell entschlossen auf den Rand eines Felsenringes, in dessen Innern das Wasser langsam emporstieg. Er wußte ja, was kommen würde. Das Wasser, welches bis jetzt emporgedrungen und nur eine mäßig warme Temperatur besessen, begann jetzt zu kochen.

Aber die Inder hörten nicht auf die Stimme des Kapitäns, wenigstens nicht die drei, welche das Opfer vollziehen wollten.

Nur die beiden, welche gebetet hatten, erreichten noch im letzten Augenblick einen Felsblock, an dem sie hinaufkletterten und sich anklammerten. Der Brahmane und seine beiden fanatischen Genossen wälzten sich schreiend in den heißer und heißer werdenden Fluten.

Mors hatte jetzt mit sich selbst zu tun, denn es galt ja, den kochenden Wassermassen auszuweichen.

Seine eiserne Kaltblütigkeit kam ihm da sehr zu statten.

Mors lief, Nelly tragend, immer auf dem Rand des ausgedehnten Felsenringes herum.

Er mußte immer in Bewegung bleiben, denn das Wasser sprudelte bald hier bald dort. Kochende Massen schossen von den Felsen herunter und zeitweise war alles in Dämpfen eingehüllt, so heiß, so glühend, daß man kaum zu atmen vermochte.

Mors hörte, wie die beiden Inder, die sich gerettet hatten, laut schrieen und jammerten.

Sie flehten zu Brahma, aber als von diesem Gott keine Hilfe kam, wurden die Männer in ihrem Aberglauben schwankend. Sie schrieen jetzt zu Mors, daß er ihnen helfen solle.

„Das ist besser, als wenn Ihr zu Euren Göttern schreit,“ rief der Luftpirat. „Haltet Euch nur an den Felsen fest und deckt Euch gegen die Wassermassen. Dann werdet Ihr schon mit dem Leben davonkommen. Aushalten, der Ausbruch geht schon vorüber.“

Mors irrte sich nicht.

Es dauerte allerdings eine Stunde, ehe die entfesselten unterirdischen Gewalten zu toben aufhörten.

Dann verstummte das Brausen und Zischen wie mit einem Zauberschlag, der Geyser schleuderte keine Wassermassen mehr empor und die eben noch überschwemmte Strecke wurde trocken, das emporsprudelnde Wasser durch die Felsspalten wieder in das Innere der Erde zurückströmte.

Am Boden aber lagen drei grauenvoll entstellte Körper, die drei Inder, welche im siedenden Wasser ein schreckliches Ende gefunden hatten.

Nelly war wieder zu sich gekommen und befand sich in den Armen des Kapitäns.

Anfangs schrie sie laut auf, da sie glaubte, daß sie sich noch in der Gewalt der Inder befände, die sie der Gottheit opfern wollten.

Dann aber erkannte sie ihren Retter.

„Sie sind plötzlich über mich hergefallen,“ stammelte Nelly. „Ich konnte nur einmal schreien. Dann wurde mir der Mund zugehalten.“

„Finsterer Aberglauben war es,“ sprach Mors. „Sie wollten Euch einer Gottheit opfern, um in ein hier vermutetes Paradies zu gelangen. Drei dieser Männer sind vom Verderben ereilt worden, und die beiden anderen werden ihre Strafe für ihre Unbesonnenheit und ihren Aberglauben später erhalten.“

Nelly bemerkte erst jetzt, daß ihr die Inder die Kleider abgerissen hatten und wollte vor Scham vergehen. Mors aber blickte gar nicht auf die reizvolle Gestalt, sondern rief nur den beiden noch immer zitternden Indern zu, daß sie ihm so schnell als möglich folgen sollten.

Dann zog der Luftpirat seinen blauen Uniformrock aus und deckte ihn als Kavalier über Nellys entblößte Arme und Schultern. So führte er die noch immer heftig Zitternde, von den beiden ganz niedergeschlagenen Indern gefolgt, zurück zur Sanddüne.

Dort war inzwischen das Weltenfahrzeug wieder nieder gegangen und die Besatzung wunderte sich sehr, als Mors, Nelly und die beiden Inder in einem solchen Aufzug zurückkehrten.

Nelly eilte rasch schamglühend in das Weltenfahrzeug, um sich mit neuen Kleidern zu versehen, während Mors hastig das eben erlebte Abenteuer erzählte.

Die beiden abergläubischen Inder, welche den Tod ihrer Gefährten mit angesehen hatten, mußten bittere Vorwürfe über sich ergehen lassen.

Terror aber brachte dem Kapitän eine besondere Nachricht.

Es war ihm gewesen, als hätte sich die furchtbare Anziehungskraft des Jupiter weit weniger geäußert als sonst und da entschloß sich Mors noch einmal in die Lüfte zu steigen.

Er verschob es aber bis zum Tagesanbruch und als die Sonne erschien, kamen auch die gewaltigen Wolkenmassen, die tagsüber regelmäßig das Firmament bedeckten.

Plötzlich machte sich im Osten ein seltsamer roter Schein bemerkbar.

Terror sah ihn zuerst und benachrichtigte Mors und den Professor von der neuen Erscheinung.

„Das ist die rote Wolke,“ rief van Halen. „Das ist jene ungeheure Masse, die über dem Jupiter schwebt und die in ihrem Innern jedenfalls die fürchterlichen elektrischen Entladungen birgt. Kapitän, rasch, wir müssen nach der Düne hinunter.“

Mors gab sofort ein Signal nach dem Lenkraum, um Terror zu bestimmen, daß er den „Meteor“ wieder nach seinem geschützten Ankerplatz brächte.

Aber seine Finger berührten noch den Druckknopf, als das Weltenfahrzeug plötzlich wie von einer furchtbaren Kraft hin- und hergeschüttelt wurde.

„Zu spät, zu spät!“ schrie der Professor, als er durch das Guckloch sah, daß alles rings herum blutrot leuchtete. „Kapitän, wir sind in die rote Wolke des Jupiter geraten!“

Von dem, was jetzt vorging, hatten die Insassen des Weltenfahrzeuges später nur noch eine unbestimmte Vorstellung.

Es war ihnen aber zu Mute, als würde mit ihnen buchstäblich Fangeball gespielt. Der „Meteor“ schien sich in der Gewalt ungeheuer boshafter Kobolde zu befinden.

Bald wurde er hierhin, bald dorthin geworfen. Bald richtete er sich mit dem Vorteil, dann wieder mit dem Hinterteil in die Höhe. Einige Male schien es, als sollte das Fahrzeug Kopf stehen.

Dazu vernahm man außerhalb geradezu entsetzliche Töne.

Vermutlich waren es elektrische Entladungen, welche in der roten Wolke tobten. Aber man konnte diese fürchterlichen Entladungen nicht mehr als Donnerschläge bezeichnen. Nein, das war etwas anderes. Das waren gräßliche, gigantisch schmetternde Töne, sie waren so fürchterlich, daß man glaubte, es müsse alles in Trümmer gehen.

Selbst Mors gab alles verloren und erwartete den Augenblick, wo der „Meteor“ in Atome zertrümmert werden mußte.

Aber das wunderbare Fahrzeug hielt, es trotzte den entfesselten Elementen, kein Bolzen gab nach, alles blieb in bester Ordnung.

Van Halen, Nelly, die Inder und Normannen bewahrten ihre Fassung. Kapitän Mors gab ihnen ja ein heldenhaftes Beispiel.

Der Luftpirat bekam es sogar fertig, nach dem Lenkraum zu gehen oder vielmehr zu kriechen. Dort traf er Terror, der sich zwischen seinen Maschinen festgebunden hatte.

„Hält der Magnet noch?“ war Mors’ erste Frage.

„Ja, Kapitän,“ lautete die Antwort. „Der Magnet ist noch in Ordnung, aber ich denke, es geht jetzt alles in Trümmer!“

„Ich meine, wir haben das Schlimmste schon überstanden,“ erwiderte Mors.

„Wie meint Ihr das, Kapitän?“ stotterte Terror.

„Das will ich dir sofort sagen,“ erwiderte der Luftpirat. „Die rote Wolke, diese sonderbare Erscheinung, kann möglicherweise zu unserer Rettung dienen. Die schrecklichen, entfesselten elektrischen Kräfte können uns möglicherweise in den Weltenraum hinausschleudern.“

In diesem Moment vernahm man ein lautes Surren und Summen.

„Kapitän,“ schrie Terror freudig auf. „Ihr habt recht. Der Magnet arbeitet. Das Weltenfahrzeug befindet sich in voller Fahrt!“

Die furchtbaren schlingernden Bewegungen hatten aufgehört. Mors stürzte zu dem Schieber, der die starke Glasscheibe verdeckte.

Er sah hinaus in den Weltenraum.

Noch gewahrte man den Jupiter als ungeheure, leuchtende Scheibe. Man sah die Wolkenmassen und in diesen den unheimlichen roten Fleck, dieses geheimnisvolle Rätsel des Riesenplaneten.

Aber die fürchterliche Naturkraft hatte die Weltenfahrer gerettet.

Wie es kam, daß sie so weit in den Weltenraum hinausgeschleudert wurden, konnte niemand sagen. Aber der Magnet wirkte. Mit rasender Schnelligkeit schoß der „Meteor“ vom Jupiter hinweg und seine Spitze richtete sich auf die ferne Erde.

Terror stieß einen Jubelruf aus und rannte, nachdem er sich losgebunden, in den Beobachtungsraum, um das fast Unglaubliche zu verkünden.

Mors aber blieb im Lenkraum und ruhig, als wäre nichts geschehen, lenkte er sein wunderbares Fahrzeug zurück zur Mutter Erde.

Anmerkungen zur Transkription

Dieser Text wurde nach einem Nachdruck-Auswahlband transkribiert: Heinz J. Galle (Hrsg.): Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff. Dieter von Reeken, Lüneburg, 2005, S. 161-196. Moderne Zusätze und Anmerkungen wurden nicht übernommen. Die Originalausgaben hatten auch farbige Rücktitel. Diese sind in dieser Ausgabe nicht enthalten.

Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch Variationen in der Schreibweise von Namen wurden nicht verändert. Lediglich offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.