Title: Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Zehnter Band: enthaltend Kapitel 19 und 20.
Author: Baron Thomas Babington Macaulay Macaulay
Release date: October 22, 2014 [eBook #47173]
Most recently updated: October 24, 2024
Language: German
Credits: Produced by Olaf Voss, Peter Becker and the Online
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seit der
Thronbesteigung Jakob’s des Zweiten.
Aus dem Englischen.
Vollständige und wohlfeilste
Stereotyp-Ausgabe.
Zehnter Band:
enthaltend Kapitel 19 und 20.
Leipzig, 1856.
G. H. Friedlein.
Seite | |
Wilhelm’s auswärtige Politik | 5 |
Die nordischen Mächte | 6 |
Der Papst | 6 |
Benehmen der Verbündeten | 7 |
Der Kaiser | 8 |
Spanien | 9 |
Es gelingt Wilhelm, der Auflösung der Coalition vorzubeugen | 10 |
Neue Arrangements für die Verwaltung der spanischen Niederlande | 11 |
Ludwig rückt ins Feld | 13 |
Belagerung von Namur | 14 |
Ludwig kehrt nach Versailles zurück | 17 |
Luxemburg | 17 |
Schlacht von Steenkerke | 19 |
Verschwörung Grandval’s | 23 |
Wilhelm’s Rückkehr nach England | 26 |
Schlechte Marine-Verwaltung | 26 |
Erdbeben in Port-Royal | 29 |
Noth in England | 29 |
Zunahme der Verbrechen | 30 |
Zusammentritt des Parlaments | 32 |
Stand der Parteien | 33 |
Die Thronrede | 33 |
Privilegienfrage, von den Lords zur Sprache gebracht | 33 |
Debatten über die Lage der Nation | 34 |
Bill zur Regulirung des Prozeßverfahrens in Hochverrathsfällen | 39 |
Der Prozeß Lord Mohun’s | 40 |
Debatten über den indischen Handel | 42 |
Geldbewilligungen | 43 |
Mittel und Wege; Grundsteuer | 43 |
Ursprung der Nationalschuld | 46 |
Parlamentsreform | 54 |
Die Stellenbill | 58 |
Die Dreijährigkeitsbill | 62 |
Die ersten Parlamentsdebatten über die Freiheit der Presse | 65 |
Zustand Irland’s | 74 |
Der König verweigert die Genehmigung der Dreijährigkeitsbill | 78 |
Ministerielle Arrangements | 81 |
Der König begiebt sich nach Holland | 83 |
Eine Parlamentssession in Schottland | 83 |
Während England einestheils durch die Besorgniß einer Invasion, andrentheils durch die Freude über seine durch die Tapferkeit seiner Seeleute erwirkte Befreiung bewegt wurde, fanden wichtige Ereignisse auf dem Continent statt. Am 6. März war der König im Haag angekommen und hatte seine Anstalten für den bevorstehenden Feldzug zu treffen begonnen.[1]
Die vor ihm liegende Aussicht war trübe. Die Coalition, deren Schöpfer und Oberhaupt er war, schwebte seit einigen Monaten in steter Gefahr, sich aufzulösen. Durch welche unermüdliche Anstrengungen, durch welche sinnreiche Mittel und Wege, durch welche Schmeicheleien, durch welche Lockungen es ihm gelang, seine Verbündeten abzuhalten, sich einer nach dem andren Frankreich zu Füßen zu werfen, läßt sich nur unvollkommen ermitteln. Die vollständigste und authentischeste Aufzählung der Mühen und Opfer, durch welche er acht Jahre lang eine Schaar kleinmüthiger und verrätherischer, das gemeinsame Interesse nichtachtender und auf einander eifersüchtiger Potentaten zusammenhielt, findet sich in seiner Correspondenz mit Heinsius. In dieser Correspondenz ist Wilhelm ganz er selbst. Er hatte im Laufe seines ereignißvollen Lebens einige wichtige Aufgaben zu lösen, für die er nicht besonders befähigt war, und diese Aufgaben löste er unvollkommen. Als Souverain von England zeigte er Talente und Tugenden, die ihm zu einer ehrenvollen Erwähnung in der Geschichte berechtigen; allein er hatte auch große Mängel. Er war bis zum letzten Augenblick ein Fremder unter uns, kalt, zurückhaltend, niemals heiter, niemals sich wohl fühlend. Sein Königreich war ein Verbannungsort, seine schönsten Paläste waren Gefängnisse. Er zählte stets die Tage, welche noch vergehen sollten, ehe er sein Geburtsland, die beschnittenen Bäume, die Flügel zahlloser Windmühlen, die Storchsnester auf den hohen Giebeln und die langen Reihen bunter Landhäuser, die sich in den ruhigen Kanälen spiegeln, wiedersehen sollte. Er bemühte sich gar nicht, die Vorliebe zu verbergen, die er für seinen heimathlichen Boden und für seine Jugendfreunde empfand, und daher herrschte er nicht in unseren Herzen, obwohl er unsrem Vaterlande große Dienste leistete. Auch als General im Felde bewies er einen seltenen Muth und eine seltene Tüchtigkeit; aber als Taktiker stand er manchen seiner Zeitgenossen nach, die ihm in allgemeiner geistiger Befähigung weit nachstanden. Das Geschäft, für das er sich ganz vorzüglich eignete, war die Diplomatie im höchsten Sinne des Worts. Es darf bezweifelt werden, ob er in der Kunst große Unterhandlungen zu leiten, von denen das Wohl der Völkerrepublik abhängt, je übertroffen worden ist. Seine Geschicklichkeit in diesemXIX.6 Zweige der Politik wurde niemals strenger erprobt und glänzender bewiesen als während des letzten Theils des Jahres 1691 und des ersten Theils des Jahres 1692.
Eine seiner Hauptschwierigkeiten wurde durch die finstre und drohende Haltung der nordischen Mächte hervorgerufen. Dänemark und Schweden hatten einmal geneigt geschienen, sich der Coalition anzuschließen, aber sie waren bald wieder kühl geworden und nahmen rasch eine immer feindseligere Haltung an. Von Frankreich glaubten sie wenig zu fürchten zu haben. Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß seine Armeen über die Elbe gehen oder daß seine Flotten den Durchgang durch den Sund erzwingen würden. Aber die vereinte Seemacht England’s und Holland’s konnte wohl in Stockholm und Kopenhagen Besorgnisse erwecken. Bald entstanden unangenehme seerechtliche Fragen, Fragen, wie sie fast in jedem ausgedehnten Kriege der Neuzeit zwischen Kriegführenden und Neutralen aufgetaucht sind. Die skandinavischen Fürsten beschwerten sich darüber, daß der berechtigte Handel zwischen der Ostsee und Frankreich despotischerweise unterbrochen worden sei. Obwohl sie im allgemeinen nicht auf einem sehr freundschaftlichen Fuße miteinander gestanden, begannen sie doch jetzt sich eng an einander anzuschließen, intriguirten an jedem kleinen deutschen Hofe und versuchten das zu bilden was Wilhelm eine dritte Partei in Europa nannte. Der König von Schweden, der als Herzog von Pommern verpflichtet war, dreitausend Mann zur Vertheidigung des deutschen Reichs zu stellen, sandte anstatt ihrer den Rath, die Alliirten möchten unter den besten Bedingungen, die sie erlangen könnten, Frieden schließen.[2] Der König von Dänemark nahm eine große Anzahl holländischer Kauffahrteischiffe weg und zog in Holstein eine Armee zusammen, die seinen Nachbarn keine geringe Besorgniß einflößte. „Ich fürchte,” schrieb Wilhelm in einem Augenblicke tiefer Niedergeschlagenheit an Heinsius, „ich fürchte, daß der Zweck dieser dritten Partei ein Friede ist, der die Knechtung Europa’s im Gefolge haben wird. Die Zeit wird kommen, wo Schweden und seine Verbündeten zu spät erfahren werden, welchen großen Fehler sie begangen haben. Sie stehen der Gefahr allerdings ferner als wir, und deshalb sind sie so eifrig bestrebt, unsren und ihren eignen Untergang herbeizuführen. Daß Frankreich jetzt auf billige Bedingungen eingehen wird, ist nicht zu erwarten, und es wäre besser, mit dem Schwerte in der Hand zu fallen, als sich Allem zu unterwerfen was es dictiren würde.”[3]
Während der König so durch die Haltung der nordischen Mächte beunruhigt wurde, begannen auf einer ganz andren Seite ominöse Anzeichen sichtbar zu werden. Es war von vornherein kein leichtes Ding gewesen, Souveraine, welche die protestantische Religion haßten und sie in ihren eigenen Landen verfolgten, zur Unterstützung der Revolution zu bewegen, welche diese Religion aus einer großen Gefahr errettet hatte. Glücklicherweise aber hatten das Beispiel und die Autorität des Vatikans ihre Bedenken gehoben. Innocenz XI. und Alexander VIII. hatten Wilhelm mit schlecht verhehlter Parteilichkeit betrachtet. Er warXIX.7 zwar nicht ihr Freund, aber er war ihres Feindes Feind, und Jakob war ihres Feindes Vasall und mußte es im Fall seiner Restauration wieder werden. Sie liehen daher dem ketzerischen Neffen ihren wirklichen Beistand, den rechtgläubigen Oheim aber speisten sie mit Complimenten und Segenswünschen ab. Doch Alexander VIII. hatte wenig über funfzehn Monate auf dem päpstlichen Throne gesessen. Sein Nachfolger Antonio Pignatelli, der den Namen Innocenz XII. annahm, verlangte ungeduldig danach sich mit Ludwig zu versöhnen. Ludwig sah jetzt ein, daß er einen großen Fehler begangen, indem er zu gleicher Zeit den Geist des Protestantismus und den Geist des Papismus gegen sich aufgeregt hatte. Er erlaubte den französischen Bischöfen, sich dem heiligen Stuhle zu unterwerfen. Der Streit, der einmal den Anschein gehabt hatte, als werde er mit einem großen gallikanischen Schisma enden, wurde beigelegt, und es war Grund zu der Annahme vorhanden, daß der Einfluß des Oberhauptes der Kirche dazu angewendet werden würde, die Bande zu lösen, welche so viele katholische Fürsten an den Calvinisten knüpften, der den britischen Thron usurpirt hatte.
Mittlerweile war die Coalition, welche die dritte Partei auf der einen und der Papst auf der andren Seite aufzulösen versuchten, in nicht geringer Gefahr, aus bloßer Fäulniß zu zerfallen. Zwei von den verbündeten Mächten, und nur zwei waren der gemeinsamen Sache herzlich zugethan: England, das die anderen britischen Königreiche mit sich fortzog, und Holland, das die anderen batavischen Republiken mit sich fortzog. England und Holland waren zwar durch innere Parteispaltungen zerrissen und durch gegenseitige Eifersüchteleien und Antipathieen von einander getrennt, aber beide waren fest entschlossen, sich der französischen Oberherrschaft nicht zu unterwerfen, und beide waren bereit, ihren Theil, ja noch mehr als ihren Theil von den Lasten des Kampfes zu tragen. Die meisten Mitglieder des Bundes waren nicht Nationen, sondern Personen: ein Kaiser, ein König, Kurfürsten und Herzöge, und unter diesen gab es kaum Einen, der mit ganzer Seele bei dem Kampfe gewesen wäre, kaum Einen, der sich nicht gesträubt, der nicht eine Entschuldigung für die Nichterfüllung seiner Verpflichtungen gefunden, der nicht gehofft hätte, zur Vertheidigung seiner eigenen Rechte und Interessen gegen den gemeinsamen Feind gemiethet zu sein. Der Krieg aber war der Krieg des englischen Volks und des holländischen Volks. Wäre er dies nicht gewesen, so würde weder England noch Holland die Lasten, die er nöthig machte, nur ein einziges Jahr getragen haben. Als Wilhelm sagte, daß er lieber mit dem Schwerte in der Hand fallen als sich vor Frankreich demüthigen wolle, sprach er nicht nur seine eigene, sondern die Gesinnung zweier großer Staaten aus, deren erste Magistratsperson er war. Leider sympathisirten mit diesen beiden Staaten andere Staaten nur wenig. Sie wurden in der That von anderen Staaten so angesehen, wie reiche, ehrlichhandelnde, freigebige Tropfe von bedürftigen Gaunern angesehen werden. England und Holland waren reich und sie waren thätig. Ihr Reichthum erweckte die Habgier der ganzen Allianz und zu diesem Reichthum war ihre Thätigkeit der Schlüssel. Sie wurden mit schmutziger Zudringlichkeit von allen ihren Bundesgenossen verfolgt, vom Cäsar, der im stolzen Bewußtsein seiner einzigen Würde König Wilhelm nicht mit dem Titel Majestät beehren wollte, bis herab zu dem geringsten Markgrafen, der aus den zerbrochenen Fenstern des ärmlichen undXIX.8 verfallenen alten Hauses, das er seinen Palast nannte, sein ganzes Land übersehen konnte. Es war noch nicht genug, daß England und Holland viel mehr als ihre Contingente zum Landkriege stellten und die ganze Last des Seekriegs allein trugen. Sie waren auch noch von einem Schwarme vornehmer Bettler belagert, einige roh, andere demüthig, alle aber unermüdlich und unersättlich. Ein Fürst kam alljährlich mit einer kläglichen Darstellung seiner Noth zu ihnen betteln. Ein andrer trotzigerer Bettler drohte der dritten Partei beizutreten und einen Separatfrieden mit Frankreich zu schließen, wenn seine Forderungen nicht gewährt würden. Jeder Souverain hatte überdies seine Minister und Günstlinge, und diese Minister und Günstlinge gaben beständig zu verstehen, daß Frankreich bereit sei, sie zu bezahlen, wenn sie ihre Gebieter bewegen könnten, von der Coalition zurückzutreten, und daß England und Holland klug daran thun würden, Frankreich zu überbieten.
Die durch die Habgier der verbündeten Höfe verursachte Verlegenheit war jedoch kaum größer als die durch ihren Stolz und ihren Ehrgeiz herbeigeführte Verlegenheit. Der eine Fürst hatte sich auf eine kindische Auszeichnung, auf einen Titel oder einen Orden capricirt und wollte nicht eher etwas für die gemeinsame Sache thun als bis seine Wünsche erfüllt waren. Ein andrer geruhte sich einzubilden, daß er zurückgesetzt worden sei, und wollte sich nicht rühren, bis ihm Genugthuung verschafft worden. Der Herzog von Braunschweig-Lüneburg wollte kein Bataillon zur Vertheidigung Deutschland’s stellen, wenn er nicht zum Kurfürsten gemacht würde.[4] Der Kurfürst von Brandenburg erklärte, er sei noch eben so feindselig gegen Frankreich gesinnt als je; aber die spanische Regierung habe ihn übel behandelt und er werde daher seine Soldaten nicht zur Vertheidigung der spanischen Niederlande verwenden lassen. Er sei zwar bereit, am Kriege Theil zu nehmen, aber nur in der ihm convenirenden Weise; er müsse das Commando einer besonderen Armee haben und seine Stellung zwischen dem Rhein und der Maas bekommen.[5] Der Kurfürst von Sachsen beschwerte sich, daß seinen Truppen schlechte Winterquartiere angewiesen worden seien, und er rief sie daher gerade in dem Augenblicke zurück, wo sie hätten Anstalt treffen sollen, ins Feld zu rücken, erbot sich aber ganz kaltblütig sie wieder zu schicken, wenn England und Holland ihm vierhunderttausend Reichsthaler gäben.[6]
Man hätte erwarten sollen, daß wenigstens die beiden Häupter des Hauses Oesterreich in diesem Augenblicke ihre ganze Kraft gegen das rivalisirende Haus Bourbon aufbieten würden. Leider waren sie nicht zu bewegen, auch nur für ihre eigne Erhaltung energische Anstrengungen zu machen. Sie hatten ein großes Interesse daran, die Franzosen von Italien abzuhalten. Gleichwohl konnten sie nur mit Mühe dazu vermocht werden, dem Herzoge von Savoyen den geringsten Beistand zu leihen. Sie schienen zu glauben, daß es England’s und Holland’s Sache sei, die Pässe der Alpen zu vertheidigen und die Armeen Ludwig’s zu verhindern, die Lombardei zu überschwemmen. In den Augen des Kaisers war der Krieg gegen Frankreich in der That eine untergeordneteXIX.9 Aufgabe. Seine Hauptaufgabe war der Krieg gegen die Türkei. Er war beschränkt und bigott. Es beunruhigte ihn, daß der Krieg gegen Frankreich in gewissem Sinne ein Krieg gegen die katholische Religion war, und der Krieg gegen die Türkei war ein Kreuzzug. Sein neuerlicher Feldzug an der Donau war glücklich gewesen. Er hätte leicht einen ehrenvollen Frieden mit der Pforte schließen und seine Waffen gegen Westen richten können. Aber die Hoffnung war in ihm erwacht, seine Erblande auf Kosten der Ungläubigen vergrößern zu können. Visionen von einem triumphirenden Einzuge in Konstantinopel und von einem Te Deum in der Sophia-Moschee waren in seinem Kopfe aufgestiegen. Er beschäftigte nicht nur im Osten eine Truppenmacht, die mehr als ausreichend gewesen sein würde, Piemont zu vertheidigen und Lothringen wiederzuerobern, sondern er schien auch zu glauben, daß England und Holland verpflichtet seien, ihn für die Vernachlässigung ihrer Interessen und für die Wahrnehmung seiner eigenen glänzend zu belohnen.[7]
Spanien war damals schon was es bis auf unsre Zeit geblieben ist. Von dem Spanien, das über Land und Meer, über die alte und neue Welt geherrscht, von dem Spanien, das in der kurzen Zeit von zwölf Jahren einen Papst und einen König von Frankreich, einen Souverain von Mexico und einen Souverain von Peru als Gefangene fortgeführt, von dem Spanien, das eine Armee unter die Mauern von Paris gesandt und eine gewaltige Flotte ausgerüstet hatte, um in England einzufallen, war nichts mehr übrig als eine Anmaßung, die einst Schrecken und Haß erweckt hatte, die aber jetzt nur noch ein geringschätzendes Lächeln hervorrufen konnte. An Umfang übertrafen zwar die Gebiete des katholischen Königs die Gebiete Rom’s, als Rom auf dem Gipfel der Macht stand. Aber die ungeheure Ländermasse lag erstarrt und hülflos da und konnte ungestraft beleidigt und beraubt werden. Die ganze Verwaltung, des Heeres und der Marine, der Finanzen und der Kolonien, war völlig desorganisirt. Karl war ein entsprechender Repräsentant seines Reichs, körperlich, geistig und moralisch impotent, in Unwissenheit, Sorglosigkeit und Aberglauben versunken, doch aber vom Gefühl seiner Würde aufgebläht und sehr bereit, sich Beleidigungen einzubilden und solche zu ahnden. Seine Erziehung war so erbärmlich gewesen, daß, als man ihm den Fall von Mons, der wichtigsten Festung seines großen Reichs mittheilte, er fragte, ob Mons in England liege.[8] Unter den Ministern, welche durch seine krankhafte Laune erhoben und gestürzt wurden, war keiner befähigt, ein Heilmittel gegen die Gebrechen des Staats anzuwenden. Die Nerven dieses gelähmten Körpers neu zu stählen, würde allerdings selbst für einen Ximenes eine schwere Aufgabe gewesen sein. Kein Diener der spanischen Krone bekleidete einen wichtigeren Posten und keiner war unfähiger zur Bekleidung eines wichtigen Postens als der Marquis von Gastanaga. Er war Gouverneur der Niederlande und es war wahrscheinlich, daß in den Niederlanden das Schicksal der Christenheit entschieden werden würde. Er hatte sein Amt verwaltet, wie damals jedes öffentliche Amt in jedem Theile dieser großen Monarchie verwaltetXIX.10 wurde, von der man hochtrabend sagte, daß die Sonne nie darin untergehe. So fruchtbar und reich das Land war, das er verwaltete, wälzte er doch auf England und Holland die ganze Last, es zu vertheidigen. Er erwartete daß Alles, Waffen, Munition, Wagen und Lebensmittel, von den Ketzern geliefert würde. Es war ihm nie eingefallen, daß es seine und nicht ihre Sache sei, Mons in den Stand zu setzen, eine Belagerung aushalten zu können. Die öffentliche Stimme beschuldigte ihn ganz laut, diese berühmte Festung an Frankreich verkauft zu haben. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß man ihm nichts Schlimmeres zur Last legen konnte als die seiner Nation eigene hochmüthige Apathie und Trägheit.
In diesem Zustande befand sich die Coalition, deren Oberhaupt Wilhelm war. Es gab Momente, wo er sich überwältigt fühlte, wo ihm der Muth sank, wo seine Geduld erschöpft war und seine angeborne Reizbarkeit sich Luft machte. „Ich kann,” schrieb er, „keinen Vorschlag machen, ohne daß mir eine Subsidienforderung entgegengehalten wird.”[9] „Ich habe rund abgeschlagen,” schrieb er ein andermal, als er dringend um Geld angegangen worden war, „denn es ist unmöglich, daß die Generalstaaten und England die Lasten der Armee am Rhein, der Armee in Piemont und der ganzen Vertheidigung von Flandern tragen können, der ungeheuren Kosten des Seekriegs gar nicht zu gedenken. Wenn unsere Alliirten nichts für sich thun können, dann ist es am besten, die Allianz löst sich je eher je lieber auf.”[10] Aber nach jedem kurzen Anfall von Entmuthigung und Verstimmung raffte er wieder die ganze Energie seines Geistes zusammen und legte seinem Temperament einen starken Zügel an. So schwach, engherzig, falsch und selbstsüchtig nur zu viele seiner Verbündeten auch waren, nur unter ihrem Beistande konnte er durchführen, was er von Jugend auf als seine Mission betrachtet hatte. Wenn sie ihn verließen, so wurde Frankreich der unbestrittene Beherrscher Europa’s. Wie sehr sie auch bestraft zu werden verdienten, wollte er doch, um ihrer Bestrafung willen, nicht in die Unterjochung der ganzen civilisirten Welt willigen. Er nahm sich daher vor, einige Schwierigkeiten zu überwinden, und andere zu umgehen. Die skandinavischen Mächte gewann er, indem er, allerdings mit Widerstreben und nicht ohne schweren inneren Kampf, auf einige seiner Seerechte verzichtete.[11] In Rom hielt sein Einfluß, obwohl nur indirect ausgeübt, dem des Papstes selbst die Wage. Ludwig und Jakob überzeugten sich, daß sie außer Innocenz keinen Freund im Vatikan hatten, und Innocenz, der von sanftem und unschlüssigem Character war, scheute sich, einen den Gesinnungen seiner ganzen Umgebung direct zuwiderlaufenden Weg einzuschlagen. In Privatunterredungen mit jakobitischen Agenten erklärte er sich dem Interesse des Hauses Stuart zugethan; in seinen öffentlichen Handlungen aber beobachtete er eine strenge Neutralität. Er schickte zwanzigtausend Kronen nach Saint-Germains; aber er entschuldigte sich bei den Gegnern Frankreich’s, indem er versicherte, daß dies keine Subsidie zu irgend einem politischen Zwecke, sondern lediglich ein unter arme britische KatholikenXIX.11 zu vertheilendes Almosen sein solle. Er gestattete die Verlesung von Gebeten für die gute Sache im englischen Collegium zu Rom; aber er bestand darauf, daß diese Gebete in allgemeine Ausdrücke gefaßt sein müßten und daß kein Name darin genannt werden dürfe. Umsonst beschworen ihn die Gesandten der Häuser Stuart und Bourbon ein entschiedeneres Verfahren zu beobachten. „Gott weiß,” rief er einmal aus, „daß ich mit Freuden mein Blut für die Wiedereinsetzung des Königs von England vergießen würde. Aber was kann ich thun? Wenn ich mich rühre, sagt man mir, daß ich die Franzosen begünstige und ihnen zur Aufrichtung einer Universalmonarchie behülflich sei. Ich bin nicht wie die früheren Päpste. Die Könige wollen nicht auf mich hören, wie sie auf meine Vorgänger hörten. Es giebt jetzt keine Religion, sondern nichts als gottlose, weltliche Politik. Der Prinz von Oranien ist der Gebieter. Er beherrscht uns Alle. Er hat eine solche Gewalt über den Kaiser und den König von Spanien gewonnen, daß keiner von Beiden es wagt, sein Mißfallen zu erregen. Gott helfe uns! Er allein kann uns helfen!” So sprechend schlug der alte Mann in einer Regung ohnmächtigen Zornes und Unwillens mit der Hand auf den Tisch.[12]
Die deutschen Fürsten standhaft zu erhalten, war keine leichte Aufgabe; aber sie wurde durchgeführt. Es wurde Geld unter sie vertheilt, zwar viel weniger als sie verlangt hatten, aber doch viel mehr als sie anständigerweise beanspruchen konnten. Mit dem Kurfürsten von Sachsen wurde ein Abkommen getroffen. Er hatte neben einem starken Gelüste nach Subsidien großes Verlangen danach, Mitglied der auserlesensten und höchsten Ritterorden zu werden. Wie es scheint, begnügte er sich anstatt der verlangten vierhunderttausend Reichsthaler mit hunderttausend und dem Hosenbandorden.[13] Sein Premierminister Schöning, der habgierigste und treuloseste Mensch von der Welt, wurde durch eine Pension gewonnen.[14] Dem Herzoge von Braunschweig-Lüneburg verschaffte Wilhelm nicht ohne Mühe den lange ersehnten Titel eines Kurfürsten von Hannover. Durch solche Mittel wurden die Risse, welche die Coalition zerklüftet hatten, so geschickt ausgebessert, daß sie dem Feinde noch immer eine feste Stirn bot.
Wilhelm hatte sich bei der spanischen Regierung bitter über die Unfähigkeit und Trägheit Gastanaga’s beklagt, und die spanische Regierung konnte, so hülflos und schläfrig sie auch war, nicht ganz gleichgültig gegen die Gefahren sein, welche Flandern und Brabant drohten.XIX.12 Gastanaga wurde abberufen und Wilhelm ersucht, die Verwaltung der Niederlande mit Gewalten, welche denen eines Königs nicht nachstanden, selbst zu übernehmen. Philipp II. würde so leicht nicht geglaubt haben, daß innerhalb eines Jahrhunderts nach seinem Tode sein Urenkel den Urenkel Wilhelm’s des Schweigsamen bitten würde, in Brüssel die Autorität eines Souverains auszuüben.[15]
Der Antrag war in einer Hinsicht lockend; Wilhelm aber war zu klug, um ihn anzunehmen. Er wußte, daß die Bevölkerung der spanischen Niederlande der römischen Kirche fest anhing. Jede Maßregel eines protestantischen Regenten konnte sicher sein, von dem Klerus und der Bevölkerung dieses Landes mit Mißtrauen betrachtet zu werden. Gastanaga hatte bereits im Aerger über seine Entlassung den römischen Hof schriftlich benachrichtigt, daß man Veränderungen im Sinne habe, welche Gent und Antwerpen eben so ketzerisch machen würden wie Amsterdam und London.[16] Ohne Zweifel hatte Wilhelm auch erwogen, daß, wenn es ihm auch durch eine milde und gerechte Regierung und durch Bezeigung einer geziemenden Achtung für die Gebräuche und Diener der katholischen Religion gelingen sollte, sich das Vertrauen der Belgier zu erwerben, er unvermeidlich auf unsrer Insel einen Sturm von Vorwürfen gegen sich heraufbeschwören würde. Er wußte aus Erfahrung was es hieß, zwei Nationen zu regieren, welche fest an zwei verschiedenen Kirchen hielten. Eine zahlreiche Partei unter den Episkopalen England’s konnte es ihm nicht vergeben, daß er in die Einführung der presbyterianischen Kirchenverfassung in Schottland gewilligt hatte. Eine zahlreiche Partei unter den Presbyterianern Schottland’s tadelte ihn, daß er die episkopale Kirchenverfassung in England aufrecht erhielt. Wenn er jetzt Messen, Processionen, geschnitzte Bilder, Mönchsklöster, Nonnenklöster und, was das Schlimmste von Allem war, Jesuitenkanzeln, Jesuitenbeichtstühle und Jesuitencollegien unter seinen Schutz nahm, was konnte er dann Andres erwarten, als daß England und Schottland einen einstimmigen Tadelsschrei erheben würden? Er weigerte sich daher, die Verwaltung der Niederlande zu übernehmen und schlug vor, sie dem Kurfürsten von Baiern zu übertragen. Der Kurfürst von Baiern war nach dem Kaiser der mächtigste katholische Potentat Deutschland’s. Er war jung, tapfer und lüstern nach militärischer Auszeichnung. Der spanische Hof war geneigt, ihn zu ernennen und er sehnte sich danach, ernannt zu werden; aber eine alberne Schwierigkeit verursachte eine lange Verzögerung. Der Kurfürst hielt es unter seiner Würde, das zu verlangen, was er so sehr wünschte, und die Formalisten des Cabinets von Madrid hielten es unter der Würde des katholischen Königs, etwas zu geben, um was nicht nachgesucht worden war. Eine Vermittelung war nothwendig, und sie führte endlich zum Ziele. Aber es war viel Zeit verloren worden, und das Frühjahr war schon weit vorgerückt, als der neue Gouverneur der Niederlande seine Functionen antrat.[17]
Wilhelm hatte die Coalition vor der Gefahr behütet, durch Uneinigkeit zu Grunde zu gehen. Aber durch keine Vorstellungen, durch keine Bitten, durch keine Bestechungen konnte er seine Verbündeten bewegen, bei Zeiten im Felde zu stehen. Sie hätten die harte Lection, die ihnen im vorhergehenden Jahre gegeben worden war, benutzen sollen. Doch abermals zauderte Jeder und wunderte sich warum die Anderen zauderten, und abermals erwies sich der Mann, der allein die ganze Macht Frankreich’s in seiner Hand hatte, wie seine stolze Devise sich dessen seit langer Zeit rühmte, einer Menge von Gegnern gewachsen.[18] Während seine Feinde noch immer nicht schlagfertig waren, erfuhren sie mit Schrecken, daß er persönlich an der Spitze seines Adels ins Feld gerückt war. Noch bei keiner Gelegenheit war dieser tapfere Adel mit größerem Glanze in seinem Gefolge erschienen. Ein einziger Umstand mag genügen, um einen Begriff von der Pracht und dem Luxus seines Lagers zu geben. Unter den Musketieren seiner Haustruppen ritt zum ersten Male ein siebzehnjähriger Jüngling, der bald nachher den Titel eines Herzogs von Saint-Simon erbte und dem wir die unschätzbaren Memoiren verdanken, welche zur Unterhaltung und Belehrung vieler Länder und vieler Geschlechter das lebensvolle Gemälde eines längst entschwundenen Frankreich erhalten haben. Obgleich sich die Familie des Knaben damals in arger Geldverlegenheit befand, reiste er doch mit fünfunddreißig Pferden und Saumthieren. Die Prinzessinnen von Geblüt, jede von einer Gruppe vornehmer und anmuthiger Damen umgeben, begleiteten den König, und das Lächeln so vieler reizender Frauen beseelte den Schwarm der eitlen und üppigen, aber hochsinnigen Cavaliere mit einem mehr als gewöhnlichen Muthe. In der glänzenden Schaar, welche den französischen Augustus umgab, sah man auch den französischen Virgil, den eleganten, zarten, melodischen Racine. Er war, in Einklang mit der herrschenden Mode, fromm geworden, hatte das Schriftstellern für die Bühne aufgegeben, und da er sich entschlossen, den Pflichten, die ihm als Historiographen Frankreich’s oblagen, energisch nachzukommen, hatte er sich persönlich eingefunden, um die großen Ereignisse mit anzusehen, welche der Nachwelt zu erzählen sein Amt war.[19] In der Nähe von Mons bereitete Ludwig den Damen das Schauspiel der prächtigsten Revue, die man im modernen Europa je gesehen hatte. Hundertzwanzigtausend Mann der schönsten Truppen der Welt waren in einer acht Meilen langen Linie aufgestellt. Es steht zu bezweifeln, ob eine solche Armee jemals unter den römischen Adlern vereinigt gewesen war. Das Schauspiel begann früh am Morgen und war noch nicht vorüber, als der lange Sommertag sich zu Ende neigte. Racine verließ den Platz erstaunt, betäubt, geblendet und todtmüde. In einem vertrauten Briefe wagte er es, einen liebenswürdigen Wunsch zu äußern, den er im Hofzirkel auszusprechen sich wahrscheinlich gehütet haben würde: „Wollte Gott, daß alle dieseXIX.14 braven Burschen wieder in ihren Hütten, bei ihren Frauen und ihren Kleinen wären.”[20]
Nach diesem prächtigen Schauspiele kündigte Ludwig seine Absicht an, Namur anzugreifen. In fünf Tagen war er an der Spitze von dreißigtausend Mann unter den Mauern dieser Stadt. Zwanzigtausend Landleute, die man in den von den Franzosen besetzten Theilen der Niederlande gepreßt hatte, mußten als Schanzgräber dienen. Luxemburg hatte mit achtzigtausend Mann eine feste Stellung auf der Straße zwischen Namur und Brüssel inne und war bereit, jeder Truppenmacht, die es versuchen sollte, die Belagerung aufzuheben, eine Schlacht zu liefern.[21] Diese Theilung der Aufgaben nahm Niemanden Wunder. Es war längst bekannt, daß der große Monarch ein Freund von Belagerungen, nicht aber von Schlachten war. Er sprach die Ansicht aus, daß eine Belagerung der wahre Prüfstein militärischer Tüchtigkeit sei. Der Ausgang eines Zusammenstoßes zwischen zwei Armeen im offenen Felde wurde seiner Meinung nach oft durch einen Zufall entschieden; aber Ravelins und Bastionen, welche die Wissenschaft erbaut, konnte nur die Wissenschaft bewältigen. Seine Verleumder nannten es spöttelnd ein Glück, daß der Zweig der Kriegskunst, den Se. Majestät für den edelsten halte, ein solcher sei, der ihn selten nöthigte, ein seinem Volke unschätzbares Leben ernster Gefahr auszusetzen.
Namur, am Zusammenflusse der Sambre und der Maas gelegen, war eine der großen Festungen Europa’s. Die Stadt lag in einer Ebene und besaß keine andre Stärke als die durch die Kunst hervorgerufene. Aber Kunst und Natur hatten sich vereinigt, um die berühmte Citadelle zu befestigen, die vom Scheitel eines hohen Felsens auf eine von zwei schönen Flüssen bewässerte unabsehbare Fläche von Kornfeldern, Waldungen und Wiesen herniedersieht. Die Bevölkerung der Stadt und Umgegend war stolz auf ihr uneinnehmbares Kastell. Sie bildete sich etwas darauf ein, daß in allen Kriegen, welche die Niederlande verwüstet, Geschicklichkeit oder Tapferkeit nie im Stande gewesen waren, durch diese Mauern zu dringen. Die benachbarten Festungen, in der ganzen Welt wegen ihrer Stärke berühmt, Antwerpen und Ostende, Ypern, Lille und Tournay, Mons und Valenciennes, Cambray und Charleroi, Limburg und Luxemburg, hatten ihre Thore den Siegern geöffnet, noch niemals aber war von den Zinnen Namur’s die Fahne herabgenommen worden. Damit nichts fehlte, um die Belagerung interessant zu machen, standen die beiden Großmeister der Befestigungskunst einander gegenüber. Vauban war viele Jahre hindurch als der erste Ingenieur betrachtet worden; aber ein gefährlicher Nebenbuhler war seit Kurzem aufgetaucht: Menno, Baron von Cohorn, der geschickteste Offizier im Dienste der Generalstaaten. Die Vertheidigungswerke von Namur waren unlängst unter Cohorn’s Oberleitung verstärkt und ausgebessert worden, und er befand sich jetzt innerhalb der Mauern. Vauban war im Lager Ludwig’s. Es ließ sich demnach erwarten, daß Angriff wie Vertheidigung mit ausgezeichneter Geschicklichkeit geleitet werden würden.
Die verbündeten Armeen hatten sich inzwischen versammelt, aber esXIX.15 war zu spät.[22] Wilhelm eilte nach Namur. Er bedrohte die französischen Werke zuerst von Westen, dann von Norden, dann von Osten. Aber zwischen ihm und den Circumvallationslinien stand die Armee Luxemburg’s, allen seinen Bewegungen folgend und stets in so starker Position, daß es die größte Unklugheit gewesen wäre, ihn anzugreifen. Mittlerweile machten die Belagerer unter Vauban’s geschickter Leitung und durch Ludwig’s Anwesenheit angefeuert rasche Fortschritte. Es waren allerdings viele Schwierigkeiten zu überwinden und große Beschwerden zu ertragen. Das Wetter war stürmisch, und am 8. Juni, dem Tage des heiligen Medardus, der im französischen Kalender die nämliche unheildrohende Stelle einnimmt, die in unsrem Kalender dem heiligen Swithin gebührt, regnete es in Strömen. Die Sambre stieg und überschwemmte viele mit reifenden Ernten bedeckte Quadratmeilen. Die Mehaigne führte ihre Brücken mit sich fort in die Maas. Alle Straßen wurden in Moräste verwandelt. In den Laufgräben standen Wasser und Schlamm so hoch, daß man drei Tage zu thun hatte, um eine Kanone von einer Batterie zur andren zu schaffen. Die sechstausend Wagen, welche die französische Armee begleitet hatten, waren nutzlos. Schießpulver, Kanonenkugeln, Korn und Heu mußten auf dem Rücken der Kriegsrosse von Ort zu Ort transportirt werden. Nur die Autorität Ludwig’s konnte unter solchen Umständen die Ordnung aufrecht erhalten und Freudigkeit erwecken. Seine Soldaten bezeigten ihm in der That eine größere Ehrerbietung als dem Heiligsten ihrer Religion. Sie verwünschten den heiligen Medardus aus dem Grunde des Herzens und zerschlugen oder verbrannten jedes Bild von ihm, dessen sie habhaft werden konnten. Aber es gab nichts, was sie nicht bereitwillig für ihren König gethan und ertragen haben würden. Trotz aller Hindernisse machten sie unaufhaltsame Fortschritte. Cohorn wurde schwer verwundet, während er mit verzweifelter Tapferkeit ein von ihm selbst erbautes Fort vertheidigte, auf das er stolz war. Seine Stelle war nicht zu ersetzen. Der Gouverneur war ein schwacher Mann, den Gastanaga ernannt und dessen Versetzung Wilhelm kürzlich dem Kurfürsten von Baiern angerathen hatte. Der Muth der Besatzung schwand, und die Stadt übergab sich am achten Tage der Belagerung, die Citadelle etwa drei Wochen später.[23]
Die Geschichte des Falles von Namur im Jahre 1692 ist der Geschichte des Falles von Mons im Jahre 1691 sehr ähnlich. Sowohl 1691 wie 1692 konnte Ludwig, der einzige und unumschränkte Gebieter über die Hülfsquellen des Landes, den Feldzug eröffnen, bevor Wilhelm, der Feldherr einer Coalition, seine zerstreuten Streitkräfte zusammengebracht hatte. In beiden Jahren entschied der Vortheil des ersten Zuges den Ausgang der Partie. Bei Namur sowohl wie bei Mons leitete Ludwig unter Vauban’s Beistand die Belagerung; Luxemburg deckte sie, Wilhelm versuchte vergebens sie aufzuheben und mußte zu seinem tiefen Schmerze dem Siege seines Gegners als Zuschauer beiwohnen.
XIX.16 In einer Hinsicht war jedoch das Schicksal der beiden Festungen ein ganz verschiedenes. Mons wurde von seinen eigenen Einwohnern übergeben. Namur hätte vielleicht gerettet werden können, wenn die Besatzung eben so begeistert und entschlossen gewesen wäre wie die Einwohnerschaft. Merkwürdigerweise herrschte in dieser so lange einer fremden Herrschaft unterworfenen Stadt ein Patriotismus ähnlich dem der kleinen griechischen Republiken. Man hat keinen Grund zu glauben, daß die Bürger sich um das Gleichgewicht der Macht kümmerten oder eine Vorliebe für Jakob oder für Wilhelm, für den Allerchristlichsten König oder für den Allerkatholischsten König hatten. Aber jeder Bürger glaubte seine eigene Ehre mit der Ehre der jungfräulichen Festung verknüpft. Die Franzosen mißbrauchten zwar ihren Sieg nicht. Es wurden keine Gewaltthätigkeiten verübt, die Privilegien der Municipalität wurden geachtet, die Behörden nicht gewechselt. Dennoch aber konnte das Volk einen Sieger nicht ohne Thränen der Wuth und Scham in das bis dahin unbezwungene Schloß einziehen sehen. Selbst die barfüßigen Carmeliter, die allen Genüssen, allem Eigenthum, allem geselligen Umgang, allen häuslichen Zuneigungen entsagt hatten, deren Tage lauter Fasttage waren, die einen Monat nach dem andren verlebten, ohne ein Wort zu sprechen, waren heftig ergriffen. Umsonst bemühte sich Ludwig, sie durch Beweise von Achtung und fürstlicher Freigebigkeit zu beschwichtigen. So oft sie einer französischen Uniform begegneten, wendeten sie sich mit einer Miene ab, welche bewies, daß ein Leben des Gebets, der Enthaltsamkeit und des Schweigens ein irdisches Gefühl in ihnen nicht zu ersticken vermocht hatte.[24]
Dies war vielleicht der Augenblick, wo Ludwig’s Arroganz den höchsten Grad erreichte. Er hatte die letzte und glänzendste Kriegsthat seines Lebens vollbracht. Seine verbündeten Feinde, Engländer und Deutsche, hatten gegen ihren Willen seinen Triumph erhöht und waren Zeugen des Ruhmes gewesen, der ihnen das Herz brach. Seine Freude war grenzenlos. Die Umschriften auf den Denkmünzen, die er zur Verewigung seines Sieges schlagen ließ, die Schreiben, durch welche er den Prälaten seines Königreichs befahl, das Te Deum zu singen, waren prahlerisch und sarkastisch. Sein Volk, ein Volk, zu dessen vielen edlen Eigenschaften Mäßigung im Glück nicht gerechnet werden kann, schien eine Zeit lang trunken von Stolz. Selbst Boileau, durch die herrschende Begeisterung mit fortgerissen, vergaß die Gelassenheit und den guten Geschmack, denen er seinen Ruf verdankte. Er bildete sich ein, ein lyrischer Dichter zu sein und machte seinen Gefühlen in hundertsechzig Strophen geistlosen Bombastes über Alcibiades, Mars, Bacchus und Ceres, die Leier des Orpheus, die tracischen Eichen und die permessianischen Nymphen, Luft. Er sagte, er möchte wohl wissen, ob Namur, wie Troja, von Apollo und Neptun erbaut worden sei. Er fragte, welche Macht eine Stadt bezwingen könne, welche stärker sei als die, vor der die Griechen zehn Jahre lagen, und er gab sich selbst die Antwort darauf, daß ein solches Wunder nur durch Jupiter oder durch Ludwig bewerkstelligt werden könne. Die Feder am Hute Ludwig’s war der Leitstern des Sieges. Vor Ludwig müsse sich Alles beugen, Fürsten, Nationen, Winde und Wasser. Zum Schluß wendete sich der Dichter an die verbündeten Feinde Frankreich’s und ersuchteXIX.17 sie höhnisch, die Nachricht mit nach Hause zu nehmen, daß Namur vor ihren Augen gefallen sei. Doch es waren noch nicht viele Monate verstrichen, als der prahlerische König und der prahlerische Dichter belehrt wurden, daß es eben so klug als anständig ist, in der Stunde des Sieges bescheiden zu sein.
Eine Kränkung hatte Ludwig selbst inmitten seines Glückes erfahren. Während er vor Namur lag, hörte er Töne des Jubels im fernen Lager der Alliirten. Ein dreifacher Donner aus hundertvierzig Geschützen wurde von drei Salven aus sechzigtausend Flinten beantwortet. Man erfuhr bald, daß diese Salven wegen der Schlacht von La Hogue abgefeuert wurden. Der König von Frankreich bemühte sich heiter zu erscheinen. „Sie machen einen entsetzlichen Lärm um das Verbrennen einiger Schiffe,” sagte er. In der That aber war er sehr besorgt, dies um so mehr, als die Nachricht nach den Niederlanden gelangt war, daß ein Seetreffen stattgefunden und daß seine Flotte geschlagen worden sei. Seine gute Laune wurde jedoch bald wieder hergestellt durch den glänzenden Erfolg der Operationen, die unter seiner unmittelbaren Leitung vor sich gingen.
Als die Belagerung vorüber war, übertrug er Luxemburg das Obercommando der Armee und kehrte nach Versailles zurück. Bald fand sich der unglückliche Tourville daselbst ein und wurde freundlich empfangen. Sobald er in dem Zirkel erschien, begrüßte ihn der König mit lauter Stimme. „Ich bin vollkommen zufrieden mit Ihnen und mit meinen Seeleuten. Wir sind zwar geschlagen worden, aber Ihre Ehre und die der Nation sind unbefleckt.”[25]
Obgleich Ludwig die Niederlande verlassen hatte, waren doch die Blicke von ganz Europa noch immer auf diese Gegend gerichtet. Die daselbst stehenden Armeen waren durch von verschiedenen Seiten herangezogene Verstärkungen vermehrt worden. Ueberall anderwärts waren die militärischen Operationen des Jahres unbedeutend und ohne Interesse. Der Großvezir und Ludwig von Baden thaten wenig mehr, als daß sie einander an der Donau beobachteten. Der Marschall Noailles und der Herzog von Medina Sidonia thaten wenig mehr, als daß sie einander in den Pyrenäen beobachteten. Am Oberrhein und längs der Grenze, welche Frankreich von Piemont scheidet, wurde ein unentschiedener Raubkrieg geführt, durch den die Soldaten wenig, die Landleute aber sehr viel litten. Jedermann aber blickte in gespannter Erwartung eines großen Ereignisses nach der Grenze von Brabant, wo Wilhelm und Luxemburg einander gegenüberstanden.
Luxemburg, der jetzt in seinem sechsundsechzigsten Jahre stand, war allmälig und durch den Tod mehrerer großer Männer zum ersten Platze unter den Generälen seiner Zeit emporgestiegen. Er stammte aus dem edlen Hause Montmorency, das viele mythische und viele historische Ansprüche auf Ruhm in sich vereinigte, das sich rühmte, dem ersten Franken, der im fünften Jahrhundert auf den Namen Christi getauft wurde, entsprossen zu sein, und das seit dem 11. Jahrhunderte Frankreich eine lange und glänzende Reihe von Connetables und Marschällen gegeben hatte. In Bezug auf Tapferkeit und Talente stand LuxemburgXIX.18 keinem seines erlauchten Geschlechts nach. Aber trotz vornehmer Herkunft und hoher Begabung hatte er nur mit Mühe die Hindernisse bewältigt, die sich ihm auf dem Ruhmeswege entgegenstellten. Wenn er der Freigebigkeit der Natur und der Glücksgöttin viel verdankte, so hatte er doch noch weit mehr unter ihrer Ungunst gelitten. Sein Gesicht war abschreckend häßlich, seine Gestalt klein, und ein hoher, spitzer Höcker erhob sich auf seinem Rücken. Seine Constitution war schwach und kränklich. Gegen seinen sittlichen Wandel waren schwere Beschuldigungen erhoben worden. Er war des Verkehrs mit Zauberern und Giftmischern beschuldigt worden, hatte lange in einem Kerker geschmachtet und hatte endlich seine Freiheit wiedererlangt, ohne seine Ehre völlig wiederzuerlangen.[26] Sowohl Louvois als Ludwig hatten ihn nie leiden können. Doch der Krieg gegen die europäische Coalition hatte noch nicht lange gedauert, als der Minister und der König einsahen, daß der Staat den ihnen persönlich verhaßten General nöthig brauchte. Condé und Turenne waren nicht mehr, und Luxemburg war ohne Widerrede der ausgezeichnetste Soldat, den Frankreich noch besaß. An Wachsamkeit, Fleiß und Beharrlichkeit fehlte es ihm. Er schien seine großen Eigenschaften für große Ereignisse aufzusparen. Auf dem offenen Schlachtfelde war er ganz er selbst. Er besaß einen raschen und sicheren Blick. Sein Urtheil war dann am klarsten und treffendsten, wenn die schwerste Verantwortlichkeit auf ihm lastete und wenn die Schwierigkeiten sich massenhaft um ihn her aufthürmten. Seiner Geschicklichkeit, Energie und Geistesgegenwart verdankte sein Vaterland einige ruhmvolle Tage. Aber obwohl in Schlachten außerordentlich glücklich, war er nicht besonders glücklich in Feldzügen. Er erwarb sich auf Wilhelm’s Unkosten einen glänzenden Ruf, und doch gaben die beiden Feldherren in Sachen des Kriegs einander wenig nach. Luxemburg war zu wiederholten Malen siegreich, aber er verstand die Kunst nicht, einen Sieg zu benutzen. Wilhelm wurde zu wiederholten Malen geschlagen; aber von allen Feldherren verstand er es am besten, eine Niederlage wieder gut zu machen.
Im Monat Juli befand sich Wilhelm’s Hauptquartier in Lambeque. Ungefähr sechs Meilen davon, bei Steenkerke, lag Luxemburg mit dem Gros seiner Armee, und noch etwa sechs Meilen weiter lag ein starkes Corps unter den Befehlen des Marquis von Boufflers, eines der besten Offiziere in Ludwig’s Diensten.
Die Gegend zwischen Lambeque und Steenkerke war von unzähligen Hecken und Gräben durchschnitten, und keine der beiden Armeen konnte sich der andren nähern, ohne mehrere lange und schmale Defilés zu passiren. Luxemburg hatte daher wenig Grund zu befürchten, daß er in seinen Verschanzungen angegriffen werden würde, und er war überzeugt,XIX.19 daß er in Zeiten erfahren würde, wenn ein Angriff im Werke war; denn es war ihm gelungen, einen Abenteurer, Namens Millevoix zu bestechen, welcher erster Musiker und Privatsekretär des Kurfürsten von Baiern war. Dieser Mann sandte regelmäßig authentische Nachrichten über die Pläne der Alliirten in das französische Hauptquartier.
Im festen Vertrauen auf die Stärke seiner Position und auf die Genauigkeit seiner Nachrichten, lebte der Marschall in seinem Zelte, wie er in seinem pariser Hotel zu leben gewohnt war. Er war zu gleicher Zeit ein Schwächling und ein Wüstling und in beiden Eigenschaften liebte er die Bequemlichkeit. Er bestieg fast nie sein Pferd. Leichte Conversation und Kartenspiel füllten den größten Theil seiner Zeit aus. Seine Tafel war luxuriös, und wenn er einmal bei Tische saß, war es gefährlich, ihn zu stören. Einige Spötter sagten, daß er sich bei seinen militärischen Dispositionen nicht ausschließlich durch militärische Gründe leiten lasse, daß er sich gewöhnlich an einem Orte verschanze, wo das Kalbfleisch und Geflügel besonders gut seien, und daß er stets darauf Bedacht nehme, sich diejenige Communication mit dem Meere frei zu halten, die ihm vom September bis zum April eine regelmäßige Zufuhr von Sandwich-Austern sicherte. Wenn es in der Nähe seines Lagers hübsche Frauen gab, so waren sie in der Regel bei seinen Gastmählern zu finden. Man kann leicht denken, daß unter einem solchen Befehlshaber die jungen Prinzen und Edelleute Frankreich’s in Glanz und Galanterie mit einander wetteiferten.[27]
Während er sich so auf seine gewohnte Art amüsirte, kamen die verbündeten Fürsten dahinter, daß ihre Beschlüsse verrathen wurden. Ein Landmann fand einen Brief, der verloren worden war, und brachte ihn dem Kurfürsten von Baiern. Dieser Brief enthielt klare Beweise von Millevoix’ Schuld. Wilhelm hegte die Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, seine Feinde in der Schlinge zu fangen, die sie ihm gelegt hatten. Der treulose Sekretär wurde vor den König citirt und wegen seines Verbrechens zur Rede gesetzt. Man gab ihm eine Feder in die Hand, hielt ihm ein Pistol auf die Brust und befahl ihm bei Strafe des augenblicklichen Todes zu schreiben. Sein von Wilhelm dictirter Brief wurde sodann ins französische Lager gesandt. Luxemburg wurde darin benachrichtigt, daß die Alliirten am folgenden Tage ein starkes Fouragirungscorps zu entsenden gedächten. Um dieses Detachement vor Belästigung zu schützen, würden in der Nacht einige Bataillone Infanterie, von Artillerie begleitet, ausrücken, um die zwischen den beiden Armeen gelegenen Defilés zu besetzen. Der Marschall las, glaubte und begab sich zur Ruhe, während Wilhelm eifrig seine Vorkehrungen zu einem allgemeinen Angriff auf die französischen Linien betrieb.
Die ganze verbündete Armee stand unter Waffen, als es noch dunkel war. Mit dem Grauen des Morgens wurde Luxemburg durch Kundschafter geweckt, die ihm die Nachricht brachten, daß der Feind in bedeutender Stärke anrücke. Er nahm die Mittheilung anfangs sehr leicht. Sein Correspondent schien, wie gewöhnlich, umsichtig und exact gewesen zu sein. Der Prinz von Oranien hatte ein Detachement zum SchutzeXIX.20 seiner Fourageurs entsendet, und der Schrecken hatte dieses Detachement zu einer gewaltigen Armee vergrößert. Doch eine beunruhigende Nachricht folgte der andren auf dem Fuße. Alle Pässe, hieß es, wimmelten von Massen von Infanterie, Cavallerie und Artillerie unter den Bannern England’s, Spanien’s, der Vereinigten Provinzen und des deutschen Reichs, und jede Colonne bewege sich gegen Steenkerke. Jetzt stand der Marschall endlich auf, stieg zu Pferde und ritt aus, um zu sehen was vorging.
Inzwischen war die Vorhut der Alliirten bis dicht an seine Vorposten herangekommen. Etwa eine halbe Meile von seiner Armee lagerte eine Brigade, welche den Namen der Provinz Bourbonnais führte. Diese Truppen hatten den ersten Anprall auszuhalten. Erstaunt und von panischem Schrecken ergriffen, wurden sie in einem Augenblicke geworfen und suchten ihr Heil in der Flucht, ihre Zelte und sieben Kanonen dem Feinde überlassend.
Soweit waren Wilhelm’s Pläne mit vollständigem Erfolge gekrönt worden; jetzt aber begann das Glück sich gegen ihn zu wenden. Er war über die Beschaffenheit des zwischen der Stellung der Brigade Bourbonnais und dem Hauptlager des Feindes liegenden Terrains falsch berichtet worden. Er hatte erwartet, daß er im Stande sein würde, ohne allen Aufenthalt vorwärts zu dringen, daß er die französische Armee in einem Zustande wilder Verwirrung finden und daß sein Sieg leicht und vollständig sein würde. Aber er wurde durch mehrere Hecken und Gräben in seinem Vorrücken gehemmt, es entstand ein kurzer Aufenthalt, und dieser kurze Aufenthalt reichte hin, sein Vorhaben zu vereiteln. Luxemburg war ganz der Mann für einen solchen Fall. Er hatte große Fehler begangen, er hatte sorglose Wacht gehalten, er hatte Nachrichten, die sich als falsch erwiesen, blind geglaubt, er hatte Nachrichten, die sich als wahr erwiesen, nicht beachtet, eine seiner Divisionen war in wilder Flucht begriffen, die anderen Divisionen waren nicht kampfbereit. Eine solche Krisis würde die Geisteskräfte eines gewöhnlichen Feldherrn gelähmt haben; die Geisteskräfte Luxemburg’s wurden dadurch nur gestählt und zu erhöhter Thätigkeit angeregt. Sein Geist, ja auch sein kränklicher und verwachsener Körper schienen aus Mißgeschick und Schrecken Gesundheit und Kraft zu schöpfen. In kurzer Zeit hatte er Alles angeordnet. Die französische Armee stand in Schlachtordnung. Unter dieser großen Armee zeichneten sich besonders die Haustruppen Ludwig’s, das berühmteste Corps streitbarer Männer in Europa aus, und an ihrer Spitze erschien, strahlend von eilig übergeworfenen Tressen und Stickereien, ein Schwarm junger Prinzen und Cavaliere, die eben erst durch die Trompeten von ihren Lagern oder ihren Banketten aufgeschreckt worden waren, und die sich beeilt hatten, dem Tode mit der heiteren und festlichen Unerschrockenheit ins Angesicht zu schauen, welche dem französischen Gentleman eigen ist. Am höchsten im Range unter diesen vornehmen Kriegern stand ein sechzehnjähriger Jüngling, Philipp, Herzog von Chartres, Sohn des Herzogs von Orleans und Neffe des Königs von Frankreich. Nur mit Mühe und durch dringendes Bitten hatte der tapfere Knabe Luxemburg die Erlaubniß entrissen, sich dahin begeben zu dürfen, wo das Feuer am heißesten war. Zwei andere Jünglinge von königlichem Geblüt, Ludwig, Herzog von Bourbon, und Armand, Prinz von Condé, bewiesen einen ihrer Ahnherren würdigen Muth. Neben ihnen kämpfte ein Abkömmling der Bastarde Heinrich’s IV., Ludwig, Herzog von Vendome, ein in Trägheit und in die niedrigsten Laster versunkenerXIX.21 Mensch, der aber dennoch fähig war, bei einer großen Gelegenheit die Eigenschaften eines großen Soldaten zu entfalten. Auch Berwick war darunter, der sich einen ehrenvollen Namen in den Waffen zu erwerben begann, und an seiner Seite ritt Sarsfield, der sich durch seinen Muth und sein Talent an diesem Tage die Achtung der ganzen französischen Armee verdiente. Unterdessen hatte Luxemburg einen Eilboten abgesandt, um Boufflers herbeizurufen. Aber die Botschaft war überflüssig. Boufflers hatte das Feuer gehört, und als ein tapferer und intelligenter Heerführer eilte er bereits dem Punkte zu, von woher das Geräusch kam.
Obgleich die Angreifenden den ganzen Vortheil eines Ueberfalles verloren hatten, rückten sie doch beherzt heran. Im Vordertreffen marschirten die Briten unter den Befehlen des Grafen Solms. Mackay’s Division sollte vorangehen, und ihn sollte nach Wilhelm’s Plan ein starkes Corps Infanterie und Cavallerie unterstützen. Obwohl die meisten von Mackay’s Leuten noch nie im Feuer gestanden hatten, versprach ihr Benehmen doch an Blenheim und Ramilies zu erinnern. Sie stießen zuerst auf die Schweizer, welche in der französischen Armee eine ausgezeichnete Stelle einnahmen. Der Kampf war so dicht Mann gegen Mann und so verzweifelt, daß die Mündungen der Gewehre sich kreuzten. Die Schweizer wurden unter einem furchtbaren Blutbade zurückgeworfen. Mehr als achtzehnhundert Mann von ihnen wurden nach den französischen Listen getödtet oder verwundet. Luxemburg äußerte nachher, daß er nie in seinem Leben einen so wüthenden Kampf gesehen habe. Er holte eiligst die Ansichten der ihn umgebenden Generäle ein. Alle waren der Meinung, die Lage der Dinge sei eine solche, gegen die gewöhnliche Mittel nicht ausreichten. Die königlichen Haustruppen mußten die Engländer angreifen. Der Marschall gab die Parole, und die Haustruppen, geführt von den Prinzen von Geblüt, rückten mit geschultertem Gewehr heran. „Das Schwert zur Hand!” erscholl es durch alle Reihen dieser furchtbaren Brigade; „das Schwert zur Hand! kein Feuern! Schlagt sie mit dem kalten Stahl zu Boden!” Nach langer und verzweifelter Gegenwehr wurden die Engländer geworfen. Sie hörten nie auf zu wiederholen, daß, wenn Solms seine Schuldigkeit gegen sie gethan hätte, sie selbst die Haustruppen geschlagen haben würden. Aber Solms gewährte ihnen keine wirksame Unterstützung. Er ließ einige Cavallerie vorgehen, die aber in Folge der Bodenbeschaffenheit wenig oder nichts thun konnte. Seine Infanterie ließ er nicht von der Stelle. Sie könne nichts nützen, sagte er, und er habe nicht Lust, sie zur Schlachtbank zu schicken. Ormond wäre sehr gern zur Unterstützung seiner Landsleute herbeigeeilt, aber er durfte nicht. Mackay sandte einen Eilboten und ließ sagen, daß er und seine Leute dem sicheren Untergange preisgegeben seien; aber es war Alles vergebens. „Nun wohl, Gottes Wille geschehe,” sagte der tapfere Veteran. Er starb wie er gelebt hatte: als ein guter Christ und ein guter Soldat. Mit ihm fielen Douglas und Lanier, zwei unter den Besiegern Irland’s ausgezeichnete Generäle. Auch Mountjoy war unter den Gefallenen. Nachdem er drei Jahre in der Bastille geschmachtet, war er gegen Richard Hamilton ausgewechselt worden, und, durch erfahrene Unbilden, die mächtiger waren als alle Argumente Locke’s und Sidney’s, zum Whiggismus bekehrt, war er unverzüglich als Freiwilliger in Wilhelm’s Lager geeilt. Fünf schöne Regimenter wurden völlig zusammengehauen. Es würde vielleicht kein Mann von dieser opferfreudigen Schaar davongekommen sein ohne den MuthXIX.22 und das Benehmen Auverquerque’s, der im Augenblicke der höchsten Bedrängniß mit zwei frischen Bataillonen zur Hülfe herbeieilte. Noch lange erinnerte man sich an den britischen Wachfeuern mit dankbarer Bewunderung der Tapferkeit, mit der er die Ueberreste von Mackay’s Division befreite. Der Boden, auf dem der Kampf gewüthet, war mit Haufen von Leichen bedeckt, und Die, welche die Erschlagenen begruben, bemerkten, daß fast alle Wunden vom Säbel oder Bajonnet herrührten.
Man erzählte sich, Wilhelm habe seine gewohnte stoische Ruhe soweit vergessen, daß er eine heftige Aeußerung that über die Art und Weise der Hinopferung der englischen Regimenter. Bald jedoch erlangte er seinen Gleichmuth wieder und beschloß den Rückzug anzutreten. Es war hohe Zeit, denn die französische Armee verstärkte sich mit jedem Augenblicke, da die von Boufflers befehligten Regimenter in rascher Aufeinanderfolge herbeikamen. Die alliirte Armee zog sich in guter Ordnung und ohne verfolgt zu werden, auf Lambeque zurück.[28]
Die Franzosen gestanden ein, daß sie ungefähr siebentausend Todte und Verwundete hatten. Der Verlust der Alliirten war nur sehr wenig größer, wenn er überhaupt größer war. Die relative Stärke der beiden Armeen war die nämliche wie am vergangenen Tage, und sie blieben in ihren bisherigen Stellungen. Aber der moralische Eindruck der Schlacht war groß. Der Stern von Wilhelm’s Ruhm begann zu erbleichen. Selbst seine Bewunderer mußten zugeben, daß er im Felde Luxemburg nicht gewachsen sei. In Frankreich wurde die Nachricht mit maßlosem Jubel und Stolze aufgenommen. Der Hof, die Hauptstadt, selbst das Landvolk der entlegensten Provinzen freute sich über die ungestüme Tapferkeit, die so viele Jünglinge, die Erben berühmter Namen, an den Tag gelegt hatten. Man erzählte sich mit Freude und Rührung im ganzen Lande, daß der junge Herzog von Chartres durch keine Vorstellungen sich von der Gefahr habe zurückhalten lassen, daß eine Kugel seinen Mantel durchlöchert habeXIX.23 und daß er an der Schulter verwundet worden sei. Das Volk versammelte sich längs der Straßen, um die von Steenkerke zurückkehrenden Prinzen und Cavaliere zu sehen. Die Juweliere verfertigten Schnallen à la Steenkerke, die Parfümeriehändler verkauften Pulver à la Steenkerke. Besonders aber wurde der Name des Schlachtfeldes einer neuen Art Halsbinde gegeben. Die Modeherren trugen damals Spitzenhalstücher, die sie mit großer Sorgfalt zu knüpfen pflegten. In dem schreckensvollen Augenblicke aber als die Brigade Bourbonnais vor dem Angriffe der Alliirten floh, war keine Zeit, sich zu putzen, und die elegantesten Herren vom Hofe kamen mit ungeordneten Cravatten vor die Front der Schlachtlinie gesprengt. Es wurde daher bei der Pariser schönen Welt Mode, Tücher von den feinsten Spitzen in gesuchter Unordnung um den Hals zu tragen, und diese Tücher hießen Steenkerkes.[29]
Im Lager der Alliirten herrschte allgemeine Uneinigkeit und Unzufriedenheit. Nationale Eifersüchteleien und Animositäten wütheten rückhaltlos und unverhohlen. Die Entrüstung der Engländer äußerte sich laut. Solms war, obgleich Diejenigen, die ihn genau kannten, ihm einige schätzenswerthe Eigenschaften nicht absprachen, nicht der Mann, Soldaten für sich zu gewinnen, die gegen ihn als Ausländer eingenommen waren. Sein Benehmen war anmaßend, sein Character unbiegsam. Schon vor der unglücklichen Schlacht von Steenkerke verkehrten die englischen Offiziere nicht gern mit ihm, und die gemeinen Soldaten murrten über sein barsches Wesen. Nach der Schlacht aber wurde das Geschrei gegen ihn wüthend. Er wurde, vielleicht mit Unrecht, beschuldigt, während des verzweifelten Kampfes der englischen Regimenter gegen eine große Uebermacht mit gefühlloser Leichtfertigkeit geäußert zu haben, daß er neugierig sei, wie die Bulldoggen sich herausbeißen würden. Würde jetzt noch, fragte man, Jemand behaupten, daß er seiner hervorragenden Geschicklichkeit und Erfahrung wegen über so viele englische Offiziere gestellt worden sei? Es sei gebräuchlich zu sagen, daß diese Offiziere noch niemals Krieg in großem Maßstabe gesehen hätten. Aber sicherlich sei auch der unerfahrenste Neuling befähigt das zu thun was Solms gethan habe: Befehle falsch zu verstehen, Cavallerie zu Diensten zu verwenden, die nur Infanterie verrichten könne, und aus sicherer Entfernung zuzusehen, während tapfere Männer in Stücke gehauen würden. Es sei zuviel, zu gleicher Zeit beschimpft und aufgeopfert, von den Ehren des Kriegs ausgeschlossen und doch den ärgsten Gefahren desselben entgegengeworfen, als ungeschickte Rekruten verhöhnt und dann ohne Beistand dem Kampfe mit dem schönsten Corps Veteranen von der Welt überlassen zu werden. So lauteten die Klagen der englischen Armee, und sie fanden bei der englischen Nation Wiederhall.
Zum Glück wurde um diese Zeit eine Entdeckung gemacht, welche dem Lager von Lambeque wie den Kaffeehäusern London’s einen Unterhaltungsstoff lieferte, der den Jakobiten viel weniger angenehm war als die Niederlage von Steenkerke.
Seit einigen Monaten war im französischen Kriegsministerium ein Complot gegen das Leben Wilhelm’s geschmiedet worden. Wie es scheint, hatte Louvois ursprünglich den PlanXIX.24 entworfen und ihn, in rohen Umrissen, seinem Sohne und Nachfolger Barbesieux hinterlassen. Barbesieux brachte die Idee zur Reife. Die Ausführung wurde einem Offizier, Namens Grandval, übertragen. Grandval war ohne Widerrede tapfer und voll Begeisterung für sein Vaterland und seine Religion. Er war zwar ein Fanatiker und nicht ganz bei Verstande, aber deshalb nicht minder gefährlich. Ein fanatischer und halb verrückter Mensch ist in der That gerade dasjenige Werkzeug, das schlaue Politiker in der Regel vorziehen, wenn etwas besonders Gefährliches auszuführen ist. Kein vorsichtig berechnender Kopf würde sich für noch so hohen Lohn dem Schicksale eines Chatel, eines Ravaillac oder eines Gerarts ausgesetzt haben.[30]
Grandval hatte sich, wie er wenigstens glaubte, den Beistand zweier Abenteurer, Dumont’s, eines Wallonen, und Leefdale’s, eines Holländers, gesichert. Im April, kurz nach Wilhelm’s Ankunft in den Niederlanden, erhielten die Mörder Befehl, sich auf ihren Posten zu begeben. Dumont war damals in Westphalen, Grandval und Leefdale in Paris. Uden war als der Ort bestimmt, wo die Drei zusammentreffen und von wo sie sich in das Hauptquartier der Alliirten begeben sollten. Ehe Grandval Paris verließ, stattete er noch einen Besuch in Saint-Germains ab und wurde Jakob und Marien von Modena vorgestellt. „Ich bin von Ihrem Vorhaben unterrichtet,” sagte Jakob. „Wenn Sie und Ihre Begleiter mir diesen Dienst erzeigen, soll es Ihnen nie an etwas fehlen.”
Nach dieser Audienz trat Grandval seine Reise an. Er hatte nicht die leiseste Ahnung davon, daß er sowohl von dem Complicen, der ihn begleitete, als auch von dem Complicen, mit dem er noch zusammentreffen sollte, verrathen war. Dumont und Leefdale waren keine Fanatiker; die Restauration Jakob’s, die Größe Ludwig’s und das Uebergewicht der römischen Kirche waren ihnen sehr gleichgültig. Jeder Verständige mußte einsehen, daß, mochte der Plan gelingen oder nicht, der Lohn der Mörder wahrscheinlich darin bestehen werde, daß sie von den Höfen von Versailles und Saint-Germains mit erheucheltem Abscheu desavouirt, und mit glühenden Zangen gezwickt, mit geschmolzenem Blei begossen und von vier Pferden zerrissen wurden. Für gewöhnliche Menschen hatte die Aussicht auf ein solches Märtyrerthum nichts Anziehendes. Jene beiden Männer hatten daher fast zu gleicher Zeit, wenn auch wie es scheint ohne vorgängige Verabredung, Wilhelm auf verschiedenen Wegen die Warnung zukommen lassen, daß sein Leben in Gefahr sei. Dumont hatte Alles dem Herzog von Celle, einem der verbündeten Fürsten, mitgetheilt, und Leefdale hatte durch seine in Holland wohnenden Verwandten ausführliche Nachrichten gegeben. Mittlerweile hatte Morel, ein schweizerischer Protestant von großer Gelehrsamkeit, der sich damals in Frankreich aufhielt, Burnet schriftlich mitgetheilt, daß man den schwachen und überspannten Grandval prahlend von einem Ereignisse habe sprechen hören, welches die Welt in Erstaunen setzen werde, und daß er mit großer Zuversicht prophezeit habe, der Prinz von Oranien werde das Ende des nächsten Monats nicht erleben.
XIX.25 Diese warnenden Winke wurden nicht unbeachtet gelassen. Von dem Augenblicke an wo Grandval die Niederlande betrat, war er von Fallstricken umgeben. Alle seine Bewegungen und Reden wurden beobachtet; er wurde festgenommen, verhört, mit seinen Complicen confrontirt und in das Lager der Alliirten geschickt. Ungefähr acht Tage nach der Schlacht von Steenkerke wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt. Ginkell, der für seine großen Dienste in Irland mit dem Titel eines Earl von Athlone belohnt worden war, führte den Vorsitz, und Talmash befand sich unter den Richtern. Mackay und Lanier waren ebenfalls zu Mitgliedern des Tribunals ernannt worden; aber sie waren nicht mehr, und ihre Plätze wurden daher durch jüngere Offiziere ausgefüllt.
Die Aufgabe des Kriegsgerichts war sehr einfach, denn der Gefangene machte gar keinen Versuch sich zu vertheidigen. Sein Gewissen schien plötzlich erwacht zu sein. Er gab mit Ausdrücken der Reue die Wahrheit aller Beschuldigungen zu, legte ein ausführliches und anscheinend aufrichtiges Geständniß ab und erkannte an, daß er den Tod verdient habe. Er wurde verurtheilt, gehängt, geschleift und geviertheilt zu werden, und erlitt seine Strafe mit großer Standhaftigkeit und einem Anschein von Frömmigkeit. Er hinterließ einige Zeilen, in denen er erklärte, daß er im Begriff stehe sein Leben zu verlieren, weil er den Befehlen Barbesieux’ zu gewissenhaft nachgekommen sei.
Sein Bekenntniß erschien alsbald gedruckt in mehreren Sprachen und wurde mit sehr verschiedenen und sehr heftigen Empfindungen gelesen. Daß es ächt war, konnte nicht bezweifelt werden, denn es war durch die Unterschriften einiger der ausgezeichnetsten lebenden Militärs verbürgt. Daß es von der Hoffnung auf Begnadigung eingegeben sein sollte, war kaum anzunehmen, denn Wilhelm hatte dafür gesorgt, jede derartige Hoffnung niederzuschlagen. Noch weniger konnte man annehmen, daß der Gefangene Unwahrheiten ausgesagt habe, um der Tortur zu entgehen, denn obgleich es in den Niederlanden allgemein gebräuchlich war, überführte Mörder auf die Folter zu spannen, um ihnen die Namen ihrer Auftraggeber und Mitschuldigen abzupressen, so hatte doch Wilhelm anbefohlen, bei dieser Gelegenheit die Folter weder anzuwenden noch auch nur zu nennen. Es muß hinzugesetzt werden, daß der Gerichtshof gar kein strenges Verhör mit dem Gefangenen anstellte, sondern ihm seine Geschichte nach seiner Weise erzählen ließ. Man darf daher wohl annehmen, daß seine Erzählung im Wesentlichen wahr ist, und kein Theil derselben trägt unverkennbarer den Stempel der Wahrheit als sein Bericht von der Audienz, mit der Jakob ihn in Saint-Germains beehrt hatte.
Auf unsrer Insel machte die Nachricht großes Aufsehen. Die Whigs nannten ganz offen Jakob sowohl als Ludwig Meuchelmörder. Wie, fragte man, sei es, ohne dem gesunden Menschenverstande Hohn zu sprechen, möglich, den Worten, welche Grandval aus dem Munde des verbannten Königs von England gehört zu haben erklärte, einen unschuldigen Sinn beizulegen? Und welcher Mensch, der den Hof von Versailles kenne, werde glauben, daß Barbesieux, ein bloßer Anfänger in der Politik und mehr Sekretär als Minister, gewagt haben würde, das was er gethan, ohne Bewilligung seines Gebieters zu thun? Sehr menschenfreundliche und sehr unwissende Personen könnten sich vielleicht der Hoffnung hingeben, daß Ludwig vor vollendeter Thatsache noch nicht Theilnehmer gewesen sei. Daß er aber nach vollendeter Thatsache Mitschuldiger gewesen sei, könneXIX.26 kein Mensch bezweifeln. Er müsse nothwendig das Verfahren des Kriegsgerichts, das Zeugenverhör und das Geständniß gesehen haben. Wenn er also wirklich den Meuchelmord verabscheute, wie jeder Ehrenmann ihn verabscheute, würde dann nicht Barbesieux mit Schimpf und Schande aus seiner Anwesenheit verbannt und in die Bastille geworfen worden sein? Barbesieux sei jedoch noch immer im Kriegsministerium, und Niemand behaupte, daß er nur mit einem Worte oder mit einem ungehaltenen Blicke bestraft worden sei. Es sei demnach klar, daß beide Könige an Grandval’s Verbrechen Theil hätten. Und wenn man frage, wie zwei Fürsten, die eine große Religiosität zur Schau trügen, eine solche Schändlichkeit hätten begehen können, so laute die Antwort darauf, daß sie ihre Religion von den Jesuiten gelernt hätten. Die englischen Jakobiten erwiederten sehr wenig auf diese Vorwürfe, und die französische Regierung erwiederte gar nichts darauf.[31]
Der Feldzug in den Niederlanden endete ohne ein weiteres Ereigniß, das erwähnt zu werden verdiente. Am 18. October traf Wilhelm wieder in England ein. Spät am Abend des 20. erreichte er Kensington, nachdem er durch die Hauptstadt in ihrer ganzen Länge gefahren war. Sein Empfang war herzlich, eine große Menschenmenge hatte sich versammelt, die ihn mit lauten Zurufen begrüßte, und alle Fenster auf seinem Wege, von Aldgate bis Piccadilly, waren erleuchtet.[32]
Trotz dieser günstigen Symptome aber war die Nation verstimmt und unzufrieden. Zu Lande war der Krieg unglücklich gewesen. Zur See war ein großer Vortheil errungen, aber nicht benutzt worden. Man hatte allgemein erwartet, daß dem Siege vom Mai eine Landung an der französischen Küste folgen, daß Saint-Malo bombardirt, daß die letzten Ueberreste von Tourville’s Geschwader vernichtet und daß die Arsenale von Brest und Rochefort in Trümmer geschossen werden würden. Diese Erwartung war allerdings unvernünftig. Daraus, daß Rooke und seine Seeleute die in aller Eile von Bellefonds errichteten Batterien zum Schweigen gebracht hatten, folgte noch nicht, daß es rathsam war, Schiffe dem Feuer ordentlicher Festungen auszusetzen. Die Regierung war jedoch nicht weniger sanguinisch als die Nation. Es wurden großartige Anstalten getroffen. Nachdem die verbündete Flotte in Portsmouth eiligst wieder in Stand gesetzt worden war, stach sie aufs neue in See. Rooke wurde abgesandt, um die Wassertiefe und die Strömungen längs der Küste der Bretagne zu untersuchen.[33] Bei Saint-Helens wurden Transportschiffe versammelt. VierzehntausendXIX.27 Mann Truppen lagen bei Portsdown unter dem Commando Meinhart Schomberg’s, der für die Dienste seines Vaters und für seine eigenen mit dem höchsten irischen Peersrange belohnt worden und jetzt Herzog von Leinster war. Unter ihm dienten Ruvigny, der für seine trefflichen Dienste bei Aghrim zum Earl von Galway creirt worden war, La Melloniere und Cambon mit ihren tapferen Refugiés und Argyle mit dem Regimente, das seinen Namen führte und das, wie man sich zu erzählen begann, im vergangenen Winter in einer noch von keinem Engländer erforschten wilden Gebirgs- und Schneegegend etwas Sonderbares und Entsetzliches gethan haben sollte.
Am 26. Juli waren sämmtliche Truppen an Bord. Die Transportschiffe segelten ab und vereinigten sich nach wenigen Stunden in der Nähe von Portland mit der Kriegsflotte. Am 28. wurde ein allgemeiner Kriegsrath gehalten. Sämmtliche Schiffcommandeurs, mit Russell an der Spitze, erklärten, daß es Wahnsinn sein würde, ihre Schiffe in den Bereich der Kanonen von Saint-Malo zu bringen, und daß die Stadt erst zu Lande bedrängt werden müsse, ehe die im Hafen liegenden Kriegsschiffe mit der geringsten Aussicht auf Erfolg von der See her angegriffen werden könnten. Die Militärs erklärten mit gleicher Einstimmigkeit, daß die Landtruppen ohne gleichzeitige Mitwirkung der Flotte nichts gegen die Stadt auszurichten vermöchten. Man überlegte nun, ob es rathsam sei, einen Angriff auf Brest oder Rochefort zu unternehmen. Russell und die übrigen Flaggenoffiziere, darunter Rooke, Shovel, Almonde und Evertsen, erklärten, der Sommer sei für beide Unternehmungen zu weit vorgerückt.[34] Wir müssen glauben, daß eine Ansicht, in der so viele ausgezeichnete englische und holländische Admirale übereinstimmten, mag sie uns auch noch so auffallend erscheinen, den damals feststehenden Prinzipien der Seekriegskunst angemessen war. Warum aber alle diese Fragen nicht acht Tage früher erschöpfend berathen, warum vierzehntausend Mann Truppen eingeschifft und aufs Meer geschickt worden waren, ehe man erwogen hatte, was sie thun sollten oder ob sie überhaupt etwas würden thun können, darüber dürfen wir uns mit Recht wundern. Die Flotte kehrte zum Erstaunen und Unwillen der ganzen Nation nach Saint-Helens zurück.[35] Die Minister tadelten die Commandeurs, die Commandeurs tadelten die Minister. Ganz besonders laut und heftig waren die gegenseitigen Beschuldigungen zwischen Nottingham und Russell. Der rechtschaffene und fleißige, in den Civilgeschäften wohlbewanderte und in der parlamentarischen Debatte beredtsame Nottingham entbehrte der Eigenschaften eines Kriegsministers und war sich seiner Mangelhaftigkeit in dieser Beziehung keineswegs bewußt. Zwischen ihm und dem ganzen Stande der Seeleute von Profession herrschte eine schon seit langer Zeit währende Fehde. Er war einige Zeit vor der Revolution einer der Lords der Admiralität gewesen und glaubte sich damals eine gründliche Kenntniß der Marineangelegenheiten erworben zu haben. Diese Ansicht theilten jedoch nur sehr Wenige. Männer, welche die Hälfte ihres Lebens auf demXIX.28 Wasser zugebracht und Schlachten, Stürme und Schiffbrüche gesehen hatten, ärgerten sich über seine etwas pomphaften Sermone und Verweise und erklärten ihn für einen bloßen Pedanten, der mit aller seiner Büchergelehrsamkeit Dinge nicht verstehe, die jeder Kajütenjunge wisse. Russell war stets eigensinnig, anmaßend und widerspenstig gewesen, und jetzt entwickelten Glück und Ruhm seine Fehler zu voller Stärke. Der Regierung gegenüber, die er gerettet hatte, nahm er sich alle Freiheiten eines insolenten Dieners heraus, der sich für unentbehrlich hält, behandelte die Befehle seiner Vorgesetzten mit geringschätzender Leichtfertigkeit, nahm jeden auch noch so milden Tadel für eine Beleidigung, lieferte keinen eigenen Plan und zeigte doch eine unmuthige Entschlossenheit, keinen von irgend einem Andren vorgeschlagenen Plan auszuführen. Gegen Nottingham empfand er eine starke und sehr natürliche Antipathie. Sie waren in der That ein schlecht zusammenpassendes Paar. Nottingham war ein Tory, Russell ein Whig. Nottingham war ein spekulativer Seemann, der auf seine Theorien pochte, Russell ein praktischer Seemann, der auf seine Thaten stolz war. Nottingham’s Stärke war die Rede, Russell’s Stärke war das Handeln. Nottingham’s Benehmen war anständig bis zur Förmlichkeit; Russell war heftig und barsch. Schließlich war Nottingham ein braver Mann, Russell ein Schurke. Sie wurden jetzt Todfeinde. Der Admiral machte sich über die Unwissenheit des Sekretärs in Marineangelegenheiten lustig; der Secretär beschuldigte den Admiral, daß er die Interessen des Staats bloßen eigensinnigen Launen aufopfere, und Beide hatten Recht.[36]
Während sie mit einander haderten, erhoben die Kaufleute aller Hafenplätze des Königreichs ein lautes Geschrei über die Marineverwaltung. Den Sieg, auf den die Nation so stolz war, erklärte man in der City für ein positives Unglück. Während einiger Monate vor der Schlacht war die ganze Seemacht des Feindes in zwei großen Massen concentrirt gewesen, die eine im mittelländischen, die andre im atlantischen Meere. In Folge dessen hatte es wenig Kaperei gegeben, und die Reise nach Neuengland oder nach Jamaika war fast eben so gefahrlos gewesen wie in Friedenszeiten. Seit der Schlacht aber waren die Ueberreste der vor kurzem unter Tourville versammelt gewesenen Flotte über den Ocean zerstreut. Selbst die Ueberfahrt von England nach Irland war unsicher. Jede Woche wurde angekündigt, daß zwanzig, dreißig, fünfzig Schiffe, welche London oder Bristol gehörten, von den Franzosen weggenommen worden seien. Mehr als hundert Prisen waren diesen Herbst allein nach Saint-Malo gebracht worden. Nach der Meinung der Schiffseigner und der Assecuradeurs würde es weit besser gewesen sein, wenn der Soleil Royal mit seinen tausend streitbaren Männern noch auf hoher See geschwommen wäre, anstatt daß er wie ein Aschenhaufen am Strande bei Cherbourg lag, während seine Mannschaft, auf zwanzig Brigantinen vertheilt, in den Gewässern zwischen Cap Finisterre und Cap Clear nach Beute umherkreuzte.[37]
XIX.29 Die Kaper von Dünkirchen waren schon seit langer Zeit berühmt, und unter ihnen nahm Jean Bart, von niederer Herkunft und kaum im Stande seinen Namen zu schreiben, aber ausgezeichnet tapfer und rührig, unbestritten den ersten Rang ein. In dem Vaterlande Anson’s und Hawke’s, Howe’s und Rodney’s, Duncan’s, Saint-Vincent’s und Nelson’s würde der Name des verwegensten und geschicktesten Corsaren wenig Aussicht gehabt haben, in der Erinnerung fortzuleben. Frankreich aber, unter dessen vielen unbestrittenen Ruhmestiteln nur sehr wenige dem Seekriege angehören, zählt Jean Bart noch immer zu seinen großen Männern. Im Herbste des Jahres 1692 war dieser unternehmende Freibeuter der Schrecken aller mit der Ostsee Handel treibenden englischen und holländischen Kaufleute. Er nahm und zerstörte Schiffe dicht an der Ostküste unsrer Insel. Ja, er wagte es sogar in Northumberland zu landen, und verbrannte viele Häuser, ehe die Milizen zusammengezogen werden konnten, um ihm auf den Leib zu rücken. Der Werth der Prisen, die er in seinen heimathlichen Hafen führte, wurde auf ungefähr hunderttausend Pfund Sterling geschätzt.[38] Um die nämliche Zeit wurde einem jüngeren Abenteurer, der bestimmt war, Bart zu erreichen oder noch zu übertreffen, Du Guay Trouin, das Commando eines kleinen bewaffneten Fahrzeugs übertragen. Der unerschrockene Knabe — denn er war noch nicht zwanzig Jahr alt — fuhr in die Mündung des Shannon, plünderte ein Haus in der Grafschaft Clare und schiffte sich nicht eher wieder ein, als bis ein Detachement der Garnison von Limerick gegen ihn ausrückte.[39]
Während durch diese Seeräuber unser Handel gestört und unsere Küsten bedroht wurden, vermehrten einige andere Calamitäten, die keine menschliche Vorsicht hätte abwenden können, die öffentliche Verstimmung. Ein Erdbeben von furchtbarer Heftigkeit zerstörte binnen weniger als drei Minuten die blühende Colonie Jamaika. Ganze Pflanzungen veränderten ihre Lage, ganze Dörfer wurden verschlungen. Port Royal, die schönste und reichste Stadt, welche die Engländer bis dahin in der neuen Welt erbaut hatten, berühmt wegen ihrer Quais, ihrer Waarenmagazine und ihrer prächtigen Straßen, die mit Cheapside gewetteifert haben sollen, wurde in einen Trümmerhaufen verwandelt. Funfzehnhundert Einwohner wurden unter ihren eigenen Häusern begraben. Die Folgen dieses Unglücks wurden von vielen großen Handlungshäusern London’s und Bristol’s schwer empfunden.[40]
Ein noch größeres Unglück war das Mißrathen der Ernte. Der Sommer war im ganzen westlichen Europa naß gewesen. Die starken Regengüsse, welche die Arbeiten der französischen Pioniere in den Laufgräben von Namur erschwert hatten, waren auch den Feldfrüchten verderblich gewesen. Alte Leute erinnerten sich seit 1648 keines solchen Jahres. Keine Frucht wurde reif. Der Preis des Quarters Weizen verdoppelte sich. Das Uebel wurde noch verschlimmert durch den Zustand der Silbermünzen, die in einem solchen Umfange beschnittenXIX.30 worden waren, daß die Worte Pfund und Schilling gar keine bestimmte Bedeutung mehr hatten. Verglichen mit Frankreich konnte England sich indeß noch glücklich schätzen. Hier waren die öffentlichen Lasten schwer, dort waren sie erdrückend. Hier mußte der Arbeiter mit seinem groben Gerstenbrot haushälterisch umgehen; dort geschah es nicht selten, daß der unglückliche Landmann mit halbgekautem Grase im Munde todt gefunden wurde. Unsere Vorfahren fanden einigen Trost in dem Gedanken, daß sie nach und nach die Stärke ihres furchtbaren Feindes erschöpften und daß seine Hülfsquellen wahrscheinlich eher versiegen würden als die ihrigen. Doch die Leiden und die Unzufriedenheit waren immerhin groß. In einigen Grafschaften griff der Pöbel die Getreidespeicher an. Die Nothwendigkeit sich einzuschränken wurde von Familien jeden Standes erkannt. Ein müßiger Schöngeist und Genußmensch, der schwerlich daran gedacht hat, daß seine Scherze je citirt werden würden, um die Geschichte seiner Zeit zu characterisiren, beklagt sich, daß in diesem Jahre der Wein von vielen Tafeln, auf denen man ihn zu sehen gewohnt war, verschwunden gewesen und durch Punsch ersetzt worden sei.[41]
Ein weit beunruhigenderes Symptom des allgemeinen Nothstandes als die Substituirung des Clarets durch Branntwein und Citronen war die Vermehrung der Verbrechen. Während des Herbstes von 1692 und des darauffolgenden Winters wurde die Hauptstadt durch Einbruchdiebstähle in beständiger Angst erhalten. Eine dreizehn Mann starke Diebesbande drang in den Palast des Herzogs von Ormond in Saint-James’ Square und es wäre ihr fast gelungen sein prächtiges Silbergeschirr und seine Juwelen zu entwenden. Eine andre Bande versuchte einen Einbruch in Lambeth Palace.[42] Wenn herrschaftliche, von zahlreichen Dienern bewachte Wohnungen in solcher Gefahr schwebten, so wird man leicht glauben, daß keines Krämers Kasse und Waarenlager sicher war. Von Bow bis Hydepark, von Thames Street bis Blomsbury war kein Kirchspiel, in welchem nicht eine ruhige Wohnung durch nächtliche Diebe geplündert worden wäre.[43] Zu gleicher Zeit waren die Heerstraßen wegen der Freibeuter, die sich in stärkere Truppen formirten, als man sie bis dahin gekannt hatte, kaum noch zu passiren. Es existirte ein geschworner Bund von zwanzig Straßenräubern zu Fuß, die in einem Alehause in Southwark ihre Zusammenkünfte hielten.[44] Die gefürchtetste Räuberbande aber bestand aus zweiundzwanzig Berittenen.[45] Eine Reise von fünfzig Meilen durch die reichsten und bevölkertsten Grafschaften England’s scheint damals eben so gefährlich gewesen zu sein, wie eine Wanderung durch die Wüsten Arabien’s. Die Diligence von Oxford wurde am hellen Tage nach einem blutigen Kampfe ausgeplündert.[46] Ein mit funfzehntausend Pfund Sterling Staatsgeldern befrachteter Wagen wurde angehalten und ausgeraubt. Da dieseXIX.31 Operation einige Zeit erforderte, so wurden alle Reisenden, die während der Arbeit der Diebe zur Stelle kamen, festgenommen und bewacht. Als die Beute in Sicherheit gebracht war, durften die Gefangenen zu Fuß ihren Weg fortsetzen; aber ihre Pferde, sechzehn bis achtzehn an der Zahl, wurden todtgeschossen oder ihnen die Knieflechsen zerschnitten, um jede Verfolgung zu verhindern.[47] Der Postwagen von Portsmouth wurde in einer Woche zweimal durch wohlbewaffnete und berittene Männer beraubt.[48] Einige joviale Squires aus Essex wurden auf einer Hasenjagd ihrerseits von neun Jägern ganz andrer Art gehetzt und eingeholt und waren herzlich froh, als sie, wenn auch mit leeren Taschen, wieder zu Hause anlangten.[49]
Die Freunde der Regierung behaupteten, die Räuber seien lauter Jakobiten, und gewisse Anzeichen gaben dieser Behauptung in der That einen Schein von Begründung. Es wurden zum Beispiel funfzehn Metzger, welche an einem Markttage nach Thame gingen, um Vieh einzukaufen, von einer starken Bande angehalten und zuerst gezwungen ihre Geldkatzen herzugeben und dann Branntwein auf das Wohl König Jakob’s zu trinken.[50] Man muß jedoch den Räubern und Dieben die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie bei Ausübung ihres Handwerks keine bestimmte Vorliebe für irgend eine politische Partei zeigten. Einige von ihnen begegneten in der Nähe von Saint-Albans Marlborough und zwangen ihn, ungeachtet seiner bekannten Feindseligkeit gegen den Hof und seiner kürzlichen Haft, fünfhundert Guineen herauszugeben, deren Verlust er wahrscheinlich bis zum letzten Augenblicke seiner langen Laufbahn des Glücks und Ruhms nicht aufhörte zu beklagen.[51]
Als Wilhelm bei seiner Zurückkunft vom Continent erfuhr, in welcher Ausdehnung dieses Unwesen getrieben wurde, äußerte er eine tiefe Entrüstung und kündigte seinen Entschluß an, die Uebelthäter mit starker Hand zu unterdrücken. Ein alter ausgedienter Räuber wurde bewogen, den Angeber zu machen und dem Könige eine lange Liste der bedeutendsten Straßenräuber und einen vollständigen Nachweis über ihre Gewohnheiten und ihre Lieblingsaufenthaltsorte vorzulegen. Diese Liste soll nicht weniger als achtzig Namen enthalten haben.[52] Es wurden starke Reitertrupps zum Schutze der Landstraßen ausgesandt, und diese Maßregel, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen lautes Murren hervorgerufen haben würde, scheint allgemein gebilligt worden zu sein. Ein schönes Regiment, gegenwärtig das zweite Gardedragonerregiment genannt, das sich in Irland durch Thätigkeit und Glück im unregelmäßigen Kriege gegen die Rapparees ausgezeichnet hatte, wurde dazu auserwählt, mehrere von den großen Zugängen zur Hauptstadt zu bewachen. Blackheath, Barnet, Hounslow wurden Waffenplätze.[53] Nach wenigen Wochen waren die Straßen wiederXIX.32 so sicher wie sonst. Es fanden zahlreiche Hinrichtungen statt, denn bis das Uebel vollständig unterdrückt war, weigerte sich der König standhaft, irgend einem Gnadengesuche Gehör zu geben.[54] Unter den Hingerichteten befand sich auch Jakob Whitney, der berüchtigtste Räuberhauptmann im ganzen Königreiche. Er war einige Monate lang der Schrecken aller von London nordwärts oder westwärts Reisenden gewesen und wurde endlich mit Mühe nach einem verzweifelten Kampfe, in welchem ein Soldat getödtet und mehrere andere verwundet wurden, gefangen genommen.[55] Die London Gazette zeigte die Gefangennehmung dieses berüchtigten Straßenräubers an und forderte alle Diejenigen, welche von ihm beraubt worden waren, auf, sich in Newgate einzufinden und zu sehen, ob sie ihn wiedererkennten. Seine Identität festzustellen, konnte nicht schwer sein, denn er hatte eine Wunde im Gesicht und einen Daumen verloren.[56] Aber er verwendete in der Hoffnung, die Belastungszeugen irre zu führen, hundert Pfund Sterling darauf, sich bis zum Tage der Gerichtsverhandlungen einen kostbaren gestickten Anzug zu verschaffen. Dieser sinnreiche Einfall wurde jedoch durch seine hartherzigen Hüter vereitelt. Er kam in seinen gewöhnlichen Kleidern vor die Schranke und wurde überführt und zum Tode verurtheilt.[57] Er hatte vorher noch den Versuch gemacht, sich durch das Anerbieten loszukaufen, eine aus lauter Straßenräubern bestehende Reitertruppe für den Dienst in Flandern zu errichten; aber sein Anerbieten war abgelehnt worden.[58] Jetzt blieb ihm noch ein möglicher Ausweg. Er erklärte, daß er um ein hochverrätherisches Complot wisse. Einige jakobitische Lords hätten ihm eine große Belohnung versprochen, wenn er an der Spitze seiner Bande den König auf einer Hirschjagd im Walde von Windsor überfallen wolle. Whitney’s Geschichte hatte durchaus keine innere Unwahrscheinlichkeit. Es wurde sogar ein ganz ähnlicher Plan, wie der, dessen er die Mißvergnügten beschuldigte, nur drei Jahre später von einigen von ihnen wirklich entworfen und beinahe zur Ausführung gebracht. Aber es war viel besser, daß einige wenige schlechte Menschen unbestraft blieben, als daß alle rechtschaffenen Leute in beständiger Angst lebten, von zum Galgen verurtheilten Verbrechern fälschlich angeklagt zu werden. Der Oberrichter Holt rieth dem Könige, der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen, und Wilhelm, der nie besonders geneigt war, Verschwörungsgeschichten Glauben zu schenken, gab seine Zustimmung. Der Kapitain, wie man ihn nannte, wurde in Smithfield gehängt und ging sehr reumüthig aus der Welt.[59]
Unterdessen hatte inmitten der Mißstimmung, Noth und Unordnung eine ganz besonders ereignißvolle Parlamentssession begonnen, eine Session, von der eine neue Aera in der Geschichte der englischen Finanzen datirt, eine Session, inXIX.33 welcher einige wichtige Verfassungsfragen, die noch heute nicht vollständig erledigt sind, zum ersten Male berathen wurden.
Es ist sehr zu bedauern, daß jeder Bericht von dieser Session, der sich aus den uns jetzt noch zu Gebote stehenden spärlichen und zerstreuten Materialien zusammenstellen läßt, Vieles im Dunklen lassen muß. Die gegenseitigen Beziehungen der parlamentarischen Parteien waren dieses Jahr in einem äußerst verwickelten Zustande. Jedes der beiden Häuser wurde durch mehrere Scheidelinien in Abtheilungen und Unterabtheilungen zerfällt. Unwichtigerer Unterscheidungen nicht zu gedenken, war zuerst die große Scheidelinie, welche die Whigpartei von der Torypartei trennte; dann die große Scheidelinie, welche die Staatsmänner mit ihren Freunden und ihren Anhängern, zuweilen die Hofpartei genannt, von Denen trennte, denen man bald den Spottnamen der Murrköpfe (Grumbletonians) gab, bald mit der Benennung der Vaterlandspartei beehrte. Und diese beiden großen Linien durchschnitten sich wieder. Denn von den Dienern der Krone und ihren Anhängern waren ungefähr die Hälfte Whigs; die andere Hälfte Tories. Auch muß daran erinnert werden, daß völlig getrennt von der Fehde zwischen Whigs und Tories, völlig getrennt auch von der Fehde zwischen den Staatsdienern und Nichtstaatsdienern, eine Fehde zwischen den Lords als Lords und den Gemeinen als Gemeinen herrschte. Der Geist der erblichen Kammer und der Wahlkammer war in der vorigen Session durch den Streit über den Gerichtshof des Lord High Steward gründlich aufgestachelt worden und sie kamen jetzt in kampflustiger Stimmung zusammen.
Die Rede, welche der König bei Eröffnung der Session hielt, war geschickt zu dem Zwecke abgefaßt, die Häuser zu versöhnen. Er komme, sagte er zu ihnen, ihren Rath und Beistand zu erbitten. Er gratulirte ihnen zu dem Siege von La Hogue. Er gestand mit großem Bedauern, daß die Operationen der Verbündeten zu Lande weniger glücklich gewesen waren als zur See, erklärte aber mit Feuer, daß die Tapferkeit seiner englischen Unterthanen zu Lande wie zur See ganz vorzüglich gewesen sei. Die Noth seines Volks, sagte er, sei auch die seinige, sein Interesse sei von dem des Volks unzertrennlich; es sei ihm schmerzlich, Opfer von ihm zu verlangen, aber Opfer, welche zum Heile der englischen Nation und des protestantischen Glaubens nothwendig seien, werde kein guter Engländer und kein guter Protestant scheuen.[60]
Die Gemeinen dankten dem Könige in herzlichen Ausdrücken für seine huldvolle Rede.[61] Die Lords aber waren in schlechter Stimmung. Zwei der Ihrigen, Marlborough und Huntingdon, waren während der Ferien, als man stündlich eine Invasion und einen Aufstand erwartete, in den Tower geschickt worden und standen noch unter der schriftlichen Verpflichtung, sich auf Verlangen vor Gericht zu stellen. Wäre ein Landgentleman oder ein Kaufmann in einer so beunruhigenden Krisis selbst auf noch geringfügigere Gründe hin zur Bürgschaftsstellung angehalten worden, so würden die Lords sich gewiß nicht eingemischt haben.XIX.34 Aber durch Alles was wie eine ihrem Stande angethane Schmach aussah, wurden sie leicht in Zorn gebracht. Sie unterwarfen nicht nur den Prokurator des Schatzamts, Aaron Smith, dem sein Character allerdings wenig Anspruch auf Nachsicht gab, einem strengen Verhör, sondern faßten auch mit fünfunddreißig gegen achtundzwanzig Stimmen einen Beschluß, der einen Tadel gegen die Richter der Kings Bench aussprach, Männer, die an Rechtschaffenheit sicherlich keinem Peer des Reichs nachstanden und an juristischen Kenntnissen jeden derselben weit übertrafen. Der König hielt es für gerathen, den verletzten Stolz des hohen Adels dadurch zu beschwichtigen, daß er die Bürgschaftsleistungen zu cassiren befahl, und durch diese Concession war das Haus zufriedengestellt, zum großen Aerger der Jakobiten, welche gehofft hatten, daß der Streit bis zu einem unheilvollen Ausgange getrieben werden würde, und die, als sie sich in dieser Erwartung getäuscht sahen, ihrem Unmuthe durch Schmähungen gegen die Unterwürfigkeit der entarteten Barone England’s Luft machten.[62]
Beide Häuser hielten lange und ernste Berathungen über die Lage der Nation. Als der König sie um ihren Rath ersuchte, hatte er wahrscheinlich nicht vorausgesehen, daß seine Worte als eine Aufforderung gedeutet werden würden, jeden Theil der Verwaltung zu untersuchen und über Angelegenheiten, welche die Parlamente in der Regel gänzlich der Krone zu überlassen für zweckmäßig hielten, Vorschläge zu machen. Einige der unzufriedenen Peers schlugen vor, daß ein zum Theil von den Lords, zum Theil von den Gemeinen gewählter Ausschuß ermächtigt werden sollte, die ganze Leitung der öffentlichen Angelegenheiten zu untersuchen. Man fürchtete jedoch allgemein, daß ein solcher Ausschuß ein zweiter und mächtigerer, von der Krone unabhängiger und der Verfassung unbekannter Staatsrath werden würde. Der Antrag wurde deshalb mit achtundvierzig gegen sechsunddreißig Stimmen verworfen. Bei dieser Gelegenheit stimmten die Minister mit kaum einer Ausnahme mit der Majorität. Achtzehn von der Minorität, unter denen sich die heftigsten Whigs und die heftigsten Tories der ganzen Pairie befanden, unterzeichneten einen Protest.[63]
Jedes der beiden Häuser untersuchte demnach für sich allein die Ursachen der Calamitäten des Staats. Die Gemeinen constituirten sich zu einem Großen Ausschusse, um den dem Könige zu ertheilenden Rath zu erwägen. Aus den gedrängten Auszügen und Bruchstücken, die auf uns gekommen sind, scheint hervorzugehen, daß in diesem Ausschusse, der viele Tage Sitzung hielt, die Debatten sich auf einem weitumfassenden Gebiete bewegten. Ein Mitglied sprach von dem Ueberhandnehmen des Straßenraubes, ein andres beklagte das Zerwürfniß zwischen der Königin und der Prinzessin und schlug vor, daß einige Gentlemen abgeordnet werden sollten, um bei Ihrer Majestät die Schlichtung der Sache zu versuchen. Ein drittes schilderte die Machinationen der Jakobiten im vergangenen Frühjahre. Es sei notorisch, sagte er, daß Vorbereitungen zu einem Aufstande getroffen und Waffen und Pferde angeschafft worden seien;XIX.35 aber nicht ein einziger Hochverräther sei zur Untersuchung gezogen worden.[64]
Der Ausgang des Kriegs zu Lande und zur See lieferte Stoff zu mehreren lebhaften Debatten. Viele Mitglieder beschwerten sich über die Bevorzugung der Fremden vor den Engländern. Die ganze Schlacht von Steenkerke wurde noch einmal durchgefochten und es fielen harte Aeußerungen über Solms. „Englische Soldaten dürfen nur durch englische Generäle commandirt werden,” war der fast einstimmige Ruf. Seymour, der sich sonst durch seinen Haß gegen die Ausländer ausgezeichnet, der aber, seitdem er sich im Schatzamte befand, seine Ansichten noch einmal erwogen hatte, fragte, wo englische Generäle zu finden seien. „Ich liebe die Ausländer als solche nicht; aber wir haben keine Wahl. Der Mensch wird nicht als General geboren; ja, es kann Jemand ein sehr schätzbarer Hauptmann oder Major und doch der Führung einer Armee nicht gewachsen sein. Nur die Erfahrung bildet große Befehlshaber. Von unseren Landsleuten besitzen sehr wenige diese Erfahrung, und deshalb müssen wir für jetzt Ausländer verwenden.” Lowther sprach hierauf in dem nämlichen Sinne. „Wir haben einen langen Frieden gehabt und in Folge dessen besitzen wir keine genügende Anzahl von Offizieren, die sich zu hohen Commandos eignen. Die Parks und das Lager von Hounslow waren sehr armselige Kriegsschulen im Vergleich zu den Schlachtfeldern und den Schanzwerken, auf denen die großen Commandeurs der festländischen Nationen ihre Kunst erlernt haben.” In Erwiederung auf diese Argumente war ein Redner für die entgegengesetzte Meinung so albern zu erklären, daß er zehn Engländer nennen könne, die, wenn sie in französischen Diensten ständen, zu Marschällen ernannt werden würden. Vier oder fünf Obersten, welche bei Steenkerke gewesen waren, betheiligten sich bei der Debatte. Man sagte von ihnen, daß sie eben so viel Bescheidenheit in ihren Reden zeigten, als sie im Kampfe Muth bewiesen hätten, und selbst nach dem sehr unvollständigen Bericht, der auf uns gekommen ist, scheint dieses Compliment nicht unverdient gewesen zu sein. Sie stimmten nicht in das allgemeine Geschrei gegen die Holländer ein. Sie sprachen sich über die fremden Offiziere im Allgemeinen lobend aus und ließen der Tapferkeit und Haltung, womit Auverquerque die versprengten Ueberreste von Mackay’s Division der anscheinend unvermeidlichen Vernichtung entrissen hatte, volle Gerechtigkeit widerfahren. Zur Vertheidigung Solms’ aber wurde nicht ein Wort gesagt. Seine Strenge, sein übermüthiges Benehmen und vor Allem die Gleichgültigkeit, mit der er zugesehen hatte, wie die von einer großen Uebermacht geworfenen Engländer Mann gegen Mann mit den französischen Haustruppen kämpften, hatten ihn so verhaßt gemacht, daß viele Mitglieder bereit waren für eine Adresse zu stimmen, welche auf seine Entlassung und seine Ersetzung durch Talmash antrüge, der seit Marlborough’s Demission allgemein als der beste Offizier in der Armee anerkannt wurde. Aber Talmash’s Freunde traten sehr taktvoll dazwischen. „Ich hege,” sagte einer von ihnen, „eine hohe Achtung vor diesem Gentleman, und ich bitte Sie dringend, ihm nicht, mit der Absicht ihm eine Aufmerksamkeit zu erzeigen, zu schaden. Bedenken Sie, daß Sie Sich etwas anmaßen, was ganz speciell die PrärogativeXIX.36 des Königs ist. Sie wollen Offiziere entlassen und Offiziere anstellen.” Die Debatte endete ohne ein Tadelsvotum gegen Solms. Doch es wurde in nicht sehr parlamentarischer Sprache die Hoffnung ausgedrückt, daß die im Comité gesprochenen Worte dem Könige mitgetheilt werden und daß Se. Majestät den allgemeinen Wunsch der Vertreter seines Volks nicht unberücksichtigt lassen würde.[65]
Die Gemeinen gingen nun zunächst zur Untersuchung der Marineverwaltung über, und sie kamen sehr bald zu einem Streite mit den Lords über diesen Gegenstand. Daß hier und da Verwaltungssünden vorgekommen waren, lag nur zu klar am Tage. Es war kaum möglich, Russell und Nottingham freizusprechen, und jedes der beiden Häuser nahm sich seines Mitgliedes an. Die Gemeinen hatten bei Eröffnung der Session Russell für sein Benehmen bei La Hogue einstimmig ein Dankvotum bewilligt. Jetzt zogen sie im Großen Ausschusse die verkehrten Maßregeln, welche auf die Schlacht gefolgt waren, in Erwägung. Es wurde ein in so unbestimmte Ausdrücke gefaßter Antrag gestellt, daß man kaum sagen konnte, er bedeute etwas. Er wurde jedoch so verstanden, als enthalte er einen Tadel gegen Nottingham, und dessen Freunde widersetzten sich demselben daher energisch. Bei der Abstimmung ergaben sich hundertfünfundsechzig bejahende und hundertvierundsechzig verneinende Stimmen.[66]
Sogleich am folgenden Tage appellirte Nottingham an die Lords. Er erzählte seine Geschichte mit der ganzen Geschicklichkeit eines geübten Redners und mit der ganzen Autorität makelloser Rechtschaffenheit. Dann legte er eine große Menge Papiere auf den Tisch des Hauses und ersuchte das Haus, dieselben zu lesen und zu prüfen. Die Peers scheinen diese Papiere auch genau und sorgfältig geprüft zu haben, und das Ergebniß der Untersuchung war für Russell durchaus nicht günstig. Man hielt es indeß für eine Ungerechtigkeit, ihn ungehört zu verurtheilen; nur war es schwer, einen Weg ausfindig zu machen, auf dem Ihre Lordschaften ihn anhören konnten. Endlich beschloß man, die Papiere dem Unterhause zuzuschicken mit einer Botschaft des Inhalts, daß nach der Ansicht des Oberhauses gegen den Admiral etwas vorliege, wegen dessen er zu einer Erklärung aufgefordert werden müsse. Zugleich mit den Papieren wurde ein Auszug ihres Inhalts übergeben.[67]
Die Botschaft wurde nicht sehr ehrerbietig aufgenommen. Russell besaß zur Zeit eine Popularität, die er wenig verdiente, die uns aber nicht Wunder nehmen kann, wenn wir erwägen, daß das Publikum seine Verräthereien nicht kannte, wohl aber wußte, daß er der einzige lebende Engländer war, der eine große Schlacht gewonnen hatte. Der Schriftführer las den Auszug aus den Papieren vor. Dann sprach Russell unter großem Beifall, und seine Freunde drangen auf sofortige Entscheidung. Sir Christoph Musgrave bemerkte sehr richtig, daß es unmöglich sei, über einen solchen Haufen von Depeschen ein Urtheil zu fällen ohne sie durchgelesen zu haben; aber dieser Einwand wurde verworfen. Die Whigs betrachteten das angeklagte Mitglied als einen der Ihrigen, viele von den Tories waren vom Glanze seines kürzlichen Sieges geblendet,XIX.37 und weder Whigs noch Tories waren geneigt, die geringste Ehrerbietung vor der Autorität der Peers zu zeigen. Das Haus faßte, ohne die Papiere zu lesen, einen einstimmigen Beschluß, der die entschiedene Billigung des ganzen Benehmens Russell’s ausdrückte. Die Stimmung der Versammlung war von der Art, daß einige eifrige Whigs es jetzt wagen zu dürfen glaubten, ein Tadelsvotum gegen Nottingham zu beantragen. Allein der Versuch scheiterte. „Ich bin bereit,” sagte Lowther, und er sprach unzweifelhaft die Gesinnung Vieler aus, — „ich bin bereit jeden Antrag zu unterstützen, der dem Admiral zur Ehre gereicht; aber ich kann mich nicht bei einem Angriffe auf den Staatssekretär betheiligen. Denn meines Wissens haben Ihre Majestäten keinen eifrigeren, fleißigeren und treueren Diener als Mylord Nottingham.” Finch bot seine ganze blühende Beredtsamkeit zur Vertheidigung seines Bruders auf und gab, ohne der vorherrschenden Ansicht direct entgegenzutreten, zu verstehen, daß Russell’s Benehmen nicht fehlerfrei gewesen sei. Das Tadelsvotum gegen Nottingham wurde nicht betrieben; das Votum, welches Russell’s Verhalten für durchaus lobenswerth erklärte, wurde den Lords mitgetheilt, und die Papiere, welche sie den Gemeinen zugesandt hatten, wurden in sehr unceremoniöser Weise zurückgegeben.[68] Die schwer gekränkten Lords verlangten eine freie Conferenz. Sie wurde bewilligt, und die Wortführer der beiden Häuser versammelten sich im gemalten Zimmer. Rochester sprach im Namen seiner Collegen den Wunsch aus, die Gründe zu erfahren, auf welche hin der Admiral für vorwurfsfrei erklärt worden sei. Auf diese Aufforderung erwiederten die auf der andren Seite des Tisches stehenden Gentlemen nur, daß sie nicht autorisirt worden seien, eine Erklärung zu geben, daß sie aber Denen, die sie hergeschickt hätten, das Gesagte mittheilen würden.[69]
Inzwischen waren die Gemeinen der Untersuchung über die Führung des Kriegs herzlich müde geworden. Die Mitglieder hatten sich der Verstimmung, die sie von ihren Landsitzen mitgebracht, zum großen Theile einfach dadurch entledigt, daß sie ihrem Herzen Luft gemacht hatten. Burnet giebt zu verstehen, daß die Kunstgriffe, in denen Caermarthen und Trevor große Meister waren, dazu angewendet wurden, Beschlüssen vorzubeugen, welche der Regierung ernste Verlegenheiten bereitet haben würden. Aber obgleich es nicht unwahrscheinlich ist, daß einige lärmende vermeintliche Patrioten durch Beutel voll Guineen zum Schweigen gebracht wurden, so würde es doch ungereimt sein, wollte man annehmen, daß das Haus im allgemeinen auf diese Art influirt worden sei. Wer solche Versammlungen gesehen hat, weiß, daß der Eifer, mit dem sie an langwierige Untersuchungen gehen, sehr bald erkaltet und daß ihr Unmuth, wenn er nicht durch unvernünftige Opposition lebendig erhalten wird, schnell verraucht. In kurzer Zeit war Jedermann des Großen Ausschusses zur Rathertheilung müde. Die Debatten waren langweilig und weitschweifig gewesen, und die gefaßten Beschlüsse waren größtentheils rein kindisch. Es sollte dem Könige unterthänigst gerathen werden, geschickteXIX.38 und rechtschaffene Männer anzustellen. Es sollte ihm unterthänigst gerathen werden, Männer anzustellen, welche treu zu ihm gegen Jakob stehen würden. Die Geduld des Hauses war erschöpft durch lange Discussionen, welche auf die pomphafte Verkündigung derartiger Gemeinplätze hinausliefen. Endlich erfolgte die Explosion. Einer der Mißvergnügten lenkte die Aufmerksamkeit des Großen Ausschusses auf das beunruhigende Factum, daß beim Feldzeugmeisteramte zwei Holländer angestellt seien, und trug darauf an, dem Könige solle unterthänigst gerathen werden, sie zu entlassen. Der Antrag wurde mit geringschätzendem Spotte aufgenommen. Man bemerkte, daß gerade die Militärs ihre Verachtung am lautesten äußerten. „Denken wir im Ernst daran, zum Könige zu gehen und ihm zu sagen, daß, weil er geruht habe, in dieser hochwichtigen Krisis unsren Rath zu verlangen, wir ihm unterthänigst riethen, einen holländischen Magazinaufseher aus dem Tower zu entfernen? Wahrhaftig, wenn wir keinen wichtigeren Vorschlag vor den Thron zu bringen haben, so können wir eben so gut zu Tische gehen.” Die Mitglieder waren im Ganzen der nämlichen Ansicht. Der Präsident wurde vom Stuhle wegvotirt und nicht aufgefordert, um Erlaubniß zu bitten, denselben wieder einnehmen zu dürfen. Der Große Ausschuß existirte nicht mehr. Die gefaßten Beschlüsse wurden in aller Form dem Hause mitgetheilt. Einer derselben wurde verworfen, die anderen wurden fallen gelassen, und nachdem die Gemeinen mehrere Wochen lang erwogen hatten, welchen Rath sie dem Könige geben sollten, gaben sie ihm schließlich gar keinen.[70]
Die Stimmung der Lords war eine ganz andre. Aus vielen Umständen geht hervor, daß die Holländer damals nirgends so sehr gehaßt wurden wie im Oberhause. Das Mißfallen, mit dem ein Engländer des Mittelstandes die ausländischen Freunde des Königs betrachtete, war bloß national. Aber die Abneigung, mit der ein englischer Edelmann sie betrachtete, war persönlich. Sie standen zwischen ihm und der Majestät, sie entzogen ihm die Strahlen der königlichen Gunst. Der ihnen gegebene Vorzug verletzte ihn sowohl in seinen Interessen wie auch in seinem Stolze. Seine Aussicht auf den Hosenbandorden war bedeutend geringer, seitdem sie seine Concurrenten geworden waren. Er hätte Oberstallmeister sein können, wenn Auverquerque nicht gewesen wäre, Oberkammerherr, wenn Zulestein, Obergarderobier, wenn Bentinck nicht gewesen wäre.[71] Die üble Laune des Adels wurde durch Marlborough genährt, der damals die Rolle eines Patrioten spielte, welcher verfolgt wurde, weil er sich zur Vertheidigung der Interessen seines Vaterlandes gegen die Holländer erhoben, und der nicht voraussah, daß ein Tag kommen werde, wo er angeklagt werden sollte, die Interessen seines Vaterlandes den Holländern zu Gefallen aufzuopfern. Die Peers beschlossen, Wilhelm eine Adresse zu überreichen, in der sie ihn ersuchten, seine englischen Truppen nicht unter das Commando eines holländischen Generals zu stellen. Sie nahmenXIX.39 die Frage, welche das Haus der Gemeinen zum Lachen gereizt, ganz ernsthaft auf und riethen ihrem Souverain feierlich, keine Ausländer in seinen Magazinen anzustellen. Auf Marlborough’s Vorschlag drangen sie in den König, darauf zu bestehen, daß der jüngste englische General den Vorrang vor dem ältesten General im Dienste der Generalstaaten haben solle. Es beeinträchtige, sagten sie, das Ansehen der Krone, wenn ein Offizier, der sein Patent von Sr. Majestät habe, von einem Offizier commandirt würde, der ein ähnliches Patent von einer Republik habe. Auf diesem offenbar durch einen unedlen Groll gegen Holland eingegebenen Rath gab Wilhelm, der sich wenig um Beschlüsse des Oberhauses kümmerte, die nicht vom Unterhause unterstützt wurden, wie sich erwarten ließ, eine sehr kurze und trockne Antwort.[72]
Während die Untersuchung über die Führung des Kriegs schwebte, nahmen die Gemeinen die Berathung eines wichtigen Gegenstandes wieder auf, der schon im vergangenen Jahre ihre Aufmerksamkeit sehr beschäftigt hatte. Die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen wurde aufs Neue eingebracht, stieß aber auf nachdrückliche Opposition seitens der Staatsbeamten, Whigs sowohl als Tories. Somers, der jetzt Generalfiskal war, empfahl dringend Aufschub. Daß das Gesetz in seiner gegenwärtigen Fassung gewichtige Einwürfe zulasse, wurde nicht in Abrede gestellt, wohl aber behauptet, daß die vorgeschlagene Abänderung in diesem Augenblicke mehr schaden als nützen werde. Niemand werde behaupten, daß unter der bevorstehenden Regierung das Leben harmloser Unterthanen irgendwie gefährdet sei. Niemand werde hingegen leugnen, daß die Regierung selbst in großer Gefahr sei. Sei es weise gehandelt, die Gefahr dessen, was bereits in ernster Gefahr schwebe, noch zu vergrößern, um dem, was schon vollkommen sicher sei, noch größere Sicherheit zu verleihen? Denen, welche so sprachen, warf man ihre Inconsequenz vor und fragte sie, warum sie nicht den Muth gehabt hätten, sich in der vorigen Session der Bill zu widersetzen. Sie antworteten sehr plausibel, daß die während der Parlamentsferien stattgefundenen Ereignisse Allen die noch etwas lernen wollten, eine wichtige Lehre gegeben habe. Das Land sei gleichzeitig von einer Invasion und von einem Aufstande bedroht gewesen. Kein Verständiger zweifle daran, daß viele Verräther Vorkehrungen zum Anschluß an die Franzosen getroffen und zu dem Ende Waffen, Munition und Pferde angesammelt hätten. Obgleich man jedoch mehr als genügende moralische Beweise gegen diese Feinde ihres Vaterlandes gehabt habe, sei es doch nicht möglich gewesen, gegen einen Einzigen von ihnen juristische Beweise zu finden. Das Hochverrathsgesetz möge in der Theorie hart sein und sei allerdings in früherer Zeit gröblich gemißbraucht worden. Aber ein Staatsmann, der sich weniger um die Theorie als um die Praxis und weniger um die Vergangenheit als um die Gegenwart kümmerte, werde jenes Gesetz nicht für zu streng, sondern für zu lax erklären und werde, so lange der Staat in der größten Gefahr sei, jeder weiteren Milderung seine Zustimmung versagen. Doch trotz aller Opposition wurde die Bill im Prinzip von hunderteinundsiebzigXIX.40 gegen hundertzweiundfunfzig Stimmen gebilligt. Im Ausschusse aber wurde beantragt und angenommen, daß die neuen Procedurvorschriften erst nach Beendigung des Kriegs mit Frankreich in Kraft treten sollten. Als der Bericht erstattet wurde, stimmte das Haus über dieses Amendement ab und bestätigte es mit hundertfünfundvierzig gegen hundertfünfundzwanzig Stimmen. In Folge dessen wurde die Bill fallen gelassen.[73] Wäre sie vor die Peers gekommen, so würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach verloren gewesen sein, nachdem sie einen neuen Streit zwischen den beiden Häusern veranlaßt hätte. Denn die Peers hatten sich fest vorgenommen, keine solche Bill durchgehen zu lassen, wenn sie nicht eine Klausel enthielte, welche die Einrichtung des Gerichtshofes des Lord High Steward änderte, und eine die Einrichtung des Gerichtshofes des Lord High Steward ändernde Klausel würde weniger Aussicht gehabt haben als je, von den Gemeinen günstig aufgenommen zu werden. Denn im Laufe dieser Session trat ein Ereigniß ein, welches bewies, daß die Großen durch das Gesetz in seiner gegenwärtig bestehenden Form nur zu wohl geschützt waren, und das mit Recht verdient als ein schlagender Beleg für den Zustand der Sitten und der Moralität der damaligen Zeit berichtet zu werden.
Von allen Schauspielern der damaligen englischen Bühne war Wilhelm Mountford der liebenswürdigste. Er besaß alle physischen Eigenschaften für seinen Beruf: eine edle Gestalt, ein hübsches Gesicht und ein klangvolles Organ. Es war schwer zu sagen, ob er besser in Heldenrollen oder in komischen Rollen reussirte. Er war anerkanntermaßen der beste Alexander und der beste Sir Courtly Nice, der je auf den Brettern gestanden. Die Königin Marie, deren Kenntnisse sehr oberflächlich waren, die aber von Natur einen treffenden Blick für alles Ausgezeichnete in der Kunst besaß, bewunderte ihn in hohem Grade. Er war überdies nicht nur Schauspieler, sondern auch dramatischer Dichter und hat uns ein Lustspiel hinterlassen, das nicht zu verachten ist.[74]
Die beliebteste Schauspielerin jener Zeit war Anna Bracegirdle. Es gab wohl beim Theater manche Frau von tadelloserer Schönheit, aber keine, deren Gesichtszüge und Haltung die Sinne und die Herzen der Männer so zu bezaubern vermocht hätten. Der Anblick ihrer glänzend schwarzen Augen und ihrer frischen bräunlichen Wangen reichte hin, auch das unruhigste Publikum in heitere Laune zu versetzen. Man sagte von ihr, daß sie in einem gefüllten Hause eben so viele Anbeter hatte als männliche Zuschauer anwesend waren. Doch kein auch noch so reicher oder noch so vornehmer Anbeter hatte sie dahin zu bringen vermocht, seine Geliebte zu werden. Wer die Rollen, die sie zu spielen pflegte, und die Epiloge, deren Vortrag ihr specielles Amt war, näher kennt, wird ihr so leicht kein ungewöhnliches Maß von Tugend oder Zartgefühl zutrauen. Sie scheint eine kalte, eitle und eigennützige Kokette gewesen zu sein, die sich vollkommen bewußt war, wie sehr die Macht ihrer Reize durch den Ruf einer ihr keine Ueberwindung kostenden Unerbittlichkeit erhöhtXIX.41 wurde, und die es wagen konnte, mit einer Reihenfolge von Anbetern zu spielen, in der begründeten Ueberzeugung, daß keine Flamme, die sie in ihnen entzündete, ihr eignes Eis aufthauen werde.[75] Zu Denen, die sie mit wahnsinniger Begierde verfolgten, gehörte ein lasterhafter Hauptmann von der Armee, Namens Hill. Mit Hill war ein junger Edelmann, Lord Karl Mohun, dessen ganzes Leben nichts als eine lange Schwelgerei und Rauferei war, in einem Bunde der Ausschweifung und Gewaltthätigkeit verbrüdert. Als Hill sah, daß die schöne Brünette unbesiegbar war, setzte er es sich in den Kopf, daß er um eines begünstigteren Nebenbuhlers willen verschmäht werde und daß dieser Nebenbuhler der glänzende Mountford sei. Der eifersüchtige Liebhaber gelobte in einem Wirthshause bei der Flasche, daß er den Schurken erstechen werde. „Und ich,” sagte Mohun, „werde meinem Freunde beistehen.” Aus dem Wirthshause ging das Paar, begleitet von einigen Soldaten, deren Dienste Hill erkauft hatte, nach Drury Lane, wo die Dame wohnte. Hier legten sie sich eine Weile auf die Lauer. Sobald sie auf der Straße erschien, wurde sie ergriffen und zu einem Wagen geschleppt. Sie rief um Hülfe, ihre Mutter umklammerte sie, die ganze Nachbarschaft gerieth in Aufruhr, und sie wurde befreit. Hill und Mohun gingen Rache gelobend fort. Noch zwei Stunden bramarbasirten sie mit dem Degen in der Hand in den Straßen bei Mountford’s Wohnung umher. Die Wache forderte sie auf, ihre Waffen in die Scheide zu stecken. Als aber der junge Lord sagte, daß er ein Peer sei, und die Constabler herausforderte ihn anzurühren, wenn sie den Muth dazu hätten, ließen sie ihn gehen. So stark war damals das Privilegium und so schwach das Gesetz. Es wurden Boten an Mountford gesandt, um ihn vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen; unglücklicherweise aber trafen sie ihn nicht an. Er kam. Es entspann sich ein kurzer Wortwechsel zwischen ihm und Mohun, und während sie sich mit einander stritten, rannte Hill dem unglücklichen Schauspieler den Degen durch den Leib und entfloh.
Die große Jury von Middlesex, welche aus angesehenen Gentlemen bestand, fand Grund zu einer Anklage auf Mord gegen Hill und Mohun. Hill entkam; Mohun aber wurde ergriffen. Seine Mutter that einen Fußfall beim Könige; aber vergebens. „Es war eine schändliche That,” sagte Wilhelm, „ich werde sie dem Laufe des Gesetzes überlassen.” Der Prozeß kam vor den Gerichtshof des Lord High Steward zur Verhandlung, und da das Parlament gerade versammelt war, so hatte der Angeklagte den Vortheil, von der gesammten Pairie gerichtet zu werden. Es befand sich damals kein Jurist im Oberhause, und daher wurde es zum ersten Male seitdem Buckhurst das Urtel über Essex und Southampton gesprochen, nothwendig, daß ein Peer, der niemals die Rechtswissenschaft zu seinem speciellen Studium gemacht hatte, in diesem hohen Tribunale den Vorsitz führte. Caermarthen, der als Lord Präsident über dem ganzen Adel stand, wurde zum Lord High Steward ernannt. Es ist ein vollständiger Bericht über die Prozeßverhandlungen auf uns gekommen. Wer diesen aufmerksam liest und das Gutachten prüft, welches die Richter in Beantwortung einer von Nottingham aufgeworfenen Frage abgaben, undXIX.42 in welchem die durch den Zeugenbeweis festgestellten Thatsachen mit vollkommener Unparteilichkeit dargelegt sind, der kann nicht zweifeln, daß der Gefangene des Verbrechens des Mordes vollständig überwiesen war. Dies war die Ansicht des Königs, der den Verhandlungen beiwohnte, und dies war die fast einstimmige Ansicht des Publikums. Wäre die Untersuchung durch Holt und durch zwölf schlichte Männer vor der Old Bailey geführt worden, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Verdict auf Schuldig gelautet haben würde. Die Peers aber sprachen ihren angeklagten Standesgenossen mit neunundsechzig gegen vierzehn Stimmen frei. Ein vornehmer Edelmann war brutal und einfältig genug zu sagen: „Am Ende war der Mensch doch weiter nichts als ein Schauspieler, und die Schauspieler sind Gesindel.” Alle Zeitungen, alle Kaffeehausredner beklagten sich bitter, daß das Blut des Armen ungestraft durch den Großen vergossen werden dürfe. Witzlinge bemerkten, daß das einzige Schöne[76] an dem Prozesse die auf den Gallerien versammelten Damen gewesen seien. Es existiren noch Briefe und Tagebücher, in denen Männer jeder politischen Farbe, Whigs, Tories und Eidverweigerer, die Parteilichkeit des Tribunals verdammen. So lange die Erinnerung an diesen Scandal beim Volke noch frisch war, ließ sich nicht erwarten, daß die Gemeinen bewogen werden könnten, angeklagten Peers irgend einen neuen Vortheil einzuräumen.[77]
Inzwischen hatten die Gemeinen die Erwägung noch eines andren hochwichtigen Gegenstandes, der Zustände des Handels mit Indien, wieder aufgenommen. Sie hatten gegen den Schluß der vorigen Session den König ersucht, die alte Compagnie aufzulösen und eine neue Compagnie unter ihm zweckmäßig scheinenden Bedingungen zu errichten, und er hatte versprochen, ihr Gesuch in ernste Erwägung zu ziehen. Jetzt ließ er ihnen die Mittheilung zukommen, daß es nicht in seiner Macht stehe, ihrem Verlangen zu entsprechen. Er habe den Freibrief der alten Compagnie den Richtern vorgelegt und die Richter hätten erklärt, die alte Compagnie könne nach den Bestimmungen dieses Freibriefs nur nach vorhergegangener dreijähriger Kündigung aufgelöst werden und müsse daher noch drei Jahre das ausschließliche Privilegium zum Handel mit Ostindien behalten. Da es sein aufrichtiger Wunsch sei, setzte er hinzu, den Gemeinen zu willfahren, er dies aber in der von ihnen angegebenen Weise nicht könne, so habe er die alte Compagnie zu einem Vergleiche zu bewegen versucht; die Gesellschaft habe aber hartnäckig auf ihren äußersten Rechten bestanden und seine Versuche seien daher gescheitert.[78]
Diese Botschaft rührte die ganze Frage wieder auf. Die beiden Parteien, in die sich die City theilte, waren sofort in neuer Thätigkeit, es gabXIX.43 lange und heiße Debatten im Unterhause. Petitionen gegen die alte Compagnie wurden auf den Tisch gelegt, satyrische Flugblätter gegen die neue wurden in der Vorhalle vertheilt. Nach langer Discussion wurde endlich beschlossen, dem Könige eine Adresse zu überreichen, worin er ersucht wurde, die von den Richtern für nothwendig erklärte Kündigung erfolgen zu lassen. Er versprach, die Sache im Auge zu behalten und nach besten Kräften das Wohl des Landes zu fördern. Mit dieser Antwort war das Haus zufrieden und der Gegenstand wurde bis zur nächsten Session nicht wieder erwähnt.[79]
Die Debatten der Gemeinen über die Führung des Kriegs, über das Hochverrathsgesetz und über den Handel mit Indien kosteten viel Zeit und hatten kein erhebliches Resultat. Inzwischen aber wurde im Ausschuß für Geldbewilligungen und im Ausschuß für die Mittel und Wege Reelleres zu Stande gebracht. Im Ausschuß für Geldbewilligungen wurden die veranschlagten Summen rasch angenommen. Einige wenige Mitglieder erklärten sich dahin, daß England seine Truppen vom Continent zurückziehen, den Krieg zur See mit Energie betreiben und nur eine solche Armee unterhalten solle, welche hinreichte, um jeden Eindringenden, der der Wachsamkeit der Flotte entgehen sollte, abzuwehren. Dieser Doctrin, welche bald die Parole einer der großen Parteien im Staate wurde und es lange blieb, huldigte jedoch zur Zeit nur eine kleine Minorität, die auf eine Abstimmung nicht anzutragen wagte.[80]
Im Ausschusse für die Mittel und Wege wurde beschlossen, daß ein großer Theil der Bedürfnisse des Jahres durch eine Steuer gedeckt werden solle, die zwar an sich schon alt, der Form nach aber neu war. Von einer sehr frühen Periode an bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hatten unsere Parlamente die außerordentlichen Bedürfnisse der Regierung hauptsächlich durch Bewilligung von Subsidien bestritten. Eine Subsidie wurde aufgebracht, indem man die Bevölkerung des Landes mit einer nach ihrem angenommenen Vermögen bemessenen Abgabe belastete. Das Grundeigenthum war der Hauptgegenstand der Besteuerung und wurde nominell mit vier Schilling vom Pfunde des Ertrags belegt. Aber die Besteuerung erfolgte in der Weise, daß sie nicht nur im Verhältniß zu dem Steigen des Bodenwerthes oder zu dem Sinken des Werthes der edlen Metalle nicht stieg, sondern sogar fortwährend sank, bis endlich die Abgabe thatsächlich weniger als anderthalb Pence vom Pfunde betrug. Zu den Zeiten Karl’s I. würde eine wirkliche Steuer von vier Schilling auf das Pfund wahrscheinlich nahe an anderthalb Millionen ergeben haben; aber eine Subsidie betrug wenig über funfzigtausend Pfund.[81]
Die Finanzmänner des Langen Parlaments machten ein wirksameres System der Güterbesteuerung ausfindig. Die zu erhebende Summe wurde festgestellt. Dann wurde sie auf die Grafschaften nach Verhältniß ihresXIX.44 angenommenen Wohlstandes vertheilt und in jeder Grafschaft nach einem Tarife erhoben. Die durch diese Besteuerungen zur Zeit der Republik erlangte Revenue variirte zwischen fünfunddreißigtausend und hundertzwanzigtausend Pfund monatlich.
Nach der Restauration schien die Legislatur eine Zeit lang geneigt, im Finanzwesen wie in anderen Dingen zu der alten Methode zurückzukehren. Karl II. wurden ein- oder zweimal Subsidien bewilligt. Allein es zeigte sich bald, daß das alte System bei weitem nicht so zweckmäßig war als das neue. Die Cavaliere ließen sich herab, in der Besteuerungskunst von den Rundköpfen eine Lehre anzunehmen, und in der Zeit zwischen der Restauration und der Revolution wurden die außerordentlichen Bedürfnisse gelegentlich durch Auflagen bestritten, ähnlich denen der Republik. Nach der Restauration machte der Krieg mit Frankreich es nothwendig, alljährlich zu dieser reichen Einnahmequelle zu greifen. In den Jahren 1689, 1690 und 1691 waren große Summen vom Grundbesitz erhoben worden. Endlich im Jahre 1692 wurde beschlossen, das Grundeigenthum höher als je zu besteuern. Die Gemeinen resolvirten, daß eine neue und genauere Abschätzung der Güter im ganzen Reiche vorgenommen und daß von dem dadurch ermittelten Rentenbetrage eine Pfundsteuer an die Regierung entrichtet werden solle.
Dies war der Ursprung der bestehenden Grundsteuer. Die im Jahre 1692 vorgenommene Abschätzung ist bis auf unsre Zeit unverändert geblieben. Nach dieser Schätzung ergab eine Besteuerung des Pfundes Rente mit einem Schilling in runder Summe eine halbe Million. Hundertsechs Jahre lang wurde alljährlich dem Parlamente eine Grundsteuerbill vorgelegt und angenommen, wenn auch nicht immer ohne Murren seitens der Landgentlemen. In Kriegszeiten betrug die Steuer vier Schilling vom Pfunde. In Friedenszeiten, vor der Regierung Georg’s III., wurden gewöhnlich nur zwei oder drei Schilling bewilligt, und während eines kurzen Abschnitts der umsichtigen und milden Verwaltung Walpole’s verlangte die Regierung nur einen Schilling. Nach dem unheilvollen Jahre aber, in welchem England das Schwert gegen die amerikanischen Kolonien zog, betrug die Steuer nie weniger als vier Schilling. Endlich im Jahre 1798 enthob sich das Parlament der Mühe, jedes Frühjahr eine neue Acte zu erlassen. Die Grundsteuer wurde mit vier Schilling vom Pfunde permanent gemacht und wer derselben unterworfen war, konnte sie ablösen. Ein großer Theil ist abgelöst worden, und gegenwärtig wird wenig mehr als ein Fünfzigstel von dem in Friedenszeiten benöthigten ordentlichen Einkommen durch diese Steuer aufgebracht, welche einst als die ergiebigste aller Hülfsquellen des Staats betrachtet wurde.[82]
Die Grundsteuer wurde für das Jahr 1693 auf vier Schilling vom Pfunde festgesetzt und brachte somit ungefähr zwei Millionen in den Staatsschatz. So klein diese Summe einer Generation erscheinen muß, die in zwölf Monaten hundertzwanzig Millionen gebraucht hat, so war eine solche doch noch niemals im Jahre durch directe Besteuerung erhoben worden. Sie kam Engländern wie Ausländern ungeheuer vor. Ludwig, der es fast unmöglich fand, durch rücksichtslose Erpressungen dem verarmtenXIX.45 französischen Landvolke die Mittel zur Erhaltung der größten Armee und des prächtigsten Hofes, welche seit dem Untergange des römischen Reichs in Europa existirt hatten, auszupressen, soll in einen Ausruf zornigen Erstaunens ausgebrochen sein, als er erfuhr, daß die Gemeinen England’s aus Furcht und Haß gegen seine Macht einstimmig beschlossen hatten, sich in einem Jahre des Mangels und der Handelsstockung eine Abgabenlast aufzubürden, wie sie weder sie noch ihre Vorfahren jemals getragen hatten. „Mein kleiner Vetter von Oranien scheint fest im Sattel zu sitzen,” sagte er. Nachher setzte er hinzu: „Thut nichts, das letzte Goldstück wird gewinnen.” Dies war jedoch eine Betrachtung, aus der er nicht viel Trost geschöpft haben würde, wenn er über die Hülfsquellen England’s gut unterrichtet gewesen wäre. Kensington war allerdings im Vergleich zu seinem prächtigen Versailles eine bloße Hütte. Die ihn täglich umgebende Pracht der Juwelen, Federn und Spitzen, Pferde und vergoldeten Kutschen überstrahlte bei weitem den Glanz, den unsere Fürsten selbst bei feierlichen Gelegenheiten zu entfalten pflegten. Aber die Lage der Mehrheit des englischen Volks war ohne allen Zweifel so, daß die Mehrheit des französischen Volks sie wohl beneidet haben würde. In der That, was bei uns harter Nothstand genannt wurde, würde dort beispiellose Blüthe genannt worden sein.
Die Grundsteuer wurde nicht ohne einen Streit zwischen den beiden Häusern ausgeschrieben. Die Gemeinen ernannten Commissare zur Feststellung der Steuerbeträge. Es waren die vornehmsten Gentlemen jeder Grafschaft und sie waren in der Bill genannt. Die Lords hielten dieses Arrangement für unverträglich mit der Würde der Pairie, und sie schalteten daher eine Klausel ein, welche bestimmte, daß ihre Güter durch zwanzig Mitglieder ihres eigenen Standes abgeschätzt werden sollten. Das Unterhaus verwarf dieses Amendement mit Entrüstung und verlangte eine augenblickliche Conferenz. Nach einigem Zögern, das die Mißstimmung der Gemeinen vermehrte, fand die Conferenz statt. Die Bill wurde den Peers mit dem sehr kurzen und trotzigen Bedeuten zurückgegeben, daß sie sich nicht anmaßen sollten, Finanzgesetze abzuändern. Eine starke Partei unter den Lords war obstinat. Mulgrave sprach ein Langes und Breites über die Prätensionen der Plebejer. Er sagte seinen Collegen, daß, wenn sie nachgäben, sie sich der Autorität entäußern würden, welche die Barone England’s stets seit Gründung der Monarchie besessen hätten, und daß ihnen von ihrer alten Größe nichts übrig bleiben würde als ihre Adelskronen und ihr Hermelin. Burnet sagt, diese Rede sei die schönste gewesen, die er je im Parlamente gehört habe, und Burnet war unzweifelhaft ein competenter Richter in Sachen der Beredtsamkeit und weder für Mulgrave eingenommen, noch den Privilegien der Aristokratie hold. Aber obwohl der Redner seine Zuhörer entzückte, gelang es ihm doch nicht, sie zu überzeugen. Die meisten von ihnen scheuten einen Kampf, in welchem die Gemeinen wie ein Mann und auch der König ihnen gegenübergestanden haben würden, der nöthigenfalls gewiß lieber funfzig Peers creirt als die Grundsteuerbill hätte fallen lassen. Zwei nachdrückliche Proteste jedoch, der erste von siebenundzwanzig, der andre von einundzwanzig Andersdenkenden unterzeichnet, bewiesen, wie hartnäckig viele Edelleute bereit waren, bis aufs Aeußerste für das Ansehen ihres Standes zu kämpfen. Es wurde eine zweite Conferenz gehalten und Rochester kündigte an, daß die Lords im Interesse des Gemeinwohls von dem, was sieXIX.46 gleichwohl als ihr klares Recht behaupten müßten, absehen und nicht auf ihrem Amendement bestehen wollten.[83] Die Bill wurde angenommen und ihr folgten andere Bills zur Auflegung von Zusatzzöllen auf Einfuhrartikel und zur Besteuerung der Dividenden von Actiengesellschaften.
Die veranschlagten Revenuen deckten indessen immer noch nicht die veranschlagten Ausgaben. Das Jahr 1692 hatte dem Jahre 1693 ein starkes Deficit hinterlassen und es war wahrscheinlich, daß die Anforderungen des Jahres 1693 die des Jahres 1692 um etwa fünfhunderttausend Pfund übersteigen würden. Ueber zwei Millionen waren für die Armee und das Geschützwesen, nahe an zwei Millionen für die Flotte bewilligt worden.[84] Noch vor acht Jahren hatten vierzehnhunderttausend Pfund zur Bestreitung des gesammten jährlichen Regierungsaufwandes genügt. Jetzt wurde mehr als das Vierfache dieser Summe erfordert. Die Steuern, die directen sowohl wie die indirecten, waren auf eine noch nie dagewesene Höhe gesteigert und doch blieb das Staatseinkommen um etwa eine Million hinter den Ausgaben zurück. Man mußte auf eine neue Hülfsquelle sinnen. Es wurde eine gefunden, eine Hülfsquelle, deren Folgen bis auf den heutigen Tag in allen Theilen des Erdballs empfunden werden.
Das Auskunftsmittel, zu welchem die Regierung ihre Zuflucht nahm, hatte eigentlich nichts Seltsames oder Mysteriöses. Es war ein Mittel, das die Financiers des Continents seit zwei Jahrhunderten kannten und auf das jeder englische Staatsmann fast nothwendig kommen mußte, wenn er die Leere in der Schatzkammer mit dem Ueberflusse auf dem Geldmarkte verglich.
Während des Zeitraums zwischen der Restauration und der Revolution hatte der Reichthum der Nation rasch zugenommen. Tausende von geschäftsthätigen Leuten fanden jede Weihnachten, daß, nachdem die Ausgaben des Jahreshaushalts von dem Jahreseinkommen bestritten waren, ein Ueberschuß blieb, und wie sie diesen Ueberschuß anlegen sollten, war eine ziemlich schwer zu beantwortende Frage. In unsrer Zeit ist es die Sache einiger Minuten, einen solchen Ueberschuß zu etwas mehr als drei Procent gegen die beste Sicherheit, die die Welt je gekannt hat, unterzubringen. Im 17. Jahrhundert aber war ein Advokat, ein Arzt oder ein vom Geschäft zurückgetretener Kaufmann, der sich einige Tausende erspart hatte und sie sicher und nutzbar anlegen wollte, oft in großer Verlegenheit. Drei Generationen früher kaufte Jemand, der sich im Geschäft Vermögen erworben hatte, in der Regel Grundeigenthum oder lieh seine Ersparnisse auf Hypothek aus. Aber die Anzahl der Acker Landes im Königreiche war die nämliche geblieben und der Werth des Bodens war zwar beträchtlich gestiegen, aber doch keineswegs in so rascher Progression als die Masse des auf VerwendungXIX.47 harrenden Kapitals zugenommen hatte. Viele wünschten auch ihr Geld so anzulegen, daß sie jeden Augenblick darüber verfügen konnten, und sie sahen sich nach einer Gattung Eigenthum um, das sich leichter cediren ließ als ein Haus oder ein Stück Feld. Ein Kapitalist konnte zwar auf Bodmerei oder auf persönliche Sicherheit ausleihen, aber wenn er dies that, lief er stets große Gefahr, Zinsen und Kapital zu verlieren. Es gab ein paar Actiengesellschaften, unter denen die Ostindische Compagnie die erste Stelle einnahm; aber die Nachfrage nach den Papieren dieser Compagnie war bei weitem größer als das Angebot. Das Verlangen nach einer neuen Ostindischen Compagnie ging in der That hauptsächlich von Leuten aus, denen es schwer geworden war, ihre Ersparnisse gegen gute Sicherheit zinsbar anzulegen. Diese Schwierigkeit war so groß, daß die Gewohnheit, baares Geld aufzusammeln, allgemein war. Es wird uns erzählt, daß der Vater des Dichters Pope, der sich zur Zeit der Revolution von seinem Geschäft in der City zurückzog, auf seinen Landsitz eine Geldkasse mitnahm, welche nahe an zwanzigtausend Pfund enthielt, und daß er von Zeit zu Zeit herausnahm, was er zur Bestreitung seiner häuslichen Bedürfnisse brauchte, und es ist sehr wahrscheinlich, daß dies kein vereinzelter Fall war. Gegenwärtig ist die Quantität des von Privatpersonen aufgesammelten gemünzten Geldes so unbedeutend, daß es, wenn es in den Verkehr käme, keine merkliche Vermehrung der Geldcirculation hervorrufen würde. Zu Anfang der Regierung Wilhelm’s III. aber waren alle renommirten Schriftsteller über den Geldumlauf der Meinung, daß eine sehr beträchtliche Masse Gold und Silber in geheimen Schubkästen und hinter Wandgetäfel verborgen sei.
Die natürliche Folge dieses Standes der Dinge war, daß eine Menge Projectenmacher, geistreiche und alberne, rechtschaffene und betrügerische, sich damit beschäftigten, neue Pläne zur Anlegung des überflüssigen Kapitals zu ersinnen. Es war im Jahre 1688, daß man das Wort Stockjobber zum ersten Male in London hörte. In dem kurzen Zeitraume von vier Jahren entstanden eine Masse Compagnien, deren jede den Actienzeichnern zuversichtlich die Hoffnung auf enormen Gewinn eröffnete: die Versicherungscompagnie, die Papiercompagnie, die Darmsaitencompagnie, die Perlenfischereicompagnie, die Glasflaschencompagnie, die Alauncompagnie, die Kohlenblendecompagnie, die Degenklingencompagnie. Es gab eine Tapetencompagnie, welche bald hübsche Wandbekleidungen für die Besuchszimmer der mittleren Stände und für die Schlafzimmer der höheren liefern wollte. Es gab eine Kupfercompagnie, welche die Minen England’s auszubeuten gedachte und die Hoffnung aussprach, daß sich dieselben nicht minder werthvoll erweisen würden als die von Potosi. Es gab eine Tauchercompagnie, die sich anheischig machte, werthvolle Gegenstände von untergegangenen Schiffen zu Tage zu fördern, und welche verkündigte, daß sie einen Vorrath wunderbarer Maschinen angeschafft habe, welche vollständigen Rüstungen glichen. Vorn am Helme befand sich ein großes Glasauge, gleich dem eines Cyclopen, und von der Helmspitze ging eine Röhre aus, durch welche die Luft eingelassen wurde. Der ganze Prozeß wurde auf der Themse öffentlich gezeigt. Elegante Herren und Damen wurden zu dem Schauspiele eingeladen, gastlich bewirthet und durch den Anblick erfreut, wie die Taucher in ihrer Rüstung in den Fluß hinabstiegen und mit altem Eisen und Schiffsgeräth wieder heraufkamen. Es gab eine Grönlandsfischereicompagnie, welche unfehlbar die holländischen Wallfischjäger und HeringsbüsenXIX.48 aus den nordischen Meeren verdrängen mußte. Es gab eine Gerbereicompagnie, welche Leder zu liefern versprach, das vorzüglicher sein sollte als das beste türkische und russische. Es gab eine Gesellschaft, die es auf sich nahm, jungen Gentlemen unter billigen Bedingungen eine liberale Ausbildung angedeihen zu lassen und die sich den hochtrabenden Namen Royal Academies Company beilegte. In einer pomphaften Ankündigung wurde bekannt gemacht, daß die Directoren der „Königlichen Academiencompagnie” die besten Lehrer in jedem Zweige des Wissens engagirt hätten und auf dem Punkte ständen zwanzigtausend Loose zu zwanzig Schilling auszugeben. Es sollte eine Lotterie sein mit zweitausend Gewinnen und die glücklichen Treffer der Gewinne sollten auf Kosten der Gesellschaft Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch, Spanisch, die Kegelschnittlehre, Trigonometrie, Heraldik, Lackirkunst, Befestigungskunst, Buchhaltung und die Kunst, auf der Theorba zu spielen, erlernen. Einige von diesen Gesellschaften mietheten große Gebäude und druckten ihre Ankündigungen in goldenen Lettern. Andere bescheidenere begnügten sich mit Tinte und versammelten sich in Kaffeehäusern in der Nähe der Börse. Bei Jonathan und Garraway wimmelte es beständig von Mäklern, Käufern und Verkäufern, von sich versammelnden Directoren und Actionären. Bald kamen die Zeitkäufe in die Mode. Es wurden ausgedehnte Combinationen aufgestellt und monströse Fabeln in Umlauf gebracht, um den Preis der Actien hinaufzutreiben oder herunterzudrücken. Unser Vaterland war zum ersten Male Zeuge der Erscheinungen, mit denen eine lange Erfahrung uns vertraut gemacht hat. Eine Manie, deren Symptome im Wesentlichen dieselben waren, wie die der Manie von 1720, der Manie von 1825 und der Manie von 1845, ergriff das Publikum. Eine Sucht, schnell reich zu werden, eine Geringschätzung des kleinen aber sicheren Gewinns, welche der gebührende Lohn der Betriebsamkeit, der Ausdauer und der Sparsamkeit sind, verbreiteten sich durch die ganze Gesellschaft. Der Geist der betrügerischen Würfelspieler von Whitefriars bemächtigte sich der ernsten Senatoren der City, der Gildenvorsteher, der Deputies und Aldermen. Es war viel leichter und viel einträglicher, einen lügenhaften Prospectus auszugeben, der ein neues Actienunternehmen ankündigte, unwissende Leute zu überreden, daß die Dividenden nicht unter zwanzig Procent betragen könnten und fünftausend Pfund dieses imaginären Gewinns für zehntausend Stück solide Guineen hinzugeben, als ein Schiff mit einer gutgewählten Ladung für Virginien oder die Levante zu befrachten. Jeden Tag trat eine neue Blase ans Licht, stieg lustig empor, schimmerte glänzend, zerplatzte und war vergessen.[85]
XIX.49 Die neue Form, welche die Gewinnsucht angenommen hatte, lieferte den humoristischen Dichtern und Satyrikern einen vortrefflichen Stoff, und dieser Stoff war ihnen um so willkommener, weil einige der gewissenlosesten und glücklichsten von dieser neuen Gattung von Spielern Männer in schwarzen Röcken und mit schlichten Haaren waren, Männer, welche die Spielkarten Bücher des Teufels nannten, Männer, die es für eine Sünde und Schande hielten, einige Pence am Triktrakbret zu gewinnen oder zu verlieren. In Shadwell’s letztem Drama wurde die Heuchelei und Schurkerei dieser Spekulanten zum ersten Male dem öffentlichen Spotte preisgegeben. Er starb im November 1692 kurz vor der ersten Aufführung seiner „Stockjobbers,” und der Epilog wurde von einem Schauspieler in Trauerkleidern gesprochen. Die beste Scene ist die, in welcher vier oder fünf starre Nonconformisten in vollständigem puritanischen Costüm, nachdem sie die Prospecte der Mausefallencompagnie und der Flohtödtungscompagnie discutirt haben, die Frage besprechen, ob die Gottseligen gesetzmäßigerweise Actien einer Compagnie zur Herbeischaffung chinesischer Seiltänzer haben dürften. „Angesehene Leute haben Actien,” sagt ein ernster Mann mit kurzgeschorenen Haaren und mit Bäffchen; „aber ich bin wahrhaftig in Zweifel, ob es erlaubt ist oder nicht.” Diese Zweifel werden durch einen trotzigen alten Rundkopfobersten gehoben, der bei Marston Moor gefochten hat und der seinen schwächeren Bruder daran erinnert, daß die Heiligen für ihre Person den Seiltanz nicht anzusehen brauchten und daß aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt gar kein Seiltanz zu sehen sein werde. „Die Sache scheint Anklang zu finden,” sagt er, „die Actien werden sich gut verkaufen lassen, und dann kann es uns gleichgültig sein, ob die Tänzer kommen oder nicht.” Es ist wichtig, zu bemerken, daß diese Scene dargestellt und applaudirt wurde, bevor noch ein Farthing von der Nationalschuld contrahirt war. So schlecht waren die zahlreichen Schriftsteller unterrichtet, die zu einer späteren Zeit der Nationalschuld das Entstehen des Börsenspiels und aller damit verbundenen Unmoralitäten zuschrieben. Das Wahre ist, daß die Gesellschaft in ihrem natürlichen Entwicklungsgange einen Punkt erreicht hatte, auf welchem das Börsenspiel, mochte es eine Nationalschuld geben oder nicht, eben so unvermeidlich war als das Vorhandensein einer Nationalschuld, wenn ein langer und kostspieliger Krieg geführt wurde.
Wie wäre es in der That möglich gewesen, keine Schuld zu contrahiren, wenn der eine Theil durch die stärksten Beweggründe zum Entlehnen, der andre Theil durch eben so starke Beweggründe zum Darleihen angetrieben wurde? Der Augenblick war gekommen, wo sich die Regierung in die Unmöglichkeit versetzt sah, ohne die bedenklichste Unzufriedenheit zu erregen, durch Besteuerung die zur Vertheidigung der Freiheit und Unabhängigkeit der Nation erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, und gerade in diesem Augenblicke sahen sich zahlreiche Kapitalisten vergebens nach einer guten Art und Weise der Anlegung ihrer Ersparnisse um und behielten in Ermangelung einer solchen ihr Geld im Kasten oder verschwendeten es an unsinnige Projecte. Reichthümer, welche hingereicht haben würden, eine Flotte auszurüsten, die den deutschen und den atlantischen Ocean von den französischen Kapern hätte säubern können, Reichthümer, welche hingereicht haben würden, eine Armee zu unterhalten, die Namur hätte wiedernehmen und die Niederlage von Steenkerke rächen können, lagen müßig oder gingen aus den Händen ihrer Besitzer in dieXIX.50 Hände von Gaunern über. Ein Staatsmann konnte wohl auf den Gedanken kommen, daß ein Theil des Geldes, das täglich vergraben oder vergeudet wurde, mit Vortheil für den Eigenthümer, für den Steuerzahlenden und für den Staat in den Schatz gezogen werden könne. Warum den außerordentlichen Aufwand eines Kriegsjahres dadurch bestreiten, daß man fleißigen Familien Stühle, Tische und Betten wegnahm, daß man den einen Landgentleman nöthigte, seine Bäume zu schlagen, bevor sie für die Art reif waren, einen andren die Landhäuser auf seinem Gute verfallen zu lassen, einen dritten, seinen hoffnungsvollen Sohn von der Universität zu nehmen, während es um die Börse herum von Leuten wimmelte, die nicht wußten was sie mit ihrem Gelde anfangen sollten, und die in Jedermann drangen, es ihnen abzuborgen?
Es wurde späterhin von Tories, welche unter allen Dingen die Nationalschuld und unter allen Menschen Burnet am meisten haßten, oft behauptet, Burnet sei Derjenige gewesen, der der Regierung zuerst gerathen habe, eine Nationalschuld zu contrahiren. Allein diese Behauptung wird durch keinen glaubwürdigen Beweis bestätigt und scheint durch das Stillschweigen des Bischofs widerlegt zu werden. Er war unter allen Menschen derjenige, von dem am wenigsten anzunehmen war, daß er die Thatsache verschweigen würde, daß eine wichtige fiskalische Revolution sein Werk gewesen. Auch war das damalige Schatzcollegium kein solches, das die Rathschläge eines Geistlichen nöthig gebraucht, oder von dem man hätte annehmen können, daß es dieselben sonderlich beachten würde. In diesem Collegium saß Godolphin, der klügste und erfahrenste, und Montague, der waghalsigste und erfinderischste aller Financiers. Es konnte keinem dieser beiden ausgezeichneten Männer unbekannt sein, daß es in den Nachbarstaaten schon längst Gebrauch war, die durch ein Kriegsjahr nöthig gemachte übermäßige Besteuerung auf mehrere Friedensjahre zu vertheilen. In Italien bestand dieser Gebrauch seit mehreren Generationen. Frankreich hätte während des Kriegs, welcher 1672 begann und 1679 endigte, nicht weniger als dreißig Millionen nach unsrem Gelde geborgt. Sir Wilhelm Temple hatte in seinem interessanten Werke über die Batavische Föderation seinen Landsleuten erzählt, daß zu der Zeit als er Gesandter im Haag war, die damals von dem sparsamen und klugen De Witt verwaltete Provinz Holland allein ungefähr fünf Millionen Pfund Sterling schuldete, für welche die Zinsen zu vier Procent stets auf den Tag bereit waren, und daß, wenn ein Theil des Kapitals zurückgezahlt wurde, der Staatsgläubiger sein Geld mit Thränen in Empfang nahm, wohl wissend, daß er keine Anlage von gleicher Sicherheit finden konnte. Das Wunder ist nicht, daß England endlich das Beispiel seiner Feinde wie seiner Verbündeten nachahmte, sondern daß bereits das vierte Jahr seines schweren und erschöpfenden Kampfes gegen Ludwig zu Ende ging, ehe es zu einem so nahe liegenden Aushülfsmittel griff.
Am 15. December 1692 erklärte sich das Haus der Gemeinen zu einem Ausschusse für Feststellung der Mittel und Wege. Somers nahm den Präsidentenstuhl ein. Montague schlug vor, eine Million auf dem Wege der Anleihe zu erheben; der Vorschlag fand Beifall und es wurde angeordnet, daß eine Bill eingebracht werden solle. Die Details des Planes wurden ausführlich besprochen und vielfach modificirt; das Prinzip aber scheint allen Parteien gefallen zu haben. Die Geldmänner waren froh, daß sie eine gute Gelegenheit hatten, ihre aufgehäuften KapitalienXIX.51 zinsbar anzulegen, und die durch die Steuerlast hart gedrückten Grundbesitzer waren bereit, um momentaner Erleichterung willen Alles zu genehmigen. Kein Mitglied wagte das Haus abstimmen zu lassen. Am 20. Januar wurde die Bill zum dritten Male gelesen, durch Somers den Lords überreicht und von ihnen ohne Amendement angenommen.[86]
Durch dieses denkwürdige Gesetz wurden neue Abgaben auf das Bier und andere geistige Getränke gelegt. Diese Abgaben sollten im Schatze von allen übrigen Einnahmen gesondert bleiben und einen Fond bilden, auf dessen Garantie hin eine Million gegen Leibrenten aufgenommen werden sollten. Nach dem Absterben der Renteninhaber sollten ihre Annuitäten unter die Ueberlebenden vertheilt werden, bis die Zahl der Ueberlebenden auf sieben zusammengeschmolzen war. Was nach dieser Zeit zurückfiel, sollte dem Staate zu Gute kommen. Es war demnach ausgemacht, daß das 18. Jahrhundert weit vorgerückt sein würde, ehe die Schuld getilgt war. Der Zinsfuß sollte bis zum Jahre 1700 zehn Procent, und nach diesem Jahre sieben Procent sein. Die dem Staatsgläubiger durch diesen Plan gebotenen Vortheile mögen groß scheinen, waren aber nur eben hinreichend, um ihn für sein Risico zu entschädigen. Es war nicht unmöglich, daß eine Contrerevolution ausbrach, und wenn eine solche stattfand, war es gewiß, daß Die, welche Wilhelm Geld geliehen hatten, sowohl Zinsen als Kapital verloren.
Dies war der Ursprung der Schuld, die seitdem das größte Wunder geworden ist, das jemals den Scharfsinn der Staatsmänner und Philosophen in Verlegenheit gesetzt und ihren Stolz beschämt hat. Bei jeder neuen Vermehrung dieser Schuld hat die Nation stets das nämliche Geschrei der Angst und Verzweiflung erhoben. Bei jeder neuen Vermehrung dieser Schuld haben einsichtsvolle Männer allen Ernstes behauptet, daß Bankerott und Ruin bevorständen. Und doch wuchs die Schuld fortwährend, und Bankerott und Ruin waren so fern als je. Als der große Kampf mit Ludwig schließlich durch den Frieden von Utrecht beendigt wurde, schuldete die Nation ungefähr funfzig Millionen, und diese Schuld wurde, nicht bloß von dem ungebildeten großen Haufen, nicht blos von fuchsjagenden Squires und Kaffeehausrednern, sondern von scharfen und tiefen Denkern als eine Last betrachtet, welche den Staatskörper fortwährend lähmen würde. Gleichwohl blühte der Handel, der Wohlstand nahm zu, die Nation wurde reicher und reicher. Dann kam der österreichische Erbfolgekrieg, und die Schuld stieg auf achtzig Millionen. Tagesschriftsteller, Geschichtsschreiber und Redner erklärten, daß jetzt unsre Lage jedenfalls eine verzweifelte sei. Die Zeichen zunehmenden Wohlstandes, Zeichen, die weder gefälscht noch verborgen werden konnten, mußten jedoch jeden aufmerksamen und nachdenkenden Beobachter überzeugen, daß eine Schuld von achtzig Millionen für das von Pelham regierte England weniger war, als eine Schuld von funfzig Millionen für das von Oxford regierte England gewesen war. Bald brach von neuem Krieg aus, und unter der energischen und verschwenderischen Verwaltung des ersten Wilhelm Pitt schwoll die Schuld rasch auf hundertvierzig Millionen an. Sobald der erste Siegesrausch verflogen war, erklärten Männer der Theorie und Männer der Praxis einstimmig, daß der verhängnißvolleXIX.52 Tag nun wirklich gekommen sei. Der einzige unter allen praktischen und theoretischen Staatsmännern, der die allgemeine Verblendung nicht theilte, war Edmund Burke. David Hume, ohne Widerrede einer der gründlichsten Staatsökonomen seiner Zeit, erklärte, unser Wahnsinn übertreffe noch den Wahnsinn der Kreuzfahrer. Richard Löwenherz und Ludwig der Heilige hätten nicht mathematischen Beweisen Hohn gesprochen. Es sei unmöglich, mit Ziffern zu beweisen, daß der Weg zum Paradiese nicht durch das gelobte Land gehe, aber es sei möglich mit Ziffern zu beweisen, daß der Weg zum Nationalruin durch die Nationalschuld führe. Es sei jedoch überflüssig noch von dem Wege zu sprechen, denn mit dem Wege hätten wir es nicht mehr zu thun, wir seien bereits am Ziele angelangt und Alles sei vorbei: alle Einkünfte der Insel nördlich vom Trent und westlich vom Reading seien verpfändet. Es würde besser für uns gewesen sein, wenn Preußen oder Oesterreich uns besiegt hätte, als daß wir die Zinsenlast für hundertvierzig Millionen tragen müßten.[87] Dieser große Gelehrte — denn das war er — hätte indessen nur die Augen zu öffnen gebraucht, um überall um sich her Fortschritt und Verbesserung zu erblicken: sich vergrößernde Städte, sich immer weiter ausbreitende Bebauung des Bodens, Märkte, zu klein für die Masse der Käufer und Verkäufer, Häfen, nicht mehr genügend zur Aufnahme der Schiffe, künstliche Flüsse, welche die Hauptbinnensitze der Industrie mit den wichtigsten Seehäfen verbanden, besser erleuchtete Straßen, besser eingerichtete Häuser, kostbarere Waaren, in eleganteren Läden zum Verkauf gestellt, leichtere Wagen, die auf ebeneren Wegen dahinrollten. Er hätte in der That nur das Edinburg seiner Kindheit mit dem Edinburg seines Mannesalters zu vergleichen gebraucht. Seine Prophezeiung bleibt für die Nachwelt ein denkwürdiges Beispiel der Schwäche, von der auch die stärksten Geister nicht frei sind. Adam Smith sah ein wenig, aber auch nur ein wenig weiter. Er gab zu, daß die Nation die Schuldenlast trotz ihrer ungeheuren Größe doch trage und unter ihr in einer Weise gedeihe, die Niemand habe voraussehen können. Aber er warnte seine Landsleute, ein so gewagtes Experiment zu wiederholen. Die Grenze sei erreicht, selbst eine geringe Vermehrung könne verderblich werden.[88] Nicht minder schwarz war das Licht, in welchem Georg Grenville, ein ausgezeichnet fleißiger und praktischer Minister, unsre finanzielle Lage erblickte. Er meinte die Nation müsse unter einer Schuldenlast von hundertvierzig Millionen erliegen, wenn nicht ein Theil derselben von den amerikanischen Colonien getragen würde. Der Versuch, einen Theil der Last auf die amerikanischen Colonien zu übertragen, rief einen neuen Krieg hervor. Nach diesem Kriege hatten wir hundert Millionen Schulden mehr und die Colonien verloren, deren Beistand als unerläßlich dargestellt worden war. Wieder wurde England aufgegeben, und wieder beharrte der sonderbare Patient darin, trotz aller Diagnosen und Prognosen der Staatsärzte immer kräftiger und blühender zu werden. Wie es mit einer Schuld von hundertvierzig Millionen sichtlich besser gediehen war als mit einer Schuld von funfzig Millionen, so gedieh es wieder mit einer Schuld von zweihundertvierzigXIX.53 Millionen besser als mit einer Schuld von einhundertvierzig Millionen. Bald jedoch stellten die Kosten der aus der französischen Revolution hervorgehenden Kriege, welche an Kostspieligkeit alle übertrafen, die die Welt je gesehen, die Kräfte des öffentlichen Credits auf die äußerste Probe. Als die Welt wieder ruhig geworden war, betrug die fundirte Schuld England’s achthundert Millionen. Wenn man dem aufgeklärtesten Manne im Jahre 1792 gesagt hätte, daß im Jahre 1815 die Zinsen von achthundert Millionen auf den Tag von der Bank ausgezahlt werden würden, so würde er dies eben so wenig geglaubt haben, als wenn man ihm gesagt hätte, die Regierung werde im Besitz der Aladinslampe oder des Fortunatusbeutels sein. Es war in der That eine riesige, eine fabelhafte Schuld, und wir dürfen uns kaum darüber wundern, daß das Geschrei der Verzweiflung lauter war als je. Doch abermals überzeugte man sich, daß das Geschrei eben so grundlos gewesen war als je. Nach einigen Jahren der Erschöpfung erholte sich England wieder. Dennoch beklagte es sich, wie Addison’s eingebildeter Kranker, der beständig wimmert, er müsse an der Schwindsucht sterben, bis er so fett wird, daß er beschämt schweigen muß, fortwährend, daß es in Armuth versunken sei, bis sein Reichthum sich durch Zeichen verrieth, die seine Klagen lächerlich machten. Die verarmte, die bankerotte Gesellschaft erwies sich nicht nur fähig, alle ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, sondern wurde sogar, während sie ihre Verbindlichkeiten erfüllte, so schnell immer reicher und reicher, daß die Zunahme ihres Reichthums fast mit den Augen zu erkennen war. In jeder Grafschaft sahen wir seit kurzem Wüsteneien in Gärten verwandelt; in jeder Stadt sahen wir neue Straßen und Squares und Marktplätze, glänzendere Laternen, reichlichere Versorgung mit Wasser; in den Vorstädten jedes großen Sitzes der Industrie sahen wir die Villas, jede in ein reizendes kleines Paradies von Hollunder und Rosen gebettet, sich rasch vermehren. Während seichte Politiker beständig wiederholten, daß die Kräfte des Volks durch die Wucht der öffentlichen Lasten erdrückt würden, fand die erste Dampfwagenfahrt auf einer Eisenbahn statt. Bald war die Insel mit Schienenwegen überzogen. Eine Summe, größer als der Betrag der ganzen Nationalschuld zu Ende des amerikanischen Kriegs, wurde von diesem ruinirten Volke binnen wenigen Jahren freiwillig auf den Bau von Viaducten, Tunneln, Dämmen, Brücken, Bahnhöfen und Lokomotiven verwendet. Inzwischen wurde die Besteuerung fast beständig leichter und leichter und doch war die Staatskasse gefüllt. Man darf ohne Besorgniß vor Widerspruch behaupten, daß es uns eben so leicht wird, die Zinsen von achthundert Millionen zu bezahlen, als es vor hundert Jahren unseren Vorfahren wurde, die Zinsen von achtzig Millionen zu bezahlen.
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß sich in die Begriffe Derer, welche die durch eine lange Reihe unbestreitbarer Thatsachen so schlagend widerlegte lange Reihe zuversichtlicher Prophezeiungen aussprachen und Derer, die sie glaubten, ein arger Trugschluß eingeschlichen hatte. Diesen Trugschluß nachzuweisen, ist mehr Sache des Nationalökonomen als des Geschichtsschreibers. Hier genüge es zu sagen, daß die Unglückspropheten in einer zweifachen Täuschung befangen waren. Sie glaubten irrthümlich, daß zwischen einem Individuum, das einem andren Individuum schuldet, und einer Gesellschaft, die einem Theile ihrer selbst schuldet, eine genaue Analogie stattfinde, und diese Analogie führte sie zu endlosen TäuschungenXIX.54 über die Wirkung des Fundirungssystem. In einem nicht minder großen Irrthum waren sie bezüglich der Hülfsquellen des Landes. Sie berücksichtigten die Wirkungen nicht, welche die unaufhörlichen Fortschritte jeder Erfahrungswissenschaft und die unablässigen Bemühungen jedes Menschen, im Leben vorwärts zu kommen, hervorbringen. Sie sahen daß die Schuld zunahm, aber sie vergaßen daß alles Andere eben so wohl zunahm wie die Schuld.
Eine lange Erfahrung berechtigt uns zu der Annahme, daß England im 20. Jahrhundert besser im Stande sein wird eine Schuld von sechzehnhundert Millionen zu tragen, als es zur gegenwärtigen Zeit seine gegenwärtige Schuld tragen kann. Doch sei dem wie ihm wolle, Diejenigen, welche so zuversichtlich voraussagten, daß es zuerst einer Schuld von funfzig Millionen, dann einer Schuld von achtzig Millionen, dann einer Schuld von hundertundvierzig Millionen, dann einer Schuld von zweihundertvierzig Millionen und zuletzt einer Schuld von achthundert Millionen erliegen müsse, waren ohne allen Zweifel in einem doppelten Irrthum. Sie überschätzten bei weitem den Druck der Last und unterschätzten bei weitem die Kraft, welche die Last zu tragen hatte.
Es muß wünschenswerth erscheinen, einige Worte darüber hinzuzufügen, wie das Fundirungssystem die Interessen der großen Republik der Nationen berührt hat. Wenn es wahr ist, daß Alles was der Intelligenz über die rohe Gewalt, und der Redlichkeit über die Unredlichkeit einen Vortheil giebt, die Tendenz hat, das Glück und die Tugendhaftigkeit unsres Geschlechts zu fördern, so kann es schwerlich in Abrede gestellt werden, daß die Folgen dieses Systems im weitesten Umfange heilsam gewesen sind. Denn es liegt auf der Hand, daß aller Credit von zwei Dingen abhängt: von der Fähigkeit eines Schuldners, seine Schulden zu bezahlen, und von seinem Willen, sie zu bezahlen. Die Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Schulden zu bezahlen, steht im Verhältniß zu den Fortschritten, die sie in der Industrie, im Handel und in allen den Künsten und Wissenschaften gemacht hat, welche unter dem wohlthätigen Einflusse der Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetze blühen. Der Wille einer Gesellschaft, ihre Schulden zu bezahlen, steht im Verhältniß zu dem Grade, in welchem sie die Verpflichtungen eines gegebenen Versprechens respectirt. Von der Kraft, welche in der Größe des Gebiets und in der Zahl streitbarer Männer besteht, mag ein roher Despot, der kein andres Gesetz kennt als seine persönlichen kindischen Launen und trotzigen Leidenschaften, oder ein Convent von Socialisten, der alles Eigenthum für Diebstahl erklärt, mehr besitzen, als die beste und weiseste Regierung. Aber die Kraft, die aus dem Vertrauen der Kapitalisten entspringt, kann ein solcher Despot oder ein solcher Convent nie besitzen. Diese Kraft, — und es ist eine Kraft, die den Ausgang mehr als eines großen Kampfes entschieden hat — flieht ihrer Natur nach Rohheit und Betrug, Tyrannei und Anarchie, um sich der Civilisation und Tugend, der Freiheit und Ordnung anzuschließen.
Während die Bill, welche zuerst die fundirte Schuld England’s ins Leben rief, unter allgemeinem Beifall die regelmäßigen Stadien durchlief, discutirten die beiden Häuser zum ersten Male die große Frage der Parlamentsreform.
Es muß bemerkt werden, daß das Ziel der Reformer jener Generation lediglich darin bestand, den Repräsentativkörper zu einem treueren Interpreten der Gesinnung des Wahlkörpers zu machen. Es scheint fastXIX.55 keinem einzigen von ihnen eingefallen zu sein, daß der Wahlkörper ein untreuer Interpret der Gesinnung der Nation sein könne. Allerdings waren die Mißgriffe in der Zusammensetzung des Wahlkörpers, welche endlich in unseren Tagen einen unwiderstehlichen Sturm des öffentlichen Unwillens erregten, im 17. Jahrhundert bei weitem nicht so zahlreich und so schädlich, als sie es im 19. geworden waren. Der größte Theil der Burgflecken, denen im Jahre 1832 das Wahlrecht entzogen wurde, waren, wenn auch nicht absolut, doch relativ, unter der Regierung Wilhelm’s III. viel wichtigere Plätze als unter der Regierung Wilhelm’s IV. Von den volkreichen und wohlhabenden Fabrikstädten, Seehäfen und Badeorten, denen das Wahlrecht unter der Regierung Wilhelm’s IV. verliehen wurde, waren einige unter der Regierung Wilhelm’s III. kleine Dorfschaften, von ein paar Bauern oder Fischern in Hütten mit Strohdächern bewohnt; andere waren Getreidefelder oder den Birkhühnern preisgegebene Moorstrecken. Mit Ausnahme von Leeds und Manchester gab es zur Zeit der Revolution nicht eine einzige Stadt von fünftausend Einwohnern, die nicht zwei Vertreter ins Haus der Gemeinen geschickt hätte. Doch auch damals fehlte es nicht an auffallenden Anomalien. East- und West-Looe, das nicht die Hälfte der Bevölkerung und nicht die Hälfte des Vermögens des kleinsten der hundert Kirchspiele London’s hatte, wählte eben so viele Mitglieder als London.[89] Old Sarum, eine verödete Ruine, die der Reisende des Nachts zu betreten sich scheute, aus Furcht, darin lauernden Räubern in die Hände zu fallen, hatte eben so viel Gewicht in der gesetzgebenden Versammlung wie Devonshire oder Yorkshire.[90] Einige ausgezeichnete Männer beider Parteien, zum Beispiel Clarendon unter den Tories, und Pollexfen unter den Whigs, verwarfen dieses System. Dennoch waren beide Parteien, allerdings aus sehr verschiedenen Gründen, nicht geneigt, es zu ändern. Es wurde durch die Vorurtheile der einen Partei und durch die Interessen der andren beschützt. Nichts konnte dem Geiste des Toryismus mehr zuwider sein als der Gedanke, Institutionen, welche seit Jahrhunderten bestanden, mit einem Schlage zu vernichten, um auf den Trümmern etwas Symmetrischeres aufzubauen. Den Whigs dagegen konnte es nicht entgehen, daß sie durch eine Aenderung in diesem Theile unsrer Verfassung viel wahrscheinlicher etwas verlieren als gewinnen würden. Es wäre in der That ein großer Irrthum, wollte man glauben, daß ein Gesetz, das die politische Macht von kleinen auf große Wahlkörper übertrug, im Jahre 1692 dasselbe bewirkt haben würde, was es im Jahre 1832 bewirkte. Im Jahre 1832 bestand die Wirkung der Uebertragung in einer Vergrößerung der Macht der städtischen Bevölkerung. Im Jahre 1692 würde sie die Macht der ländlichen Bevölkerung unwiderstehlich gemacht haben. Von den hundertzweiundvierzig Mitgliedern, welche im Jahre 1832 kleinen Wahlflecken entzogen wurden, wurden über die Hälfte großen und blühenden Städten zugetheilt. Im Jahre 1692 aber gab es kaum eine große und blühende Stadt, die nicht schon so viele Vertreter gehabt hätte, als sie mit einem Anschein von Billigkeit verlangen konnte. Es hätte daher fast Alles was den kleinen Wahlflecken entzogen worden wäre, den Grafschaften gegeben werden müssen, und es kannXIX.56 keinem Zweifel unterliegen, daß Alles was darauf abzielte, die Grafschaften zu heben und die Städte zu unterdrücken, im Ganzen auf die Hebung der Tories und auf die Unterdrückung der Whigs hinausgelaufen wäre. Vom Anbeginn unserer bürgerlichen Wirren hatten die Städte auf Seiten der Freiheit und des Fortschritts, die Landgentlemen und die Landgeistlichen auf Seiten der Autorität und des Althergebrachten gestanden. Wenn daher eine Reformbill, welche kleinen Wahlkörpern das Wahlrecht entzog und großen Wahlkörpern mehr Abgeordnete bewilligte, bald nach der Revolution zum Gesetz erhoben worden wäre, so unterliegt es kaum einem Zweifel, daß die entschiedene Mehrheit des Hauses der Gemeinen aus ländlichen Baronets und Squires, Hochkirchlichen, Hochtories und halben Jakobiten bestanden haben würde. Bei einem solchen Hause der Gemeinen ist es fast gewiß, daß eine Verfolgung der Dissenters stattgefunden haben würde; es ist schwer einzusehen, wie eine Vereinigung mit Schottland hätte zu Stande kommen sollen, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine Restauration der Stuarts erfolgt sein würde. Daher wurden die Theile unsrer Verfassung, welche die Politiker der liberalen Schule in neueren Zeiten allgemein als Mißstände betrachten, fünf Generationen früher selbst von den Männern, die am eifrigsten für bürgerliche und religiöse Freiheit waren, mit Wohlgefallen betrachtet.
Aber während Whigs und Tories in dem Wunsche, die bestehenden Wahlrechte aufrecht zu erhalten, übereinstimmten, mußten sie gleichwohl zugeben, daß das Verhältniß zwischen dem Wähler und dem Abgeordneten nicht so war, wie es hätte sein sollen. Vor dem Bürgerkriege hatte das Haus der Gemeinen das volle Vertrauen der Nation besessen. Ein von den Gemeinen mit Mißtrauen, Verachtung und Haß betrachtetes Haus der Gemeinen war etwas Unbekanntes. Die bloßen Worte schon würden dem Ohre eines Sir Peter Wentworth oder Sir Eduard Coke wie einen Widerspruch enthaltend geklungen haben. Nach und nach aber trat eine Veränderung ein. Das im Jahre 1661 während des auf die Rückkehr der königlichen Familie folgenden Anfalls von Freude und Zuneigung gewählte Parlament, repräsentirte nicht die reiflich erwogene Ansicht, sondern nur die momentane Laune der Nation. Viele von den Mitgliedern waren Männer, welche einige Monate früher oder einige Monate später keine Aussicht gehabt haben würden, Sitze zu erlangen, Männer von zerrüttetem Vermögen und von ausschweifenden Sitten, deren einziger Anspruch auf das öffentliche Vertrauen in dem wilden Hasse bestand, den sie gegen Rebellen und Puritaner hegten. Sobald das Volk wieder nüchtern geworden war, sah es mit Schrecken, was für einer Versammlung es in seinem Freudenrausche die Sorge für sein Eigenthum, seine Freiheit und seine Religion anvertraut hatte. Und die in einem Augenblicke wahnsinniger Begeisterung getroffene Wahl konnte sich als eine Wahl auf Lebenszeit herausstellen. Nach dem damals bestehenden Gesetz hing es ganz von dem Willen des Königs ab, ob während seiner Regierung den Wählern Gelegenheit geboten werden sollte, ihren Fehler wieder gut zu machen. Achtzehn Jahre vergingen und eine neue Generation wuchs heran. Auf die glühende Loyalität, mit welcher Karl in Dover bewillkommnet worden war, folgten Unzufriedenheit und Abneigung. Das allgemeine Geschrei lautete, daß das Königreich schlecht regiert, erniedrigt, unwürdigen Männern und noch unwürdigeren Frauen als Beute preisgegeben würde, daß unsre Flotte sich einem Kampfe mit Holland nicht gewachsen gezeigt habe,XIX.57 daß unsre Unabhängigkeit für das Gold Frankreich’s verkauft worden, daß unsere Gewissen in Gefahr seien, aufs Neue dem Joche Rom’s unterworfen zu werden. Das Volk war Rundkopf geworden, aber die Versammlung, welche allein ermächtigt war, im Namen des Volks zu sprechen, war noch eine Versammlung von Cavalieren. Allerdings fand der König gelegentlich selbst dieses Haus der Gemeinen unlenksam. Es hatte von vornherein nicht wenige ächte Engländer enthalten, andere waren hineingekommen, wenn durch den Tod Lücken entstanden, und selbst die Majorität konnte trotz ihrer höfischen Gesinnung nicht umhin einige Sympathie für die Nation zu fühlen. So bildete sich eine Vaterlandspartei, die zu achtunggebietender Stärke anwuchs. Diese Partei aber sah ihre Anstrengungen stets durch systematische Bestechungen vereitelt. Daß einige Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung directe Geschenke erhielten, wurde mit gutem Grunde vermuthet, konnte aber nicht bewiesen werden. Daß das Patronat der Krone in ausgedehntem Maße angewendet wurde, um auf die Abstimmungen einzuwirken, war notorisch. Ein großer Theil Derer, welche das Geld der Nation in Bewilligungen für die Regierung, weggaben, erhielten einen Theil des Geldes in Form von Gehalten wieder, und so bildete sich eine Söldnerschaar, auf die der Hof fast unter allen Umständen zuversichtlich rechnen konnte.
Die Servilität dieses Parlaments hatte einen tiefen Eindruck im Volke zurückgelassen. Man war allgemein der Ansicht, daß England gegen die Gefahr gesichert werden müsse, jemals wieder eine Reihe von Jahren durch Männer repräsentirt zu werden, die sein Vertrauen verloren hätten und die dafür bezahlt würden, daß sie gegen seine Wünsche und Interessen stimmten. Der Gegenstand kam in der Convention zur Sprache und einige Mitglieder wünschten damit ins Reine zu kommen, so lange der Thron noch unbesetzt war. Seitdem war das Verlangen nach einer Reform immer dringender und dringender geworden. Das mit Steuern schwer belastete Volk war natürlich geneigt, Diejenigen, welche von den Steuern lebten, nicht mit sehr günstigem Auge zu betrachten. Daß der Krieg gerecht und nothwendig war, erkannte Jedermann an, und Krieg konnte nicht ohne großen Kostenaufwand geführt werden. Aber je größer die Summen waren, die zur Vertheidigung der Nation erfordert wurden, um so wichtiger war es, nichts zu verschwenden. Die enormen Einkünfte der Staatsbeamten erregten Neid und Unwillen. Hier wurde ein Gentleman dafür bezahlt, daß er nichts that. Dort wurden mehrere Gentlemen dafür bezahlt, daß sie etwas thaten, was ein Einzelner besser gethan haben würde. Die Equipage, die Dienerschaft, die Spitzencravatten und die Diamantschnallen des Staatsdieners wurden natürlich von Denen, welche früh aufstanden und sich spät niederlegten, um ihm die Mittel zu verschaffen, in Glanz und Luxus zu leben, mit scheelen Augen angesehen. Solche Mißbräuche abzustellen war das specielle Amt eines Hauses der Gemeinen. Was aber hatte das bestehende Haus der Gemeinen in dieser Beziehung gethan? Absolut nichts. Im Jahre 1690 waren bei Feststellung der Civilliste allerdings einige scharfe Reden gehalten worden. Aber im Jahre 1691 war bei Berathung der Mittel und Wege ein Beschluß durchgegangen, der so albern abgefaßt war, daß er sich als eine vollständige Fehlgeburt erwies. Der Mißbrauch bestand fort und mußte fortbestehen, so lange er eine Quelle des Gewinns für Diejenigen war, die ihn hätten abstellen sollen. Wer konnte eine treue undXIX.58 wachsame Aufsicht von Aufsehern erwarten, die ein directes Interesse daran hatten, der Verschwendung Vorschub zu leisten, welcher Einhalt zu thun ihr Amt war? Das Haus wimmelte von Angestellten aller Art, Lords des Schatzes, Lords der Admiralität, Zollcommissaren, Acciscommissaren, Prisencommissaren, Cassirern, Controleurs, Einnehmern, Zahlmeistern, Münzbeamten, Hofbeamten, Regimentsobersten, Schiffskapitains und Festungsgouverneurs. Wir schicken, sagte man, einen unserer Nachbarn, einen unabhängigen Gentleman, in dem vollen Vertrauen nach Westminster, daß seine Gesinnungen und Interessen in vollkommenem Einklange mit den unsrigen stehen. Wir erwarten von ihm, daß er uns von jeder Last befreien werde, ausgenommen von den Lasten, ohne welche der Staatsdienst nicht bestehen kann und die wir daher, so drückend sie für uns sein mögen, geduldig und entschlossen tragen. Noch ehe er aber eine Session im Parlamente ist, erfahren wir, daß er mit einem ansehnlichen Gehalte zum Sekretär des Hofmarschallgerichts oder zum Aufseher der abgelegten Garderobe ernannt wurde. Ja, wir erfahren zuweilen, daß er eine von den Stellen in der Schatzkammer erhalten, deren Emolumente mit den Steuern, die wir bezahlen, steigen und fallen. Es wäre wahrhaftig ein Wunder, wenn unsere Interessen in der Hand eines Mannes, dessen Einnahme in Procenten von unseren Verlusten besteht, gut aufgehoben wären. Das Uebel würde bei weitem nicht so groß sein, wenn wir öfters Gelegenheit hätten zu erwägen, ob die Vollmachten unsres Vertreters erneuert oder zurückgezogen werden sollen. Nach dem gegenwärtig bestehenden Gesetz aber ist es nicht unmöglich, daß er diese Vollmachten zwanzig bis dreißig Jahre behält. So lange er lebt, und so lange der König oder die Königin lebt, ist es nicht wahrscheinlich, daß wir unser Wahlrecht je wieder ausüben werden, es müßte denn ein Streit zwischen dem Hofe und dem Parlamente entstehen. Je verschwenderischer und willfähriger ein Parlament ist, um so weniger ist anzunehmen, daß es sich mit dem Hofe überwerfen wird. Je schlechter mithin unsere Vertreter sind, um so länger werden wir voraussichtlich dazu verurtheilt sein, sie behalten zu müssen.
Das Geschrei war laut. Man gab dem Parlamente gehässige Spottnamen. Bald hieß es das Beamtenparlament, bald hieß es das stehende Parlament und wurde für eine drückendere Last erklärt als selbst ein stehendes Heer.
Zwei Specifica gegen die Leiden des Staats wurden dringend empfohlen und theilten sich in die öffentliche Gunst. Das eine war ein Gesetz, welches die Staatsbeamten vom Hause der Gemeinen ausschloß. Das andre war ein Gesetz, welches die Dauer der Parlamente auf drei Jahre beschränkte. Im Allgemeinen zogen die toryistischen Reformers eine Stellenbill (Place Bill), die whiggistischen Reformers eine Dreijährigkeitsbill (Triennial Bill) vor; aber nicht wenige eifrige Mitglieder beider Parteien waren dafür, beide Heilmittel zu versuchen.
Vor Weihnachten noch wurde eine Stellenbill auf den Tisch der Gemeinen niedergelegt. Diese Bill ist von Schriftstellern, die sie nie gesehen und ihren Inhalt nur muthmaßten, heftig gelobt worden. Wer sich aber die Mühe nimmt, das Originalpergament, das vom Staube von hundertsechzig Jahren gebräunt unter den Archiven des Hauses der Lords ruht, zu studiren, wird nicht viel Lobenswerthes darin finden.
Ueber die Art und Weise, in der eine solche Bill hätte abgefaßt seinXIX.59 sollen, wird zu unsrer Zeit unter aufgeklärten Engländern wenig Meinungsverschiedenheit stattfinden. Sie werden in der Ansicht übereinstimmen, daß es höchst verderblich sein würde, wollte man das Haus der Gemeinen allen Staatsbeamten öffnen, aber auch nicht minder verderblich, wollte man dieses Haus allen Staatsbeamten verschließen. Eine genaue Grenzlinie zu ziehen zwischen Denen, welche zugelassen, und Denen, welche ausgeschlossen werden müssen, würde eine viel Zeit, Nachdenken und Detailkenntniß erfordernde Aufgabe sein. Die allgemeinen Prinzipien aber, welche uns dabei leiten müssen, liegen auf der Hand. Die Masse der untergeordneten Beamten muß ausgeschlossen sein; einige wenige Beamte, welche an der Spitze oder nahe an der Spitze der Hauptzweige der Verwaltung stehen, müssen zugelassen werden.
Die untergeordneten Beamten müssen ausgeschlossen bleiben, weil ihre Zulassung den Character des Parlaments erniedrigen und zugleich die Wirksamkeit jedes öffentlichen Amts vernichten würde. Sie sind jetzt ausgeschlossen, und die Folge davon ist, daß wir ein werthvolles Corps von Dienern besitzen, welche unverändert dieselben bleiben, während ein Cabinet nach dem andren gebildet und aufgelöst wird, die jeden eintretenden Minister in seinen Functionen unterrichten und denen es die heiligste Ehrenpflicht ist, ihrem zeitweiligen Vorgesetzten wahre Unterweisung, aufrichtigen Rath und kräftigen Beistand zu gewähren. Der Erfahrung, Geschäftstüchtigkeit und Treue dieser Klasse von Männern muß die Leichtigkeit und Gefahrlosigkeit zugeschrieben werden, womit die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten viele Male im Bereiche unsrer Erinnerung von Tories auf Whigs und von Whigs auf Tories übergegangen ist. Aber es würde keine solche Klasse gegeben haben, wenn Personen, die von der Krone besoldet wurden, ohne Beschränkung im Hause der Gemeinen hätten sitzen dürfen. Die Commissarstellen, Hülfssekretärstellen und ersten Kanzlistenstellen, welche jetzt auf Lebenszeit von Personen bekleidet werden, die dem Kampfe der Parteien fern stehen, würden Parlamentsmitgliedern verliehen worden sein, die der Regierung als gewandte Sprecher oder als zuverlässige Stimmgeber dienstbar waren. So oft das Ministerium gewechselt hätte, würde dieser ganze Schwarm von Anhängern fortgeschickt und durch einen andren Schwarm von Parlamentsmitgliedern ersetzt worden sein, die wahrscheinlich auch wieder fortgeschickt worden wären, noch ehe sie ihre Geschäftsverrichtungen zur Hälfte gelernt hatten. Servilität und Corruption in der Legislatur, Unwissenheit und Untüchtigkeit in allen Zweigen der ausübenden Verwaltung würden die unvermeidlichen Consequenzen eines solchen Systems gewesen sein.
Wo möglich noch nachtheiliger würden die Folgen eines Systems sein, unter welchem alle Diener der Krone ohne Ausnahme vom Hause der Gemeinen ausgeschlossen wären. Aristoteles hat uns in seiner Abhandlung über das Staatswesen, welche vielleicht die scharfsinnigste und lehrreichste von allen seinen Schriften ist, eine Warnung vor einer Klasse arglistigerweise auf Täuschung der Menge berechneter, anscheinend demokratischer, in Wahrheit aber oligarchischer Gesetze hinterlassen.[91] Hätte er Gelegenheit gehabt, die Geschichte der englischen Verfassung zu studiren, so würde er seine Aufzählung solcher Gesetze leicht haben erweitern können. DaßXIX.60 Männer, die im Dienste und Solde der Krone stehen, nicht in einer Versammlung sitzen sollten, deren specielle Obliegenheit es ist, die Rechte und Interessen der Gesellschaft gegen jeden Angriff von Seiten der Krone zu schützen, ist ein plausibler und populärer Grundsatz. Es steht jedoch fest, daß, wenn Diejenigen, welche vor fünf Generationen diesem Grundsatze huldigten, in der Lage gewesen wären, die Verfassung ihren Wünschen gemäß zu gestalten, dies die Unterdrückung desjenigen Zweiges der Legislatur, der aus dem Volke entspringt und dem Volke verantwortlich ist, und das Ueberwiegen der monarchischen und aristokratischen Elemente unsres Staatswesens zur Folge gehabt haben würde. Die Regierung würde ganz und gar in patrizischen Händen gewesen sein. Das fortwährend die ersten Capacitäten des Landes an sich ziehende Haus der Lords würde der höchste Senat geworden sein, während das Haus der Gemeinen fast zu einer Kirchspielversammlung herabgesunken sein würde. Allerdings würden von Zeit zu Zeit Männer von hervorragendem Genie und von Strebsamkeit unter den Vertretern der Grafschaften und Burgflecken aufgetaucht sein. Aber jeder solche Mann würde die Wahlkammer als eine bloße Vorhalle betrachtet haben, die er passiren mußte, um in die erbliche Kammer zu gelangen. Das höchste Ziel seines Strebens würde die Adelskrone gewesen sein, ohne die er nicht zu Macht und Ansehen im Staate gelangen konnte. Sobald er bewiesen hätte, daß er ein gefährlicher Feind und ein werthvoller Freund der Regierung sein könne, würde er sich beeilt haben, das Haus, welches dann in jeder Beziehung das Unterhaus gewesen wäre, mit dem zu vertauschen, welches dann in jeder Beziehung das Oberhaus gewesen wäre. Der Kampf zwischen Walpole und Pulteney, zwischen Pitt und Fox würde von dem volksthümlichen Theile der Legislatur auf den aristokratischen übertragen worden sein. Bei jeder die äußeren, inneren oder Colonialangelegenheiten berührenden wichtigen Frage würden die Debatten der Edlen ungeduldig erwartet und begierig verschlungen worden sein. Der Bericht von den Maßnahmen einer Versammlung, welche Niemanden enthalten hätte, der ermächtigt gewesen wäre, im Namen der Regierung zu sprechen, Niemanden, der jemals ein hohes Staatsamt bekleidet, würden verächtlich bei Seite geworfen worden sein. Selbst die Verwaltung der Gelder der Nation hätte, wenn auch vielleicht nicht in der Form, so doch dem Wesen nach auf die Körperschaft übergehen müssen, in der sich Jeder befunden haben würde, der befähigt gewesen wäre, ein Budget aufzustellen oder eine Schätzung zu motiviren. Das Land würde durch Peers regiert worden sein und die Hauptbeschäftigung der Gemeinen würde darin bestanden haben, sich über Bills zur Einzäunung von Sümpfen und zur Beleuchtung von Städten zu streiten.
Diese Betrachtungen wurden im Jahre 1692 gänzlich übersehen. Niemand dachte daran, eine Unterscheidungslinie zwischen den wenigen Beamten, denen der Sitz im Hause der Gemeinen gestattet sein mußte, und der großen Masse der Beamten zu ziehen, welche auszuschließen waren. Die einzige Scheidelinie, welche die damaligen Gesetzgeber zu ziehen sich die Mühe nahmen, war zwischen sich und ihren Nachfolgern. Ihr eignes Interesse nahmen sie mit einer Sorgfalt wahr, bei der man sich wundern muß, daß sie sich derselben nicht schämten. Jedem von ihnen war es gestattet die Stellen zu behalten, die er bekommen hatte, und bis zur nächsten Auflösung des Parlaments, einem Ereignisse, das vielleicht erst nach vielen Jahren eintrat, noch möglichst viele Stellen dazu zu erlangen. EinemXIX.61 nach dem 1. Februar 1693 gewählten Mitgliede aber sollte es nicht gestattet sein, irgend ein Amt, welcher Art es sein mochte, zu übernehmen.[92]
Im Hause der Gemeinen passirte die Bill rasch und ohne eine einzige Abstimmung alle ihre Stadien. Bei den Lords aber war der Kampf heftig und hartnäckig. Mehrere Amendements wurden im Ausschusse vorgeschlagen, aber sie wurden alle verworfen. Der Antrag auf Annahme der Bill wurde von Mulgrave in einer lebendigen und beißenden Rede unterstützt, die uns erhalten worden ist und welche beweist, daß sein Ruf der Beredtsamkeit kein unverdienter war. Die Lords, welche die entgegengesetzte Ansicht vertheidigten, wagten, wie es scheint, nicht zu leugnen, daß ein Uebel existire, welches ein Heilmittel erforderte; aber sie behaupteten, das vorgeschlagene Heilmittel werde das Uebel nur verschlimmern. Die patriotischen Vertreter des Volks hätten eine Reform ausgesonnen, die vielleicht der nächsten Generation zu Gute kommen werde; aber sie hätten sich wohlweislich das Privilegium vorbehalten, die gegenwärtige Generation auszuplündern. Wenn diese Bill durchgehe, sei es klar, daß, so lange das bestehende Parlament existire, die Zahl der Staatsbeamten im Hause der Gemeinen nur unbedeutend, wenn überhaupt vermindert werden würde, und wenn diese Bill durchgehe, sei es höchst wahrscheinlich, daß das bestehende Parlament so lange existiren werde, bis König Wilhelm sowohl als Königin Marie todt seien. Denn da nach dieser Bill Ihre Majestäten auf das bestehende Parlament einen viel größeren Einfluß auszuüben vermöchten als auf irgend ein zukünftiges Parlament, so würden sie natürlich wünschen, eine Auflösung so weit als möglich hinauszuschieben. Die Klage der englischen Wähler laute, daß sie jetzt, im Jahre 1692, nicht unparteiisch vertreten seien. Es sei nicht Abhülfe, sondern Hohn, wenn man ihnen sage, daß ihre Kinder im Jahre 1710 oder 1720 unparteiisch vertreten sein sollten. Die Abhülfe müsse sofort geschehen, und der Weg, sofortige Abhülfe zu schaffen, bestehe darin, daß man die Dauer der Parlamente beschränke und mit dem Parlamente den Anfang mache, das nach der Ansicht des ganzen Landes nur zu lange schon die Macht in Händen habe.
Die Kräfte hielten einander so genau die Wage, daß ein ganz unbedeutender Umstand die Schale hätte niederdrücken können. Als die Frage gestellt wurde, ob die Bill angenommen werden solle, waren zweiundachtzig Peers anwesend. Von diesen stimmten zweiundvierzig für die Bill und vierzig dagegen. Hierauf wurden die Stimmen der durch Bevollmächtigte vertretenen abwesenden Mitglieder verlangt. Von diesen waren nur zwei für die Bill, sieben gegen dieselbe; von den sieben aber wurden drei bestritten und nur mit Mühe acceptirt. Das Endresultat war, daß die Bill mit drei Stimmen scheiterte.
Die Majorität war aus gemäßigten Whigs und gemäßigten Tories zusammengesetzt. Zwanzig von der Minorität protestirten, und unter ihnen befanden sich die heftigsten und intolerantesten Mitglieder beider Parteien, wie Warrington, der mit genauer Noth dem Blocke entgangen war, weil er gegen Jakob conspirirt hatte, und Aylesbury, der später mit genauer Noth dem Blocke entging, weil er gegen Wilhelm conspirirte. Marlborough, der seit seiner Haft in der Opposition gegen die Regierung am weitesten gegangen war, setzte nicht nur seinen eigenen Namen unter denXIX.62 Protest, sondern bewog auch den Prinzen von Dänemark zur Unterzeichnung des Dokuments, welches zu begreifen Seine Königliche Hoheit durchaus unfähig war.[93]
Es ist ein bemerkenswerther Umstand, daß weder Caermarthen, an Macht sowohl wie an Talenten der erste der toryistischen Minister, noch Shrewsbury, der ausgezeichnetste von denjenigen Whigs, welche damals mit dem Hofe auf schlechtem Fuße standen, bei dieser wichtigen Gelegenheit anwesend waren. Ihre Abwesenheit war aller Wahrscheinlichkeit nach eine absichtliche, denn beide befanden sich nicht lange vor und nicht lange nach der Abstimmung im Hause.
Einige Tage darauf legte Shrewsbury eine Bill zur Beschränkung der Dauer der Parlamente auf den Tisch der Lords. Diese Bill bestimmte, daß das zur Zeit tagende Parlament am 1. Januar 1694 zu existiren aufhören und daß kein zukünftiges Parlament länger als drei Jahre dauern solle.
Unter den Lords scheint fast vollkommene Einhelligkeit über diesen Gegenstand geherrscht zu haben. Wilhelm bemühte sich vergebens, diejenigen Peers, in die er das meiste Vertrauen setzte, zur Unterstützung seiner Prärogative zu bewegen. Einige von ihnen hielten die beantragte Aenderung für heilsam; Andere hofften, die Stimmung des Volks durch eine liberale Concession zu beschwichtigen, und noch Andere hatten bei Bekämpfung der Stellenbill eine solche Sprache geführt, daß sie sich ohne grobe Inconsequenz der Dreijährigkeitsbill nicht widersetzen konnten. Auch hegte das ganze Haus einen Groll gegen das andre Haus und machte sich ein Vergnügen daraus, es in ein höchst unangenehmes Dilemma zu versetzen. Burnet, Pembroke und selbst Caermarthen, der sehr selten auf Seiten des Volks gegen den Thron stand, unterstützten Shrewsbury. „Mylord,” sagte der König mit bitterem Unmuth zu Caermarthen, „Sie werden es erleben, daß Sie den Antheil bereuen, den Sie an dieser Angelegenheit gehabt haben.”[94] Die Warnung wurde nicht beachtet, und nachdem die Bill leicht und rasch bei den Lords durchgegangen war, wurde sie mit großer Feierlichkeit von zwei Richtern den Gemeinen überreicht.
Ueber das was bei den Gemeinen vorging haben wir nur sehr dürftige Berichte; aber aus diesen Berichten geht klar hervor, daß die Whigs als Gesammtheit die Bill unterstützten und daß die Opposition hauptsächlich von Tories ausging. Der alte Titus, der zu den Zeiten der Republik ein Politiker gewesen, unterhielt das Haus mit einer Rede in dem Style, welcher damals an der Tagesordnung war. Die Parlamente, sagte er, glichen dem Manna, das Gott dem auserwählten Volke spende. Sie seien vortrefflich, so lange sie frisch seien, aber wenn sie zu lange aufbewahrt würden, verdürben sie und ekelhafte Würmer würden durch die Verderbniß dessen erzeugt, was lieblicher denn Honig gewesen sei. Littleton und andere Whighäupter sprachen in gleichem Sinne. Seymour, Finch und Tredenham, alle Drei starre Tories, donnerten gegen die Bill, und selbst Sir Johann Lowther war in diesem Punkte andrer MeinungXIX.63 als sein Freund und Gönner Caermarthen. Mehrere toryistische Redner appellirten an ein Gefühl, das im Hause stark vertreten war und das seit der Revolution die Annahme vieler Gesetze verhindert hatte. Alles was von den Peers ausgeht, sagten sie, muß mit Mißtrauen aufgenommen werden, und die vorliegende Bill ist von der Art, daß, selbst wenn sie an sich gut wäre, sie schon deshalb verworfen werden müßte, weil sie uns von ihnen überreicht worden ist. Wenn Ihre Lordschaften uns die vernünftigste aller Geldbills schickten, würden wir sie nicht zur Thür hinauswerfen? Und doch würde die Zusendung einer Geldbill kaum eine gröbere Beleidigung für uns sein als die Zusendung einer Bill wie diese. Sie haben eine Initiative ergriffen, die nach allen Regeln parlamentarischer Artigkeit uns hätte überlassen werden müssen. Sie haben über uns zu Gericht gesessen, uns schuldig befunden, uns zur Auflösung verurtheilt und den 1. Januar zur Vollstreckung des Urtheils bestimmt. Sollen wir uns geduldig einem so erniedrigenden Urtheile unterwerfen, einem Urtheile, das obendrein von Männern gefällt worden ist, die sich nicht so benommen haben, daß sie irgend ein Recht erworben haben könnten, Andere zu tadeln? Haben sie jemals ihr Interesse oder ihr Ansehen dem Gemeinwohle zum Opfer gebracht? Sind nicht vortreffliche Bills deshalb gescheitert, weil wir nicht die Aufnahme von Klauseln zugeben wollten, die dem Adel neue Vorrechte verliehen? Und schlagen Ihre Lordschaften jetzt, wo sie sich gern populär machen möchten, etwa vor, diese Popularität durch Verzichten auf das kleinste ihrer bedrückenden Privilegien zu erkaufen? Nein, sie bieten dem Lande etwas was ihnen nichts kostet, was aber uns und der Krone theuer zu stehen kommen wird. Unter solchen Umständen ist es unsre Pflicht, die uns zugefügte Beleidigung zurückzuweisen und dadurch die rechtmäßige Prärogative des Königs zu vertheidigen.
Derartige Themata waren allerdings ganz geeignet, die Leidenschaften des Hauses der Gemeinen zu entflammen. Die Aussicht auf eine Auflösung konnte einem Mitgliede, dessen Wahl voraussichtlich bestritten werden würde, nicht angenehm sein. Er mußte alle Erbärmlichkeiten des Stimmenwerbens durchmachen, mußte Schaaren von Freisassen und Wählern die Hand schütteln, mußte sich nach ihren Frauen und Kindern erkundigen, mußte Transportmittel für auswärtige Wähler miethen, mußte Bierhäuser öffnen, mußte für Berge von Rindfleisch sorgen, mußte Ale in Strömen fließen lassen, und sah vielleicht nach all’ der Plackerei und all’ dem Geldaufwande, nachdem er in Spottschriften geschmäht, hin und her gestoßen und mit allem Möglichen beworfen worden war, seinen Namen am äußersten Ende der Stimmliste, seine Gegner gewählt und sich selbst, halb zu Grunde gerichtet, in Dunkelheit zurückfallen. All’ dieses Ungemach über sich zu bringen, wurde er jetzt aufgefordert, und von Männern aufgefordert, deren Sitze in der gesetzgebenden Versammlung permanent waren, die weder Ansehen noch Ruhe, weder Macht noch Geld opferten, sondern sich das Lob des Patriotismus dadurch erwarben, daß sie ihn zwangen, eine hohe Stellung aufzugeben, sich einer erschöpfenden Arbeit und Angst zu unterziehen, seine Kornfelder zu verpfänden und seine Forsten niederzuschlagen. Es herrschte natürlich eine große Gereiztheit, wahrscheinlich eine größere Gereiztheit als sie aus den Abstimmungen zu Tage tritt. Denn die Wahlkörper freuten sich im Allgemeinen über die Bill, und viele Mitglieder, denen sie mißfiel, scheuten sich doch ihr zu opponiren.XIX.64 Das Haus gab dem Drängen der öffentlichen Meinung nach, aber nicht ohne innere Pein und ohne Seelenkampf. Die Discussionen im Ausschusse müssen sehr heftig gewesen sein. Es fielen so scharfe Worte zwischen Seymour und einem whiggistischen Mitgliede, daß es nöthig wurde, den Sprecher auf seinen Stuhl zu rufen und das Scepter auf den Tisch zu legen, um die Ordnung wiederherzustellen. Eine Abänderung wurde vorgenommen. Die Frist, welche die Lords dem bestehenden Parlamente bewilligt hatten, wurde vom ersten Januar bis zu Mariä Verkündigung verlängert, damit vollkommen Zeit genug zur Veranstaltung einer neuen Session blieb. Die dritte Lesung wurde mit zweihundert gegen hunderteinundsechzig Stimmen angenommen. Die Lords genehmigten die Bill in ihrer veränderten Form und es fehlte nichts mehr als die königliche Zustimmung. Ob diese Zustimmung erfolgen würde oder nicht, war eine Frage, die bis zum letzten Tage der Session unentschieden blieb.[95]
Eine auffallende Inconsequenz in dem Verfahren der Reformers dieser Generation verdient erwähnt zu werden. Es kam keinem von Denen, welche eifrig für die Dreijährigkeitsbill eingenommen waren, in den Sinn, daß jedes Argument, das zu Gunsten dieser Bill angeführt werden konnte, ein Argument gegen die Regeln war, die man in früheren Zeiten zu dem Zwecke aufgestellt hatte, um die parlamentarischen Berathungen und Abstimmungen streng geheim zu halten. Es ist ganz natürlich, daß eine Regierung, welche der Gesellschaft politische Privilegien vorenthält, ihr auch die Kenntniß der Politik vorenthält. Aber es kann nichts Unvernünftigeres geben als Macht zu bewilligen und nicht auch das Verständniß derselben, ohne welche die größte Gefahr vorhanden ist, daß diese Macht gemißbraucht wird. Was konnte widersinniger sein als Wahlkörper häufig zusammenzuberufen, damit sie entscheiden könnten, ob ihr Repräsentant seine Pflicht gegen sie gethan, und ihnen doch streng zu verbieten, aus glaubwürdiger Quelle zu erfahren, was er gesprochen und wie er gestimmt hatte? Die Absurdität scheint indessen völlig unangefochten durchgegangen zu sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß unter den zweihundert Mitgliedern des Hauses der Gemeinen, welche für die dritte Lesung der Dreijährigkeitsbill stimmten, nicht Einer war, der sich einen Augenblick besonnen haben würde, Jeden nach Newgate zu schicken, der es gewagt hätte, einen Bericht von den Debatten über diese Bill oder eine Liste der Jas und Neins zu veröffentlichen. Dies kam daher, weil die Geheimhaltung der Parlamentsdebatten, eine Geheimhaltung, die jetzt als ein unerträglicheres Uebel betrachtet werden würde als das Schiffsgeld oder die Sternkammer, damals selbst in den rechtschaffensten und intelligentesten Geistern mit dem Begriffe der constitutionellen Freiheit unzertrennlich verbunden war. Einige noch lebende alte Leute konnten sich der Zeit erinnern, wo ein Gentleman, von dem man in Whitehall wußte, daß er ein scharfes Wort gegen einen Günstling des Hofes hatte fallen lassen, vor den Geheimen Rath gefordert und in den Tower geschickt worden wäre. Diese Zeiten waren für immer vorüber. Es war nicht die mindeste Gefahr mehr, daß der König die Mitglieder der Legislatur tyrannisirenXIX.65 werde; aber es war große Gefahr vorhanden, daß die Legislatur das Volk tyrannisiren werde. Gleichwohl übten die Worte Privilegium des Parlaments, diese Worte, welche die ernsten Senatoren der vorhergehenden Generation gemurmelt hatten, als ein Tyrann ihre Kammer mit seinen Garden füllte, diese Worte, welche hunderttausend Londoner ihm in die Ohren brüllten, als er sich zum letzten Male in ihre Stadt wagte, noch immer einen magischen Einfluß auf alle Freunde der Freiheit aus. Es dauerte lange, ehe selbst die aufgeklärtesten Männer zu der Einsicht kamen, daß die Vorsichtsmaßregeln, welche ursprünglich zu dem Zwecke angewendet worden waren, die Patrioten gegen das Mißfallen des Hofes zu schützen, gegenwärtig nur noch dazu dienten, Schmarotzer gegen das Mißfallen der Nation zu schützen.
Es muß ferner auch bemerkt werden, daß Einige von Denen, welche damals das dringendste Verlangen zeigten, die politische Macht des Volks zu vermehren, schon geneigt waren, die Presse von der Aufsicht der Regierung zu befreien. Die Censuracte, welche im Jahre 1685 als etwas Selbstverständliches angenommen worden war, erlosch 1693 und wurde erneuert, jedoch nicht ohne eine Opposition, die im Verhältniß zur Wichtigkeit des Gegenstandes zwar schwach war, aber doch bewies, daß das Volk dunkel zu ahnen begann, wie innig die bürgerliche Freiheit und die Gewissensfreiheit mit der Redefreiheit verwachsen sind.
Kein früherer Schriftsteller hat es der Mühe werth gehalten, auf die Geschichte der Censuracte einige Mühe und Sorgfalt zu verwenden. Man wird jedoch gewiß zugeben, daß die Ereignisse, welche die Einführung der Preßfreiheit in England und in allen von dem englischen Volksstamme bewohnten Ländern zur Folge gehabt haben, ebensoviel Interesse für die jetzige Generation haben als irgend eine der Schlachten und Belagerungen, deren Verlauf bis in die geringsten Details sorgfältig aufgezeichnet worden ist.
Während der ersten drei Jahre von Wilhelm’s Regierung scheint sich kaum eine Stimme gegen die Beschränkungen erhoben zu haben, die das Gesetz der Literatur auflegte. Diese Beschränkungen standen in vollkommenem Einklange mit der Regierungstheorie, welcher die Tories huldigten, und hatten in ihrer praktischen Ausübung für die Whigs nichts Erbitterndes. Roger Lestrange, der unter den letzten beiden Königen des Hauses Stuart Censor gewesen war und der in dieser Eigenschaft ebensowenig Milde gegen die Exclusionisten und Presbyterianer gezeigt hatte, wie in seiner andren Eigenschaft als Redacteur des „Observator”, wurde zur Zeit der Revolution seines Amtes entsetzt und erhielt einen schottischen Gentleman zum Nachfolger, der wegen seiner Leidenschaft für seltene Bücher und seiner Gewohnheit, sich bei allen Bücherversteigerungen einzufinden, in den Läden und Kaffeehäusern in der Nähe der St. Paulskirche unter dem Namen Katalog-Fraser bekannt war. Fraser war ein eifriger Whig, und die whiggistischen Schriftsteller und Verleger priesen ihn als einen höchst unparteiischen und humanen Mann. Aber das Verfahren, welches ihren Beifall hatte, zog ihm das Mißfallen der Tories zu und gefiel auch seinem amtlichen Vorgesetzten Nottingham nicht recht.[96] Es scheint jedochXIX.66 bis zum Jahre 1692 kein ernstes Zerwürfniß entstanden zu sein. In diesem Jahre aber schrieb ein wackerer alter Geistlicher, Namens Walker, der zu den Zeiten der Republik Gauden’s Curat gewesen, ein Buch, das jeden verständigen und leidenschaftslosen Leser überzeugte, daß Gauden und nicht Karl I. der Verfasser des Ikon Basilike war. Diesem Buche gab Fraser die Druckerlaubniß. Hätte er die Veröffentlichung eines Werkes autorisirt, in welchem das Evangelium St. Johannes oder der Brief an die Römer als unecht dargestellt waren, so hätte die Entrüstung der Hochkirchenpartei kaum größer sein können. Das war keine literarische, sondern eine Religionsfrage. Hier war Zweifel Gottlosigkeit. Das Ikon war in der That für viele glühende Royalisten ein Supplement zur Offenbarung. Einer von ihnen war sogar so weit gegangen, daß er vorgeschlagen hatte, es möchten in den Kirchen Kapitel aus dem unschätzbaren Büchlein vorgelesen werden.[97] Fraser hielt es für nöthig, sein Amt niederzulegen, und Nottingham ernannte einen Gentleman von guter Herkunft und geringem Vermögen, Namens Edmund Bohun. Dieser Personenwechsel führte einen plötzlichen und vollständigen Wechsel des Systems mit sich, denn Bohun war ein so eifriger Tory, als ein gewissenhafter Mann, der die Eide geleistet hatte, es nur immer sein konnte. Er hatte sich als Verfolger der Nonconformisten und als Verfechter des passiven Gehorsams bemerkbar gemacht, hatte Filmer’s alberne Abhandlung über den Ursprung des Staatswesens herausgegeben und hatte eine Antwort auf die Schrift veröffentlicht, die Algernon Sidney auf Tower Hill den Sheriffs übergeben. Auch gab Bohun nicht zu, daß er, indem er Wilhelm und Marien Treue geschworen, etwas mit seinem bisherigen politischen Glauben Unverträgliches gethan habe; denn es war ihm gelungen, sich zu überzeugen, daß sie kraft des Eroberungsrechts regierten und daß es Pflicht eines Engländers sei, ihnen eben so treu zu dienen, wie Daniel dem Darius oder Nehemia dem Ataxerxes gedient hatte. Welche Beruhigung diese Doctrin auch seinem eigenen Gewissen verschaffen mochte, sie fand vor den Augen aller Parteien wenig Gnade. Die Whigs verabscheuten sie als servil, die Jakobiten verabscheuten sie als revolutionär. Eine große Anzahl Tories hatten sich allerdings deshalb Wilhelm unterworfen, weil er, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, factisch regierender König war; aber sehr wenige von ihnen waren geneigt zuzugeben, daß sein Besitz des Thrones aus einer Eroberung entsprungen sei. Der Beweisgrund, der den schwachen und beschränkten Verstand Bohun’s befriedigt hatte, war in der That eine bloße Fiction, und wäre er eine Wahrheit gewesen, so würde er eine solche Wahrheit gewesen sein, die kein Engländer ohne die tiefste Beschämung und Kränkung hätte aussprechen können.[98] Er hielt jedoch an seiner Lieblingslaune mit einerXIX.67 Zähigkeit fest, welche den allgemeinen Unwillen noch vermehrte. Seine ehemaligen Freunde, die starren Anhänger des unveräußerlichen erblichen Rechts, wurden kalt und zurückhaltend. Er bat Sancroft um seinen Segen und erhielt nur ein scharfes Wort und einen finstren Blick. Er bat Ken um seinen Segen, und Ken, der die Regeln der christlichen Liebe und Artigkeit sonst nicht zu verletzen pflegte, murmelte etwas von einem kleinen Scribenten. So von einer Partei verstoßen, wurde Bohun von keiner andren aufgenommen. Er bildete gewissermaßen eine besondere Klasse, denn er war zugleich ein eifriger Filmerit und ein eifriger Wilhelmit. Er war der Meinung, daß die durch kein Gesetz und durch keinen Vertrag beschränkte Monarchie die von Gott angeordnete Regierungsform sei. Aber er betrachtete Wilhelm nicht als den absoluten Monarchen, der die große Charte annulliren, die Geschwornengerichte abschaffen und durch königliche Proklamationen Steuern auflegen könnte, ohne den Anspruch auf unbedingten Gehorsam seitens der Christen zu verlieren. Im Uebrigen war Bohun ein Mann von geringer wissenschaftlicher Bildung, beschränktem Verstande und unangenehmen Manieren. Er hatte sein Amt kaum angetreten, so gerieth ganz Paternoster Row und Little Britain in Gährung. Die Whigs hatten unter Fraser’s Amtsführung fast eben so viel Freiheit genossen, als wenn es gar keine Censur gegeben hätte. Jetzt aber wurden sie eben so streng behandelt wie zu der Zeit Lestrange’s. Es sollte eine Geschichte der Blutigen Assisen erscheinen, von der man eben so großen Absatz erwartete als ihn Bunyan’s Pilgerreise gefunden. Aber der neue Censor verweigerte sein Imprimatur. Das Buch, sagte er, stelle Rebellen und Schismatiker als Helden und Märtyrer dar und er werde die Druckerlaubniß nicht geben, wenn man es ihm auch mit Gold aufwöge. Eine von Lord Warrington der großen Jury von Cheshire eingereichte Klageschrift durfte nicht erscheinen, weil Se. Lordschaft geringschätzend vom göttlichen Recht und passiven Gehorsam gesprochen hatte. Julian Johnson sah, daß wenn er seine Ansichten vom Staatswesen veröffentlichen wollte, er wieder wie in den schlimmen Zeiten König Jakob’s zu einer geheimen Presse seine Zuflucht nehmen müsse.[99] Eine solche Beschränkung nach mehreren Jahren unbegrenzter Freiheit erweckte natürlich heftige Erbitterung. Einige Whigs begannen zu denken, daß die Censur an sich ein Uebel sei; alle Whigs aber erklärten einstimmig den neuen Censor für seinen Posten ungeeignet und waren bereit, sich zu einem Versuche ihn los zu werden, zu verbinden.
Ueber die Vorgänge, welche mit Bohun’s Entlassung endigten und welche den ersten parlamentarischen Kampf für die Freiheit der Presse hervorriefen haben wir Berichte von Bohun selbst und von Anderen; aber man hat starken Grund zu glauben, daß sich in keinem dieser Berichte die ganze Wahrheit ausgesprochen findet. Es dürfte nicht unmöglich sein, selbst nach so langer Zeit zerstreute Fragmente von Zeugnissen so zusammenzustellen, daß sie eine authentische Erzählung bilden, die den unglücklichen Censor selbst in Erstaunen gesetzt haben würde.
Es gab damals in der Stadt einen Mann von guter Familie, einiger Belesenheit und unbedeutendem literarischen Talent, Namens KarlXIX.68 Blount.[100] In der Politik gehörte er zur äußersten Fraction der Whigpartei. In den Tagen der Exclusionsbill war er einer von Shaftesbury’s heißblütigen Burschen gewesen und hatte unter dem Namen Julius Brutus die Tugenden und Verdienste des Titus Oates gepriesen und die Protestanten aufgefordert, für den Brand von London und für die Ermordung Godfrey’s blutige Rache an den Papisten zu nehmen.[101] Bezüglich der theologischen Fragen, welche damals zwischen den Protestanten und Papisten schwebten, war Blount vollkommen unparteiisch. Er war ein Ungläubiger und das Oberhaupt einer kleinen Schule von Ungläubigen, die von einer krankhaften Sucht gequält wurden, Convertiten zu machen. Er übersetzte nach der lateinischen Uebersetzung einen Theil der Biographie des Apollonius von Tyana, und fügte Anmerkungen hinzu, deren leichtfertige Profanität den strengen Tadel eines Ungläubigen ganz andrer Art, des berühmten Bayle, hervorrief.[102] Außerdem griff Blount das Christenthum in mehreren Originalabhandlungen oder eigentlich in mehreren sich für Originale ausgebenden Abhandlungen an, denn er war der frechste aller literarischen Diebe und schrieb ohne Anführung der Quelle ganze Seiten von Schriftstellern ab, die ihm vorausgegangen waren. Es war ihm ein Hochgenuß, die Priester mit der Frage zu quälen, woher das Licht gekommen sei, ehe die Sonne geschaffen war, wie das Paradies vom Pison Gihon, Hidekel und Phrath begrenzt sein konnte, wie die Schlangen sich bewegten, ehe sie dazu verurtheilt wurden, zu kriechen, und woher Eva den Zwirn nahm, um ihre Feigenblätter zusammenzuheften. Seinen Grübeleien über diese Dinge gab er den hochtrabenden Titel „Orakel der Vernunft,” und seine Schüler betrachteten auch wirklich Alles was er schrieb oder that als Orakel. Der bekannteste von diesen Schülern war ein schlechter Schriftsteller, Namens Gildon, der noch die nächstfolgende Generation mit erbärmlichen Versen und Verleumdungen plagte und dessen Andenken nicht durch seine eigenen voluminösen Werke, sondern durch einige Zeilen, in denen Pope seine Dummheit und Feilheit mit Verachtung erwähnt, der Nachwelt aufbewahrt worden ist.[103]
So wenig der geistige, wie auch der sittliche Character Blount’s Achtung zu verdienen scheinen, so müssen wir doch ihm in bedeutendem Maße die Emancipation der englischen Presse zuschreiben. Zwischen ihm und den Censoren herrschte eine langdauernde Fehde. Vor der Revolution war eine seiner heterodoxen Schriften von Lestrange abscheulich verstümmelt und schließlich auf Befehl von Lestrange’s Vorgesetzten, dem Bischof von London, unterdrückt worden.[104] Bohun war ein kaum minder strenger Kritiker als Lestrange, und Blount begann daher gegen die Censur und die Censoren zu Felde zu ziehen. Die Feindseligkeiten wurden mit einer Abhandlung eröffnet, welche ohne jede Censur erschien und den Titel führt: A JustXIX.69 Vindication of Learning and of the Liberty of the Press, by Philopatris.[105] Wer diese Schrift liest, und nicht weiß, daß Blount einer der gewissenlosesten Plagiatoren war, die es je gegeben hat, wird sich wundern, neben den armseligen Gedanken und dürren Worten eines Pamphletisten dritten Ranges Stellen von so erhabenem Gedankenflug und Styl zu finden, daß sie dem größten Namen in der Literatur Ehre machen würden. Dies kommt daher, weil die Just Vindication hauptsächlich aus zusammengelesenen Extracten aus den Areopagitica Milton’s besteht. Diese herrliche Ansprache war von der Generation, an die sie gerichtet war, nicht beachtet worden, der Vergessenheit anheim gefallen und jedem literarischen Spitzbuben preisgegeben. Die schriftstellerische Thätigkeit Blount’s glich den architektonischen Arbeiten der Barbaren, die das Coliseum und das Theater von Pompeji als Steinbrüche benutzten, aus jonischen Friesen Hütten bauten und an Säulen von Lazulith Kuhställe lehnten. Blount schloß, wie Milton, mit dem Rathe, daß jedes Buch ohne Censur gedruckt und nur der Name des Verfassers oder Verlegers registrirt werden sollte.[106] Die Just Vindication wurde gut aufgenommen und der Schlag bald wiederholt. Es gab noch viele schöne Stellen in den Areopagitica, welche Blount in seinem ersten Pamphlet nicht benutzt hatte. Aus diesen Stellen setzte er ein zweites Pamphlet zusammen, betitelt: Reasons for the Liberty of Unlicensed Printing.[107] Diesen „Gründen” hing er eine Nachschrift an, betitelt: A Just and True Character of Edmund Bohun. Diese Characteristik war mit der äußersten Heftigkeit geschrieben. Es waren darin Stellen aus den Schriften des Censors citirt, um zu beweisen, daß er den Doctrinen des passiven Gehorsams und des Nichtwiderstandes huldigte. Er wurde beschuldigt, seine Macht systematisch zu dem Zwecke angewendet zu haben, die Feinde der Souveraine, deren Brod er aß, zu begünstigen, und ihre Freunde zum Schweigen zu bringen, und es wurde behauptet, er sei der Freund und Schüler seines Vorgängers Sir Roger. Blount’s „Characteristik Bohun’s” durfte nicht öffentlich verkauft werden, aber sie wurde weit verbreitet. Während sie von Hand zu Hand ging und während die Whigs allenthalben über den neuen Censor als über einen zweiten Lestrange Zeter schrieen, wurde er ersucht, das Erscheinen eines anonymen Werkes, betitelt: King William and Queen Mary Conquerors, zu autorisiren.[108] Er verstand sich gern und willig dazu, denn es herrschte in der That zwischen den Doctrinen, denen er schon längst huldigte, und den in dieser Abhandlung entwickelten Doctrinen eine so genaue Uebereinstimmung,XIX.70 daß Viele den Verfasser in ihm vermutheten, eine Vermuthung, die durch eine Stelle, in welcher seinen politischen Schriften ein Compliment gemacht war, nicht geschwächt wurde. Allein der wahre Autor war der nämliche Blount, welcher gerade damals sich bemühte, das Publikum sowohl gegen die Censuracte als auch gegen den Censor aufzubringen. Blount’s Beweggründe sind leicht zu errathen. Seine Ansichten waren denen, die er bei dieser Gelegenheit in der beleidigendsten Weise aufstellte, direct entgegengesetzt. Man kann daher unmöglich zweifeln, daß er die Absicht hatte, Bohun in eine Schlinge zu locken und zu verderben. Es war ein gemeiner und schändlicher Plan. Doch kann man nicht leugnen, daß die Schlinge sehr geschickt gelegt und der Köder gut gewählt war. Es gelang dem Republikaner einen Hochtory zu spielen. Es gelang dem Atheisten einen Hochkirchlichen zu spielen. Das Pamphlet schloß mit einem inbrünstigen Gebet: Der Gott des Lichts und der Liebe möge den Verstand der Engländer erleuchten und ihren Willen lenken, auf daß sie erkennen möchten, was ihrer Ruhe frommte. Der Censor war entzückt. Auf jeder Seite sah er seine eigenen Gedanken klarer ausgedrückt, als er selbst sie je ausgesprochen hatte. Seiner Meinung nach war der wahre Anspruch Ihrer Majestäten auf Gehorsam noch nie so augenfällig dargelegt worden. Jeder Jakobit, der diese wundervolle Abhandlung läse, müsse unfehlbar bekehrt werden. Die Eidverweigerer würden schaarenweis die Eide leisten. Die so lange gespaltene Nation würde endlich zur Einigkeit gelangen. Aus diesen lieblichen Träumen wurde Bohun einige Stunden nach dem Erscheinen der Schrift, die ihn entzückt, durch die Nachricht geweckt, daß der Titel ganz London in Flammen gesetzt und daß die abscheulichen Worte „König Wilhelm und Königin Marie Eroberer” die Entrüstung einer Masse von Leuten erregt, die gar nicht weiter gelesen hätten. Schon vier Tage nach dem Erscheinen hörte er, daß sich das Haus der Gemeinen der Sache angenommen habe, daß das Buch von einigen Mitgliedern ein Schandbuch genannt worden sei und daß der Stabträger, weil der Verfasser unbekannt war, den Censor aufsuche.[109] Bohun war nie ein starker Geist gewesen; die Wuth und Plötzlichkeit des Sturmes aber, der jetzt über ihn hereinbrach, versetzte ihn in die größte Bestürzung und Verwirrung. Er begab sich in die Kammer. Die meisten von den Mitgliedern, denen er in den Gängen und Vorhallen begegnete, zeigten ihm ein finstres Gesicht. Als er vor die Schranke gerufen wurde und nach drei tiefen Verbeugungen das Haupt zu erheben und um sich zu blicken wagte, konnte er in den zornigen und verächtlichen Blicken, die von allen Seiten nach ihm geworfen wurden, seine Verurtheilung lesen. Er stockte, versprach und widersprach sich, nannte den Sprecher Mylord und rief durch seine verworrenen Reden einen Sturm rohen Gelächters hervor, der ihn immer mehr verwirrte. Sobald er sich wieder entfernt hatte, wurde der einstimmige Beschluß gefaßt, daß die ruchlose Schrift im Palasthofe vom Henker verbrannt werden sollte. Außerdem wurde ohne Abstimmung beschlossen, daß der König ersucht werden solle, Bohun des Censoramtes zu entheben. Der arme Mann, vor Gram und Furcht einer Ohnmacht nahe, wurde durch die Beamten des Hauses in ein Gefängniß abgeführt.[110]
XIX.71 Kaum aber war er in seinem Gefängniß angekommen, so verlangte ein großer Theil der Mitglieder stürmisch nach einem angeseheneren Opfer. Burnet hatte kurz nachdem er Bischof von Salisbury geworden war an den Klerus seiner Diöcese einen Hirtenbrief erlassen, worin er ihn zur Eidesleistung ermahnte. In einer Stelle dieses Briefes führte er eine Sprache, die einige Aehnlichkeit mit der des Pamphlets hatte, das so eben zu den Flammen verurtheilt worden war. Es kamen zwar Abweichungen vor, die einem einsichtsvollen und unparteiischen Tribunal nicht hätten entgehen können. Aber das Tribunal, vor welchem Burnet stand, war weder ein einsichtsvolles, noch ein unparteiisches. Seine Fehler hatten ihm viele Feinde gemacht und seine Tugenden noch mehr. Die mißvergnügten Whigs klagten, daß er sich zum Hofe hinneige, die Hochkirchlichen, daß er sich zu den Dissenters hinneige, und es läßt sich auch nicht annehmen, daß ein Mann von solcher Kühnheit und so wenig Takt, ein so unbesonnener, freimüthiger und so rastlos thätiger Mann durchs Leben gegangen sein sollte, ohne die Pläne Einiger, deren Ansichten mit den seinigen übereinstimmten, zu durchkreuzen und ihre Gefühle zu verletzen. Mit ganz besonderem Uebelwollen wurde er von Howe betrachtet. Howe war, selbst als er im Amte war, niemals gewohnt gewesen, seine beißende und muthwillige Zunge zu zügeln, und er war unlängst in einer Weise aus dem Amte vertrieben worden, die ihn über die Maßen wild gemacht hatte. Die Geschichte seiner Entlassung ist nicht genau bekannt, aber sie war gewiß von Umständen begleitet, die ihn heftig gereizt hatten. Wenn man dem Gerücht glauben durfte, hatte er sich eingebildet, daß Marie ihn liebe, und eine Gelegenheit, die sich ihm darbot, als er ihr Vicekammerherr war, dazu benutzt, ihr Anträge zu machen, die ihren gerechten Unwillen erregten. Bald nach seiner Entlassung wurde er in Anklagestand versetzt, weil er in einem Anfall von Jähzorn einen seiner Diener innerhalb des Palastdistrikts barbarisch geschlagen hatte. Er war schuldig befunden, aber begnadigt worden; allein von diesem Augenblicke an zeigte er bei jeder Gelegenheit den wüthendsten persönlichen Haß gegen seine königliche Gebieterin, gegen ihren Gemahl und gegen Alle, die bei Einem von Beiden in Gunst standen. Es war bekannt, daß die Königin Burnet häufig zu Rathe zog, und Howe glaubte, daß ihre Strenge Burnet’s Einfluß zuzuschreiben sei.[111] Jetzt war die Zeit gekommen, wo er sich rächen konnte. In einer langen und vortrefflich ausgearbeiteten Rede stellte der hämische Whig — denn für einen solchen gab er sich noch aus — Burnet als einen Tory von der schlimmsten Sorte dar. „Es sollte ein Gesetz geben,” sagte er, „das den Geistlichen bei Strafe verböte, in ihren Vorträgen von Politik zu sprechen. Früher versuchten sie uns dadurch zu knechten, daß sie das göttliche und unveräußerliche Recht des Fürsten predigten; jetzt wollen sie das nämliche Resultat dadurch erreichen, daß sie uns sagen, wir seien ein erobertes Volk.” Es wurde beantragt, den Bischof in Anklagestand zu versetzen. Gegen diesen Antrag ließ sich ein unverwerflicher Einwand erheben, den der Sprecher andeutete. Der Hirtenbrief war im Jahre 1689 geschrieben und stand daher unter dem Schutze der im Jahre 1690 erlassenen Begnadigungsacte. Dennoch scheute sich einXIX.72 Mitglied nicht, zu sagen: „Gleichviel, man klage ihn nur an und zwinge ihn, die Acte zu seinen Gunsten geltend zu machen.” Indessen waren nur Wenige geneigt, ein eines Hauses der Gemeinen so unwürdiges Verfahren einzuschlagen. Ein Spaßvogel rief aus: „Man verbrenne ihn, man verbrenne ihn!”[112] und dieser schlechte Witz lief durch alle Bänke und wurde mit schallendem Gelächter aufgenommen. Es wurde beantragt, daß dieser Hirtenbrief vom Henker verbrannt werden solle. Dieser Antrag rief eine lange und heftige Debatte hervor, denn Burnet war ein Mann, der eben so warme Freunde als bittere Feinde hatte. Die große Mehrheit der Whigs hielt fest zu ihm und seine Gutherzigkeit und Hochsinnigkeit hatte ihm selbst unter den Tories Freunde verschafft. Der Kampf währte zwei Tage. Montague und Finch, Männer von weitauseinandergehenden Ansichten, figurirten unter den Vertheidigern des Bischofs in erster Reihe. Ein Versuch, sich des Gegenstandes durch Beantragung der vorläufigen Frage zu entledigen, scheiterte. Endlich wurde die Hauptfrage gestellt und der Hirtenbrief mit einer geringen Majorität in einem vollen Hause zu den Flammen verurtheilt. Es hatten hundertzweiundsechzig Mitglieder mit Ja, hundertfünfundfunfzig mit Nein gestimmt.[113] Die allgemeine Meinung, wenigstens in der Hauptstadt, scheint die gewesen zu sein, daß Burnet rücksichtslos behandelt worden sei.[114]
Er war von Natur kein Mann von feinem Gefühl, und das Leben, welches er geführt, war nicht eben geeignet gewesen es zu verfeinern. Seit vielen Jahren war er eine Zielscheibe für theologischen und politischen Haß. Gelehrte Doktoren hatten Anathemas gegen ihn geschleudert; gemeine Poeten hatten ihn in Spottliedern verhöhnt; Fürsten und Minister hatten ihm nach dem Leben getrachtet; er war lange ein Umherirrender und Verbannter gewesen, in beständiger Gefahr aufgegriffen, in die spanischen Stiefeln gesteckt und gehängt und geviertheilt zu werden. Doch nichts von dem Allen scheint ihn irre gemacht zu haben. Sein Eigendünkel war gegen jeden Spott, sein unerschrockener Muth gegen jede Gefahr gewappnet. Bei dieser Gelegenheit aber scheint seine Standhaftigkeit ihn verlassen zu haben. Von dem volksthümlichen Zweige der Legislatur als ein Lehrer von Doctrinen, so servil, daß sie selbst Tories zuwider waren, gebrandmarkt zu werden, mit dem Herausgeber von Filmer in ein Verdammungsurtheil eingeschlossen zu sein, das war zu viel. Wie tief Burnet sich gekränkt fühlte, zeigte sich viele Jahre später, als nach seinem Tode seine History of his Life and Times der Oeffentlichkeit übergeben wurde. In diesem Werke ergeht er sich gewöhnlich mit geschwätziger Weitschweifigkeit über Alles, was seine Person berührt, und erzählt zuweilen mit ergötzlicher Offenheit seine eigenen Fehler und den Tadel, den diese Fehler ihm zuzogen. Das vom Hause der Gemeinen über seinen Hirtenbrief verhängte schimpfliche Urtheil übergeht er jedoch mit einem sehr bedeutsamen Stillschweigen.[115]
XIX.73 Das Complot, welches Bohun ins Verderben stürzte, gereichte zwar Denen, die es geschmiedet, nicht zur Ehre, hatte aber wichtige und heilsame Folgen. Bevor das Verfahren des unglücklichen Censors der Beurtheilung des Parlaments vorgelegt wurde, hatten die Gemeinen, ohne Abstimmung und so weit es ersichtlich ist, ohne Discussion, beschlossen, daß die Acte, welche die Literatur einer Censur unterwarf, in Kraft bleiben solle. Jetzt indeß hatte die Frage eine neue Gestalt angenommen, und das Fortbestehen der Acte wurde nicht mehr als etwas Selbstverständliches betrachtet. Es begann sich eine der Freiheit der Presse günstige Stimmung zu zeigen, eine Stimmung, die allerdings noch keine große Ausdehnung und keine bedenkliche Intensität hatte. Das bestehende System, sagte man, sei sowohl dem Handel als den Wissenschaften nachtheilig. Könne man wohl erwarten, daß ein Kapitalist die zu einem großen literarischen Unternehmen erforderlichen Gelder vorstrecken, oder daß ein Gelehrter jahrelange Mühen und Forschungen auf ein solches Unternehmen verwenden werde, so lange es möglich sei, daß im letzten Augenblicke die Laune, die Bosheit oder die Dummheit eines Einzelnen den ganzen Plan zerstören könne? Und sei es gewiß, daß das Gesetz, das die Freiheit des Handels und des Gedankens so drückend beschränke, wirklich die Sicherheit des Staates vermehrt habe? Hätten nicht ganz neue Erfahrungen bewiesen, daß der Censor selbst ein Freund Ihrer Majestäten, oder noch schlimmer, ein alberner und verkehrter Freund sein könne; daß er ein Buch unterdrücken könne, von dem es in ihrem Interesse liege, daß jedes Haus im ganzen Lande ein Exemplar besitze, und daß er bereitwillig seine Sanction einem Libell geben könne, das die Tendenz habe, sie ihrem Volke verhaßt zu machen, und das von der Hand Ketch’s zerrissen und verbrannt zu werden verdiene? Habe die Regierung durch Einführung einer literarischen Polizei, welche die Engländer verhindere, die Geschichte der blutigen Assisen zu besitzen, und ihnen dafür erlaube, Abhandlungen zu lesen, welche den König Wilhelm und die Königin Marie als Eroberer darstellten, etwa viel gewonnen?
Zur damaligen Zeit reichten Personen, die kein specielles Interesse an einer allgemeinen Bill hatten, nur sehr selten Petitionen gegen oder für dieselbe beim Parlamente ein. Die eingegangenen Petitionen, welche bei dieser Gelegenheit den beiden Häusern gegen die Censur vorgelegt wurden, gingen daher von Buchhändlern, Buchbindern und Buchdruckern aus.[116] Aber die Ansicht, welche diese Klassen aussprachen, beschränkte sich sicherlich nicht auf sie.
Das dem Erlöschen nahe Gesetz hatte acht Jahre bestanden. Es wurde nur auf zwei Jahre erneuert. Aus einer leider lückenhaften Notiz in den Protokollen der Gemeinen geht hervor, daß eine Abstimmung über ein Amendement stattfand, über dessen Natur wir völlig im Dunkeln gelassenXIX.74 sind. Die Stimmen waren neunundneunzig gegen achtzig. Bei den Lords wurde nach dem Rathe, den fünfzig Jahre früher Milton gab, und den Blount ihm gestohlen hatte, vorgeschlagen, jedes Buch, auf dessen Titel der Name eines Verfassers oder Verlegers angegeben sei, von der Autorität des Censors auszuschließen. Dieses Amendement wurde verworfen und die Bill angenommen, jedoch nicht ohne einen von elf Peers unterzeichneten Protest, in welchem sie erklärten, daß es ihrer Ansicht nach nicht im Interesse des Staats liegen könne, alle Wissenschaft und wahre Belehrung der Willkür und dem Belieben eines bezahlten und vielleicht unwissenden Censors zu unterwerfen. Unter den Protestirenden befanden sich Halifax, Shrewsbury und Mulgrave, drei Edelleute, welche verschiedenen politischen Parteien angehörten, sich aber sämmtlich durch wissenschaftliche Bildung auszeichneten. Es ist zu beklagen, daß die Unterschriften Tillotson’s und Burnet’s fehlen, welche beide an diesem Tage anwesend waren. Dorset war abwesend.[117]
Blount, durch dessen Bemühungen und Machinationen die Opposition gegen die Censur hervorgerufen worden war, lebte nicht so lange um diese Opposition mit Erfolg gekrönt zu sehen. Obgleich kein junger Mann mehr, war er von einer leidenschaftlichen Liebe zu der Schwester seiner verstorbenen Frau erfüllt. Nachdem er sich lange vergebens bemüht hatte, den Gegenstand seiner Liebe zu überzeugen, daß sie rechtmäßigerweise seine Gattin werden könne, brachte er sich endlich, ob aus Lebensüberdruß, oder in der Hoffnung, dadurch ihr Herz zu rühren, eine Wunde bei, an der er nach langem Siechthum starb. Er ist oft ein Gotteslästerer und Selbstmörder genannt worden, aber der wichtige Dienst, den er seinem Vaterlande, allerdings durch höchst unmoralische und entehrende Mittel leistete, ist fast unerwähnt geblieben.[118]
Spät in dieser geschäftsreichen und ereignißvollen Session wurde die Aufmerksamkeit der Häuser auf den Zustand Irland’s gelenkt. Die Verwaltung dieses Reiches war während der sechs Monate, welche auf die Uebergabe von Limerick folgten, in einem ungeregelten Zustande gewesen. Erst als die irischen Truppen, welche zu Sarsfield hielten, nach Frankreich abgesegelt waren, und als die, die sich für das Zurückbleiben entschieden hatten, aufgelöst worden waren, erließ Wilhelm endlich eine Proklamation, in der er die Beendigung des BürgerkriegesXIX.75 feierlich ankündigte. Von der Feindseligkeit der eingeborenen Bevölkerung war bei ihrem jetzigen Mangel an Anführern, Waffen und Organisation nichts weiter zu befürchten als gelegentliche Räubereien und Morde. Aber der Kriegsruf der Irländer war kaum verstummt, als sich auch schon das erste schwache Gemurmel der Engländer vernehmen ließ. Coningsby stand seit einigen Monaten an der Spitze der Verwaltung. Er machte sich der dominirenden Kaste bald im höchsten Grade verhaßt. Er war ein characterloser Mensch, von einer unersättlichen Gier nach Reichthümern beseelt und in einer Stellung, in der ein characterloser Mann leicht zu Reichthümern gelangen konnte. Ungeheure Summen Geldes, ungeheure Massen militärischer Vorräthe waren von England herübergeschickt worden, großartige Confiscationen fanden in Irland statt. Der habsüchtige Gouverneur hatte täglich Gelegenheit zu unterschlagen und zu erpressen, und er benutzte diese Gelegenheiten ohne Gewissensscrupel und ohne Scham. Dies war jedoch in den Augen der Colonisten noch nicht sein größtes Verbrechen. Seine Habgier würden sie ihm noch verziehen haben; aber die Milde, die er gegen ihre besiegten und geknechteten Feinde übte, konnten sie ihm nicht verzeihen. Seine Milde bestand allerdings nur darin, daß er das Geld mehr liebte als er die Papisten haßte, und daß er nicht abgeneigt war, Dem und Jenem von der unterdrückten Klasse ein wenig Gerechtigkeit für einen hohen Preis zu verkaufen. Leider betrachtete die herrschende Minderheit, noch blutend von den Wunden des letzten Kampfes und noch trunken von dem errungenen Siege, die unterjochte Mehrheit als eine Heerde Vieh, oder vielmehr als ein Rudel Wölfe. Der Mensch erkennt dem niedrigen Thiere keine Rechte zu, die sich mit seiner Bequemlichkeit nicht vertragen, und wie der Mensch die unter ihm stehenden Thiere behandelt, so glaubte der Cromwellianer die römischen Katholiken behandeln zu dürfen. Coningsby zog sich daher durch seine wenigen guten Thaten einen ärgeren Sturm von Vorwürfen zu, als durch seine vielen schlechten Thaten. Das Geschrei gegen ihn war so heftig, daß er abberufen werden mußte, und Sidney ging mit der ganzen Macht und dem ganzen Ansehen eines Vicekönigs hinüber, um in Dublin ein Parlament zu halten.[119]
XIX.76 Aber der sanfte Character und die gewinnenden Manieren Sidney’s machten keineswegs einen versöhnenden Eindruck. Er selbst scheint zwar nicht nach unerlaubtem Gewinn gestrebt zu haben; aber er verstand es nicht, mit hinreichend fester Hand den Schwarm der Subalternbeamten zu zügeln, welche durch Coningsby’s Beispiel und Protection ermuthigt worden waren, das Volk auszuplündern und ihre Dienste Supplikanten zu verkaufen. Auch war der neue Vicekönig nicht geneigt, die schwachen Ueberreste der einheimischen Aristokratie hart zu behandeln. Daher wurde er denn sehr bald für die angelsächsischen Colonisten ein Gegenstand des Mißtrauens und des Widerwillens. Sein erster Act war, daß er eine allgemeine Wahl ausschrieb. Die Katholiken waren von jeder Municipalcorporation ausgeschlossen worden; aber kein Gesetz hatte ihnen noch das Grafschaftswahlrecht entzogen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß kein einziger katholischer Freisasse sich den Wahlorten zu nähern wagte. Die gewählten Mitglieder waren mit wenigen Ausnahmen Männer, die vom Geiste von Enniskillen und Londonderry beseelt waren, einem in der Zeit der Bedrängniß und Gefahr ungemein heldenmüthigen, in der Zeit des Glücks und der Macht aber nur zu oft grausamen und herrschsüchtigen Geiste. Sie verabscheuten den Civiltractat von Limerick und waren entrüstet, als sie erfuhren, daß der Lordlieutenant mit Bestimmtheit die parlamentarische Ratification dieses verhaßten Tractats von ihnen erwartete, eines Tractats, der den Götzendienst der Messe sanctionirte und die guten Protestanten verhinderte, ihre papistischen Nachbarn durch Anstellung von Civilklagen wegen zur Zeit des Kriegs ihnen zugefügter Unbilden zu Grunde zu richten.[120]
Am 5. October 1692 trat das Parlament zu Dublin in Chichester House zusammen. Es war ganz anders zusammengesetzt als die Versammlung,XIX.77 welche im Jahre 1689 denselben Namen getragen hatte. Kaum ein Peer, und nicht ein Mitglied des Hauses der Gemeinen, die in King’s Inns gesessen, war hier zu sehen. Auf den Schwarm der O und Mac, der Nachkommen der ehemaligen Fürsten der Insel, waren Männer gefolgt, deren Namen einen sächsischen Ursprung verriethen. Ein einziger O, ein von dem Glauben seiner Väter Abgefallener, und drei Mac, offenbar Einwanderer aus Schottland und wahrscheinlich Presbyterianer, hatten Sitze in der Versammlung.
Das so zusammengesetzte Parlament besaß damals weniger Befugnisse als die gesetzgebenden Versammlungen von Jamaika oder von Virginien. Die in Dublin tagende Legislatur war nicht blos der absoluten Controle der in Westminster tagenden Legislatur unterworfen, sondern ein im 15. Jahrhundert während der Verwaltung des Lordstellvertreters Poynings erlassenes und nach ihm benanntes Gesetz hatte auch bestimmt, daß keine vom englischen Geheimen Rathe nicht erwogene und genehmigte Bill in einem der beiden irischen Häuser eingebracht und daß jede so berathene und genehmigte Bill entweder ohne Amendement angenommen oder verworfen werden müsse.[121]
Die Session begann mit der feierlichen Anerkennung der Oberherrlichkeit des Mutterlandes. Die Gemeinen ließen sich von ihrem Schriftführer die englische Acte vorlesen, welche von ihnen die Leistung des Suprematseides und die Unterschreibung der Erklärung gegen die Transsubstantiation verlangte. Nachdem sie die Verlesung der Acte angehört, schritten sie sofort zur Befolgung derselben. Dann wurden Adressen votirt, welche dem Könige die innigste Dankbarkeit und Anhänglichkeit aussprachen. Zwei Mitglieder, welche zur Zeit der Unruhen dem protestantischen und englischen Interesse untreu geworden waren, wurden ausgestoßen. Geldsummen, welche im Vergleich zu den Hülfsquellen eines durch jahrelangen Raubkrieg verwüsteten Landes bedeutend waren, wurden gern bewilligt. Aber die Bill zur Bestätigung der Ansiedlungsacte wurde als zu günstig für die eingeborne Gentry erachtet und, da sie nicht amendirt werden durfte, ohne große Umstände verworfen. Ein Ausschuß des ganzen Hauses resolvirte, daß die unverantwortliche Nachsicht, mit der die Irländer seit der Schlacht am Boyne behandelt worden, eine der Hauptursachen der Noth des Landes sei. Ein Beschwerden-Ausschuß hielt täglich bis elf Uhr Abends Sitzung, und die Proceduren dieser Untersuchungscommission beunruhigten das Schloß in hohem Grade. Eine Menge Fälle von grober Feilheit und Schurkerei von Seiten hoher Staatsbeamten wurden ans Licht gezogen, eben so auch viele Beispiele von dem was man damals für eine strafbare Milde gegen die unterjochte Nation hielt. Dieser Papist hatte in die Armee eintreten, jener Papist ein Feuergewehr behalten dürfen; ein dritter hatte ein zu gutes Pferd, ein vierter war gegen Protestanten in Schutz genommen worden, die wegen Unbilden, welche sie in den Jahren der Verwirrung erfahren hatten, Klage erheben wollten. Nachdem der Vicekönig ziemlich so viel Geld bewilligt erhalten hatte als er erwarten durfte, beschloß er diesen unangenehmen Untersuchungen ein Ziel zu setzen. Er wußte jedoch, daß, wenn er sich mit dem ParlamenteXIX.78 wegen strengen Verfahrens gegen Peculatoren oder Papisten überwarf, er von England wenig Beistand zu erwarten hatte. Er sah sich daher nach einem Vorwande um und war so glücklich einen zu finden. Die Gemeinen hatten einen Beschluß gefaßt, der mit einigem Anschein von Wahrheit als mit dem Poyningsgesetz unverträglich dargestellt werden konnte. Alles, was wie eine Verletzung dieses wichtigen Fundamentalgesetzes aussah, mußte aller Wahrscheinlichkeit nach jenseit des St. Georgskanals entschiedene Mißbilligung erregen. Der Vicekönig erkannte seinen Vortheil und benutzte ihn. Er begab sich nach Chichester House in die Kammer der Lords, ließ die Gemeinen kommen, gab ihnen einen nachdrücklichen Verweis, beschuldigte sie des pflichtwidrigen und undankbaren Eingreifens in die Rechte des Mutterlandes und machte der Session ein Ende.[122]
Die Gemeinen entfernten sich höchlich aufgebracht über die Strafpredigt, die er ihnen gehalten. Die Beschuldigung, die er gegen sie erhoben, sei ungerecht, sagten sie; sie hegten große Zuneigung und Verehrung für das Land, dem sie entsprossen seien, und erwarteten in vollem Vertrauen Genugthuung von dem obersten Parlamente. Mehrere von ihnen reisten nach London, um sich zu rechtfertigen und den Vicekönig anzuklagen. Sie fanden langes und aufmerksames Gehör bei den Lords wie bei den Gemeinen und wurden aufgefordert, den wesentlichen Inhalt des Gesagten schriftlich aufzusetzen. Die demüthige Sprache der Petenten und ihre Betheuerungen, daß sie nie die Absicht gehabt hätten, das Poyningsstatut zu verletzen oder die Oberherrlichkeit England’s zu bestreiten, verwischten den Eindruck, den Sidney’s Beschuldigung gemacht hatte. Beide Häuser überreichten dem Könige Adressen über den Zustand Irland’s. Sie tadelten keinen Schuldigen mit Namen, sondern sprachen nur die Ansicht aus, daß grobe Verwaltungssünden vorgekommen, daß das Publikum ausgeplündert und daß die Katholiken mit unverantwortlicher Milde behandelt worden seien. Wilhelm versprach ihnen in Antwort darauf, daß etwaige Mißbräuche abgestellt werden sollten. Sein Freund Sidney wurde bald zurückberufen und für den Verlust der viceköniglichen Würde durch den einträglichen Posten des Feldzeugmeisters entschädigt. Die Verwaltung Irland’s wurde auf einige Zeit Lords Justices übertragen, unter denen Sir Heinrich Capel, ein eifriger Whig, der sehr wenig Neigung hatte, gegen die Papisten Nachsicht zu üben, die erste Stelle einnahm.
Die Prorogation rückte heran und noch immer war das Schicksal der Dreijährigkeitsbill zweifelhaft. Einige der geschicktesten Minister hielten die Bill für eine gute, und selbst wenn sie sie für eineXIX.79 schlechte gehalten hätten, würden sie wahrscheinlich versucht haben, ihren Gebieter von der Verwerfung derselben abzubringen. Es war jedoch nicht möglich, ihn von der Idee zurückzubringen, daß eine Concession in diesem Punkte seine Autorität ernstlich beeinträchtigen würde. Da er sich auf das Urtheil seiner gewöhnlichen Rathgeber nicht verlassen wollte, schickte er Portland zu Sir Wilhelm Temple, um dessen Ansicht einzuholen. Temple hatte sich auf einen Landsitz, Namens Moor Park, in der Nähe von Farnham, zurückgezogen. Die Gegend um seine Wohnung war fast eine Wildniß. Seit mehreren Jahren beschäftigte er sich damit, in dieser Wüste einen Wohnsitz zu schaffen, den die holländischen Bürgermeister, unter denen er einige der schönsten Jahre seines Lebens zugebracht hatte, als ein Paradies betrachtet haben würden. Seine Einsiedelei war hin und wieder mit einem Besuche des Königs beehrt worden, der den Schöpfer der Tripleallianz von Jugend auf gekannt und geachtet hatte und dem es wohl gefiel, inmitten des Haidekrauts und des Ginsters der Wildnisse von Surrey einen Ort zu finden, der wie ein Stück Holland aussah: einen graden Kanal, Terrassen, Reihen beschnittener Bäume und rechteckige Blumen- und Gemüsebeete.
Nach diesem einsamen Wohnsitze begab sich Portland jetzt und fragte das Orakel um Rath. Temple war entschieden der Meinung, daß die Bill genehmigt werden müsse. Er fürchtete, daß die Gründe, die ihn zu dieser Ansicht bestimmten, von Portland, der zwar ein so tapferer Soldat und ein so zuverlässiger Freund war wie es je einen gegeben hat, dessen natürliche Fähigkeiten nicht unbedeutend waren und der in einigen Geschäftsbranchen viel Erfahrung besaß, der aber die Geschichte und die Verfassung England’s nur sehr unvollkommen kannte, dem Könige nicht vollständig und genau berichtet werden möchten. Da der Gesundheitszustand Sir William’s ihm durchaus nicht gestattete, selbst nach Kensington zu reisen, so beschloß er, seinen Sekretär dahin zu senden. Der Sekretär war ein armer Gelehrter von einigen zwanzig Jahren, unter dessen einfachem Rocke und linkischem Benehmen einige der ausgezeichnetsten Geistesgaben verborgen waren, die die Natur je einem Menschenkinde verliehen: ein seltenes Beobachtungstalent, ein glänzender Witz, eine groteske Erfindungsgabe, ein Humor von der beißendsten Schärfe, aber ausnehmend köstlich, eine wunderbar reine, männliche und klare Beredtsamkeit. Dieser junge Mann hieß Jonathan Swift. Er war in Irland geboren, würde sich aber beleidigt gefühlt haben, wenn man ihn einen Irländer genannt hätte. Er war von reinem englischen Geblüt und betrachtete die eingeborne Bevölkerung der Insel, auf der er das Licht der Welt erblickt, Zeit seines Lebens als eine fremde und servile Kaste. Er hatte unter der vorigen Regierung auf der Universität Dublin Collegia gehört, sich dort aber nur durch seinen unregelmäßigen Lebenswandel ausgezeichnet und nur mit Mühe seinen Grad erlangt. Zur Zeit der Revolution hatte er sich mit vielen Tausenden seiner Mitcolonisten vor den Gewaltthätigkeiten Tyrconnel’s ins Mutterland geflüchtet und sich glücklich geschätzt, daß er in Moor Park ein Obdach fand.[123] Dieses Obdach kam ihm jedoch theuer zu stehen. Man hielt ihn mit zwanzig Pfund jährlich und freier Station für seineXIX.80 Dienste hinlänglich bezahlt. Er speiste an der zweiten Tafel. Zuweilen, wenn keine bessere Gesellschaft zu haben war, wurde er allerdings eingeladen, mit seinem Prinzipal Karten zu spielen, und Sir William war dann immer so großmüthig seinem Gegner für den Anfang etwas Silbergeld zu geben.[124] Der bescheidene Student würde es nicht gewagt haben, den Blick zu einer Dame von Familie zu erheben; als er aber Kleriker geworden war, begann er nach Art der damaligen Kleriker einem hübschen Kammermädchen den Hof zu machen, welche die Hauptzierde der Dienerschaft war und deren Name mit dem seinigen in einer traurigen und geheimnißvollen Geschichte unzertrennlich verbunden ist.
Swift erzählte viele Jahre nachher einen Theil dessen was er auf seiner Reise nach Hofe empfand. Sein Lebensmuth war durch Mißgeschick und Demüthigungen gebeugt, ja anscheinend völlig gebrochen worden. Die Sprache, die er seinem Prinzipal gegenüber zu führen pflegte, war, so weit wir es nach den noch vorhandenen Proben beurtheilen können, die eines Lakaien oder vielmehr eines Bettlers.[125] Ein hartes Wort oder ein kalter Blick des Herrn reichte hin, um den Diener auf mehrere Tage unglücklich zu machen.[126] Doch diese Zahmheit war nur die Zahmheit, mit der ein eingefangener, in den Käfig gesperrter und hungriger Tiger sich dem Wärter unterwirft, der ihm Futter bringt. Der demüthige Diener war im Herzen der stolzeste, hochstrebendste, rachsüchtigste und despotischste Mensch von der Welt. Und jetzt eröffnete sich ihm endlich eine weite, unbegrenzte Aussicht. Wilhelm kannte ihn schon ein wenig. In Moor Park war der König zuweilen, wenn die Gicht seinen Wirth an den Krankenstuhl fesselte, von dem Sekretär durch den Park begleitet worden. Se. Majestät hatte geruht, seinem Begleiter zu beschreiben, wie man in Holland den Spargel zu schneiden und zuzubereiten pflegte, und hatte ihn huldreich gefragt, ob Mr. Swift wohl Lust habe, ein Rittmeisterpatent in einem Cavallerieregiment anzunehmen. Jetzt aber sollte der junge Mann zum ersten Male als Rathgeber vor dem Könige stehen. Er erhielt Zutritt in das Privatcabinet Wilhelm’s, überreichte ihm einen Brief von Temple und erläuterte und bekräftigte die in diesem Briefe enthaltenen Argumente in gedrängter Kürze, aber ohne Zweifel mit Klarheit und Gewandtheit. Es sei, sagte er, kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß kurze Parlamente mehr als lange Parlamente geneigt sein würden, in die gerechten Prärogativen der Krone einzugreifen. Das Parlament, welches in der vorhergehenden Generation gegen einen König Krieg geführt, ihn gefangen genommen, ihn in den Kerker, vor Gericht und aufs Schaffot gebracht habe, sei sogar in unseren Annalen vorzugsweise als das Lange Parlament bekannt. Nie würde solches Unheil über die Monarchie gekommen sein, wenn das verhängnißvolle Gesetz nicht existirt hätte, welches diese Versammlung vor Auflösung sicherte.[127] Man muß gestehen, daß in dieser Beweisführung ein Mangel war, den auch ein minder kluger Kopf als Wilhelm leicht entdeckt haben würde. Wenn eine Beschränkung der königlichen Prärogative verderblich geworden war, soXIX.81 bewies dies noch nicht, daß eine andre Beschränkung heilsam sein werde. Daraus, daß ein Souverain ins Verderben gestürzt worden war, weil er sich eines ihm feindlich gesinnten Parlaments nicht hatte entledigen können, folgte noch keineswegs, daß ein andrer Souverain nicht dadurch ins Verderben gestürzt werden konnte, daß er genöthigt war, sich von einem ihm freundlich gesinnten Parlamente zu trennen. Zum großen Verdrusse des Abgesandten vermochten seine Gründe nicht, den Entschluß des Königs zu erschüttern. Am 14. März wurden die Gemeinen ins Oberhaus beschieden; der Titel der Dreijährigkeitsbill wurde verlesen und es wurde der hergebrachten Form gemäß angekündigt, daß der König und die Königin die Sache in Erwägung ziehen wollten. Dann wurde das Parlament prorogirt.
Bald nach der Prorogation brach Wilhelm nach dem Continent auf. Vor seiner Abreise mußte er jedoch noch einige wichtige Aenderungen vornehmen. Er war entschlossen, Nottingham nicht zu entlassen, in dessen Rechtschaffenheit, eine bei den englischen Staatsmännern seltene Tugend, er wohlbegründetes Vertrauen setzte. Wenn jedoch Nottingham Staatssekretär blieb, konnte Russell ferner nicht bei der Flotte bleiben. Russell wurde, allerdings zu seinem großen Verdruß, zur Annahme eines einträglichen Postens im Hofstaate bewogen, und zwei in ihrem Fache ausgezeichnete Flottenoffiziere, Killegrew und Delaval, bei der Admiralität angestellt und mit dem Commando der Kanalflotte betraut.[128] Diese Arrangements erweckten einiges Murren unter den Whigs, denn Killegrew und Delaval waren anerkanntermaßen Tories und wurden von Vielen für Jakobiten gehalten. Aber andere Ernennungen, welche zu gleicher Zeit stattfanden, bewiesen, daß der König unparteiisch gegen die beiden feindlichen Parteien verfahren wollte. Nottingham war seit einem Jahre alleiniger Staatssekretär. Jetzt erhielt er einen Collegen, in dessen Gesellschaft er sich sehr unbehaglich gefühlt haben muß: Johann Trenchard. Trenchard gehörte zur extremen Section der Whigpartei. Er war ein Tauntonmann, beseelt von dem Geiste, durch den sich Taunton durch zwei Generationen vorzugsweise ausgezeichnet hatte. Er hatte in den Tagen der Papstverbrennungen und der protestantischen Dreschflegel[129] dem berühmten Club des grünen Bandes angehört, war ein thätiges Mitglied mehrerer stürmischer Parlamente gewesen, hatte die erste Ausschließungsbill eingebracht, war bei den von den Häuptern der Opposition geschmiedeten Comploten stark betheiligt gewesen, war auf den Continent geflüchtet, hatte lange in der Verbannung zugebracht und war von der allgemeinen Amnestie von 1686 speciell ausgenommen worden. Obwohl er ein sehr unruhiges Leben geführt, war er doch von Natur friedlichen Temperaments, aber er stand in enger Verbindung mit einer Klasse von Leuten, deren Leidenschaften weit heftiger waren als seine eigenen. Er hatte sich mit der Schwester Hugo Speke’s vermählt, eines der falschesten und boshaftesten Pasquillanten, welche die Sache der constitutionellen Freiheit schändeten. Aaron Smith, der Prokurator des Schatzes, ein Mann, der den Fanatiker und den Rabulisten in seltenem Grade in sich vereinigte, hatte nur zu großen EinflußXIX.82 auf den neuen Sekretär, mit dem er zehn Jahre früher in der Rose Revolutionspläne berathen hatte. Warum Trenchard vor vielen Männern höheren Ranges und größerer Befähigung zu einem der höchsten und wichtigsten Posten ernannt wurde, ist schwer zu sagen. Er scheint jedoch, obgleich er den Titel eines Staatssekretärs führte und den Gehalt eines solchen bezog, in kein wichtiges Staatsgeheimniß eingeweiht worden und nicht viel mehr als ein Oberaufseher der Polizei gewesen zu sein, dessen Amt darin bestand, die Drucker nicht censirter Bücher, die Pastoren eidverweigernder Gemeinden und die Besucher hochverrätherischer Wirthshäuser ausfindig zu machen.[130]
Ein andrer Whig von viel bedeutenderem Rufe wurde zur selben Zeit zu einem weit höheren Verwaltungsposten berufen. Das große Siegel war nunmehr vier Jahre einer Commission anvertraut gewesen. Seit Maynard’s Rücktritt hatte die Beschaffenheit des Court of Chancery wenig Achtung eingeflößt. Trevor, der erster Commissar war, fehlte es weder an Talenten noch an Gelehrsamkeit; aber seine Rechtschaffenheit wurde mit gutem Grunde in Zweifel gezogen, und die Pflichten, die ihm als Sprecher des Hauses der Gemeinen vier bis fünf Monate hindurch in dem geschäftsreichsten Theile des Jahres oblagen, machten es ihm unmöglich, seinen Platz als Billigkeitsrichter gehörig auszufüllen. Jeder Rechtsuchende klagte, daß er übermäßig lange auf einen Ausspruch habe warten müssen, und wenn endlich ein Urtheil gefällt worden sei, habe es alle Aussicht gehabt, bei der Appellation umgestoßen zu werden. Inzwischen gab es keinen wirksamen Justizminister, keinen hohen Beamten, der die specielle Obliegenheit hatte, dem Könige bei der Ernennung von Richtern, Kronanwälten und Friedensrichtern mit Rath zur Hand zu gehen.[131] Es war bekannt, daß Wilhelm die Nachtheile dieses Zustandes der Dinge einsah, und seit mehreren Monaten war die Rede davon, daß bald ein Lord Siegelbewahrer oder ein Lord Kanzler ernannt werden würde.[132] Der am häufigsten genannte Name war der Nottingham’s. Aber die nämlichen Gründe, die ihn abgehalten hatten, im Jahre 1689 das große Siegel anzunehmen, hatten seit diesem Jahre an Stärke eher zugenommen als verloren. Wilhelm’s Wahl fiel endlich auf Somers.
Somers stand erst in seinem zweiundvierzigsten Lebensjahre, und es war noch keine fünf Jahre her, seitdem die Welt seine Talente an dem wichtigen Tage des Prozesses der Bischöfe zuerst kennen gelernt hatte. Von jenem Augenblicke an war sein Ruf stetig und rapid gestiegen. Weder in richterlicher noch in parlamentarischer Beredtsamkeit stand irgend Jemand über ihm. Die Consequenz in seinem öffentlichen Auftreten hatte ihm das volle Vertrauen der Whigs verschafft, und seine Urbanität hatte ihm auch die Herzen der Tories gewonnen. Nur mit großem Widerstreben hatte er sich dazu verstanden, eine Versammlung, auf die er einen ungeheuren Einfluß ausübte, mit einer andren Versammlung zu vertauschen, in der er voraussichtlich stumm bleiben mußte.XIX.83 Er hatte erst seit Kurzem eine große Praxis, und seine Ersparnisse waren daher unbedeutend. Da er nicht die Mittel besaß, um einen erblichen Titel gehörig zu repräsentiren, mußte er, wenn er die ihm angetragene hohe Würde annahm, mehrere Jahre im Oberhause präsidiren, ohne an den Debatten Theil zu nehmen. Andere waren jedoch der Meinung, daß er als Oberhaupt des Gesetzes nützlicher sein werde, denn als Oberhaupt der Whigpartei bei den Gemeinen. Er wurde nach Kensington beschieden und in das Staatsrathszimmer gerufen. Caermarthen sprach im Namen des Königs. „Sir John,” sagte er, „es ist im Interesse des Staats nöthig, daß Sie dieses Amt übernehmen, und ich habe Befehl von Sr. Majestät, Ihnen zu sagen, daß er keine Entschuldigung gelten lassen kann.” Somers fügte sich. Das Siegel wurde ihm übergeben, zugleich mit einem Patent, das ihm von dem Tage, an welchem er sein Amt niederlegen würde, eine Pension von zweitausend Pfund jährlich zusicherte, und er wurde unverzüglich als Mitglied des Geheimen Raths und Großsiegelbewahrer vereidigt.[133]
Die Gazette, welche diese Veränderungen in der Verwaltung ankündigte, zeigte auch die Abreise des Königs an. Am 24. März ging er nach Holland ab.
Er hinterließ den Befehl, daß die schottischen Stände nach einer Pause von mehr als dritthalb Jahren wieder einberufen werden sollten. Hamilton, der viele Monate in der Zurückgezogenheit gelebt, hatte sich seit dem Sturze Melville’s mit dem Hofe ausgesöhnt und willigte jetzt ein, seinen Ruhesitz zu verlassen und als Lord Obercommissar Holyrood House zu beziehen. Es war nothwendig, daß einer der Staatssekretäre für Schottland den König begleitete, und der Master von Stair hatte sich daher auf den Continent begeben. Sein College Johnstone war erster Agent der Krone für Edinburg und hatte Auftrag, regelmäßig mit Carstairs zu correspondiren, der Wilhelm nie verließ.[134]
Man hätte wohl erwarten können, daß die Session stürmisch werden würde. Das Parlament war das nämliche, das im Jahre 1689 mit überwiegenden Majoritäten die heftigsten Beschlüsse votirt hatte, welche Montgomery und sein Club entwerfen konnten, das Steuern verweigert, die Minister der Krone proscribirt, die Gerichtshöfe geschlossen hatte und sich vorgenommen zu haben schien, Schottland in eine oligarchische Republik zu verwandeln. Im Jahre 1690 waren die Stände in einer besseren Stimmung gewesen. Doch hatten sie selbst im Jahre 1690, als die kirchliche Verfassung des Reichs berathen wurde, auf den wohlbekannten Wunsch des Königs wenig Rücksicht genommen. Sie hatten das Patronatsrecht abgeschafft, sie hatten das Mißhandeln des Episkopalklerus sanctionirt, sie hatten sich geweigert, eine Toleranzacte zu erlassen. Es war sehr wahrscheinlich, daß sie auch jetzt noch unlenksam befunden werden würden, wenn sie Religionsfragen entscheiden sollten, und leider mußten ihnen solche Fragen zur Entscheidung vorgelegt werden. Wilhelm hatte während der Suspension der Ständeversammlung die Generalversammlung der Kirche zu überreden versucht, diejenigen seitherigen Curaten, welche das GlaubensbekenntnißXIX.84 unterschrieben und sich der Synodalverfassung unterwarfen, in die Gemeinschaft aufzunehmen. Aber der Versuch war mißlungen und die Versammlung war in Folge dessen von dem Lord Commissar aufgelöst worden. Unglücklicherweise aber hatte die Acte, welche das presbyterianische Kirchenregiment einführte, die Ausdehnung der Gewalt nicht bestimmt, die der Souverain über die geistlichen Gerichtshöfe ausüben sollte. Die Auflösung war daher nicht sobald angekündigt, als der Präses ums Wort bat. Man sagte ihm, daß er jetzt nur noch eine Privatperson sei. Er bat daher als Privatperson um Gehör und protestirte im Namen seiner Collegen gegen das königliche Mandat. Das Recht der kirchlichen Würdenträger, sagte er, sich zu versammeln und ihre Interessen zu berathen, stamme von ihrem göttlichen Oberhaupte und hänge nicht von dem Belieben der weltlichen Obrigkeit ab. Seine Collegen standen auf und gaben durch ein beifälliges Gemurmel ihre Zustimmung zu den Worten ihres Präsidenten zu erkennen. Ehe sie auseinandergingen, bestimmten sie einen Tag zu ihrer nächsten Zusammenkunft.[135] Es war allerdings ein sehr entfernter Tag, und als er herankam, erschien weder ein Geistlicher noch ein Aeltester, denn selbst die kühnsten Mitglieder scheuten sich vor einem vollständigen Bruche mit der Civilgewalt. Aber wenn auch kein offener Krieg zwischen der Kirche und der Regierung bestand, so waren sie doch einander entfremdet, auf einander eifersüchtig und in beständiger Furcht vor einander. Es war kein Schritt zu einer Aussöhnung geschehen, als die Stände zusammentraten, und man konnte wohl in Zweifel darüber sein, auf welche Seite die Stände treten würden.
Aber die Vorgänge in fast jeder Sitzung dieses sonderbaren Parlaments machten alle Prophezeiungen der Politiker zu Schanden. Es war einst der unlenksamste aller Senate gewesen, jetzt war es der willfährigste. Und doch waren es die nämlichen Männer und sie saßen in dem nämlichen Saale wie früher. Es befanden sich darunter die lärmendsten Agitatoren des Clubs, mit Ausnahme Montgomery’s, der in einer Dachstube fern von seinem Heimathlande an Mangel und an gebrochenem Herzen dahinstarb. Es waren darunter der scheinheilige Roß und der treulose Annandale. Es war darunter Sir Patrick Hume, unlängst zum Peer creirt und jetzt Lord Polwarth genannt, aber noch immer so beredtsam als zu der Zeit, wo seine endlosen Deklamationen und Dissertationen der Expedition Argyle’s verderblich wurden. Doch der ganze Geist der Versammlung hatte eine Veränderung erfahren. Die Mitglieder hörten mit tiefer Ehrerbietung das Schreiben des Königs an und antworteten darauf in respectvoller und herzlicher Sprache. Eine außerordentliche Beisteuer von hundertvierzehntausend Pfund Sterling wurde der Krone bewilligt. Strenge Gesetze gegen die Jakobiten wurden erlassen. Die Gesetze in Bezug auf kirchliche Angelegenheiten waren so erastianisch als Wilhelm selbst es nur wünschen konnte. Es wurde eine Acte erlassen, welche allen Dienern der Staatskirche vorschrieb, Ihren Majestäten Treue zu schwören, und der Generalversammlung befahl, diejenigen noch nichtXIX.85 abgesetzten Episkopalgeistlichen, welche erklärten, daß sie sich der presbyterianischen Lehre und Kirchenzucht anbequemten, in die Gemeinschaft aufzunehmen.[136] Ja, die Stände trieben die Servilität sogar so weit, daß sie den König unterthänigst ersuchten, er möge geruhen seinem Lieblinge Portland eine schottische Pairie zu verleihen. Dies war in der That ihre Hauptpetition. Sie baten nicht um Abstellung eines einzigen Mißbrauchs, sondern sie beschränkten sich darauf, in allgemeinen Ausdrücken anzudeuten, daß Mißbräuche existirten, welche Abhülfe erheischten, und den König behufs näherer Information an seine Minister, den Lord Obercommissar und den Staatssekretär, zu verweisen.[137]
Einen Gegenstand gab es, dessen Nichterwähnung selbst bei dem servilsten schottischen Parlamente auffallen muß. Es war seit dem Gemetzel von Glencoe über ein Jahr verstrichen, und man hätte erwarten sollen, daß die ganze Versammlung, Peers, Grafschaftsabgeordnete und Burgfleckenabgeordnete, einstimmig eine strenge Untersuchung dieses großen Verbrechens verlangen würde. Allein es ist erwiesen, daß kein Antrag auf eine solche Untersuchung gestellt wurde. Die Lage der gälischen Clans wurde zwar in Erwägung gezogen, ein Gesetz zur wirksameren Unterdrückung der Räubereien und Gewaltthätigkeiten jenseit der Grenze der Hochlande erlassen und in dieses Gesetz eine Specialklausel aufgenommen, welche Mac Callum More seine erbliche Gerichtsbarkeit reservirte. Aber es ergiebt sich weder aus den öffentlichen Acten über die Proceduren der Stände noch aus den Privatbriefen, in denen Johnstone regelmäßig Carstairs das Vorgegangene berichtete, daß irgend ein Sprecher das Schicksal Mac Ian’s und seiner Stammesgenossen erwähnte.[138] Dieses sonderbare Stillschweigen scheint sich nur dadurch erklären zu lassen, daß die in der Hauptstadt Schottland’s versammelten Politiker von dem Schicksale eines räuberischen Celtenstammes wenig wußten und sich wenig darum kümmerten. Der beleidigte Clan, durch die Furcht vor den allmächtigen Campbells zu Boden gedrückt und nicht gewohnt, sich an die bestehenden Behörden des Landes um Schutz oder Genugthuung zu wenden, reichte keine Petition bei den Ständen ein. Die Geschichte von dem Gemetzel war in den Kaffeehäusern erzählt worden, aber in sehr verschiedener Weise. Ganz neuerdings waren zwar einige Bücher, in denen die Thatsachen nur zu richtig mitgetheilt wurden, aus den geheimen Pressen London’s hervorgegangen.XIX.86 Aber diese Bücher wurden nicht öffentlich verkauft, und sie trugen den Namen keines verantwortlichen Autors. Die jakobitischen Schriftsteller im allgemeinen waren hämisch boshaft und fragten durchaus nichts nach Wahrheit. Da die Macdonalds sich nicht beschwerten, so hatte ein kluger Mann natürlich keine Lust, sich das Mißfallen des Königs, der Minister und der mächtigsten Familie Schottland’s zuzuziehen, indem er eine Anklage zu erheben wagte, die sich auf nichts als von Mund zu Mund gehende Gerüchte oder auf Pamphlets gründete, welche kein Censor erlaubt, auf die kein Verfasser seinen Namen gesetzt und die kein Buchhändler auszustellen wagte. Doch mag dies die richtige Lösung sein oder nicht, soviel ist gewiß, daß die Stände nach einer zweimonatlichen Session, während der, soweit es sich jetzt noch ermitteln läßt, der Name Glencoe im Parlamentshause nicht ein einziges Mal erwähnt wurde, ruhig auseinandergingen.
[1] London Gazette vom 14. März 1692.
[2] Die Schweden kamen zwar noch, aber erst als der Feldzug zu Ende war. London Gazette vom 10. Sept. 1691.
[3] Wilhelm an Heinsius, 14. (24.) März 1692.
[4] Wilhelm an Heinsius, 2. (12.) Febr. 1692.
[5] Wilhelm an Heinsius, 12. (22.) Jan. 1692.
[6] Wilhelm an Heinsius, 19. (29.) Jan. 1692.
[7] Burnet, II. 82, 83.; Correspondenz zwischen Wilhelm und Heinsius an mehreren Stellen.
[8] Mémoires de Torcy.
[9] Wilhelm an Heinsius, 28. Oct. (8. Nov.) 1691.
[10] Wilhelm an Heinsius, 19. (29.) Jan. 1692.
[11] Seine Briefe an Heinsius sind voll von diesem Gegenstande.
[12] Siehe die Briefe aus Rom unter den Nairne Papers. Die von 1692 sind von Lytcott, die von 1693 vom Cardinal Howard, die von 1694 vom Bischof Ellis, die von 1695 vom Lord Perth. Sie alle sprechen sich übereinstimmend aus.
[13] Wilhelm’s Correspondenz mit Heinsius; London Gazette vom 4. Febr. 1691. In einem 1693 erschienenen Pasquill, betitelt: „La Foire d’Ausbourg, Ballet Allégorique”, wird der Kurfürst von Sachsen folgendermaßen redend eingeführt:
[14] Wilhelm’s Correspondenz mit Heinsius. In den Memoiren des Grafen Dohna findet sich eine interessante Mittheilung über Schöning.
[15] Burnet II. 84.
[16] Narcissus Luttrell’s Diary.
[17] Monthly Mercury vom Januar und April 1693; Burnet II. 84. In dem Burnet-Manuscript, Harl. 6584, findet sich eine feurige Lobrede auf den Kurfürsten von Baiern. Als das Manuscript geschrieben wurde, war er mit England gegen Frankreich verbündet. In der Geschichte, welche zum Druck vorbereitet wurde, als er mit Frankreich gegen England verbündet war, ist die Lobrede weggelassen.
[18] „Nec pluribus impar.”
[19] Mémoires de Saint-Simon; Dangeau; Racine’s Briefe und Erzählung betitelt: Relation de ce qui s’est passé au Siège de Namur; Monthly Mercury vom Mai 1692.
[20] Mémoires de Saint-Simon; Racine an Boileau, 21. Mai 1692.
[21] Monthly Mercury für Juni; Wilhelm an Heinsius, 26. Mai (5. Juni) 1692.
[22] Wilhelm an Heinsius, 26. Mai (5. Juni) 1692.
[23] Monthly Mercuries von Juni und Juli 1692; London Gazette vom Juni; Gazette de Paris; Mémoires de Saint-Simon; Journal de Dangeau; Wilhelm an Heinsius, 30. Mai (9. Juni), 2. (12.) Juni, 11. (21.) Juni; Vernon’s Briefe an Colt, abgedruckt in Tindal’s Geschichte; Racine’s Erzählungen und Briefe an Boileau vom 15. und 24. Juni.
[24] Mémoires de Saint-Simon.
[25] London Gazette vom 30. Mai 1692; Mémoires de Saint-Simon; Journal de Dangeau; Boyer’s History of William III.
[26] Mémoires de Saint-Simon; Voltaire, Siècle de Louis XIV. Voltaire spricht mit einer wahrscheinlich gerechten Verachtung von der Darstellung dieser Angelegenheit in den Causes Célèbres. Siehe auch die Briefe der Frau von Sévigné während der Monate Januar und Februar 1680. In mehreren englischen Schmähschriften wird Luxemburg seiner Häßlichkeit wegen spottweise Aesop und in Anspielung auf seinen Verkehr mit La Voisin ein Hexenmeister genannt. In einer jakobitischen Allegorie heißt er der Nekromant Grandorsio. In Narcissus Luttrell’s Diary vom Juni 1692 wird er ein Geisterbeschwörer genannt. Ich habe einige englische Karrikaturen auf Luxemburg’s Gestalt gesehen.
[27] Mémoires de Saint-Simon; Mémoires de Villars; Racine an Boileau, vom 21. Mai 1692.
[28] London Gazette vom 4., 8., 11. August 1692; Gazette de Paris, 9., 16. Aug.; Voltaire Siècle de Louis XIV.; Burnet II., 97; Mémoires de Berwick; Dykvelt’s Brief an die Generalstaaten vom 4. Aug. 1692. Siehe auch die sehr interessante Debatte, welche am 21. Nov. 1692 im Hause der Gemeinen stattfand. Eine englische Uebersetzung von Luxemburg’s sehr sorgfältig ausgearbeiteter und gewandt geschriebener Depesche findet man im Monthly Mercury vom September 1692. Das Original ist unlängst in der neuen Ausgabe von Dangeau abgedruckt. Ludwig erklärte sie für die beste Depesche, die er je gelesen. Der Herausgeber des Monthly Mercury behauptet, sie sei in Paris fabricirt worden. „Etwas Andres zu glauben,” sagt er, „ist Thorheit; als ob Luxemburg so viel Zeit hätte haben können, einen so langen Brief zu schreiben, mehr wie ein Schulfuchs denn wie ein General, oder vielmehr wie der aufsichtführende Schüler in einer Schule, der seinem Lehrer über das Betragen der anderen Knaben Bericht erstattet.” In dem Monthly Mercury findet man auch die französische officielle Liste der Gefallenen und Verwundeten. Von allen Berichten über die Schlacht scheint mir der beste der in Feuquières’ Memoiren enthaltene. Er ist durch eine Karte erläutert. Feuquières theilt Lob und Tadel sehr unparteiisch zwischen den Generälen. Die Traditionen der englischen Soldatentische hat uns Sterne erhalten, der auf den Knien der alten Soldaten Wilhelm’s aufwuchs. „Die Regimenter Cutts’,” fuhr der Korporal fort, indem er den Zeigefinger der rechten Hand an den Daumen der linken legte und an den Fingern weiter zählte, „die Regimenter Cutts’, Mackay’s, Angus’, Graham’s und Leven’s, Alle wurden in Stücke gehauen, und den englischen Leibgarden wäre es nicht besser ergangen, wenn nicht einige Regimenter von der Rechten muthig zu ihrer Rettung herbeigeeilt wären, welche das Feuer des Feindes gerade ins Gesicht bekamen, noch ehe eines ihrer Pelotons nur einen Schuß abgefeuert hatte. Sie werden dafür in den Himmel kommen,” setzte Trim hinzu.
[29] Voltaire, Siècle de Louis XIV.
[30] Langhorne, der vornehmste Laienagent der Jesuiten in England, wählte seine Werkzeuge, wie er Tillotson bekannte, stets nach diesem Prinzip. Burnet I. 230.
[31] Ich habe die Geschichte von Grandval’s Complot hauptsächlich seinem eignen Bekenntnisse entlehnt. Frau von Maintenon habe ich nicht erwähnt, weil Grandval sie in seinem Bekenntnisse nicht erwähnt. Die ihr zur Last gelegte Beschuldigung stützt sich einzig und allein auf Dumont’s Autorität. Siehe auch A True Account of the horrid Conspiracy against the Life of His most Sacred Majesty William III., 1692; Reflections upon the late horrid Conspiracy contrived by some of the French Court to murder His Majesty in Flanders, 1692; Burnet II. 92; Vernon’s Briefe aus dem Lager an Colt, veröffentlicht von Tindal; London Gazette vom 11. August. Die Gazette de Paris enthält kein Wort über den Gegenstand, — ein sehr bezeichnendes Stillschweigen.
[32] London Gazette vom 20. und 24. October 1692.
[33] Siehe seinen Rapport bei Burchett.
[34] London Gazette vom 28. Juli 1692. Siehe die Beschlüsse des Kriegsraths bei Burchett. In einem vom 10. Juli datirten Briefe an Nottingham sagt Russell: „In sechs Wochen wird das was wir Sommer nennen, so ziemlich zu Ende sein.” Lords’ Journals, Dec. 19. 1692.
[35] Monthly Mercury, Aug. und Sept. 1692.
[36] Evelyn’s Diary, July 25. 1692; Burnet II. 94. 95., und Lord Dartmouth’s Note. Die Geschichte des Streits zwischen Russell und Nottingham ist am besten aus den Protokollen und Debatten des Parlaments von der Session 1692/93 zu ersehen.
[37] Commons’ Journals, Nov. 19. 1692; Burnet II. 95; Grey’s Debates, Nov. 21. 1692; Pariser Gazette vom August und September; Narcissus Luttrell’s Diary, Sept.
[38] Siehe Bart’s Letters of Nobility und die Pariser Gazette vom Herbst 1692.
[39] Mémoires de Du Gay Trouin.
[40] London Gazette vom 11. Aug. 1692; Evelyn’s Diary, Aug. 10; Monthly Mercury vom September; A Full Account of the late dreadful Earthquake at Port Royal in Jamaica, licensed Sept. 9. 1692.
[41] Evelyn’s Diary, June 25., Oct. 1. 1690; Narcissus Luttrell’s Diary, June 1692, May 1693; Monthly Mercury, April, May, June 1693; Tom Brown’s Description of a Country Life, 1692.
[42] Narcissus Luttrell’s Diary, Nov. 1692.
[43] Siehe zum Beispiel die London Gazette vom 12. Jan. 1693.
[44] Narcissus Luttrell’s Diary, Dec. 1692.
[45] Ibid. Jan. 1693.
[46] Ibid. July 1692.
[47] Evelyn’s Diary, Nov. 20. 1692; Narcissus Luttrell’s Diary; London Gazette vom 24. Nov.; Hop an den Greffier der Generalstaaten, 18. (28.) Nov.
[48] London Gazette vom 19. Dec. 1692.
[49] Narcissus Luttrell’s Diary, Dec. 1692.
[50] Ibid. Nov. 1692.
[51] Ibid. Aug. 1692.
[52] Hop an den Greffier der Generalstaaten, 23. Dec. (2. Jan.) 1692/93. Die holländischen Depeschen von diesem Jahre sind voll von Geschichten von Räubereien.
[53] Hop an den Greffier der Generalstaaten, 23. Dec. (2. Jan.) 1692/93; Historical Records of the Queen’s Bays, published by authority; Narcissus Luttrell’s Diary, Nov. 15.
[54] Narcissus Luttrell’s Diary, Dec. 22.
[55] Ibid. Dec. 1692; Hop, 3. (13.) Jan. Hop nennt Whitney „den befaamsten roover in Engelandt.”
[56] London Gazette vom 2. Jan. 1692/93.
[57] Narcissus Luttrell’s Diary, Jan. 1692/93.
[58] Ibid. Dec. 1692
[59] Ibid. January, February; Hop, 31. Jan. (10. Febr.) und 3. (13. Febr.) 1693; Brief an den Sekretär Trenchard, 1694; New Court Contrivances or more Sham Plots still, 1693.
[60] Lords’ und Commons’ Journals, Nov. 4., Jan. 1692.
[61] Commons’ Journals, Nov. 10. 1692.
[62] Siehe die Lords’ Journals vom 7. bis 18. Nov. 1692; Burnet II. 102. Tindal’s Darstellung dieser Vorgänge ist Briefen des Unterstaatssekretärs Warre an Colt, Gesandten in Hannover, entnommen. Letter to Secretary Trenchard, 1694.
[63] Lords’ Journals, Dec. 7.; Tindal, aus den Colt’schen Briefen; Burnet II. 105.
[64] Grey’s Debates, Nov. 21. 23. 1692.
[65] Grey’s Debates, Nov. 21. 1692; Colt’s Briefe in Tindal.
[66] Tindal, Colt’s Briefe; Commons’ Journals, Jan. 11. 1692/93.
[67] Colt’s Briefe bei Tindal; Lords’ Journals vom 6. bis 19. Dec. 1692.
[68] Ueber die Vorgänge dieses Tages im Hause der Gemeinen sehe man die Protokolle vom 20. Dec. und den Brief von Robert Wilmot, Mitglied für Derby, an seinen Collegen, Anchitel Grey, in Grey’s Debates.
[69] Commons’ Journals, Jan. 4. 1692/93.
[70] Colt’s Briefe bei Tindal; Commons’ Journals, Dec. 16, 1692, Jan. 11. 1692/93. Burnet II. 104.
[71] Die heftige Antipathie des englischen Adels gegen die holländischen Günstlinge wird in einer 1698 von Renaudot geschriebenen höchst interessanten Note erwähnt, die sich in den Archiven des französischen Ministeriums des Auswärtigen befindet.
[72] Colt’s Briefe bei Tindal; Lords’ Journals, Nov. 28., 29. 1692, Feb. 18., 24. 1692/93.
[73] Grey’s Debates, Nov. 18. 1692; Commons’ Journals Nov. 18., Dec. 1. 1692.
[74] Siehe Cibbers’ Apologie und Mountford’s Greenwich Park.
[75] Siehe Cibbers’ Apology, Tom Brown’s Werke und überhaupt die Werke jedes Schöngeistes und Humoristen der Stadt.
[76] Das englische Wortspiel mit fair, was schön, aber auch unparteiisch, ehrlich bedeutet, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. — D. Uebers.
[77] Meine Hauptquelle für diesen Prozeß ist die in Howell’s Sammlung enthaltene Darstellung desselben. Man sehe ferner Evelyn’s Diary unterm 4. Febr. 1692/93. Auch habe ich einige Umstände aus N. Luttrell’s Diary, aus einem Briefe an Sancroft, der sich unter den Tanner-Manuscripten in der Bodlejanischen Bibliothek befindet, und aus zwei Briefen von Brewer an Wharton, ebenfalls in der Bodlejanischen Bibliothek, entnommen.
[78] Commons’ Journals, Nov. 14. 1692.
[79] Commons’ Journals von dieser Session, namentlich vom 17. Nov., 10. Dec., 25. Febr. und 3. März; Colt’s Briefe bei Tindal.
[80] Commons’ Journals, Dec. 10.; Colt’s Briefe bei Tindal.
[81] Siehe Coke’s Institutes, Theil II, Kap. 1. Im Jahre 1566 betrug eine Subsidie 120,000 l., im Jahre 1598 78,000 l.; als Coke seine Institutes schrieb, gegen das Ende der Regierung Jakob’s I. 70,000 l. Clarendon sagt uns, daß 1640 zwölf Subsidien auf ungefähr 600,000 l. geschätzt wurden.
[82] Siehe die alten Grundsteueracten und die Debatten über die Grundsteuerablösungsbill von 1798.
[83] Lord’s Journals, Jan. 16, 17, 18, 19. 20.; Commons’ Journals, Jan. 17, 18, 20. 1692; Tindal, aus den Colt’schen Briefen; Burnet II. 104, 105. Burnet hat sich eines unrichtigen Ausdrucks bedient, den Tindal, Ralph und Andere abgeschrieben haben. Er sagt, die Frage sei gewesen, ob die Lords sich selbst besteuern sollten. Die Lords machten in keiner Weise das Recht geltend, den Betrag, der ihnen durch die Bill, wie sie ihnen zugesandt wurde, aufgelegten Besteuerung abzuändern. Sie verlangten bloß, daß ihre Güter nicht durch die gewöhnlichen Commissare, sondern durch Specialcommissare höheren Ranges abgeschätzt werden sollten.
[84] Commons’ Journals, Dec. 2. (12.) 1692.
[85] Diese Darstellung des Ursprungs des Actienschwindels in der City von London habe ich hauptsächlich nach einer höchst interessanten periodischen Schrift, betitelt: „Collection for the Improvement of Husbandry and Trade, by J. Houghton, F. R. S.” entworfen. Sie ist thatsächlich eine wöchentliche Geschichte der Handelsspekulationen jener Zeit. Ich habe mehrere Jahrgänge durchgesehen. In Nr. 33, vom 17. März 1692/93, sagt Houghton: „Das Kaufen und Verkaufen von Actien ist einer der großen jetzt florirenden Handelszweige. Ich finde aber, daß sehr Viele nichts davon verstehen.” Unterm 13. und 22. Juni 1694 schildert er den ganzen Prozeß des Börsenspiels. Unterm 13. Juli des nämlichen Jahres spricht er zuerst von Zeitkäufen. Wer über die im Texte genannten Compagnien Näheres wissen will, der lese Houghton’s Sammlung und eine 1695 erschienene Flugschrift, betitelt: Angliae Tutamen.
[86] Commons’ Journals; Stat. 4. W. & M. C. 3.
[87] Siehe eine höchst bedeutsame Anmerkung in Hume’s History of England, Anhang III.
[88] Wealth of Nations, Buch V. Kap. 3.
[89] Wesley fiel diese Anomalie im Jahre 1745 auf. Siehe sein Tagebuch.
[90] Pepys, 10. Juni 1668.
[91] Siehe die Politik, IV. 13.
[92] Die Bill befindet sich in den Archiven des Hauses der Lords.
[93] Lords’ Journals, Jan. 3. (13.) 1692/93.
[94] Introduction to the Copies and Extracts of some Letters written to and from the Earl of Danby, now Duke of Leeds, published by His Grace’s Direction, 1710.
[95] Commons’ Journals; Grey’s Debates. Die Bill selbst befindet sich in den Archiven des Hauses der Lords.
[96] Dunton’s Life and Errors, Autobiography of Edmund Bohun, privatim gedruckt 1693. Diese Selbstbiographie ist im höchsten Grade merkwürdig und interessant.
[97] Vox Cleri, 1689.
[98] Bohun war der Verfasser der unmittelbar nach der Revolution erschienenen History of the Desertion. In diesem Werke entwickelt er seine Lieblingstheorie. „Ich für meinen Theil,” sagt er, „bin erstaunt darüber, wie Jemand Bedenken tragen kann, sich dem gegenwärtigen Könige zu unterwerfen, denn wenn je ein Mensch gerechte Ursache hatte, einen Krieg zu beginnen, so war er es, und dies begründet ein Recht auf das was dadurch gewonnen wird. Indem der König seine Armee zurückzog und auflöste, trat er ihm den Thron ab, und wenn er denselben ohne weiteres bestiegen hätte, so hätte er nicht mehr gethan als alle anderen Fürsten unter gleichen Umständen gethan haben würden.”
[99] Character of Edmund Bohun, 1692.
[100] Dryden spricht in seinem Life of Lucian in zu überschwenglichen Ausdrücken von Blount’s Talenten. Aber Dryden’s Urtheil war parteiisch, denn Blount’s erstes Werk war ein Pamphlet zur Vertheidigung der „Eroberung von Granada.”
[101] Siehe seinen Appeal from the Country to the City for the Preservation of His Majesty’s Person, Liberty, Property, and the Protestant Religion.
[102] Siehe den Artikel über Apollonius in Bayle’s Dictionary. Ich sage Blount übersetzte nach der lateinischen Uebersetzung, denn sein Werk enthält zahlreiche Beweise, daß er nicht fähig war, aus dem Griechischen zu übersetzen.
[103] Siehe Gildon’s Ausgabe von Blount’s Werken, 1695.
[104] Wood’s Athenae Oxonienses unter dem Namen Heinrich Blount (Karl Blount’s Vater); Lestrange’s „Observator,” Nro. 290.
[105] Diese Piece wurde 1695 von Gildon in Blount’s Werken abgedruckt.
[106] Daß Bount’s Plagiarismus nur von wenigen seiner Zeitgenossen entdeckt wurde, ist nichts Wunderbares. Das aber ist wunderbar, daß seine Just Vindication in der Biographia Britannica warm gelobt wurde, ohne die mindeste Andeutung, daß alles Gute darin gestohlen ist. Die Areopagitica sind nicht das einzige Werk, das er bei dieser Gelegenheit plünderte. Auch aus Bacon entnahm er eine schöne Stelle, ohne die Quelle anzuführen.
[107] Ich stehe nicht an, dieses Pamphlet Blount zuzuschreiben, obgleich es von Gildon in seinen Werken nicht aufgenommen wurde. Wenn Blount es wirklich nicht schrieb, so mußte es doch sicherlich unter seiner Leitung geschrieben worden sein. Daß zwei Literaten ohne Verabredung binnen kurzer Zeit zwei Abhandlungen hätten veröffentlichen sollen, von denen die eine aus der einen Hälfte der Areopagitica, die andre aus der andren Hälfte compilirt war, ist unglaublich. Es wird sich nachher zeigen, warum Gildon es nicht für gut fand, das zweite Pamphlet abzudrucken.
[108] Bohun’s Selbstbiographie.
[109] Bohun’s Selbstbiographie; Commons’ Journals, Jan. 20. 1692/93.
[110] Bohun’s Selbstbiographie; Commons’ Journals, Jan. 20. 21. 1692/93.
[111] Oldmixon; Narcissus Luttrell’s Diary, Nov. und Dec. 1692; Burnet II. 334; Bohun’s Autobiography.
[112] Burn it, Burn it! ein Wortspiel auf Burnet. — D. Uebers.
[113] Grey’s Debates; Commons’ Journals, Jan. 21. 23. 1692/93. Bohun’s Autobiography; Kennet’s Life and Reign of King William and Queen Mary.
[114] „Die Meisten bedauerten den Bischof.” — Bohun’s Selbstbiogr.
[115] Der Beschluß der Gemeinen ist mit großer Wehmuth in den Memoiren erwähnt, welche Burnet damals schrieb. „Es sah,” sagt er, „ziemlich sonderbar aus, daß ich, der ich von meinem ersten Auftreten an unter allen Schriftstellern des Jahrhunderts vielleicht der größte Vertheidiger der öffentlichen Freiheit war, mit solcher Härte als ein Feind derselben behandelt wurde. Das kam jedoch daher, weil die Tories mich nie leiden konnten und die Whigs mich haßten, weil ich nicht in ihre Ideen und Leidenschaften einging. Aber weder dies, noch Schlimmeres, das mir vielleicht begegnet, soll hoffentlich im Stande sein, mich von den gemäßigten Prinzipien und der gerechten Vertheidigung der Freiheit des Menschengeschlechts abweichen zu lassen.” Burnet-Mscr. Harl. 6584.
[116] Commons’ Journals, Feb. 27 1692/93; Lords’ Journals, Mar. 4.
[117] Lords’ Journals, March 8. 1692/93.
[118] In dem Artikel über Blount in der Biographia Britannica wird ihm lobend eine Hauptrolle bei der Emancipation der Presse zugeschrieben. Aber der Verfasser war bezüglich der Facta sehr unvollkommen unterrichtet. Es ist auffällig, daß die Umstände von Blount’s Tode so ungewiß sind. Daß er an einer sich selbst beigebrachten Wunde starb, und daß er lange siechte, sind unbestrittene Thatsachen. Die allgemein verbreitete Meinung war, daß er sich habe erschießen wollen, und Narcissus Luttrell machte damals in seinem Tagebuche eine dahin lautende Notiz. Pope dagegen, der die beste Gelegenheit hatte, sich genau zu unterrichten, behauptet, „daß Blount, der in eine nahe Verwandte von ihm verliebt gewesen, aber verschmäht worden war, sich einen Stich in den Arm beibrachte, mit dem Vorsatze sich das Leben zu nehmen, an dessen Folgen er wirklich starb.” — Note on the Epilogue to the Satires, Dialogue I. Warburton, der erst mit den Helden der Dunciade und dann mit den ausgezeichnetsten Gelehrten seiner Zeit Umgang gehabt hatte, mußte die Wahrheit wohl kennen, und er bestätigt durch sein Stillschweigen Pope’s Versicherung. Gildon’s Rhapsodie über den Tod seines Freundes paßt auf jede der beiden Geschichten.
[119] Die gegen Coningsby erhobenen Beschuldigungen findet man in den Protokollen der beiden Häuser des englischen Parlaments. Diese Beschuldigungen wurden nach Verlauf eines Vierteljahrhunderts von Prior, den Coningsby mit großer Rücksichtslosigkeit und Härte behandelt hatte, in Verse gebracht. Ich will einige Strophen anführen. Man wird sehen, daß der Dichter sich herabließ, den Styl der Straßenballaden nachzuahmen:
Hierauf wird die Geschichte von Gafney erzählt. Coningsby’s Spekulationen werden folgendermaßen geschildert:
Die letzte Beschuldigung hat die den Katholiken gewährten Begünstigungen zum Gegenstande:
[120] An Account of the Sessions of Parliament in Ireland, 1692, London, 1693.
[121] Die Poyningsacte ist 10 H. 7. C. 4. Sie war durch eine andere Acte, 3 und 4 P. und M., C. 4 erläutert.
[122] Die Geschichte dieser Session habe ich den Protokollen der irischen Lords und Gemeinen, den den englischen Lords und Gemeinen von Mitgliedern des irischen Parlaments vorgelegten schriftlichen Erzählungen und einer Flugschrift, betitelt: A Short Account of the Sessions of Parliament in Ireland, 1692, London 1693, entnommen. Burnet scheint mir (II. 118) eine richtige Ansicht von dem Streite gehabt zu haben. „Die Engländer in Irland glaubten die Regierung begünstige die Irländer zu sehr; Einige meinten, es sei dies eine Folge von Bestechungen, Andere hielten es für nothwendig, sich gegen Verfolgungen der Engländer zu sichern, welche sie haßten und heftig gegen sie erbittert waren... Auch wurde sehr über schlechte Verwaltung geklagt, namentlich in Bezug auf die Staatseinkünfte, auf die Besoldung der Armee und auf die Unterschlagung von Vorräthen.”
[123] Ueber Swift’s Abkunft und Jugendjahre sehe man die von ihm selbst geschriebenen Anekdoten.
[124] Journal to Stella, Letter LIII.
[125] Siehe Swift’s Brief an Temple vom 6. Oct. 1694.
[126] Journal to Stella, Letter XIX.
[127] Swift’s Anecdotes.
[128] London Gazette vom 27. März 1693.
[129] Siehe Seite 58 im II. Kapitel. — D. Uebers.
[130] Burnet II. 108 und Sprecher Onslow’s Note; Sprat’s True Account of the Horrid Conspiracy; Letter to Trenchard. 1694.
[131] Burnet II. 107.
[132] Diese Gerüchte werden in Narcissus Luttrell’s Tagebuche mehr als ein Mal erwähnt.
[133] London Gazette vom 27. März 1693; Narcissus Luttrell’s Diary.
[134] Burnet II. 123; Carstairs Papers.
[135] Register of the Actings or Proceedings of the General Assembly of the Church of Scotland, held at Edinburgh, Jan. 15. 1692, collected and extracted from the Records by the Clerk there of. Dieser interessante Bericht wurde 1852 zum ersten Male gedruckt.
[136] Act. Parl. Scot. June 12. 1693.
[137] Act. Parl. Scot. June 15. 1693.
[138] Dem Herausgeber der Carstairs Papers war augenscheinlich, gleichviel aus welchem Grunde, sehr darum zu thun, diese notorische und in die Augen springende Wahrheit zu entstellen. Er hat deshalb einigen Briefen Johnstone’s Inhaltsangaben vorausgeschickt, welche unaufmerksame Leser täuschen können. So schrieb zum Beispiel Johnstone an Carstairs unterm 18. April, als man noch nicht wußte, daß die Session eine ruhige sein werde: „Man bietet alles Mögliche auf und wird auch ferner alles Mögliche aufbieten, um die Dinge zu verwirren.” Des Herausgebers Inhaltsangabe von diesem Briefe lautet folgendermaßen: „Kunstgriffe, welche angewendet werden, um die auf Glencoe bezüglichen Angelegenheiten zu verwirren.” Ferner beklagte sich Johnstone in einem einige Wochen später geschriebenen Briefe, daß die Liberalität und Willfährigkeit der Stände nicht gebührend gewürdigt worden sei. „Es soll nichts geschehen,” sagt er, „um dem Parlamente Genugthuung zu verschaffen, ich meine was es als eine Genugthuung betrachtet haben würde.” Der Herausgeber giebt den Inhalt dieses Briefes wie folgt an: „Klagen, daß das Parlament nicht durch eine Untersuchung über das Gemetzel von Glencoe zufriedengestellt wird.”
Stereotypie und Druck von Philipp Reclam jun. in Leipzig.
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Zustand des Hofes von Saint-Germains | 5 |
Gesinnung der Jakobiten. Die Vergleicher | 8 |
Die Nichtvergleicher | 8 |
Ministerwechsel in Saint-Germains. Middleton | 10 |
Jakob erläßt eine neue Erklärung | 12 |
Eindruck der neuen Erklärung | 14 |
Rüstungen der Franzosen für den Feldzug | 16 |
Gründung des St. Ludwigsordens | 16 |
Middleton’s Bericht über Versailles | 16 |
Wilhelm’s Rüstungen für den Feldzug | 18 |
Ludwig rückt in’s Feld | 18 |
Ludwig kehrt nach Versailles zurück | 19 |
Manövers Luxemburg’s | 20 |
Schlacht bei Landen | 21 |
Vernichtung der Smyrna-Flotte | 26 |
Aufregung in London | 28 |
Jakobitische Libelle; Wilhelm Anderton | 29 |
Schriften und Kunstgriffe der Jakobiten | 32 |
Verhalten Caermarthen’s | 34 |
Der Ostindischen Compagnie eine neue Concession verliehen | 35 |
Wilhelm’s Rückkehr nach England; militärische Erfolge Frankreich’s | 36 |
Noth in Frankreich | 37 |
Ein Ministerium nothwendig für die parlamentarische Regierungsform | 40 |
Allmälige Bildung des ersten Ministeriums | 42 |
Sunderland | 43 |
Sunderland räth dem Könige den Whigs den Vorzug zu geben | 46 |
Gründe für die Bevorzugung der Whigs | 47 |
Häupter der Whigpartei; Russell | 48 |
Somers | 49 |
Montague | 51 |
Wharton | 54 |
Häupter der Torypartei | 57 |
Harley | 58 |
Foley | 61 |
Howe | 61 |
Zusammentritt des Parlaments | 62 |
Debatten über die Unfälle zur See | 62 |
Russell erster Lord der Admiralität | 64 |
Nottingham’s Rücktritt | 64 |
Shrewsbury will kein Amt annehmen | 64 |
Debatten über den Handel mit Indien | 65 |
Bill zur Regulirung des Prozeßverfahrens in Hochverrathsfällen | 68 |
Die Dreijährigkeitsbill | 68 |
Die Stellenbill | 70 |
Bill zur Naturalisirung ausländischer Protestanten | 73 |
Geldbewilligung | 75 |
Wege und Mittel; Lotterieanlehen | 75 |
Die Bank von England | 77 |
Prorogation des Parlaments; ministerielle Arrangements | 86 |
Shrewsbury Staatssekretär | 86 |
Verleihung neuer Titel | 87 |
Kriegsplan der Franzosen | 88 |
Kriegsplan England’s | 88 |
Expedition gegen Brest | 89 |
Operationen im Mittelländischen Meere | 92 |
Krieg zu Lande | 94 |
Klagen über Trenchard’s Verwaltung | 94 |
Die gerichtlichen Verfolgungen in Lancashire | 95 |
Zusammentritt des Parlaments | 98 |
Tillotson’s Tod | 99 |
Tenison, Erzbischof von Canterbury | 100 |
Debatten über die gerichtlichen Verfolgungen in Lancashire | 100 |
Die Stellenbill | 101 |
Die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen | 102 |
Die Dreijährigkeitsbill angenommen | 102 |
Tod Mariens | 102 |
Mariens Leichenbegängniß | 105 |
Gründung des Greenwich-Hospitals | 106 |
Es ist jetzt Zeit die Vorgänge zu erzählen, die seit der Schlacht von La Hogue in Saint-Germains stattgefunden hatten.
Jakob war, nachdem er die Flotte, die ihn in sein Königreich zurückbringen sollte, bis zum Wasserspiegel hatte niederbrennen sehen, nicht in der besten Laune in seine Residenz bei Paris zurückgekehrt. Das Unglück machte ihn gewöhnlich nach seiner Weise fromm, und er darbte und kasteiete sich jetzt dergestalt, daß seine Seelsorger genöthigt waren sich ins Mittel zu legen.[1]
Man kann sich schwer einen traurigeren Ort denken als Saint-Germains zu der Zeit war, als er sein Hoflager dort hielt, und doch gab es in ganz Europa fast keine beneidenswerthere Residenz als die, welche der hochherzige Ludwig der Familie angewiesen hatte, die ihn um Beistand angefleht. Sie hatte prächtige Wälder, eine reine gesunde Luft und weite liebliche Fernsichten, keine Annehmlichkeit des Landlebens fehlte und die Thürme der prächtigsten Stadt des Continents zeigten sich in der Ferne. Die königlichen Gemächer waren mit Tapeten und Schnitzwerk, mit silbernen Vasen und Spiegeln in Goldrahmen glänzend ausgeschmückt. Alljährlich erhielt Jakob aus dem französischen Staatsschatze eine Pension von über vierzigtausend Pfund. Außerdem hatte er eine aus den schönsten Soldaten Europa’s bestehende Ehrenwache. Wenn er sich mit der Jagd unterhalten wollte, stand ihm eine viel glänzendere Einrichtung zu Gebote, als er sie selbst besessen, da er noch an der Spitze eines großen Reiches stand, ein Heer von Jägern und Falkonieren, eine reiche Sammlung von Flinten, Speeren, Histhörnern und Zelten, meilenlange Netze, Parforcehunde, Fuchshunde, Windhunde, Koppeln für Eber und Wölfe, Geierfalken für den Reiher und Hagerfalken für die wilde Ente. Sein Empfangszimmer und sein Vorzimmer waren eben so prächtig eingerichtet, als er es in Whitehall gewohnt gewesen war; auch hier war er von blauen Bändern und weißen Stäben umgeben. Doch über dem Schlosse und der ganzen Domäne lagerte eine beständige Trauer, zum Theil die Folge schmerzlichen Sehnens und vereitelter Hoffnungen, besonders aber des jämmerlichen Aberglaubens, der seinen Geist vollständig eingenommen hatte und den auch fast alle Diejenigen erheuchelten, die nach seiner Gunst strebten. Sein Palast hatte das Aussehen eines Klosters. Es befanden sich drei zu Andachtsübungen bestimmte Räume innerhalb des großen Gebäudes, und dreißig bis vierzig Geistliche wohnten darin, deren Gemächer von den Noblemen und Gentlemen, welche das Loos ihres Souverains getheilt hatten und denen es hart dünkte, daß sie, während so viel Platz unter seinem Dache war, in den Mansarden der benachbarten Stadt schlafen mußten, mit neidischenXX.6 Blicken betrachtet wurden. Zu den Murrenden gehörte auch der glänzende Anton Hamilton. Er hat uns eine Skizze des Lebens in Saint-Germains hinterlassen, zwar eine nur flüchtige Skizze, aber des Künstlers nicht unwürdig, dem wir das vollendetste und lebensvollste Gemälde des englischen Hofes aus den Tagen seiner heitersten Blüthe verdanken. Er sagt, daß das Leben eine ununterbrochene Kette religiöser Uebungen gewesen sei, daß man, um in Frieden zu existiren, den halben Tag habe beten oder sich doch betend stellen müssen; daß, wenn er einmal versucht habe, seine Melancholie zu verscheuchen, indem er auf der prächtigen Terrasse, die auf das Thal der Seine hinabsieht, ein wenig frische Luft schöpfte, er durch die Stimme eines Jesuiten vertrieben worden sei, der einige protestantische Loyale ins Gebet genommen, um ihnen zu beweisen, daß kein Ketzer in den Himmel kommen könne. In der Regel, sagt Hamilton, haben Leute, auf denen ein gemeinsames Mißgeschick lastet, starke gegenseitige Sympathien und sind geneigt, einander Gefälligkeiten zu erzeigen. In Saint-Germains war dem nicht so. Dort war Alles Zwietracht, Eifersucht und Bitterkeit. Böswilligkeit verbarg sich unter dem äußeren Scheine der Freundschaft und Frömmigkeit. Alle die Frommen des königlichen Hauses beteten für einander und verleumdeten einander vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Hier und da bemerkte man unter dem Schwarme der Heuchler wohl auch einen Mann, der zu edeldenkend war, um sich verstellen zu können. Aber ein solcher Mann konnte darauf rechnen, von den Bewohnern jenes unheimlichen Aufenthaltsortes mit Geringschätzung behandelt zu werden, mochte er auch anderwärts noch so vortheilhaft bekannt sein.[2]
So sah es nach der Schilderung eines Katholiken am Hofe Jakob’s aus. War der Aufenthalt an diesem Hofe schon für einen Katholiken unangenehm, so war er für einen Protestanten noch viel unangenehmer. Denn der Protestant hatte außer all’ den Widerwärtigkeiten, über welche der Katholik klagte, eine Menge Kränkungen zu ertragen, von denen der Katholik frei war. Bei jeder Concurrenz zwischen einem Protestanten und einem Katholiken wurde der Katholik vorgezogen. Bei jedem Streite zwischen einem Protestanten und einem Katholiken wurde angenommen, daß der Katholik Recht habe. Während der ehrgeizige Protestant vergebens auf Beförderung wartete, während der vergnügungssüchtige Protestant sich vergebens nach Unterhaltung umsah, sah sich der ernste Protestant vergebens nach geistlichen Belehrungen und Tröstungen um. Jakob würde gewiß den Mitgliedern der englischen Kirche, die um seinetwillen Alles aufgeopfert hatten, leicht haben die Erlaubniß auswirken können, sich in aller Stille in einem bescheidenen Betzimmer zu versammeln und das Brot und den Wein des heiligen Abendmahls aus den Händen eines ihrer Geistlichen zu empfangen; aber er wollte seine Residenz durch solche gottlose Andachtsübungen nicht schänden lassen. Doctor Dennis Grandville, der lieber die reichste Dechanei, das reichste Archidiaconat und eine der reichsten Pfründen in England aufgegeben, als daß er die Eide geleistet hatte, erregte großes Aergerniß durch das Ansuchen, den Verbannten seiner Glaubensrichtung Gebete vorlesen zu dürfen. Sein Gesuch wurde abgeschlagen, und er wurde von den Kaplanen seines Gebieters und derenXX.7 Anhängern so gröblich insultirt, daß er gezwungen war, Saint-Germains zu verlassen. Damit kein zweiter anglikanischer Doctor in ähnlicher Weise lästig fiele, schrieb Jakob seinen Agenten in England, er wünsche nicht, daß noch ein protestantischer Theolog zu ihm herüberkomme.[3] Der überwiegende Klerus wurde sogar in seinem Palaste noch ärger verhöhnt und geschmäht, als in dem seines Neffen. Wenn irgend Jemand Anspruch darauf hatte, in Saint-Germains mit Achtung genannt zu werden, so war es gewiß Sancroft. Es hieß jedoch, daß die dort versammelten Bigotten nur mit Widerwillen und Abscheu von ihm sprächen. Das Opfer der höchsten Stelle in der Kirche, der ersten Stelle in der Pairie, des Palastes in Lambeth und des Palastes in Croydon, eines ausgedehnten Patronats und eines jährlichen Einkommens von mehr als fünftausend Pfund Sterling, galt für eine geringfügige Sühne für das große Verbrechen, bescheidene Einwendungen gegen die Indulgenzerklärung gemacht zu haben. Sancroft wurde für einen eben solchen Verräther und für einen eben solchen Bußfertigen erklärt wie Judas Ischariot gewesen war. Der alte Heuchler, sagte man, habe, während er Ehrerbietung und Liebe zu seinem Gebieter zur Schau getragen, den Feinden seines Gebieters das verderbliche Zeichen gegeben. Als das Unheil angerichtet und nicht mehr gut zu machen gewesen sei, habe das Gewissen den Sünder zu quälen begonnen. Er habe, wie sein Vorbild, sich Vorwürfe gemacht und gejammert. Er habe, wie sein Vorbild, seinen Reichthum Denen vor die Füße geworfen, deren Werkzeug er gewesen sei. Das Beste was er jetzt thun könne sei, die Parallele vollständig zu machen, indem er sich aufhänge.[4]
Jakob scheint der Meinung gewesen zu sein, daß er den Ketzern, die um seinetwillen Vermögen, Vaterland und Familie aufgegeben, keinen größeren Beweis von Güte geben könne, als indem er sie auf ihren Sterbebetten von seinen Priestern heimsuchen ließe. Wenn ein an Körper und Geist hoffnungslos krank darniederliegender Mann, von dem Gesumme schlechter Logik und schlechter Rhetorik betäubt, sich eine Hostie in den Mund zwingen ließ, so wurde dem Hofe triumphirend ein großes Werk der Gnade verkündet und der Neubekehrte mit allem religiösen Pompe begraben. Wenn aber ein Royalist vom höchsten Range und vom makellosesten Character als treuer Anhänger der englischen Kirche starb, so wurde auf freiem Felde eine Grube gegraben und er wurde mitten in der Nacht hineingeworfen und mit Erde zugedeckt wie ein Stück Aas. Eine solche Beerdigung wurde dem Earl von Dunfermline zu Theil, der dem Hause Stuart mit Gefahr seines Lebens und mit Verlust seines ganzen Vermögens gedient, der bei Killiecrankie gefochten und nach dem Siege die noch athmenden Ueberreste Dundee’s aufgehoben hatte. Bei seinen Lebzeiten war er schimpflich behandelt worden. Die schottischen Offiziere,XX.8 welche lange unter ihm gedient, hatten vergebens darum gebeten, daß, wenn sie zu einer Compagnie formirt werden sollten, er auch ferner ihr Anführer bleiben möge. Seine Religion war als ein fataler Unfähigkeitsgrund angesehen worden. Ein unwürdiger Abenteurer, dessen einzige Empfehlung darin bestand, daß er ein Papist war, wurde eingezogen. Dunfermline erschien noch eine kurze Zeit lang in dem Zirkel, welcher den Fürsten umgab, dem er nur zu treu gedient hatte; aber es half ihm nichts. Die Bigotten, die den Hof beherrschten, verweigerten dem zu Grunde gerichteten und aus seinem Vaterlande vertriebenen Lord die Mittel zu seinem Unterhalte; er starb an gebrochenem Herzen, und sie verweigerten ihm sogar ein Grab.[5]
Die der protestantischen Religion in Saint-Germains täglich zugefügten Insulten machten einen großen Eindruck in England. Die Whigs fragten triumphirend, ob es nicht klar sei, daß der alte Tyrann gänzlich unverbesserlich sei, und selbst unter den Eidverweigerern beobachteten Viele sein Verfahren mit Beschämung, Abscheu und Besorgniß.[6] Die jakobitische Partei war von Anfang an in zwei Sectionen zerfallen, welche einige Jahre nach der Revolution als die Vergleicher (Compounders) und die Nichtvergleicher (Noncompounders) bekannt zu werden begannen. Die Vergleicher waren Diejenigen, welche eine Restauration wünschten, aber eine von einer allgemeinen Amnestie und von Bürgschaften für die Sicherheit der bürgerlichen und kirchlichen Verfassung des Reichs begleitete Restauration. Die Nichtvergleicher hielten es für offenbaren Whiggismus, für offenbare Rebellion, die unglückliche Lage Sr. Majestät dazu zu benutzen, ihm Bedingungen vorzuschreiben. Es sei die klar am Tage liegende Pflicht seiner Unterthanen, ihn zurückzuführen. Welche Verräther er bestrafen und welche Verräther er schonen, welche Gesetze er beobachten und von welchen Gesetzen er sich dispensiren würde, das seien Fragen, die er allein zu entscheiden habe. Wenn er sie falsch entschiede, so habe er seinen Irrthum vor Gott und nicht vor seinem Volke zu verantworten.
Die Hauptmasse der englischen Jakobiten waren mehr oder weniger Vergleicher. Die reinen Nichtvergleicher fanden sich hauptsächlich unter den Römischkatholischen, denen ganz natürlich nicht darum zu thun war, Sicherheit für eine Religion, die sie für ketzerisch hielten, oder für eine Regierungsform zu erlangen, von deren Wohlthaten sie ausgeschlossen waren. Auch gab es einige protestantische Eidverweigerer, wie Kettlewell und Hickes, welche der Theorie Filmer’s entschlossen bis zu ihren äußersten Consequenzen folgten. Aber obgleich Kettlewell seine Landsleute zu überzeugen versuchte, daß die monarchischeXX.9 Regierungsform von Gott angeordnet sei, nicht als ein Mittel, sie hienieden glücklich zu machen, sondern als ein Kreuz, das sie anzunehmen und in der Hoffnung, im Jenseits für ihre Leiden belohnt zu werden, zu tragen verpflichtet seien, und obgleich Hickes ihnen versicherte, daß es in der ganzen Thebanischen Legion nicht einen einzigen Vergleicher gegeben habe, so waren doch sehr wenige Anhänger der Staatskirche geneigt, sich zu keinem andren Zwecke als um die Hohe Commission und das Dispensationsrecht wiederherzustellen, dem Tode am Galgen auszusetzen.
Die Vergleicher bildeten die Hauptstärke der jakobitischen Partei in England; aber die Nichtvergleicher hatten bisher in Saint-Germains die ungetheilte Herrschaft besessen. Kein Protestant, kein gemäßigter Katholik, Niemand, der nur anzudeuten wagte, daß ein Gesetz der königlichen Prärogative Fesseln anlegen könne, hatte von dem verbannten Könige die geringste Gunstbezeigung zu erwarten. Die Priester und der Apostel Melfort, der erklärte Feind der protestantischen Religion und der bürgerlichen Freiheit, der Parlamente, der Geschwornengerichte und der Habeascorpusacte, waren im ausschließlichen Besitz des königlichen Ohres. Herbert wurde Kanzler genannt, hatte den Vortritt vor den übrigen Staatsbeamten, trug eine mit Gold gestickte schwarze Robe und führte ein Siegel; aber er war Mitglied der englischen Kirche und deshalb hatte er keinen Sitz im Staatsrathe.[7]
Die Sache war die, daß die Fehler von Jakob’s Geist und Herz unheilbar waren. Seiner Ansicht nach konnte zwischen ihm und seinen Unterthanen keine Gegenseitigkeit der Verpflichtung stattfinden. Es war ihre Schuldigkeit, Eigenthum, Freiheit und Leben zu wagen, um ihn wieder auf den Thron zu bringen, und dann geduldig zu tragen, was er über sie zu verhängen für gut finden würde. Sie hatten vor ihm nicht mehr Anspruch auf Verdienst, als vor Gott. Wenn sie Alles gethan hatten, waren sie immer noch werthlose Knechte. Das höchste Lob, das dem Royalisten gebührte, der sein Blut auf dem Schlachtfelde oder auf dem Blutgerüst für die erbliche Monarchie vergoß, bestand einfach darin, daß er kein Hochverräther war. Nach all’ den harten Lehren, die der entthronte König erfahren, war er noch immer eben so geneigt, die englische Kirche auszuplündern und zu erniedrigen, wie an dem Tage, da er den knieenden Fellows des Magdalenencollegiums sagte, sie sollten ihm aus den Augen gehen, oder an dem Tage, wo er die Bischöfe in den Tower schickte. Er pflegte zu sagen, daß er lieber sterben wolle, ohne England wiederzusehen, als mit Denen kapituliren, denen er zu befehlen habe.[8] In der Erklärung vom April 1692 zeigt sich der ganze Mensch ohne Maske, erfüllt von seinen imaginären Rechten, unfähig zu begreifen, wie irgend Jemand außer ihm irgend ein Recht haben könne, einfältig, halsstarrig und grausam. Ein andres Dokument, das er um die nämliche Zeit aufsetzte, beweistXX.10 womöglich noch deutlicher, wie wenig Nutzen er aus einer harten Erfahrung gezogen hatte. In diesem Aufsatze entwickelt er den Plan, nach dem er zu regieren gedachte, wenn er wieder eingesetzt werden sollte. Er stellte es als Regel auf, daß ein Commissar des Schatzes, ein oder zwei Staatssekretäre, der Kriegssekretär, die Mehrheit der Großbeamten des Hofstaats, die Mehrheit der Kammerherren, die Mehrheit der Offiziere von der Armee, stets Katholiken sein müßten.[9]
Umsonst schrieben die ausgezeichnetsten Vergleicher von London Briefe auf Briefe voll vernünftigen Rathes und eindringlicher Bitten an ihn. Umsonst bewiesen sie ihm aufs Klarste die Unmöglichkeit, das Uebergewicht des Papismus in einem Lande zu befestigen, wo mindestens neunundvierzig Funfzigstel der Bevölkerung und viel mehr als neunundvierzig Funfzigstel des Vermögens und der Intelligenz protestantisch seien. Umsonst theilten sie ihrem Gebieter mit, daß die Erklärung vom April 1692 von seinen Feinden mit Frohlocken, von seinen Freunden mit tiefer Betrübniß gelesen, daß sie von den Usurpatoren gedruckt und verbreitet worden sei, daß sie mehr als alle Libelle der Whigs dazu beigetragen, die Nation gegen ihn aufzubringen, und den Flottenoffizieren, die ihm ihre Unterstützung versprochen gehabt, einen plausiblen Vorwand geliefert habe, das ihm gegebene Wort zu brechen und die Flotte zu zerstören, die ihn in sein Königreich zurückbringen sollte. Er blieb so lange taub gegen die Vorstellungen seiner besten Freunde in England, bis diese Vorstellungen in Versailles ein Echo zu finden begannen. Alles was Ludwig und seine Minister über den Zustand unsrer Insel in Erfahrung bringen konnten, überzeugte sie, daß Jakob nie wieder eingesetzt werden würde, wenn er es nicht über sich gewann, seinen Unterthanen große Zugeständnisse zu machen. Es wurde ihm daher, zwar freundlich und artig, aber sehr nachdrücklich zu verstehen gegeben, daß er wohl thun würde, seine Entschließungen und seine Rathgeber zu ändern. Frankreich könne den Krieg nicht zu dem Zwecke fortsetzen, einer Nation einen Souverain aufzudringen, den sie nicht haben wolle. Es seufze unter der Wucht der öffentlichen Lasten, sein Handel und seine Industrie stockten, seine Feldfrüchte und sein Wein seien mißrathen. Das Landvolk verhungere, schon lasse sich das beginnende Murren der Provinzialstände vernehmen. Es gebe eine Grenze für das Maß der Opfer, die auch der unumschränkteste Fürst von Denen verlangen könne, über die er herrsche. So sehr auch der Allerchristlichste König wünsche, die Sache der erblichen Monarchie und der reinen Religion in der ganzen Welt aufrecht zu erhalten, so habe er doch vor Allem Pflichten gegen sein eignes Land, und wenn nicht bald eine Contrerevolution in England einträte, würden diese Pflichten gegen sein eignes Königreich ihn in die schmerzliche Nothwendigkeit versetzen, mit dem Prinzen von Oranien zu unterhandeln. Jakob werde daher wohl thun Alles aufzubieten, was er mit seiner Ehre und seinem Gewissen vereinbaren könne, um die Herzen seines Volks wieder zu gewinnen.
So gedrängt, gab Jakob mit Widerstreben nach und verstand sich dazu, einem der Ausgezeichnetsten unter den Vergleichern, dem Earl von Middleton, einen Antheil an der Leitung seiner Angelegenheiten zu bewilligen.
XX.11 Middleton’s Familie und Pairie waren schottischen Ursprungs. Er war mit einigen der vornehmsten Häuser England’s nahe verwandt, er hatte lange in England gelebt, war von Karl II. zu einem der englischen Staatssekretäre ernannt und von Jakob mit der Leitung des englischen Hauses der Gemeinen beauftragt worden. Seine Talente und Kenntnisse waren bedeutend, sein Character sanft und edel, seine Manieren leutselig, und sein politisches Verhalten war durchaus consequent und ehrenwerth gewesen. Er hatte sich, als der Papismus dominirte, entschieden geweigert, die königliche Gunst durch Apostasie zu erkaufen. Römisch-katholische Geistliche waren abgeschickt worden, um ihn zu bekehren, und die Stadt hatte sich höchlich an der Gewandtheit ergötzt, mit der der Laie die Theologen schlug. Ein Priester wollte ihm die Lehre von der Transsubstantiation demonstriren und leitete die Sache in der gewöhnlichen Form ein. „Eure Lordschaft glaubt an die Dreieinigkeit?” — „Wer sagt Ihnen das?” entgegnete Middleton. „Wie? Sie glauben nicht an die Dreieinigkeit?” rief der Priester ganz erstaunt. „Nein,” antwortete Middleton. „Beweisen Sie mir, daß Ihre Religion die wahre ist, wenn Sie es können, aber katechesiren Sie mich nicht über die meinige.” Da es sich klar zeigte, daß der Sekretär kein Disputant war, dem sich leicht beikommen ließ, so endete die Disputation fast sogleich nachdem sie begonnen hatte.[10] Als das Glück sich wendete, blieb Middleton der Sache der erblichen Monarchie mit einer Standhaftigkeit treu, die um so achtungswerther war, als es ihm ein Leichtes gewesen sein würde, sich mit der neuen Regierung auszusöhnen. Seine Gesinnungen waren so wohl bekannt, daß er, als das Land von der Besorgniß einer Invasion und eines Aufstandes bewegt war, verhaftet und in den Tower geschickt wurde, aber man entdeckte keinen Grund, auf welchen hin man ihn des Hochverraths hätte anklagen können, und als die gefährliche Krisis vorüber war, wurde er wieder in Freiheit gesetzt. Er scheint auch wirklich während der drei Jahre, welche auf die Revolution folgten, keineswegs ein thätiger Verschwörer gewesen zu sein. Er sah ein, daß eine Restauration nur mit der allgemeinen Zustimmung der Nation herbeigeführt werden konnte und daß die Nation ohne Garantien gegen Papismus und Willkürherrschaft nie in eine Restauration willigen würde. Daher war er überzeugt, daß es, so lange sein verbannter Gebieter sich hartnäckig weigerte solche Garantien zu geben, schlimmer als nutzlos sein würde, gegen die bestehende Regierung zu conspiriren.
Dies war der Mann, den Jakob in Folge nachdrücklicher Vorstellungen von Seiten Versailles’ jetzt einlud, zu ihm nach Frankreich zu kommen. Die große Masse der Vergleicher vernahm mit großer Freude, daß sie endlich im Staatsrathe zu Saint-Germains durch einen ihrer Lieblingsführer vertreten werden sollten. Einige Noblemen und Gentlemen, die zwar die Entthronung Jakob’s nicht gebilligt hatten, denen aber sein verkehrtes und albernes Benehmen so zuwider geworden war, daß sie schon längst alle Verbindung mit ihm abgebrochen, begannen jetzt zu hoffen, daß er seinen Irrthum eingesehen habe. Mit Melfort hatten sie nichts zu thun haben wollen, mit Middleton setzten sie sich gern in Vernehmen. Der neue Minister conferirte auch mit den vier Verräthern, deren Schändlichkeit durch ihre Stellung, ihre Talente und ihre dem Staate geleistetenXX.12 wichtigen Dienste eine besondere Bedeutsamkeit erlangt hat, mit Godolphin, dessen erster Lebenszweck darin bestand, bei beiden rivalisirenden Königen zu gleicher Zeit in Gunst zu bleiben und durch alle Revolutionen und Contrerevolutionen seinen Kopf, sein Vermögen und einen Platz im Schatzamte zu behalten; mit Shrewsbury, der, nachdem er einmal in einem unheilvollen Augenblicke verbrecherische und entehrende Verpflichtungen übernommen, nicht die Energie besessen hatte, sich von denselben loszureißen; mit Marlborough, der noch immer die aufrichtigste Reue wegen der Vergangenheit und die besten Absichten für die Zukunft an den Tag legte, und mit Russell, welcher erklärte, daß er noch der Nämliche sei, der er vor der Schlacht von La Hogue gewesen, und der das Versprechen erneuerte, zu thun was Monk gethan habe, unter der Bedingung, daß allen politischen Verbrechern ein Generalpardon zugesichert und daß die königliche Gewalt starken constitutionellen Beschränkungen unterworfen würde.
Ehe Middleton England verließ, hatte er die Meinung aller Oberhäupter der Vergleicher sondirt. Sie waren der Ansicht, daß es ein Mittel gebe, welches die streitenden Parteien des Vaterlandes mit einander aussöhnen und zur baldigen Pacifirung Europa’s führen werde. Dieses Mittel sei, daß Jakob zu Gunsten des Prinzen von Wales die Krone niederlege und daß der Prinz von Wales protestantisch erzogen werde. Wenn Se. Majestät, was nur zu wahrscheinlich sei, sich weigern sollte, diesem Vorschlage Gehör zu geben, so müsse er wenigstens einwilligen, eine Erklärung zu erlassen, welche den ungünstigen Eindruck verwische, den seine Erklärung vom vergangenen Frühjahr gemacht habe. Es wurde mit aller Sorgfalt eine Schrift in der für zweckmäßig erachteten Fassung entworfen und nach langer Discussion genehmigt.
Zu Anfang des Jahres 1693 stahl sich Middleton, nachdem er die Ansichten der vornehmsten englischen Jakobiten gesammelt hatte, über den Kanal und erschien am Hofe von Saint-Germains. Es fehlte an diesem Hofe nicht an Verleumdern und Spöttern, deren Bosheit um so gefährlicher war, weil sie die Maske der Gutmüthigkeit und Scheinheiligkeit trug.
Middleton fand bei seiner Ankunft, daß zahlreiche, von den ihn fürchtenden und hassenden Priestern fabricirte Lügen bereits in Umlauf gesetzt waren. Es hatten auch einige Nichtvergleicher von London geschrieben, daß er im Herzen ein Presbyterianer und Republikaner sei. Er wurde jedoch sehr freundlich aufgenommen und zugleich mit Melfort zum Staatssekretär ernannt.[11]
Es zeigte sich bald, daß Jakob fest entschlossen war, nie auf die Krone zu verzichten oder zuzugeben, das der Prinz von Wales als Ketzer erzogen wurde, und es schien lange zweifelhaft, ob irgend welche Beweisgründe und Bitten ihn bewegen würden, die von seinen Freunden in England entworfene Erklärung zu unterzeichnen. Das Schriftstück war allerdings sehr verschieden von jedem, das bisher unter seinem großen Siegel erschienen war. Man ließ ihn darin versprechen, daß er allen seinen Unterthanen, die ihmXX.13 bei seiner Landung auf der Insel keinen Widerstand entgegensetzen würden, vollständige Amnestie gewähren wolle; daß er sogleich nach seiner Wiedereinsetzung ein Parlament zusammenberufen werde; daß er alle diejenigen während der Usurpation erlassenen Gesetze, die ihm die beiden Häuser zur Bestätigung vorlegen würden, bestätigen werde; daß er sein Recht auf die Kaminsteuer aufgeben, daß er die Staatskirche im Genusse aller ihrer Besitzungen und Privilegien schützen und vertheidigen werde; daß er die Testacte nicht wieder verletzen, daß er die Bestimmung des Umfangs seiner Dispensationsgewalt der Legislatur überlassen und die Ansiedlungsacte in Irland aufrecht erhalten wolle.
Er sträubte sich lange und heftig. Er berief sich auf sein Gewissen. Könne ein Sohn der heiligen römisch-katholisch-apostolischen Kirche sich verpflichten, das Ketzerthum zu beschützen und zu vertheidigen und ein Gesetz in Anwendung zu bringen, das die wahren Gläubigen vom Amte ausschließe? Einige der Geistlichen, von denen es an seinem Hofe wimmelte, sagten ihm, er könne ein solches Versprechen, wie seine pflichtvergessenen Unterthanen es verlangten, nicht ohne Sünde geben. In diesem Punkte konnte die Ansicht Middleton’s, der ein Protestant war, von keinem Gewicht sein. Aber Middleton fand einen Bundesgenossen an Dem, den er als seinen Nebenbuhler und Feind betrachtete. Erschreckt durch den allgemeinen Haß, als dessen Zielscheibe er sich kannte, und fürchtend, daß man ihn in England wie in Frankreich für den Starrsinn seines Gebieters verantwortlich machen würde, legte er die Sache mehreren ausgezeichneten Doctoren der Sorbonne vor. Diese gelehrten Casuisten erklärten die Declaration vom religiösen Gesichtspunkte für tadellos. Der große Bossuet, Bischof von Meaux, den die gallikanische Kirche als einen Vater von fast eben so großer Autorität wie Cyprian oder Augustus betrachtete, bewies durch gewichtige theologische wie politische Argumente, daß der Skrupel, der Jakob quälte, ganz genau zu denen gehöre, vor denen ein viel weiserer König mit den Worten gewarnt habe: „Sei nicht allzu gewissenhaft.”[12] Die Autorität der französischen Theologen wurde durch die Autorität der französischen Regierung unterstützt. Die Sprache, die man in Versailles führte, war so nachdrücklich, das Jakob besorgt zu werden begann. Wie, wenn Ludwig sich ernstlich verletzt fühlen, seine Gastfreundschaft mit Undank vergolten glauben, mit den Usurpatoren Frieden schließen und seine unglücklichen Gäste ersuchen sollte, sich nach einem andren Asyle umzusehen? Es war nothwendig sich zu fügen. Am 17. April 1693 wurde die Erklärung unterzeichnet und besiegelt. Der Schlußsatz war ein Gebet. „Wir kommen, um unser gutes Recht geltend zu machen und die Freiheiten unsres Volkes zu begründen. Möge Gott uns zum Gelingen des Einen verhelfen, wie wir die Befestigung der AnderenXX.14 aufrichtig wünschen.”[13] Das Gebet wurde erhört. Jakob’s Erfolg stand in genauem Verhältniß zu seiner Aufrichtigkeit. Wie es mit seiner Aufrichtigkeit aussah, davon haben wir die sprechendsten Beweise. Kaum hatte er den Himmel zum Zeugen der Wahrheit seiner Versprechungen angerufen, so befahl er Melfort, eine Abschrift der Erklärung mit Erläuterungen, welche den Papst beruhigen konnten, nach Rom zu senden. Melfort’s Brief schließt folgendermaßen: „Im Grunde ist der Zweck dieser Erklärung lediglich, uns nach England zurückzubringen. Wir werden den Kampf der Katholiken mit viel größerem Vortheile in Whitehall ausfechten können als in Saint-Germains.”[14]
Inzwischen war das Dokument, von dem man so viel erwartete, nach London geschickt worden. Dort wurde es auf einer geheimen Presse im Hause eines Quäkers gedruckt; denn es gab unter den Quäkern eine zwar kleine, aber eifrige und thätige Partei, welche die politischen Ansichten Wilhelm Penn’s in sich aufgenommen hatten.[15] Eine solche Schrift zu verbreiten, war mit einiger Gefahr verknüpft; aber es fanden sich Agenten dazu. Mehrere Personen wurden festgenommen, als sie in den Straßen der Stadt Exemplare vertheilten. Hundert Packete wurden an einem Tage auf dem Wege nach der Flotte auf dem Postamte confiscirt. Bald aber gab die Regierung wohlweislich den Versuch auf, etwas zu unterdrücken, was sich nicht unterdrücken ließ, und veröffentlichte selbst die Erklärung ihrem vollständigen Inhalte nach, begleitet von einem strengen Commentar.[16]
Es bedurfte jedoch kaum eines Commentars. Die Erklärung verfehlte durchaus die Wirkung, welche Middleton erwartet hatte. Allerdings war sein Rath erst verlangt worden, als es gleichgültig war, welchen Rath er gab. Wenn Jakob im Januar 1689 ein solches Manifest erlassen hätte, so würde der Thron wahrscheinlich nicht für erledigt erklärt worden sein. Wenn er ein solches Manifest erlassen hätte, als er an der Spitze einer Armee auf der Küste der Normandie war, so würde er einen großen Theil der Nation für sich gewonnen haben und es wäre möglich gewesen, daß ein großer Theil der Flotte sich ihm angeschlossen hätte. Aber 1689 sowohl wie 1692 hatte er im Tone eines unversöhnlichen Tyrannen gesprochen, und es war jetzt zu spät, Milde und Achtung vor der Verfassung des Reichs zu heucheln. Der Contrast zwischen der neuen Erklärung und der vorhergehenden erregte allgemeines Mißtrauen und Verachtung. Wie konnte man dem Worte eines so unbeständigen Fürsten trauen, eines Fürsten, der von einem Extrem zum andren übersprang? Im Jahre 1692 war er nur durch die Köpfe und Glieder mehrerer Hundert armer Landleute und Fischer zu befriedigen, die sich vor Jahren einige rohe Freiheiten gegen ihn erlaubt hatten, über die sein Großvater Heinrich IV. herzlich gelachtXX.15 haben würde. Im Jahre 1693 sollten die schmachvollsten und undankbarsten Verräthereien mit dem Mantel der Vergessenheit bedeckt werden. Caermarthen gab der allgemeinen Gesinnung einen Ausdruck. „Ich begreife das nicht,” sagte er. „Vorigen April sollte ich gehängt werden; diesen April soll ich vollständige Verzeihung haben. Ich kann mir nicht denken, was ich im Laufe des verflossenen Jahres gethan habe, um soviel Güte zu verdienen.” Man war allgemein der Ansicht, daß unter dieser ungewohnten Milde, unter dieser ungewohnten Achtung vor dem Gesetz eine Schlinge verborgen sei. Die Erklärung, sagte man, sei vortrefflich, und so sei auch der Krönungseid gewesen. Jedermann wisse, wie König Jakob seinen Krönungseid gehalten habe, und Jedermann könne errathen, wie er seine Erklärung halten werde. Während ernste Männer so argumentirten, waren die whiggistischen Spötter nicht sparsam mit Pasquillen. Zu gleicher Zeit ließen auch einige Nichtvergleicher ein unwilliges Murren vernehmen. Der König sei in schlechten Händen, sagten sie, in den Händen von Männern, welche die Monarchie haßten. Seine Gnade sei Grausamkeit von der schlimmsten Art. Die allgemeine Amnestie, die er seinen Feinden zugesichert, sei nichts weiter als eine allgemeine Proscription seiner Freunde. Bisher hätten die von dem Usurpator ernannten Richter unter einer zwar mangelhaften, aber doch nicht ganz unwirksamen Beschränkung gestanden. Sie hätten gewußt, daß ein Tag der Rechenschaft kommen könne und wären daher im Allgemeinen schonend gegen die verfolgten Anhänger des rechtmäßigen Königs verfahren. Diese Beschränkung habe Se. Majestät jetzt aufgehoben. Er habe Holt und Treby gesagt, daß sie bis zu seiner Landung in England Royalisten hängen könnten, ohne die mindeste Besorgniß, zur Rechenschaft gezogen zu werden.[17]
Keine Klasse des Volks aber las die Erklärung mit größerem Abscheu und Unwillen als die eingeborne Aristokratie Irland’s. Das sei also der Lohn für ihre Loyalität. So hielten die Könige ihre Versprechungen. Als England Jakob verstoßen, als Schottland nichts habe von ihm wissen wollen, seien die Irländer ihm noch treu geblieben, und er habe in Anerkennung dessen feierlich ein Gesetz sanctionirt, durch welches ihnen ein großes Ländergebiet, dessen sie beraubt worden waren, zurückgegeben wurde. Seitdem sei nichts geschehen, was ihren Anspruch auf seine Gunst vermindert habe. Sie hätten seine Sache bis zum letzten Augenblicke vertheidigt, sie hätten noch lange nachdem er sie verlassen, für ihn gestritten; Viele von ihnen seien, als sie nicht mehr im Stande gewesen, gegen die Uebermacht zu kämpfen, ihm in die Verbannung gefolgt, und jetzt zeige es sich, daß er mit seinen bittersten Feinden auf Kosten seiner treuesten Freunde Frieden schließen wolle. Es herrschte große Unzufriedenheit in den irischen Regimentern, welche in den Niederlanden und an den Grenzen Deutschland’s und Italien’s zerstreut standen. Selbst die Whigs gaben zu, daß die O und Mac einmal Recht hatten, und fragten triumphirend, ob man von einem Fürsten, der gegen seine ergebenen Diener sein Wort gebrochen, erwarten dürfe, daß er es seinen Feinden gegenüber halten werde?[18]
Während die Erklärung in England den Gegenstand des allgemeinen Tagesgesprächs bildete, begannen auf dem Festlande die militärischen Operationen wieder. Die Rüstungen Frankreich’s waren so gewaltig, daß sie selbst Diejenigen in Erstaunen setzten, die seine Hülfsquellen und die Talente seiner Beherrscher am höchsten anschlugen. Sein Ackerbau und sein Handel lagen darnieder. Die Weingärten Burgund’s, die unabsehbaren Kornfelder der Beauce hatten eine Mißernte gegeben; die Webstühle Lyon’s feierten und die Kauffahrteischiffe verfaulten im Hafen von Marseille. Dennoch zeigte die Monarchie ihren zahlreichen Feinden eine trotzigere und drohendere Stirn als je. Ludwig hatte sich vorgenommen keinen Schritt zu einer Aussöhnung mit der neuen englischen Regierung zu thun, bevor nicht durch eine weitere Anstrengung die ganze Macht seines Reichs entfaltet sein würde. Eine gewaltige Anstrengung war es in der That, aber zu erschöpfend, um wiederholt werden zu können. Er entwickelte ungeheure Streitkräfte zugleich an den Pyrenäen und an den Alpen, am Rhein und an der Maas, im Atlantischen und im Mittelländischen Meere.
Damit nichts fehlte, was geeignet war, das kriegerische Feuer einer vorzugsweise tapferen Nation zu entzünden, gründete er einige Tage bevor er seinen Palast mit dem Lager vertauschte, einen neuen militärischen Ritterorden und stellte ihn unter den Schutz seines heiligen Ahnherrn und Patrons. Das neue Ludwigskreuz glänzte auf der Brust der Offiziere, die sich in den Laufgräben von Mons und Namur und auf den Schlachtfeldern von Fleurus und Steenkerke ausgezeichnet hatten, und der Anblick spornte Diejenigen, die sich erst noch einen ehrenvollen Ruf in den Waffen zu erwerben hatten, zu einem edlen Wetteifer an.[19]
In der Woche, in der dieser berühmte Orden ins Leben trat, besuchte Middleton Versailles.XX.17 Ein Brief, in welchem er seinen Freunden in England diesen Besuch schilderte, ist uns erhalten worden.[20] Er wurde Ludwig vorgestellt, sehr freundlich empfangen und war von Dankbarkeit und Bewunderung überwältigt. Von allen Wundern des Hofes — so schrieb Middleton — sei der Gebieter desselben das größte. Der Glanz der persönlichen Vorzüge des großen Königs verdunkle selbst den Glanz seines Glückes. Der Ton, in welchem Se. Allerchristlichste Majestät sich über die englische Politik ausspreche, sei im Ganzen höchst befriedigend. Nur über Einen Punkt seien dieser hochgebildete Fürst und seine geschickten und erfahrenen Minister sehr im Irrthum. Sie seien sämmtlich von der thörichten Idee erfüllt, daß der Prinz von Oranien ein großer Mann sei. Es sei keine Mühe gespart worden, um sie zu enttäuschen, aber ihre Verblendung sei unheilbar. Sie sähen durch ein Vergrößerungsglas von solcher Stärke, daß der Blutegel ihnen wie ein Leviathan erscheine. Middleton hätte wohl auf den Einfall kommen können, daß die Täuschung möglicherweise in seiner Anschauung liegen könne anstatt in der ihrigen. Ludwig und seine ihn umgebenden Rathgeber waren allerdings weit entfernt Wilhelm zu lieben; aber sie haßten ihn nicht mit der wahnsinnigen Heftigkeit, die in der Brust seiner englischen Feinde wüthete. Middleton war einer der einsichtsvollsten und gemäßigtsten Jakobiten; aber selbst sein Blick wurde durch die Böswilligkeit so verdunkelt, daß er über diesen Gegenstand Unsinn sprach, der seiner Talente unwürdig war. Er wie seine ganze Partei konnte an dem Usurpator nur Verabscheuungswerthes und Verächtliches sehen: das Herz eines Teufels, den Geist und die Manieren eines einfältigen, rohen holländischen Bauern, der in der Regel ein finstres Schweigen beobachtete, und wenn er sprechen mußte, kurze mürrische Antworten in schlechtem Englisch gab. Die französischen Staatsmänner dagegen beurtheilten Wilhelm’s Fähigkeiten nach einer genauen Kenntniß der Art und Weise, wie er seit zwanzig Jahren Staatsangelegenheiten von größter Wichtigkeit und Schwierigkeit geleitet hatte. Seit dem Jahre 1673 spielte er gegen sie eine Partie um einen ungeheuern Einsatz; sie waren mit Recht stolz auf ihre eigene Geschicklichkeit in diesem Spiele, aber sie wußten, daß sie in ihm einen Gegner gefunden hatten, der ihnen mehr als gewachsen war. Bei Beginn des langen Kampfes war jeder Vortheil auf ihrer Seite gewesen. Sie hatten alle Hülfsquellen des größten Königreichs von Europa zu ihrer unumschränkten Verfügung, während er nur der Diener einer Republik war, deren ganzes Gebiet der Normandie oder Guyenne an Umfang nachstand. Eine Reihe von ausgezeichneten Generälen und Diplomaten hatten ihm gegenüber gestanden. Eine mächtige Partei in seinem Geburtslande hatte allen seinen Plänen beharrlich entgegengearbeitet; er hatte im Felde wie im Senate Niederlagen erlitten; aber seine Weisheit und Energie hatte die Niederlagen in Siege verwandelt. Trotz Allem, was man gethan, um ihn niederzuhalten, hatten sein Einfluß und sein Ruhm sich fortwährend gehoben und ausgebreitet. Das wichtigste und schwierigste Unternehmen in der Geschichte des modernen Europa war von ihm allein begonnen und glücklich durchgeführt worden. Er hatte die umfassendste Coalition gebildet, die die Welt seit Jahrhunderten gesehen,XX.18 und diese Coalition würde sich sofort aufgelöst haben, wenn seine Oberleitung ihr entzogen worden wäre. Er hatte zwei Königreiche durch Diplomatie, ein drittes durch Eroberung gewonnen, und trotz fremder und einheimischer Feinde behauptete er noch immer den Besitz derselben. Daß solche Dinge durch ein alltägliches Geschöpf, durch einen Mann von den gewöhnlichsten Geisteskräften bewirkt worden seien, war eine Behauptung, die wohl unter den in Som’s Kaffeehause zusammenkommenden eidverweigernden Pfarrern Glauben finden konnte, erfahrenen Staatsmännern von Versailles aber nothwendig ein Lächeln abzwingen mußte.
Während Middleton die Franzosen vergebens zu überzeugen versuchte, daß Wilhelm’s Talente bedeutend überschätzt würden, erfuhr Dieser, der Middleton’s Werth volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit großer Besorgniß, daß der Hof von St. Germains den Beistand eines so ausgezeichneten Rathgebers herangezogen habe.[21] Doch war dies nur eine von den tausend Ursachen zu Besorgniß, welche während dieses Frühjahrs den Geist des Königs umlagerten. Er bereitete sich für den Beginn des Feldzugs vor, beschwor seine Verbündeten zeitig im Felde zu sein, feuerte die Trägen an, handelte mit den Habsüchtigen, schlichtete Streitigkeiten und legte Vorrangsfragen bei. Er hatte das Wiener Cabinet zu bewegen, in Zeiten Succurs nach Piemont zu schicken. Er hatte ein wachsames Auge auf die nordischen Potentaten zu richten, welche eine dritte Partei in Europa zu bilden versuchten. Er hatte in den Niederlanden den Kurfürsten von Bayern zu bevormunden. Er hatte für die Vertheidigung von Lüttich zu sorgen, eine Angelegenheit, welche die Behörden von Lüttich kaltblütig nicht für ihre Sache, sondern für die Sache England’s und Holland’s erklärten. Er hatte das Haus Braunschweig-Wolfenbüttel abzuhalten, mit dem Hause Braunschweig-Lüneburg handgemein zu werden; er hatte einen Streit zwischen dem Prinzen von Baden und dem Kurfürsten von Sachsen zu schlichten, von denen Jeder eine Armee am Rhein commandiren wollte, und er hatte den Landgrafen von Hessen zu bearbeiten, der sein eignes Contingent nicht stellte, und doch ein Contingent anderer Fürsten befehligen wollte.[22]
Die Zeit zum Handeln war jetzt gekommen. Am 18. Mai verließ Ludwig Versailles, und Anfangs Juni war er unter den Mauern von Namur. Die Prinzessinnen, die ihn begleiteten, residirten in der Festung. Er übernahm das unmittelbare Commando der Armee Boufflers’, welche bei Gembloux lagerte. Nicht viel über eine Meile davon stand die Armee Luxemburg’s. Die in dieser Gegend unter den französischen Lilien versammelte Streitmacht belief sich auf nicht weniger als hundertzwanzigtausend Mann. Ludwig hatte gehofft, daß er im Stande sein werde, im Jahre 1693 die Kriegslist zu wiederholen, durch welche 1691 Mons und 1692 Namur genommen worden war, und erXX.19 hatte beschlossen, daß entweder Lüttich oder Brüssel ihm zur Beute werden müsse. Aber Wilhelm hatte dieses Jahr bei guter Zeit ein Heer zusammenbringen können, das zwar dem gegnerischen nachstand, aber doch immer achtunggebietend war. Mit diesem Heere nahm er seine Stellung bei Löwen auf der Straße zwischen den beiden bedrohten Städten und beobachtete jede Bewegung des Feindes.
Ludwig war in seiner Hoffnung getäuscht. Er sah, daß es ihm nicht möglich sein würde, seine Eitelkeit so gefahrlos und so leicht wie in den beiden vorhergehenden Jahren zu befriedigen, sich ruhig vor eine große Stadt zu lagern, als Sieger in dieselbe einzuziehen und die Schlüssel in Empfang zu nehmen, ohne sich einer größern Gefahr auszusetzen als auf einer Hirschjagd in Fontainebleau. Bevor er Lüttich oder Brüssel belagern konnte, mußte er eine Schlacht liefern und gewinnen. Die Chancen waren allerdings günstig für ihn, denn seine Armee war zahlreicher, mit bessern Offizieren versehen und besser disciplinirt als die der Verbündeten. Luxemburg rieth ihm nachdrücklich gegen Wilhelm vorzurücken. Die französische Aristokratie wünschte mit unerschrockener Heiterkeit einen blutigen aber ruhmvollen Tag herbei, auf den eine Vertheilung zahlreicher Kreuze des neuen Ordens folgen würde. Wilhelm selbst war sich seiner Gefahr vollkommen bewußt und darauf vorbereitet, ihr mit kaltem aber schmerzlichem Muthe zu begegnen.[23] Gerade in diesem Augenblicke kündigte Ludwig seine Absicht an, auf der Stelle nach Versailles zurückzukehren und den Dauphin und Boufflers mit einem Theile der bei Namur versammelten Armee in die Pfalz zu schicken, um sich mit dem daselbst commandirenden Marschall Lorges zu vereinigen. Luxemburg war wie vom Donner gerührt und er machte kühne und dringende Gegenvorstellungen. Nie, sagte er, sei eine solche Gelegenheit versäumt worden. Wenn Se. Majestät gegen den Prinzen von Oranien marschire, sei der Sieg fast gewiß. Könne irgend ein Vortheil, der möglicherweise am Rhein zu erlangen sei, den Vortheil eines im Herzen von Brabant über die erste Armee und über den ersten Feldherrn der Coalition errungenen Sieges aufwiegen? Der Marschall demonstrirte, er bat, er fiel auf die Knie, aber vergebens, und er verließ den König in tiefster Betrübniß. Ludwig reiste eine Woche nach seiner Ankunft wieder aus dem Lager ab und führte nachher nie wieder Krieg in eigner Person.
Das Erstaunen in seiner ganzen Armee war groß. Alle Ehrfurcht, die er einflößte, konnte seine alten Generäle nicht abhalten zu murren und finster dreinzuschauen, seine jungen Edelleute, ihrem Unmuthe bald in Verwünschungen, bald in Sarkasmen Luft zu machen, und selbst seine gemeinen Soldaten, an ihren Wachtfeuern eine unehrerbietige Sprache zu führen. Seine Feinde frohlockten mit rachsüchtiger und beleidigender Freude. Sei es nicht sonderbar, fragten sie, daß dieser große Fürst mit allem Gepränge zum Kriegsschauplatze abgegangen und acht Tage später ihn mit demselben Gepränge wieder verlassen habe? Sei es nöthig gewesen, daß das ganzeXX.20 große Gefolge von Prinzessinnen, Ehrendamen und Kammerfrauen, Stallmeistern und Kammerherren, Köchen, Zuckerbäckern und Musikern, Wagenzügen, Saumpferden und Maulthieren, Silbergeschirr und Teppichen, vierhundert Meilen weit reiste, nur damit der Allerchristlichste König einen Blick auf seine Soldaten werfe und dann wieder umkehre? Die schmachvolle Wahrheit sei zu augenfällig, um bemäntelt werden zu können; er sei in die Niederlande gekommen in der Hoffnung, daß es ihm wieder gelingen werde, ohne die mindeste persönliche Gefahr etwas militärischen Ruhm zu erhaschen, und er sei lieber zurückgeeilt, als daß er sich den Zufällen einer offenen Schlacht ausgesetzt hätte.[24] Dies sei nicht das erste Mal, daß Se. Allerchristlichste Majestät die nämliche Art Vorsicht gezeigt habe. Siebzehn Jahre vorher habe er unter den Mauern von Bouchain demselben Gegner gegenüber gestanden. Wilhelm habe mit dem Feuer eines jugendlichen Commandeurs höchst unbesonnenerweise ihm eine Schlacht angeboten. Die geschicktesten Generäle seien der Meinung gewesen, daß, wenn Ludwig die Gelegenheit ergriffen hätte, der Krieg in einem Tage hätte beendigt sein können. Die französische Armee habe dringend danach verlangt, zum Angriff geführt zu werden. Der König habe seine Unterbefehlshaber zu sich berufen und sie um ihre Meinung befragt. Einige höfische Offiziere, denen seine Wünsche geschickt angedeutet worden seien, hätten vor Scham erröthend und stammelnd gegen eine Schlacht gestimmt. Umsonst hätten muthige und rechtschaffene Männer, die seine Ehre höher gehalten als ihr Leben, ihm bewiesen, daß er nach allen Grundsätzen der Kriegskunst die übereilte Herausforderung des Feindes annehmen müsse. Se. Majestät habe die ernste Besorgniß ausgesprochen, daß er es mit seinen Staatspflichten nicht vereinbaren könne, den ungestümen Regungen seines Blutes zu gehorchen, habe Kehrt gemacht und sei in sein Hauptquartier zurückgesprengt.[25] Sei es nicht entsetzlich, wenn man bedenke, was für Ströme des Blutes von Frankreich, Spanien, Deutschland und England geflossen seien und noch fließen sollten einem Manne zu Gefallen, dem es an dem ganz gewöhnlichen Muthe fehle, den man bei dem Geringsten der Hunderttausende finde, welche er seinem prahlerischen Ehrgeize aufgeopfert habe?
Obgleich die französische Armee in den Niederlanden durch den Abgang der vom Dauphin und Boufflers commandirten Truppentheile geschwächt worden war, und obgleich das verbündete Heer täglich durch die Ankunft frischer Truppen verstärkt wurde, so hatte Luxemburg doch noch die Uebermacht, und er vergrößerte diese Uebermacht durch eine schlaue Kriegslist. Er marschirte gegen Lüttich und that, als ob er diese Stadt belagern wolle. Wilhelm war besorgt, um so besorgter, weil er wußte, daß es unter den Einwohnern eine französische Partei gab. Er verließ seine Position bei Löwen, marschirte auf Niederhespen und schlug dort, den Fluß Gette im Rücken, sein Lager auf. Auf seinem Marsche erfuhr er, daß Huy den Franzosen seine Thore geöffnet habe. Diese Nachricht vermehrte seine Besorgniß wegen Lüttich und bestimmte ihn, ein Armeecorps dahin zu schicken, das genügte, um die Mißvergnügten innerhalb der Stadt in Schach zu halten und jedenXX.21 Angriff von Außen abzuwehren.[26] Dies war genau das, was Luxemburg erwartet und gewünscht hatte. Seine List hatte ihren Zweck erreicht. Er wendete der Festung, welche bisher das Ziel seiner Operationen gewesen zu sein schien, den Rücken und eilte an die Gette. Wilhelm, der mehr als zwanzigtausend Mann detachirt und nur funfzigtausend Mann in seinem Lager gelassen hatte, erfuhr am 18. Juli mit Schrecken durch seine Kundschafter, daß der französische General mit nahe an achtzigtausend Mann ganz in der Nähe sei.
Noch lag es in der Macht des Königs, durch einen eiligen Rückzug die schmalen, aber tiefen, durch kürzliche Regengüsse angeschwollenen Gewässer der Gette zwischen seine Armee und den Feind zu bringen. Aber die Stellung, welche er einnahm, war stark und sie konnte leicht noch stärker gemacht werden. Alle seine Truppen mußten ans Werk. Es wurden Gräben gezogen, Schanzen aufgeworfen und Pallisaden eingerammt. Binnen wenigen Stunden hatte das Terrain ein ganz andres Aussehen gewonnen und der König glaubte fest, daß er selbst den Angriff einer ihm weit überlegenen Truppenmacht werde abwehren können. Diese Ueberzeugung entbehrte auch nicht eines Anscheins von Begründung. Als der Morgen des 19. Juli anbrach, sahen die tapfersten Männer in Ludwig’s Armee ernst und besorgt die Festung, welche plötzlich aus der Erde gewachsen war, um ihre Fortschritte zu hemmen. Die Alliirten waren durch ein Brustwerk gedeckt. Hier und da waren längs der Verschanzungen kleine Redouten und Halbmonde angelegt. Hundert Geschütze waren über die Wälle vertheilt. Auf der linken Flanke lag das Dorf Romsdorf dicht an dem Flüßchen Landen, nach welchem die Engländer jene unglückliche Schlacht benannt haben. Zur Rechten lag das Dorf Neerwinden. Beide Dörfer waren nach niederländischer Sitte von Wassergräben und Hecken umgeben, und innerhalb dieser Umfriedigungen waren die von verschiedenen Familien bewohnten kleinen Bodenflächen durch fünf Fuß hohe und einen Fuß dicke Lehmmauern von einander getrennt. Alle diese Barrikaden hatte Wilhelm ausgebessert und verstärkt. Saint-Simon, der nach der Schlacht das Terrain besichtigte, sagt uns, er habe kaum begreifen können, wie so ausgedehnte und so furchtbare Befestigungen mit solcher Schnelligkeit hätten geschaffen werden können.
Luxemburg war jedoch entschlossen zu versuchen, ob selbst diese Stellung gegen die überlegene Anzahl und die ungestüme Tapferkeit seiner Soldaten sich würde behaupten lassen. Bald nach Sonnenaufgang begann der Donner der Geschütze gehört zu werden. Wilhelm’s Batterien thaten gute Wirkung, bevor die französische Artillerie so aufgestellt werden konnte, daß sie das Feuer zu erwiedern vermochte. Erst um acht Uhr kam es zum Handgemenge. Das Dorf Neerwinden wurde von beiden Feldherren als derjenige Punkt betrachtet, von dem Alles abhing. Hier machte der französische linke Flügel unter den Befehlen Montchevreuil’s, eines ergrauten Offiziers von hohem Rufe, und Berwick’s, der sich trotz seiner Jugend rasch zu einer angesehenen Stelle unter den Heerführern seiner Zeit emporgeschwungen, einen Angriff. Berwick leitete ihn und drang in das Dorf, wurde aber unter einem furchtbaren Blutbade bald wieder daraus vertrieben. Seine Leute flohen oder wurden niedergehauen,XX.22 und er selbst wurde, während er sie wieder zu sammeln versuchte und sie verwünschte, weil sie ihre Pflicht nicht besser thaten, von Feinden umringt. Er verbarg seine weiße Cocarde und hoffte dadurch sich mit Hülfe seiner Muttersprache für einen Offizier der englischen Armee ausgeben zu können; aber sein Gesicht wurde von einem der Brüder seiner Mutter, Georg Churchill, erkannt, welcher an diesem Tage eine Brigade commandirte. Es fand eine eilige Umarmung zwischen den beiden Verwandten statt und der Oheim führte den Neffen zu Wilhelm, der, so lange Alles gut zu gehen schien, bei der Nachhut blieb. Das Zusammentreffen zwischen dem König und dem Gefangenen, welche durch so enge Verwandtschaftsbande mit einander verbunden und durch so unsühnbare Feindschaft von einander getrennt waren, gewährte einen sonderbaren Anblick. Beide benahmen sich wie es ihnen ziemte. Wilhelm entblößte sich und richtete einige Worte artiger Begrüßung an seinen Gefangenen. Berwick’s einzige Antwort war eine feierliche Verbeugung. Der König bedeckte sich wieder, der Herzog ebenfalls, und die beiden Vettern schieden für immer.
Mittlerweile waren die in völliger Verwirrung aus Neerwinden vertriebenen Franzosen durch eine Division unter dem Commando des Herzogs von Bourbon verstärkt worden und kehrten tapfer zum Angriff zurück. Wilhelm, der die Wichtigkeit dieses Postens sehr wohl erkannte, gab Befehl, daß von anderen Punkten seiner Schlachtlinie Truppen dahin aufbrechen sollten. Dieser zweite Kampf war lang und blutig. Die Angreifenden drangen abermals in das Dorf, sie wurden abermals unter fürchterlichem Blutvergießen daraus vertrieben und zeigten wenig Lust, den Angriff zu wiederholen.
Inzwischen hatte der Kampf längs der ganzen Verschanzungen der verbündeten Armee gewüthet. Wieder und immer wieder führte Luxemburg seine Truppen bis auf Pistolenschußweite an das Brustwerk heran, aber näher konnte er sie nicht bringen. Wieder und immer wieder wichen sie vor dem heftigen Feuer zurück, das gegen ihre Front und ihre Flanken gerichtet wurde. Es schien alles vorüber zu sein. Luxemburg zog sich zu einer außer Schußweite gelegenen Stelle zurück und berief einige seiner vornehmsten Offiziere zu einer Berathung zusammen. Sie besprachen sich eine Weile mit einander und ihre lebhaften Gesten wurden von Allen, die sie sehen konnten, mit hohem Interesse beobachtet.
Endlich kam Luxemburg zu einem Entschluß. Noch ein Versuch mußte gemacht werden, Neerwinden zu nehmen, und die unüberwindlichen Haustruppen, die Sieger von Steenkerke, mußten vorangehen.
Die Haustruppen kamen in einer ihres alten und furchtbaren Rufes würdigen Weise heran. Zum drittenmale wurde Neerwinden genommen, zum drittenmale versuchte Wilhelm es wieder zu nehmen. An der Spitze eines der englischen Regimenter griff er die Garden Ludwig’s mit einer solchen Wuth an, daß diese berühmte Schaar, zum erstenmale innerhalb der Erinnerung des ältesten Kriegers, zurückwich.[27] Nur durch die kräftigen Bemühungen Luxemburg’s, des Herzogs von Chartres und des HerzogsXX.23 von Bourbon wurden die durchbrochenen Reihen wieder gesammelt. Inzwischen aber waren das Centrum und der linke Flügel der alliirten Armee zu dem Zwecke, den Kampf bei Neerwinden zu unterstützen, so sehr geschwächt worden, daß die Verschanzungen auf anderen Punkten nicht mehr vertheidigt werden konnten. Kurz nach vier Uhr Nachmittags wich die ganze Linie. Alles war Gemetzel und Verwirrung. Solms war tödtlich verwundet worden und fiel noch lebend in die Hände des Feindes. Die englischen Soldaten, denen sein Name verhaßt war, beschuldigten ihn, in seinen Leiden einen eines Soldaten unwürdigen Kleinmuth bewiesen zu haben. Der Herzog von Ormond wurde im Gewühl zu Boden geschlagen, und er würde im nächsten Augenblicke eine Leiche gewesen sein, wäre nicht ein kostbarer Diamant an seinem Finger einem von der französischen Garde in die Augen gefallen, der mit Recht dachte, daß der Besitzer eines solchen Juwels ein werthvoller Gefangener sein müsse. Der Herzog wurde gerettet und bald gegen Berwick ausgewechselt. Ruvigny, von dem echten Refugiéhasse gegen das Land beseelt, das ihn verstoßen, wurde kämpfend im dichtesten Schlachtgewühl zum Gefangenen gemacht. Diejenigen, denen er in die Hände gefallen war, kannten ihn wohl und wußten, daß er, wenn sie ihn in ihr Lager brachten, für den Verrath, zu dem die Verfolgung ihn getrieben, mit seinem Kopfe büßen würde. Mit bewunderungswürdiger Großmuth thaten sie als kennten sie ihn nicht und ließen ihn im Tumulte entkommen.
Erst bei solchen Gelegenheiten trat die ganze Größe von Wilhelm’s Character zu Tage. Inmitten der Flucht und des Getümmels, während Waffen und Fahnen weggeworfen wurden, während Massen von Fliehenden die Brücken und Furthen der Gette verstopften oder in ihren Fluthen umkamen, stellte sich der König, nachdem er Talmash beordert, den Rückzug zu beaufsichtigen, an die Spitze einiger tapferer Regimenter und hielt durch verzweifelte Anstrengungen den Feind auf. Er lief dabei größere Gefahr als Andere, denn er konnte nicht dahin gebracht werden, seinen schwächlichen Körper mit einem Brustharnisch zu beschweren, oder die Insignien des Hosenbandordens zu verbergen. Er betrachtete seinen Stern als einen guten Sammelpunkt für seine eigenen Truppen, und lächelte blos, wenn man ihm sagte, daß derselbe eine treffliche Zielscheibe für den Feind sei. Viele Tapfere fielen zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Zwei Saumpferde, die im Felde stets in seiner Nähe waren, wurden durch Kanonenschüsse getödtet. Eine Flintenkugel ging durch die Locken seiner Perrücke, eine zweite durch seinen Rock, eine dritte streifte ihn an der Seite und zerriß sein blaues Ordensband. Noch viele Jahre später pflegten alte, ergraute Invaliden, die in den Gängen und Alleen des Chelsea Hospitals umherschlichen, sich zu erzählen, wie er an der Spitze von Galway’s Reitern angriff, wie er viermal abstieg, um die Infanterie anzufeuern, wie er ein Corps, das weichen zu wollen schien, durch die Worte zurückrief: „So kämpft man nicht, Gentlemen! Hart auf den Leib müßt Ihr ihnen rücken. So, Gentlemen, so!” — „Ihr hättet ihn sehen sollen,” schrieb ein Augenzeuge nur vier Tage nach der Schlacht, „wie er sich mit dem Degen in der Hand auf den Feind stürzte. Es ist ausgemacht, daß er und Andere einmal an der Spitze zweier englischer Regimenter gesehen wurde, und daß er mit diesen beiden Regimentern, Angesichts der ganzen Armee gegen sieben kämpfte und sie eine Viertelstunde lang vor sich her trieb. Dank sei dem Himmel, der ihn erhalten hat.”XX.24 Der Feind setzte ihm so hart zu, daß er nur mit großer Mühe den Uebergang über die Gette bewerkstelligte. Eine kleine Schaar tapferer Männer, die seine Gefahr bis zum letzten Augenblicke theilte, vermochte kaum die Verfolger von ihm abzuhalten, als er die Brücke passirte.[28]
Vielleicht nie zeigte sich die Veränderung, welche die Fortschritte der Civilisation in der Kriegskunst herbeigeführt haben, auffallender als an diesem Tage. Ajax, der den trojanischen Heerführer mit einem Felsstücke zu Boden schlägt, das zwei gewöhnliche Männer kaum aufheben konnten, Horatius, der die Brücke gegen eine Armee vertheidigt, Richard Löwenherz, der längs der ganzen Schlachtlinie der Sarazenen hinsprengt, ohne einen Feind zu finden, der seine Herausforderung annimmt, Robert Bruce, der mit einem Schlage den Helm und Schädel Sir Henry Bohun’s Angesichts der ganzen Armee England’s und Schottland’s spaltet: das sind die Helden der grauen Vorzeit. In einem solchen Zeitalter ist Körperkraft die unerläßlichste Eigenschaft eines Kriegers. Bei Landen waren zwei kränkliche Menschen, die in einem rohen Zustande der Gesellschaft für zu schwach gehalten worden wären, um an einem Kampfe nur Antheil zu nehmen, die Seelen zweier großen Heere. In einigen heidnischen Ländern würden sie als Säuglinge ausgesetzt, in der Christenheit würden sie sechshundert Jahre früher in ein stilles Kloster geschickt worden sein. Aber ihr Loos war ihnen zu einer Zeit gefallen, wo die Menschen dahinter gekommen waren, daß die Stärke der Muskeln der Stärke des Geistes bei weitem nachsteht. Es ist wahrscheinlich, daß von den hundertzwanzigtausend Soldaten, welche unter allen Fahnen des westlichen Europa bei Neerwinden versammelt waren, der verwachsene Zwerg, der den ungestümen Angriff Frankreich’s leitete, und das asthmatische Skelett, das den langsamen Rückzug England’s deckte, die beiden schwächlichsten Gestalten waren.
Die Franzosen waren Sieger, aber sie hatten ihren Sieg theuer erkauft. Mehr als zehntausend Mann der besten Truppen Ludwig’s waren gefallen. Neerwinden gewährte einen Anblick, der die ältesten Soldaten schaudern machte. In den Straßen lagen die Leichen brusthoch. Unter den Gefallenen befanden sich einige vornehme Edelleute und einige berühmte Krieger, als da waren Montchevreuil und der verstümmelte Körper des Herzogs von Uzes, der den höchsten Rang unter dem ganzen Adel Frankreich’s einnahm. Auch Sarsfield wurde von da hoffnungslos verwundet auf ein Krankenbett getragen, von dem er sich nie wieder erhob. Der Hof von Saint-Germains hatte ihm den hohlen Titel eines Earls von LucanXX.25 verliehen; aber die Geschichte kennt ihn unter dem Namen, der der unglücklichsten aller Nationen noch immer theuer ist. Die dortige Gegend, seit Jahrhunderten als das Schlachtfeld der kriegerischsten Nationen Europa’s berühmt, hat nur zwei schrecklichere Tage gesehen: den von Malplaquet und den von Waterloo. Viele Monate lang war der Boden mit Schädeln und Gebeinen von Menschen und Pferden und mit Stücken von Hüten und Schuhen, Sätteln und Halftern besäet. Im nächsten Sommer schossen aus dem durch zwanzigtausend Leichen gedüngten Boden Millionen Mohnpflanzen empor. Der Reisende, der auf dem Wege von Saint-Tron nach Tirlemont diese große Fläche blendenden Scharlachs erblickte, die sich von Landen bis Neerwinden erstreckte, konnte sich schwerlich des Gedankens erwehren, daß die bildliche Vorhersagung des hebräischen Propheten, die Erde würde ihr Blut von sich geben und sich weigern, die Erschlagenen zu bedecken, buchstäblich in Erfüllung gegangen sei.[29]
Es fand keine Verfolgung statt, obgleich die Sonne noch hoch stand, als Wilhelm über die Gette ging. Die Sieger waren vom Marschiren und Kämpfen so erschöpft, daß sie sich kaum bewegen konnten, und die Pferde waren in einem noch schlimmeren Zustande als die Menschen. Ihr General hielt es für nothwendig, ihnen einige Zeit zur Ruhe und Erholung zu gönnen. Die französischen Cavaliere entlasteten ihre Saumpferde, soupirten heiter und stießen inmitten der Haufen von Leichen mit Champagner an, und als es dunkel wurde, legten sich ganze Brigaden freudig auf die Erde nieder, um in Reih’ und Glied auf dem Schlachtfelde zu schlafen. Luxemburg’s Unthätigkeit entging dem Tadel nicht. Niemand konnte leugnen, daß er im Gefecht eine große Geschicklichkeit und Energie entfaltet hatte; Einige aber meinten, es fehle ihm an Geduld und Ausdauer. Andere raunten einander zu, er wünsche nicht, einen Krieg zu beendigen, der ihn einem Hofe nothwendig mache, an welchem er in Friedenszeiten niemals Gunst, ja nicht einmal Gerechtigkeit gefunden haben würde.[30] Ludwig, der diesmal vielleicht nicht ganz frei von einigen Regungen von Eifersucht war, wußte angeblich das Lob, das er seinem Befehlshaber spendete, mit einem Tadel zu verbinden, der zwar schonend ausgedrückt, aber doch vollkommen verständlich war. „In der Schlacht” sagte er, „benahm sich der Herzog von Luxemburg wie Condé, und nach der Schlacht benahm sich der Prinz von Oranien wie Turenne.”
Die Geschicklichkeit und Energie, womit Wilhelm seine furchtbare Niederlage wieder gut machte, mußte in der That Bewunderung erwecken. „In einer Beziehung,” sagte der Admiral Coligny, „darf ich mich über Alexander, über Scipio, über Cäsar stellen. Sie haben allerdings große Schlachten gewonnen. Ich aber habe vier große Schlachten verloren, und doch zeige ich dem Feinde eine furchtbarere Front als je.” Das Blut Coligny’s floß in Wilhelm’s Adern, und mit dem Blute hatte er den unbezwinglichen Muth geerbt, der aus dem Mißgeschick eben so großen Ruhm zu ziehen wußte, als glücklichere Befehlshaber dem Erfolg verdankten. Die NiederlageXX.26 von Landen war zwar ein harter Schlag und der König hegte einige Tage lang quälende Besorgnisse. Wenn Luxemburg weiter vordrang, war Alles verloren. Löwen mußte fallen, und eben so auch Mecheln, Nieuport und Ostende. Die batavische Grenze wäre gefährdet worden und das Geschrei nach Frieden konnte in ganz Holland so laut werden, daß weder die Generalstaaten noch der Statthalter ihm länger zu widerstehen vermochten.[31] Aber Luxemburg zögerte, und ein kurzer Verzug genügte Wilhelm. Vom Schlachtfelde bahnte er sich einen Weg durch die Massen der Fliehenden in die Gegend von Löwen, und dort begann er seine zerstreuten Truppen wieder zu sammeln. Die ängstliche Besorgniß, die er in diesem Augenblicke, dem unglücklichsten seines ganzen Lebens, wegen der beiden Personen empfand, die ihm am theuersten waren, gereicht seinem Character nicht zur Unehre. Sobald er in Sicherheit war, schrieb er an seine Gemahlin, um sie über seine Lage zu beruhigen.[32] In der Verwirrung der Flucht hatte er Portland aus dem Gesicht verloren, dessen Gesundheit damals sehr geschwächt war und der daher mehr als die gewöhnlichen Gefahren des Kriegs zu bestehen hatte. Ein kurzes Billet, das der König wenige Stunden später seinem Freunde zukommen ließ, ist noch vorhanden.[33] „Obgleich ich Sie diesen Abend zu sehen hoffe, kann ich doch nicht umhin an Sie zu schreiben, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß Sie so gut davongekommen sind. Gott gebe, daß Ihre Gesundheit bald ganz wiederhergestellt werde. Es hat ihm gefallen, schwere Prüfungen in rascher Aufeinanderfolge über mich zu verhängen. Ich muß trachten, mich seinem Willen ohne Murren zu unterwerfen und seinen Zorn weniger zu verdienen.”
Seine Truppen sammelten sich rasch wieder. Starke Corps, die er vielleicht unklugerweise von seiner Armee detachirt hatte, als er glaubte, daß Lüttich das Ziel des Feindes sei, stießen in Eilmärschen zu ihm. Drei Wochen nach seiner Niederlage hielt er einige Meilen von Brüssel eine Heerschau ab. Die Anzahl der unter den Waffen stehenden Mannschaften war größer als am Morgen der blutigen Schlacht von Landen; ihr Aussehen war soldatenmäßig und ihr Muth schien ungebrochen. Wilhelm schrieb jetzt an Heinsius, daß das Schlimmste vorüber sei. „Die Krisis,” sagte er, „ist eine fürchterliche gewesen. Gott sei Dank, daß sie so geendet hat.” Er hielt es jedoch nicht für gerathen, in diesem Augenblicke das Glück einer neuen Feldschlacht zu versuchen. Er ließ daher die Franzosen Charleroy belagern und nehmen, und dies war der einzige Vortheil, den sie aus der blutigsten Schlacht zogen, welche im 17. Jahrhundert in Europa geschlagen wurde.
Die Trauerbotschaft von der Niederlage von Landen fand England durch nicht minder traurige Nachrichten von einer andren Seite bewegt. Seit vielen Monaten war der Handel mit dem Mittelländischen Meere durch den Krieg fast gänzlichXX.27 gehemmt. Kein Kauffahrteischiff von London oder Amsterdam hatte Aussicht, ohne bewaffneten Schutz die Herkulessäulen zu erreichen, ohne von einem französischen Kaper geentert zu werden, und der Schutz von Kriegsschiffen war nicht leicht zu erlangen. Während des Jahres 1692 hatten sich starke Flotten, mit Waarenladungen für die spanischen, italienischen und türkischen Märkte reich befrachtet, in der Themse und im Texel gesammelt. Im Februar 1693 waren nahe an vierhundert Schiffe zum Auslaufen bereit. Der Werth ihrer Ladungen wurde auf mehrere Millionen Pfund Sterling geschätzt. Noch nie hatten die Galeonen, welche seit langer Zeit die Bewunderung und den Neid der Welt erweckten, so kostbare Güter von Westindien nach Sevilla gebracht. Die englische Regierung übernahm es im Einverständniß mit der holländischen, die mit dieser großen Masse von Schätzen beladenen Fahrzeuge zu eskortiren. Die französische Regierung nahm sich vor, sie aufzufangen.
Der Plan der Alliirten war, daß siebzig Linienschiffe und ungefähr dreißig Fregatten und Brigantinen unter den Befehlen Killegrew’s und Delaval’s, der beiden neuen Lords der englischen Admiralität, sich im Kanale versammeln und die Smyrna-Flotte, wie sie im Munde des Volks hieß, bis über die Grenzen hinaus begleiten sollten, innerhalb welcher Gefahr von Seiten des Brester Geschwaders zu befürchten stand. Der größere Theil der Flotte sollte dann zur Bewachung des Kanals zurückkehren, während Rooke mit zwanzig Segeln die Kauffahrer begleiten und das vor Toulon liegende Geschwader beschützen sollte. Der Plan der französischen Regierung war, daß das Brester Geschwader unter Tourville und das Touloner Geschwader unter d’Estrées in der Nähe der Meerenge von Gibraltar zusammentreffen und dort der Beute auflauern sollten.
Welcher Plan der klüger ersonnene war, ist zweifelhaft. Welcher von beiden aber am besten ausgeführt wurde, ist eine Frage, die keinen Zweifel zuläßt. Die ganze französische Flotte wurde von Einem Willen geleitet, mochte sie sich im Atlantischen oder im Mittelländischen Meere befinden. Die Flotte England’s und die Flotte der Vereinigten Provinzen standen unter verschiedenen Autoritäten, und in England sowohl wie in den Vereinigten Provinzen zerfiel die Gewalt in so zahlreiche Abtheilungen und Unterabtheilungen, daß auf keinem Einzelnen eine schwere Verantwortlichkeit lastete. Das Frühjahr kam heran. Die Kaufleute beklagten sich laut, daß sie durch die Verzögerung schon mehr verloren hätten als sie durch die glücklichste Reise noch zu gewinnen hoffen dürften, und noch immer waren die Kriegsschiffe nicht halb bemannt und verproviantirt. Das Geschwader von Amsterdam traf erst spät im April an unsrer Küste ein, das Geschwader von Seeland erst Mitte Mai.[34] Es war Juni, als endlich die ungeheure Flotte, nahe an fünfhundert Segel stark, die Klippen England’s aus dem Gesicht verlor.
Tourville war bereits in See gegangen und steuerte südwärts. Killegrew und Deleval aber waren so nachlässig oder so unglücklich, daß sie von seinen Bewegungen keine Kenntniß hatten. Sie waren anfangs überzeugt, daß er noch im Hafen von Brest liege. Dann kam ihnen das Gerücht zu Ohren, daß in nördlicher Richtung segelnde Schiff gesehen wordenXX.28 seien, und sie vermutheten, daß er ihre Abwesenheit benutzte, um die Küste von Devonshire zu bedrohen. Sie scheinen es nicht für möglich gehalten zu haben, daß er sich mit dem Touloner Geschwader vereinigt haben und in der Nähe von Gibraltar ungeduldig seine Beute erwarten könne. Nachdem sie daher die Smyrna-Flotte ungefähr zweihundert Meilen über Ushant hinaus begleitet hatten, erklärten sie am 6. Juni ihre Absicht, sich von Rooke zu trennen. Rooke machte Einwendungen, aber vergebens. Er mußte sich fügen und mit seinen zwanzig Kriegsschiffen dem Mittelländischen Meere zusteuern, während seine beiden Vorgesetzten mit dem Reste der Kriegsflotte in den Kanal zurückkehrten.
Inzwischen war es in England bekannt geworden, daß Tourville in aller Stille Brest verlassen hatte und nach Süden eilte, um sich mit Estrées zu verbinden. Die Zurückkunft Killegrew’s und Delavals erweckte daher große Besorgniß. Es wurde sofort ein schnellsegelndes Fahrzeug abgesandt, um Rooke vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen; diese Warnung aber kam ihm nicht zu. Er steuerte mit gutem Winde dem Kap Saint Vincent zu, und hier erfuhr er, daß in der nahen Bai von Lagos einige französische Schiffe lägen. Die erste Mittheilung, die er darüber erhielt, bewog ihn zu dem Glauben, daß ihre Anzahl nicht bedeutend sei, und sie wußten ihre Stärke so geschickt zu verbergen, daß er nicht eher eine Ahnung davon bekam, daß er der ganzen Kriegsflotte eines großen Königreichs gegenüberstehe, als bis sie nur noch eine halbe Stunde Seewegs von ihm entfernt waren. Gegen eine vierfache Uebermacht zu kämpfen, würde Wahnsinn gewesen sein. Es war schon viel, wenn es ihm gelang, sein Geschwader vor völliger Vernichtung zu bewahren. Er bot seine ganze Geschicklichkeit auf. Einige in der Nachhut segelnde holländische Kriegsschiffe opferten sich muthig auf, um die Flotte zu retten. Mit dem Reste des Geschwaders und etwa sechzig Handelsschiffen gelangte Rooke glücklich nach Madeira und von da nach Cork. Aber mehr als dreihundert von den Fahrzeugen, die er begleitet hatte, waren über den Ocean zerstreut. Einige entkamen nach Irland, andere nach Corunna, andere nach Lissabon, andere nach Cadix, einige wurden genommen und mehr noch vernichtet. Ein paar, die unter den Felsen von Gibraltar Schutz gesucht hatten und die der Feind bis dahin verfolgte, wurden versenkt, als man sah, daß sie nicht zu retten waren. Andere gingen in gleicher Weise unter den Batterien von Malaga zu Grunde. Der Gewinn für Frankreich scheint nicht groß gewesen zu sein; aber der Verlust für England und Holland war enorm.[35]
Seit Menschengedenken hatte die City nie einen Tag von größerer Betrübniß und Aufregung erlebt als der war, an welchem die Nachricht von dem Gefecht in der Bai von Lagos ankam. Viele Kaufleute, sagte ein Augenzeuge, verließen die Börse so bleich, als wenn ihnen ihr Todesurtheil angekündigt worden wäre. Eine Deputation der Kaufleute, welche unter diesem schweren Unfalle litten, überreichte der Königin eine ihre Beschwerden enthaltende Adresse. Sie wurden in den Sitzungssaal des Staatsraths eingelassen, wo sie an derXX.29 Spitze des Collegiums saß. Sie beauftragte Somers, in ihrem Namen zu antworten, und er hielt eine Ansprache an sie, welche gut berechnet war, ihre Gereiztheit zu beschwichtigen. Ihre Majestät, sagte er, nehme herzlichen Antheil an ihrem Unglücke und habe bereits einen Ausschuß des Geheimen Raths ernannt, um die Ursachen des kürzlichen Unfalls zu untersuchen und die besten Mittel zu erwägen, um ähnlichen Unfällen vorzubeugen.[36] Diese Antwort befriedigte die Betreffenden so vollständig, daß der Lordmayor bald darauf in den Palast kam, um der Königin für ihre Güte zu danken, ihr zu versichern, daß London ihr und ihrem Gemahl durch alle Wechselfälle treu bleiben werde, und ihr mitzutheilen, daß, so schwer auch der kürzliche Schlag von vielen großen Handelshäusern empfunden würde, der Gemeinderath dennoch einstimmig beschlossen habe, jede Summe vorzustrecken, welche die Regierung bedürfen möchte.[37]
Die Mißstimmung, welche die öffentlichen Calamitäten naturgemäß erzeugten, wurde durch alle Parteikunstgriffe genährt. Nie waren die jakobitischen Pamphletisten so heftig und rücksichtslos gewesen als während dieses unglücklichen Sommers. Die Polizei spürte in Folge dessen thätiger als je den Höhlen nach, aus denen so viel Hochverrath hervorging. Mit großer Mühe und nach langem Suchen wurde endlich die wichtigste aller uncensirten Pressen entdeckt. Diese Presse gehörte einem Jakobiten, Namens Wilhelm Anderton, der wegen seiner Unerschrockenheit und seines Fanatismus zu Dienstleistungen tauglich war, vor denen vorsichtige und gewissenhafte Männer zurückschrecken. Seit zwei Jahren wurde er von den Agenten der Regierung beobachtet; aber wo er sein Gewerbe betrieb, war ein undurchdringliches Geheimniß. Endlich aber entdeckte man ihn in einem Hause unweit Saint James Street, wo er unter einem angenommenenXX.30 Namen bekannt war und für einen Goldarbeiter gehalten wurde. Ein Beamter der Preßpolizei begab sich mit mehreren Dienern dahin und fand Anderton’s Frau und Mutter als Schildwachen an der Thür postirt. Die beiden Frauen kannten den Beamten, fielen über ihn her, packten ihn bei den Haaren und riefen „Diebe” und „Mörder”. Dadurch gaben sie Anderton das Alarmzeichen. Er verbarg seine Arbeitsutensilien, kam mit ganz unbefangener Miene heraus und bot dem Beamten, dem Censor, dem Staatssekretär und selbst der kleinen Habichtsnase[38] Trotz. Nach kurzer Gegenwehr wurde er festgenommen. Sein Zimmer wurde durchsucht und auf den ersten Blick zeigte sich kein Beweis für seine Schuld darin. Bald aber fand man hinter dem Bett eine Thür, die in ein dunkles Gemach führte. Dieses Gemach enthielt eine Buchdruckerpresse, Typen und Stöße frischgedruckter Schriften. Eine dieser Schriften, betitelt: „Remarks on the Present Confederacy and the Late Revolution,” ist vielleicht das heftigste aller jakobitischen Libelle. Der Prinz von Oranien wird darin allen Ernstes beschuldigt, daß er funfzig von seinen verwundeten englischen Soldaten habe lebendig verbrennen lassen. Das leitende Prinzip seiner ganzen Handlungsweise, heißt es unter Andrem, ist weder Eitelkeit noch Ehrgeiz, noch Habsucht, sondern ein tödtlicher Haß gegen die Engländer und der Drang, sie unglücklich zu machen. Die Nation wird mit Heftigkeit aufgefordert, sich bei Strafe des strengsten Gerichts zu erheben und sich von dieser Plage, diesem Fluche, diesem Tyrannen zu befreien, dessen Verderbtheit es fast unglaublich erscheinen lasse, daß er von einem Menschenpaar gezeugt sein könne. Außerdem wurden von einer andren, etwas minder heftigen, aber vielleicht noch gefährlicheren Schrift, betitelt: „A French Conquest neither desirable nor practicable,” eine Menge Exemplare vorgefunden. Auch in dieser Schrift wird das Volk aufgefordert, sich zu erheben. Es wird ihm versichert, daß ein großer Theil der Armee auf seiner Seite sei. Die Streitkräfte des Prinzen von Oranien würden zusammenschmelzen, heißt es; er werde froh sein, wenn er mit dem Leben davonkomme, und es wird höhnend die mildherzige Hoffnung ausgesprochen, daß es nicht nöthig sein werde, ihm ein schlimmeres Leid zuzufügen, als ihn nach Loo zurückzuschicken, wo er, von einem Luxus umgeben, den die Engländer theuer bezahlt hätten, fernerhin leben möchte.
Durch die Giftigkeit der jakobitischen Pamphletisten gereizt und beunruhigt, beschloß die Regierung, an Anderton ein Exempel zu statuiren. Er wurde des Hochverraths angeklagt und vor die Schranken der Old Bailey gestellt. Treby, der jetzt Oberrichter der Common Pleas war, und Powell, der sich am Tage des Prozesses der Bischöfe ehrenvoll ausgezeichnet hatte, saßen auf der Richterbank. Es ist Schade, daß kein detaillirter Bericht über die Untersuchung auf uns gekommen ist und daß wir uns mit den fragmentarischen Aufschlüssen begnügen müssen, die wir aus den einander widersprechenden Darstellungen offenbar parteiischer, maßloser und unredlicher Schriftsteller sammeln können. Die Anklageschrift ist jedoch noch vorhanden und die notorischen Handlungen, die sie dem Angeklagten zur Last legt, erreichen unbestreitbar die Stufe des Hochverraths.[39] Die Unterthanen des Reichs aufzufordern, sich zu erheben undXX.31 den König gewaltsam zu entthronen, und dieser Aufforderung den offenbar ironischen Ausdruck der Hoffnung beizufügen, daß es nicht nöthig sein werde, eine härtere Strafe als die Verbannung über ihn zu verhängen, ist gewiß ein Vergehen, das auch der mindest höfische Jurist als im Bereiche des Statuts Eduard’s III. liegend anerkennen wird. Ueber diesen Punkt scheint man sich auch in der That weder bei dem Prozesse noch nachher gestritten zu haben.
Der Gefangene leugnete die Libelle gedruckt zu haben. Da die Zeugenbeweise nicht auf uns gekommen sind, so dürfen wir über diesen Punkt billigerweise den Richtern und Geschwornen Glauben schenken, welche die Aussagen der Zeugen anhörten.
Ein Argument, das Anderton’s Rechtsbeistände ihm eingegeben hatten und das in den damaligen jakobitischen Pasquillen als unwiderlegbar dargestellt wird, war, daß, weil die Buchdruckerkunst unter der Regierung Eduard’s III. noch unbekannt war, das Drucken selbst nach keinem Gesetz jener Regierung als ein notorischer Act des Hochverraths angesehen werden könne. Die Richter nahmen dieses Argument sehr leicht, und sie waren gewiß dazu berechtigt es so zu nehmen. Denn es ist ein Argument, das zu der Schlußfolgerung führen würde, daß es kein notorischer Act des Hochverraths sei, einen König vermittelst einer Guillotine zu enthaupten oder mit einer Miniébüchse zu erschießen.
Ferner wurde zu Anderton’s Gunsten geltend gemacht — und dies war allerdings ein Argument, das gegründeten Anspruch auf Berücksichtigung hatte — daß zwischen dem Verfasser einer hochverrätherischen Schrift und dem bloßen Drucker derselben ein Unterschied gemacht werden müsse. Ersterer könne nicht behaupten, daß er den Sinn der Worte, die er selbst gewählt, nicht verstanden habe. Für Letzteren aber könnten die Worte möglicherweise gar keinen Sinn haben. Die Metaphern, die Anspielungen, die Sarkasmen könnten weit über der Sphäre seines Begriffsvermögens liegen, und während seine Hände sich mit den Typen beschäftigten, könnten seine Gedanken auf Dinge gerichtet sein, die mit dem ihm vorliegenden Manuscripte gar nichts zu thun hätten. Es ist unzweifelhaft wahr, daß es kein Verbrechen zu sein braucht, etwas zu drucken, was zu schreiben ein großes Verbrechen sein würde. Doch ist dies offenbar ein Gegenstand, bezüglich dessen sich keine allgemeine Regel aufstellen läßt. Ob Anderton als bloßes mechanisches Werkzeug zur Verbreitung einer Schrift beigetragen habe, deren Tendenz er nicht ahnete, oder ob er wissentlich seinen Beistand zur Anstiftung eines Aufruhrs geliehen, war eine Frage für die Jury, und die Jury durfte aus dem Annehmen eines falschen Namens, aus der Heimlichkeit, mit der er arbeitete, aus der scharfen Wacht, die seine Frau und seine Mutter hielten und aus der wüthenden Heftigkeit, mit der er, selbst als er sich bereits in der Gewalt der Polizeiagenten befand, noch die Regierung schmähte, mit gutem Grunde schließen, daß er nicht das unbewußte Werkzeug, sondern der intelligente und eifrige Complice von Hochverräthern war. Nachdem die zwölf Geschwornen eine beträchtliche Zeit mit einander deliberirt hatten, benachrichtigten sie den Gerichtshof, daß einer von ihnen Zweifel hege. Diese Zweifel wurden durch Treby’s und Powell’s Argumente gehoben, und das Verdict lautete auf schuldig.
Das Schicksal des Gefangenen war einige Zeit zweifelhaft. Die Minister hofften, er werde dahin zu bringen sein, seinen eignen Kopf aufXX.32 Unkosten der Köpfe der Pamphletisten zu retten, in deren Diensten er gearbeitet. Aber seine natürliche Standhaftigkeit wurde durch geistliche Stimulationsmittel aufrechterhalten, welche die eidverweigernden Priester vortrefflich anzuwenden verstanden. Er erlitt standhaft den Tod und schmähte die Regierung bis zum letzten Augenblicke. Die Jakobiten beschwerten sich laut über die Gefühllosigkeit der Richter, die ihn verurtheilt, und der Königin, die seine Hinrichtung zugegeben hatte, und stellten ihn mit eben nicht besonderer Consequenz als einen armen unwissenden Handwerker, der die Natur und Tendenz der Handlung, wegen der er den Tod erlitten, nicht gekannt, und als einen Märtyrer dar, der für den verbannten König und die verfolgte Kirche heldenmüthig sein Leben gelassen habe.[40]
Die Minister irrten sich sehr, wenn sie glaubten, daß Anderton’s Schicksal Andere abhalten werde, sein Beispiel nachzuahmen. Seine Hinrichtung veranlaßte mehrere kaum minder heftige Pamphlets als das wegen dessen er verurtheilt worden. Collier frohlockte in einer Schrift, die er „Remarks on the London Gazette” betitelte, mit herzloser Freude über das Blutbad von Landen und über die massenhafte Zerstörung englischen Eigenthums an der Küste von Spanien.[41] Andere Schriftsteller thaten ihr Möglichstes, um unter den Arbeitern Aufstände zu entzünden, denn es war die Doctrin der Jakobiten, daß Unruhen, wo und wie sie immer beginnen möchten, in eine Restauration auszulaufen versprächen. Eine Phrase, die ohne Commentar als purer Unsinn erscheinen muß, die aber in Wirklichkeit sehr bedeutungsvoll war, führten sie damals vielfach im Munde, und sie wurde sogar eine Parole, an der die Mitglieder der Partei einander erkannten: „Schlagt es herum, es wird zu meinem Vater kommen.” Der verborgene Sinn dieser Redensart war: „Stürzt das Land in Verwirrung, man wird zuletzt zu König Jakob greifen müssen.”[42] Der Handel florirte nicht und viele fleißige Menschen hatten keine Arbeit. Die mißvergnügten Straßendichter verfertigten in Folge dessen an die nothleidenden Klassen gerichtete Lieder. Zahlreiche Exemplare einer Ballade, welche die Weber aufforderte, sich gegen die Regierung zu erheben, wurden in dem Hause des Quäkers gefunden, der Jakob’s Erklärung gedruckt hatte.[43] Alle erdenklichen Mittel wurden angewendet, um auch unter einer weit gefährlicheren Klasse von Leuten, unter den Matrosen, Unzufriedenheit zu erwecken, und unglücklicherweise lieferten die Mängel der Marineverwaltung den Feinden des Staats nur zu reichlichen Zündstoff. Einige Seeleute desertirten, andere stifteten Meutereien an; es fanden Hinrichtungen statt, und diesen folgten neue Balladen und Flugblätter, welche die Hinrichtungen als barbarische Mordthaten darstellten. Gerüchte, daß die Regierung beschlossen habe, ihre Vertheidiger um ihren sauerverdienten Lohn zu betrügen, wurden mit so großem Erfolge verbreitet, daß ein zahlreicher Haufe Weiber von Wapping und Rotherhithe Whitehall belagerte und tumultuarisch den ihren Männern gebührenden Lohn verlangte. Marie war so taktvoll undXX.33 gutherzig, vier dieser ungestümen Petentinnen in den Saal einführen zu lassen, wo sie eben eine Staatsrathssitzung hielt. Sie hörte ihre Klagen an und versicherte ihnen in eigner Person, daß das Gerücht, welches sie beunruhigt habe, ungegründet sei.[44] Inzwischen kam der St. Bartholomäustag heran, und die große jährliche Messe, das Vergnügen arbeitsscheuer Lehrbuben und der Greuel puritanischer Aldermen, wurde mit der gewöhnlichen Schaustellung von Zwergen, Riesen und tanzenden Hunden, Feuerfressern und abgerichteten Elephanten in Smithfield eröffnet. Von allen Sehenswürdigkeiten aber übte keine so große Anziehungskraft aus, als eine dramatische Vorstellung, welche in der Idee, wenn auch gewiß nicht in der Ausführung, große Aehnlichkeit mit den unsterblichen Meisterwerken des Humors gehabt zu haben scheint, in denen Aristophanes Cleon und Lamachus lächerlich machte. Zwei herumziehende Comödianten gaben die Rollen Killegrew’s und Delaval’s. Die beiden Admiräle waren dargestellt, wie sie mit ihrer ganzen Flotte vor einigen französischen Kapern flohen und unter den Kanonen des Towers Schutz suchten. Die Rolle des Chorus wurde von einem Hanswurst gespielt, der seine Meinung über die Marineverwaltung sehr freimüthig aussprach. Ungeheure Menschenmassen strömten zu dieser wunderlichen Posse. Der Beifall war laut, die Einnahmen groß, und die Comödianten, welche zuerst nur die unglückliche und unpopuläre Admiralität durchzuhecheln gewagt hatten, begannen jetzt, durch die Straflosigkeit und den Erfolg dreist gemacht, und wahrscheinlich durch Leute viel höherer Stellung angeregt und bezahlt, auch über andere Verwaltungszweige ihre Witze zu machen. Diesem Versuche, die Zügellosigkeit der attischen Bühne wieder in die Mode zu bringen, wurde bald durch das Erscheinen einer starken Abtheilung Constabler, welche die Schauspieler ins Gefängniß abführten, ein Ziel gesetzt.[45] Mittlerweile wurden die Straßen London’s jede Nacht mit aufwieglerischen Flugblättern besäet. In allen Wirthshäusern hinkten die Zeloten des erblichen Rechts mit Wein- und Punschgläsern an den Lippen umher. Diese Mode war eben aufgekommen, und die Nichteingeweihten wunderten sich höchlich, wie eine so große Menge frischer und gesunder Gentlemen urplötzlich lahm geworden sein könne. Die in das Geheimniß Eingeweihten aber wußten, daß das Wort limp (hinken) ein geheiligtes Wort, daß jeder der vier Buchstaben, aus denen es bestand, der Anfangsbuchstabe eines erlauchten Namens war, und daß der loyale Unterthan, der beim Trinken hinkte, sein Glas auf das Wohl Ludwig’s, Jakob’s, Mariens und des Prinzen leerte.[46]
Aber nicht allein in der Hauptstadt ließen die Jakobiten damals ihren Witz in großem Maßstabe leuchten. Sie waren auch in Bath zahlreichXX.34 vertreten, wo der Lordpräsident Caermarthen seine erschütterte Gesundheit wieder zu befestigen versuchte. Jeden Abend versammelten sie sich, um, wie sie es nannten, dem Marquis eine Serenade zu bringen. Mit anderen Worten, sie rotteten sich unter den Fenstern des kranken Mannes zusammen und sangen Spottlieder auf ihn.[47]
Es ist sonderbar, daß der Lordpräsident zu derselben Zeit wo er in Bath als Wilhelmit insultirt wurde, in Saint-Germains für einen treuen Jakobiten galt. Wie er dazu kam, für einen solchen gehalten zu werden, ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Einige Schriftsteller sind der Meinung, daß er, wie Shrewsbury, Russell, Godolphin und Marlborough, Verpflichtungen gegen den einen König übernahm, während er das Brot des andren aß. Diese Ansicht aber stützt sich nicht auf hinreichende Beweise. Für die Verräthereien Shrewsbury’s, Russell’s, Godolphin’s und Marlborough’s haben wir eine große Menge Beweise, die aus verschiedenen Quellen geschöpft sind und sich über mehrere Jahre erstrecken. Ueber Caermarthen’s Verkehr mit Jakob aber besitzen wir keine anderen Nachrichten als die in einem kurzen Aufsatze enthaltenen, den Melfort am 16. October 1693 schrieb. Aus diesem Aufsatze geht klar und deutlich hervor, daß der verbannte König und seine Minister Mittheilungen erhalten hatten, die sie bewogen, Caermarthen als einen Freund zu betrachten. Aber wir haben keinen Beweis, daß sie ihn weder vor noch nach diesem Tage für einen solchen hielten.[48] Alles erwogen, scheint die wahrscheinlichste Erklärung des Geheimnisses die zu sein, daß Caermarthen von einem jakobitischen Emissär, der bei weitem nicht so schlau war als er, sondirt worden war und daß er, um dem von Middleton entworfenen neuen politischen Plan auf den Grund zu kommen, sich stellte, als ob er der Sache des verbannten Königs zugethan wäre;XX.35 daß eine übertriebene Darstellung des Geschehenen nach Saint-Germains geschickt wurde, und daß man sich dort über eine Bekehrung freute, die sich bald als eine erheuchelte herausstellte. Es ist sonderbar, daß eine solche Bekehrung nur einen Augenblick für aufrichtig gehalten werden konnte. Es lag offenbar in Caermarthen’s Interesse, sich zu den im factischen Besitze des Thrones befindlichen Souverainen zu halten. Er war ihr erster Minister und hatte keine Hoffnung, der erste Minister Jakob’s zu werden. Es ist in der That kaum anzunehmen, daß das politische Verhalten eines schlauen, unersättlich ehrgeizigen und habsüchtigen Greises durch persönliche Parteilichkeit bedeutend influirt worden sein sollte. Aber wenn es überhaupt eine Person gab, für welche Caermarthen eingenommen war, so war diese Person unzweifelhaft Marie. Daß er sich ernstlich in ein Complot zu ihrer Entthronung eingelassen haben sollte, das ihm den Hals kosten konnte, wenn es scheiterte, und durch das er, wenn es gelang, ungeheuer an Macht und Reichthum verlieren mußte, war eine zu absurde Fabel, die nur Verbannte für möglich halten konnten.
Allerdings hatte Caermarthen in diesem Augenblicke besonders triftige Gründe, mit der Stellung, die er unter den Rathgebern Wilhelm’s und Mariens einnahm, unzufrieden zu sein. Man hat nur zu starken Grund zu glauben, daß er damals mit einer selbst bei ihm beispiellosen Schnelligkeit unrechtmäßigen Gewinn aufhäufte.
Der Kampf zwischen den beiden Ostindischen Compagnien war im Herbste 1693 heftiger als je. Da das Haus der Gemeinen die alte Compagnie jedem Vergleiche hartnäckig abhold gefunden, hatte es kurz vor dem Schlusse der vorigen Session den König ersucht, die in der Concessionsurkunde vorgeschriebene dreijährige Aufkündigung erfolgen zu lassen. Child und seine Collegen begannen jetzt ernstlich besorgt zu werden. Jeden Tag erwarteten sie die gefürchtete Anzeige. Ja, sie waren sogar nicht sicher, ob ihnen ihr ausschließliches Privilegium nicht ohne jede vorherige Anzeige entzogen werden möchte, denn sie sahen, daß sie ihre Concession verwirkt hatten, indem sie es aus Unachtsamkeit unterlassen, die kürzlich auf ihr Actienkapital gelegte Steuer zur gesetzlich bestimmten Zeit zu entrichten, und obwohl es unter gewöhnlichen Umständen als eine Rücksichtslosigkeit der Regierung betrachtet worden wäre, aus einem solchen Versehen Vortheil zu ziehen, so war doch das Publikum nicht geneigt, der alten Compagnie etwas mehr als den strikten Buchstaben des Vertrags zuzugestehen. Es war Alles verloren, wenn die Concession nicht vor dem Zusammentritt des Parlaments erneuert wurde. Es steht fast außer allem Zweifel, daß die Operationen der Gesellschaft in der Hauptsache noch immer von Child geleitet wurden. Aber er scheint eingesehen zu haben, daß seine Inpopularität die seiner Obhut anvertrauten Interessen nachtheilig berührt hatte, und er drängte sich daher der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht auf. Seine Stelle wurde ostensibel durch seinen nahen Verwandten, Sir Thomas Cook, ausgefüllt, einem der größten Kaufleute von London und Parlamentsmitgliede für Colchester. Die Directoren stellten Cook das ganze ungeheure Vermögen, das in ihrer Schatzkammer lag, zur unumschränkten Verfügung, und in kurzer Zeit wurden nahe an hunderttausend Pfund für Bestechungen in großartigem Maßstabe ausgegeben. Nach welchen Verhältnissen diese enorme Summe unter die Großen von Whitehall vertheilt wurde und wieviel davon in die Taschen der ZwischenagentenXX.36 floß, ist noch heute ein Geheimniß. Soviel wissen wir jedoch mit Bestimmtheit, daß Seymour und Caermarthen Tausende empfingen.
Das Resultat dieser Bestechungen war, daß der Generalfiskal Befehl erhielt, einen Freibrief zu entwerfen, der der alten Compagnie die alten Privilegien aufs Neue bewilligte. Kein Minister aber konnte es nach dem was im Parlamente vorgegangen war, wagen, der Krone zur Erneuerung des Monopols ohne Bedingungen zu rathen. Die Directoren sahen, daß sie keine Wahl hatten und verstanden sich mit Widerstreben dazu, die neue Concession unter Bedingungen anzunehmen, die im Wesentlichen dieselben waren, wie sie das Haus der Gemeinen sanctionirt hatte.
Es ist wahrscheinlich, daß zwei Jahre früher ein solcher Vergleich die Fehde, welche die City zerriß, gedämpft haben würde. Aber ein langer Kampf, in welchem Satyre und Verleumdung nicht gespart worden waren, hatte die Gemüther erhitzt. Das Geschrei Dowgate’s gegen Leadenhall Street war lauter als je. Es wurden Einsprüche erhoben und Petitionen unterzeichnet, und in diesen Petitionen wurde ein Prinzip, mit dem man bisher absichtlich hinter dem Berge gehalten hatte, keck aufgestellt. So lange es zweifelhaft war, auf welcher Seite die königliche Prärogative angewendet werden würde, hatte man diese Prärogative nicht bestritten. Sobald es sich aber zeigte, daß die alte Compagnie Aussicht hatte, eine Erneuerung des Monopols unter dem großen Siegel zu erlangen, begann die neue Compagnie mit Heftigkeit zu behaupten, daß kein Monopol anders als durch eine Parlamentsacte creirt werden könne. Nachdem der Geheime Rath, welchem Caermarthen präsidirte, die ausführliche Erörterung durch die beiderseitigen Anwälte angehört hatte, entschied er zu Gunsten der alten Compagnie und ordnete die Untersiegelung des Freibriefs an.[49]
Inzwischen war der Herbst weit vorgerückt und die Armeen in den Niederlanden hatten ihre Winterquartiere bezogen. Am letzten October landete Wilhelm wieder in England. Das Parlament stand auf dem Punkte zusammenzutreten, und er hatte allen Grund, eine noch stürmischere Session als die vorige zu erwarten. Das Volk war unzufrieden, und nicht ohne Ursache. Das Jahr war überall für die Verbündeten unglücklich gewesen, nicht allein auf der See und in den Niederlanden, sondern auch in Serbien, in Spanien, in Italien und in Deutschland. Die Türken hatten die Generäle des Reichs gezwungen, die Belagerung Belgrad’s aufzuheben. Ein neucreirter Marschall von Frankreich, der Herzog von Noailles, war in Catalonien eingefallen und hatte die Festung Rosas genommen. Ein zweiter neucreirter Marschall, der geschickte und tapfere Catinat, war von den Alpen nach Piemont hinabgestiegen und hatte bei Marsiglia einen vollständigen Sieg über die Truppen des Herzogs von Savoyen erfochten. Diese Schlacht ist insofern denkwürdig, weil sie die erste einer langen Reihe von Schlachten war, in denen die irischen Truppen die durch Mißgeschick und schlechte Führung im einheimischen Kriege verlorene Ehre wiedererlangten. Einige von den Verbannten von Limerick bewiesen an jenem Tage unter dem französischen Banner eine Tapferkeit, die sie unter vielen Tausenden tapferer MännerXX.37 auszeichnete. Es ist bemerkenswerth, daß an dem nämlichen Tage ein Bataillon der verfolgten und aus ihrem Vaterlande vertriebenen Hugenotten inmitten der allgemeinen Verwirrung fest zu dem Banner Savoyen’s hielt und mit Verzweiflung bis zum letzten Augenblicke kämpfend fiel.
Der Herzog von Lorges war in die bereits zweimal verwüstete Pfalz eingerückt und hatte gefunden, daß Turenne und Duras ihm noch etwas zu zerstören übrig gelassen. Heidelberg, das eben aus seinen Trümmern wieder zu erstehen begann, wurde abermals geplündert, die friedlichen Bewohner niedergemacht und ihre Frauen und Kinder empörend geschändet. Selbst die Chöre der Kirchen wurden mit Blut befleckt; die Monstranzen und Kruzifixe von den Altären gerissen, die Gräber der alten Kurfürsten erbrochen, die ihrer Schweißtücher und Zierrathen entkleideten Leichname durch die Straßen geschleift. Der Schädel des Vaters der Herzogin von Orleans wurde von den Soldaten eines Fürsten, an dessen glänzendem Hofe sie unter den Damen den ersten Rang einnahm, in Stücken zerschlagen.
Ein scharfblickendes Auge hätte indessen erkennen müssen, daß, so unglücklich auch die Verbündeten gewesen zu sein schienen, der Vortheil eigentlich auf ihrer Seite geblieben war. Der Kampf war ebensowohl ein finanzieller als ein militärischer. Der französische König hatte einige Monate vorher geäußert, das letzte Goldstück werde den Sieg davontragen, und er begann jetzt die Wahrheit dieses Ausspruchs schmerzlich zu empfinden. England war allerdings durch öffentliche Lasten schwer bedrückt; aber es hielt sich noch immer aufrecht. Frankreich war währenddem in raschem Sinken begriffen. Seine kürzlichen Anstrengungen waren zuviel für seine Kraft gewesen und hatten es verzehrt und entnervt. Noch nie hatten seine Beherrscher einen größeren Scharfsinn im Erdenken von Abgaben und eine größere Strenge im Eintreiben derselben an den Tag gelegt; aber kein Scharfsinn, keine Strenge vermochte die zu einem neuen Feldzuge wie der von 1693 erforderlichen Summen aufzubringen. In England war die Ernte reichlich ausgefallen. In Frankreich waren Getreide und Wein abermals mißrathen. Das Volk maß, wie gewöhnlich, der Regierung die Schuld bei, und die Regierung versuchte mit schmachvoller Unwissenheit oder noch schmachvollerer Unredlichkeit den öffentlichen Unwillen auf die Getreidehändler zu lenken. Es wurden Decrete erlassen, welche absichtlich zu dem Zwecke entworfen zu sein schienen, die Theuerung in Hungersnoth zu verwandeln. Man versicherte der Nation, es sei kein Grund zu Besorgniß vorhanden, der Ertrag der Feldfrüchte sei mehr als hinreichend und der Mangel sei nur durch die schändlichen Manipulationen der Wucherer erzeugt worden, die mit ihren Vorräthen zurückhielten, in der Hoffnung, einen enormen Gewinn zu erzielen. Es wurden Commissare zu Visitation der Kornspeicher ernannt und ermächtigt, alles Getreide, das die Eigenthümer nicht für ihren Bedarf brauchten, auf den Markt zu bringen. Eine solche Einmischung vergrößerte natürlich die Noth, der sie abhelfen sollte. Aber inmitten des allgemeinen Mangels gab es an einem Orte einen künstlich erzeugten Ueberfluß. Der unumschränkteste Fürst muß immer einige Scheu vor einer in der Umgebung seines Palastes versammelten großen Menschenmenge haben. Aehnliche Befürchtungen wie die, welche die Cäsaren bestimmt hatten, Afrika und Aegypten die Mittel auszupressen, dem römischen Pöbel den Mund zu stopfen, bewogen Ludwig,XX.38 das Elend von zwanzig Provinzen zu vermehren, um eine gewaltige Stadt bei guter Laune zu erhalten. Er ließ in allen Kirchspielen der Hauptstadt Brot um weniger als den halben Marktpreis vertheilen. Die englischen Jakobiten waren einfältig genug, diese Anordnung als weise und human zu preisen. Die Ernte, sagten sie, sei in England gut, in Frankreich schlecht gewesen, und doch sei das Brot in Paris wohlfeiler als in London, und die Erklärung sei ganz einfach. Die Franzosen hätten einen Souverain, dessen Herz französisch sei und der mit der Fürsorge eines Vaters über sein Volk wache, während die Engländer mit einem holländischen Tyrannen beglückt seien, der ihr Getreide nach Holland schicke. Die Wahrheit ist, daß acht Tage solcher väterlicher Regierung wie die Ludwig’s, ganz England, von Northumberland bis Cornwall, zu einem bewaffneten Aufstande getrieben haben würden. Damit in Paris Ueberfluß herrschen konnte, mußte die Bevölkerung der Normandie und des Anjou Nesseln essen. Damit es in Paris ruhig blieb, schlug sich das Landvolk längs der ganzen Loire und Seine mit den Schiffern und Truppen. Massen flohen aus diesen ländlichen Districten, wo das Pfund Brot fünf Sous kostete, nach dem glücklichen Orte, wo das Pfund Brot für zwei Sous zu haben war. Man mußte die verhungerten Menschenhaufen mit Gewalt von den Barrièren zurücktreiben und Denen, die nicht nach Hause gehen und ruhig verhungern wollten, mit den furchtbarsten Strafen drohen.[50]
Ludwig sah ein, daß die Kräfte Frankreich’s durch die Anstrengungen des letzten Feldzugs übermäßig in Anspruch genommen worden waren. Selbst wenn es eine reichliche Ernte und Weinlese gehabt hätte, würde es nicht im Stande gewesen sein, 1694 das zu leisten, was es 1693 geleistet, und es war durchaus unmöglich, daß es zu einer Zeit des größten Mangels wieder Armeen ins Feld schicken konnte, welche an allen Punkten den Armeen der Coalition an Zahl überlegen waren. Neue Eroberungen waren nicht zu erwarten. Es war schon viel, wenn das auf allen Seiten von Feinden umlagerte ausgesogene und erschöpfte Land ohne Niederlage einen Vertheidigungskrieg zu bestehen vermochte. Ein so geschickter Staatsmann wie der König von Frankreich mußte nothwendig erkennen, daß es nur zu seinem Vortheile sein konnte, wenn er mit den Verbündeten unterhandelte, so lange sie durch die Erinnerung an die kolossalen Anstrengungen, die sein Land soeben gemacht hatte, noch in Respect erhalten wurden, und bevor die Erschlaffung, welche auf diese Anstrengungen gefolgt war, sichtbar zu werden begann.
Er verkehrte schon längst durch verschiedene Kanäle mit einigen Mitgliedern der Conföderation und versuchte sie zu bestimmen, sich von den übrigen zu trennen. Bis jetzt aber hatte er noch keine Propositionen gemacht, die auf eine allgemeine Pacifirung hinzielten. Denn er wußte, daß keine allgemeine Pacifirung möglich war, wenn er sich nicht entschloß, die Sache Jakob’s aufzugeben und den Prinzen und die Prinzessin von Oranien als König und Königin anzuerkennen. Dies war eigentlich der Punkt, um den sich Alles drehte. Was mit den großen Festungen geschehen sollte, welche Ludwig in Friedenszeiten widerrechtlich weggenommen und seinem Reiche einverleibt hatte, mit Luxemburg, das die Mosel inXX.39 Schach hielt, und mit Straßburg, das den Oberrhein beherrschte, was ferner mit den festen Plätzen geschehen sollte, die er neuerdings im offenen Kriege erobert, mit Philippsburgi, Mons und Namur, mit Huy und Charleroy; welche Grenze den Generalstaaten gesteckt, unter welchen Bedingungen Lothringen seinen erblichen Herzögen zurückgegeben werden sollte: dies waren allerdings keine unwichtigen Fragen. Aber die allerwichtigste Frage war die, ob England, wie es dies unter Jakob gewesen, eine Provinz Frankreich’s, oder, was es unter Wilhelm und Marien war, eine Macht ersten Ranges sein sollte. Wenn Ludwig ernstlich den Frieden wünschte, so mußte er es über sich gewinnen, die Souveraine anzuerkennen, die er so oft als Usurpatoren bezeichnet hatte. Konnte er es über sich gewinnen, sie anzuerkennen? Auf der einen Seite standen sein Aberglaube, sein Stolz, seine Rücksichten gegen die unglücklichen Verbannten, welche in Saint-Germains schmachteten, seine persönliche Abneigung gegen den unermüdlichen und unbesiegbaren Gegner, der seit zwanzig Jahren ihm überall hindernd in den Weg trat; auf der andren Seite standen seine und seines Volkes Interessen. Er mußte einsehen, daß es nicht in seiner Macht lag, die Engländer zu unterjochen, das er es wenigstens ihnen überlassen müsse, sich ihre Regierung selbst zu wählen, und daß es am besten sei, das bald zu thun, was er schließlich doch thun mußte. Gleichwohl konnte er sich nicht sofort zu etwas so Unangenehmem entschließen. Er trat jedoch durch die Vermittelung Schweden’s und Dänemark’s mit den Generalstaaten in Unterhandlung und schickte einen vertrauten Agenten nach Brüssel, um im Geheimen mit Dykvelt zu conferiren, der Wilhelm’s ganzes Vertrauen besaß. Es wurde viel über Dinge von untergeordneter Bedeutung discutirt, aber die Hauptfrage blieb unerledigt. Der französische Agent ließ im vertraulichen Gespräch Aeußerungen fallen, welche deutlich verriethen, daß die Regierung, die er repräsentirte, bereit war, Wilhelm und Marien anzuerkennen; aber eine förmliche Zusage war nicht von ihm zu erlangen. Gerade zu derselben Zeit benachrichtigte der König von Dänemark die Verbündeten, daß er bemüht sei, Frankreich dahin zu bringen, nicht auf der Restauration Jakob’s als einer unerläßlichen Friedensbedingung zu bestehen, sagte aber nicht, daß seine Bemühungen bis jetzt erfolgreich gewesen seien. Währenddem theilte Avaux, der jetzt Gesandter in Stockholm war, dem König von Schweden mit, daß, da die Würde aller gekrönten Häupter in der Person Jakob’s beleidigt worden sei, der Allerchristlichste König sich überzeugt halte, daß nicht allein die neutralen Mächte, sondern selbst der Kaiser ein Mittel ausfindig zu machen suchen würden, welches eine so ernste Ursache zu Unfrieden beseitigen könne. Das von Avaux vorgeschlagene Mittel war jedenfalls, daß Jakob von seinen Rechten abstehen und daß der Prinz von Wales nach England geschickt, in der protestantischen Religion erzogen, von Wilhelm und Marien adoptirt und zu ihrem Erben erklärt werden solle. Gegen ein solches Arrangement würde Wilhelm vom persönlichen Standpunkte wahrscheinlich nichts einzuwenden gehabt haben. Aber wir dürfen überzeugt sein, daß er nie eingewilligt haben würde, es zu einer Bedingung des Friedens mit Frankreich zu machen. Die Frage, wer in England regieren sollte, hatte England allein zu entscheiden.[51]
XX.40 Es war triftiger Grund zu dem Verdachte vorhanden, daß eine, in dieser Weise geleitete Unterhandlung nur die Veruneinigung der Verbündeten bezweckte. Wilhelm begriff die ganze Wichtigkeit des Moments. Es mag sein, daß er nicht den Blick eines großen Feldherrn für alle Wechselfälle einer Schlacht hatte; aber er besaß in höchster Vollkommenheit den Blick eines großen Staatsmannes für alle Wechselfälle eines Kriegs. Daß Frankreich ihm endlich Propositionen machte, war ein genügender Beweis, daß es sich erschöpft und im Sinken begriffen fühlte. Daß diese Propositionen mit äußerstem Widerstreben und Zaudern gemacht wurden, bewies, daß es sich noch nicht in einer Stimmung befand, die es ermöglichte, unter billigen Bedingungen Frieden mit ihm zu schließen. Er sah, daß der Feind zu weichen begann und daß der Augenblick gekommen war, die Offensive zu ergreifen, vorzugehen und alle Reserven heranzuziehen. Ob aber die Gelegenheit benutzt oder versäumt werden sollte, darüber hatte er nicht zu entscheiden. Der König von Frankreich konnte ohne eine andre Beschränkung als die, welche die Naturgesetze dem Despotismus auflegen, Truppen ausheben und Steuern fordern. Der König von England aber vermochte nichts ohne die Unterstützung des Hauses der Gemeinen, und obgleich das Haus der Gemeinen ihn bisher bereitwillig und freigebig unterstützt hatte, so war es doch keine Körperschaft, auf die er sich verlassen konnte. Es war in der That in einen Zustand gerathen, der die scharfsichtigsten Staatsmänner der damaligen Zeit in Verlegenheit und Besorgniß versetzte. Die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht mit einer so grenzenlosen Launenhaftigkeit hatte etwas Erschreckendes. Das Schicksal der ganzen civilisirten Welt hing von den Beschlüssen der Vertreter des englischen Volks ab, und es gab keinen Staatsmann, der es hatte wagen können, mit Bestimmtheit zu sagen, zu welchem Beschlusse diese Vertreter nicht binnen vierundzwanzig Stunden bewogen werden konnten.[52] Wilhelm erkannte es schmerzlich, daß es einem Fürsten, der von einer zu Zeiten so ungestümen, zu anderen Zeiten so lässigen Versammlung abhing, unmöglich war, etwas Großes ins Werk zu setzen. In der That, obgleich kein Souverain soviel that, um die Macht des Hauses der Gemeinen zu befestigen und zu erweitern, so liebte doch kein Souverain das Haus der Gemeinen weniger. Dies ist auch nicht zu verwundern, denn er sah dieses Haus in der allerschlimmsten Beschaffenheit. Er sah es, als es eben die Macht eines Senats erlangt, sich aber noch nicht die ernste Würde eines solchen angeeignet hatte. In seinen Briefen an Heinsius klagt er beständig über das endlose Geschwätz, die Parteizwistigkeiten, die Unbeständigkeit und Unschlüssigkeit einer Körperschaft, die mit Rücksicht zu behandeln ihm seine Lage gebot. Seine Klagen waren durchaus nicht ungegründet, aber er hatte weder die Ursache des Uebels, noch das Heilmittel dagegen entdeckt.
Die Sache war die, daß die Veränderung, welcheXX.41 die Revolution in der Stellung des Hauses der Gemeinen herbeigeführt hatte, eine andere Veränderung nothwendig gemacht hatte und daß diese Veränderung noch nicht eingetreten war. Es gab eine parlamentarische Regierung, aber es gab kein Ministerium, und ohne Ministerium muß die Thätigkeit einer parlamentarischen Regierung wie die unsrige stets schwankend und unsicher sein.
Es ist für unsere Freiheiten wesentlich nothwendig, daß das Haus der Gemeinen eine Oberaufsicht über alle Zweige der ausübenden Verwaltung führt. Und doch liegt es auf der Hand, daß eine Versammlung von fünf- bis sechshundert Männern, selbst wenn sie in geistiger Beziehung hoch über dem Durchschnittsmaße der Mitglieder des besten Parlaments ständen, selbst wenn jeder von ihnen ein Burleigh oder ein Sully wäre, zu executiven Functionen untauglich sein würde. Man hat sehr richtig gesagt, daß jede große Versammlung von menschlichen Geschöpfen, mögen sie auch noch so gebildet sein, eine starke Tendenz habe, ein tumultuarischer Haufen (a mob) zu werden, und ein Land, dessen höchste Executivbehörde eine tumultuarische Menge ist, befindet sich gewiß in einer gefährlichen Lage.
Zum Glück hat man einen Weg ausfindig gemacht, auf welchem das Haus der Gemeinen einen überwiegenden Einfluß auf die Executivverwaltung ausüben kann, ohne Functionen zu übernehmen, welche von einer so zahlreichen und aus so verschiedenartigen Elementen zusammengesetzten Körperschaft niemals gut verrichtet werden können. Eine Institution, welche zu den Zeiten der Plantagenets, der Tudors und der Stuarts nicht existirte, eine Institution, die das Gesetz nicht kennt, eine Institution, die in keinem Statut genannt ist, eine Institution, welche Schriftsteller wie De Lolme und Blackstone nicht erwähnen, trat wenige Jahre nach der Revolution ins Leben, gewann rasch eine hohe Bedeutung, wurde fest begründet und ist jetzt ein fast eben so wesentlicher Theil unsrer Verfassung wie das Parlament selbst. Diese Institution ist das Ministerium.
Das Ministerium ist eigentlich ein Ausschuß von leitenden Mitgliedern der beiden Häuser. Es wird von der Krone ernannt; aber es besteht ausschließlich aus Staatsmännern, deren Ansichten über die wichtigen Tagesfragen in der Hauptsache mit den Ansichten der Majorität des Hauses der Gemeinen übereinstimmen. Unter die Mitglieder dieses Ausschusses sind die Hauptzweige der Verwaltung vertheilt. Jeder Minister versteht die gewöhnlichen Geschäfte seines Amts ganz unabhängig von seinen Collegen. Die wichtigsten Geschäfte jedes einzelnen Amtes aber, besonders solche, die voraussichtlich Gegenstände parlamentarischer Discussion werden, unterliegen der Erwägung des Gesammtministeriums. Im Parlamente sind die Minister verpflichtet, bei allen die ausübende Verwaltung betreffenden Fragen wie ein Mann zu handeln. Ist einer von ihnen in einer Frage, die zu wichtig ist um einen Vergleich zu gestatten, andrer Meinung als die übrigen, so ist es seine Pflicht zurückzutreten. So lange die Minister das Vertrauen der Majorität im Parlamente besitzen, unterstützt diese Majorität sie gegen Opposition und verwirft jeden Antrag, der einen Tadel gegen sie ausspricht oder der sie in Verlegenheit setzen kann. Verscherzen sie sich dieses Vertrauen, ist die Majorität des Parlaments mit der Art und Weise, wie das Stellenvergebungsrecht und das Begnadigungsrecht ausgeübt wird, mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, mit der Führung eines Kriegs unzufrieden, so ist die AbhülfeXX.42 sehr einfach. Es ist nicht nöthig, daß die Gemeinen die Verwaltungsgeschäfte übernehmen, daß sie die Krone ersuchen, Diesen zum Bischof, Jenen zum Richter zu ernennen, den einen Verbrecher zu begnadigen, den andren hinrichten zu lassen, über einen Vertrag auf besonderer Grundlage zu unterhandeln oder nach einem bestimmten Orte eine Expedition zu schicken. Sie haben lediglich zu erklären, daß das Ministerium ihr Vertrauen nicht mehr besitzt, und um ein Ministerium zu bitten, dem sie Vertrauen schenken können.
Vermittelst so constituirter und so wechselnder Ministerien wird die englische Regierung seit langer Zeit in vollkommenem Einklange mit der wohlerwogenen Ansicht des Hauses der Gemeinen geleitet und ist doch erstaunlich frei geblieben von den Mängeln, welche Regierungen eigen sind, die durch zahlreiche, tumultuarische und gespaltene Versammlungen verwaltet werden. Einige wenige ausgezeichnete Männer, die in ihren allgemeinen Ansichten übereinstimmen, sind die vertrauten Rathgeber des Souverains und zugleich der Stände des Reichs. Im Cabinet sprechen sie mit der Autorität von Männern, die bei den Vertretern des Volks in hoher Achtung stehen. Im Parlamente sprechen sie mit der Autorität von Männern, die in wichtigen Angelegenheiten zu Hause und mit den Geheimnissen des Staats genau bekannt sind. So hat das Cabinet etwas von dem volksthümlichen Character eines Repräsentativkörpers, und der Repräsentativkörper etwas von der Würde eines Cabinets.
Zuweilen ist jedoch der Stand der Parteien von der Art, daß kein Verein von Männern, der zusammengebracht werden kann, das volle Vertrauen und die stetige Unterstützung der Majorität des Hauses der Gemeinen besitzt. Wenn dies der Fall ist, so muß das Ministerium schwach sein und es giebt dann wahrscheinlich eine rasche Aufeinanderfolge schwacher Ministerien. Zu solchen Zeiten geräth das Haus der Gemeinen unfehlbar in einen Zustand, den kein Freund der Repräsentativverfassung ohne Besorgniß betrachten kann, in einen Zustand, der es uns möglich macht, uns einen schwachen Begriff von dem Zustande dieses Hauses während der ersten Regierungsjahre Wilhelm’s zu bilden. Es ist allerdings nur ein schwacher Begriff, denn das schwächste Ministerium übt immer noch einen großen Einfluß auf den Gang der Parlamentsverhandlungen aus, und während der ersten Regierungsjahre Wilhelm’s gab es gar kein Ministerium.
Kein Schriftsteller hat es noch versucht, die Entwickelung dieser Institution zu verfolgen, welche für das harmonische Zusammenwirken unserer übrigen Institutionen unentbehrlich ist. Das erste Ministerium war zum Theil das Werk des bloßen Zufalls, zum Theil das Werk der Weisheit, aber nicht jener höchsten Weisheit, welche mit den großen Prinzipien der Staatswissenschaft vertraut ist, sondern der niederen Weisheit, welche alltäglichen Anforderungen durch alltägliche Mittel begegnet. Weder Wilhelm noch seine einsichtsvollsten Rathgeber begriffen vollkommen den Character und die Wichtigkeit jener geräuschlosen Revolution — denn es war nichts Geringeres als eine Revolution — welche um das Ende des Jahres 1693 begann und um das Ende des Jahres 1696 vollendet war. Aber Jedermann konnte bemerken, daß zu Ende des Jahres 1693 die höchsten Regierungsämter nicht ungleich zwischen die beiden großen Parteien getheilt waren, daß die Männer, welche diese Aemter bekleideten, beständig gegen einander intriguirten, gegen einander haranguirten, Tadelsvoten gegenXX.43 einander beantragten, Anklageartikel gegen einander erhoben und daß die Stimmung des Hauses der Gemeinen unstet, unlenksam und schwankend war. Jedermann konnte bemerken, daß zu Ende des Jahres 1696 alle ersten Diener der Krone Whigs waren, durch öffentliche und private Bande eng mit einander verbunden und bereit einander gegen jeden Angriff zu vertheidigen, und daß die Majorität des Hauses der Gemeinen in guter Ordnung unter diesen Führern kämpfte und gelernt hatte, sich auf Commando wie ein Mann zu bewegen. Die Geschichte der Uebergangsperiode und der Schritte, durch welche die Veränderung herbeigeführt wurde, ist höchst merkwürdig und interessant.
Der Staatsmann, welcher den Hauptantheil an der Bildung des ersten englischen Ministeriums hatte, war einst nur zu bekannt gewesen, hatte sich aber lange vor den Augen der Oeffentlichkeit verborgen und war erst kürzlich wieder aus dem Dunkel hervorgetreten, indem man erwartet hatte, daß er den Rest seines schmachvollen und unglücklichen Lebens zubringen werde. Während der Periode allgemeinen Schreckens und allgemeiner Verwirrung, welche auf Jakob’s Flucht folgte, war Sunderland verschwunden. Es war hohe Zeit, denn von allen Agenten der gestürzten Regierung war er, mit alleiniger Ausnahme Jeffreys’, der Nation am meisten verhaßt. Nur Wenige wußten, daß Sunderland insgeheim gegen die Beraubung des Magdalenencollegiums und die gerichtliche Verfolgung der Bischöfe gestimmt hatte; Jedermann aber wußte, daß er zahlreiche, von Gesetzen dispensirende Dokumente unterzeichnet, daß er in der Hohen Commission gesessen hatte, daß er, sei es wirklich oder nur zum Schein, Papist geworden und daß er, wenige Tage nach seinem Abfall, in Westminster Hall als Zeuge gegen die unterdrückten Väter der Kirche aufgetreten war. Allerdings hatte er viele Verbrechen durch ein neues Verbrechen gesühnt, das schändlicher war als alle übrigen. Sobald er Ursache hatte zu glauben, daß der Tag der Befreiung und Vergeltung bevorstehe, hatte er durch einen sehr geschickten und rechtzeitigen Verrath seine Begnadigung erlangt. Während der letzten drei Monate vor der Ankunft des holländischen Geschwaders bei Torbay hatte er der Sache der Freiheit und der protestantischen Religion Dienste geleistet, deren Schändlichkeit, aber auch Nützlichkeit schwerlich zu hoch angeschlagen werden kann. Ihm hauptsächlich hatte man es zu verdanken, daß in dem kritischesten Momente unsrer Geschichte nicht eine französische Armee die batavische Grenze bedrohte und eine französische Flotte an den englischen Küsten kreuzte. Wilhelm durfte sich, ohne einen Schatten auf seine eigne Ehre zu werfen, nicht weigern einen Mann zu protegiren, den er zu benutzen keinen Anstand genommen hatte. Es war jedoch selbst für Wilhelm keine leichte Aufgabe, dieses schuldbeladene Haupt gegen den ersten Ausbruch der Volkswuth zu schützen. Denn selbst diejenigen extremen Politiker beider Parteien, die in sonst nichts übereinstimmten, stimmten in dem Rachegeschrei gegen den Renegaten überein. Die Whigs haßten ihn als den Erbärmlichsten unter den Sklaven, welche der vorigen Regierung gedient hatten, und die Jakobiten als den Schändlichsten unter den Verräthern, durch die sie gestürzt worden war. Wäre er in England geblieben, so würde er wahrscheinlich von der Hand des Scharfrichters gestorben sein, wenn nicht der Pöbel dem Scharfrichter noch zuvorkam. In Holland aber hatte ein vom Statthalter begünstigter politischer Flüchtling einige Hoffnung, unbelästigt zu existiren. Nach Holland floh Sunderland, alsXX.44 Frau verkleidet, wie man sagt, und seine Gattin begleitete ihn. In Rotterdam, einer dem Hause Oranien ergebenen Stadt, hielt er sich für sicher. Aber die Behörde war nicht in alle Geheimnisse des Prinzen eingeweiht und einige diensteifrige Engländer versicherten ihr, Se. Hoheit werde sehr erfreut sein, wenn er die Verhaftung des papistischen Schuftes, des Judas erführe, dessen Erscheinen auf Tower Hill ganz London mit Ungeduld erwarte. Sunderland wurde ins Gefängniß geworfen und blieb darin bis der Befehl zu seiner Freilassung von Whitehall kam. Er begab sich nun nach Amsterdam und wechselte dort abermals seine Religion. Sein zweiter Abfall erbaute seine Gattin eben so sehr, wie sein erster Abfall seinen Gebieter erbaut hatte. Die Gräfin schrieb an ihre frommen Freunde in England, um ihnen zu versichern, daß das Herz ihres armen geliebten Gemahls endlich wirklich von der göttlichen Gnade berührt worden sei und daß sie sich bei all’ ihrem Kummer getröstet fühle, da sie einen so aufrichtigen Convertiten in ihm sähe. Wir dürfen jedoch, ohne die Pflicht der christlichen Liebe zu verletzen, wohl annehmen, daß er noch immer der nämliche falsche und verstockte Sunderland war, der wenige Monate zuvor durch die Ableugnung des Daseins Gottes Bonrepaux mit Schaudern erfüllt und zu gleicher Zeit durch das Vorgeben, daß er an die Transsubstantiation glaube, Jakob’s Herz gewonnen hatte. Bald darauf veröffentlichte der Verbannte eine Apologie seiner Handlungsweise. Bei genauer Untersuchung dieser Apologie findet man, daß sie lediglich auf das Bekenntniß hinausläuft, daß er eine Reihe von Verbrechen begangen habe, um Jakob’s Gunst zu erlangen, und eine andre Reihe von Verbrechen, um nicht in Jakob’s Sturz hineingezogen zu werden. Der Verfasser schließt mit der Bemerkung, daß er beabsichtige, den Rest seines Lebens in Bußübungen und Gebet zuzubringen. Er zog sich bald von Amsterdam nach Utrecht zurück und machte sich dort durch seinen regelmäßigen und andächtigen Besuch des Gottesdienstes hugenottischer Prediger bemerkbar. Wenn man seinen Briefen und denen seiner Gattin glauben darf, so hatte er dem Ehrgeize für immer entsagt. Er sehnte sich zwar danach, aus der Verbannung zurückzukehren, nicht um wieder die Gunstbezeigungen der Krone genießen und spenden zu können, nicht damit er seine Vorzimmer wieder mit dem täglichen Schwarme von Bittstellern gefüllt sähe, sondern nur um die Wiesen, die Bäume und die Familiengemälde seines Landsitzes wiederzusehen. Sein einziger Wunsch war, sein ruheloses Leben in Althorpe beschließen zu dürfen, und er wollte seinen Kopf zum Pfande setzen, daß er die Umhegungen seines Parks nie wieder verließ.[53]
So lange das während der Erledigung des Thrones gewählte Haus der Gemeinen eifrig mit dem Proscriptionswerke beschäftigt war, durfte er es nicht wagen, sich in England zu zeigen. Als aber diese Versammlung nicht mehr existirte, glaubte er sich sicher. Wenige Tage nachdem die Begnadigungsacte auf den Tisch der Lords niedergelegt worden war, kehrte er zurück. Von der Wohlthat dieser Acte war er speciell ausgeschlossen; aber er wußte sehr gut, daß er jetzt nichts zu fürchten hatte.XX.45 Er begab sich heimlich nach Kensington, erlangte Zutritt ins königliche Cabinet, hatte eine zwei Stunden dauernde Audienz, und zog sich dann auf seinen Landsitz zurück.[54]
Viele Monate lang führte er ein eingezogenes Leben und hatte keine Wohnung in London. Einmal, im Frühjahr 1691, zeigte er zum großen Erstaunen des Publikums sein Gesicht im Hofzirkel und wurde freundlich aufgenommen.[55] Er scheint gefürchtet zu haben, daß sein Wiedererscheinen im Parlamente ihm einen eklatanten Affront zuziehen möchte. Er schlich sich daher wohlweislich in der stillen Jahreszeit an einem Tage bis zu welchem die Häuser auf königlichen Befehl vertagt waren und an welchem sie sich nur versammelten, um wieder vertagt zu werden, nach Westminster, hatte gerade noch so viel Zeit, sich vorzustellen, die Eide zu leisten, die Erklärung gegen die Transsubstantiation zu unterzeichnen und seinen Sitz einzunehmen. Keiner von den wenigen anwesenden Peers fand Gelegenheit, eine Bemerkung zu machen.[56] Erst im Jahre 1692 begann er den Sitzungen wieder regelmäßig beizuwohnen. Er schwieg; aber geschwiegen hatte er jederzeit in zahlreichen Versammlungen, selbst als er auf dem Höhepunkte der Macht stand. Seine Talente waren nicht die eines öffentlichen Redners. Die Kunst, in der er Jeden übertraf, war die Kunst des Flüsterns. Sein Takt, sein Scharfblick für individuelle Schwächen, seine freundlichen Manieren, seine Gabe, sich einzuschmeicheln, und vor Allem seine anscheinende Freimüthigkeit, machten ihn in der Privatconversation unwiderstehlich. Durch diese Eigenschaften hatte er Jakob beherrscht, und wollte nun damit Wilhelm beherrschen.
Es war zwar nicht leicht Wilhelm zu beherrschen; aber Sunderland erlangte doch einen solchen Grad von Gunst und Einfluß, daß es großes Erstaunen und selbst einigen Unwillen erregte. Allerdings war kaum ein Geist stark genug, um dem Zauber seiner Rede und seines Benehmens zu widerstehen. Jedermann ist geneigt an die Dankbarkeit und Anhänglichkeit auch der werthlosesten Menschen zu glauben, denen er große Wohlthaten erzeigt hat. Es kann daher kaum auffallen, daß der geschickteste aller Schmeichler ein geneigtes Ohr fand, als er mit allen äußeren Zeichen tiefer Bewegtheit um die Erlaubniß bat, alle seine Geisteskräfte dem Dienste des hochherzigen Beschützers zu widmen, dem er Vermögen, Freiheit und Leben verdankte. Es ist jedoch deshalb nicht anzunehmen, daß der König sich täuschen ließ. Er wird mit gutem Grunde geglaubt haben, daß zwar auf Sunderland’s Betheuerungen nicht viel zu geben war, daß er aber um so mehr Vertrauen in seine Stellung setzen konnte, und Sunderland erwies sich im Ganzen wirklich als ein treuerer Diener wie ein minder verderbter Mann es hätte sein können. Er that zwar in aller Stille einige schüchterne Schritte zu einer Aussöhnung mit Jakob, allein man darf mit Gewißheit behaupten, daß, selbst wenn diese Schritte freundlich aufgenommen worden wären — und sie scheinen sehr unfreundlich aufgenommen worden zu sein — der zwiefache Renegat der jakobitischen Sache nie einen wirklichen Dienst geleistet haben würde. Er wußte recht gut, daß er etwas gethan hatte, was in Saint-Germains als unverzeihlichXX.46 betrachtet werden mußte. Nicht daß er blos verrätherisch und undankbar gewesen wäre, Marlborough war eben so verrätherisch und undankbar gewesen, und Marlborough hatte Verzeihung erlangt. Aber Marlborough hatte sich nicht der gottlosen Heuchelei schuldig gemacht, die äußeren Zeichen einer Bekehrung zur Schau zu tragen. Marlborough hatte nicht vorgegeben, durch die Argumente der Jesuiten überzeugt, durch die göttliche Gnade berührt worden zu sein, sich nach der Aufnahme in den Schooß der allein wahren Kirche zu sehnen. Marlborough hatte nicht, als der Papismus überwiegend war, sich bekreuzigt, gebeichtet, Buße gethan, das heilige Abendmahl in Einer Gestalt genommen, war nicht, sobald ein Wechsel des Glückes eintrat, abermals abgefallen und hatte nicht der ganzen Welt erklärt, daß, als er im Beichtstuhl gekniet und die Hostie empfangen, er den König und die Priester nur ausgelacht habe. Sunderland’s Verbrechen war ein solches, das Jakob nie vergeben konnte, und ein Verbrechen, das Jakob nie vergeben konnte, war in gewissem Sinne eine Empfehlung bei Wilhelm. Der Hof, ja selbst der Staatsrath waren mit Männern angefüllt, welche hoffen konnten, ihr Glück zu machen, wenn der verbannte König wieder auf den Thron gesetzt wurde. Sunderland aber hatte sich keinen Rückzug gesichert, er hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen. Er war gegen den Einen so falsch gewesen, daß er nothgedrungen dem Andren treu sein mußte. Daß er in der Hauptsache der Regierung, die ihn jetzt beschützte, treu war, steht kaum zu bezweifeln, und da er treu war, konnte er nur nützlich sein. Er war in einigen Beziehungen ganz vorzüglich geeignet, damals ein Rathgeber der Krone zu sein, denn er besaß gerade die Talente und Kenntnisse, an denen es Wilhelm fehlte. Die Beiden zusammen würden einen vollendeten Staatsmann ausgemacht haben. Der Gebieter war fähig, große Pläne zu entwerfen und auszuführen, aber er vernachlässigte die kleinen Kunstgriffe, in denen der Diener sich auszeichnete. Der Gebieter sah weiter als andere Menschen; aber das Nahe sah Niemand so deutlich als der Diener. Der Gebieter war zwar in der Politik der großen Völkergemeinschaft gründlich erfahren, lernte aber die Politik seines eigenen Landes niemals genau kennen. Der Diener war mit der Stimmung und der Organisation der englischen Parteien so wie mit den starken und schwachen Seiten des Characters jedes angesehenen Engländers wohl vertraut.
Zu Anfang des Jahres 1693 ging das Gerücht, daß Sunderland über alle die innere Verwaltung des Reichs betreffende wichtige Fragen zu Rathe gezogen werde, und dieses Gerücht bekam noch mehr Halt, als man erfuhr, daß er im Herbste vor dem Zusammentritt des Parlaments nach London gekommen war und ein großes Haus in der Nähe von Whitehall bezogen hatte. Die Kaffeehaus-Politiker waren überzeugt, daß er auf dem Punkte stand, ein hohes Amt zu erhalten. Vor der Hand war er jedoch so klug, sich mit der wirklichen Macht zu begnügen und den Schein derselben Anderen zu überlassen[57].
Er war der Meinung daß, so lange der König versuchte die beiden großen Parteien einander die Wage halten zu lassen und seine Gunst beiden in gleichem Grade zu gewähren, beide sich zurückgesetzt glaubenXX.47 und keine der Regierung die aufrichtige und beharrliche Unterstützung angedeihen lassen würde, der man jetzt so dringend bedurfte. Se. Majestät müsse sich entschließen, der einen oder der andren den entschiedenen Vorzug zu geben, und es sprächen drei gewichtige Gründe dafür, diesen Vorzug den Whigs zu geben.
Erstens waren die Whigs grundsätzlich der herrschenden Dynastie zugethan. In ihren Augen war die Revolution nicht allein nothwendig, nicht allein gerechtfertigt, sondern sogar ein glückliches und ruhmvolles Ereigniß gewesen. Sie war der Triumph ihrer politischen Theorie gewesen. Als sie Wilhelm Treue schwuren, schwuren sie ohne Skrupel und Hintergedanken; sie waren so weit entfernt davon, seinen Rechtstitel in Frage zu stellen, daß sie ihn für den besten aller Rechtstitel hielten. Die Tories dagegen mißbilligten fast allgemein den Beschluß der Convention, die ihn auf den Thron gesetzt hatte. Einige von ihnen waren im Herzen Jakobiten und hatten ihm den Unterthaneneid blos deshalb geleistet, um ihm besser schaden zu können. Andere glaubten sich zwar verpflichtet, ihm als factischen König zu gehorchen, leugneten aber, daß er rechtmäßiger König sei, und wenn sie auch loyal gegen ihn waren, so waren sie es doch ohne Begeisterung. Es konnte demnach kaum einem Zweifel unterliegen, auf welche von den beiden Parteien er sicherer bauen könne.
Zweitens waren die Whigs bezüglich der speciellen Angelegenheit, an der sein Herz gegenwärtig hing, im Allgemeinen geneigt, ihn kräftig zu unterstützen, die Tories hingegen ihm darin hinderlich zu sein. Die Gemüther beschäftigten sich damals lebhaft mit der Frage, in welcher Weise der Krieg geführt werden müsse. Diese Frage beantworteten die beiden Parteien sehr verschieden. Unter den Tories war seit einigen Monaten die Ansicht zur Geltung gekommen, daß die Politik England’s streng insularisch sein, daß es die Vertheidigung Flanderns und des Rheins den Generalstaaten, dem Hause Oesterreich und den Fürsten des Reichs überlassen, und daß es die Feindseligkeiten zur See energisch fortsetzen, aber nur ein solches Landheer unterhalten müsse, das mit Hülfe der Miliz genügte, um einen Einfall abzuwehren. Es war klar, daß wenn dieses System angenommen wurde, eine sofortige Ermäßigung der so schwer auf der Nation lastenden Steuern eintreten konnte. Aber die Whigs behaupteten, diese Erleichterung werde theuer erkauft werden. Viele tausend tapfere englische Soldaten seien jetzt in Flandern, gleichwohl hätten die Alliirten die Franzosen nicht verhindern können, im Jahre 1691 Mons, 1692 Namur, 1693 Charleroy zu nehmen. Wenn die englischen Truppen zurückgerufen würden, so sei es gewiß, daß Ostende, Gent und Lüttich fallen müßten. Die deutschen Fürsten würden eilen, Jeder für sich Frieden zu schließen. Die spanischen Niederlande würden wahrscheinlich der französischen Monarchie einverleibt werden. Die Vereinigten Provinzen würden wieder eben so gefährdet sein, wie 1672, und würden jede Bedingung annehmen, die es Ludwig gefiele ihnen zu dictiren. Nach wenigen Monaten würde er im Stande sein, seine ganze Kraft gegen unsre Insel aufzubieten und dann würde es einen Kampf auf Leben und Tod geben. Allerdings könne man wohl hoffen, daß wir im Stande sein würden, unsern heimathlichen Boden selbst gegen einen solchen General und eine solche Armee, wie sie die Schlacht bei Landen gewonnen hatten, zu vertheidigen. Aber der Kampf müsse ein langer und schwerer werden. WieXX.48 viele fruchtbare Grafschaften würden in Wüsten verwandelt, wie viele blühende Städte in Asche gelegt werden, bevor man die Eingedrungenen vernichten oder heraustreiben könne! Ein einziger siegreicher Feldzug in Kent oder Middlesex würde mehr zur Verarmung der Nation beitragen, als zehn unglückliche Feldzüge in Brabant. Es ist bemerkenswerth, daß dieser Streit zwischen den beiden großen Parteien siebzig Jahre lang regelmäßig wieder erwachte, so oft unser Land mit Frankreich im Kriege lag. Daß England niemals große militärische Operationen auf dem Festlande unternehmen dürfe, blieb ein Fundamentalartikel des politischen Glaubens der Tories, bis die französische Revolution in ihren Ansichten eine vollständige Aenderung hervorbrachte.[58] Da es Wilhelm’s Hauptzweck war, den Feldzug von 1694 in Flandern mit einem ungeheuern Kraftaufwande zu eröffnen, so war es hinlänglich klar, an wen er sich um Beistand wenden mußte.
Drittens waren die Whigs die stärkere Partei im Parlamente. Die allgemeine Wahl von 1690 war zwar nicht günstig für sie ausgefallen, sie waren einige Zeit die Minorität gewesen; aber seitdem hatten sie fortwährend mehr Boden gewonnen, bildeten jetzt der Zahl nach die volle Hälfte des Unterhauses, und ihre effective Stärke war ihrer Zahl mehr als entsprechend, denn in Energie, Rührigkeit und Disciplin waren sie ihren Gegnern entschieden überlegen. Ihre Organisation war zwar noch nicht so vollkommen, als sie es später wurde, aber sie hatten schon begonnen, eine kleine Schaar ausgezeichnete Männer, welche noch lange nachher unter dem Namen der Junta weit und breit bekannt war, zu Führern anzunehmen. Es giebt vielleicht in der alten wie in der neuen Geschichte kein zweites Beispiel einer solchen Autorität, wie sie dieses Concilium während zwanzig unruhiger Jahre über die Whigpartei ausübte. Die Männer, welche diese Autorität zu den Zeiten Wilhelm’s und Mariens erlangten, behielten sie ohne Unterbrechung in und außer dem Amte bis Georg IV. den Thron bestieg.
Einer dieser Männer war Russell. Von seinem schmachvollen Verkehr mit dem Hofe von Saint-Germains haben wir Beweise, die keinen Zweifel zulassen. Aber diese Beweise kamen erst viele Jahre nach seinem Tode vor die Augen der Welt. Wenn Gerüchte von seiner Schuld circulirten, so waren sie doch nur vag und unwahrscheinlich, sie stützten sich auf keinen Beweis, hatten keinen glaubwürdigen Urheber zum Gewährsmann und durften von seinen Zeitgenossen mit gutem Grunde als jakobitische Verleumdungen betrachtet werden. Ganz gewiß war es hingegen, daß er aus einem erlauchten Hause stammte, das für die Freiheit und die protestantische Religion Großes gethan und viel gelitten hatte, daß er die Einladung vom 30. Juni unterzeichnet, daß er mit dem Befreier bei Torbay gelandet war, daß er im ParlamenteXX.49 bei jeder Gelegenheit als eifriger Whig gesprochen und gestimmt, daß er einen großen Sieg erfochten, daß er sein Vaterland vor einer Invasion bewahrt hatte, und daß, seitdem er die Admiralität verlassen, Alles schlecht gegangen war. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß er unter seiner Partei einen bedeutenden Einfluß hatte.
Aber der größte Mann unter den Mitgliedern der Junta, und in mancher Beziehung der größte Mann jener Zeit war der Lordsiegelbewahrer Somers. Er war gleich ausgezeichnet als Jurist und als Staatsmann, als Redner und als Schriftsteller. Seine Reden sind der Vergessenheit anheimgefallen, seine Staatsschriften aber existiren noch und sind Muster einer eleganten, klaren und würdevollen Beredtsamkeit. Er hatte einen großen Ruf im Hause der Gemeinen hinterlassen, in welchem er vier Jahre lang stets mit Vergnügen gehört worden war, und die whiggistischen Mitglieder betrachteten ihn noch immer als ihr Oberhaupt und hielten ihre Zusammenkünfte noch immer unter seinem Dache. Auf dem hohen Posten, zu dem er unlängst ernannt worden war, hatte er sich so benommen, daß nach wenigen Monaten selbst Parteigeist und Mißgunst aufhörten über seine Erhebung zu murren. Er vereinigte aber auch in der That alle Eigenschaften eines großen Richters in sich, einen regsamen Geist und scharfen Verstand, Fleiß, Rechtschaffenheit, Ausdauer und Milde. Im Rathe verschaffte ihm die gelassene Weisheit, die er in einem Maße besaß, wie man es bei Männern von so lebhaftem Geiste und von so entschiedenen Ansichten selten findet, die Autorität eines Orakels. Nicht minder deutlich zeigte sich die Ueberlegenheit seiner Talente in Privatzirkeln. Der Zauber seiner Unterhaltung wurde noch erhöht durch die Freimüthigkeit, mit der er seine Gedanken von sich gab.[59] Seine gute Laune und seine gute Erziehung verleugneten sich nie. In seinen Geberden, in seinen Mienen und in seiner Stimme sprach sich nur Wohlwollen aus. Seine Humanität war um so bemerkenswerther, als ihm die Natur einen Körper verliehen hatte, mit dem man in der Regel einen mürrischen und reizbaren Character verbunden findet. Sein Leben war eine lange Krankheit; seine Nerven waren schwach, seine Gesichtsfarbe bleich, seine Wangen von frühzeitigen Furchen durchzogen. Gleichwohl konnten seine Feinde nicht behaupten, daß er während seines langen und ruhelosen öffentlichen Lebens nur ein einzigesmal, selbst nicht durch plötzliche HerausforderungXX.50 zu einer mit der milden Würde seines Characters unvereinbaren Heftigkeit gereizt worden wäre. Sie konnten nur behaupten, daß sein Wesen bei weitem nicht so sanft sei als die Welt glaube, daß er in Wirklichkeit zu heftigen Leidenschaften geneigt sei und daß zuweilen, während seine Stimme sanft und seine Worte freundlich und artig seien, seine schwächliche Gestalt vor unterdrückter Aufregung in ein fast convulsivisches Zittern gerathe. Man wird vielleicht der Ansicht sein, daß dieser Vorwurf gerade der höchste Lobspruch war.
Die gebildetsten Männer jener Zeit haben uns gesagt, daß es kaum etwas gab, worüber Somers nicht belehrend und unterhaltend hätte sprechen können. Er war nie gereist, und ein Engländer, der nicht gereist war, galt damals in der Regel nicht für befähigt, über Werke der Kunst ein Urtheil abzugeben. Aber gründliche Kenner der Meisterwerke des Vatikans und der florentinischen Galerie gestanden zu, daß Somers’ Geschmack in der Malerei und Sculptur ganz vorzüglich war. Die Philologie war eines seiner Lieblingsstudien. Er hatte das ganze große Gebiet der alten und neuen Belletristik durchwandert. Er war zu gleicher Zeit ein freigebiger und ein streng unterscheidender Beschützer des Genies und des Wissens. Locke verdankte Somers Wohlstand. Durch Somers wurde Addison aus der Zelle eines Collegiums ans Licht gezogen. In fernen Ländern nannten große Gelehrte und Dichter, die sein Antlitz nie gesehen, den Namen Somers mit Achtung und Dankbarkeit. Er war der Wohlthäter Leclerc’s und der Freund Filicaja’s. Weder politische noch religiöse Meinungsverschiedenheiten hielten ihn ab, dem Talent seinen mächtigen Schutz angedeihen zu lassen. Hikes, der heftigste und intoleranteste aller Eidverweigerer, erhielt durch Somers’ Verwendung die Erlaubniß, die teutonischen Alterthümer in gemächlicher Freiheit zu studiren. Vertue, ein strenger Katholik, wurde durch Somers scharfblickende und freigebige Gönnerschaft aus Armuth und Dunkelheit zum ersten Range unter den Kupferstechern seiner Zeit erhoben.
Die Großmuth, mit welcher Somers seine Gegner behandelte, gereichte ihm zu um so größerer Ehre, weil er in seinen politischen Ansichten nicht hin und her schwankte. Vom Anfang bis zum Ende seines öffentlichen Lebens war er ein standhafter Whig. Er erhob zwar stets, wenn seine Partei im Staate die Oberhand hatte, seine Stimme gegen gewaltthätige und rachsüchtige Maßregeln, aber er verließ seine Freunde nie. Selbst als ihre thörichte Nichtachtung seines Rathes sie an den Rand des Verderbens gebracht hatte.
Seine natürlichen Geistesgaben und seine erworbenen Kenntnisse wurden selbst von seinen Verleumdern nicht geleugnet. Die hämischsten Tories mußten mit einem unwilligen Murren, das den Werth ihres Lobes noch erhöhte, zugeben, daß er alle geistigen Eigenschaften eines großen Mannes besaß und daß von allen seinen Zeitgenossen in ihm allein glänzende Beredtsamkeit und Witz mit der ruhigen und stetigen Besonnenheit vereinigt gefunden wurden, welche den Erfolg im Leben sichern. Es ist ein bemerkenswerther Umstand, daß er in dem schamlosesten der vielen Libelle, welche gegen ihn erschienen, unter dem Namen Cicero geschmäht wird. Da seine Talente nicht in Zweifel gestellt werden konnten, so beschuldigte man ihn der Irreligiosität und Unmoralität. Daß er heterodox sei, glaubten alle Landvikare und fuchsjagenden Squires fest; aber bezüglich der Natur und Ausdehnung seiner Heterodoxie waren die Meinungen sehrXX.51 verschieden. Er scheint ein Niederkirchlicher von der Schule Tillotson’s gewesen zu sein, den er stets liebte und verehrte, und er wurde wie dieser von den Bigotten ein Presbyterianer, ein Arianer, ein Socinianer, ein Deist und ein Atheist genannt.
Das Privatleben dieses großen Staatsmannes und Richters wurde boshaft untersucht und Geschichten über seinen ausschweifenden Wandel erzählt, die sich fort und fort vergrößerten, bis sie selbst für die Leichtgläubigkeit des Parteigeistes zu abgeschmackt wurden. Endlich, nachdem er schon längst zu Flanell und Hühnerbrühe verurtheilt war, ließ eine schamlose Courtisane, die ihn wahrscheinlich nie anderwärts als in der Prosceniumsloge im Theater gesehen hatte, wenn sie unten maskirt ihrem Gewerbe nachging, ein Libell erscheinen, in welchem sie ihn als den Gebieter eines kostspieligeren Harems schilderte, als ihn der Großsultan besitze. Man hat indeß Grund zu glauben, daß ein kleiner Wahrheitskern vorhanden war, an den sich diese große Masse von Erdichtungen ansetzte, und daß die Weisheit und Selbstbeherrschung, woran es Somers im Senate, auf dem Richterstuhle, in der Rathsversammlung oder in der Gesellschaft von Schöngeistern, Gelehrten und Philosophen nie fehlte, ihn für weibliche Reize nicht ganz unempfänglich machten.[60]
Ein andrer Führer der Whigpartei war Karl Montague. Er wurde oft, nachdem er sich zu Macht, Ehren und Reichthümern erhoben hatte, von denen, die seinen Erfolg beneideten, ein Emporkömmling genannt. Daß sie ihn so nannten, darf uns mit Recht Wunder nehmen, denn nur wenige von den Staatsmännern seiner Zeit konnten einen Stammbaum aufweisen wie der seinige. Er stammte aus einer Familie, die so alt war wie die Eroberung; er hatte Anwartschaft auf den Earlstitel und war väterlicherseits der Vetter dreier Earls. Aber er war der jüngere Sohn eines jüngeren Bruders, und diese Phrase war von jeher seit der Zeit Shakespeare’s und Raleigh’s, und vielleicht schon vor ihrer Zeit sprichwörtlich, um einen Mann zu bezeichnen, der so arm war, daß er zu der niedrigsten Dienstbarkeit verurtheilt oder zu dem verzweifeltsten Abenteuer bereit war.
Karl Montague wurde frühzeitig für den geistlichen Beruf bestimmt, in die Schule zu Westminster aufgenommen und nachdem er sich hier durch seine Geschicklichkeit im lateinischen Versbau ausgezeichnet, nach Cambridge in das Trinity College geschickt. In Cambridge war die Philosophie Des Cartes’ noch immer in den Schulen vorherrschend. Aber einige wenigeXX.52 hervorragende Geister hatten sich von dem großen Haufen getrennt und bildeten ein geziemendes Auditorium um einen weit größeren Lehrer.[61] Unter den vielversprechenden Jünglingen, welche stolz darauf waren, zu den Füßen Newton’s zu sitzen, zeichnete sich der geistreiche und vielseitige Montague aus. Unter einer solchen Leitung machte der junge Student bedeutende Fortschritte in den ernsten Wissenschaften; aber die Poesie war sein Lieblingsstudium, und wenn die Universität ihre Söhne aufforderte, königliche Vermählungen und Leichenbegängnisse zu besingen, wurde es allgemein anerkannt, daß er seine Mitbewerber übertroffen habe. Sein Ruf drang bis nach London, er galt unter den Schöngeistern, welche bei Will ihre Zusammenkünfte hielten, für einen geistreichen jungen Mann, und die reizende Parodie, die er in Gemeinschaft mit seinem Freunde und Studiengenossen Prior auf Dryden’s Hind and Panther schrieb, wurde mit großem Beifall aufgenommen.
Zu dieser Zeit waren alle Wünsche Montague’s auf die Kirche gerichtet. Späterhin, als er ein Peer mit zwölftausend Pfund jährlicher Einkünfte war, als seine Villa an der Themse für den prächtigsten aller Wohnsitze galt, als man von ihm sagte, daß er in Tokaier aus den kaiserlichen Kellern und in Suppen schwelge, die aus ostindischen Vogelnestern bereitet seien, von denen das Stück drei Guineen koste, machte es seinen Feinden Vergnügen, ihn daran zu erinnern, daß es eine Zeit gegeben, wo er sein Einkommen durch literarische Arbeiten auf nicht mehr als fünfzig Pfund gebracht, wo er sich glücklich geschätzt habe, wenn er ein Stück Hammelfleisch und eine Flasche Ale aus den Kellern des Collegiums gehabt, und wo ein Zehntenferkel der größte Luxus gewesen sei, auf den er zu hoffen gewagt habe. Die Revolution kam und gab seinem ganzen Lebensplan eine andre Gestalt. Durch den Einfluß Dorset’s, der ein besonderes Vergnügen daran fand, sich vielversprechender junger Leute anzunehmen, erlangte er einen Sitz im Hause der Gemeinen. Der unbemittelte Gelehrte schwankte jedoch noch immer einige Monate lang zwischen der Politik und der Theologie. Allein es zeigte sich bald deutlich, daß unter der neuen Ordnung der Dinge parlamentarische Geschicklichkeit einen höheren Lohn erzielen müsse als jede andre Geschicklichkeit, und er fühlte, daß ihm in der parlamentarischen Geschicklichkeit Keiner überlegen sei. Er befand sich in der Stellung, zu der ihn die Natur ganz vorzüglich befähigt hatte, und einige Jahre hindurch war sein Leben eine Reihe von Triumphen.
Von ihm, wie von mehreren anderen seiner Zeitgenossen, insbesondere von Mulgrave und Sprat, kann man sagen, daß sein Ruhm durch die Thorheit der Verleger beeinträchtigt worden ist, welche bis auf unsre Zeit darin beharrt haben, seine Verse unter den Werken der britischen Dichter drucken zu lassen. Es vergeht kein Jahr, in welchem nicht Hunderte von Versen, die so gut sind als alle, die er je geschrieben, behufs der Bewerbung um den Newdigate-Preis zu Oxford oder um die Kanzler-Medaille zu Cambridge eingesandt würden. Sein Geist besaß allerdings große Schärfe und Kraft, aber nicht diejenige Schärfe und Kraft, welche große Dramen oder Oden producirt, und man thut ihm sehr Unrecht, wenn man seinen Man of Honour und seine Epistle on the Battle of the Boyne demXX.53 Comus und Alexander’s Feast zur Seite stellt. Andere ausgezeichnete Staatsmänner, wie Walpole, Pulteney, Chatham, Fox, schrieben Verse, die nicht besser waren als die seinigen. Aber zum Glück für sie wurden ihre metrischen Werke nie für würdig gehalten, in eine Sammlung unserer nationalen Klassiker aufgenommen zu werden.
Es ist seit langer Zeit gebräuchlich, die Phantasie in der Gestalt eines Flügels darzustellen und die gelungenen Aeußerungen der Phantasie Flüge zu nennen. Der eine Dichter ist ein Adler, der andre ein Schwan, der dritte vergleicht sich bescheidentlich mit der Biene. Aber keine dieser bildlichen Bezeichnungen würde auf Montague gepaßt haben. Man kann sein Genie mit dem Flügel vergleichen, der zwar zu schwach ist, den Strauß in die Lüfte zu erheben, ihn aber in den Stand setzt, während er auf der Erde bleibt, Hund, Pferd und Dromedar zu überholen. Wenn ein Mann, der diese Art Genie besitzt, den Himmel der Erfindung zu ersteigen versucht, so macht er sich durch seine mühsamen und erfolglosen Anstrengungen lächerlich. Wenn er sich aber damit begnügt, in der irdischen Thätigkeitssphäre zu bleiben, so wird er finden, daß die Fähigkeiten, die ihn nicht in den Stand setzen würden, sich in eine höhere Sphäre emporzuschwingen, es ihm möglich machen, in der niederen alle seine Rivalen hinter sich zu lassen. Als Dichter hätte Montague sich niemals über die Gewöhnlichkeit erheben können. Im Hause der Gemeinen aber, das jetzt rasch die höchste Behörde im Staate wurde und seine Gewalt über einen Zweig der ausübenden Verwaltung nach dem andren ausdehnte, erlangte der junge Glücksritter bald eine ganz andre Stellung, als die, welche er unter den Literaten einnimmt. In seinem dreißigsten Jahre würde er mit Freuden alle seine Lebensaussichten für ein anständiges Vikariat und ein Kaplansmäntelchen hingegeben haben. Mit siebenunddreißig Jahren war er erster Lord des Schatzes, Kanzler der Schatzkammer und Mitglied des Regentschaftsrathes des Königreichs, und diese hohe Stellung verdankte er keineswegs der Gunst, sondern lediglich der unbestreitbaren Ueberlegenheit seiner Talente für die Verwaltung und für die Debatte.
Die außerordentliche Geschicklichkeit, mit der er zu Anfang des Jahres 1692 die Conferenz über die Bill zur Regulirung des Prozeßverfahrens in Hochverrathsfällen leitete, stellte ihn mit einem Male in die erste Reihe der parlamentarischen Redner. Er stand bei dieser Gelegenheit einer Menge erfahrener, durch ihre Beredtsamkeit berühmter Senatoren, wie Halifax, Rochester, Nottingham und Mulgrave gegenüber, und er erwies sich als ihnen allen ebenbürtig. Nicht lange so erhielt er einen Sitz im Schatzamte, und hier gewahrte der scharfsinnige und erfahrene Godolphin bald, daß sein junger College sein Meister war. Als Somers das Haus der Gemeinen verlassen, hatte Montague keinen Nebenbuhler mehr darin. Sir Thomas Littleton, einst als der gewandteste Redner und Geschäftsmann unter den whiggistischen Mitgliedern ausgezeichnet, begnügte sich, unter seinem jüngeren Collegen zu dienen. Noch heute können wir in vielen Zweigen unsres Finanz- und Handelssystems Spuren von Montague’s scharfem Verstande und kühnem Geiste erkennen. Seine bittersten Feinde konnten nicht leugnen, daß einige von den Auskunftsmitteln, die er vorgeschlagen, sich als höchst wohlthätig für die Nation erwiesen hatten. Aber es wurde behauptet, diese Auskunftsmittel seien nicht in seinem eignen Kopfe entstanden. In hundert Pamphlets wurde er die Krähe mit geborgten Federn genannt. Er habe, versicherte man, die Idee zu jedemXX.54 seiner großen Pläne aus den Schriften oder Reden eines genialen Theoretikers entlehnt. Dieser Vorwurf war eigentlich gar kein Vorwurf. Wir dürfen wohl kaum erwarten, in einem und demselben menschlichen Wesen die Talente, welche nöthig sind, um neue Erfindungen in der Staatswissenschaft zu machen, mit den Talenten gepaart zu finden, welche von zahlreichen und tumultuarischen Versammlungen die Zustimmung zu großen praktischen Reformen erlangen. Zu gleicher Zeit ein Adam Smith und ein Pitt zu sein, ist fast unmöglich. Es ist gewiß des Lobenswerthen genug bei einem thätigen Staatsmanne, wenn er die Theorien Anderer anzuwenden versteht, wenn er unter den Plänen zahlloser Projectenmacher gerade denjenigen herausfindet, der gebraucht wird und ausführbar ist, wenn er ihm eine solche Gestalt zu geben weiß, daß er dem Drange der Umstände und den Launen des Volks entspricht, wenn er ihn gerade in dem Augenblicke vorschlägt, wo er die meiste Aussicht hat, günstig aufgenommen zu werden, wenn er ihn siegreich gegen alle Widersacher vertheidigt, und wenn er ihn mit Umsicht und Energie ins Werk setzt, und auf dieses Lob hat kein englischer Staatsmann begründeteren Anspruch als Montague.
Es ist ein schlagender Beweis von seiner Selbstkenntniß, daß er von dem Augenblicke an, wo er sich im öffentlichen Leben auszuzeichnen begann, aufhörte ein Versemacher zu sein. Nachdem er Lord des Schatzes geworden war, scheint er kein einziges Couplet mehr geschrieben zu haben, mit Ausnahme einiger gut abgefaßter Zeilen als Inschriften auf eine Anzahl Trinkspruchgläser, welche den berühmtesten Whigschönheiten seiner Zeit verehrt wurden. Er beschloß wohlweislich, aus den Dichtungen Anderer einen Ruhm zu schöpfen, den er aus seinen eigenen nie geschöpft haben würde. Als Beschützer des Genies und der Gelehrsamkeit steht er auf gleicher Stufe mit seinen beiden berühmten Freunden, Dorset und Somers. Seine Freigebigkeit kam der ihrigen völlig gleich, und wenn er ihnen auch in der Feinheit des Geschmacks nachstand, so gelang es ihm doch, seinen Namen untrennbar mit einigen Namen zu verknüpfen, welche so lange dauern werden wie unsre Sprache.
Es muß jedoch auch zugegeben werden, daß Montague neben glänzenden Talenten und vielen Ansprüchen auf die Dankbarkeit seines Vaterlandes große Fehler besaß und leider Fehler nicht von der edelsten Art. Sein Kopf war nicht stark genug, um die hastige Eile seines Emporsteigens und die Höhe seiner Stellung ohne Schwindelanfälle zu ertragen. Er wurde widerlich anmaßend und eitel. Er war nur zu oft kalt gegen seine alten Freunde und prahlte nur zu gern mit seinen neuerworbenen Reichthümern. Vor Allem war er unersättlich nach Lob und es gefiel ihm um so besser, je plumper und übertriebener es war. Im Jahre 1693 waren jedoch diese Fehler noch nicht so schreiend, als sie es einige Jahre später wurden.
Mit Russell, Somers und Montague war ein Vierteljahrhundert lang ein vierter Whig eng verbunden, der im Character mit keinem von ihnen große Aehnlichkeit hatte. Dies war Thomas Wharton, der älteste Sohn Philipp’s, Lord Wharton. Thomas Wharton ist im Laufe dieser Erzählung schon häufig genannt worden; aber es ist jetzt Zeit ihn ausführlicher zu schildern. Er stand in seinem siebenundvierzigsten Jahre, war aber in Bezug auf Körperconstitution, Aussehen und Manieren noch ein junger Mann. Selbst Diejenigen, die ihn am gründlichstenXX.55 haßten — und Niemand wurde gründlicher gehaßt — räumten ein, daß seine natürlichen Anlagen vortrefflich und daß er zum Reden wie zum Handeln in gleichem Grade befähigt sei. Sein Rang und seine Talente machten ihn zu einer so hervorragenden Persönlichkeit, daß wir an ihm den Ursprung und das Fortschreiten einer moralischen Verderbtheit, die unter seinen Zeitgenossen epidemisch war, deutlich zu erkennen vermögen.
Er war in den Tagen des Covenants geboren und war der Erbe eines dem Covenant angehörenden Hauses. Sein Vater war als ein Verbreiter calvinistischer Schriften und als ein Beschützer der calvinistischen Geistlichen bekannt. Seine ersten Knabenjahre brachte er unter Genfer Kragen, schlichten Haartouren, verdrehten Augen, näselndem Psalmengesange und dreistündigen Predigten zu. Schauspiele und Gedichte, Jagd und Tanz waren durch die strenge Hausordnung seiner frommen Familie verdammt. Die Früchte dieser Erziehung traten zu Tage, als der heißblütige und geistvolle junge Patrizier das düstere Haus seiner puritanischen Eltern mit dem heiteren und üppigen London der Restauration vertauschte. Die ausschweifendsten Cavaliere schauderten über die Ausschweifung des emancipirten Rigoristen. Er erwarb sich frühzeitig den Ruf, der größte Wüstling in England zu sein und behauptete diesen Ruf bis an sein Ende. Der Sklave des Weines wurde er zwar nie und er bediente sich desselben hauptsächlich nur zu dem Zwecke, um sich zum Beherrscher seiner Genossen zu machen. Aber bis an das Ende seines Lebens waren die Frauen und Töchter seiner nächsten Freunde nicht sicher vor seinen unzüchtigen Plänen. Die Unsittlichkeit seiner Unterhaltung erregte selbst zur damaligen Zeit Erstaunen. Der Religion seines Vaterlandes fügte er aus bloßem gottlosen Muthwillen Beleidigungen zu, die zu empörend sind, als daß man sie näher bezeichnen könnte. Seine Lügenhaftigkeit und seine Frechheit wurden sprichwörtlich. Von allen Lügnern seiner Zeit log er am gewandtesten, am erfinderischsten und am umständlichsten. Den Begriff Scham schien er gar nicht zu kennen. Kein Vorwurf, mochte auch der beißendste Witz ihn geschärft und gespitzt haben, schien einen Eindruck auf ihn zu machen. Große Satyriker, die von bitterem persönlichen Hasse gegen ihn beseelt waren, erschöpften ihre ganze Kraft in Angriffen auf ihn. Sie überhäuften ihn mit heftigen Schmähungen und mit noch heftigeren Verhöhnungen; aber sie überzeugten sich, daß weder Schmähungen noch Hohn ihm mehr als ein ungezwungenes Lächeln oder einen scherzhaften Fluch entlocken konnten, und sie warfen endlich die Peitschen fort und gaben zu, daß es unmöglich sei, ihm Gefühl beizubringen. Daß er bei solchen Fehlern eine große Rolle im Leben spielen, bei zahlreichen Wahlen durch seine persönliche Popularität über die furchtbarsten Gegner siegen, einen starken Anhang im Parlamente haben und sich zu den höchsten Staatsämtern emporschwingen konnte, scheint unbegreiflich. Aber er lebte zu einer Zeit, wo der Parteigeist fast an Wahnsinn grenzte und er besaß in seltenem Grade die Eigenschaften eines Parteiführers. Ein einziges Band gab es, das er achtete. In allen Beziehungen bis auf eine der falscheste Mensch von der Welt, war er der treueste aller Whigs. Den religiösen Ansichten seiner Familie hatte er schon frühzeitig mit Verachtung entsagt; den politischen Meinungen seiner Familie aber blieb er durch alle Versuchungen und Gefahren eines halben Jahrhunderts treu. In kleinen wie in großen Dingen zeigte sich beständig seine Hingebung für seine Partei. Er besaß das schönste Gestüt in England und es war sein größtes Vergnügen, WettenXX.56 gegen Tories zu gewinnen. Zuweilen, wenn man in einer entfernten Grafschaft zuversichtlich erwartete, daß das Pferd eines hochkirchlichen Squires das erste auf der Rennbahn sein werde, kam noch am Vorabend des Rennens Wharton’s Careleß, der in Newmarket nur aus Mangel an Mitbewerbern zu rennen aufgehört, oder Wharton’s Gelding an, für den Ludwig XIV. vergebens tausend Pistolen geboten hatte. Ein Mann, dessen bloßes Sportvergnügen von dieser Art war, gab wenig Hoffnung, auch in einem ernsten Kampfe leicht geschlagen zu werden. Einen solchen Meister in der ganzen Kunst der Wahlumtriebe hatte England noch nie gesehen. Buckinghamshire war seine specielle Provinz, und dort herrschte er ohne Nebenbuhler. Aber seine Fürsorge erstreckte sich auch auf die whiggistischen Interessen von Yorkshire, Cumberland, Westmoreland und Wiltshire. Zuweilen waren zwanzig, ja dreißig Parlamentsmitglieder von ihm ernannt. Als Stimmenwerber war er unwiderstehlich. Er vergaß nie ein Gesicht, das er einmal gesehen hatte. Ja in den Städten, in denen er seinen Einfluß zu befestigen wünschte, erinnerte er sich nicht allein der Wähler, sondern auch ihrer Familien. Seine Gegner erstaunten über die Stärke seines Gedächtnisses und über die Leutseligkeit seines Benehmens und gaben zu, daß es unmöglich sei gegen einen vornehmen Mann zu kämpfen, der den Schuhmacher bei seinem Taufnamen nannte, der gewiß war, daß des Fleischers Tochter zu einem schönen Mädchen herangewachsen sei und der sich angelegentlich danach erkundigte, ob des Hufschmieds jüngster Bube Hosen bekommen habe. Durch derartige Kunstgriffe machte er sich so beliebt, daß seine Reisen zu den Quartalsitzungen von Buckinghamshire königlichen Lustreisen glichen. In jedem Dorfe, durch das er kam, wurden die Glocken geläutet und ihm Blumen gestreut. Man glaubte allgemein, daß er im Laufe seines Lebens auf seine parlamentarischen Interessen nicht weniger als achtzigtausend Pfund verwendet habe, eine Summe, die nach Verhältniß des Werthes des Grundbesitzes dreimalhunderttausend Pfund in unsrer Zeit gleichkommend betrachtet werden muß.
Der wichtigste Dienst, den Wharton der Whigpartei leistete, bestand jedoch im Anwerben von Rekruten aus der jungen Aristokratie. Er war ein eben so geschickter Stimmenwerber unter den gestickten Röcken im Saint James-Kaffeehause, wie unter den Schurzfellen zu Wycombe und Aylesbury. Er warf sein Auge auf jeden jungen Mann von Stande, der majorenn wurde, und es war für einen solchen jungen Mann nicht leicht, den Kunstgriffen eines vornehmen, beredtsamen und reichen Schmeichlers zu widerstehen, der jugendliche Lebhaftigkeit mit großer Verschlagenheit und langjähriger Erfahrung in den eleganten Gesellschaftskreisen verband. Es war gleichgültig, was der Novize vorzog, ob die Galanterie oder die Sportvergnügungen, den Würfelbecher oder die Flasche; Wharton entdeckte sehr bald die vorherrschende Leidenschaft, bot Theilnahme, Rath und Beistand an, und während er nur der Diener der Vergnügungen seines Schülers zu sein schien, sicherte er sich die Stimme desselben.
Die Partei, deren Interessen Wharton mit so viel Muth und Beständigkeit seine Zeit, sein Vermögen, seine Talente und selbst seine Laster widmete, beurtheilte ihn, was auch sehr natürlich war, viel zu nachsichtig. Er war weit und breit unter dem ganz unverdienten Namen des ehrlichen Tom bekannt. Einige fromme Männer, zum Beispiel Burnet und Addison, drückten ein Auge zu über das Aergerniß, das er gab, und sprachen wenn auch nicht mit Achtung, so doch mit Wohlwollen von ihm. Ein höchstXX.57 geistreicher und gebildeter Whig, der dritte Earl von Shaftesbury, Verfasser der „Characteristiken”, nannte Wharton den räthselhaftesten aller Menschen, ein seltsames Gemisch des Besten und Schlimmsten, privater Sittenlosigkeit und öffentlicher Tugend, und gestand offen, daß er nicht begreifen könne, wie ein in jeder Beziehung, außer in der Politik, völlig grundsatzloser Mensch in der Politik treu wie Stahl sein konnte. Doch gerade das was in den Augen der einen Partei Wharton’s Fehler mehr als zur Hälfte ausglich, schien sie in den Augen der andren Partei sämmtlich zu erschweren. Die Meinung, welche die Tories von ihm hatten, ist in einer einzigen Zeile ausgedrückt, die der talentvollste Mann dieser Partei nach seinem Tode schrieb: „Er war der universellste Schurke, den ich je kennen gelernt habe.”[62] Wharton’s politische Gegner lechzten nach seinem Blute und machten wiederholte Versuche es zu vergießen. Wäre er nicht ein Mann von unerschütterlicher Kaltblütigkeit, von unerschrockenem Bluthe und von vollendeter Fertigkeit in Führung der Waffen gewesen, so würde er kein hohes Alter erreicht haben. Aber weder Zorn noch Gefahr beraubten ihn jemals seiner Geistesgegenwart; er war ein unvergleichlicher Fechter, und er besaß eine besondere Geschicklichkeit darin, Gegner zu entwaffnen, die alle Duellanten seiner Zeit beneideten. Seine Freunde sagten, er habe nie Jemanden zum Zweikampfe herausgefordert, habe nie eine Herausforderung zurückgewiesen, habe nie einen Gegner getödtet und habe sich doch nie geschlagen, ohne das Leben seines Gegners in seinen Händen zu haben.[63]
Die vier Männer, welche ich hier geschildert habe, glichen einander so wenig, daß man sich wundern muß, wie sie jemals in Uebereinstimmung mit einander handeln konnten. Gleichwohl handelten sie viele Jahre lang in vollkommenster Uebereinstimmung. Sie stiegen mehr als ein Mal und fielen mehr als ein Mal zusammen. Aber ihre Einigkeit dauerte so lange, bis der Tod sie löste. So wenig Achtung einige von ihnen verdienten, keinen von ihnen kann man beschuldigen, daß er gegen seine Brüder von der Junta falsch gewesen wäre.
Während die große Masse der Whigs unter diesen gewandten Führern in einer Ordnung kämpfte, welche der einer regulären Armee glich, befanden sich die Tories in dem Zustande einer schlecht eingeübten und einer schlecht commandirten Miliz. Sie waren zahlreich und auch von Eifer beseelt; aber man kann kaum sagen, daß sie damals ein Oberhaupt im Hause der Gemeinen gehabt hätten. Der Name Seymour hatte einst in hohem Ansehen bei ihnen gestanden und er hatte seinen Einfluß noch nicht ganz verloren. Aber seitdem er im Schatzamte gesessen, hatte er es mit ihnen verdorben, indem er Alles was er früher, als er noch nicht im Amte war, heftig angegriffen hatte, heftig vertheidigte. Sie hatten auch einmal auf den Sprecher Trevor ihr Augenmerk gerichtet, aber seine Habgier, Schamlosigkeit und Feilheit waren jetzt so notorisch, daß alle achtbaren Gentlemen jeder politischen Farbe sich schämten, ihn auf dem Präsidentenstuhle zu sehen. Von den alten toryistischenXX.58 Mitgliedern hatte nur Sir Christoph Musgrave großes Gewicht. Die wirklichen Führer der Partei waren eigentlich zwei oder drei Männer, welche in Grundsätzen erzogen waren, die dem Toryismus direct entgegengesetzt waren, Männer, die den Whiggismus bis an den Rand des Republikanismus getrieben und die nicht nur für Niederkirchliche, sondern für mehr als halbe Presbyterianer gegolten hatten. Die ausgezeichnetsten von diesen Männern waren zwei angesehene Squires aus Herefordshire: Robert Harley und Paul Foley.
Der Raum, den Robert Harley in der Geschichte dreier Regierungen ausfüllt, seine Erhebung, sein Sturz, der Einfluß, den er in einer wichtigen Krisis auf die Politik von ganz Europa ausübte, die intime Freundschaft, in der er mit einigen der größten Schriftsteller und Dichter seiner Zeit lebte, und das häufige Vorkommen seines Namens in den Werken Swift’s, Pope’s, Arbuthnot’s und Prior’s müssen ihn jederzeit zu einer interessanten Persönlichkeit machen. Der Mann selbst war jedoch der uninteressanteste, den es geben konnte. Es ist in der That ein merkwürdiger Contrast zwischen den ganz gewöhnlichen Eigenschaften seines Geistes und den ganz außerordentlichen Wechselfällen seines Lebens.
Er war der Erbe einer puritanischen Familie. Sein Vater, Sir Eduard Harley, hatte sich unter den Patrioten des Langen Parlaments einen Namen gemacht, hatte unter Essex ein Regiment commandirt, war nach der Restauration ein thätiger Widersacher des Hofes gewesen, hatte die Exclusionsbill unterstützt, hatte dissentirende Prediger beherbergt, Bethäuser besucht und sich bei den herrschenden Gewalten so verhaßt gemacht, daß er zur Zeit des Aufstandes im Westen verhaftet und sein Haus nach Waffen durchsucht worden war. Als die holländische Armee von Torbay nach London marschirte, erklärten er und sein ältester Sohn Robert sich für den Prinzen von Oranien und für ein freies Parlament, organisirten einen starken Reitertrupp, nahmen Besitz von Worcester und bewiesen ihren Eifer gegen den Papismus, indem sie in der High Street dieser Stadt öffentlich ein Werk der Sculptur zerbrachen, das strengen Rigoristen götzendienerisch dünkte. Bald nachdem die Convention in ein Parlament verwandelt worden war, wurde Robert Harley als Abgeordneter für den Wahlbezirk Cornwall nach Westminster geschickt. Sein Verhalten war so, wie es sich von seiner Geburt und Erziehung erwarten ließ. Er war ein Whig und sogar ein intoleranter und rachsüchtiger Whig. Nichts konnte ihn zufriedenstellen als eine allgemeine Proscription der Tories. Sein Name figurirt in der Liste derjenigen Mitglieder, welche für die Sacheverell’sche Klausel stimmten, und bei der allgemeinen Wahl, die im Frühjahr 1690 stattfand, bot die Partei die er verfolgt hatte, Alles auf, um ihn nicht ins Haus der Gemeinen zu lassen. Die Harley wurden als Todfeinde der Kirche bezeichnet, und dies machte einen solchen Eindruck, daß beinahe keiner von ihnen einen Sitz erlangt hätte. Dies war der Anfang der politischen Laufbahn eines Mannes, dessen Name ein Vierteljahrhundert später in den Acclamationen jakobitischer Volkshaufen unzertrennlich mit der Hochkirche verbunden war.[64]
XX.59 Bald jedoch begann man zu bemerken, daß bei jeder Abstimmung Harley mit denjenigen Gentlemen stimmte, die seine politischen Ansichten verabscheuten, und dies war nichts Wunderbares, denn er spielte die Rolle eines Whigs vom alten Schlage, und vor der Revolution dachte man sich einen Whig immer als einen Mann, der eifersüchtig jede Ausübung der Prärogative bewachte, der die Schnüre der öffentlichen Börse nur ungern löste und der eifrig alle Fehler der Minister der Krone aufstach. Ein solcher Whig erklärte Harley noch immer zu sein. Er gab nicht zu, daß der neuerliche Wechsel der Dynastie irgend etwas in den Pflichten eines Volksvertreters geändert habe. Die neue Regierung müsse eben so argwöhnisch beobachtet, eben so streng gezügelt und eben so spärlich mit Geld versehen werden als die alte. Da er nach solchen Grundsätzen wirkte, sah er sich natürlich mit Männern zusammenwirken, deren Grundsätze den seinigen direct entgegengesetzt waren. Er legte dem Könige gern Hindernisse in den Weg; sie legten dem Usurpator gern Hindernisse in den Weg, und die Folge davon war, daß, so oft sich eine Gelegenheit bot, Wilhelm Hindernisse in den Weg zu legen, der Rundkopf in Gesellschaft der ganzen Schaar der Cavaliere entweder im Hause blieb oder in die Vorhalle hinausging.
Bald erwarb sich Harley die Autorität eines Führers unter Denen, mit denen er trotz großer Meinungsverschiedenheiten gewöhnlich stimmte. Sein Einfluß im Parlamente stand eigentlich in gar keinem Verhältniß zu seinen Fähigkeiten. Sein Verstand war sowohl beschränkt als schwerfällig. Er war nicht im Stande, eine umfassende Ansicht von einem Gegenstande zu gewinnen. Nie brachte er es dahin, sich öffentlich mit Geläufigkeit und Klarheit auszudrücken. Bis ans Ende seines Lebens blieb er ein langweiliger, unsicherer und verworrener Redner.[65] Auch besaß er keine der äußeren Vorzüge eines Redners. Seine Gesichtszüge waren unregelmäßig, seine Gestalt klein und etwas verwachsen, und seine Geberden plump. Gleichwohl wurde er mit Achtung angehört, denn er hatte seinen Geist so wie er war, sorgfältig ausgebildet. Er hatte in seiner Jugend fleißig studirt und bis an sein Ende liebte er Bücher und den Umgang mit geistreichen und gebildeten Leuten. Er strebte sogar selbst nach dem Rufe eines Schöngeistes und Dichters und verwendete zuweilen Stunden, die er viel nützlicher hätte verwenden können, auf die Verfertigung von Versen, abscheulicher als die des Nachtwächters.[66] Doch verschwendete er seine Zeit nicht immer so unnütz. Er besaß die Art von Fleiß und die Art von Genauigkeit, die ihn zu einem respectablen Alterthumsforscher oder Wappenkundigen gemacht haben würden. Er fand Vergnügen daran, alte Acten zu durchstöbern, und damals konnte man sich nur durch das StöbernXX.60 in alten Acten eine gründliche und umfassende Kenntniß des Parlamentsrechtes erwerben. Da er in diesem mühsamen und trocknen Studium wenig Rivalen hatte, so wurde er bald in Bezug auf Form- und Privilegiumsfragen als ein Orakel betrachtet. Sein moralischer Character trug nicht wenig zur Vermehrung seines Einflusses bei. Er hatte zwar große Fehler, aber sie waren von keiner entehrenden Art. Er war nicht durch Geld zu bestechen. Sein Privatleben war regelmäßig, und selbst Satyriker haben ihm kein unerlaubtes Liebesverhältniß vorgeworfen. Das Spiel haßte er, und er soll bei White’s Kaffeehause, damals dem Lieblingsaufenthalte der vornehmen Gauner und Gimpel, nie ohne eine Aeußerung des Unwillens vorübergegangen sein. Seine Gewohnheit, sich täglich im Claret zu benebeln, wurde von seinen Zeitgenossen kaum als ein Fehler angesehen. Seine Kenntnisse, sein Ernst und seine unabhängige Stellung gewannen ihm das Ohr des Hauses, und gerade sein schlechter Vortrag war gewissermaßen ein Vortheil für ihn. Denn die Menschen geben sehr ungern zu, daß ein und derselbe Mann ganz verschiedene Vorzüge in sich vereinigen kann. Es ist eine Beruhigung für den Neid, zu glauben, was glänzend ist, könne nicht gediegen sein, und was klar ist, könne nicht tief sein. Nur sehr langsam wurde das Publikum zu der Erkenntniß gebracht, daß Mansfeld ein großer Jurist und Burke ein großer Meister der Staatswissenschaft sei. Montague war ein glänzender Redner, und daher wurde er, obgleich er sich zehnmal besser als Harley für die trockensten Geschäftszweige eignete, von seinen Verleumdern als ein oberflächlicher, geschwätziger, dünkelhafter Mensch dargestellt. Dagegen schlossen viele Leute aus dem Mangel an äußerem Glanze in Harley’s Reden, daß viel praktischer Werth in ihm sein müsse, und er wurde für einen tiefen Denker von gründlicher Belesenheit erklärt, der zwar kein glänzender Redner, aber besser geeignet sei zur Leitung von Staatsangelegenheiten als alle glänzenden Redner der Welt. Diesen Ruf wußte er sich lange mit jener Schlauheit zu erhalten, die man oft mit ehrgeiziger und ruheloser Mittelmäßigkeit gepaart findet. Er beobachtete stets, selbst seinen besten Freunden gegenüber, ein mysteriöses und zurückhaltendes Wesen, das zu verrathen schien, daß er um irgend ein wichtiges Geheimniß wisse, und daß sein Geist mit einem großen Plane beschäftigt sei. Auf diese Art erwarb er sich und behauptete er lange den Ruf der Weisheit. Erst als dieser Ruf ihn zum Earl, zum Ritter des Hosenbandordens, zum Lordschatzmeister von England und zum Herrn der Geschicke Europa’s gemacht hatte, begannen seine Bewunderer dahinter zu kommen, daß er eigentlich ein beschränkter, verworrener Kopf war.[67]
Bald nach der allgemeinen Wahl von 1690 begann Harley, der in der Regel mit den Tories stimmte, selbst ein Tory zu werden. Dieser Wechsel fand so allmälig statt, daß man es kaum bemerkte; aber er war deshalb nicht minder ein Factum. Er begann sich in Zeiten der toryistischen Doctrin zuzuwenden, daß England sich auf einen Seekrieg beschränken müsse. Er empfand in Zeiten die ächte Toryantipathie gegen dieXX.61 Holländer und gegen die Geldmänner. Die Antipathie gegen die Dissenters, welche zur Vervollständigung des Characters nothwendig war, kam viel später. Endlich war die Umgestaltung vollendet, und der ehemalige Conventikelbesucher wurde ein intoleranter Hochkirchlicher. Doch bis an sein Ende zeigten sich dann und wann die Spuren seiner ersten Schule, und während er im Sinne Laud’s handelte, schrieb er zuweilen im Style Lobe Gott Barebones’.[68]
Von Foley wissen wir verhältnißmäßig wenig. Seine Geschichte hat bis zu einem gewissen Punkte große Aehnlichkeit mit der Geschichte Harley’s; aber er stand in Bezug auf Geistesgaben wie auf Charactergröße offenbar höher als Harley. Er war der Sohn Thomas Foley’s, eines bisher unbekannten Mannes von großer Begabung, der mit nichts ins Leben getreten war, sich aber durch Eisenwerke ein schönes Vermögen erworben hatte und der wegen seiner makellosen Rechtschaffenheit und seiner freigebigen Mildthätigkeit bekannt war. Die Foley waren, wie ihre Nachbarn, die Harley, Whigs und Puritaner. Thomas Foley lebte in intimer Freundschaft mit Baxter, in dessen Schriften er mit warmem Lobe erwähnt wird. Die Ansichten und Zuneigungen Paul Foley’s waren anfangs die seiner Familie. Aber er wurde, wie Harley, bloß durch die Heftigkeit seines Whiggismus, ein Bundesgenosse der Tories und wäre vielleicht, wie Harley, noch ganz in einen Tory verwandelt worden, hätte nicht der Tod den Umwandlungsprozeß unterbrochen. Foley’s Anlagen waren vortrefflich und waren durch eine sorgfältige Erziehung noch mehr ausgebildet worden. Er war so wohlhabend, daß er nicht nöthig hatte, die Jurisprudenz als Broterwerb zu studiren; aber er hatte sie gründlich als Wissenschaft studirt. Seine Moralität war tadellos, und der größte Fehler, den man ihm zum Vorwurf machen konnte, war der, daß er zu sehr mit seiner Unabhängigkeit und Uneigennützigkeit paradirte und so sehr fürchtete, für einen Speichellecker gehalten zu werden, daß er beständig murrte.
Noch ein Convertit muß erwähnt werden. Howe, noch vor Kurzem der heftigste Whig, war durch den Verlust seines Amtes in einen der heftigsten Tories verwandelt worden. Der Deserteur brachte der Partei, zu der er übergegangen war, keinen großen Ruf, keine wirkliche oder anscheinende Befähigung zu wichtigen Geschäften, wohl aber eine bedeutende parlamentarische Geschicklichkeit niederer Art, viel Galle und große Unverschämtheit. Kein Redner der damaligen Zeit scheint in so reichem Maße sowohl die Gabe als den Hang besessen zu haben, seinen Gegnern wehe zu thun.
Die Unterstützung dieser Männer war der Torypartei höchst willkommen; aber unmöglich konnten sie schon jetzt die ganze Autorität von Führern über diese Partei ausüben. Denn sie nannten sich noch immerXX.62 Whigs und rechtfertigten ihre toryistischen Voten durchgehends mit Argumenten, die sich auf whiggistische Prinzipien gründeten.[69]
Aus dieser Uebersicht des Standes der Parteien im Hause der Gemeinen geht klar hervor, daß Sunderland guten Grund hatte, den Rath zu geben, daß die Verwaltung in die Hände der Whigs gelegt werde. Der König zögerte jedoch lange, ehe er sich entschließen konnte, die neutrale Stellung aufzugeben, die er seit langer Zeit zwischen den streitenden Parteien einnahm. Wenn die eine dieser Parteien geneigt war, seinen Rechtstitel zu bestreiten, so war die andre aus Prinzip seiner Prärogative feindlich gesinnt. Er erinnerte sich noch mit Bitterkeit des unbilligen und rachsüchtigen Verfahrens des Conventionsparlaments zu Ende des Jahres 1689 und zu Anfang des Jahres 1690, und er erschrak vor dem Gedanken, gänzlich in der Gewalt von Männern zu sein, die sich der Indemnitätsbill widersetzt, für die Sacheverell’sche Klausel gestimmt, ihn von der Uebernahme des Commandos seiner Armee in Irland abzubringen versucht und ihn einen undankbaren Tyrannen genannt hatten, lediglich deshalb, weil er nicht ihr Sklave und Henker sein wollte. Er hatte einst durch eine kühne und unerwartete Anstrengung ihr Joch abgeschüttelt und hatte keine Lust, es wieder auf seinen Nacken zu laden. Wharton und Russell waren ihm persönlich zuwider. Dagegen hatte er eine hohe Meinung von Caermarthen’s Geschäftstüchtigkeit, von Nottingham’s Rechtschaffenheit und von Godolphin’s Fleiß und finanzieller Geschicklichkeit. Nur langsam siegten Sunderland’s Gründe, durch die Gewalt der obwaltenden Verhältnisse unterstützt, über alle Einwände.
Am 7. Nov. 1693 trat das Parlament zusammen und sogleich begann auch der Kampf der Parteien. Wilhelm stellte vom Throne herab den beiden Häusern dringend die Nothwendigkeit vor, durch eine große Anstrengung den Fortschritten Frankreich’s auf dem Continent Einhalt zu thun. Während des letzten Feldzugs, sagte er, habe es auf jedem Punkte eine Uebermacht gehabt, und es sei deshalb unmöglich gewesen, mit ihm fertig zu werden. Seine Verbündeten hätten versprochen, ihre Armeen zu verstärken und er hege die vertrauensvolle Ueberzeugung, daß die Gemeinen ihn in den Stand setzen würden, ein Gleiches zu thun.[70]
Die Gemeinen zogen in ihrer nächsten Sitzung die Thronrede des Königs in Berathung. Den Hauptgegenstand der Discussion bildete die Zerstörung der Smyrnaflotte. Das Verlangen nach einer Untersuchung war allgemein, aber es lag auf der Hand, daß die beiden Parteien dieses Verlangen aus sehr verschiedenen Gründen stellten. Montague sprach die Ansicht der Whigs aus. Er erklärte, die Unglücksfälle vom vergangenen Sommer könnten seiner Meinung nach ihre Erklärung in der Unwissenheit und Schwäche der MännerXX.63 finden, denen die Marineverwaltung übertragen sei. Es müsse Verrath stattgefunden haben. Man könne unmöglich annehmen, daß Ludwig, als er sein Brester Geschwader nach der Meerenge von Gibraltar sandte und die ganze Küste seines Königreichs von Dünkirchen bis Bayonne ohne Schutz ließ, nur aufs Gerathewohl gehandelt habe. Er müsse die feste Ueberzeugung gehabt haben, daß seine Flotte auf eine große Beute unter schwacher Bedeckung stoßen werde. Wie auf einigen Seiten Verrath stattgefunden habe, so habe es auf anderen Seiten Unfähigkeit gegeben. Der Staat werde schlecht bedient. Hierauf hielt der Redner eine warme Lobrede auf seinen Freund Somers. „Möchten doch alle am Staatsruder stehenden Männer das Beispiel des Lord Siegelbewahrers nachahmen! Wenn alle Stellen mit solcher Einsicht und Uneigennützigkeit besetzt würden, wie durch ihn, so würden wir die Staatsämter nicht von Männern bekleidet sehen, die Gehalte beziehen und nichts dafür thun!” Es wurde beantragt und einstimmig angenommen, daß die Gemeinen Ihre Majestäten unterstützen und unverzüglich eine Untersuchung der Ursachen des Unglücks in der Lagosbai anordnen wollten.[71] Die Lords der Admiralität erhielten die Weisung, eine große Masse schriftlicher Beweisstücke vorzulegen. Der König sandte Abschriften von den Resultaten der Nachforschungen ein, welche der von Marien zur Untersuchung der Beschwerden der mit der Türkei Handel treibenden Kaufleute ernannte Ausschuß des Geheimen Raths angestellt hatte. Die Kaufleute selbst wurden vorgeladen und vernommen. Rooke, der noch zu krank war, um stehen und sprechen zu können, wurde in einem Lehnstuhle vor die Schranke gebracht und überreichte hier eine Darstellung seines Verfahrens. Die Whigs glaubten bald, daß hinreichender Grund zu einem die Marineverwaltung tadelnden Votum vorliege und beantragten eine Resolution, welche den Verlust der Smyrnaflotte notorischer und verrätherischer Mißführung zuschrieb. Daß verkehrte Führung stattgefunden hatte, konnte nicht bestritten werden; daß aber falsches Spiel gespielt worden sei, war sicherlich durch nichts bewiesen. Die Tories schlugen vor, das Wort „verrätherisch” zu streichen. Es wurde abgestimmt, und die Whigs siegten mit hundertvierzig gegen hundertdrei Stimmen. Wharton war Stimmenzähler für die Majorität.[72]
Es war nunmehr entschieden, daß Verrath stattgefunden hatte, nicht aber, wer der Verräther war. Es folgten mehrere heftige Debatten. Die Whigs bemühten sich, die Schuld auf Killegrew und Delaval zu wälzen, welche Tories waren; die Tories thaten ihr Möglichstes, um zu beweisen, daß die Schuld an der Proviantverwaltung gelegen habe, die unter der Leitung von Whigs stand. Aber das Haus der Gemeinen ist stets viel mehr dazu geneigt gewesen, in allgemeine Ausdrücke gefaßte Tadelsvoten zu beschließen, als einzelne Personen speciell zu brandmarken. Eine Resolution, welche die Proviantverwaltung freisprach, wurde von Montague beantragt und nach einer zweitägigen Debatte mit hundertachtundachtzig gegen hundertzweiundfunfzig Stimmen angenommen.[73] Als aber die siegreiche Partei einen Antrag auf Schuldigerklärung der Admirale stellte, kamen die Tories in großer Anzahl vom Lande herein, und es gelang ihnenXX.64 nach einer von neun Uhr Morgens bis gegen elf Uhr Abends dauernden Debatte ihre Freunde zu retten. Die Neins beliefen sich auf hundertsiebzig, die Jas auf nur hunderteinundsechzig. Einige Tage später wurde ein neuer Angriff mit nicht besserem Erfolge gemacht. Die Neins betrugen hundertfünfundachtzig, die Jas nur hundertfünfundsiebzig. Der unermüdliche und unversöhnliche Wharton war beide Male Stimmenzähler für die Minorität.[74]
Trotz dieser Niederlage war der Vortheil entschieden auf Seiten der Whigs. Die an der Spitze der Marineverwaltung stehenden Tories waren zwar der Anklage entgangen, aber sie waren ihr mit so genauer Noth entgangen, daß der König sich ihrer unmöglich noch ferner bedienen konnte. Sunderland’s Rath behielt die Oberhand. Es wurde eine neue Admiralitätscommission gebildet und Russell zum ersten Lord ernannt. Das Commando der Kanalflotte besaß er bereits.
Seine Erhebung machte Nottingham’s Rücktritt nothwendig. Denn obgleich es damals nichts Ungewöhnliches war, Männer, welche persönliche und politische Feinde waren, gleichzeitig hohe Aemter verwalten zu sehen, so war doch das Verhältniß zwischen dem ersten Lord der Admiralität und dem Staatssekretär, dessen Leitung das was man jetzt das Kriegsdepartement nennen würde, übertragen war, so eigenthümlicher Art, daß der öffentliche Dienst ohne herzliches Zusammenwirken Beider nicht wohl versehen werden konnte, und ein solches Zusammenwirken war bei Russell und Nottingham nicht zu erwarten. „Ich danke Ihnen,” sagte Wilhelm zu Nottingham, „für Ihre Dienste. Ich habe über nichts in Ihrem Verhalten zu klagen und trenne mich nur aus Nothwendigkeit von Ihnen.” Nottingham zog sich mit Würde zurück. Obwohl ein durchaus rechtschaffener Mann, verließ er das Amt doch viel reicher als er vor fünf Jahren in dasselbe eingetreten war. Was damals als die rechtmäßigen Emolumente seiner Stelle betrachtet wurde, war sehr bedeutend; überdies hatte er Kensington House an die Krone verkauft und hatte auch wahrscheinlich nach damaliger Sitte einige lucrative Schenkungen erhalten. Er legte alle seine Ersparnisse in Grundeigenthum an. Er habe erfahren, sagte er, daß seine Feinde ihn der Erwerbung von Reichthum durch unerlaubte Mittel zu beschuldigen gedächten. Er sei jeden Augenblick bereit, sich einer Untersuchung zu unterwerfen. Er wolle nicht, wie einige Minister gethan hätten, sein Vermögen so anlegen, daß es außer dem Bereiche der Gerechtigkeit seines Vaterlandes stehe, er wolle keinen geheimen Schatz haben und nichts in auswärtigen Papieren anlegen. Sein Eigenthum solle ausschließlich solches sein, das leicht ausfindig gemacht und confiscirt werden könne.[75]
Einige Wochen lang blieben die von Nottingham abgegebenen Siegel im königlichen Cabinet. Die anderweitige Vergebung derselben erwies sich als kein leichtes Ding. Sie wurden Shrewsbury angeboten, der von allen Whighäuptern in der Gunst des Königs am höchsten stand; aber er lehnte sie ab und zog sich, um ferneren Anträgen aus dem Wege zu gehen, aufs Land zurück. DortXX.65 erhielt er bald einen dringenden Brief von Elisabeth Villiers. Diese Dame hatte, als sie noch ein Mädchen war, Wilhelm eine Leidenschaft eingeflößt, die an dem kleinen Hofe im Haag großes Aergerniß erregt und viel Unheil angerichtet hatte. Sie verdankte ihren Einfluß keineswegs persönlichen Reizen — denn es bedurfte Kneller’s ganzer Geschicklichkeit, damit sie auf der Leinwand erträglich aussah — und eben so wenig den ihrem Geschlecht eigenen Talenten — denn sie excellirte nicht in angenehmer Unterhaltung und ihren Briefen fehlte es auffallend an weiblicher Leichtigkeit und Eleganz — sondern vielmehr Geistesgaben, die sie geeignet machten, an den Sorgen von Staatsmännern Theil zu nehmen und ihnen rathend zur Seite zu stehen. Bis ans Ende ihres Lebens fragten sie große Politiker um Rath. Selbst Swift, der Schlaueste und Cynischste unter ihren Zeitgenossen, erklärte sie für die klügste aller Frauen und saß mehr als einmal, durch ihre Unterhaltung gefesselt, von zwei Uhr Nachmittags bis gegen Mitternacht bei ihr.[76] Nach und nach eroberte sich Marie durch ihre Tugenden und Reize den ersten Platz im Herzen ihres Gemahls. Aber in schwierigen Fällen wendete er sich noch immer häufig an Elisabeth Villiers um Rath und Beistand. Sie beschwor jetzt Shrewsbury, seinen Entschluß nochmals zu überlegen und sich nicht die Gelegenheit entgehen zu lassen, die Whigs für immer zu einigen. Wharton und Russell schrieben in dem nämlichen Sinne. Als Antwort kamen leere und nichtssagende Entschuldigungen: „Ich eigne mich nicht für das Hofleben; ich bin einer Stelle nicht gewachsen, die viel Anstrengung erfordert; ich stimme mit keiner Partei im Staate ganz überein; kurz, ich tauge nicht für die Welt. Ich will reisen, ich möchte Spanien kennen lernen.” Dies waren bloße Ausflüchte. Hätte Shrewsbury die ganze Wahrheit sagen wollen, so würde er geschrieben haben, daß er in einer bösen Stunde der Sache der Revolution, bei der er eine so große Rolle gespielt, untreu geworden, daß er Verpflichtungen eingegangen sei, die er bereue, von denen er sich aber nicht wieder losmachen könne, und daß er, so lange diese Verpflichtungen auf ihm lasteten, nicht gesonnen sei, in den Dienst der bestehenden Regierung zu treten. Marlborough, Godolphin und Russell machten sich allerdings kein Gewissen daraus, mit dem einen Könige zu correspondiren, während sie dem andren dienten. Shrewsbury aber hatte, was Marlborough, Godolphin und Russell nicht hatten: ein Gewissen, das ihn zwar nur zu oft nicht abhielt, Unrecht zu thun, das ihn aber stets strafte.[77]
In Folge seiner Weigerung die Siegel anzunehmen wurden die vom Könige beabsichtigten ministeriellen Arrangements erst gegen den Schluß der Session vollständig geordnet. Inzwischen waren die Verhandlungen der beiden Häuser höchst interessant und wichtig gewesen.
Bald nach dem Zusammentritt des Parlaments richtete sich die Aufmerksamkeit der Gemeinen von neuem auf den Zustand des Handels mit Indien, und die der alten Compagnie so eben ertheilte Concession wurde ihnen vorgelegt. SieXX.66 würden wahrscheinlich nicht abgeneigt gewesen sein, das neue Arrangement, das sich eigentlich nur wenig von dem unterschied, welches sie selbst nicht viele Monate früher vorgeschlagen hatten, zu bestätigen, wenn die Directoren mit Vorsicht zu Werke gegangen wären. Aber die Directoren hatten von dem Tage, an welchem sie ihre Concessionsurkunde erhalten, die Schleichhändler unbarmherzig verfolgt und ganz außer Acht gelassen, daß es etwas Andres war, die Schleichhändler in den östlichen Meeren zu verfolgen, als sie im Hafen von London zu verfolgen. Bisher war der Krieg der Monopolisten gegen die Privatkaufleute meist in einer Entfernung von fünfzehntausend Meilen von England geführt worden. Wenn Gewaltthätigkeiten geschahen, so sahen die Engländer es nicht und hörten erst davon nachdem sie lange geschehen waren; auch war es keineswegs leicht, in Westminster zu ermitteln, wer in einem vor mehreren Jahren in Murschedabad oder Canton entstandenen Streite Recht und wer Unrecht gehabt hatte. Mit unglaublicher Unbesonnenheit beschlossen die Directoren gerade in dem Augenblicke wo das Schicksal ihrer Compagnie in Frage stand, der Bevölkerung dieses Landes eine genaue Einsicht in die gehässigsten Züge des Monopols zu verschaffen. Einige reiche Londoner Kaufleute hatten ein schönes Schiff, die „Redbridge” genannt, ausgerüstet. Es hatte eine starke Bemannung und eine sehr werthvolle Ladung. Die Papiere waren nach Alicante adressirt, aber man hatte einigen Grund zu vermuthen, daß es nach den Ländern jenseit des Caps der guten Hoffnung bestimmt sei. In Gemäßheit eines Befehls, den die Compagnie, wahrscheinlich durch Vermittelung des Lordpräsidenten, vom Geheimen Rathe erlangt hatte, wurde es von der Admiralität angehalten. Jeder Tag, den es in der Themse lag, verursachte den Eigenthümern große Kosten. Die Entrüstung in der City war groß und allgemein. Die Compagnie behauptete, daß aus der Rechtmäßigkeit des Monopols die Rechtmäßigkeit des Anhaltens nothwendig hervorgehe. Das Publikum kehrte das Argument um, und da es fest überzeugt war, daß das Anhalten unrechtmäßig sei, folgerte es daraus, daß auch das Monopol unrechtmäßig sei. Der Streit hatte seinen Höhepunkt erreicht, als das Parlament zusammentrat. Petitionen von beiden Seiten wurden sogleich auf den Tisch der Gemeinen gelegt und beschlossen, daß diese Petitionen durch einen Ausschuß des ganzen Hauses in Erwägung gezogen werden sollten. Die erste Frage, an der die streitenden Parteien ihre Stärke versuchten, war die Wahl eines Präsidenten. Die Feinde der alten Compagnie schlugen Papillon vor, einst der engste Verbündete und nachher der entschiedenste Gegner Child’s, und sie setzten seine Wahl mit hundertachtunddreißig gegen hundertsechs Stimmen durch. Der Ausschuß schritt nun zu der Untersuchung, auf wessen Autorität die Redbridge angehalten worden sei. Einer ihrer Eigenthümer, Gilbert Heathcote, ein reicher Kaufmann und entschiedener Whig, erschien als Zeuge an der Schranke. Er wurde gefragt, ob er es wagen könne zu leugnen, daß das Schiff thatsächlich für den indischen Handel befrachtet worden sei. „Es ist meines Wissens keine Sünde,” antwortete er, „nach Indien Handelsgeschäfte zu machen, und ich werde Geschäfte dahin machen, bis ich durch eine Parlamentsacte verhindert werde.” Papillon erklärte in seiner Berichterstattung, daß nach der Meinung des Ausschusses das Anhalten der Redbridge unrechtmäßig sei. Es wurde hierauf die Frage gestellt, ob das Haus dem Ausschusse beistimme. Die Freunde der alten Compagnie wagten eineXX.67 zweite Abstimmung und wurden mit hunderteinundfunfzig gegen hundertfünfundzwanzig Stimmen geschlagen.[78]
Dem Schlage folgte bald ein zweiter. Wenige Tage später wurde beantragt, daß alle Unterthanen England’s gleiches Recht hätten nach Ostindien Handel zu treiben, wenn es ihnen nicht durch eine Parlamentsacte verboten würde, und die Freunde der alten Compagnie ließen in der Ueberzeugung, daß sie die Minorität bildeten, den Antrag ohne Abstimmung durchgehen.[79]
Dieser denkwürdige Beschluß erledigte die wichtigste der Verfassungsfragen, welche die Rechtsbill unentschieden gelassen hatte. Seitdem hat es stets als das richtige Prinzip gegolten, daß keine andre Gewalt als die gesammte Legislatur einer Person oder einer Gesellschaft ein ausschließliches Privilegium zum Handel nach irgend einer Weltgegend verleihen kann.
Die Ansicht der großen Mehrheit des Hauses der Gemeinen war, daß der indische Handel nur vermittelst eines Actienfonds und eines Monopols vortheilhaft betrieben werden könne. Man hätte daher erwarten sollen, daß dem Beschlusse, der das Monopol der alten Compagnie aufhob, ein Gesetz, das der neuen Compagnie ein Monopol verlieh, auf dem Fuße folgen werde. Es wurde jedoch kein solches Gesetz erlassen. War auch die alte Compagnie nicht stark genug, ihre eigenen Privilegien zu vertheidigen, so war sie doch im Stande, mit Hülfe ihrer toryistischen Freunde, die rivalisirende Gesellschaft zu verhindern, ähnliche Privilegien zu erlangen. Die Folge davon war, daß dem Namen nach einige Jahre hindurch der Handel mit Indien frei war. Thatsächlich aber unterlag dieser Handel noch immer drückenden Beschränkungen. Es wurde zwar dem Privatunternehmer nicht schwer gemacht, von England abzusegeln; aber seine Lage war so gefährlich als je, wenn er das Cap der guten Hoffnung hinter sich hatte. Wie streng auch von den öffentlichen Beamten in London ein Beschluß des Hauses der Gemeinen respectirt wurde, in Bombay oder Calcutta wurde ein solcher Beschluß weniger geachtet als ein Privatbrief von Child, und Child führte den Kampf noch immer mit ungeschwächtem Muthe fort. Er ließ den Factoreien der Compagnie die Weisung zukommen, gegen die Unberufenen keine Nachsicht zu üben. Ueber das Haus der Gemeinen und die Beschlüsse desselben äußerte er sich mit der souverainsten Verachtung. „Handelt nach meinen Instructionen,” schrieb er, „und nicht nach dem Unsinn einiger unwissender Landgentlemen, die kaum so viel Verstand haben, um ihre Privatgeschäfte befolgen zu können, und die von Handelsangelegenheiten gar nichts verstehen.” Wie es scheint, wurde seinen Befehlen Folge geleistet. Ueberall im Osten lagen sich während dieser Periode der Anarchie die Diener der Compagnie und die unabhängigen Kaufleute in den Haaren, beschuldigten einander der Piraterie und versuchten durch alle erdenklichen Kunstgriffe die mongolische Regierung gegen einander zu erbittern.[80]
Die drei großen Verfassungsfragen des vorigen Jahres wurden in diesem Jahre von neuem dem Parlamente zur Erwägung vorgelegt. InXX.68 der ersten Woche der Session wurde eine Bill zur Regulirung des Prozeßverfahrens in Hochverrathsfällen, eine Dreijährigkeitsbill und eine Stellenbill auf den Tisch des Hauses der Gemeinen gelegt.
Keine dieser Bills wurde zum Gesetz erhoben. Die erste ging bei den Gemeinen durch, wurde aber von den Peers ungünstig aufgenommen. Wilhelm interessirte sich so sehr für die Frage, daß er nicht mit Krone und Staatsmantel, sondern in gewöhnlicher Civilkleidung in das Haus der Lords kam und die ganze Debatte über die zweite Lesung mit anhörte. Caermarthen sprach von den Gefahren, denen der Staat zur Zeit ausgesetzt sei, und bat seine Kollegen dringend, in einem solchen Augenblicke nicht Hochverräthern Straflosigkeit zu gewähren. Er wurde kräftig unterstützt durch zwei ausgezeichnete Redner, welche seit einigen Jahren bei jeder Frage auf der dem Hofe opponirenden Seite gestanden hatten, die aber in dieser Session die Geneigtheit an den Tag legten, die Hände der Regierung zu kräftigen; auch Halifax und Mulgrave, Marlborough, Rochester und Nottingham sprachen für die Bill; aber die allgemeine Ansicht war so augenscheinlich gegen sie, daß sie nicht abstimmen zu lassen wagten. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß die von Caermarthen angeführten Gründe nicht diejenigen waren, die seine Zuhörer hauptsächlich bestimmten. Die Peers waren fest entschlossen, die Bill nicht ohne eine die Einrichtung des Gerichtshofes des Lord High Steward abändernde Klausel durchgehen zu lassen; sie wußten, daß das Unterhaus sich eben so fest vorgenommen hatte, eine solche Klausel nicht anzunehmen, und sie hielten es für besser, daß das was doch endlich geschehen mußte, bald und ohne Streit geschehe.[81]
Das Schicksal der Dreijährigkeitsbill warf alle Berechnungen der bestunterrichteten Politiker der damaligen Zeit über den Haufen und darf uns daher mit Recht in Verwunderung setzen. Während der Parlamentsferien war diese Bill in zahlreichen Flugschriften, größtentheils aus der Feder von Personen, welche für die Revolution und für volksthümliche Regierungsgrundsätze eingenommen waren, als das Eine, was Noth thue, als das Universalheilmittel gegen die Gebrechen des Staats dargestellt worden. Bei der ersten, zweiten und dritten Lesung im Hause der Gemeinen fand keine Abstimmung statt. Die Whigs waren enthusiasmirt. Die Tories schienen sich zu fügen. Man war der Meinung, daß der König, obgleich er sich seines Vetos zu dem Zwecke bedient habe, den Häusern Gelegenheit zur nochmaligen Erwägung des Gegenstandes zu geben, nicht beabsichtige, sich ihren Wünschen beharrlich zu widersetzen. Seymour aber entriß mit einer durch langjährige Erfahrung gereiften Schlauheit, nachdem er den Kampf bis zum letzten Augenblicke verschoben, seinen Gegnern den Sieg, als sie sich am sichersten glaubten. Als der Sprecher die Bill mit den Händen emporhielt und die Frage stellte, ob sie angenommen werden solle, ergabenXX.69 sich hundertsechsundvierzig Neins und nur hundertsechsunddreißig Jas.[82] Einige eifrige Whigs schmeichelten sich, daß ihre Niederlage die Folge einer Ueberrumpelung gewesen sei und wieder gutgemacht werden könne. Nach drei Tagen brachte daher Monmouth, der Glühendste und Ruheloseste von der ganzen Partei, im Oberhause eine Bill ein, die in der Hauptsache ganz mit der übereinstimmte, welche im Unterhause so glänzend durchgefallen war. Die Peers nahmen diese Bill rasch an und schickten sie den Gemeinen zu. Aber bei den Gemeinen fand sie keine Gnade. Viele Mitglieder, welche erklärten, daß sie die Dauer der Parlamente beschränkt zu sehen wünschten, verdroß die Einmischung des erblichen Zweiges der Legislatur in eine Angelegenheit, welche ganz speciell den wählbaren Zweig anging. Der Gegenstand, sagten sie, ist einer, der speciell uns angehört; wir haben ihn berathen, wir sind zu einer Entscheidung darüber gekommen und es ist schwerlich parlamentarisch, sicherlich aber höchst undelikat von Ihren Lordschaften, daß sie uns auffordern, jene Entscheidung umzustoßen. Die Frage ist jetzt nicht mehr, ob die Dauer der Parlamente beschränkt werden soll, sondern ob wir unser Urtheil der Autorität der Peers unterwerfen und auf ihr Geheiß etwas widerrufen sollen, was wir erst vor vierzehn Tagen gethan haben. Die Erbitterung, mit der man den patrizischen Stand betrachtete, wurde noch mehr entflammt durch die Kunstgriffe und die Beredtsamkeit Seymour’s. Die Bill enthielt eine Definition der Worte: „Ein Parlament abhalten”. Diese Definition wurde mit heftigem Mißtrauen analysirt und viele meinten, mit sehr wenig Grund, sie bezwecke die Erweiterung der ohnehin schon ungebührlich ausgedehnten Privilegien des hohen Adels. Aus den auf uns gekommenen dürftigen und dunklen Bruchstücken der Debatten geht hervor, daß sehr herbe Aeußerungen über das allgemeine politische sowohl als richterliche Verhalten der Peers fielen. Der alte Titus, obgleich ein eifriger Fürsprecher der dreijährigen Parlamente, gestand, daß er sich über den Unmuth, den viele Gentlemen an den Tag legten, nicht wundern könne. „Es ist wahr,” sagte er, „wir müssen aufgelöst werden, aber ich muß gestehen, es ist ziemlich hart, daß die Lords die Zeit unsrer Auflösung vorschreiben sollen. Der Apostel Paulus wünschte auch aufgelöst zu werden, aber ich zweifle, ob es ihm angenehm gewesen wäre, wenn seine Freunde ihm einen Tag dazu bestimmt hätten.” Die Bill wurde mit hundertsiebenundneunzig gegen hundertsiebenundzwanzig Stimmen verworfen.[83]
Die Stellenbill, die sich sehr wenig von der ein Jahr früher eingebrachten Stellenbill unterschied, wurde von den Gemeinen ohne Schwierigkeit angenommen. Die meisten Tories unterstützten sie warm, und die Whigs wagten es nicht, sich ihr zu widersetzen. Sie wurde den Lords zugesandt und kam völlig verändert zurück. In ihrer ursprünglichen Fassung bestimmte sie, das kein nach dem 1. Januar 1694 gewähltes Mitglied des Hauses der Gemeinen eine mit Einkommen verbundene Stelle im Dienste der Krone annehmen dürfe, bei Strafe seines Sitzes verlustig zu gehen und fortan unfähig zu sein, wieder in dem nämlichen Parlamente zu sitzen. Die Lords hatten die Worte hinzugesetzt: „er müßte denn später wieder für das nämliche Parlament gewählt werden.” Diese Worte, so wenige es auch waren, reichten hin, um der Bill neun Zehntel ihrer guten sowohl wie schlimmen Wirkung zu entziehen. Es war höchst wünschenswerth, daß die große Masse der untergeordneten Staatsbeamten vom Hause der Gemeinen ausgeschlossen blieben. Es war aber durchaus nicht wünschenswerth, daß die Spitzen der großen ausübenden Verwaltungszweige von diesem Hause ausgeschlossen blieben. In ihrer veränderten Gestalt ließ die Bill das Haus sowohl Denen, welche zugelassen werden mußten, als auch Denen, welche nicht zugelassen werden durften, offen. Sie gestattete ganz zweckmäßigerweise den Staatssekretären und dem Kanzler der Schatzkammer den Zutritt, aber mit ihnen gestattete sie den Zutritt auch Commissaren von Weinlicenzen und Commissaren der Marine, Einnehmern, Aufsehern, Magazinverwaltern, Archivsekretären und Obercontroleuren, Sekretären des Hofmarschallgerichts und Sekretären der Staatsgarderobe. Die Gemeinen wußten so wenig was sie wollten, daß sie, nachdem sie ein in einer Beziehung höchst schädliches, in andrer Beziehung höchst wohlthätiges Gesetz entworfen hatten, vollkommen geneigt waren, es in ein ganz harmloses Gesetz verwandeln zu lassen. Sie genehmigten das Amendement und es fehlte nichts mehr als die königliche Sanction.
Diese Sanction hätte gewiß nicht versagt werden dürfen und wäre auch wahrscheinlich nicht versagt worden, hätte Wilhelm gewußt, wie bedeutungslos die Bill jetzt war. Aber er verstand die Sache eben so wenig wie die Gemeinen selbst. Er wußte, daß sie eine sehr nachdrückliche Beschränkung der königlichen Gewalt ersonnen zu haben glaubten, und er war entschlossen, sich keine solche Beschränkung ohne Kampf gefallen zu lassen. Der Erfolg, mit dem er bisher den Versuchen der beiden Häuser, seine Prärogative anzutasten, Widerstand geleistet hatte, ermuthigte ihn. Er hatte sich geweigert, die Bill anzunehmen, welche sein erbliches Einkommen mit der Besoldung der Richter belastete, und das Parlament hatte die Gerechtigkeit zu dieser Weigerung stillschweigend anerkannt. Er hatte sich geweigert, die Dreijährigkeitsbill zu genehmigen, und die Gemeinen hatten seitdem durch Verwerfung zweier Dreijährigkeitsbills anerkannt, daß er wohl daran gethan habe. Er hätte jedoch bedenken sollen, daß in jenen beiden Fällen auf die Ankündigung seiner Weigerung unmittelbar die Ankündigung gefolgt war, daß das Parlament prorogirt sei. InXX.71 jenen beiden Fällen hatten daher die Mitglieder bis zur nächsten Sitzung ein halbes Jahr Zeit gehabt, nachzudenken und sich abzukühlen. Jetzt war es etwas ganz Andres. Das Hauptgeschäft der Session hatte kaum begonnen, es waren noch Voranschläge zu berathen, es schwebten noch Geldbewilligungsbills, und wenn die Häuser einen Anfall übler Laune bekamen, so konnte das sehr ernste Folgen haben.
Er beschloß jedoch, es darauf ankommen zu lassen. Ob er hierin dem Rathe eines Andren folgte, ist nicht bekannt. Sein Entschluß scheint sowohl die Whighäupter als die Toryhäupter überrascht zu haben. Als der Schriftführer angekündigt hatte, daß der König und die Königin die Bill bezüglich freier und unparteiischer Verhandlungen im Parlamente in Erwägung ziehen wollten, entfernten sich die Gemeinen von der Schranke der Lords in einer unwilligen und unlenksamen Stimmung. Sobald der Sprecher seinen Stuhl wieder eingenommen hatte, erfolgte eine lange und stürmische Debatte. Alle anderen Geschäfte wurden aufgeschoben, alle Ausschüsse wurden vertagt. Es wurde beschlossen, daß das Haus am andren Morgen in aller Frühe die Lage der Nation in Erwägung ziehen wolle. Als der Morgen kam, schien die Aufregung sich nicht vermindert zu haben. Das Scepter wurde nach Westminsterhall und in den Requetenhof geschickt. Alle Mitglieder, die aufzutreiben waren, wurden in das Haus gebracht. Damit keiner sich unbemerkt fortstehlen könnte, wurde die Hinterthür verschlossen und der Schlüssel auf den Tisch gelegt. Alle Fremden mußten sich entfernen. Mit diesen feierlichen Vorbereitungen begann eine Sitzung, die einige alte Leute an die ersten Sitzungen des Langen Parlaments erinnerte. Starke Worte wurden von den Feinden der Regierung ausgesprochen, und ihre Freunde wagten es kaum, ihre Stimme zu erheben, aus Furcht, daß sie beschuldigt werden möchten, die Sache der Gemeinen England’s um der königlichen Gunst willen im Stiche gelassen zu haben. Montague allein scheint den König vertheidigt zu haben. Lowther, obgleich ein hoher Staatsbeamter und Mitglied des Cabinets, gestand, daß böse Einflüsse thätig seien, und sprach den Wunsch aus, den Souverain von Rathgebern umgeben zu sehen, denen die Vertreter des Volks Vertrauen schenken könnten. Harley, Foley und Howe rissen Alles mit sich fort. Eine Resolution, welche erklärte, daß Diejenigen, welche die Krone bei dieser Gelegenheit berathen hätten, Feinde des Staats seien, wurde mit nur zwei oder drei verneinenden Stimmen angenommen. Nachdem Harley seine Zuhörer erinnert hatte, daß sie eben so gut ihre verneinende Stimme hätten wie der König und daß, wenn Se. Majestät ihnen Abhülfe verweigere, sie ihm Geld verweigern könnten, stellte er den Antrag, daß sie, nicht, wie gewöhnlich, mit einer unterthänigen Adresse, sondern mit einer Vorstellung an den Thron gehen sollten. Einige Mitglieder schlugen vor, das ehrerbietigere Wort Adresse anstatt Vorstellung zu gebrauchen; aber sie wurden überstimmt und ein Ausschuß ernannt, der die Vorstellung entwerfen sollte.
Die zweite Nacht verging, und als das Haus sich wieder versammelte, schien der Sturm bedeutend nachgelassen zu haben. Die boshafte Freude und die hochfliegenden Hoffnungen, welche die Jakobiten während der letzten achtundvierzig Stunden mit ihrer gewohnten Unbesonnenheit geäußert, hatten die Whigs und die gemäßigten Tories entrüstet und beunruhigt. Viele Mitglieder waren auch durch die Nachricht erschreckt, daß WilhelmXX.72 fest entschlossen sei, nicht ohne eine Appellation an die Nation nachzugeben. Eine solche Appellation hätte wohl von Erfolg sein können, denn eine Auflösung des Parlaments, gleichviel aus welchem Grunde, wäre in diesem Augenblicke eine höchst populäre Ausübung der Prärogative gewesen. Die Wahlkörper waren, wie man wohl wußte, im allgemeinen für die Dreijährigkeitsbill sehr eingenommen, an der Stellenbill aber war ihnen verhältnißmäßig wenig gelegen. Viele toryistische Mitglieder, welche kürzlich gegen die Dreijährigkeitsbill gestimmt hatten, wünschten daher keineswegs, es auf eine allgemeine Wahl ankommen zu lassen. Als die von Harley und seinen Freunden entworfene Vorstellung gelesen wurde, hielt man sie für zu stark. Nachdem sie an den Ausschuß zurückverwiesen, gekürzt und gemildert worden war, wurde sie vom ganzen Hause überreicht. Wilhelm’s Antwort war artig und freundlich, aber er sagte nichts zu. Er versicherte den Gemeinen, daß er sich dankbar der Unterstützung erinnere, die er bei vielen Gelegenheiten von ihnen erhalten habe, daß er auf ihren Rath jederzeit hohen Werth lege, und daß er Rathgeber, welche Uneinigkeit zwischen ihm und seinem Parlamente hervorzurufen versuchten, als seine Feinde betrachte; aber er äußerte kein Wort, welches als ein Anerkenntniß, daß er einen üblen Gebrauch von seinem Veto gemacht habe, oder als ein Versprechen, daß er nicht wieder Gebrauch davon machen wolle, hätte gedeutet werden können.
Am folgenden Tage zogen die Gemeinen seine Rede in Erwägung. Harley und seine Freunde meinten, die Antwort des Königs sei gar keine Antwort, drohten, die Stellenbill einer Geldbill anzuhängen und schlugen vor, eine zweite Vorstellung an den König zu richten, worin er dringend aufgefordert würde, sich bestimmter zu erklären. Inzwischen aber fand eine starke Reaction in der Stimmung der Versammlung statt. Die Whigs hatten sich nicht nur von ihrem Schrecken erholt, sondern sie waren sogar muthig und kampflustig geworden. Wharton, Russell und Littleton behaupteten, das Haus könne mit dem was der König gesagt habe, zufrieden sein. „Wollen Sie Ihren Feinden eine Gelegenheit geben zu frohlocken?” sagte Littleton. „Es giebt ihrer genug, sie belagern unsere eigenen Thüren. Wenn wir durch die Vorhalle gehen, lesen wir in den Zügen und Geberden jedes Eidverweigerers, an dem wir vorüberkommen, Schadenfreude über die momentane Kälte, die zwischen uns und dem Könige eingetreten ist. Das sollte uns genug sein. Wir dürfen überzeugt sein, daß wir recht stimmen, wenn wir ein Votum abgeben, das die Hoffnungen von Verräthern zu Schanden macht.” Das Haus stimmte ab, Harley war Stimmenzähler auf der einen Seite, Wharton auf der andren. Nur Achtundachtzig stimmten mit Harley, Zweihundertneunundzwanzig mit Wharton. Die Whigs waren so erhoben durch ihren Sieg, daß einige von ihnen ein Dankvotum an Wilhelm für seine gnädige Antwort zu beantragen wünschten; aber sie wurden durch besonnenere Männer zurückgehalten. „Wir haben schon Zeit genug mit diesen unerquicklichen Debatten vergeudet,” sagte ein Oberhaupt der Partei. „Lassen Sie uns jetzt so bald als möglich zu den Mitteln und Wegen übergehen. Die beste Form, in die wir unsren Dank einkleiden können, ist die einer Geldbill.”
So endete, glücklicher als Wilhelm zu erwarten berechtigt war, einer der gefährlichsten Streite, in die er je mit seinem Parlamente verwickelt worden war. Bei der holländischen Gesandtschaft war die Zu- und Abnahme dieses Sturmes mit gespanntem Interesse beobachtet worden, undXX.73 man scheint dort der Ansicht gewesen zu sein, daß der König im Ganzen durch seine Handlungsweise weder an Macht noch an Popularität verloren habe.[84]
Eine andre Frage, die fast ebensoviel Zorn und Unwillen im Parlamente wie im Lande erregte, wurde um die nämliche Zeit berathen. Am 6. December erhielt ein whiggistisches Mitglied des Hauses der Gemeinen Erlaubniß, eine Bill zur Naturalisirung ausländischer Protestanten einzubringen. An plausiblen Gründen zu Gunsten einer solchen Bill fehlte es nicht. Eine Menge äußerst betriebsamer und intelligenter Leute, welche treu unsrem Glauben anhingen und Todfeinde unserer Todfeinde waren, hatten damals kein Vaterland. Unter den Hugenotten, welche vor der Tyrannei des französischen Königs geflohen waren, befanden sich viele Männer von hohem Rufe in der Kriegskunst, in der Literatur, in den Künsten und in den Wissenschaften, und selbst die geringsten Refugiés standen in intellectueller und moralischer Beziehung über der Durchschnittsstufe des gemeinen Volks aller Länder Europa’s. Neben den französischen Protestanten, welche durch Ludwig’s Edicte ins Exil getrieben worden waren, gab es jetzt auch deutsche Protestanten, die seine Waffen ins Exil getrieben hatten. Wien, Berlin, Basel, Hamburg, Amsterdam, London wimmelten von rechtschaffenen und fleißigen Menschen, die einst wohlhabende Bürger von Heidelberg oder Mannheim gewesen waren oder an den Ufern des Neckars und des Rheins Wein gebaut hatten. Ein Staatsmann konnte mit Recht der Meinung sein, daß es zugleich edelmüthig und politisch sei, so unglückliche und so achtungswerthe Emigranten nach England einzuladen und dem englischen Volke einzuverleiben. Ihre Kenntnisse und ihr Fleiß mußten nothwendig jedes Land bereichern, das ihnen ein Asyl gewährte; auch unterlag es keinem Zweifel, daß sie ihr Stiefvaterland gegen den Tyrannen, dessen Grausamkeit sie aus dem Lande ihrer Geburt getrieben hatte, mannhaft vertheidigen würden.
Die beiden ersten Lesungen gingen ohne Abstimmung durch. Ueber den Antrag aber, daß die Bill an einen Ausschuß verwiesen werden solle, entspann sich eine Debatte, in der die Gegner der Regierung den umfassendsten Gebrauch von der Redefreiheit machten. Es sei unnütz, sagten sie, über die armen Hugenotten und Pfälzer zu sprechen. Die Bill habe offenbar nicht den Zweck, den französischen oder deutschen Protestanten zu Gute zu kommen, sondern nur den Holländern, die für einen Gulden per Kopf Protestanten, Papisten oder Heiden werden und ohne Zweifel eben so bereit sein würden, in England die Erklärung gegen die Transsubstantiation zu unterzeichnen, als in Japan das Kruzifix mit Füßen zu treten. Sie würden in Massen herüberkommen, würden alle öffentlichen Aemter füllen, die Zölle erheben und die Bierfässer aichen. Unsere Schifffahrtsgesetze würden ihrem Wesen nach aufgehoben sein, jedes Kauffahrteischiff, das aus der Themse oder dem Severn ausliefe, würde mit Seeländern,XX.74 Holländern und Friesländern bemannt sein. Unseren eigenen Matrosen würde nur der schwere und gefahrvolle Dienst auf der königlichen Flotte bleiben. Denn Hanns würde, nachdem er sich durch Uebernahme der Rolle eines Eingeborenen die Taschen seiner weiten Pumphosen mit unsrem Gelde gefüllt habe, sobald ein Preßgang erschiene, die Vorrechte eines Ausländers in Anspruch nehmen. Die Eingedrungenen würden bald alle Corporationen beherrschen. Sie würden unsere eigenen Aldermen von der Börse verdrängen. Sie würden die erblichen Forsten und Schlösser unserer Landgentlemen kaufen. Schon seufzten wir unter einer der lästigsten Plagen Egypten’s. Frösche hätten sich selbst in den königlichen Gemächern gezeigt. Man könne nicht nach St. James gehen, ohne das widerliche Gequak der Reptilien der batavischen Sümpfe rings um sich her zu hören, und wenn diese Bill durchgehe, so würde das ganze Land von dem ekelhaften Gewürm bald eben so geplagt sein, wie schon jetzt der Palast.
Der Redner, der sich in dieser Art von Rhetorik erging, war Sir John Knight, Abgeordneter für Bristol, ein niedrigdenkender und gehässiger Jakobit, der, wenn er ein rechtschaffener Mann gewesen wäre, ein Eidverweigerer hätte sein müssen. Zwei Jahre vorher, als er Mayor von Bristol war, hatte er sich ein nicht eben ehrenvolles Rennomé erworben, indem er eine mit dem großen Siegel der Souveraine, denen er zu wiederholten Malen Treue geschworen, versehene Vollmacht, mit grober Unehrerbietigkeit behandelt und den Pöbel seiner Stadt aufgereizt hatte, die Richter zu verhöhnen und mit Koth zu werfen.[85] Er schloß jetzt seine heftige Schmährede mit dem Verlangen, der Stabträger solle die Thüren öffnen, damit das gehässige Pergament, das nichts Geringeres als ein Aufgeben des Geburtsrechts der englischen Nation sei, mit gebührender Verachtung behandelt werde. „Werfen wir zuerst,” sagte er, „die Bill aus dem Hause und dann die Fremden aus dem Lande.”
Bei der Abstimmung wurde der Antrag, die Bill an einen Ausschuß zu verweisen, mit hundertdreiundsechzig gegen hundertachtundzwanzig Stimmen angenommen.[86] Aber die Minorität war eifrig und hartnäckig und die Majorität begann bald zu schwanken. Night’s Rede erschien bald in einer noch verstärkten Umarbeitung ohne Censurerlaubniß im Druck. Viele tausend Exemplare wurden durch die Post verbreitet oder in den Straßen umhergestreut, und das nationale Vorurtheil war so stark, daß nur zu Viele diese Gemeinheiten mit Beifall und Bewunderung lasen. Als aber ein Exemplar im Hause vorgelegt wurde, erhob sich ein solcher Sturm des Unwillens und Abscheues, daß selbst der schamlose und heftige Character des Redners dadurch eingeschüchtert wurde. Da er sah, daß er in der größten Gefahr schwebte, ausgestoßen und ins Gefängniß geschickt zu werden, suchte er sich zu rechtfertigen und desavouirte jede Kenntniß des Papiers, das sich für einen Abdruck seiner Rede ausgebe. Er kam straflos davon. Seine Rede aber wurde für falsch, verleumderisch und aufwieglerisch erklärt und im Palasthofe durch den Henker verbrannt. DieXX.75 Bill, welche alle diese Gährung verursacht hatte, wurde wohlweislich fallen gelassen.[87]
Inzwischen beschäftigten sich die Gemeinen mit finanziellen Fragen von hoher Wichtigkeit. Die Voranschläge für das Jahr 1694 waren enorm. Der König schlug vor, die reguläre Armee, die England zu unterhalten hatte, noch um vier Dragoner-, acht Reiter- und fünfundzwanzig Infanterieregimenter zu vermehren. Die Gesammtzahl der Truppen, die Offiziere inbegriffen; würde dadurch auf ungefähr vierundneunzigtausend Mann gestiegen sein.[88] Cromwell hatte, während er drei widerspenstige Königreiche im Schach hielt und nebenbei in Europa und Amerika einen nachdrücklichen Krieg gegen Spanien führte, niemals zwei Dritttheile der Militärmacht gehabt, die Wilhelm jetzt für nöthig hielt. Die große Masse der Tories, mit drei Whighäuptern, Harley, Foley und Howe, an der Spitze, widersetzte sich jeder Vermehrung. Die große Masse der Whigs, mit Montague und Wharton an der Spitze, würde Alles bewilligt haben was man verlangte. Nach vielen langen Discussionen und wahrscheinlich auch vielen Abstimmungen im Geldbewilligungsausschusse erlangte der König den größten Theil des Gewünschten. Das Haus bewilligte ihm vier neue Dragoner-, sechs Reiter- und fünfzehn Infanterieregimenter. Die somit für das laufende Jahr bewilligte Gesammttruppenmacht belief sich auf dreiundachtzigtausend Mann, die Unterhaltungskosten auf zwei und eine halbe Million, einschließlich ungefähr zweihunderttausend Pfund für das Geschützwesen.[89]
Die Anschläge für die Marine wurden viel rascher angenommen, denn Whigs und Tories stimmten in der Ansicht überein, daß das maritime Ansehen England’s um jeden Preis aufrecht erhalten werden müsse. Fünfhunderttausend Pfund wurden zur Bezahlung der schuldigen Soldrückstände und zwei Millionen für den Aufwand des Jahres 1694 bewilligt.[90]
Die Gemeinen gingen nun zur Berathung der Mittel und Wege über. Die Grundsteuer wurde mit vier Schilling vom Pfunde erneuert, und durch diese einfache aber energische Maßregel wurden etwa zwei Millionen sicher und schnell aufgebracht.[91] Ferner wurde eine Kopfsteuer ausgeschrieben.XX.76[92] Stempelabgaben gehörten schon längst zu den fiskalischen Hülfsquellen Holland’s und Frankreich’s, und haben auch bei uns während eines Theils der Regierung Karl’s II. bestanden; aber man hatte sie eingehen lassen. Sie wurden jetzt wieder ins Leben gerufen und haben seitdem stets einen großen Theil des Staatseinkommens gebildet.[93] Die Miethkutschen der Hauptstadt wurden ebenfalls besteuert und trotz des Widerstandes der Weiber der Kutscher, die sich um Westminster Hall versammelten und die Abgeordneten insultirten, unter die Aufsicht von Commissaren gestellt.[94] Doch ungeachtet aller dieser Auskunftsmittel blieb noch immer ein starkes Deficit und man mußte abermals borgen. Eine neue Salzsteuer und einige andere Abgaben von geringerer Bedeutung wurden abgesondert, um einen Fond zu einer Anleihe zu bilden. Unter Garantie dieses Fonds sollte eine Million durch eine Lotterie aufgebracht werden, aber durch eine Lotterie, die mit den Lotterien einer späteren Periode fast nichts als den Namen gemein hatte. Die einzuzahlende Summe wurde in hunderttausend Antheile zu zehn Pfund getheilt. Die Zinsen jedes Antheils sollten sechzehn Jahre lang jährlich zwanzig Schilling, oder mit anderen Worten zehn Procent betragen. Aber zehn Procent auf sechzehn Jahre war keine Lockspeise, welche Darleiher anzuziehen versprach. Man bot daher den Kapitalisten noch einen andren Köder. Auf ein Vierzigstel der Antheile sollten bedeutend höhere Zinsen bezahlt werden, als auf die anderen neununddreißig Vierzigstel. Welche von den Antheilen Prämien erhalten würden, sollte durch das Loos bestimmt werden. Das Verfahren beim Ziehen der Loose wurde von einem Abenteurer Namens Neale angegeben, der, nachdem er zwei Vermögen durchgebracht, froh gewesen war, daß er noch Thürhüter des Palastes wurde. Seine Amtspflichten bestanden darin, die Nummern auszurufen, wenn der Hof Hazard spielte, für Karten und Würfel zu sorgen und jeden Streit zu entscheiden, der auf der Kegelbahn oder am Spieltische entstand. Er war außerordentlich geschickt in der Verwaltung dieses nicht eben hohen Postens und hatte durch das Würfelspiel so viel Geld gewonnen, daß er sich in sehr kostspielige Spekulationen einlassen konnte und damals im Begriff war, den Boden in der Umgebung der Seven Dials mit Gebäuden zu bedecken. Er war vielleicht der beste Rathgeber, den man über die Details einer Lotterie befragen konnte. Es fehlte jedoch nicht an Personen, die es fast für unschicklich hielten, daß das Schatzamt sich des Beistandes eines Spielers von Profession bedienen sollte.[95]
Durch das sogenannte Lotterieanlehen wurde eine Million aufgebracht. Aber es fehlte noch eine Million, um das veranschlagte Einkommen für das Jahr 1694 mit den veranschlagten Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen. Der geniale und unternehmende Montague hatte einen Plan in Bereitschaft, zu dessen Annahme er die Gemeinen unter minder drückenden Finanzverlegenheiten schwerlich bewogen haben würde, der aber seinemXX.77 umfassenden und energischen Geiste wichtigere commercielle und politische Vortheile zu bieten schien, als die sofortige Erleichterung der Finanzen.
Es gelang ihm nicht nur auf zwölf Monate die Bedürfnisse des Staats zu decken, sondern auch ein großartiges Institut ins Leben zu rufen, das noch jetzt, nach Verlauf von mehr als anderthalb Jahrhunderten, in voller Blüthe steht, und das er noch als die Beste der Whigpartei durch alle Wechselfälle und als das Bollwerk der protestantischen Thronfolge in gefahrvollen Zeiten zu sehen erlebte.
Unter der Regierung Wilhelm’s gab es noch alte Leute, die sich der Zeit erinnern konnten, wo es in der City von London noch kein einziges Bankierhaus gab. Noch zur Zeit der Restauration hatte jeder Kaufmann seine eigene Kasse im Hause und wenn ihm ein Wechsel präsentirt wurde, zählte er selbst die Kronen und Caroli auf seinen Ladentisch hin. Aber die Zunahme des Wohlstandes hatte ihre natürliche Folge, die Theilung der Arbeit, mit sich geführt. Noch vor dem Ende der Regierung Karl’s II. war unter den Kaufleuten der Hauptstadt eine neue Methode Geld zu bezahlen und zu empfangen, aufgekommen. Es entstand eine Klasse von Agenten, deren Function darin bestand, das baare Geld der Handelshäuser zu verwahren. Dieser neue Geschäftszweig fiel naturgemäß in die Hände der Goldschmiede, welche gewohnt waren, mit den edlen Metallen große Geschäfte zu machen, und Keller besaßen, in denen Massen gemünzten Geldes vor Feuer und Dieben sicher aufbewahrt werden konnten. Alle Baarzahlungen wurden in den Läden der Goldschmiede von Lombard Street abgemacht. Andere Geschäftsleute gaben und empfingen nichts als Papier.
Diese große Veränderung erfolgte nicht ohne starke Opposition und viel Geschrei. Die Kaufleute der alten Schule beklagten sich bitter, daß eine Klasse von Männern, die sich noch vor dreißig Jahren auf ihr specielles Gewerbe beschränkt und schönes Geld verdient hatten, indem sie silberne Gefäße ciselirten, Edelsteine für die Damen faßten und den nach dem Continent Reisenden Pistolen und Thaler verkauften, die Schatzmeister der ganzen City geworden und auf dem besten Wege waren, die Beherrscher derselben zu werden. Diese Wucherer, sagte man, spielten Hazard mit dem, was Andere durch ihren Fleiß erworben und mit Sparsamkeit zurückgelegt hätten. Wenn das Glück gut gehe, so würde der Schurke, der das Geld aufbewahre, ein Alderman, gehe es schlecht, so mache der Betrogene, der das Geld hergegeben habe, bankerott. Auf der andren Seite wurden die Vortheile des neuen Gebrauchs in lebhafter Sprache hervorgehoben. Das neue System, sagte man, erspare sowohl Arbeit als Geld. Zwei Commis in einem Comtoir könnten soviel verrichten, als unter dem alten System zwanzig Commis in zwanzig verschiedenen Geschäften hätten verrichten müssen. Die Note eines Goldschmieds könne an einem Vormittage durch zehn verschiedene Hände gehen, und so könnten hundert Guineen, in seiner Geldkasse, ebensoviel thun, als früher tausend Guineen, in einer Menge verschiedener Kassen, einige auf Ludgate Hill, andere in Austin Friars, noch andere in Tower Street, gethan hatten.[96]
XX.78 Allmälig gaben selbst Diejenigen nach und fügten sich in den herrschenden Gebrauch, die am lautesten gegen die Neuerung gemurrt hatten. Der Letzte, welcher aushielt, war merkwürdigerweise Sir Dudley North. Als er 1680, nachdem er sich viele Jahre im Auslande aufgehalten, nach London zurückkehrte, erregte der Gebrauch, durch Anweisungen auf Bankiers Zahlungen zu leisten, sein großes Erstaunen und Mißfallen. Er fand, daß er nicht zur Börse gehen konnte, ohne durch den Säulengang von Goldschmieden verfolgt zu werden, welche unter tiefen Verbeugungen um die Ehre baten ihm zu dienen. Er fuhr heftig auf, als seine Freunde ihn fragten, wo er sein Geld aufbewahre. „Wo anders als in meinem Hause?” entgegnete er. Nur mit Mühe war er zu bewegen, sein Geld den Händen eines der Lombardstreetmänner, wie sie genannt wurden, anzuvertrauen. Zum Unglück machte der Lombardstreetmann bankerott, und einige seiner Geschäftsfreunde litten schwer darunter. Dudley North verlor zwar nur fünfzig Pfund; aber dieser Verlust bestärkte ihn in seinem Widerwillen gegen das ganze Bankmysterium. Doch vergebens ermahnte er seine Mitbürger, zu der guten alten Sitte zurückzukehren und sich nicht, um ein klein wenig Arbeit zu ersparen, der Gefahr gänzlichen Ruins auszusetzen. Er stand allein der ganzen Bürgerschaft gegenüber.
Die Vortheile des neuen Systems machten sich in allen Theilen London’s zu jeder Stunde jedes Tages fühlbar, und die Leute waren ebensowenig geneigt, sich dieser Vortheile aus Furcht vor selten eintretenden Verlusten zu entschlagen, als das Bauen von Häusern aus Furcht vor Feuer, oder das Bauen von Schiffen aus Furcht vor Stürmen zu unterlassen. Es ist ein interessantes Factum, daß ein Mann, der sich als Theoretiker von allen Kaufleuten seiner Zeit durch seinen umfassenden Blick und durch seine Erhabenheit über gemeine Vorurtheile auszeichnete, in der Praxis sich von allen Kaufleuten seiner Zeit durch die Zähigkeit unterschied, mit der er an einem veralteten Geschäftsmodus hing, nachdem schon längst die einfältigsten und unwissendsten Krämer diesen Modus mit einem andren vertauscht hatten, der einer großen handeltreibenden Gesellschaft bei weitem angemessener war.[97]
Kaum war das Bankiergeschäft ein abgesonderter und wichtiger Handelszweig geworden, so begann man eifrig die Frage zu verhandeln, ob es nicht zweckmäßig sein würde, eine Nationalbank zu errichten. Die allgemeine Meinung scheint einer Nationalbank entschieden günstig gewesen zu sein, und wir dürfen uns darüber nicht wundern, denn nur Wenige wußten damals, daß der Handel im allgemeinen von Einzelnen viel vortheilhafter betrieben werden kann, als von großen Gesellschaften, und das Bankgeschäft ist in der That einer von den wenigen Handelszweigen, welche durch große Handelsgesellschaften fast ebenso vortheilhaft betrieben werden können. Zwei öffentliche Banken waren schon seit langer Zeit in ganz Europa berühmt, die St. Georgsbank in Genua und die Bank von Amsterdam. Die ungeheuren Schätze, welche diese Etablissements in Verwahrung hatten, das Vertrauen, welches sie genossen, der Wohlstand, den sie erzeugt, ihre durch panische Schrecken, durch Kriege, durch Revolutionen geprüfte,XX.79 gegen dies Alles bewährt erfundene Stabilität, waren Lieblingsthemata. Die St. Georgsbank bestand bereits nahe an drei Jahrhunderte. Sie hatte schon Depositen anzunehmen und Darlehen zu machen begonnen, ehe Columbus über den atlantischen Ocean fuhr, ehe Gama das Cap umschiffte, als ein christlicher Kaiser in Constantinopel regierte, als ein muhamedanischer Sultan in Granada herrschte, als Florenz eine Republik war, als Holland einem erblichen Fürsten gehorchte. Dies Alles war jetzt verändert. Neue Continente und neue Oceane waren entdeckt worden. Der Türke war in Constantinopel, der Castilianer in Granada; Florenz hatte seine erblichen Fürsten, Holland war eine Republik und noch immer nahm die St, Georgsbank Depositen an und machte Darlehen. Die Bank von Amsterdam war noch nicht viel über achtzig Jahre alt, aber auch ihre Solvenz hatte schon schwere Proben bestanden. Selbst in der furchtbaren Krisis von 1672, als das ganze Rheindelta von den französischen Armeen überschwemmt war, als man vom Dache des Stadthauses die weißen Fahnen sehen konnte, gab es einen Ort, wo inmitten der allgemeinen Bestürzung und Verwirrung noch immer Ruhe und Ordnung herrschten, und dieser Ort war die Bank. Warum sollte die Bank von London nicht eben so groß und eben so dauerhaft werden wie die Banken von Genua und Amsterdam? Gegen das Ende der Regierung Karl’s II. wurden verschiedene Pläne vorgeschlagen, geprüft, angegriffen und vertheidigt. Einige Tagesschriftsteller behaupteten, eine Nationalbank müsse unter der Leitung des Königs stehen. Andere meinten, die Leitung müsse dem Lordmayor, den Aldermen und dem Gemeinderath der Hauptstadt übertragen werden.[98] Nach der Revolution wurde der Gegenstand mit einer vorher nicht gekannten Lebhaftigkeit discutirt, denn unter dem Einflusse der Freiheit hatte sich das Geschlecht der politischen Projectenmacher ungeheuer vermehrt. Die Regierung wurde mit einer Masse von Plänen überfluthet, welche zum Theil Träumen eines Kindes oder eines Fieberkranken glichen.
Eine besonders hervorragende Rolle unter den politischen Quacksalbern, deren geschäftige Gesichter man täglich in der Vorhalle der Gemeinen sah, spielten Johann Briscoe und Hugo Chamberlayne, zwei Projectenmacher, welche würdig gewesen wären Mitglieder der Akademie zu sein, die Gulliver in Lagado gründete. Diese beiden Männer behaupteten, daß das einzige Heilmittel für jede Krankheit des Staates eine Landbank sei. Eine Landbank werde für England größere Wunder bewirken, als sie je für Israel gethan worden seien, Wunder, welche die Wachtelschwärme und den täglichen Mannaregen noch übertreffen würden. Es würde keine Steuern geben, und doch würde der Staatsschatz bis zum Ueberlaufen voll sein. Man würde keine Armentaxen brauchen, denn es würde keine Armen geben. Das Einkommen jedes Grundbesitzers würde sich verdoppeln, der Gewinn jedes Kaufmanns würde sich vermehren. Kurz, die Insel würde, um mich Briscoe’s Ausdrucks zu bedienen, das Paradies der Welt werden. Die einzigen Verlierenden würden die Geldmänner sein, diese schlimmsten Feinde der Nation, welche der Gentry und den FreisassenXX.80 mehr Schaden gethan hätten als ein Invasionsheer aus Frankreich je hätte anrichten können[99].
Diese segensreichen Folgen sollte die Landbank einfach dadurch herbeiführen, daß sie ungeheure Massen von Noten auf Grundhypothek ausgab. Die Theorie der Projectenmacher war, daß Jedermann, der Grundeigenthum besaß, außerdem auch Papiergeld zum vollen Werthbetrage seines Grundeigenthums haben sollte. Wenn also sein Gut zweitausend Pfund werth war, so sollte er dieses Gut und zweitausend Pfund in Papiergeld haben[100]. Sowohl Briscoe als Chamberlayne behandelten die Ansicht, daß eine Zuvielausgabe von Papiergeld eintreten könne, so lange es noch für jede Zehnpfundnote ein Stück Land im Werthe von zehn Pfund gebe, mit der größten Verachtung. Niemand, sagten sie, werde einen Goldschmied beschuldigen, zuviel Papier ausgegeben zu haben, so lange seine Keller Guineen und Kronen zum vollen Werthe aller seine Unterschrift tragenden Noten enthielten. Es sei aber Thatsache, daß kein Goldschmied in seinen Kellern Guineen und Kronen zum vollen Betrage aller seiner Noten habe. Und habe nicht eine Quadratmeile fruchtbaren Bodens in Taunton Dean mindestens eben so viel Recht, Vermögen genannt zu werden, wie ein Beutel voll Gold oder Silber? Die Projectenmacher konnten nicht leugnen, daß viele Leute ein Vorurtheil zu Gunsten der edlen Metalle hatten und daß daher die Landbank, wenn sie verpflichtet wäre, ihre Noten einzulösen, sehr bald ihre Zahlungen würde einstellen müssen. Diese Schwierigkeit umgingen sie durch den Vorschlag, daß die Noten nicht ausgewechselt werden und daß Jedermann gezwungen sein sollte, sie zu nehmen.
Die Theorien Chamberlayne’s über das Circulationsmittel können vielleicht noch in unsrer Zeit Bewunderer finden. Aber er fügte seinen übrigen Irrthümern einen Irrthum hinzu, der mit ihm begann und endete. Er war so thöricht, in allen seinen Raisonnements als gewiß anzunehmen,XX.81 daß der Werth eines Gutes sich genau im Verhältniß zu seiner Dauer verändere. Er behauptete, daß, wenn der jährliche Ertrag eines Gutes sich auf tausend Pfund belaufe, eine Abtretung dieses Gutes auf zwanzig Jahre zwanzigtausend Pfund und eine Abtretung auf hundert Jahre hunderttausend Pfund werth sein müsse. Wenn daher der Besitzer eines solchen Gutes es der Landbank auf hundert Jahre verpfändete, so könne die Landbank auf diese Sicherheit sofort für hunderttausend Pfund Noten ausgeben. Von dieser Ansicht war Chamberlayne weder durch Spott, noch durch Argumentation, noch durch arithmetische Beweise abzubringen. Man erinnerte ihn, daß der unbeschränkte Besitz von Grundeigenthum nicht mehr werth sei als das Zwanzigfache seines Ertrags. Wenn man daher sage, ein hundertjähriger Besitz sei fünfmal soviel werth als ein zwanzigjähriger, so könne man eben so gut sagen, ein hundertjähriger Besitz sei fünfmal soviel werth als ein unbeschränkter Besitz, mit anderen Worten hundert sei gleich fünfmal das Unendliche. Die, welche so raisonnirten, schlug man damit, daß man ihnen sagte, sie seien Wucherer, und es scheint, als ob eine große Anzahl Landgentlemen die Widerlegung für vollständig gehalten hätte.[101]
Im December 1693 legte Chamberlayne seinen Plan in seiner ganzen nackten Ungereimtheit den Gemeinen vor und bat um Gehör. Er machte sich mit Zuversichtlichkeit anheischig, auf jedes Freigut von hundertfunfzig Pfund jährlichem Rentenwerthe, das, wie er sich ausdrückte, in seine Landbank eingeschrieben würde, achttausend Pfund aufzubringen, und dies ohne den Eigenthümer des Besitzes zu berauben.[102] Alle im Hause anwesenden Squires müssen gewußt haben, daß für den unbeschränkten Besitz eines solchen Gutes bei freiem Verkauf kaum dreitausend Pfund zu erlangen gewesen wären. Man sollte denken, daß es dem ungebildetsten Fuchsjäger, der auf den Bänken zu finden war, hätte unglaublich erscheinen sollen, daß man für weniger als den unbeschränkten Besitz eines solchen Gutes auf irgend einem Wege achttausend Pfund erlangen könne. Aber Noth und Haß hatten die grundbesitzenden Gentlemen leichtgläubig gemacht. Sie bestanden darauf, daß Chamberlayne’s Plan einem Ausschusse überwiesen werden solle, und der Ausschuß erklärte den Plan für ausführbar undXX.82 nutzbringend für die Nation.[103] Indessen hatte die vereinte Kraft der Beweisführung und des Spottes doch selbst auf die unwissendsten Landleute im Hause einigen Eindruck zu machen begonnen. Der Bericht lag unbeachtet auf dem Tische und das Land blieb vor einem Unglücke bewahrt, im Vergleich zu dem die Niederlage von Landen und der Verlust der Smyrnaflotte Segnungen gewesen sein würden.
Nicht alle Projectenmacher jener geschäftigen Zeit waren jedoch so albern wie Chamberlayne. Einer von ihnen, Wilhelm Paterson, war ein genialer, wenn auch nicht immer das Richtige treffender Denker. Von seinem früheren Leben weiß man nicht viel mehr als daß er ein Schotte von Geburt und daß er in Westindien gewesen war. In welcher Eigenschaft er Westindien besucht hatte, war eine Frage, über welche seine Zeitgenossen verschiedener Meinung waren. Seine Freunde sagten, er sei als Missionär hingegangen, seine Feinde, er sei Bukanier gewesen. Er scheint von der Natur mit einer fruchtbaren Erfindungsgabe, einem heißblütigen Temperament und großer Ueberredungskunst bedacht gewesen zu sein und sich irgendwo in seinem Nomadenleben eine genaue Kenntniß des Rechnungswesens erworben zu haben.
Dieser Mann legte der Regierung im Jahre 1691 den Plan zu einer Nationalbank vor, und dieser Plan wurde sowohl von Staatsmännern als von Kaufleuten günstig aufgenommen. Aber es vergingen Jahre, ohne daß etwas geschah, bis sich endlich im Frühjahr 1694 die absolute Nothwendigkeit herausstellte, ein neues Mittel zur Bestreitung der Kriegskosten ausfindig zu machen. Da endlich wurde der von dem armen und obscuren schottischen Abenteurer ersonnene Plan von Montague wieder ernstlich aufgenommen. Mit Montague nahe verwandt war Michael Godfrey, der Bruder des Sir Edmondsbury Godfrey, dessen trauriges und geheimnißvolles Ende funfzehn Jahre früher einen furchtbaren Wuthausbruch des Volks veranlaßt hatte. Michael war einer der geschicktesten, rechtschaffensten und reichsten Handelsfürsten London’s. Er war, wie es sich schon nach seiner nahen Verwandtschaft mit dem Märtyrer des protestantischen Glaubens erwarten ließ, ein eifriger Whig. Einige seiner Schriften sind noch vorhanden und beweisen, daß er einen scharfen und hellen Verstand besaß.
Diese beiden ausgezeichneten Männer nahmen sich des Paterson’schen Planes an. Montague übernahm es, das Haus der Gemeinen, Godfrey, die City zu bearbeiten. Es wurde vom Ausschusse für die Mittel und Wege ein Beifallsvotum erlangt und eine Bill auf den Tisch gelegt, deren Titel Veranlassung zu vielen Sarkasmen gab. Es war allerdings nicht leicht zu errathen, daß eine Bill, welche lediglich dahin lautete, eine neue Abgabe auf den Tonnengehalt der Schiffe zum Nutzen Derer zu legen, welche Geld zur Fortführung des Kriegs vorstreckten, thatsächlich eine Bill war, welche das größte commercielle Institut ins Leben rief, das die Welt je gesehen hat.
Der Plan war, daß die Regierung zwölfhunderttausend Pfund zu dem damals für mäßig geltenden Zinsfuße von acht Procent aufnehmen solle. Um die Kapitalisten zu bewegen, das Geld unter für den Staat so vortheilhaften Bedingungen rasch vorzustrecken, sollten die Unterzeichner unterXX.83 dem Namen Governor and Company of the Bank of England Corporationsrecht erhalten. Die Corporation sollte kein ausschließliches Privilegium haben und sollte keine anderen Geschäfte machen dürfen als mit Wechseln, Gold- und Silberbarren und verfallenen Pfändern.
Sobald der Plan allgemein bekannt wurde, brach ein eben so heftiger Federkrieg aus als der zwischen den Schwörenden und Nichtschwörenden, oder der zwischen der alten Ostindischen Compagnie und der neuen Ostindischen Compagnie. Die Projectenmacher, denen es nicht gelungen war, bei der Regierung Gehör zu finden, fielen wie Rasende über ihren glücklicheren Collegen her. Sämmtliche Goldschmiede und Pfandleiher erhoben ein wahres Wuthgeheul. Einige mißvergnügte Tories prophezeiten der Monarchie den Untergang. Es sei merkwürdig, sagten sie, daß Banken und Regierungen niemals neben einander hätten bestehen können. Die Banken seien republikanische Institute. Es gebe blühende Banken in Venedig, in Genua, in Amsterdam und in Hamburg. Aber wer habe je von einer Bank von Frankreich oder Spanien gehört?[104] Einige mißvergnügte Whigs prophezeiten dagegen unseren Freiheiten den Untergang. Es ist dies, sagten sie, ein furchtbareres Werkzeug der Tyrannei als die Hohe Commission, die Sternkammer, als selbst die funfzigtausend Soldaten Oliver’s. Der ganze Reichthum der Nation wird in den Händen der Tonnengeldbank — dies war der damals gebräuchliche Spottname — sein. Die Verfügung über das Nationalvermögen, die einzige große Sicherheit für alle Rechte der Engländer, wird vom Hause der Gemeinen auf den Gouverneur und die Directoren der neuen Compagnie übergehen. Diese letzte Betrachtung war in der That von einigem Gewicht, was auch die Urheber der Bill zugaben. Es wurde daher die sehr zweckmäßige Klausel aufgenommen, welche der Bank verbot, der Krone ohne Ermächtigung von Seiten des Parlaments Geld vorzustrecken. Jede Uebertretung dieser heilsamen Bestimmung sollte mit dem Verluste des dreifachen Betrags der vorgestreckten Summe bestraft werden, und der König sollte nicht befugt sein, den geringsten Theil dieser Strafe zu erlassen.
In der abgeänderten Gestalt erhielt der Plan die Sanction der Gemeinen leichter als man nach der Heftigkeit des dagegen erhobenen Geschreis hätte erwarten sollen. Das Parlament stand allerdings unter dem Drange der Nothwendigkeit. Geld mußte man haben, und es war auf keinem andren Wege so leicht zu beschaffen. Was im Hause vorging, als es sich zu einem Ausschusse erklärt hatte, ist nicht mehr zu ermitteln; so lange aber der Sprecher auf seinem Stuhle war, fand keine Abstimmung statt.
Die Bill war indessen nicht außer Gefahr, als sie ins Oberhaus gekommen war. Einige Lords argwöhnten, der Plan einer Nationalbank sei zu dem Zwecke ersonnen worden, um das Ansehen des Geldes auf Kosten des Ansehens des Grundbesitzes zu heben. Andere meinten, dieser Plan, mochte er nun gut oder schlecht sein, hätte ihnen nicht in einer solchen Form vorgelegt werden sollen. Ob es gerathen sei, eine Corporation ins Leben zu rufen, die mit der Zeit die ganze Handelswelt beherrschen könne, und wie eine solche Corporation eingerichtet werden müsse, das seien Fragen, die ein einzelner Zweig der Legislatur nicht entscheiden dürfe. Es müsseXX.84 den Peers vollkommen frei stehen, alle Details des vorgelegten Planes zu prüfen, Abänderungen vorzuschlagen und Conferenzen zu verlangen. Es sei daher höchst unbillig, daß ihnen das die Bank errichtende Gesetz als Theil eines Gesetzes zugesandt worden sei, welches der Krone Geld bewillige. Die Jakobiten hatten einige Hoffnung, daß die Session mit einem Streite zwischen den beiden Häusern enden, daß die Tonnengeldbill scheitern und daß Wilhelm den Feldzug ohne Geld beginnen werde. Es war nach dem neuen Style bereits Mai. Die Stadtsaison war vorüber und viele vornehme Familien hatten Conventgarden und Soho Square schon mit ihren Wäldern und Wiesen vertauscht. Doch es wurden Aufforderungen erlassen und es erfolgte ein starkes Zurückströmen nach der Stadt. Die vor Kurzem verödeten Bänke waren gedrängt voll. Die Sitzungen begannen zu einer ungewöhnlich frühen und dauerten bis zu einer ungewöhnlich späten Stunde. An dem Tage, an welchem die Bill einem Ausschusse überwiesen wurde, währte der Kampf ohne Unterbrechung von neun Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends. Godolphin präsidirte. Nottingham und Rochester schlugen vor, alle auf die Bank Bezug habenden Klauseln zu streichen. Es wurde Einiges über die Gefahr gesagt, eine gigantische Corporation zu errichten, welche bald dem Könige und den drei Ständen des Reichs Gesetze geben werde. Den meisten Eindruck aber scheint auf die Peers die in ihrer Eigenschaft als Grundbesitzer an sie gerichtete Apellation gemacht zu haben. Der ganze Plan, ward gesagt, sei nur darauf abgesehen, die Wucherer auf Kosten des Adels und der Gentry zu bereichern. Wer Geld erspart habe, werde es lieber in die Bank legen, als es gegen mäßige Zinsen auf Hypothek ausleihen. Caermarthen sagte wenig oder nichts zur Vertheidigung des Planes, der allerdings das Werk seiner Nebenbuhler und Feinde war. Er gab zu, daß sich gegen die Art und Weise, wie die Gemeinen für die öffentlichen Bedürfnisse des Jahres gesorgt hätten, ernste Einwendungen machen ließen. Aber könnten Ihre Lordschaften eine Geldbill amendiren? Könnten sie sich in einen Kampf einlassen, welcher darauf hinauslaufen müsse, daß sie entweder nachgeben oder die schwere Verantwortlichkeit auf sich laden müßten, den Kanal während des Sommers ohne eine Flotte zu lassen? Dieses Argument schlug durch und bei der Abstimmung wurde das Amendement mit dreiundvierzig gegen einunddreißig Stimmen verworfen. Einige Stunden darauf erhielt die Bill die königliche Genehmigung und das Parlament wurde prorogirt.[105]
In der City war der Erfolg von Montague’s Plan vollständig. Es hielt damals mindestens eben so schwer, eine Million zu acht Procent aufzubringen, als es gegenwärtig sein würde, dreißig Millionen zu vier Procent aufzubringen. Man hatte geglaubt, daß die Einzahlungen sehr langsam erfolgen würden, und die Acte bewilligte daher einen beträchtlichen Zeitraum dazu. Es bedurfte jedoch dieser Zeit nicht. Die neue Kapitalanlage war schon so populär, daß an dem Tage der Eröffnung der Bücher dreihunderttausend Pfund gezeichnet wurden; weitere dreihunderttausend Pfund wurden während der nächsten achtundvierzig Stunden gezeichnet, und in zehn Tagen wurde zur großen Freude aller Freunde derXX.85 Regierung angezeigt, daß die Liste voll sei. Die ganze Summe, welche die Corporation dem Staate zu leihen verpflichtet war, wurde in die Schatzkammer eingezahlt, noch ehe die erste Rate fällig war.[106] Somers drückte freudig das große Siegel unter eine in Uebereinstimmung mit den vom Parlamente vorgeschriebenen Bedingungen entworfene Concessionsurkunde, und die Bank von England begann im Hause der Kramerinnung ihre Operationen. Hier konnte man viele Jahre lang Directoren, Sekretäre und Commis in verschiedenen Theilen eines geräumigen Saales arbeiten sehen. Das bei der Bank angestellte Personal betrug anfangs nur vierundfunfzig Köpfe. Jetzt sind es ihrer neunhundert. Die Summe, welche jährlich für Gehalte ausgegeben wurde, belief sich zuerst auf viertausenddreihundertfunfzig Pfund. Gegenwärtig übersteigt sie zweihundertzehntausend Pfund. Wir dürfen daraus wohl unbedenklich schließen, daß das Einkommen der Handlungscommis unter der Regierung Victoria’s im Durchschnitt ungefähr dreimal so hoch ist als es unter der Regierung Wilhelm’s III. war.[107]
Es zeigte sich bald, daß Montague, indem er die finanziellen Verlegenheiten des Landes geschickt benutzte, seiner Partei einen unschätzbaren Dienst leistete. Mehrere Generationen hindurch war die Bank von England ein specifisch whiggistisches Institut. Sie war nicht durch Zufall, sondern aus Nothwendigkeit whiggistisch. Sie hätte augenblicklich ihre Zahlungen einstellen müssen, wenn sie die Zinsen für die Summe, die sie der Regierung geliehen, nicht mehr bezahlt bekommen hätte, und Jakob würde von diesen Zinsen keinen Farthing bezahlt haben. Siebzehn Jahre nach Annahme der Tonnengeldbill schilderte Addison in einer seiner geistreichsten und reizendsten kleinen Allegorien die Lage der großen Compagnie, durch welche der ungeheure Reichthum London’s beständig circulirte. Er sah den öffentlichen Credit auf einem Throne, in der Kramerhalle, die Große Charte über seinem Haupte, die Thronfolgeacte vor sich. Seine Berührung verwandelte Alles in Gold. Hinter seinem Sitze waren volle Geldsäcke bis zur Decke aufgehäuft. Zu beiden Seiten war der Boden mit Pyramiden von Guineen bedeckt. Plötzlich geht die Thür auf, und der Prätendent stürzt herein, in der einen Hand einen Schwamm, in der andren ein Schwert, das er gegen die Thronfolgeacte schwingt. Die schöne Königin sinkt in Ohnmacht. Der Zauber, durch den sie Alles um sich her in Schätze verwandelte, ist gebrochen. Die Geldsäcke schrumpfen zusammen wie aufgestochene Blasen. Die Haufen Goldstücke verwandeln sich in Bündel von Lumpen oder Kerbhölzern.[108]
Die Wahrheit, welche dieses Gleichniß ausdrückte, schwebte den Leitern der Bank beständig vor. Ihr Interesse war mit dem der Regierung so innig verwoben, daß sie ihr um so bereitwilliger zu Hülfe kamen, je größer die öffentliche Gefahr war. Wenn in alten Zeiten der Staatsschatz leer war, wenn die Steuern langsam eingingen und wenn der Sold der Truppen und der Matrosen in Rückstand war, mußte der Kanzler der Schatzkammer mit dem Hute in der Hand, von dem Lord-Mayor und denXX.86 Aldermen begleitet, in Cheapside und Cornhill auf und ab gehen und dadurch eine Summe zusammenbringen, daß er von diesem Strumpfwaarenhändler hundert Pfund, von jenem Eisenhändler zweihundert Pfund lieh.[109] Diese Zeiten waren vorüber. Die Regierung konnte jetzt anstatt mühsam aus zahlreichen kleinen Quellen kleine Summen zu schöpfen, aus einem ungeheuren Behälter, den alle jene kleinen Quellen fortwährend gefüllt erhielten, soviel nehmen als sie brauchte. Es ist schwerlich zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das Gewicht der Bank, das beständig in der Wagschale der Whigs lag, viele Jahre lang das Gewicht der Kirche, das beständig in der Wagschale der Tories lag, fast aufwog.
Wenige Minuten nachdem die Bill, welche die Bank von England errichtete, die königliche Genehmigung erhalten hatte, wurde das Parlament vom Könige mit einer Rede prorogirt, in der er den Gemeinen herzlich für ihre Freigebigkeit dankte. Montague wurde sofort für seine Dienste mit der Stelle des Kanzlers der Schatzkammer belohnt.[110]
Shrewsbury hatte sich einige Wochen vorher zur Annahme der Siegel verstanden. Er hatte standhaft vom November bis zum März ausgehalten. Während er Entschuldigungen zu finden versuchte, die seine politischen Freunde befriedigen konnten, besuchte ihn Sir James Montgomery. Montgomery war jetzt der unglücklichste Mensch von der Welt. Nachdem er in einer großen Revolution eine große Rolle gespielt, nachdem er mit der erhabenen Function betraut gewesen, den durch die Stände erwählten Souverainen die Krone Schottland’s zu überreichen, nachdem er mehrere Monate lang im Parlamente zu Edinburg ohne Nebenbuhler geherrscht, nachdem er nahe vor sich die Siegel des Staatssekretärs, eine Earlkrone, ein glänzendes Einkommen und die höchste Gewalt gesehen hatte, war er plötzlich in Dunkelheit und traurige Dürftigkeit versunken. Seine herrlichen Talente blieben ihm noch und er wurde deshalb von den Jakobiten benutzt; aber obwohl sie ihn benutzten, verachteten sie ihn, trauten ihm nicht und ließen ihn darben. Er verbrachte sein Leben damit, daß er zwischen England und Frankreich hin und her reiste, ohne in einem der beiden Länder eine bleibende Stätte zu finden. Bald wartete er im Vorzimmer zu Saint-Germains, wo die Priester ihn als einem Calvinisten finstre Blicke zuwarfen und wo selbst die protestantischen Jakobiten sich gegenseitig flüsternd vor dem alten Republikaner warnten. Bald hielt er sich in den Mansarden London’s verborgen, bei jedem Fußtritte, den er auf der Treppe hörte, fürchtend, daß es der eines Bailiffs mit einem Executionsbefehl, oder der eines Staatsboten mit einem Verhaftsbefehl sein könnte. Er erhielt jetzt Zutritt zu Shrewsbury und wagte es wie ein Jacobit mit einem Mitjakobiten zu sprechen. Shrewsbury, der durchaus nicht geneigt war, sein Vermögen und seinen Kopf in die Hände eines Mannes zu geben, den er als unbesonnen und als treulos kannte, gab sehr vorsichtige Antworten. Auf einem uns nicht bekannt gewordenen Wege erfuhr Wilhelm Alles was bei dieser Gelegenheit vorgegangen war. Er ließ Shrewsbury kommen und sprach aufs neue eindringlich von dem Sekretärposten.XX.87 Shrewsbury sträubte sich abermals, indem er sagte, seine Gesundheit sei schlecht. „Das,” entgegnete Wilhelm, „ist nicht Ihr einziger Grund.” — „Nein, Sire, allerdings nicht,” versetzte Shrewsbury. Er begann hierauf von öffentlichen Verdrießlichkeiten zu sprechen und erwähnte das Schicksal der Dreijährigkeitsbill, die er selbst eingebracht hatte. Wilhelm aber fiel ihm ins Wort. „Es steckt noch ein andrer Grund dahinter. Wann haben Sie das letzte Mal mit Montgomery gesprochen?” Shrewsbury war wie vom Donner gerührt. Der König wiederholte einige Aeußerungen Montgomery’s. Shrewsbury hatte sich inzwischen von seinem Schrecke erholt und sich erinnert, daß er bei der Unterredung, die der Regierung so genau hinterbracht worden war, zum Glück nichts Hochverrätherisches gesagt, wenn auch viel dergleichen gehört hatte. „Sire,” sagte er, „da Ihre Majestät so genau unterrichtet worden sind, werden Sie auch wissen, daß ich den Versuchen jenes Mannes, mich von dem Pfade meiner Unterthanenpflicht abzubringen, keinen Vorschub geleistet habe.” Wilhelm stellte dies nicht in Abrede, gab aber zu verstehen, daß solcher heimlicher Umgang mit anerkannten Jakobiten Verdacht erwecke, den Shrewsbury nur durch Annahme der Siegel entkräften könne. „Das wird mich vollkommen beruhigen,” sagte er. „Ich weiß, daß Sie ein Ehrenmann sind und daß, wenn Sie Sich einmal dazu verstehen mir zu dienen, Sie mir treu dienen werden.” So gedrängt, willigte Shrewsbury, zur großen Freude seiner ganzen Partei, ein und wurde für seine Bereitwilligkeit alsbald mit dem Herzogtitel und dem Hosenbandorden belohnt.[111]
So bildete sich allmälig ein Whigministerium. Es gab jetzt zwei whiggistische Staatssekretäre, einen whiggistischen Großsiegelbewahrer, einen whiggistischen ersten Lord der Admiralität und einen whiggistischen Kanzler der Schatzkammer. Der Lord Geheimsiegelbewahrer Pembroke konnte ebenfalls ein Whig genannt werden, denn sein Geist war so beschaffen, daß er willig den Eindruck jedes stärkeren Geistes aufnahm, mit dem er in Berührung gebracht wurde. Seymour wurde entlassen, nachdem er lange genug ein Commissar des Schatzes gewesen war, um einen großen Theil seines Einflusses auf die toryistischen Landgentlemen zu verlieren, die ihn meist angehört hatten wie ein Orakel, und seine Stelle wurde mit Johann Smith besetzt, einem eifrigen und talentvollen Whig, der an den Debatten der letzten Session thätigen Antheil genommen hatte.[112] Die einzigen Tories, welche noch hohe Aemter bei der ausübenden Verwaltung bekleideten, waren der Lordpräsident Caermarthen, der zwar zu fühlen begann, daß die Macht seinen Händen allgemach entschlüpfte, sich aber doch noch verzweifelt daran festklammerte, und der erste Lord des Schatzes, Godolphin, der sich wenig um Dinge bekümmerte, die außer dem Bereiche seines speciellen Departements lagen, und die Obliegenheiten dieses Departements mit Geschick und Emsigkeit erfüllte.
Wilhelm bemühte sich indessen noch immer, seine Gunstbezeigungen zwischen den beiden Parteien zu theilen. Obgleich die Whigs die eigentliche Macht mehr und mehr an sich rissen,XX.88 erhielten die Tories doch auch ihren Theil von ehrenvollen Auszeichnungen. So wurde Mulgrave, der während der letzten Session seine großen parlamentarischen Talente zu Gunsten der Politik des Königs aufgeboten hatte, zum Marquis von Normanby creirt und zum Cabinetsrath ernannt, aber nie um Rath gefragt. Er erhielt zu gleicher Zeit ein Jahrgeld von dreitausend Pfund. Caermarthen, den die neuerlichen Veränderungen tief gekränkt hatten, wurde durch ein glänzendes Zeichen der königlichen Zufriedenheit einigermaßen getröstet. Er wurde Herzog von Leeds. Es hatte ihm wenig über zwanzig Jahre Zeit gekostet, um sich von der Stellung eines Landgentleman von Yorkshire zur höchsten Stufe der Pairie emporzuschwingen. Zwei hochgestellte whiggistische Earls, Bedford und Devonshire, wurden zu gleicher Zeit zu Herzögen creirt. Es muß bemerkt werden, daß Bedford schon mehrere Male die Würde ausgeschlagen hatte, die er jetzt mit einigem Widerstreben annahm. Er erklärte, daß ihm sein Earltitel lieber sei als ein Herzogtitel, und er motivirte diese Bevorzugung durch einen sehr verständigen Grund. Ein Earl, der eine zahlreiche Familie habe, könne einen Sohn in den Tempel, einen andren auf ein Handelscomtoir der City schicken. Die Söhne eines Herzogs aber seien alle Lords und ein Lord könne sich seinen Lebensunterhalt weder in der Advokatur noch auf der Börse verdienen. Doch die Einwendungen des alten Mannes wurden besiegt, und den beiden vornehmen Häusern Russell und Cavendish, welche seit langer Zeit durch Freundschaft und durch Verschwägerung, durch gemeinsame Ansichten, durch gemeinsame Leiden und durch gemeinsame Triumphe eng verbunden waren, wurde an einem und demselben Tage die größte Ehre zu Theil, welche die Krone zu verleihen im Stande ist.[113]
Die Gazette, welche diese Ernennungen anzeigte, zeigte auch an, daß der König nach dem Continent abgereist sei. Vor seiner Abreise hatte er mit seinen Ministern die Mittel zur Vereitelung eines von der französischen Regierung entworfenen Operationsplanes zur See berathen. Bisher war der Seekrieg hauptsächlich im Kanal und auf dem atlantischen Meere geführt worden. Jetzt aber hatte Ludwig beschlossen, seine Seemacht im Mittelländischen Meere zu concentriren. Er hoffte, daß mit ihrer Hülfe die Armee des Marschalls Noailles im Stande sein werde Barcelona zu nehmen, ganz Catalonien zu unterwerfen und Spanien zu zwingen, um Frieden zu bitten. Demgemäß segelte Tourville’s Geschwader, aus dreiundfunfzig Kriegsschiffen bestehend, am 25. April von Brest ab und passirte am 4. Mai die Straße von Gibraltar.
Um die Absichten des Feindes zu vereiteln, beschloß Wilhelm, Russell mit dem größeren Theile der combinirten Flotte England’s und Holland’s ins Mittelländische Meer zu schicken. In den britischen Gewässern sollte ein Geschwader unter den Befehlen des Earls von Berkeley bleiben. Talmash sollte sich mit einem starken Truppencorps an Bord dieses Geschwaders einschiffen und sollteXX.89 Brest angreifen, das man in Abwesenheit Tourville’s und seiner dreiundfunfzig Schiffe für leicht einnehmbar hielt.
Daß in Portsmouth Anstalten zu einer Expedition getroffen wurden, an der die Landtruppen Theil nehmen sollten, ließ sich nicht verheimlichen. Ueber die Bestimmung des Geschwaders hatte man in der Rose und bei Garraway allerhand Vermuthungen. Einige sprachen von Rhe, Andere von Oleron, noch Andere von Rochelle, wieder Andere von Rochefort. Manche glaubten, ehe die Flotte sich in westlicher Richtung zu bewegen begann, sie sei nach Dünkirchen bestimmt. Manche Andere vermutheten dagegen, daß Brest der Angriffspunkt sein werde; aber sie vermutheten dies eben nur, denn das Geheimniß wurde besser bewahrt als die meisten andern Geheimnisse der damaligen Zeit.[114] Russell versicherte bis zu dem Augenblicke wo er bereit war die Anker zu lichten, seinen jakobitischen Freunden beständig, er wisse von nichts. Seine Verschwiegenheit blieb selbst Marlborough’s Kunstgriffen gegenüber fest. Doch Marlborough hatte andere Quellen. An diese Quellen wendete er sich, und es gelang ihm endlich, den ganzen Plan der Regierung zu entdecken. Er schrieb sofort an Jakob. Er habe, sagte er, so eben in Erfahrung gebracht, daß zwölf Regimenter Infanterie und zwei Regimenter Marinesoldaten unter Talmash’s Commando auf dem Punkte ständen sich einzuschiffen, um den Hafen von Brest und die daselbst liegenden Schiffe zu zerstören. „Dies,” setzte er hinzu, „würde ein großer Vortheil für England sein. Aber keine Rücksicht kann und soll mich jemals abhalten, Ihnen Alles mitzutheilen, wovon ich glaube, daß es Ihnen nützlich sein kann.” Dann, warnte er Jakob vor Russell. „Ich versuchte vor einiger Zeit, dies von ihm zu erfahren; aber er behauptete stets, nichts davon zu wissen, obgleich ich fest überzeugt bin, daß er den Plan schon seit mehr als sechs Wochen kannte. Dies scheint mir ein schlimmes Zeichen von der Gesinnung dieses Mannes.”
Die von Marlborough erhaltene Benachrichtigung theilte Jakob der französischen Regierung mit, und diese traf mit der ihr eigenen Energie und Eile ihre Maßregeln. Rasches Handeln war allerdings auch nöthig, denn als Marlborough seinen Brief schrieb, waren die Rüstungen in Portsmouth nahezu vollendet, und wäre der Wind den Engländern günstig gewesen, so hätte der Zweck der Expedition vielleicht ohne Kampf erreicht werden können. Aber widrige Winde hielten unsre Flotte noch einen Monat im Kanal zurück. Unterdessen war bei Brest ein zahlreiches Armeecorps zusammengezogen worden. Vauban war beauftragt, die Vertheidigungswerke in Stand zu setzen, und unter seiner geschickten Leitung wurden Batterien aufgefahren, welche jeden Punkt beherrschten, wo der Feind möglicherweise eine Landung versuchen konnte. Acht große Flöße, deren jedes eine Menge Mörser trug, wurden im Hafen vor Anker gelegt, und einige Tage vor Ankunft der Engländer war Alles zu ihrem Empfange bereit.
Am 6. Juni befand sich die ganze verbündete Flotte etwa funfzehn Meilen westlich vom Cap Finisterre im Atlantischen Meere. Hier trennten sich Russell und Berkeley. Russell fuhr weiter nach dem Mittelländischen Meere, und Berkeley’s Geschwader, mit den Truppen an Bord, steuerte nach der Küste der Bretagne und ankerte vor der Camaretbai, nahe bei der Einfahrt des Hafens von Brest. Talmash schlug vor, in der Camaretbai zu landen. Es erschien daher wünschenswerth, die Beschaffenheit der Küste genau zu untersuchen. Der älteste Sohn des Herzogs von Leeds, jetzt Marquis von Caermarthen, nahm es auf sich, in die Bucht einzufahren und die nöthigen Aufschlüsse zu erlangen. Die Leidenschaft dieses tapferen und excentrischen jungen Mannes für Seeabenteuer war unbezwinglich. Er hatte um den Rang eines Contreadmirals gebeten und ihn erhalten und begleitete die Expedition auf seiner eigenen Yacht „Peregrine,” die als ein Meisterstück der Schiffbaukunst berühmt war und schon mehr als einmal in dieser Geschichte erwähnt worden ist. Cutts, der sich durch seine Unerschrockenheit im irischen Kriege ausgezeichnet hatte und mit der irischen Peerswürde belohnt worden war, erbot sich, Caermarthen zu begleiten. Lord Mohun, der wahrscheinlich mit dem Wunsche, durch ehrenvolle Thaten den Schandfleck zu verwischen, den ein schmachvoller und unglücklich ausgegangener Streit auf seinen Namen geworfen, als Freiwilliger bei den Truppen diente, bestand ebenfalls darauf, von der Partie zu sein. Der Peregrine fuhr mit seiner tapferen Mannschaft in die Bucht ein und kam wohlbehalten, aber nicht ohne in großer Gefahr geschwebt zu haben, wieder heraus. Caermarthen berichtete, daß die Vertheidigungsanstalten, von denen er indeß nur einen kleinen Theil gesehen, furchtbar seien. Berkeley und Talmash aber vermutheten, daß er die Gefahr überschätzt habe. Sie wußten nicht, daß ihr Vorhaben schon längst in Versailles bekannt gewesen, daß eine Armee zu ihrem Empfange zusammengezogen worden war und daß der größte Ingenieur der Welt die Küste befestigt hatte. Sie zweifelten daher nicht, daß ihre Truppen unter dem Schutze der Kanonen ihrer Schiffe leicht würden ans Land gesetzt werden können. Am folgenden Morgen erhielt Caermarthen Ordre, mit acht Linienschiffen in die Bai einzufahren und die französischen Werke zu bombardiren. Talmash sollte mit ungefähr hundert Booten voll Soldaten folgen. Es stellte sich bald heraus, daß das Unternehmen sogar noch gefährlicher war, als es den Tag vorher geschienen hatte. Batterien, die man gar nicht bemerkt hatte, eröffneten ein so mörderisches Feuer gegen die Schiffe, daß mehrere Verdecke bald gesäubert waren. Starke Infanterie- und Cavalleriecorps kamen zum Vorschein und erwiesen sich nach ihren Uniformen als reguläre Truppen. Der junge Contreadmiral schickte schleunigst einen Offizier ab, um Talmash zu warnen. Aber Talmash war so vollständig von dem Wahne beherrscht, daß die Franzosen nicht darauf vorbereitet seien, einen Angriff abzuwehren, daß er jede Vorsichtsmaßregel unterließ und nicht einmal seinen eigenen Augen traute. Er glaubte fest, daß die Truppenmacht, die er an der Küste versammelt sah, ein bloßer Bauernschwarm sei, den man in der Eile aus der Umgegend zusammengetrieben habe. Ueberzeugt, daß diese Scheinsoldaten vor wirklichen Soldaten wie Schafe davonlaufen würden, befahl er seinen Leuten, nach dem Strande zu rudern. Er wurde bald eines Andren belehrt. Ein fürchterliches Feuer mähte seine Truppen rascher nieder als sie ans Ufer gelangen konnten. Er selbst war kaum auf trocknen Boden gesprungen, als eine KanonenkugelXX.91 ihn am Schenkel verwundete, so daß er in sein Boot zurückgetragen werden mußte. Seine Leute schifften sich in Verwirrung wieder ein. Schiffe und Boote eilten aus der Bucht herauszukommen, was ihnen jedoch erst gelang, nachdem vierhundert Matrosen und siebenhundert Soldaten gefallen waren. Noch viele Tage nachher spülten die Wellen fortwährend von Kugeln zerrissene und verstümmelte Leichname an den Strand der Bretagne. Die Batterie, von welcher Talmash seine Wunde erhielt, wird noch heute „des Engländer’s Tod” genannt.
Der unglückliche General wurde auf sein Lager gebettet und in seiner Kajüte ein Kriegsrath gehalten. Er war dafür, direct in den Hafen von Brest einzufahren um die Stadt zu bombardiren. Dieser Vorschlag aber, der nur zu deutlich verrieth, daß seine Urtheilskraft unter der Aufregung eines verwundeten Körpers und eines verwundeten Gemüths gelitten hatte, wurde von den Flottenoffizieren wohlweislich verworfen. Das Geschwader kehrte nach Portsmouth zurück. Dort starb Talmash, noch mit seinem letzten Athemzuge versichernd, daß er durch Verrätherei in eine Schlinge gelockt worden sei. Der Schmerz und Unwille des Volks äußerte sich laut. Die Nation erinnerte sich der Dienste des unglücklichen Generals, verzieh ihm seine Uebereilung, bedauerte seine Leiden und fluchte dem unbekannten Verräther, dessen Machinationen ihm zum Verderben gereicht hatten. Es circulirten allerhand Muthmaßungen und Gerüchte. Einige durch Nationalvorurtheil verblendete starre Engländer schworen, daß keiner unserer Pläne je dem Feinde verborgen bleiben würde, so lange französische Refugiés hohe Militärcommandos bekleideten. Einige durch Parteigeist verblendete eifrige Whigs murmelten, daß es dem Hofe von Saint-Germain nie an guter Kundschaft fehlen würde, so lange ein einziger Tory im Cabinetsrath sei. Der wirklich Schuldige wurde nicht genannt und erst als die Archive des Hauses Stuart untersucht wurden, erfuhr die Welt, daß Talmash durch die schändlichste aller hundert Schändlichkeiten Marlborough’s umgekommen war.[115]
Und doch war Marlborough niemals weniger ein Jakobit gewesen als in dem Augenblicke wo er dem Jakobitismus diesen abscheulichen und schmachvollen Dienst leistete. Man darf mit Gewißheit behaupten, daß es nicht seine Absicht war, der verbannten Familie zu dienen, und daß es nur seine sekundäre Absicht war, sich bei der verbannten Familie beliebt zu machen. Sein Hauptzweck war, sich in den Dienst der bestehenden Regierung einzudrängen und wieder in den Besitz der wichtigen und einträglichen Stellen zu gelangen, die ihm vor mehr als zwei Jahren entzogen worden waren. Er wußte, daß das Land und das Parlament es nicht geduldig ertragen würden, die Armee von ausländischen Generälen commandirt zu sehen. Nur zwei Engländer hatten sich für hohe militärische Posten brauchbar erwiesen: er selbst und Talmash. Wenn Talmash geschlagen und entlassen wurde, blieb Wilhelm fast keine Wahl mehr. In der That, sobald es bekannt wurde, daß die Expedition mißlungen und daß Talmash nicht mehr war, äußerte sich laut das allgemeine Verlangen, daß der König den ausgezeichneten Heerführer, der bei Walcourt, bei Cork und bei Kinsale so Großes geleistet habe, wieder zu Gnaden annehmen solle. Auch können wir die Menge wegen dieses VerlangensXX.92 nicht tadeln, denn Jedermann wußte, daß er ein vorzüglich tapferer, geschickter und glücklicher Offizier war; aber nur sehr Wenige wußten, daß, während er Wilhelm’s Truppen befehligte, während er in Wilhelm’s Staatsrath saß und während er Wilhelm’s Kammerherr war, er ein ungemein arglistiges und gefährliches Complot schmiedete, um Wilhelm’s Thron umzustürzen, und noch Wenigere vermutheten in ihm den Urheber des neuerlichen Unglücks, des Gemetzels in der Camaretbai und des traurigen Schicksals Talmash’s. So hatte die schändlichste aller Verräthereien die Folge, daß der Verräther in der öffentlichen Achtung stieg. Er unterließ denn auch nicht, den günstigen Augenblick sich zu Nutze zu machen. Während die Börse wegen des durch ihn herbeigeführten Unglücks in Bestürzung war, während zahlreiche Familien um die tapferen Männer, deren Mörder er war, Trauer anlegten, begab er sich nach Whitehall und betheuerte dort mit all’ der Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, unter denen ein verdorrtes Gewissen und ein reueloses Herz vor den Blicken oberflächlicher Beobachter verborgen waren, daß er der treueste und loyalste Unterthan Wilhelm’s und Mariens sei, und sprach die Hoffnung aus, daß es ihm unter den gegenwärtigen dringenden Umständen vergönnt sein werde, Ihren Majestäten seinen Degen anzubieten. Shrewsbury wünschte sehr, daß das Anerbieten angenommen werden möchte, aber eine kurze und trockene Antwort von Wilhelm, der sich damals in den Niederlanden befand, machte für den Augenblick jeder Unterhandlung ein Ende. Ueber Talmash sprach sich der König mit hochherziger Rührung aus. „Das Schicksal des armen Freundes,” schrieb er, „hat mich tief ergriffen. Ich kann zwar nicht sagen, daß er den richtigen Weg eingeschlagen hat; aber sein heißer Drang sich auszuzeichnen, bewog ihn, Unmögliches zu versuchen.”[116]
Die nach Portsmouth zurückgekehrte Flotte segelte bald wieder nach der Küste Frankreich’s ab, aber vollbrachte nur Thaten, welche schlimmer als unrühmlich waren. Es wurde ein Versuch gemacht, den Hafendamm von Dünkirchen in die Luft zu sprengen. Einige von friedlichen Kaufleuten und Fischern bewohnte Städte wurden bombardirt. In Dieppe blieb fast kein einziges Haus stehen, ein Drittel von Havre wurde in Asche gelegt, und nach Calais wurden Bomben geworfen, welche dreißig Privatwohnungen zerstörten. Die Franzosen und Jakobiten schrien laut über die Feigheit und Barbarei, gegen eine wehrlose Bevölkerung Krieg zu führen. Die englische Regierung vertheidigte sich, indem sie die Welt an die Leiden der dreimal verwüsteten Pfalz erinnerte, und Ludwig und seinen Schmeichlern gegenüber war diese Rechtfertigung vollkommen genügend. Ob es sich aber mit der Humanität und mit einer gesunden Politik vereinbaren ließ, die Verbrechen, die ein unumschränkter Fürst und eine wilde Soldateska in der Pfalz verübt hatten, Krämern und Arbeitern, Frauen und Kindern entgelten zu lassen, die gar nicht wußten, daß es eine Pfalz gab, dürfte wohl zu bezweifeln sein.
Inzwischen leistete Russell’s Flotte der gemeinsamen Sache gute Dienste. Widrige Winde hatten seine Einfahrt durch die Meerenge so lange verzögert, daß er erst Mitte Juli Carthagena erreichte. Indessen hatten die Fortschritte der französischen Waffen selbst bis in das Eskurial Schrecken verbreitet.XX.93 Noailles hatte an den Ufern des Tar eine Armee unter den Befehlen des Vicekönigs von Catalonien geschlagen, und an dem Tage, an welchem dieser Sieg erfochten wurde, hatte sich das Brester Geschwader in der Rosasbai mit dem Touloner Geschwader vereinigt. Palamos, gleichzeitig zu Lande und zur See angegriffen, wurde mit Sturm genommen. Gerona kapitulirte nach schwachem Widerstande. Ostalric ergab sich auf die erste Aufforderung. Barcelona würde aller Wahrscheinlichkeit nach auch gefallen sein, hätten die französischen Admiräle nicht erfahren, daß der Sieger von La Hogue sich nähere. Sie verließen sogleich die Küste von Catalonien und hielten sich nicht eher für sicher, als bis sie unter dem Schutze der Batterien von Toulon waren.
Die spanische Regierung sprach ihren warmen Dank für diesen rechtzeitigen Beistand aus und machte dem englischen Admiral einen Juwel zum Geschenk, dessen Werth allgemein auf zwanzigtausend Pfund Sterling geschätzt wurde. Es hielt nicht schwer, einen solchen Juwel unter der Masse kostbarer Kleinodien zu finden, welche Karl V. und Philipp II. einem entarteten Geschlecht hinterlassen hatten. In Allem, was den wahren Reichthum eines Staates bildet, war jedoch Spanien sehr arm. Seine Schatzkammer war leer, seine Arsenale waren nicht gefüllt, seine Schiffe waren so verfallen, daß sie bei dem Abfeuern ihrer eigenen Geschütze aus den Fugen zu gehen drohten. Seine zerlumpten und verhungerten Soldaten mischten sich oft unter den Bettlerschwarm an den Thüren der Klöster und schlugen sich da um eine Suppe und eine Brotrinde. Russell erfuhr die Prüfungen, denen kein englischer Befehlshaber entgangen ist, den sein Unstern dazu verurtheilte, in Verbindung mit Spanien zu operiren. Der Vicekönig von Catalonien versprach Viel, that Nichts und erwartete Alles. Er erklärte, daß dreihundertfunfzigtausend Rationen zur Vertheilung an die vor Carthagena liegende Flotte bereit seien. Es ergab sich jedoch, daß alle Magazine dieses Hafens nicht soviel Lebensmittel enthielten, um eine einzige Fregatte auf eine einzige Woche zu verproviantiren. Gleichwohl glaubte Se. Excellenz das Recht zu haben, sich darüber zu beschweren, daß England außer der Flotte nicht auch eine Armee geschickt habe, und daß der ketzerische Admiral es nicht für gut fand, die Flotte durch Angreifen der Franzosen unter den Kanonen von Toulon der gänzlichen Vernichtung auszusetzen. Russell beschwor die spanischen Behörden, die Thätigkeit auf ihren Schiffswerften zu beschleunigen und Alles aufzubieten, um für nächstes Frühjahr ein kleines Geschwader zu stellen, das wenigstens seetüchtig sei; aber er konnte sie nicht dazu bewegen, ein einziges Schiff auszubessern. Nur mit Mühe und unter harten Bedingungen erlangte er die Erlaubniß, einige seiner Kranken in die Marinehospitäler an der Küste zu schicken. Doch trotz aller Verlegenheiten, die ihm die Bornirtheit und Undankbarkeit einer Regierung bereitete, welche ihren Alliirten jederzeit mehr Schaden zugefügt hat als ihren Feinden, machte er seine Sache gut. Es ist nicht mehr als recht und billig, wenn man sagt, daß von dem Augenblicke an, wo er erster Lord der Admiralität wurde, eine entschiedene Besserung in der Marineverwaltung eintrat. Obgleich er mit seiner Flotte viele Monate lang in der Nähe einer ungastlichen Küste und in weiter Entfernung von England lag, kamen keine Klagen über die Qualität oder Quantität der Lebensmittel vor. Die Mannschaften hatten bessere Speisen und Getränke, als sie je zuvor gehabt; Bequemlichkeiten, welche Spanien nicht darbot, wurden vom Hause herbeigeschafft, und dennoch war derXX.94 Kostenaufwand nicht größer als zu Torrington’s Zeiten, wo der Matrose mit verfaultem Zwieback und mit verdorbenem Biere vergiftet wurde.
Da fast die ganze französische Seemacht im Mittelländischen Meere war und da zu erwarten stand, daß in folgendem Jahre ein Versuch auf Barcelona gemacht werden würde, so erhielt Russell den Befehl, in Cadix zu überwintern. Im October segelte er nach diesem Hafen ab und hier betrieb er die Ausbesserung seiner Schiffe mit einer Thätigkeit, die den spanischen Beamten, welche die elenden Ueberreste der einst größten Flotte der Welt ruhig vor ihren Augen verfaulen ließen, unbegreiflich war.[117]
Längs der östlichen Grenze Frankreich’s schien der Krieg dieses Jahr lässig betrieben zu werden. In Piemont und am Rhein waren die wichtigsten Ereignisse des Feldzugs kleine Scharmützel und räuberische Einfälle. Ludwig blieb in Versailles und schickte seinen Sohn, den Dauphin, in die Niederlande, um ihn dort zu repräsentiren; aber der Dauphin stand unter der Vormundschaft Luxemburg’s und er erwies sich als ein sehr folgsames Mündel. Mehrere Monate lang beobachteten die feindlichen Heere einander nur. Die Verbündeten versuchten einen kühnen Angriff in der Absicht, den Krieg auf französisches Gebiet zu übertragen; Luxemburg aber vereitelte den Plan durch einen Eilmarsch, der die Bewunderung aller Kriegskundigen erregte. Dagegen gelang es Wilhelm, Huy zu nehmen, damals eine Festung dritten Ranges. Keine Schlacht ward geliefert, keinige wichtige Stadt ward belagert, aber die Verbündeten waren mit dem Feldzuge zufrieden. Die vier letztverflossenen Jahre waren jedes durch eine große Niederlage bezeichnet worden. Im Jahre 1690 war Waldeck bei Fleurus geschlagen worden. Im Jahre 1691 war Mons gefallen. Im Jahre 1692 war Namur vor den Augen der Alliirten genommen worden und auf dieses Unglück war bald die Niederlage bei Steenkerke gefolgt. Im Jahre 1693 war die Schlacht bei Landen verloren worden und Charleroy hatte sich dem Sieger unterworfen. Endlich im Jahre 1694 hatte sich das Blatt zu wenden begonnen. Die französischen Armeen hatten keine weiteren Fortschritte gemacht. Die Verbündeten hatten zwar nicht viel gewonnen; aber den durch eine lange Reihe von Unfällen Entmuthigten war auch der kleinste Gewinn willkommen.
In England war man allgemein der Ansicht, daß trotz der Niederlage in der Camaretbai der Krieg im Ganzen einen befriedigenden Verlauf nehme. Aber einige Zweige der inneren Verwaltung erregten während dieses Herbstes viel Unzufriedenheit.
Seit Trenchard’s Ernennung zum Staatssekretär hatten die jakobitischen Agitatoren ihre Lage viel unerquicklicher gefunden als vorher. Sidney war viel zu nachsichtig und viel zu vergnügungssüchtig gewesen, als daß er ihnen viel Grund zu Besorgniß hätte geben sollen. Nottingham war ein fleißiger und geschickter Minister, aber er war ein so entschiedener Hochtory wie ein treuer Unterthan Wilhelm’s und Marien’s es nur sein konnte; er liebte und achtete viele von den Eidverweigerern, und wenn er sich auch zwang, da streng zu sein wo nur Strenge den Staat retten konnte, so beobachtete er doch nicht zu ängstlich die Vergehen seiner ehemaligen Freunde; ebensowenig ermuthigte er die Angeber, mit Anzeigen von VerschwörungenXX.95 nach Whitehall zu kommen. Trenchard aber war nicht nur ein thätiger Minister, sondern auch ein eifriger Whig. Selbst wenn er für seine Person zur Milde geneigt gewesen wäre, würde er durch seine Umgebungen zur Strenge getrieben worden sein. Er hatte beständig Hugo Speke und Aaron Smith zur Seite, zwei Männer, denen eine Jagd auf einen Jakobiten das reizendste aller Sportvergnügen war. Die Unzufriedenen sagten, Nottingham habe seine Bluthunde an der Leine gehalten, Trenchard aber habe sie losgelassen. Jeder rechtschaffene Gentleman, der die Kirche liebe und die Holländer hasse, schwebe in Lebensgefahr. Es sei ein beständiges Gewühl im Bureau des Sekretärs, ein fortwährendes Ab- und Zuströmen von ankommenden Denuncianten und mit Verhaftsbefehlen abgehenden Boten. Es wurde ferner gesagt, die Verhaftsbefehle seien oft regelwidrig abgefaßt, weder die Person noch das Verbrechen sei darin genau bezeichnet und doch würden unter der Autorität solcher Instrumente Privatwohnungen betreten, Pulte und Zimmer durchsucht, werthvolle Papiere weggenommen und Männer von guter Herkunft und Erziehung ins Gefängniß mitten unter gemeine Verbrecher geworfen.[118]
Der Minister und seine Agenten antworteten darauf, daß Westminster Hall offen stehe, daß, wenn Jemand unrechtmäßigerweise verhaftet worden sei, er nur seine Beschwerde einzureichen brauche; daß die Juries gerade bereit genug seien, Jeden anzuhören, der von grausamen und gewaltthätigen Machthabern tyrannisirt worden zu sein behaupte, und daß, da keiner der Gefangenen, deren angeblich erlittene Unbilden so ergreifend geschildert würden, es gewagt habe, zu diesem naheliegenden und einfachen Mittel, Genugthuung zu erlangen, gegriffen habe, man füglich annehmen dürfe, daß nichts geschehen sei, was sich nicht rechtfertigen lasse. Das Geschrei der Unzufriedenen machte jedoch einen bedeutenden Eindruck auf das Volk, und endlich zog ein Vorfall, bei welchem Trenchard mehr unglücklich als strafbar war, ihm und seiner Regierung viel zeitweilige Vorwürfe zu.
Unter den Angebern, die sein Bureau belagerten, befand sich ein irischer Abenteurer, der schon mehr als einen Namen geführt und sich zu mehr als einem Glauben bekannt hatte. Gegenwärtig nannte er sich Taaffe. Er war Priester der römisch-katholischen Kirche und Sekretär des päpstlichen Nuntius Adda gewesen, war aber nach der Revolution Protestant geworden, hatte geheirathet und sich durch seine Thätigkeit bei Entdeckung des heimlichen Eigenthums derjenigen Jesuiten und Benedictiner ausgezeichnet, die sich unter der vorigen Regierung in London aufhielten. Die Minister verachteten ihn, aber sie benutzten ihn. Sie glaubten, daß er durch seine Apostasie und durch den Antheil, den er an der Beraubung der geistlichen Orden genommen, sich jeden Rückzug abgeschnitten habe und daß er dem König Wilhelm treu sein müsse, da er vom König Jakob nichts als den Strang zu erwarten habe.[119]
Dieser Mann machte die Bekanntschaft eines jakobitischen Agenten, Namens Lunt, der seit der Revolution zu wiederholten Malen unter der mißvergnügten Gentry von Cheshire und Lancashire gebraucht worden und der in die Insurrectionspläne eingeweiht gewesen war, welche durch die Schlacht am Boyne 1690 und durch die Schlacht von La Hogue 1692XX.96 vereitelt wurden. Lunt war einmal als des Hochverraths verdächtig eingezogen, aus Mangel an juristischem Beweise für seine Schuld aber von der Anklage entbunden werden. Er war ein bloßer Söldling und wurde von Taaffe mit leichter Mühe bewogen, zum Angeber zu werden. Das Paar ging zu Trenchard. Lunt erzählte seine Geschichte, nannte die Namen einiger Squires von Cheshire und Lancashire, denen er Ernennungspatente von Saint-Germains überbracht haben wollte, und die einiger anderen, von denen er zu wissen vorgab, daß sie im Geheimen Waffen und Munition aufhäuften. Sein einfacher Eid würde nicht genügt haben, um einer Hochverrathsanklage Halt zu geben; aber er stellte einen andren Zeugen, dessen Aussagen die Anklage zu ergänzen schienen. Die Erzählung klang wahrscheinlich und hatte Zusammenhang, und wenn sie auch durch eigene Erfindungen ausgeschmückt sein mochte, so kann es doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß sie in der Hauptsache richtig war.[120] Es wurden Agenten und Haussuchungsbefehle nach Lancashire geschickt. Aaron Smith ging selbst hin und Taaffe begleitete ihn. Einige der zahlreichen Verräther, welche Wilhelm’s Brot aßen, hatten jedoch bereits das Alarmzeichen gegeben; ein Theil der Angeschuldigten war geflohen, und Andere hatten ihre Säbel und Flinten vergraben und ihre Papiere verbrannt. Indessen machte man doch Entdeckungen, welche Lunt’s Aussagen bestätigten. Hinter dem Wandgetäfel des alten Schlosses einer römisch-katholischen Familie wurde ein von Jakob unterzeichnetes Patent gefunden. Ein andres Haus, dessen Besitzer sich aus dem Staube gemacht hatte, wurde trotz der feierlichen Versicherungen seiner Gattin und seiner Dienerschaft, daß keine Waffen darin verborgen seien, genau durchsucht. Während die Dame, mit der Hand auf dem Herzen, auf ihre Ehre betheuerte, daß ihr Gatte fälschlich angeklagt sei, bemerkten die Boten, daß die hintere Wand des Kamins nicht gut befestigt zu sein schien. Die Bekleidung wurde losgerissen und ein Haufen Klingen, wie sie bei der Reiterei in Gebrauch waren, fiel heraus. In einer der Bodenkammern fand man sorgfältig eingemauert, dreißig Pferdesättel, eben so viele Brustharnische und sechzig Cavalleriesäbel. Trenchard und Aaron Smith hielten die aufgefundenen Schuldbeweise für genügend und es wurde beschlossen daß diejenigen Angeklagten, welche ergriffen worden waren, durch eine Specialcommission in Untersuchung gezogen werden sollten.[121]
Taaffe erwartete nun mit Bestimmtheit, daß er für seine Dienste belohnt werden würde; aber er fand einen kalten Empfang im Schatzamte. Er war hauptsächlich deshalb nach Lancashire gegangen, weil er hoffte, dort unter dem Schutze einer Durchsuchungsvollmacht Geschmeide und Goldstücke aus geheimen Fächern entwenden zu können. Seine Fingerfertigkeit war aber den Blicken seiner Begleiter nicht ganz verborgen geblieben. Sie waren dahinter gekommen, daß er sich die Abendmahlsgeschirre der papistischen Familien, deren Privatschätze er hatte durchstöbern helfen, zugeeignet hatte. Als er daher um eine Belohnung bat, wurde er nicht nur mit einer abschlägigen Antwort, sondern mit einem strengen Verweise abgefertigt. Er entfernte sich rasend vor Geldgier und Aerger. Es gab noch einen Weg, auf dem er sowohl Geld als Rache erlangen konnte, und diesen Weg schlug er ein. Er machte den Freunden der Angeklagten Anerbietungen.XX.97 Er, und er allein könne das was er gethan habe wieder rückgängig machen, könne die Angeklagten vom Galgen retten, könne die Ankläger mit Schande bedecken, könne den Staatssekretär und den Staatsprokurator, welche der Schrecken aller Freunde König Jakob’s seien, aus dem Amte vertreiben. So widerwärtig Taaffe den Jakobiten auch war, sein Anerbieten war nicht zu verachten. Er erhielt eine Summe Geldes, die Zusicherung einer anständigen Leibrente, wenn das Geschäft abgethan sein würde, und er wurde in die Provinz geschickt und bis zum Tage der Gerichtsverhandlungen in strenger Abgeschiedenheit gehalten.[122]
Unterdessen wurden uncensirte Flugschriften, in denen das Complot von Lancashire mit Oates’ Complot, mit Dangerfield’s Complot, mit Fuller’s Complot, mit Young’s Complot, mit Whitney’s Complot in eine Kategorie gestellt war, durch das ganze Land, und ganz besonders in der Grafschaft, welche die Jury zu liefern hatte, verbreitet. Das ausführlichste, geschickteste und heftigste von diesen Pamphlets, betitelt: A Letter to Secretary Trenchard, wurde allgemein Ferguson zugeschrieben. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß Ferguson einen Theil des Materials geliefert und das Manuscript zum Druck befördert hat. Viele Stellen aber sind in einer so gewandten und kräftigen Sprache geschrieben, wie sie ihm sicherlich nicht zu Gebote stand. Diejenigen, welche nach innerem Beweise urtheilen, werden vielleicht in einigen Theilen dieser bedeutsamen Schrift, das letzte Aufblitzen des boshaften Genie’s Montgomery’s zu erkennen glauben. Wenige Wochen nach seinem Erscheinen sank der „Brief” ungeehrt und unbedauert ins Grab.[123]
Es gab damals außer der London Gazette keine gedruckten Zeitungen. Seit der Revolution aber war der Neuigkeitsbrief ein wichtigeres politisches Werkzeug geworden als er vorher gewesen. Die Neuigkeitsbriefe eines Schriftstellers Namens Dyar circulirten weit und breit im Manuscript. Er gerirte sich als einen Tory und Hochkirchlichen und galt deshalb bei den fuchsjagenden Gutsherren im ganzen Königreich für ein Orakel. Er hatte schon zweimal im Gefängniß gesessen, aber seine Einnahmen hatten seine Leiden mehr als aufgewogen und er beharrte noch immer darin, seine Mittheilungen nach dem Geschmacke der Landgentlemen zu würzen. Jetzt zog er das Complot von Lancashire ins Lächerliche, erklärte, daß die aufgefundenen Gewehre alte Vogelflinten, daß die Sättel bloß für Jagdpferde bestimmt und daß die Säbel verrostete Reliquien von Edge Hill und Marston Moore gewesen seien.[124]
Alle diese Schmähungen und Sarkasmen scheinen einen großen Eindruck auf das Publikum gemacht zu haben. Selbst bei der holländischen Gesandtschaft, wo gewiß von einer Hinneigung zum Jakobitismus keine Rede war, herrschte die entschiedene Meinung vor, daß es unklug sein würde, den Gefangenen den Prozeß zu machen. In Lancashire und Cheshire waren die überwiegenden Gefühle Mitleid mit den Angeklagten und Haß gegen die Verfolger. Die Regierung beharrte jedoch in ihrem Vorhaben. Im October gingen vier Richter nach Manchester ab. Gegenwärtig besteht die Bevölkerung dieser Stadt aus Leuten, die in allen TheilenXX.98 der britischen Inseln geboren sind, und hat daher keine speciellen Sympathien für die Grundbesitzer, Pächter und Landleute der benachbarten Districte. Im 17. Jahrhundert aber war der Bewohner von Manchester auch ein Angehöriger von Lancashire, und seine politischen Ansichten waren die seiner Grafschaft. Er hegte vor den alten Cavalierfamilien seiner Provinz eine hohe Achtung und war wüthend, wenn er daran dachte, daß ein Theil des besten Blutes seiner Grafschaft durch ein paar rundköpfige Rabulisten aus London vergossen werden sollte. Massen von Menschen aus den umliegenden Ortschaften füllten die Straßen der Stadt und sahen mit Schmerz und Unwillen die Reihen gezogener Säbel und geladener Carabiner, welche die Angeklagten umgaben. Aaron Smith scheint seine Anordnungen nicht mit besonderem Geschick getroffen zu haben. Der erste Kronanwalt war Sir William Williams, der trotz seiner vorgerückten Jahre und seines großen Vermögens noch immer prakticirte. Ein Fehler hatte auf den letzten Theil seines Lebens einen dunklen Schatten geworfen. Die Erinnerung an den Tag, an welchem er sich in Westminster Hall unter Gelächter und Hohngeschrei erhoben hatte, um das Dispensationsrecht zu vertheidigen und das Petitionsrecht anzugreifen, hatte ihn seit der Revolution von allen Ehrenstellen ausgeschlossen. Er war ein galliger, in seinen Hoffnungen getäuschter Mann und durchaus nicht geneigt, sich im Interesse einer Regierung, der er nichts verdankte und von der er nichts zu erwarten hatte, unpopulär zu machen.
Es ist keine ausführliche Darstellung der Gerichtsverhandlungen auf uns gekommen; doch besitzen wir sowohl eine whiggistische als auch eine jakobitische Erzählung.[125] Wie es scheint wollten die Gefangenen, gegen welche die Untersuchung zuerst vorgenommen wurde, sich nicht einzeln vertheidigen lassen, und sie wurden daher zusammen prozessirt. Williams verhörte seine eigenen Zeugen mit einer Strenge, die sie in Verlegenheit setzte. Die Zuschauermenge, welche den Gerichtssaal füllte, lachte und schrie. Besonders Lunt kam gänzlich aus der Fassung, verwechselte die Personen, und sammelte sich erst dann wieder, als die Richter ihn den Händen des Kronanwalts entzogen. Für einige der Angeklagten wurde ein Alibi constatirt. Auch wurde durch Zeugen bewiesen, was eine unzweifelhafte Wahrheit war, daß Lunt ein Mensch von verworfenem Character sei. Der Ausgang schien jedoch zweifelhaft, bis Taaffe zum Schrecken der Ankläger in die Zeugenloge trat. Er schwur mit frecher Stirn, daß die ganze Complotgeschichte eine von ihm und Lunt ersonnene umständliche Lüge sei. Williams warf seine Anklageschrift zu Boden, und in der That, auch ein ehrenwertherer Advokat würde das Nämliche gethan haben. Die vor der Schranke stehenden Gefangenen wurden sofort freigesprochen, die noch nicht in Untersuchung gezogenen wurden in Freiheit gesetzt, die Belastungszeugen wurden mit Schimpf und Schande aus Manchester hinausgetrieben, der Greffier der Krone kam eben noch mit dem Leben davon und die Richter zogen unter Hohn und Verwünschungen ab.
Wenige Tage nach dem Schlusse der Untersuchungen in Manchester kehrte Wilhelm nach England zurück. Am 12. November, nur achtundvierzig Stunden nach seiner AnkunftXX.99 in Kensington, traten die Häuser zusammen. Er beglückwünschte sie wegen des verbesserten Standes der Dinge. Sowohl zu Lande als zur See seien die Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres im Ganzen genommen den Verbündeten günstig gewesen; die französischen Armeen hätten keine Fortschritte gemacht, die französischen Flotten hätten sich nicht zu zeigen gewagt; dessenungeachtet aber könne ein sicherer und ehrenvoller Friede nur durch kräftige Fortführung des Kriegs erlangt werden, und der Krieg könne ohne große Geldmittel nicht nachdrücklich fortgesetzt werden. Wilhelm erinnerte sodann die Gemeinen, daß die Acte, durch die sie der Krone auf vier Jahre das Tonnen- und Pfundgeld bewilligt, ihrem Erlöschen nahe sei, und sprach die Hoffnung aus, daß sie erneuert werden würde.
Nachdem der König gesprochen hatte, vertagten sich die Gemeinen aus einem Grunde, den kein Schriftsteller erörtert hat, auf eine Woche. Ehe sie sich wieder versammelten, trat ein Ereigniß ein, das im Palaste und in allen Reihen der Niederkirchenpartei große Betrübniß verursachte. Tillotson wurde plötzlich krank, während er in der Kapelle von Whitehall dem Gottesdienste beiwohnte. Rasche Hülfe hätte ihn vielleicht retten können; aber er wollte die Gebete nicht unterbrechen und nach beendigtem Gottesdienste war seine Krankheit durch die Heilkunst nicht mehr zu heben. Er war fast gänzlich der Sprache beraubt; aber seine Freunde erinnerten sich noch lange mit Vergnügen einiger abgebrochener Ausrufe, welche bewiesen, daß er sich bis zum letzten Augenblicke eines ungetrübten Seelenfriedens erfreute. Er wurde in der Kirche Saint Lawrence Jewry unweit Guildhall beigesetzt. In dieser Kirche hatte er sich seinen glänzenden Ruf als Kanzelredner erworben. Hier hatte er während der dreißig Jahre gepredigt, die seiner Erhebung auf den Thron von Canterbury vorangingen. Seine Beredtsamkeit hatte Massen von Gelehrten und Gebildeten aus den Inns of Court und aus den Palästen von St. James und Soho ins Herz der City gezogen. Ein ansehnlicher Theil seiner Zuhörerschaft hatte in der Regel aus jungen Geistlichen bestanden, welche kamen, um zu den Füßen des Mannes, der allgemein für den ersten Kanzelredner galt, die Kunst des Predigens zu erlernen. Nach dieser Kirche wurde jetzt seine irdische Hülle durch eine trauernde Bevölkerung getragen. Der Bahre folgte ein endloser Zug glänzender Equipagen vom Lambeth durch Southwark und über die Londonbrücke. Burnet hielt die Leichenrede. Auf sein weiches und braves Herz stürmten so viel rührende Erinnerungen ein, daß er mitten in seinem Vortrage innehielt und in Thränen ausbrach, während ein lautes Gemurmel des Schmerzes durch die ganze Versammlung lief. Die Königin konnte von ihrem Lieblingslehrer nicht ohne Thränen sprechen. Selbst Wilhelm war sichtbar ergriffen. „Ich habe,” sagte er, „den besten Freund verloren, den ich je gehabt, und den besten Menschen, den ich je gekannt.” Der einzige Engländer, der in jedem der zahlreichen Briefe, welche der König an Heinsius schrieb, mit Wohlwollen erwähnt wird, ist Tillotson. Der Erzbischof hatte eine Wittwe hinterlassen. Wilhelm setzte ihr ein Jahrgeld von vierhundert Pfund aus, das er später auf sechshundert Pfund erhöhte. Seine ängstliche Fürsorge, daß sie ihre Pension regelmäßig und ohne Verzögerungen ausgezahlt erhielt, machte ihm alle Ehre. Zu jedem Quartaltermin ließ er sich das Geld ohne jeden Abzug bringen und schickte es ihr selbst direct zu. Tillotson hatte ihr außer einer großen Anzahl Predigten in Manuscript kein Vermögen hinterlassen. Sein Name war bei seinen ZeitgenossenXX.100 so berühmt, daß diese Predigten von den Buchhändlern für die kaum glaubliche Summe von zweitausendfünfhundert Guineen angekauft wurden, was bei der damaligen kläglichen Beschaffenheit des Silbergeldes mindestens soviel war als dreitausendsechshundert Pfund. Ein solcher Preis war in England noch nie für das Verlagsrecht eines Werks bezahlt worden. Um die nämliche Zeit erhielt Dryden, dessen Ruhm damals auf dem Höhepunkt war, für seine Uebersetzung der sämmtlichen Werke Virgil’s dreizehnhundert Pfund, und man hielt dies für ein glänzendes Honorar.[126]
Es war nicht leicht, die hohe Stelle, welche durch Tillotson’s Tod zur Erledigung gekommen war, in zufriedenstellender Weise zu besetzen. Marie stimmte für Stillingfleet und betrieb seine Ansprüche so nachdrücklich, wie sie überhaupt je etwas zu betreiben wagte. In Bezug auf Talente und Kenntnisse waren ihm wenige Mitglieder der Geistlichkeit überlegen. Aber obgleich er von Jane und South wahrscheinlich als ein Niederkirchlicher betrachtet worden wäre, so war er doch Wilhelm noch zu hochkirchlich, und daher wurde Tenison ernannt. Der neue Primas war zwar kein besonders ausgezeichneter Kanzelredner oder Gelehrter, aber er war rechtschaffen, besonnen, fleißig und wohlwollend; er war ein guter Rector eines großen Kirchspiels und ein guter Bischof einer großen Diöcese gewesen; die Verleumdung hatte seinen Namen noch nicht begeifert, und man durfte wohl hoffen, daß ein Mann von gesundem Verstande, Mäßigung und Rechtschaffenheit die schwierige Aufgabe, eine mißvergnügte und zerrissene Kirche zu beruhigen, mit besserem Erfolge lösen werde, als ein Mann von glänzendem Genie und hochfliegendem Sinne.
Inzwischen hatten die Gemeinen ihre Geschäfte begonnen. Sie bewilligten freudig ungefähr zwei Millionen vierhunderttausend Pfund für die Armee und eben so viel für die Flotte. Die Grundsteuer wurde für das nächste Jahr abermals auf vier Shilling vom Pfunde festgesetzt; die Tonnengeldacte wurde auf fünf Jahre erneuert und ein Fond gegründet, auf den die Regierung zwei und eine halbe Million aufnehmen durfte.
In beiden Häusern wurde einige Zeit auf die Discutirung der Manchesterprozesse verwendet. Wären die Mißvergnügten klug gewesen, so würden sie sich mit dem schon errungenen Vortheile begnügt haben. Ihre Freunde waren in Freiheit gesetzt worden. Die Engländer waren mit Mühe einer wüthenden Menge entronnen. Der Ruf der Regierung war bedeutend erschüttert. Die Minister wurden in Prosa und in Versen, bald im Ernst, bald im Scherz beschuldigt, eine Bande Schurken gemiethet zu haben, um durch meineidige Aussagen achtbare Gentlemen an den Galgen zu bringen. Selbst gemäßigte Politiker, welche diesen niederträchtigen Beschuldigungen keinen Glauben schenkten, gaben zu, daß Trenchard sich den Schurkereien Fuller’s und Young’s hätte erinnern und gegen solche Elende wie Taaffe und Lunt auf seiner Hut sein sollen. Die Gesundheit und der Lebensmuth des unglücklichen Sekretärs hatten gelitten. Man sagte, daß er dem Grabe entgegenwanke, und es war gewiß, daß er nicht lange mehr die Siegel führen werde. Die Tories hatten einen großen Sieg gewonnen, aber in ihrem Eifer, denselben zu benutzen, verwandelten sie ihn in eine Niederlage.
XX.101 Bald nach Eröffnung der Session beschwerte sich Howe mit seiner gewohnten Heftigkeit und Bitterkeit über die Unwürdigkeiten, denen schuldlose und ehrenwerthe Männer von hoher Geburt und hohem Ansehen durch Aaron Smith und die von ihm bezahlten Schurken unterworfen worden seien. Die Whighäupter verlangten mit richtigem Takte eine Untersuchung. Jetzt begannen die Tories Ausflüchte zu machen, denn sie wußten wohl, daß eine Untersuchung ihrer Sache nur schaden konnte. Der Fall, sagten sie, sei untersucht worden, eine Jury habe ihr Verdict abgegeben, das Verdict sei ein definitives gewesen, und es würde monströs sein, wollte man den falschen Zeugen, welche mit Steinwürfen aus Manchester getrieben worden, Gelegenheit geben, ihr eingelerntes Pensum zu wiederholen. Die Antwort auf dieses Argument lag sehr nahe. Das Verdict war ein definitives in Bezug auf die Angeklagten, nicht aber in Bezug auf die Ankläger. Die Ankläger waren jetzt ihrerseits Angeklagte und hatten Anspruch auf alle Rechte Angeklagter. Daraus, daß die Gentlemen von Lancashire des Hochverraths nicht schuldig befunden worden waren und dies ganz angemessener Weise, folgte noch nicht, daß der Staatssekretär oder der Prokurator des Schatzes sich der Parteilichkeit oder auch nur der Uebereilung schuldig gemacht hatten. Das Haus beschloß mit hundertneunzehn gegen hundertzwei Stimmen, daß Aaron Smith und die beiderseitigen Zeugen vorgeladen werden sollten. Mehrere Tage vergingen unter Verhören und Kreuzverhören und die Sitzungen dauerten zuweilen bis spät in die Nacht. Es wurde bald klar, daß die Anklage nicht ganz grundlos und daß einige der freigesprochenen Personen wirklich bei hochverrätherischen Plänen betheiligt gewesen waren. Die Tories würden sich jetzt mit einer unentschiedenen Schlacht begnügt haben; aber die Whigs waren nicht gemeint, ihren Vortheil aus der Hand zu geben. Es wurde beantragt, daß hinreichender Grund zu dem Prozeßverfahren vor der Specialcommission vorhanden gewesen sei, und dieser Antrag ging ohne Abstimmung durch. Die Opposition schlug die Einschaltung einiger Worte vor, welche erklärten, daß die Kronzeugen falsch geschworen hätten; aber diese Worte wurden mit hundertsechsunddreißig gegen hundertneun Stimmen verworfen, und mit hundertdreißig gegen siebenundneunzig Stimmen resolvirt, daß eine gefährliche Verschwörung existirt habe. Die Lords hatten währenddem denselben Gegenstand berathen und waren zu dem nämlichen Schlusse gelangt. Sie schickten Taaffe wegen Wahrheitsverdrehung ins Gefängniß und nahmen Beschlüsse an, welche sowohl die Regierung als auch die Richter von jedem Tadel freisprachen. Das Publikum blieb jedoch nach wie vor der Ueberzeugung, daß die in Manchester zur Untersuchung gezogenen Personen ohne Grund verfolgt worden seien, bis ein jakobitisches Complot von empörender Abscheulichkeit, dessen die Verschwörer durch entscheidende Beweise überführt wurden, einen heftigen Rückschlag der öffentlichen Meinung herbeiführte.[127]
Unterdessen waren drei Bills, welche in früheren Jahren wiederholt berathen und von denen zwei vergebens am Fuße des Throns überreicht worden waren, aufs Neue eingebracht worden: die Stellenbill, die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen, und die Dreijährigkeitsbill.
Die Stellenbill kam nicht vor die Lords.XX.102 Sie wurde im Unterhause dreimal gelesen, aber nicht angenommen. Noch im letzten Augenblicke wurde sie mit hundertfünfundsiebzig gegen hundertzweiundvierzig Stimmen verworfen. Howe und Harley waren Stimmenzähler für die Minorität.[128]
Die Bill zur Regulirung des Verfahrens in Hochverrathsfällen kam auch diesmal wieder vor die Peers. Wiederum fügten Ihre Lordschaften ihr die Klausel bei, die ihr früher verderblich geworden war, und wiederum weigerten sich die Gemeinen, der erblichen Aristokratie irgend ein neues Vorrecht einzuräumen. Es wurden wieder Conferenzen gehalten und Gründe ausgetauscht; beide Häuser waren wieder hartnäckig, und die Bill fiel abermals.[129]
Die Dreijährigkeitsbill war glücklicher. Sie wurde am ersten Tage der Session eingebracht und ging leicht und rasch durch beide Häuser. Die einzige Frage, über welche sich ein ernsthafter Streit entspann, war die, wie lange das gegenwärtige Parlament fortbestehen solle. Nach mehreren lebhaften Debatten wurde der November des Jahres 1696 als der äußerste Termin festgesetzt. Die Tonnengeldbill und die Dreijährigkeitsbill hielten fast gleichen Schritt mit einander. Beide waren am 22. December bereit, die königliche Genehmigung zu empfangen. Wilhelm kam an diesem Tage mit feierlichem Gepränge nach Westminster. Die Mitglieder beider Häuser waren in großer Zahl anwesend. Als der Kronsekretär die Worte ablas: „Eine Bill zur häufigen Einberufung und Versammlung der Parlamente” war die Spannung groß. Als der Sekretär des Parlaments antwortete: „Le roy et la royne le veulent” lief ein lautes und langanhaltendes Gemurmel des Vergnügens und Frohlockens durch die Bänke und die Schranke.[130] Wilhelm hatte schon seit vielen Monaten beschlossen, einem so populären Gesetze nicht zum zweiten Male seine Genehmigung zu verweigern.[131] Manche waren jedoch der Meinung, daß er ein so großes Zugeständniß nicht gemacht haben würde, wenn er an diesem Tage ganz er selbst gewesen wäre. Es war in der That deutlich zu sehen, daß er ungewöhnlich aufgeregt und angegriffen war. Man hatte angekündigt, er werde in Whitehall öffentlich speisen. Aber er ließ die Neugierde der Menge, welche bei solchen Gelegenheiten nach Hofe strömte, unbefriedigt und eilte nach Kensington zurück.[132]
Er hatte nur zu guten Grund, aufgeregt zu sein. Seine Gemahlin war seit einigen Tagen unwohl und am vorhergehenden Abend hatten sich bedenkliche Symptome gezeigt. Sir Thomas Millington, der Leibarzt des Königs, glaubte, sie habe die Masern. Radcliffe aber, der sich trotz seines unfeinen Benehmens und seiner geringen Büchergelehrsamkeit hauptsächlich durch seine seltene GeschicklichkeitXX.103 in der Diagnostik die ausgebreitetste Praxis in London erworben hatte, sprach das bedenklichere Wort Pocken aus. Diese Krankheit, über welche die Wissenschaft seitdem eine Reihe ruhmvoller und wohlthätiger Siege errungen hat, war damals die furchtbarste aller Dienerinnen des Todes. Die Pest hatte die Menschen rascher hingerafft, aber sie hatte unsere Küsten seit Menschengedenken nur ein- oder zweimal heimgesucht; die Pocken hingegen herrschten beständig, füllten die Friedhöfe mit Leichen, quälten Alle, die sie noch nicht gehabt hatten, mit einer fortwährenden Angst, ließen an Denen, deren Leben sie verschonten, die abschreckenden Spuren ihrer Macht zurück, verwandelten den Säugling in ein häßliches Geschöpf, vor dem die Mutter zurückschauderte, und machten die Augen und Wangen der Braut zu Gegenständen des Abscheus für den Geliebten. Gegen das Ende des Jahres 1694 wüthete diese Seuche mit mehr als gewöhnlicher Bösartigkeit. Endlich verbreitete sich die Epidemie auch in den Palast und ergriff die junge blühende Königin. Sie vernahm die Ankündigung der ihr drohenden Gefahr mit wahrer Seelengröße. Sie gab Befehl, daß jede ihrer Hofdamen, jedes ihrer Ehrenfräuleins, ja selbst jeder niedere Dienstbote, der die Pocken noch nicht gehabt, Kensington House sofort verlassen solle. Sie schloß sich auf kurze Zeit in ihr Zimmer ein, verbrannte einige Papiere, ordnete andere und erwartete dann gefaßt ihr Schicksal.
Einige Zeit wechselten Hoffnung und Besorgniß häufig mit einander ab. Die Aerzte widersprachen einander und sich selbst in einer Weise, welche den damaligen Stand der Heilkunst deutlich verräth. Bald sollte die Krankheit die Masern, bald das Scharlachfieber, bald das Fleckfieber, bald der Rothlauf sein. Einmal wurden einige Symptome, welche gerade bewiesen, daß der Zustand der Patientin hoffnungslos war, als Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit begrüßt. Endlich war jeder Zweifel vorüber. Radcliffe’s Ausspruch erwies sich als der richtige. Es war klar, daß die Königin von den Pocken in der bösartigsten Form ergriffen war.
Diese ganze Zeit über brachte Wilhelm Tag und Nacht an ihrem Lager zu. Das kleine Bett, auf dem er schlief, wenn er im Felde war, wurde im Vorzimmer für ihn aufgeschlagen, aber er legte sich nur selten darauf. Der Anblick seines Kummers, schrieb der holländische Gesandte, müsse auch das gefühlloseste Herz rühren. Nichts schien mehr von dem Manne übrig zu sein, dessen heitere Standhaftigkeit an dem unglücklichen Tage von Landen alte Soldaten und in der schauerlichen Nacht zwischen den Eisschollen und Sandbänken der Küste von Goren alte Seeleute in Erstaunen gesetzt hatte. Selbst die Dienerschaft sah die Thränen unaufhaltsam über das Antlitz herabrollen, dessen ernste Ruhe nur selten durch einen Triumph oder durch eine Niederlage gestört worden war. Mehrere Prälaten waren anwesend. Der König zog Burnet auf die Seite und machte seinem Schmerze gegen ihn Luft. „Es ist keine Hoffnung,” rief er aus. „Ich war der glücklichste Mann auf Erben; jetzt bin ich der unglücklichste. Sie hatte keinen Fehler, keinen; Sie kannten sie genau; aber ihre Herzensgüte kannten Sie nicht, die kannte Niemand als ich.” Tenison übernahm es ihr zu sagen, daß sie sterben müsse. Er fürchtete, daß eine solche Mittheilung ohne gehörige Vorbereitung sie heftig erschüttern werde, und er ging daher mit großer Schonung zu Werke. Aber sie errieth bald was er meinte und ergab sich mit dem edlen weiblichen Muthe, der so oft unsre Unerschrockenheit beschämt, in den WillenXX.104 Gottes. Sie ließ sich ein kleines Kästchen bringen, in welchem sie ihre wichtigsten Papiere verschlossen hatte, befahl daß es sogleich nach ihrem Tode dem Könige eingehändigt werden solle, und riß sich dann von allen irdischen Sorgen los. Sie genoß das heilige Abendmahl und sprach die auf sie kommenden Worte mit ungeschwächtem Gedächtniß und Bewußtsein, wenn auch mit leiser Stimme. Sie bemerkte, daß Tenison lange an ihrem Bett gestanden hatte und stammelte mit der ihr eigenen liebenswürdigen Artigkeit die Bitte, daß er sich niedersetzen möchte, und wiederholte dieselbe, bis er ihr nachkam. Nachdem sie das Sakrament empfangen, nahm ihre Schwäche rasch zu und sie stammelte nur noch abgebrochene Worte. Zweimal versuchte sie es, von dem Manne Abschied zu nehmen, den sie so innig und ausschließlich geliebt hatte; aber sie konnte nicht mehr sprechen. Er hatte eine Reihe so beunruhigender Zufälle, daß seine Staatsräthe, die in einem anstoßenden Gemache versammelt waren, für seinen Verstand und für sein Leben fürchteten. Der Herzog von Leeds wagte es auf Ersuchen seiner Collegen die freundschaftliche Fürsorge zu übernehmen, deren durch Kummer zerrüttete Gemüther bedürfen. Wenige Minuten vor dem Hinscheiden der Königin wurde Wilhelm fast bewußtlos aus dem Krankenzimmer getragen.
Marie starb in Frieden mit Anne. Ehe die Aerzte die Krankheit für hoffnungslos erklärten, hatte die Prinzessin, deren Gesundheit damals sehr delikat war, sich freundlich erkundigen lassen, und Marie hatte freundlich geantwortet. Die Prinzessin hatte sich dann erboten, selbst zu kommen, aber Wilhelm hatte dieses Erbieten mit herzlichen Worten abgelehnt. Das Aufregende einer Unterredung, sagte er, würde beiden Schwestern zu nachtheilig sein. Sobald jedoch eine günstige Wendung einträte, würde Ihre königliche Hoheit in Kensington höchst willkommen sein. Wenige Stunden später war Alles vorbei.[133]
Die öffentliche Theilnahme war groß und allgemein. Denn Mariens tadelloser Wandel, ihre große Mildthätigkeit und ihre einnehmenden Manieren hatten ihr die Herzen ihres Volks gewonnen. Die Gemeinen verharrten in ihrer nächsten Sitzung einige Zeit in tiefem Stillschweigen. Endlich wurde beantragt und beschlossen, daß dem Könige eine Condolenzadresse überreicht werden solle, und dann trennte sich das Haus wieder, ohne zu weiteren Geschäften überzugehen. Der holländische Gesandte schrieb an die Generalstaaten, daß viele Mitglieder ihre Taschentücher vor den Augen gehabt hätten. Die Menge der betrübten Gesichter, die man auf der Straße sah, fiel jedem Beobachter auf. Die Trauer war allgemeiner als selbst die Trauer um Karl II. gewesen war. Am ersten Sonntage nach dem Ableben der Königin wurde in fast jeder Kirche der Hauptstadt und in fast jeder großen Versammlung von Nonconformisten ihr Gedächtniß gefeiert.[134]
Die achtungswertheren Jakobiten ehrten Wilhelm’s Schmerz und Mariens Andenken. Den heftigeren Zeloten der Partei aber war wederXX.105 das Haus der Trauer noch das Grab heilig. In Bristol läuteten die Anhänger Sir John Knight’s die Glocken, wie zur Feier eines Sieges.[135] Es ist oft erzählt worden und klingt durchaus nicht unwahrscheinlich, daß ein eidverweigernder Geistlicher inmitten der allgemeinen Trauer über den Text gepredigt habe: „Besehet doch die Verfluchte und begrabet sie, denn sie ist eines Königs Tochter.” Es ist erwiesen, daß einige der abgesetzten Priester sie bis ans Grab mit Schmähungen verfolgten. Ihr Tod, sagten sie, sei offenbar eine Strafe für ihr Verbrechen. Gott habe, vom Gipfel des Sinai unter Donner und Blitz den Kindern, die ihre Eltern ehren würden, langes Leben versprochen, und in diesem Versprechen liege augenscheinlich eine Drohung. Welcher Vater sei jemals von seinen Töchtern so schändlich behandelt worden wie Jakob von Marien und Anna? Marie sei in der Blüthe des Lebens, in der Fülle der Schönheit, auf dem Gipfel des Glücks dahingerafft worden, und Anna werde wohl thun, diese Warnung zu benutzen. Wagstaffe ging noch weiter und sprach ein Langes und Breites über gewisse sonderbare Zeitcoincidenzen. Jakob sei in der Weihnachtswoche aus seinem Palaste und seinem Lande vertrieben worden. Marie sei in der Weihnachtswoche gestorben. Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn wir die Geheimnisse der Vorsehung zu ergründen vermöchten, wir finden würden, daß die Wendung in der Krankheit der Tochter im December 1694 in genauer Analogie mit der Wendung in dem Schicksale des Vaters im December 1688 stände. Um Mitternacht sei der Vater von Rochester geflohen; um Mitternacht sei die Tochter gestorben. Solcher Art war die Tiefe und der Scharfsinn eines Schriftstellers, den die jakobitischen Schismatiker mit Recht als eines ihrer talentvollsten Häupter betrachteten.[136]
Die Whigs hatten bald eine Gelegenheit, sich zu revangiren. Triumphirend erzählten sie, daß ein Stadtschreiber, ein starrer Anhänger des erblichen Rechts, während er über die Strafe, welche die Königin ereilt habe, frohlockte, selbst plötzlich todt zu Boden gesunken sei.[137]
Des Leichenbegängnisses erinnerte man sich lange als des traurigsten und feierlichsten, das Westminster je gesehen. Während die irdische Hülle der Königin in Whitehall auf dem Paradebette lag, waren die benachbarten Straßen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit Menschenmassen angefüllt, welche allen Geschäftsverkehr unmöglich machten. Die beiden Häuser mit ihren Sceptern folgten der Bahre, die Lords in Scharlach und Hermelin, die Gemeinen in langen schwarzen Mänteln. Noch nie war ein Souverain vom Parlamente zum Grabe geleitet worden, denn bisher war das Parlament immer mit dem Souverain erloschen. Man hatte zwar eine Schrift verbreitet, in der ein unbedeutender scharfzungiger Rabulist seine Logik anwendete, um den Beweis zu führen, daß Ausschreiben, welche unter den vereinten Namen Wilhelm’s und Mariens erlassen seien, keine Gültigkeit mehr haben könnten, sobald Wilhelm allein regierte. Aber diese erbärmliche Sophisterei hatte ihre Wirkung gänzlich verfehlt. Sie war im Unterhause gar nicht, und im Oberhause nur erwähnt worden, um mit Verachtung verworfen zu werden. Die gesammte Magistratur der City schloß sich dem ZugeXX.106 an. Die Banner England’s und Frankreich’s, Schottland’s und Irland’s wurden von vornehmen Edelleuten vor dem Sarge her getragen. Die Zipfel des Leichentuches trugen die Oberhäupter der berühmten Häuser Howard, Seymour, Grey und Stanley. Auf dem prachtvollen Sarge von Purpur und Gold lagen Krone und Scepter des Reichs. Der Tag war ganz geeignet für eine solche Feierlichkeit. Der Himmel war dunkel und trübe und einige Schneeflocken fielen auf die schwarzen Federn des Leichenwagens. In der Abtei strahlten Schiff, Chor und Transept von zahllosen Wachskerzen. Die Leiche wurde unter einem prächtigen Thronhimmel im Mittelpunkte der Kirche abgesetzt, während der Primas predigte. Der erste Theil seines Vortrags war durch pedantische Abtheilungen und Unterabtheilungen verunziert; gegen den Schluß hin aber erzählte er was er selbst gesehen und gehört mit einer Einfachheit und einem Ernste, welche ergreifender waren, als die kunstvollste Rhetorik es hätte sein können. Während der ganzen Ceremonie hörte man von Minute zu Minute den entfernten Kanonendonner von den Batterien des Tower. Die holde Königin ruht unter ihren erlauchten Verwandten im südlichen Flügel der Kapelle Heinrich’s VII.[138]
Die Liebe, mit der ihr Gemahl ihr Andenken feierte, wurde bald durch das prächtigste Denkmal bethätigt, das je einem Herrscher errichtet worden ist. Kein Plan war so ganz von ihr ausgegangen und hatte ihr so sehr am Herzen gelegen als der, den Palast zu Greenwich in ein Asyl für Seeleute zu verwandeln. Die Idee war in ihr aufgestiegen, als sie sah, wie schwer es hielt, den Tausenden von Tapferen, welche nach der Schlacht von La Hogue verwundet nach England zurückkehrten, ein gutes Obdach und gute Pflege zu verschaffen. Zu ihren Lebzeiten war so gut wie nichts für die Verwirklichung ihres Lieblingsplanes gethan worden. Aber es war als ob ihr Gemahl, sobald er sie verloren, sich wegen der Nichtachtung ihrer Wünsche Vorwürfe gemacht hätte. Es wurde keine Zeit mehr verloren. Man entwarf einen Bauplan, und bald erhob sich am Ufer der Themse ein Gebäude, das das Asyl, welches der prachtliebende Ludwig für seine Soldaten errichtet, bei weitem übertraf. Wer die Inschrift rund um den Fries der Halle liest, wird bemerken, daß Wilhelm keinen Theil von dem Verdienste des Plans für sich beansprucht und daß er dasselbe lediglich Marien überläßt. Hätte der König bis zur Vollendung des Bauwerks gelebt, so würde die Statue der Frau, welche die eigentliche Gründerin der Anstalt war, in dem Hofe, der den Massen, welche beständig den majestätischen Strom auf und ab fahren, zwei hohe Kuppeln und zwei geschmackvolle Säulengänge zeigt, einen ins Auge fallenden Platz erhalten haben. Doch dieser Theil des Planes kam nicht zur Ausführung, und nur Wenige von Denen, welche jetzt das großartigste aller Hospitäler Europa’s betrachten, wissen, daß es ein Erinnerungszeichen der Tugenden der Königin Marie, der Liebe und der Trauer Wilhelm’s und des großen Sieges von La Hogue ist.
[1] Life of James, II. 497.
[2] Hamilton’s Zeneyde.
[3] A View of the Court of St. Germains from the Year 1690 to 1695, 1696; Ratio Ultima, 1697. In den Nairne Papers befindet sich ein Brief, in welchem den eidverweigernden Bischöfen befohlen wird, einen protestantischen Geistlichen nach Saint-Germains zu schicken. Diesem Briefe wurde schleunigst ein andrer nachgesandt, der den Befehl widerrief. Beide Briefe findet man in Macpherson’s Sammlung. Sie sind beide vom 16. Oct. 1693 datirt. Ich vermuthe, daß der erste nach dem neuen Style, der zweite nach dem alten Style datirt war.
[4] Ratio Ultima; History of the late Parliament, 1699.
[5] View of the Court of St. Germains from 1690 to 1695. Daß Dunfermline sehr schlecht behandelt wurde, geht selbst aus den Memoiren Dundee’s, 1714, klar hervor.
[6] Noch im Jahre 1690 machte das Conclave der Jakobitenhäupter, das Preston seine Instructionen gab, Jakob nachdrückliche Vorstellungen über diesen Gegenstand. „Er muß die Bigotterie von Saint-Germains verwerfen und ihren Sinn dahin lenken, daß sie auf die Mittel denken, von denen sich am ehesten erwarten läßt, daß die Nation dadurch gewonnen wird. Denn täglich geschieht dort dies und jenes, was zu unsrer Kenntniß kommt, wodurch die Erfüllung ihrer sehnlichen Wünsche verzögert wird.” Siehe auch A Short and True Relation of Intrigues transacted both at Home and Abroad to restore the late King James, 1694.
[7] View of the Court of St. Germains. Die in diesem Werke gegebene Darstellung wird durch eine wichtige Schrift bestätigt, die sich unter den Nairne’schen Manuscripten befindet. Einige von den Oberhäuptern der jakobitischen Partei in England richteten eine Vorstellung an Jakob, worin eine Stelle folgendermaßen lautet: „Sie bitten, daß Eure Majestät geruhen möge, den Kanzler von England in Ihren Staatsrath aufzunehmen; Ihre Feinde haben Vortheil davon, daß er nicht darin ist.” Jakob’s Antwort ist ausweichend: „Der König wird bei jeder Gelegenheit bereit sein, die gerechte Werthschätzung und Achtung zu bekunden, die er seinem Lordkanzler zollt.”
[8] A Short and True Relation of Intrigues, 1694.
[9] Siehe den Aufsatz mit der Ueberschrift: „Für meinen Sohn, den Prinzen von Wales, 1692.” Er ist am Schlusse des Life of James abgedruckt.
[10] Burnet I. 683.
[11] Ueber diesen Ministerwechsel in Saint-Germains sehe man die höchst interessante aber sehr verworrene Erzählung im „Leben Jakob’s”, II. 498–515; Burnet II. 219; Mémoires de Saint-Simon; A French Conquest neither desirable nor practicable; und die aus den Nairne Papers von Macpherson abgedruckten Briefe.
[12] Life of James, II. 509. Bossuet’s Ansicht findet man im Appendix zu Mazure’s Geschichte. Der Bischof faßt seine Argumente folgendermaßen zusammen: „Je dirai donc volontiers, aux Catholiques, s’il y en a qui n’approuvent point la déclaration dont il s’agit; Noli esse justus multum; neque plus sapias quam necesse est, ne obstupescas.” Im „Leben Jakobs” wird behauptet, daß die französischen Doctoren andrer Meinung geworden seien und daß Bossuet, obgleich er länger ausgehalten als die Uebrigen, endlich auch eingesehen, daß er im Irrthum gewesen, sich aber nicht habe entschließen können, förmlich zu widerrufen. Ich habe eine viel zu hohe Meinung von Bossuet’s Verstande, als daß ich dies glauben könnte.
[13] Life of James, II. 505.
[14] „En fin celle cy — j’entends la déclaration — n’est que pour rentrer; et l’on peut beaucoup mieux disputer des affaires des Catholiques à Whythall qu’à Saint Germain.” Mazure, Anhang.
[15] Baden an die Generalstaaten, 2. (12.) Juni 1693. Viertausend noch feuchte Exemplare wurden in diesem Hause gefunden.
[16] Baden’s Briefe an die Generalstaaten vom Mai und Juni 1693. An Answer to the late King James’s Declaration published at Saint Germains, 1693.
[17] Life of James, II. 514. Ich kann nicht glauben, daß Ken zu Denen gehörte, welche die Erklärung von 1693 als zu mild tadelten.
[18] Unter den Nairne Papers befindet sich ein Brief, den Middleton bei dieser Gelegenheit an Macarthy schrieb, welcher damals in Deutschland diente. Middleton bemüht sich, Macarthy zu beschwichtigen und ihn zur Beschwichtigung Anderer zu bewegen. Kein Staatsminister hat je etwas Falscheres geschrieben. „Der König,” sagt der Sekretär, „verspricht in der vorerwähnten Erklärung, die Vertheilung des Grundeigenthums wieder in den vorigen Stand zu setzen, zu gleicher Zeit aber erklärt er, daß er alle Diejenigen, welche darunter leiden, durch Aequivalente entschädigen werde.” Jakob erklärte jedoch keineswegs, daß er irgend Jemanden entschädigen wolle, sondern nur, daß er mit seinem Parlamente über den Gegenstand zu Rathe gehen werde. Ferner erklärte er nicht, daß er über die Entschädigung Aller, welche darunter leiden könnten, sondern nur Derjenigen, die ihn bis zuletzt begleitet hätten, mit dem Parlamente zu Rathe gehen werde. Und endlich sagte er nichts von Aequivalenten. Die Idee, Jedermann, der unter der Ansiedlungsacte litt, ein Aequivalent zu geben, mit anderen Worten, ein Aequivalent für das Freilehen des halben Grund und Bodens von Irland zu geben, war offenbar absurd. Middleton’s Brief befindet sich in Macpherson’s Sammlung. Ich will ein Beispiel von der Sprache geben, welche die Whigs bei dieser Gelegenheit führten. „Die Katholiken Irland’s,” sagt ein Schriftsteller, „weichen zwar im Punkte des Interesses wie des Bekenntnisses von uns ab, aber man muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie, wenn auch nicht von uns, so doch von dem vorigen Könige Gutes verdient haben, und daß der vorige König sie verließ und ausschloß, ist ein Beispiel von so ungewöhnlicher Undankbarkeit, daß die Protestanten nicht verpflichtet sind, zu einem Fürsten zu halten, der seine eigne Partei und ein Volk im Stiche läßt, das ihm und seinen Interessen bis zum letzten Augenblicke treu geblieben ist.” — A short and true Relation of the Intrigues etc. 1694.
[19] Das Stiftungsdecret wurde vom Pariser Parlamente am 10. April 1693 einregistrirt.
[20] Der Brief ist vom 19. April 1693. Er befindet sich unter den Nairne’schen Manuscripten und wurde von Macpherson abgedruckt.
[21] „Il ne me plait nullement que M. Middleton est allé en France. Ce n’est pas un homme qui voudrait faire un tel pas sans quelque chose d’importance, et de bien concerté sur quoy j’ay fait beaucoup de reflections que je reserve à vous dire a vostre heureuse arrivée.” — Wilhelm an Portland von Loo, 18. (28.) April 1693.
[22] Die beste Schilderung von Wilhelm’s damaligen Mühen und Besorgnissen findet man in seinen Briefen an Heinsius, besonders in denen vom 1., 9. und 30. Mai 1693.
[23] Er spricht sehr niedergeschlagen in seinem Briefe an Heinsius vom 30. Mai. Saint Simon sagt: „On a su depuis que le Prince d’Orange écrivit plusieurs fois au prince de Vaudemont, son ami intime, qu’il était perdu et qu’il n’y avait que par un miracle qu’il put échapper.”
[24] Saint-Simon; Monthly Mercury, Juni 1693. Burnet II. 111.
[25] Mémoires de Saint-Simon; Burnet I. 404.
[26] Wilhelm an Heinsius, 7. (17.) Juli 1693.
[27] Saint-Simon’s Worte sind bemerkenswerth: „Leur cavalerie,” sagt er, „y fit d’abord plier les troupes d’élite jusqu’alors invincibles.” Er setzt hinzu: „Les gardes du Prince d’Orange, ceux de M. de Vaudemont, et deux regimens anglais en eurent l’honneur.”
[28] Berwick; Saint-Simon; Burnet I. 112. 113; Feuquières; London Gazette vom 27. und 31. Juli und 3. August 1693; französischer officieller Bericht; Bericht, den der König von Großbritannien an Ihre Hochmögenden sandte, vom 2. August 1693; Auszug aus einem Briefe vom Adjutanten der Gardedragoner des Königs von England vom 1. August; Dykvelt’s Brief an die Generalstaaten, datirt vom 30. Juli Nachmittags. Die letzten vier Piecen findet man in dem Monthly Mercury vom Juli und August 1693. Siehe auch die History of the last Campain in the Spanish Netherlands, by Edward D’Auverquerque, dem Herzog von Ormond gewidmet, 1693. Die Franzosen ließen Wilhelm Gerechtigkeit widerfahren. „Le prince d’Orange,” schrieb Racine an Boileau, „pensa être pris après avoir fait des merveilles.” Siehe ferner die glühende Schilderung von Sterne, der wahrscheinlich noch oftmals von alten Soldaten die Schlacht hatte durchkämpfen hören. Bei dieser Gelegenheit blieb der Corporal Trim verwundet auf dem Schlachtfelde liegen und wurde von der Beguine gepflegt.
[29] Brief von Lord Perth an seine Schwester vom 17. Juni 1694.
[30] Saint-Simon erwähnt den gegen den Marschall ausgesprochenen Tadel. Feuquières, der ein sehr competenter Richter war, sagt uns, Luxemburg sei mit Unrecht getadelt worden und die französische Armee sei wirklich durch ihre Verluste zu sehr geschwächt gewesen, um ihren Sieg benutzen zu können.
[31] Die Angabe dessen was geschehen sein würde, wenn Luxemburg die Macht und den Willen gehabt hätte, seinen Sieg zu benutzen, habe ich einer wie es scheint sehr männlichen und verständigen Rede entnommen, welche Talmash am nächsten 11. December im Hause der Gemeinen hielt. Siehe Grey’s Debates.
[32] Wilhelm an Heinsius vom 20. (30.) Juli 1693.
[33] Wilhelm an Portland, 21. (31.) Juli 1693.
[34] London Gazette vom 24. April und 15. Mai 1693.
[35] Burchett’s Memoirs of Transactions at Sea; Burnet II. 114, 115, 116; London Gazette vom 17. Juli 1693; Monthly Mercury vom Juli; Brief aus Cadix vom 4. Juli.
[36] Narcissus Luttrell’s Diary; Baden an die Generalstaaten, 14. (24.) Juli, 25. Juli (4. Aug.). Unter den Tanner’schen Manuscripten in der Bodlejanischen Bibliothek befinden sich Briefe, welche die Aufregung in der City schildern. „Ich wünsche,” sagt einer von Sancroft’s jakobitischen Correspondenten, „daß er uns die Augen öffnen und unsre Ansicht ändern möge. Aber nach den Berichten, die ich gesehen habe, verließ die Türkei-Compagnie vollkommen befriedigt und aufgeheitert die Königin und den Staatsrath.”
[37]London Gazette vom 21. Aug. 1693; L’Hermitage an die Generalstaaten, 28. Juli (7. Aug.). Da ich in diesem und den folgenden Kapiteln die Depeschen L’Hermitage’s häufig benutzen werde, so wird es passend sein, etwas über ihn zu sagen. Er war ein französischer Refugié und lebte als Agent der Waldenser in London. Einige seiner Beschäftigungen hatte darin bestanden, Heinsius Neuigkeitsbriefe zu senden. Einige interessante Auszüge aus diesen Neuigkeitsbriefen findet man in dem Werke des Barons Sirtema de Grovestins. Wahrscheinlich auf Anrathen des Großpensionairs forderten die Generalstaaten durch einen vom 24. Juli (3. Aug.) 1693 datirten Beschluß L’Hermitage auf, Nachrichten über das was in England vorging zu sammeln und ihnen zu übersenden. Seine Briefe sind reich an interessanten und werthvollen Mittheilungen, die man sonst nirgends findet. Von ganz besonderem Werthe sind seine Berichte über die Parlamentsverhandlungen, und dies scheinen auch seine Vorgesetzten wohl erkannt zu haben.
Abschriften von den Depeschen L’Hermitage’s und überhaupt aller Gesandten und Agenten, welche die Generalstaaten seit den Zeiten der Königin Elisabeth in England unterhielten, befinden sich jetzt in der Bibliothek des britischen Museums oder werden sich bald daselbst befinden. Diesen werthvollen Zuwachs zu dem großen Nationalmagazin des Wissens verdankt das Land hauptsächlich Lord Palmerston. Es würde jedoch Unrecht sein, wenn ich nicht hinzusetzte, daß seine Anweisungen von dem verstorbenen Sir Eduard Disbrowe unter der gefälligen Mitwirkung der gelehrten Männer, deren Obhut die herrliche Archivensammlung im Haag anvertraut ist, mit größtem Eifer ausgeführt wurden.
[38] Little Hooknose. Spottname des Königs. — Der Uebers.
[39] Es ist auffällig, daß die Anklageschrift nicht in Howell’s State Trials aufgenommen wurde. Die mir vorliegende Abschrift war für Sir James Mackintosh angefertigt.
[40] Der größte Theil der auf uns gekommenen Aufschlüsse über Anderton’s Prozeß findet sich in Howell’s State Trials.
[41] Die Remarks existiren noch und sind lesenswerth.
[42] Narcissus Luttrell’s Diary.
[43] Ibid.
[44] Es existirt noch ein Flugblatt, an „alle Herren Seeleute, die ihres Lebens müde sind,” gerichtet, so wie eine Ballade, welche den König und die Königin der Grausamkeit gegen die Seeleute beschuldigt:
Narcissus Luttrell beschreibt die Scene in Whitehall.
[45] L’Hermitage, 5. (15.) Sept. 1693. Narcissus Luttrell’s Diary.
[46] Narcissus Luttrell’s Diary.
[47] Narcissus Luttrell’s Diary. In einem damals unter dem Titel: „A Dialogue between Whig and Tory” erschienenen Pamphlet spielt der Whig auf „die öffentlichen Ungebührlichkeiten in Bath in Folge der letzten Niederlage in Flandern” an. Der Tory antwortet: „Ich weiß nicht was einige hitzköpfige Trunkenbolde in Bath oder anderwärts gesagt oder gethan haben mögen.” In der Folioausgabe der Collection of State Tracts ist irrthümlich gesagt, dieser Dialogue sei um den November 1692 gedruckt worden.
[48] Der Aufsatz, den ich anführe, befindet sich unter den Nairne’schen Manuscripten und ist in Mackpherson’s Sammlung nachzulesen. Der vortreffliche Schriftsteller Mr. Hatham ist bezüglich dieses Gegenstandes in einen bei ihm sehr seltenen Irrthum verfallen. Er sagt, der Name Caermarthen’s werde beständig unter denen genannt, die Jakob zu seinen Freunden zählte. Ich glaube, man wird die Ueberzeugung gewinnen, daß der Beweis gegen Caermarthen sich lediglich auf das von mir erwähnte Schriftstück Melfort’s beschränkt. Es befindet sich zwar unter den Nairne’schen Handschriften, welche Mackpherson abdruckte, ein Brief ohne Datum und Unterschrift, in welchem Caermarthen zu Jakob’s Freunden gerechnet wird. Aber dieser Brief verdient ganz und gar keine Beachtung. Der Schreiber desselben war augenscheinlich ein unwissender heißblütiger Jakobit, der weder die Stellung noch den Character eines einzigen von den Staatsmännern kannte, die er erwähnt. Er macht arge Schnitzer in Betreff Marlborough’s, Godolphin’s, Russell’s, Shrewsbury’s und der Familie Beaufort. Die ganze Arbeit ist eigentlich ein Gewebe von Albernheiten.
Es muß bemerkt werden, daß in dem „Leben Jakob’s,” das aus seinen eigenen Schriften compilirt ist, die Unterstützungszusicherungen, die er von Marlborough, Russell, Godolphin, Shrewsbury und anderen angesehenen Männern erhielt, mit sehr ausführlichen Details erwähnt sind. Aber es findet sich kein Wort in diesem Werke, welches andeutete, daß Jakob jemals solche Zusicherungen von Caermarthen erhalten hätte.
[49] A Journal of several Remarkable Passages relating to the East India Trade, 1693.
[50] Siehe die Monthly Mercuries und die London Gazette vom September, October, November und December 1693; Dangeau, 5., 27. Sept., 21. Oct. und 21. Nov.; The Price of the Abdication, 1693.
[51] Correspondenz Wilhelm’s und Heinsius’; dänische Note datirt vom 11. (21.) Dec. 1693. Die Note, welche Avaux damals der schwedischen Regierung überreichte, findet man in Lamberty’s Sammlung und in den Mémoires et Négociations de la Paix de Ryswick.
[52] „Sir John Lowther sagt, Niemand kann heute wissen, was ein Haus der Gemeinen morgen thun wird, und Jedermann stimmte ihm darin bei.” Diese bedeutsamen Worte schrieb Caermarthen an den Rand einer von Rochester im August 1692 verfaßten Schrift. — Dalrymple, Anhang zum 2. Bande, Kap. 7.
[53] Siehe Sunderland’s berühmte Erzählung, welche oft gedruckt worden ist, und die Briefe seiner Gattin, die sich in den von dem verstorbenen Stabträger Blencowe herausgegebenen Sidney’schen Schriften befinden.
[54] Van Citters, 6. (16.) Mai 1690.
[55] Evelyn, 24. April 1691.
[56] Lords’ Journals, April 28. 1693
[57] L’Hermitage, 19. (29.) Sept., 2. (12.) Oct. 1693.
[58] Es ist ergötzlich zu sehen, wie Johnson’s Toryismus da hervorbricht, wo wir ihn schwerlich zu finden erwarten. Hastings sagt im dritten Theile seines Henry the Sixth:
„Dies,” sagt Johnson in einer Note, „ist der Rath eines Jeden gewesen, der zu irgend einer Zeit das Interesse England’s begriffen und unterstützt hat.”
[59] Swift nennt Somers in seiner Inquiry into the Behaviour of the Queen’s last Ministry einen Mann von glänzender Begabung, der mit solcher Offenheit zu sprechen pflegte, daß er den Grund seines Herzens zu enthüllen schien. In den Memoirs relating to the Change in the Queen’s Ministry, sagt Swift, daß Somers einen, aber auch nur einen unangenehmen Fehler gehabt habe, — Förmlichkeit. Es ist schwer zu begreifen, wie ein und der nämliche Mensch der offenherzigste Gesellschafter, und dabei doch zur Förmlichkeit geneigt sein kann. Gleichwohl kann in beiden Schilderungen etwas Wahres sein. Es ist wohl bekannt, daß Swift sich hochgestellten Männern gegenüber gern unzarte Freiheiten herausnahm und sich einbildete, dadurch seine Unabhängigkeit zu behaupten. Er ist wegen dieses Fehlers mit Recht von seinen beiden berühmten Biographen getadelt worden, welche beide Männer von mindestens eben so selbständigem Geiste als der seinige waren, von Samuel Johnson und Walter Scott. Ich vermuthe, daß er auch Lust zeigte, sich gegen Somers mit beleidigender Familiarität zu benehmen, und daß Somers, der nicht geneigt war, sich Impertinenzen gefallen zu lassen, aber auch nicht in die Nothwendigkeit versetzt werden wollte, sie zu ahnden, zur Selbstvertheidigung eine ceremoniöse Höflichkeit gegen ihn beobachtete, die er gegen Locke und Addison nie beobachtet haben würde.
[60] Die Lobreden auf Somers und die Schmähungen gegen ihn sind zahllos. Das beste Mittel sich ein richtiges Urtheil über ihn zu bilden, würde vielleicht sein, wenn man Alles sammelte, was Swift und Addison über ihn gesagt haben. Sie waren die beiden schärfsten Beobachter ihrer Zeit und kannten ihn Beide genau. Es muß jedoch bemerkt werden, daß Swift, bevor er Tory wurde, Somers stets nicht blos als den gebildetsten, sondern auch als den tugendhaftesten Menschen pries. In der Dedication zu seiner Tale of a Tub kommen folgende Worte vor: „Es giebt keine Tugend, weder des öffentlichen noch des Privatlebens, welche Sie in Ihren verschiedenen Lebenslagen nicht oftmals auf die Weltenbühne gebracht hätten.” Dann weiterhin: „Wenn das glänzende Beispiel der Tugenden Eurer Lordschaft vor den Blicken Anderer verborgen bliebe, würde ich das um ihrer und um Ihretwillen sehr bedauern.” In dem Discourse of the Contests and Dissensions at Athens and Rome ist Somers der gerechte Aristides. Nachdem Swift zur andren Partei übergegangen war, nannte er Somers einen Mann, der „alle vortrefflichen Eigenschaften, nur keine Tugend besitze.”
[61] Siehe Whiston’s Selbstbiographie.
[62] Swift’s Note zu Mackay’s Characteristik Wharton’s.
[63] Diese Schilderung Montague’s und Wharton’s habe ich aus unzähligen Quellen zusammengetragen. Ich muß jedoch speciell die höchst interessante Lebensbeschreibung Wharton’s erwähnen, welche unmittelbar nach seinem Tode erschien.
[64] Einen großen Theil meiner Angaben über die Harley habe ich aus ungedruckten Memoiren von Eduard Harley, dem jüngeren Bruder Robert’s, entlehnt. Eine Abschrift dieser Memoiren befindet sich unter den Mackintosh-Manuscripten.
[65] Der einzige Schriftsteller, der, soviel ich mich entsinnen kann, Harley’s Rednergabe gelobt hat, ist Mackay, der ihn beredtsam nennt. Swift schrieb an den Rand: „Eine große Lüge.” Und Swift war gewiß bereit, Harley mehr als Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. „Dieser Lord,” sagt Pope, „sprach so verworren von Geschäftsangelegenheiten, daß man nicht wußte, was er eigentlich wollte, und Alles trug er in epischer Weise vor, denn er fing stets in der Mitte an.” Spence’s Anecdotes.
[66] „Er pflegte,” sagt Pope, „fast jeden Tag werthlose Verse vom Hofe in den Scriblerus-Club zu senden und kam dann fast jeden Abend hin, um mit ihnen zu schwatzen, selbst wenn sein Alles auf dem Spiele stand.” Einige Proben von Harley’s Poesie sind gedruckt worden. Das Beste ist meiner Ansicht nach eine Stanze, die er auf seinen Sturz im Jahre 1714 dichtete; und selbst das Beste ist schlecht.
[67] Die Characteristik Harley’s ist aus unzähligen Lob- und Schmähschriften zusammengestellt; aus den Werken und den Privatcorrespondenzen Swift’s, Pope’s, Arbuthnot’s, Prior’s und Bolingbroke’s und aus einer Menge von Schriften wie Ox and Bull, The High German Doctor und The History of Robert Powell the Puppet Showman.
[68] In einem Briefe, datirt vom 12. Sept. 1709, kurz zuvor ehe er auf den Schultern des hochkirchlichen Pöbels ans Staatsruder emporgehoben wurde, sagt er: „Meine Seele ist unter Löwen gewesen, ebenfalls Menschensöhnen, deren Zähne Speere und Pfeile und deren Zungen scharfe Schwerter sind. Aber ich komme dahinter, wie gut es ist, dem Herrn zu dienen und seinen Seelenfrieden zu haben.” Der Brief war an Carstairs gerichtet. Ich zweifle, ob Harley so gefrömmelt haben würde, wenn er an Atterbury geschrieben hätte.
[69] Die anomale Stellung, welche Harley und Foley damals einnahmen, ist in dem Dialogue between a Whig and a Tory,1693, angedeutet. „Euer großer P. Fo — y,” sagt der Tory, „wird Cadet und dient unter dem General der Westsachsen. Die beiden Har—y, Vater und Sohn, sind Ingenieurs unter dem verstorbenen Feldzeugmeister und bombardiren jede Bill, die er sich einmal vorgenommen hat in Asche zu verwandeln.” Seymour ist der General der Westsachsen. Musgrave war unter Karl II. Feldzeugmeister gewesen.
[70] Lords’ und Commons’ Journals, Nov. 7. 1693.
[71] Commons’ Journals, Nov. 13. 1693; Grey’s Debates.
[72] Commons’ Journals, Nov. 17. 1693.
[73] Commons’ Journals, Nov. 22. 27. 1693; Grey’s Debates.
[74] Commons’ Journals, Nov. 29. Dec. 6. 1693; L’Hermitage, 1. (11.) Dec. 1693.
[75] L’Hermitage, 1. (11.) Sept., 7. (17.) Nov. 1693.
[76] Journal to Stella, 52, 53, 59 und 61, und Lady Orkney’s Briefe an Swift.
[77] Siehe die damaligen Briefe von Elisabeth Villiers, Wharton, Russel und Shrewsbury in der Correspondenz Shrewsbury’s.
[78] Commons’ Journals, Jan. 6., 8. 1693/94.
[79] Commons’ Journals, Jan. 19. 1693/94.
[80] Hamilton’s New Account.
[81] Die Bill fand ich in den Archiven der Lords. Ihre Geschichte erfuhr ich aus den Protokollen der beiden Häuser, aus einer Stelle im Tagebuche Narcissus Luttrell’s und aus zwei Briefen an die Generalstaaten, beide datirt vom 27. Febr. (9. März) 1694, dem Tage nach der Debatte bei den Lords. Der eine dieser beiden Briefe ist von Van Citters, der andre, der vollständigere Aufschlüsse giebt, von L’Hermitage.
[82] Commons’ Journals, Nov. 28. 1693; Grey’s Debates. L’Hermitage hoffte, daß die Bill durchgehen und daß der König ihr seine Genehmigung nicht vorenthalten werde. Unterm 17. (27.) Nov. schrieb er an die Generalstaaten: „Il paroist dans toute la chambre beaucoup de passion à faire passer ce bil.” Unterm 28. Nov. (8. Dec.) sagt er, daß die Abstimmung wegen der Annahme „n’a pas causé une pétite surprise. Il est difficile d’avoir un point fixe sur les idées qu’on peut se former des émotions du parlement, car il paroist quelquefois de grandes chaleurs qui semblent devoir tout enflammer, et qui, peu de tems après, s’évaporent.” Daß Seymour der Hauptleiter der Opposition gegen die Bill war, wird in dem einst berühmten Pamphlet jenes Jahres: Hush Money, versichert.
[83] Commons’ Journals; Grey’s Debates. Die Reinschrift dieser Bill kam ins Unterhaus und ist verloren gegangen. Der Originalentwurf auf Papier befindet sich in den Archiven der Lords. Daß Monmouth die Bill einbrachte, ersah ich aus einem Briefe von L’Hermitage an die Generalstaaten vom 1. (11.) Dec. 1693. Bezüglich der Zahl der Stimmen habe ich mich an die Protokolle gehalten. In Grey’s Debatten aber und in den Briefen von Van Citters und L’Hermitage wird die Minorität auf hundertzweiundsiebzig angegeben.
[84] Die Bills befinden sich in den Archiven der Lords. Ihre Geschichte habe ich aus den Protokollen, aus Grey’s Debatten und aus den höchst interessanten Briefen Van Citters’ und L’Hermitage’s zusammengestellt. Aus Grey’s Debatten scheint mir klar hervorzugehen, daß eine Rede, die L’Hermitage einem namenlosen „quelqu’un” zuschreibt, von Sir Thomas Littleton gehalten wurde.
[85] Narcissus Luttrell’s Diary, Sept. 1693.
[86] Commons’ Journals, Jan. 1693/94.
[87] Von der Naturalisationsbill existirt, soviel ich glaube, kein Exemplar mehr. Man findet die Geschichte dieser Bill in den Protokollen der Häuser. Von Van Citters und L’Hermitage erfahren wir über einen Gegenstand, der die dänischen Staatsmänner nothwendig interessirt haben muß, weniger als man erwarten sollte. Night’s Rede findet man in den Somers’schen Schriften. Sein jakobitischer Genosse, Roger North, nennt ihn „einen Gentleman von so ausgezeichneter Rechtschaffenheit und Loyalität, wie sich die Stadt Bristol jemals eines solchen habe rühmen können.”
[88] Commons’ Journals, Dec. 5. 1693/94.
[89] Commons’ Journals Dec. 20. 22. 1693/94. Die Protokolle enthielten damals keine Notiz bezüglich der Abstimmungen, welche stattfanden, als das Haus ein Comité war. Während das Scepter auf dem Tische lag, fand nur eine Abstimmung über die Anschläge für die Armee statt. Gegenstand dieser Abstimmung war die Frage, ob für die Hospitäler und unvorhergesehenen Ausgaben sechzigtausend oder hundertsiebenundvierzigtausend Pfund bewilligt werden sollten. Die Whigs erlangten die größere Summe mit hundertvierundachtzig gegen hundertundzwanzig Stimmen. Wharton war Stimmenzähler für die Majorität, Foley für die Minorität.
[90] Commons’ Journals, Nov. 25. 1693/94.
[91] Stat. 5 W & M. c. 1.
[92] Stat. 5 & 6. W & M. c. 14.
[93] Stat. 5 & 6. W & M. c. 21. Narcissus Luttrell’s Diary.
[94] Stat. 5 & 6. W & M. c. 22. Narcissus Luttrell’s Diary.
[95] Stat. 5 W & M. c. 7. Evelyn’s Diary, Oct. 5., Nov. 22. 1694. A Poem on Squire Neale’s Projects; Malcolm’s History of London. Neale’s Functionen werden in mehreren Ausgaben von Chamberlayne’s State of England beschrieben. Sein Name kommt häufig in der London Gazette vor, so z.B. am 28. Juli 1684.
[96] Siehe z.B. The Mystery of the Newfashioned Goldsmiths or Brokers 1676; Is not the Hand of Joab in all this? 1676; und eine in dem nämlichen Jahre erschienene Antwort. Siehe auch England’s Glory in the great Improvement by Banking and Trade, 1694.
[97] Siehe das Leben Dudley North’s von seinem Bruder Roger.
[98] Siehe eine Flugschrift, betitelt: Corporation Credit; or a Bank of Credit, made Current by Common Consent in London, more Useful and Safe than Money.
[99] A proposal by Dr. Hugh Chamberlayne in Essex Street, for a Bank of Secure Current Credit to be founded upon Land, in order to the General Good of Landed Men, to the great Increase of the Value of Land and the no less Benefit of Trade and Commerce, 1695; Proposals for the supplying their Majesties with Money on Easy Terms, exempting the Nobility, Gentry etc. from Taxes, enlarging their Yearly Estates, and enriching all the subjects of the Kingdom by a National Land Bank, by John Briscoe. „O fortunatos nimium bona si sua norint Anglicanos.” Dritte Ausgabe 1696. Briscoe scheint in der lateinischen Literatur eben so bewandert gewesen zu sein wie in der Staatsökonomie.
[100] Zur Bestätigung des im Text Gesagten entlehne ich einen einzigen Paragraphen aus Briscoe’s Vorschlägen: „Angenommen ein Gentleman hat nur hundert Pfund jährlicher Einkünfte und eine Frau mit vier Kindern zu erhalten, so muß er, selbst wenn seine Ausgaben auf seinen Gütern hafteten, ein sehr guter Wirth sein, um damit auszukommen; er kann aber nicht daran denken, etwas zurückzulegen, womit er seine Kinder ausstatten könnte; aber nach dieser vorgeschlagenen Methode kann er jedem seiner Kinder fünfhundert Pfund geben und behält immer noch neunzig Pfund jährlich zum Unterhalt für sich und seine Frau, welche neunzig Pfund er ebenfalls nach seinem und seiner Frau Tode einem seiner Kinder vermachen kann. Denn nachdem der Werth seines Gutes zu hundert Pfund Rente per annum festgestellt ist, kann er Creditbillets zum Belaufe von zweitausend Pfund zu seiner beliebigen Verwendung bekommen; dafür zahlt er jährlich zehn Schilling Zinsen für jede hundert Pfund, was auf zweitausend Pfund zehn Pfund giebt, welche, von seinem Jahreseinkommen von hundert Pfund abgezogen, ihm noch reine neunzig Pfund per annum für sich übrig lassen.” Es muß bemerkt werden, daß dieser Unsinn drei Auflagen erlebte.
[101] Siehe Chamberlayne’s Proposal, seine Positions supported by the Reasons explaining the Office of Land Credit, und seinen Bank Dialogue. Siehe ferner ein vortreffliches Schriftchen für die entgegengesetzte Ansicht, betitelt: A Bank Dialogue between Dr. H. C. and a Country Gentleman, 1696, und Some Remarks upon a nameless and scurrilous Libel entitled a Bank Dialogue between Dr. H. C. and a Country Gentleman, in a Letter to a Person of Quality.
[102] Commons’ Journals, Dec. 7. 1693. Ich fürchte in den Verdacht zu kommen, daß ich den Unsinn dieses Planes übertreibe. Daher will ich den wichtigsten Theil der Petition hier wörtlich anführen, „In Betracht, daß die Freisassen ihre Güter in diese Bank einbringen, behufs Bildung eines durch Parlamentsacte zu bestimmenden Circulationsfonds, wird nun vorgeschlagen, daß für jede auf hundertfunfzig Jahre gesicherten hundertfunfzig Pfund per annum gegen nur einhundertmalige jährliche Zahlung von hundert Pfund per annum, frei von allen Steuern und Abgaben, jeder solcher Freisasse viertausend Pfund von dem besagten Circulationspapiere erhalten, daß weitere zweitausend Pfund für seine Rechnung dem Fischereifond zugewiesen und fernere zweitausend Pfund zur Verfügung des Parlaments für die Anforderungen des gegenwärtigen Kriegs zurückbehalten werden sollen.... Der Freisasse soll den Besitz seines besagten Gutes nur dann verlieren, wenn er mit der jährlichen Zinsenzahlung in Rückstand bleibt.”
[103] Commons’ Journals, Feb. 5. 1693/94.
[104] Account of the Intended Bank of England, 1694.
[105] Siehe die Protokolle der Lords vom 23., 24., 25. April 1694, und den Brief L’Hermitage’s an die Generalstaaten vom 24. April (4. Mai.)
[106] Narcissus Luttrell’s Diary, June 1694.
[107] Heath’s Account of the Worshipful Company of Grocers; Francis’s History of the Bank of England.
[108] Spectator No. 3.
[109] Proceedings of the Wednesday Club in Friday Street.
[110] Lords Journals, April 25, 1694; London Gazette vom 7. Mai 1694.
[111] Life of James, II. 520; Floyd’s (Lloyd’s) Erzählungen in dem Nairne Papers unterm 1. Mai 1694; London Gazette vom 26. und 30. April 1694.
[112] London Gazette vom 3. Mai 1694.
[113] London Gazette vom 30. April und 7. Mai 1694; Shrewsbury an Wilhelm, 11. (21.) Mai; Wilhelm an Shrewsbury, 22. Mai (1. Juni); L’Hermitage, 27. April (7. Mai).
[114] L’Hermitage, 15. (25.) Mai. Nachdem er die verschiedenen Gerüchte erwähnt hat, sagt er: „De tous ces divers projets qu’on s’imagine aucun n’est venu à la cognoissance du public.” Dies ist wichtig, denn man hat oft zu Marlborough’s Entschuldigung behauptet, daß er dem Hofe von Saint-Germains nur das mitgetheilt habe, was in allen Kaffeehäusern das Tagesgespräch bildete und auch ohne ihn hätte bekannt werden müssen.
[115] London Gazette vom 14. und 18. Juni 1694; Gazette de Paris vom 23. Juni (3. Juli); Burchett; Tagebuch Lord Caermarthen’s; Baden, 15. (25.) Juni; L’Hermitage, 15. (25.) 19. (29.) Juni.
[116] Shrewsbury an Wilhelm, 15. (25.) Juni 1694; Wilhelm an Shrewsbury, 1. Juli; Shrewsbury an Wilhelm, 22. Juni (2.) Juli.
[117] Diese Angaben über Russell’s Expedition nach dem Mittelländischen Meere habe ich hauptsächlich Burchett entnommen.
[118] Letter to Trenchard, 1694.
[119] Burnet II. 141. 142; und Onslow’s Note. Kingston’s True History, 1697.
[120] Life of James II. 524.
[121] Kingston; Burnet, II. 142.
[122] Kingston. Bezüglich des Factums, daß Taaffe eine Bestechungssumme erhielt, führt Kingston die eidliche Aussage vor den Lords an.
[123] Narcissus Luttrell’s Diary, Oct. 6. 1694.
[124] Ueber Dyer’s Neuigkeitsbrief sehe man Luttrell’s Tagebuch für Juni und August 1693 und für September 1694.
[125] Die whiggistische Erzählung ist von Kingston; die jakobitische, von einem ungenannten Autor, ist unlängst von der Chatham Society gedruckt worden. Siehe auch A Letter out of Lancashire to a Friend in London, giving some Account of the late Trials. 1694.
[126] Birch’s Life of Tillotson; die von Burnet gehaltene Leichenrede; Wilhelm an Heinsius, 23. Nov. (3. Dec.) 1694.
[127] Siehe die Protokolle der beiden Häuser. Die einzige Erzählung, die wir von den Debatten besitzen, befindet sich in den Briefen L’Hermitage’s.
[128] Commons’ Journals, Feb. 20. 1694/95. Da diese Bill nicht vor die Lords kam, so befindet sie sich nicht in ihren Archiven. Ich kann daher nicht ermitteln, ob sie in irgend einem Punkte von der Bill des vorhergehenden Jahres differirte.
[129] Die Geschichte dieser Bill kann man in den Protokollen der beiden Häuser nachlesen. Der nicht eben heftige Kampf dauerte bis zum 20. April.
[130] „Die Gemeinen,” sagt Narcissus Luttrell, „ließen ein lautes Gemurmel vernehmen.” — „Le murmure qui est la marque d’applaudissement fut si grand qu’on peut dire qu’il estoit universel.” L’Hermitage, 25. Dec. (4. Jan.)
[131] L’Hermitage sagt dies in seiner Depesche vom 20. (30.) Nov.
[132] Burnet II. 137; Van Citters, 25. Dec. (4. Jan.)
[133] Burnet II. 136. 138; Narcissus Luttrell’s Diary; Van Citters, 28. Dec. (7. Jan.); L’Hermitage, 25. Dec. (4, Jan.), 28. Dec. (7. Jan.), 1. (11.) Jan.; Vernon an Lord Lexington. 21. 25. 28. Dec. 1. Jan.; Tenison’s Leichenrede.
[134] Evelyn’s Diary; Narcissus Luttrell’s Diary; Commons’ Journals, Dec. 28. 1694; Shrewsbury an Lexington von dem nämlichen Tage; Van Citters ebenso. L’Hermitage, 1. (11.) Jan. 1695. Von den Gedächtnißpredigten auf Marien verdienen die von Sherlock, in Temple Church gehalten, und die von Howe und Bates vor großen presbyterianischen Versammlungen, besondere Erwähnung.
[135] Narcissus Luttrell’s Diary.
[136] Remarks on some late Sermons, 1695; A Defence of the Archbishop’s Sermon, 1695.
[137] Narcissus Luttrell’s Diary.
[138] L’Hermitage, 1. (11.), 6. (16.) März 1695; London Gazette vom 7. März; Tenison’s Leichenrede; Evelyn’s Diary.
Stereotypie und Druck von Philipp Reclam jun. in Leipzig.
Eigentümliche und falsche Schreibweisen des Autors wurden belassen, wenn sie durchgängig benutzt wurden, wie beispielsweise: Wiederhall, erwiedern, Schaffot, Beredtsamkeit.
Inkonsistenzen wurden nicht geändert, wenn beide Schreibweisen gebräuchlich waren, wie: