Title: Onkel Tom's Hütte
oder die Geschichte eines christlichen Sklaven. Band 2 (von 3).
Author: Harriet Beecher Stowe
Translator: L. Du Bois
Release date: August 6, 2025 [eBook #76640]
Language: German
Original publication: New York: S. Zickel, 1885
Credits: Norbert H. Langkau, Juliet Sutherland and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.
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Worte in Antiqua sind "kursiv" dargestellt.
oder die
Geschichte eines christlichen Sklaven.
Von
Harriet Beecher Stowe.
Aus dem Englischen übertragen
von
L. Du Bois.
Zweiter Band.
S. Zickel.
Nro. 19. Dey-Street.
NEW-YORK.
[S. 1]
Mr. Haley und Tom trabten weiter in ihrem Wagen, während jeder eine Zeit lang seinen eigenen Betrachtungen nach hing. Es ist ein sonderbares Ding um die Betrachtungen zweier Männer, die dicht neben einander sitzen, — auf demselben Sitze, dieselben Augen, Ohren, Hände und Organe jeder Art haben, und deren Blicken sich dieselben Gegenstände darbieten, — es ist wunderbar, welche Verschiedenartigkeit sich oft in denselben findet!
Zum Beispiel, Mr. Haley: er dachte zuerst an Tom's Länge und Breite und Höhe, und für wie viel er ihn verkaufen könne, wenn er ihn fett und in gutem Stande erhielte, bis er ihn auf den Markt brächte. Er dachte daran, wie er seinen Trupp zusammen bringen solle; er dachte an den verschiedenen Marktpreis gewisser, noch zu erlangender Männer, Weiber und Kinder, aus denen er bestehen solle, und an andere Arten geschäftlicher Gegenstände; dann dachte er an sich selbst, wie menschenfreundlich er sei, indem andre Leute ihre Nigger an Händen[S. 2] und Füßen schlössen, er nur aber Fesseln an ihre Füße lege und Tom den Gebrauch seiner Hände lasse, so lange er sich gut betrage; und er seufzte, während er ferner daran dachte, wie undankbar die menschliche Natur sei, so daß er sogar Ursache zu zweifeln habe, daß Tom seine Menschenfreundlichkeit gehörig würdige. Er war von den »Niggers,« die er begünstigt hatte, so sehr hintergangen worden, und war deshalb erstaunt zu sehen, wie gutmüthig er noch immer sei!
Was Tom betraf, so dachte er an die Worte eines altmodischen Buches, die immer und immer wieder durch seinen Kopf liefen, und also lauteten: »Denn wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir; darum schämet sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott; denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet.« Diese Worte eines alten Buches, das meist von »ungelehrten« Leuten verfaßt worden ist, haben von jeher eine wunderbare Macht über den Geist armer, einfacher Wesen, wie Tom, geäußert. Sie regen die Seele in ihren Tiefen an, und erwecken, wie durch Trompetenschall, Muth, Kraft und Enthusiasmus da, wo zuvor nichts als dunkle Verzweiflung war.
Mr. Haley zog aus seiner Tasche verschiedene Zeitungen hervor und begann die Bekanntmachungen mit besonderem Interesse zu studiren. Er war kein sonderlich gewandter Leser, und pflegte gewöhnlich in einem halblauten Recitative zu lesen, um die Schlüsse seiner Augen dadurch zu beglaubigen, daß er sie in seine eigne Ohren rief. In dieser Weise recitirte er langsam den folgenden Paragraph:
»Meistbietender Verkauf. — Neger! — In Gemäßheit gerichtlichen Befehles sollen am Dienstage, den 20. Februar, vor der Thür des Gerichtshauses, in der Stadt Washington, die folgenden Neger verkauft werden: Hagar, 60 Jahr alt, John, 30 Jahr[S. 3] alt, Ben, 21 Jahr alt, Saul, 25 Jahr alt, Albert, 14 Jahr alt, für Rechnung der Gläubiger und Erben der Besitzungen des weiland Jesse Blutchford, Squire.«
Samuel Morris,
Thomas Flink.
»Nu, das hier, das muß ich mir ansehen,« sagte er zu Tom, in Ermangelung eines Andern, mit dem er sprechen konnte. »Siehst Du, ich will 'nen Trupp erster Klasse zusammen bringen, und ihn mit Dir 'nunter nehmen, Tom; will 's Dir gesellig machen und angenehm, wie 's gute Gesellschaft thut, — verstehst Du. Wir müssen vor allen Dingen graden Wegs nach Washington fahren, und ich will Dich da so lange in's Loch stecken, bis ich meine Geschäfte abgemacht habe.«
Tom empfing diese angenehme Nachricht ganz sanft und dachte in seinem eignen Herzen nur daran, wie viele dieser unglücklichen Männer wohl Weiber und Kinder haben möchten, und ob ihnen die Trennung von diesen eben so schwer fallen werde, wie ihm. Es kann auch nicht in Abrede gestellt werden, daß diese naive, aus dem Stegereif gemachte Mittheilung, daß er in's Gefängniß geworfen werden solle, keineswegs einen angenehmen Eindruck auf einen armen Menschen machte, der stets auf seinen ehrlichen und rechtschaffenen Lebenswandel stolz gewesen war. Ja, Tom war, wir müssen es bekennen, etwas stolz auf seine Rechtschaffenheit: — er hatte ja nichts Anderes, worauf er hätte stolz sein können. Inzwischen verfloß der Tag, und der Abend sah Haley und Tom in ihren verschiedenen Herbergen zu Washington, — den Einen in einem bequemen Gasthofe, den Anderen im Gefängnisse.
Am folgenden Morgen, ungefähr um elf Uhr, versammelte sich eine gemischte Volksmenge vor dem Gerichtshause, — rauchend, kauend, speiend, fluchend, und[S. 4] sich unterhaltend, je nach dem verschiedenen Geschmacke der Einzelnen, — und Alle auf den Anfang des Verkaufs wartend. Die zu versteigernden Männer und Weiber saßen abgesondert in einer Gruppe, und sprachen unter einander mit leiser Stimme. Das Weib, welches unter dem Namen Hagar angekündigt worden war, trug in Gestalt und Zügen die Merkmale ächt afrikanischer Abkunft. Sie mochte sechszig Jahre alt sein, aber schien älter durch harte Arbeit und Krankheit, und war theilweis blind, und halb verkrüppelt durch Rheumatismus. An ihrer Seite stand ihr einziger, ihr gebliebener Sohn, ein munterer Bursche von vierzehn Jahren. Der Knabe war das einzige überlebende Kind einer starken Familie, deren übrige Mitglieder nach und nach einzeln nach südlichen Märkten hin verkauft worden waren. Die Mutter hielt sich an ihm fest mit ihren beiden, zitternden Händen, und beobachtete Jeden, der zu ihm heran trat, um ihn näher zu untersuchen, mit heftigem Beben.
»Fürchte nichts, Tante Hagar,« sagte der Aelteste unter den Männern, »ich habe mit Master Thomas davon gesprochen, und er dachte, er könne es einrichten, Euch beide zusammen zu verkaufen.«
»Sie brauchen mich noch nicht abgenutzt zu nennen,« sagte sie, ihre zitternden Hände aufhebend; — »ich kann noch kochen, und scheuern, und arbeiten; — ich bin 's kaufen werth, wenn ich billig gehe; — sage ihnen das, — sag's ihnen!« fügte sie dringend hinzu.
In diesem Augenblicke drängte sich Haley in die Gruppe, trat an den alten Mann heran, riß seinen Mund auf und sah hinein, befühlte seine Zähne, und ließ ihn aufstehen und sich ausstrecken, seinen Rücken beugen und verschiedene Körperbewegungen machen, um seine Muskeln zu zeigen; und dann ging er zum Nächsten, um mit ihm dieselbe Untersuchung vorzunehmen. Endlich kam er an den Knaben. Er befühlte seine Arme, ließ ihn seine[S. 5] Hände ausstrecken, untersuchte seine Finger und ließ ihn dann springen, um seine Beweglichkeit zu prüfen.
»Er nicht verkauft wird ohne mich!« sagte die alte Frau mit leidenschaftlicher Heftigkeit; »er und ich geht zusammen; ich bin noch stark, Master, und kann groß viel Arbeit thun, — groß viel, Master.«
»In der Plantage?« sagte Haley mit einem verächtlichen Blicke. »Sehr wahrscheinlich!« und anscheinend mit seiner Untersuchung zufrieden gestellt, verließ er die Gruppe wieder und blieb dann in der Nähe stehen, die Hände in der Tasche, die Cigarre im Munde, den Hut auf eine Seite gedrückt, und vollständig bereit, an's Geschäft zu gehen.
»Was haltet Ihr davon?« sagte ein Mann zu ihm, der Haley's Untersuchung gefolgt war, als habe er die Absicht, seine eignen Pläne darnach zu reguliren.
»Je nun,« sagte Haley speiend, »werde dran gehn, denk' ich, an die Jungen und den Buben.«
»Der Bube soll mit dem alten Weibe zusammen verkauft werden,« entgegnete der Mann.
»Ist 'ne harte Bedingung, — ist nichts als ein altes Knochengerippe, — das Salz nicht werth.«
»Ihr mögt sie also nicht?« sagte der Mann.
»Ein Narr, wer sie mag; ist halb blind, und bucklig von Rheumatismus, und verrückt dazu.«
»Manche kaufen diese alten Geschöpfe, und sagen, 's steckt noch mehr drin, als Einer denkt,« bemerkte der Mann nachdenklich.
»Geht nicht,« sagte Haley, »möcht' sie nicht haben für umsonst, — sicher, hab' sie gesehen.«
»Mag sein, 's ist ein Jammer, sie nicht zu kaufen mit ihrem Jungen, — 's scheint, sie hat ihr ganzes Herz auf ihn gesetzt, — glaube, sie wird billig mit hinein gehn.«
»Für die, die Geld auf solche Weise wegschmeißen können, ist's ganz gut. Ich werde auf den Buben bieten,[S. 6] — ist gut zu 'nem Plantagenarbeiter; — mit ihr mag ich mich nicht 'rum scheren, nicht, wenn sie sie mir umsonst gäben,« entgegnete Haley.
»Sie wird sich verzweifelt geberden,« sagte der Mann.
»Natürlich wird sie,« erwiederte Haley kaltblütig.
Die Unterhaltung wurde hier durch ein geschäftiges Summen in der Versammlung unterbrochen, und der Auktionator, ein kleiner, wichtig thuender Mann, bahnte sich mit Hülfe der Ellbogen seinen Weg durch die Menge. Das alte Weib hielt den Athem an, und griff instinktmäßig nach ihrem Sohne.
»Bleibe dicht bei Deiner Mamme, Albert, — dicht, — sie werden uns zusammen ausbieten,« sagte sie.
»O Mamme, ich fürchte, sie werden's nicht thun,« sagte der Knabe.
»Sie müssen, Kind; — kann nicht leben, gar nicht, wenn sie's nicht thun,« sagte das alte Wesen leidenschaftlich.
Die Stentorstimme des Auktionators, Platz zu machen, verkündete nun, daß der Verkauf beginnen solle, und die Gebote nahmen ihren Anfang. Die verschiedenen Männer auf der Liste waren bald für Preise zugeschlagen, die ein starkes Bedürfniß auf dem Markte verriethen, und zwei davon hatte Haley erstanden.
»Komm' nun, Bursche,« sagte der Auktionator, den Knaben mit dem Hammer berührend, »steige hinauf, und zeige Deine Sprünge nun.«
»Stellt uns zusammen aus, zusammen, — bitte, Master!« sagte die alte Frau, den Knaben fest haltend.
»Fort!« fuhr sie der Mann an, ihre Hand weg reißend. »Du kommst zuletzt! — Nun, Affe, spring hinauf!« und mit diesen Worten stieß er den Knaben nach dem Blocke zu, während hinter ihm ein schweres, tiefes Stöhnen erklang. Der Knabe stutzte und schaute sich um, aber er hatte keine Zeit zu weilen, und die Thränen deshalb[S. 7] aus seinen großen, glänzenden Augen wischend, stand er im Augenblick oben.
Seine hübsche Figur, seine geschmeidigen Glieder und sein offenes Gesicht veranlaßten sofort starke Concurrenz unter den Bietern, und ein halbes Dutzend Gebote trafen fast gleichzeitig das Ohr des Auktionators. Aengstlich, halberschreckt, blickte sich der Knabe von einer Seite zur andern um, während der Lärm des Bietens fortdauerte, bis der Hammer fiel, — Haley hatte ihn erstanden. Er wurde von dem Block hinunter, seinem neuen Herrn zugestoßen, aber stand einen Augenblick still, und schaute sich um, als seine arme, alte Mutter, zitternd an allen Gliedern, ihre bebenden Hände nach ihm ausstreckte.
»Kauft mich auch, Master, — um des lieben Jesus willen! — kauft mich auch, — oder ich komme um!«
»Du wirst umkommen, wenn ich Dich kaufe, — das ist die Sache,« sagte Haley, — »nein!« und drehte sich um.
Die Versteigerung des armen, alten Geschöpfes war bald geschehen. Jener Mann, welcher Haley zuvor angeredet hatte, und nicht ohne alles Mitleid zu sein schien, erstand sie für eine Kleinigkeit, und die Zuschauer begannen sich zu zerstreuen.
Die armen Opfer des Verkaufes, welche jahrelang an einem Orte zusammen aufgebracht worden waren, versammelten sich um die verzweifelnde alte Mutter, deren Schmerz wirklich jammervoll anzusehen war.
»Konnten sie mir nicht Einen lassen? — Master hat immer gesagt, ich sollte Einen behalten, — er hat's immer gesagt!« wiederholte sie fortwährend mit herzbrechenden Tönen.
»Vertraue auf den Herrn, Tante Hagar,« sagte der Aelteste unter den Männern mit wehmüthiger Stimme.
[S. 8]
»Was hilft es mir denn?« entgegnete sie unter heftigem Schluchzen.
»O Mutter, Mutter! — nein — nein — sei ruhig!« rief der Knabe. »Die Leute sagen, Du habest einen guten Master bekommen.«
»Frage nichts danach, — frage nichts danach. O, Albert, o mein Kind, mein letztes, einziges Kind! O Herr, wie kann ich!«
»Kommt hier, nehmt sie weg, — kann's denn keiner?« sagte Haley trocken, — »thut ihr gar nicht gut, wenn sie so fortfährt.«
Die älteren Männer des Trupp's lösten endlich, theils durch Anwendung von Gewalt, den verzweifelnden Griff des armen Geschöpfes, und versuchten, sie zu trösten, während sie sie nach dem Wagen ihres neuen Herrn geleiteten.
»Nun, hier!« rief Haley, seine drei Einkäufe zusammen stoßend; holte ein großes Bündel Handschellen hervor, welche er um ihre Handgelenke schloß; befestigte diese sodann an einer langen Kette, und trieb sie vor sich her dem Gefängnisse zu.
Wenige Tage später befand sich Haley mit seinen Errungenschaften wohlbehalten auf einem der Ohio-Dampfboote. Es bildeten diese nur den Anfang zu seinem Truppe, welcher während des Laufes des Bootes durch andere ähnliche Artikel vergrößert werden sollte, welche von seinen Agenten an verschiedenen Punkten des Ufers in Bereitschaft gehalten wurden.
Das Boot, La Belle Rivière, ein so schönes und braves Fahrzeug, als je den namensverwandten Strom befuhr, glitt munter unter einem glänzenden Himmel, den Fluß hinab, während oberhalb die Sterne und Farben des freien Amerika's wehten und flatterten, und auf dem Verdecke Herren und Damen umherwandelten, um den schönen Tag zu genießen. Alles war lebendig, fröhlich und heiter, — Alles, nur Haley's Leute nicht, welche[S. 9] im unteren Verdecke mit anderen Waarenartikeln ihren Platz erhalten hatten, und sich der verschiedenen Annehmlichkeiten durchaus nicht zu freuen schienen, während sie, in einen Knäuel zusammen gedrückt, beisammen saßen, und leise mit einander sprachen.
»Na, Jungens,« sagte Haley, lebhaft zu ihnen heran kommend, »ich hoffe, Ihr habt guten Muth, und seid heiter. Keine mürrischen Gesichter, hört ihr! Müßt die Ohren steif halten, Jungens; macht's gut mit mir, und ich will's gut mit Euch machen.«
Die angeredeten Unglücklichen antworteten das gewöhnliche: »Ja, wohl, Master!« seit Jahrhunderten die Loosung des armen Afrika's; aber wir müssen eingestehen, daß sie nicht besonders heiter schienen, denn sie hatten ihre verschiedenen kleinen Vorurtheile für Weiber, Mütter, Schwestern und Kinder, denen sie für immer Lebewohl gesagt hatten, — und obgleich »Die, die sie gefangen hielten, sie hießen in ihrem Heulen fröhlich sein,« so wurde doch keine Freude sichtbar.
»Ich habe eine Frau,« sagte der als »John, dreißig Jahr alt« bezeichnete Artikel, während er seine gefesselte Hand auf Tom's Knie legte, — »und sie weiß nichts von allem diesem, das arme Weib!«
»Wo wohnt sie denn?« fragte Tom.
»In einem Wirthshause, etwas weiter den Fluß hinunter,« sagte John. »Ich wünschte, ich könnte sie nur noch einmal in dieser Welt sehen,« fügte er hinzu.
Armer John! Es war so natürlich; und während er sprach, tropften die Thränen aus seinen Augen so natürlich nieder, als wenn er ein Weißer gewesen wäre. Tom holte tiefen Athem aus einer wunden Brust, und versuchte, ihn in seiner einfachen Weise zu trösten.
Und über ihren Köpfen, in der Kajüte, saßen Väter und Mütter, Gatten und Frauen, und fröhlich tanzende Kinder sprangen um sie herum, gleich eben so vielen[S. 10] Schmetterlingen, und Alle fühlen sich wohl und behaglich.
»O Mamma,« sagte ein Knabe, der grade von unten herauf kam, »da ist ein Negerhändler auf dem Schiffe, und hat vier oder fünf Sklaven unten sitzen.«
»Die armen Geschöpfe!« entgegnete die Mutter in einem Tone zwischen Betrübniß und Unwillen.
»Was ist das?« fragte eine andre Dame.
»Es sind einige unglückliche Sklaven unten,« erwiederte die Mutter.
»Ja, und sie haben Ketten an,« sagte der Knabe.
»Welche Schande für unser Land, daß solche Schauspiele sich darbieten!« bemerkte eine andre Dame.
»Es läßt sich sehr viel für und gegen sagen,« äußerte eine Frau von feinem Aeußeren, welche an der Thür der Kajüte saß, und mit Nähen beschäftigt war, während ihre beiden Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, um sie herum spielten. »Ich bin im Süden gewesen, und muß sagen, ich glaube, daß die Neger sich dort besser befinden, als wenn sie ihre Freiheit hätten.«
»Ich gebe zu, daß sich Manche von ihnen in manchen Beziehungen wohl befinden,« entgegnete die Dame, auf deren vorangegangene Bemerkung Letztere geantwortet hatte; »allein der schrecklichste Theil der Sklaverei besteht, nach meiner Ansicht, in der Grausamkeit, mit der die Gefühle und Neigungen derselben behandelt werden, — in dem Zerreißen der Familien, zum Beispiele.«
»Das ist allerdings ein böser Umstand,« entgegnete die andre Dame, ein Kinderkleid empor haltend, welches sie so eben beendigt hatte, und sehr aufmerksam die Nähte desselben betrachtend; »allein ich glaube, daß das nicht sehr oft vorkommt.«
»O, wohl kommt es sehr oft vor,« sagte die erstere Dame eifrig; »ich habe viele Jahre in Kentucky und Virginien gewohnt, und genug gesehen, um mit Schauder[S. 11] daran zu denken. Wenn Ihnen, zum Beispiel, Madame, Ihre beiden Kinder genommen und verkauft würden?«
»Wir können die Gefühle dieser Klasse von Personen nicht nach den unsrigen beurtheilen,« erwiederte die andre Dame, während sie unter einer Quantität Zwirn auf ihrem Schooße umher suchte.
»In der That, Madame, Sie müssen sie sehr wenig kennen, wenn Sie das sagen,« entgegnete die Erstere wieder in sehr warmem Tone. »Ich bin unter ihnen geboren und aufgezogen worden, und ich weiß, daß sie Gefühle haben, grade eben so tiefe, — und vielleicht noch tiefere, — als wir.«
Die andre Dame antwortete darauf nur: »Wirklich?« gähnte, und sah zum Kajütenfenster hinaus, und wiederholte endlich zum Schluß die Bemerkung, mit der sie angefangen hatte: »Uebrigens glaube ich doch, daß sie sich besser befinden, als wenn sie frei wären.«
»Es ist ganz unzweifelhaft die Bestimmung der Vorsehung, daß das afrikanische Geschlecht dienstbar sei, — und in Erniedrigung gehalten werde,« bemerkte hier ein sehr ernst aussehender Herr in schwarzer Kleidung, ein Geistlicher, welcher an der Thür der Kajüte saß. »Verflucht sei Kanaan, und sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern.«
»Hört, Fremder, ist's das was der Text meint?« sagte ein großer Mann, der dabei stand.
»Unzweifelhaft. Es hat der Vorsehung, aus irgend einer unergründlichen Rücksicht, vor Jahrtausenden gefallen, dieses Geschlecht zu ewiger Sklaverei zu verdammen; und wir dürfen es nicht wagen, dem zu widersprechen.«
»Nun, dann wollen wir alle los gehen, und Niggers aufkaufen,« sagte der Mann, »wenn's der Weg der Vorsehung ist, — nicht wahr, Squire?« fügte er hinzu, sich an Haley wendend, welcher, mit den Händen in der Tasche, am Ofen gestanden und der Unterhaltung aufmerksam zugehört hatte.
[S. 12]
»Ja,« fuhr der große Mann fort, »müssen uns alle den Anordnungen der Vorsehung unterwerfen. Niggers müssen verkauft und 'rum getauscht und unter gehalten werden: dazu sind sie da. Thut Einem ordentlich wohl — diese Ansicht, nicht wahr, Fremder?« sagte er zu Haley.
»Ich habe niemals dran gedacht,« entgegnete Haley; »hätte selbst so viel nicht drüber sagen können, — habe keine Gelehrsamkeit. Den Handel hab' ich angefangen, grade nur um mir mein Leben zu verdienen; und wenn's nicht recht ist, na, so dacht' ich, wollt' ich bei Zeiten, versteht Ihr, mit der Reue anfangen.«
»Und nun werdet Ihr Euch die Mühe sparen, nicht wahr?« sagte der große Mann. »Seht nun, was es für 'ne schöne Sache ist, die Schrift zu verstehen. Wenn Ihr die Bibel studirt hättet, wie dieser gute Mann, so hättet Ihr's vorher wissen können, und Euch 'ne Menge Umstände sparen, Ihr hättet just sagen können: »»Verflucht sei«« — was ist der Name? — und Alles wäre recht gewesen.« Und der Fremde, der kein andrer als unser ehrlicher Pferdehändler war, den unsere Leser in dem Kentucky-Wirthshause kennen gelernt haben, setzte sich nieder, und begann zu rauchen, während ein seltsames Lächeln in seinem langen, magern Gesichte spielte.
Ein großer, schmächtiger junger Mann, aus dessen Zügen Geist und tiefes Gefühl sprachen, unterbrach hier und recitirte die Worte: »»Alles nun, was Ihr wollet, daß Euch die Leute thun sollen, das thut Ihr ihnen;«« und fügte dann hinzu: »Ich vermuthe, dies ist eben so wohl Heilige Schrift, wie: »»Verflucht sei Kanaan.««
»Scheint ja dummen Leuten, wie unser Einem, eben so klarer Text zu sein,« sagte John, der Pferdehändler, und rauchte dabei wie ein Vulkan.
Der junge Mann schwieg einen Augenblick, aber schien im Begriffe, mehr sagen zu wollen, als plötzlich das Boot anhielt, und die ganze Reisegesellschaft, wie gewöhnlich[S. 13] bei solchen Gelegenheiten, sich auf's Verdeck drängte, um zu sehen, wo gelandet werde.
»Sind wohl beide Pfaffen?« sagte John zu einem Manne, der mit ihm die Kajüte verließ.
Der Mann nickte zur Antwort.
Als das Boot angelegt hatte, kam plötzlich ein schwarzes Weib wild das Brett hinauf gelaufen, drängte sich unter die Menge, und flog dahin, wo die Sklaven zusammengekettet saßen, und schlang ihre Arme um den Hals des unglücklichen Stückes Waare, welches als: — »John, dreißig Jahre alt« — bezeichnet worden ist, und jammerte und klagte unter Thränen und Schluchzen um ihren Gatten.
Allein, wozu ist es nöthig, hier die so oft erzählte, täglich erzählte, Geschichte von gebrochenen Herzen, von Schwachen und Hülflosen zu wiederholen, die zum Nutzen und Frommen der Reichen mit Füßen getreten und zerfleischt worden sind! Sie braucht hier nicht wiedererzählt zu werden, — jeder Tag erzählt sie, — und zwar dem Ohre Eines, der nicht taub ist, wenn er auch lange schweigt.
Der junge Mann, der vorher für die Sache der Menschlichkeit und Gottes gesprochen hatte, stand mit untergeschlagenen Armen da, und schaute jener Scene zu. Plötzlich wandte er sich um und sah Haley an seiner Seite stehen.
»Mein Freund,« sagte er, mit tiefer Bewegung redend, »wie können Sie, wie wagen Sie ein solches Geschäft zu treiben? Blicken Sie auf diese armen Geschöpfe! Hier stehe ich und freue mich im Herzen, daß ich nach Hause zu meinem Weibe und meinen Kindern gehe; und dieselbe Glocke, die mir das Zeichen gibt, daß ich ihnen näher gebracht werde, trennt diesen armen Mann von seinem Weibe für ewig. Glauben Sie mir, Gott wird Sie dafür vor seinen Richterstuhl ziehen.«
[S. 14]
Der Sklavenhändler wandte sich um und ging schweigend davon.
»Hört doch,« redete ihn der Pferdehändler an, seinen Arm berührend, »ist doch ein großer Unterschied zwischen Pfaffen, nicht wahr? 's scheint, »Verflucht sei Kanaan,« gilt bei Dem nichts — nicht wahr?«
Haley ließ ein unbehagliches Räuspern hören.
»Und das Schlimmste ist,« fuhr John fort, »'s wird vielleicht bei Gott auch nichts gelten, wenn Ihr mit ihm Abrechnung halten müßt, nächstens, wie wir alle müssen, glaub' ich.«
Haley ging gedankenvoll nach dem andern Ende des Bootes.
»Wenn ich gute Geschäfte mache mit den nächsten ein oder zwei Lieferungen,« dachte er, »so will ich den ganzen Handel aufgeben; fängt an ganz gefährlich zu werden.« Und er zog sein Taschenbuch hervor und begann seine Rechnungen zu summiren, — ein Geschäft, welches schon viele Andere, außer Mr. Haley, als ein Spezialmittel gegen ein unruhiges Gewissen benutzt haben.
Das Boot schwamm stolz vom Ufer ab, und Alles war fröhlich wie zuvor. Die Männer schwatzten, politisirten, lasen und rauchten; die Weiber nähten, und Kinder spielten, und das Boot verfolgte seinen Lauf.
Eines Tages, als es eine kurze Zeit vor einer kleinen Stadt in Kentucky vor Anker lag, ging Haley in den Ort, um ein kleines Geschäft, wie er sagte, zu besorgen. Tom, dessen Fesseln ihm erlaubten, sich in einem mäßigen Umkreise zu bewegen, war an die Seite des Bootes getreten und schaute gedankenlos über das Geländer. Nach einiger Zeit sah er Haley eiligen Schrittes zurück kommen und zwar in Begleitung einer farbigen Frau, welche ein junges Kind auf ihren Armen trug. Sie war ganz anständig gekleidet und ein farbiger Mann folgte ihr, einen kleinen Mantelsack nachtragend.[S. 15] Die Frau schien heiteren Sinnes, während sie sich näherte, schwatzte mit dem Manne, der ihr Gepäck trug und stieg so das Brett hinauf in das Boot. Die Glocke erklang, der Dampfer pfiff, die Maschine stöhnte und hustete, und fort flog das Schiff den Fluß hinunter.
Die Frau begab sich nach dem untern Ende des Verdeckes, wo Ballen und Kisten aufgeschichtet lagen, setzte sich nieder und begann mit ihrem Kinde zu spielen.
Haley ging ein paarmal das Boot auf und ab, kam dann zurück und setzte sich bei ihr nieder, und sagte ihr Etwas in gedämpfter Stimme.
Tom sah gleich darauf eine schwere Wolke an ihrer Stirn aufsteigen und hörte, daß sie schnell und mit großer Heftigkeit antwortete:
»Ich glaub's nicht, — ich will's nicht glauben! — Ihr wollt mich nur zum Narren halten!«
»Wenn Du's nicht glauben willst, schau hier!« entgegnete Haley, ein Papier hervorziehend, — »hier da, das ist der Verkaufsbrief, und da ist Dein Master sein Name darunter, und hab' ihm gute ächte Münze dazu bezahlt, — kannst's glauben, — also nun?«
»Ich glaub' es nicht, daß Master mich so betrügen konnte! es kann nicht wahr sein!« sagte die Frau mit zunehmender Heftigkeit.
»Kannst fragen hier, wen Du willst, der lesen und schreiben kann. — Hier!« rief er einem Manne zu, der grade vorüber ging, »seid doch so gut und lest das hier! Das Weib da will mir nicht glauben, wenn ich ihr sage, was es ist.«
»Dies? nun, das ist ein Verkaufsbrief, unterzeichnet von John Fosdick,« sagte der Mann, »und überweis't an Euch das Weib Lucy und ihr Kind. Es ist Alles ganz in der Ordnung, so weit ich sehen kann.«
Die leidenschaftlichen Aeußerungen des Weibes versammelten sehr bald eine große Anzahl Zuschauer um[S. 16] sie, denen Haley kurz auseinander setzte, was die Veranlassung zu dieser Bewegung sei.
»Er sagte mir, daß ich nach Louisville gehen solle, um mich in demselben Wirthshause als Köchin zu vermiethen, wo mein Mann arbeitet; — das ist's, was mir Master sagte, er selbst, und ich kann's nicht glauben, daß er mich belogen hat,« sagte die Frau.
»Aber er hat Dich verkauft, meine arme Frau, darüber ist kein Zweifel,« sagte ein gutmüthig aussehender Mann, nachdem er die Papiere untersucht hatte, »er hat es gethan, das ist gewiß.«
»Dann nützt alles Reden nichts,« sagte das Weib, plötzlich ruhiger werdend, und setzte sich, ihr Kind fester in ihre Arme drückend, mit abgewandtem Gesichte auf ihren Koffer nieder und blickte finster auf den Strom hinab.
»Findet sich doch darin,« sagte der Händler, »ich sehe, 's Weib hat Vernunft.«
Die Frau schien ruhig, während das Boot weiter fuhr, und ein sanfter, milder Sommerhauch flog über ihr Haupt hin, wie ein mitleidiger Geist, — jene wohlthätige Luft, die nie fragt, ob die Stirne heiter oder bewölkt ist, über die sie hinweht. Und sie sah Sonnenschein im Wasser funkeln und das goldene Kräuseln der Wellen, und hörte heitere Stimmen, voll von Lust und Fröhlichkeit auf allen Seiten um sich her; aber ihr Herz war so schwer, als wenn ein großer, großer Stein darauf ruhe. Das Kind richtete sich gegen sie auf und begann ihre Backen mit seinen kleinen Händen zu streicheln und schien fest entschlossen, sie durch Springen und Schreien und Lachen aufwecken zu wollen. Sie drückte es plötzlich fester in ihre Arme, und langsam fiel eine Thräne nach der andern auf das verwunderte, ahnungslose kleine Gesicht; und dann schien sie allmählig ruhiger zu werden und begann sich eifriger mit der Wartung des Kindes zu beschäftigen.
[S. 17]
Das Kind, ein Knabe von zehn Monaten, war ungewöhnlich groß und stark für sein Alter. Nie einen Augenblick ruhig, hielt er seine Mutter in fortwährender Thätigkeit, ihn zu wahren und seine Sprünge zu bewachen.
»Das ist ein hübscher Junge!« sagte ein Mann, mit den Händen in der Tasche, plötzlich vor ihm stehen bleibend. »Wie alt ist er denn?«
»Zehn und einen halben Monat,« erwiederte die Mutter.
Der Mann pfiff dem Knaben zu und reichte ihm ein Stück Zuckerbrod, wonach dieser eifrig griff und es sofort in die gewöhnliche Vorratskammer der Kinder, den Mund, deponirte.
»Ein prächtiger Bursche!« sagte der Mann, »versteht sich drauf!« und ging pfeifend weiter. Als er an die andere Seite des Bootes gelangte, stieß er auf Haley, der, auf einer hohen Schicht Kisten sitzend, seine Cigarre rauchte.
Der Fremde holte ein Schwefelholz hervor und zündete seine Cigarre an, während dessen er zu Haley sagte:
»Habt da ein ganz nettes, saubres Frauenzimmer, Fremder.«
»Denke, ja, ist ganz leidlich,« entgegnete Haley, den Rauch aus dem Munde blasend.
»Nehmt sie mit hinunter nach Süden?« fragte der Mann.
Haley nickte und rauchte weiter.
»Plantagen-Arbeiterin?« fragte der Mann weiter.
»Weiß nicht,« entgegnete Haley. »Richte grade 'nen Auftrag für 'ne Plantage aus und denke, werde sie mit hineinstecken. Ich habe zwar gehört, sie soll 'ne gute Köchin sein, und dann können sie sie dazu gebrauchen oder können sie auch Baumwolle zupfen lassen. Sie hat[S. 18] die richtigen Finger dazu, — hab' sie angesehen. Verkauft sich immer gut,« sagte Haley, während er seine Cigarre wieder in Thätigkeit setzte.
»Das Junge werden sie auf 'ner Plantage nicht gebrauchen,« bemerkte der Mann.
»Ich werde 's verkaufen — erste Gelegenheit,« entgegnete Haley, eine neue Cigarre anzündend.
»Vermuthe, Ihr werdet 's billig verkaufen,« sagte der Fremde, die Schicht Kisten hinauf steigend und sich oben bequem niederlassend.
»Weiß nicht,« sagte Haley, »'s ist ein hübsches, derbes Junges, — gerade, stark, fett, und hat Fleisch so hart wie ein Stein!«
»Ganz richtig, aber dann die Unruhe und die Kosten des Aufziehens,« bemerkte der Andere.
»Unsinn!« sagte Haley, »die Art läßt sich just eben so leicht aufziehen, wie jede andere Kreatur, die laufen kann; machen gar nicht mehr Umstände als junge Hunde. Das Junge da läuft in einem Monat überall herum.«
»Ich habe 'nen guten Platz um Junge aufzuziehen, und so dacht' ich, wollte etwas mehr Vorrath einkaufen,« sagte der Mann. »Die Köchin verlor ihr Junges vorige Woche, — 's ersoff in 'nem Waschfaß, während sie Zeug aufhing, — und so denk' ich, will ihr dies da zum Aufziehen geben.«
Haley und der Fremde rauchten eine Zeit lang schweigend weiter, indem keiner geneigt schien, den Hauptpunkt der Unterredung zu berühren. Endlich fuhr der Mann fort:
»Ihr würdet, denk' ich, nicht mehr für den Burschen nehmen als ein zehn Dollar oder so, da Ihr ihn doch 'mal losschlagen müßt.«
Haley schüttelte mit dem Kopfe, und spie sehr nachdrücklich.
»Das geht nicht, — lange nicht,« entgegnete er, und begann von Neuem zu rauchen.
[S. 19]
»Nun, so sagt mir, Fremder, was Ihr haben wollt?«
»Je nun,« sagte Haley, — »könnte 's Junge selbst aufziehen oder aufziehen lassen; 's ist ungewöhnlich hübsch und gesund, und bringt seine hundert Dollar in sechs Monaten; und in ein oder zwei Jahren zweihundert, wenn ich's am rechten Platze habe; also keinen Cent weniger, als fünfzig Dollar jetzt.«
»Oho! Fremder! das ist lächerlich!« sagte der Mann.
»Dabei bleibt's!« bemerkte Haley trocken, aber mit sehr bestimmtem Kopfnicken.
»Ich will Euch dreißig geben,« sagte der Fremde, »aber keinen Cent mehr.«
»Na, ich will Euch sagen, was ich thun will,« entgegnete Haley, wieder mit großer Bestimmtheit ausspeiend; — »ich will das theilen, um was wir aus einander sind, und will fünf und vierzig sagen; — und das ist Alles, was ich thun kann.«
»Gut, bin's zufrieden!« sagte der Mann nach einer Pause.
»Abgemacht!« sagte Haley. »Wo steigt Ihr aus?«
»Bei Louisville,« entgegnete der Mann.
»Louisville,« wiederholte Haley. »Ganz vortrefflich, — wir kommen da gegen Abend hin. Das Junge wird schlafen, — macht sich herrlich, — Ihr nehmt es still auf, 's gibt kein Geschrei, — paßt vortrefflich, — mache Alles gern ruhig ab, — hasse allen Lärm und alles Aufsehen.« Und nachdem aus dem Taschenbuche des Mannes verschiedene Banknoten in Haley's Tasche übergegangen waren, griff dieser wieder nach seiner Cigarre.
Es war ein heller, stiller Abend, als das Dampfboot vor Louisville anhielt. Die Frau hatte bis dahin still mit ihrem Kinde im Arme gesessen, — welches nunmehr in tiefen Schlaf gesunken war. Als sie den Namen des Ortes ausrufen hörte, legte sie hastig ihr Kind in eine Art kleiner Wiege, welche durch eine hohle Stelle[S. 20] zwischen den verschiedenen Kisten gebildet war, breitete ihren Mantel sorgfältig darüber und eilte dann nach der Seite des Bootes, in der Hoffnung, ihren Mann unter den zahlreichen Kellnern zu sehen, welche sich auf den Landungsplatz drängten. In dieser Hoffnung arbeitete sie sich durch die Menge bis dicht an das Geländer des Bootes, streckte sich weit darüber hinaus und heftete mit größter Anstrengung ihre Blicke auf die am Ufer sich umher bewegenden Köpfe, während die Menge der Reisenden sich zwischen sie und ihr Kind drängte.
»Jetzt ist's Zeit für Euch,« sagte Haley, das schlafende Kind aufnehmend, und es dem Fremden übergebend. »Weckt 's nicht auf, und laßt 's nicht an zu schreien fangen; es würde 'nen teufelsmäßigen Lärm mit dem Frauenzimmer geben.«
Der Mann übernahm das Bündel vorsichtig und war bald in der Menge verschwunden, die sich am Landungsplatze befand. Als das Schiff sich stöhnend und knarrend vom Ufer entfernte, und langsam seinen Lauf wieder begann, kehrte die Frau zu ihrem alten Sitze zurück. Haley saß daselbst, und — das Kind war fort.
»Wie — was — wo ist denn —?« begann sie in angstvollem Erschrecken.
»Lucy,« sagte der Händler, »Dein Kind ist fort; — kannst es jetzt gleich eben so gut wissen, wie später. Siehst Du, ich wußte, Du konntest es doch nicht mit hinunter nehmen bis nach Süden, und ich habe Gelegenheit gefunden, es an eine vornehme Familie zu verkaufen, wo es viel besser aufgezogen wird, als Du es kannst.«
Der Händler war bis zu jenem, von einigen Predigern und Politikern empfohlenen Stadium christlicher und politischer Vollkommenheit gelangt, in welchem er alle menschlichen Schwächen und Vorurtheile vollständig besiegt hatte. Der wilde, verzweiflungsvolle Blick, den das Weib auf ihn warf, hätte zwar manchen weniger[S. 21] Geübten beunruhigen können, allein er war daran gewöhnt. Er hatte solche Scenen viele hundert Male gesehen. Du, mein Freund, kannst Dich auch an solche Dinge gewöhnen; und es ist der große Zweck neuerer Anstrengungen geworden, unsere sämmtlichen nördlichen Staaten, — zur Glorie der Union, daran zu gewöhnen. Der Händler betrachtete also den Todesschmerz, den er in diesen dunklen Zügen arbeiten sah, die geballten Hände und den stockenden Athem nur als nothwendige Ereignisse in seinem Handel, und berechnete lediglich, ob sie an zu schreien fangen und einen Zusammenlauf auf dem Schiffe verursachen werde; denn, gleich andern Stützen unserer sonderbaren Institutionen, war er jeder Art unruhiger Bewegung entschieden entgegen.
Allein die Frau begann nicht zu schreien. Der Schuß war zu grade durch das Herz gegangen, um Thränen oder Schreien erzeugen zu können. Betäubt setzte sie sich nieder, und ihre Hände fielen schlaff und blutlos an ihrer Seite hinab. Ihre Augen starrten grade aus, aber sie sah nichts. All' das Geräusch des Bootes, das Stöhnen der Maschinen, mischte sich traumartig um ihr gehörloses Ohr, und ihr armes, brechendes Herz hatte weder Schrei noch Thräne, um seinen Todesschmerz zu verrathen. Sie war ganz ruhig.
Der Händler, der, unter gehöriger Berücksichtigung seiner Vortheile, beinahe so menschlich war wie manche unserer Politiker, schien sich bewogen zu fühlen, ihr so viel Trost einzusprechen, als der Fall überhaupt zuließ.
»Ich weiß, so was geht im Anfange hart an, Lucy,« sagte er; »aber so ein derbes, verständiges Frauenzimmer wie Du bist, wird nicht nachgeben. Du siehst, 's war nothwendig, 's mußte geschehen!«
»O laßt mich! Master, — laßt mich!« sagte das Weib mit einer Stimme, welche der eines Erstickenden ähnlich war.
»Bist 'ne derbe Dirne, Lucy,« fuhr er dennoch fort,[S. 22] »ich meine 's gut mit Dir, — will Dir unten, den Fluß hinunter, 'nen rechten guten Platz ausmachen; — und sollst bald wieder 'nen andern Mann haben, — so ein hübsches Frauenzimmer wie Du. —«
»O Master! wenn Ihr nur nicht jetzt mit mir sprechen wolltet,« sagte die Frau mit einer Stimme so tiefen, schneidenden Schmerzes, daß der Händler fühlte, dieser Fall liege über die Wirkung seiner gewöhnlichen Operationen hinaus. Er stand auf, und das Weib wandte sich um, und barg ihren Kopf in ihrem Mantel.
Der Händler schritt eine Zeit lang auf und ab, und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um sie zu beobachten.
»Läßt sich's verdammt nahe gehen,« monologisirte er, »aber ist doch ruhig; — mag 'ne Weile schwitzen, wird sich dann schon geben allmählig!«
Tom hatte den ganzen Vorgang, vom ersten bis zum letzten Augenblicke genau beobachtet, und hatte eine deutliche Ahnung von seinen Folgen. Ihm erschien er als etwas unaussprechlich Schreckliches und Grausames, weil die arme, unwissende schwarze Seele nie gelernt hatte, umfassendere Ansichten zu fassen und in sich aufzunehmen. Wenn er nur bei gewissen christlichen Geistlichen unterrichtet worden wäre, so würde er im Stande gewesen sein, richtiger darüber zu urtheilen, und darin nichts anderes, als ein tägliches Ereigniß in einem gesetzlichen Handel zu erkennen, — einem Handel, der eine wesentliche Stütze für eine Institution ist, von der ein amerikanischer Gottesgelehrte, Dr. Joel Parker, in Philadelphia, uns sagt, daß »sie keine andern Uebel mit sich führe, als solche, welche von allen anderen Beziehungen im socialen und häuslichen Leben unzertrennlich seien.« Allein Tom, der, wie wir sehen, ein armer, unwissender Mensch war, dessen ganze Lektüre sich auf das neue Testament beschränkte, konnte sich mit dergleichen Ansichten nicht beruhigen und trösten. Sein Herz blutete ihm um des[S. 23] Unrechts willen, was seiner Ansicht nach jenem armen leidenden Wesen zugefügt war, das dort wie ein gebrochenes Rohr auf den Kisten lag; das fühlende, lebende, blutende, unsterbliche Wesen, welches amerikanische Staatsgesetze gefühllos unter die Klasse der Waarenballen und Kisten rechnen, unter denen es jetzt liegt.
Tom näherte sich ihr, und versuchte etwas zu sagen; allein sie stöhnte nur. Mit aufrichtigem Schmerze, und während Thränen an seinen eignen Wangen hinab liefen, sprach er von einem Auge der Liebe über den Wolken, von einem barmherzigen Jesus und einer ewigen Heimath; aber das Ohr war taub vom Schmerze, und das gelähmte Herz konnte nicht mehr empfinden.
Die Nacht kam heran, — ruhig, still und glänzend, mit ihren zahllosen, feierlichen Engelaugen herab blickend, schön, aber schweigend. Von jenem fernen Himmel ließ keine Sprache, keine barmherzige Stimme sich hören, keine helfende Hand streckte sich daraus hervor. Die Laute der Geschäfte, wie der Freude, erstarben einer nach dem andern: Alles auf dem Schiffe schlief, und deutlich hörte man die kräuselnden Wellen gegen das Boot schlagen. Tom hatte sich auf einer Kiste ausgestreckt, und während er dort lag, hörte er von Zeit zu Zeit ein unterdrücktes Schluchzen und Weinen, und ähnliche Worte wie diese: — »O! was soll ich thun? O Gott, guter Gott, hilf mir!« — bis auch diese Laute endlich erstarben.
Nach Mitternacht erwachte Tom plötzlich. Ein schwarzer Schatten fuhr an ihm vorüber nach der Seite des Bootes zu, und er hörte einen schweren Fall in das Wasser. Niemand außer ihm hatte irgend etwas davon gesehen oder gehört. Er richtete seinen Kopf auf, — der Platz, wo die Frau gelegen hatte, war leer! Er stand auf, und suchte umher, vergeblich! Das arme blutende Herz war endlich still, und die Wellen kräuselten sich wieder so sanft und schön, und funkelten wieder so hell, als wenn sie sich über nichts geschlossen hätten.
[S. 24]
Geduld! Geduld! Ihr, deren Herzen vor Unwillen schwellen beim Anblicke solcher Ungerechtigkeiten wie diese. Nicht ein angstvoller Herzschlag, nicht eine Thräne der Unterdrückten wird vom Manne der Schmerzen, vom Herrn der Herrlichkeit vergessen werden. In seinem langmüthigen, barmherzigen Busen trägt er den Schmerz einer Welt. Trage auch Du, gleich ihm, und arbeite in der Liebe; denn so wahr er Gott ist, »wird das Jahr, die Seinen zu erlösen, kommen.«
Haley wachte am andern Morgen früh auf, und kam heraus, um seinen lebendigen Waarenbestand in Augenschein zu nehmen. Jetzt war an ihm die Reihe, sich verwundert umzuschauen.
»Wo in aller Welt ist die Dirne?« sagte er zu Tom.
Tom, der die Weisheit gelernt hatte, schweigen zu können, fühlte sich nicht für berufen, seine Beobachtungen und Vermuthungen zu offenbaren, sondern sagte nur, er wisse es nicht.
»Sie hat unmöglich in der Nacht irgendwo an's Land kommen können, denn ich war munter, und habe immer aufgepaßt, wenn das Boot anhielt; — vertraue solche Sachen niemals andern Leuten an.«
Diese Rede war ganz vertrauensvoll an Tom gerichtet, als enthielte sie etwas, was für ihn von besonderem Interesse sein müsse. Tom gab indeß keine Antwort.
Der Händler durchsuchte das Schiff von einem Ende zum andern, unter Kisten, Ballen und Fässern, in der Maschinerie und in den Schornsteinen, — aber vergeblich.
»Nun, höre, Tom, sprich rein heraus,« sagte er, als er nach fruchtlosem Suchen an den Ort zurück kam, wo Tom stand. »Du weißt darum, ja; — sag' mir nichts, — bin gewiß, Du weißt darum. Ich habe die Dirne hier liegen sehen um zehn Uhr, und dann wieder um zwölf Uhr, und wieder zwischen ein und zwei Uhr, — und um vier Uhr war sie fort, und Du hast die ganze Zeit grade[S. 25] hier gelegen und geschlafen. Ich weiß, Du mußt was drum wissen.«
»Master,« sagte Tom, »gegen Morgen fuhr 'was an mir vorbei, und ich wachte halb auf; und dann hört' ich, als wenn was Schweres in's Wasser fiel, und dann wacht' ich ganz auf, und 's Weib war fort. Das ist Alles, was ich weiß davon.«
Der Händler war weder erschreckt noch erstaunt; denn, wie vorher erwähnt worden, er war an viele Dinge gewöhnt, an die Du, lieber Leser, nicht gewöhnt bist. Selbst das Erscheinen des Todes ließ ihn keinen Schauer empfinden. Er hatte den Tod so oft gesehen, war ihm in seinem Handelsverkehr so oft begegnet, und bekannt mit ihm geworden, — und dachte an ihn jetzt nur als einen lästigen Gast, der seinen Erwerb schwer beeinträchtige, und schwur deshalb nur, daß die Dirne ein elendes Mensch gewesen sei, und daß er teufelsmäßig unglücklich sei, und daß, wenn die Sachen so fort gingen, er keinen Cent auf der ganzen Reise verdienen werde. Mit einem Worte: er hielt sich für einen mißhandelten Menschen. Allein es war an Allem nichts zu ändern, da das Weib in einen andern Staat entflohen war, der nie einen Flüchtigen wieder ausliefert, — selbst nicht auf das Verlangen der glorreichen Union. Und somit setzte sich der Händler mit seinem kleinen Rechnungsbuche mißmuthig nieder und vermerkte den vermißten Körper, nebst Seele, unter der Kategorie von Verlusten.
[S. 26]
Eine stille Scene steigt jetzt vor uns auf. Es ist eine große, geräumige Küche, deren gelber Fußboden glatt und glänzend ist, und nicht das kleinste Theilchen Staub auf sich trägt; mit einem reinlichen, wohlgeschwärzten Kochofen, langen Reihen glänzenden Zinnes, die an namenlose, gute Dinge für den Appetit erinnern, und mit glänzenden grünen, aber alten und festen Holzstühlen. Ein kleiner, niedriger Wiegenstuhl, mit einem Kissen, dessen Decke künstlich aus zahlreichen Stücken buntfarbigen Tuches zusammengesetzt war, stand darin; auch ein größerer Lehnstuhl befand sich daselbst, alt und mütterlich, der mit seinen weiten Armen und weichen Federkissen wie eine freundliche Einladung aussah, — und endlich ein wirklich bequemer alter Stuhl, der, im Sinne eines ehrbaren, häuslichen Genusses, mehr als ein Dutzend Eurer vornehmen, blankpolirten Plüschstühle in Staatszimmern werth ist; und darin saß, sich behaglich hin und her wiegend, die Augen auf eine feine Näherei geheftet — unsere alte Freundin Elisa. Ja, sie war es, obgleich etwas blässer und dünner, als sie in ihrer Heimath, in Kentucky, gewesen war, und mit einer Welt stiller Sorgen, unter dem Schatten ihrer langen Augenwimpern, und in den feinen Zügen um ihren sanften Mund. Es war unverkennbar, wie alt und fest das junge weibliche Herz in der Schule schwerer Leiden geworden war; und wenn sie von Zeit zu Zeit ihr großes, dunkles Auge aufschlug, um dem Spiele ihres kleinen Harry's zu folgen, der gleich einem tropischen Schmetterlinge sie umflatterte, so[S. 27] sprach sich darin eine solche Tiefe von Festigkeit und Entschlossenheit aus, wie nie früher darin zu erkennen gewesen war.
An ihrer Seite saß eine Frau mit einer blanken Zinnschüssel auf dem Schooße, in der sie getrocknete Pfirsiche sorgfältig aussuchte. Sie mochte fünfundfünfzig bis sechzig Jahr alt sein, allein ihr Gesicht war eins von denjenigen, welche die Zeit nur zu berühren scheint, um sie zu verschönern und zu verklären. Die schneeige Tüllhaube, nach der strengen Quäkerform gemacht, das einfache weiße Tuch von Mousselin, welches sich in glatten Falten über ihren Busen kreuzte, und das grobe Kleid verriethen augenblicklich die Brüderschaft, der sie angehörte. Ihr rundes, rosiges Gesicht von pflaumartiger Sanftheit erinnerte an eine reife Pfirsich; ihr Haar, das bereits theilweis silbern schimmerte, war glatt gescheitelt auf einer hohen, ruhigen Stirn, auf der die Zeit keine andere Inschrift zurückgelassen hatte, als »Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen«; und darunter leuchteten ein Paar großer, ehrlicher, liebevoller, brauner Augen. Man brauchte nur grade in diese hineinzuschauen, um bis auf den Grund eines so guten und wahren Herzens zu blicken, als je in einem weiblichen Busen schlug. Es ist die Schönheit junger Mädchen so vielfach besungen worden, — warum findet sich denn Niemand, die Schönheit alter Frauen zu preisen? Wenn Jemand zu diesem Zwecke der Begeisterung bedarf, so verweise ich ihn an unsere gute Freundin, Rachel Halliday, wie sie grade jetzt da in ihrem kleinen Wiegenstuhle sitzt. Dieser Stuhl hatte die Eigenschaft, zu knarren und zu quieken, — entweder in Folge einer Erkältung in seiner Jugend, oder vielleicht von asthmatischen Anfällen; gewiß ist, daß während sie sich darin langsam hin und her wiegte, er fortwährend eine Art leises »krietschie-krantschie« hören ließ, was an jedem anderen Stuhle unerträglich gewesen sein würde. Allein der alte Simeon Halliday erklärte oft,[S. 28] daß ihm dies ebenso lieb wie Musik sei, und die Kinder versicherten sämmtlich, daß sie um Alles in der Welt nicht die Musik von Mutters Stuhle entbehren möchten. Und weshalb? Weil seit zwanzig Jahren und länger nichts als liebevolle Worte, sanfte Ermahnungen und ächt mütterliche Herzlichkeit aus ihnen gesprochen hatten, — weil zahlloses Kopf- und Herzweh darin geheilt, — geistige und zeitliche Leiden darin gelöst worden waren, — und das Alles von einer guten, liebevollen Frau; — Gott segne sie!
»Und so hast Du also noch die Absicht, nach Kanada zu gehen, Elisa?« sagte sie, während sie ruhig auf ihre Pfirsiche blickte.
»Ja, Madame,« entgegnete Elisa mit Festigkeit. »Ich muß weiter; ich wage nicht zu bleiben.«
»Und was gedenkst Du zu thun, wenn Du dahin gelangst? Du mußt daran denken, meine Tochter.«
Der Ausdruck »meine Tochter« klang so natürlich aus Rachel Halliday's Munde, denn sie besaß grade die Züge und die Formen, für die das Wort »Mutter« die allernatürlichste Bezeichnung zu sein schien.
Elisa's Hand zitterte, und ein Paar Thränen fielen auf ihre feine Arbeit; aber sie antwortete mit derselben Festigkeit:
»Ich werde — jede Arbeit unternehmen, die ich finden kann. Ich hoffe, ich werde Etwas finden.«
»Du weißt, Du kannst hier so lange bleiben, als es Dir gefällt,« sagte Rachel.
»O Dank Ihnen,« sagte Elisa, »aber« — auf Harry deutend, — »ich kann Nachts nicht schlafen, ich kann nicht ruhen. In der vorigen Nacht träumte ich wieder, ich sähe jenen Mann auf den Hof kommen,« fügte sie schaudernd hinzu.
»Armes Kind!« sagte Rachel, ihre Augen trocknend, »aber Du mußt Dir nicht solche Gedanken machen. — Der Herr hat es gewollt, daß nie ein Flüchtling aus[S. 29] unserem Dorfe gestohlen worden ist, und ich hoffe, Dein Kind wird nicht der erste sein.«
Die Thür öffnete sich, und eine kleine runde Frau, mit einem freundlichen, blühenden Gesichte, ähnlich einem reifen Apfel, trat in das Zimmer. Sie war wie Rachel in schlichtem Grau gekleidet, während um ihren runden, vollen Hals das glatte weiße Mousselintuch lag.
»Ruth Stedman,« sagte Rachel, freudig ihr entgegen kommend und ihre beiden Hände mit Herzlichkeit ergreifend, — »wie geht Dir's?«
»Gut,« sagte Ruth, ihren kleinen Tuchhut abnehmend und ihn mit dem Taschentuche abstäubend, während dessen ein kleiner, runder Kopf zum Vorschein kam, der seine Quäkerhaube, alles Streichelns und Glättens der kleinen fetten Hände ungeachtet, auf eine etwas leichte, muntere Weise trug. Ein Paar Locken von entschieden krausem Haare waren überdies hier und da herausgefallen und mußten an ihren Platz zurückgeschoben werden; und als dieses Alles geschehen war, drehte sich die kleine Frau vom Spiegel, vor dem sie diese Anordnungen getroffen hatte, ab, und schaute sich mit wohlgefälliger Miene um, wie Alle thun mußten, die auf sie blickten; denn sie war entschieden eine in Körper und Herzen so gesunde, kleine Frau, wie jemals eine ein Männerherz erfreut hat.
»Ruth, diese Freundin hier ist Elisa Harris, und dies ist ihr kleiner Knabe, wovon ich Dir erzählt habe.«
»Ich freue mich, Dich zu sehen, Elisa, — recht sehr,« sagte Ruth, ihr die Hand so herzlich schüttelnd, als wenn Elisa eine alte Freundin gewesen wäre, die sie lange erwartet hätte; »und dies ist Dein liebes Kind, — ich habe ihm einen Kuchen mitgebracht,« fügte sie hinzu, indem sie dem Knaben ein Herz von Kuchen hinhielt, während dieser sich furchtsam näherte, um es in Empfang zu nehmen.
»Wo ist Dein Kind, Ruth?« fragte Rachel.
[S. 30]
»O, es wird gleich hier sein. Marie hat es mir abgenommen, als ich kam, und ist damit nach der Scheune gerannt, um es den andern Kindern zu zeigen.«
In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür und Marie, ein sittsames, rosiges Mädchen, mit braunen Augen, wie sie ihre Mutter hatte, kam herein.
»Ah, ha!« sagte Rachel, ihr entgegen gehend und den großen, weißen, fetten, kleinen Burschen in ihre Arme nehmend; »wie wohl er aussieht, und wie er wächst!«
»Gewiß,« sagte die geschäftige kleine Ruth, indem sie das Kind auf ihren Arm nahm, um ihm das kleine, blauseidene Mützchen, nebst verschiedenen anderen Umhüllungen abzunehmen; und nachdem sie sodann noch hier und da gezupft, und Alles in gehörige Ordnung gebracht, und es herzlich geküßt hatte, setzte sie es auf die Erde nieder, um es seinen eigenen Gedanken zu überlassen. Das Kind schien an diese Procedur gewöhnt zu sein, denn es steckte seinen Daumen in den Mund (als wenn sich das von selbst verstände) und war sehr bald in seinen eigenen Betrachtungen verloren, während die Mutter sich niedersetzte, einen langen Strumpf von gemischtem blauem und weißem Garne hervorzog, und emsig zu stricken begann.
»Marie, ich dächte, Du fülltest den Kessel, nicht wahr?« sagte die Mutter in sanftem Tone.
Marie nahm den Kessel, den sie am Brunnen füllte, und setzte ihn auf den Kochofen, wo er bald, gleich einem Rauchfaß der Gastfreundschaft und Heiterkeit, zu brausen und zu dampfen anfing. Ebenso wurden die Pfirsiche, in Folge von ein Paar freundlichen Zuflüsterungen Rachels, sehr bald von derselben Hand in einer Schmorpfanne über das Feuer deponirt.
Sodann nahm Rachel eine schneeweiße Mulde zur Hand, band eine Schürze vor und schritt dazu, einige Zwiebacke zuzubereiten, nachdem sie zuvor ihrer Tochter zugeflüstert hatte: »Marie, willst Du nicht John sagen,[S. 31] daß er ein Huhn in Bereitschaft hält?« worauf Marie sofort verschwand.
»Und was macht Abigail Peters?« fragte Rachel, während sie mit ihrer Beschäftigung fortfuhr.
»O, sie ist besser!« entgegnete Ruth. »Ich war diesen Morgen dort, und habe ihr Bett gemacht, und ihr Haus gekehrt. Lea Hills ist diesen Nachmittag hingegangen, um Brod und Erbsen für einige Tage zu backen; und ich habe ihr versprochen, heute Abend noch einmal hinzukommen, um sie aus dem Bette zu nehmen.«
»Ich will morgen hingehen und nachsehen, was rein zu machen und auszubessern ist,« sagte Rachel.
»Das ist gut,« entgegnete Ruth. »Ich habe gehört, daß Hanna Stanwood krank ist. John war gestern Abend da, — ich will Morgen hingehen.«
»John kann hierher zum Essen kommen, wenn Du den ganzen Tag dort bleiben mußt,« bemerkte Rachel.
»Ich danke Dir, Rachel; wir wollen morgen sehen; aber da kommt Simeon.«
Simeon Halliday, ein großer, muskulöser Mann, in einem grobtuchenen Rocke und Beinkleidern, und mit einem breitkrempigen Hute, trat jetzt in das Zimmer.
»Was machst Du, Ruth?« sagte er herzlich, ihre kleine, weiche Hand in seiner großen und breiten schüttelnd; »und was macht John?«
»O, John ist wohl, und alle unsere Leute!« entgegnete Ruth heiter.
»Neuigkeiten, Vater?« fragte Rachel, während sie ihre Zwiebacke in den Ofen schob.
»Peter Stebbins sagte mir, daß sie heute Abend mit Freunden zusammen sein würden,« entgegnete Simeon mit Nachdruck, während er seine Hände in einem reinlichen kleinen Gußsteine wusch, der in einem Alkoven an der Küche befindlich war.
»Wirklich?« sagte Rachel nachdenklich und auf Elisa blickend.
[S. 32]
»Sagtest Du, daß Dein Name Harris sei?« fragte Simeon Elisa, als er aus dem Alkoven zurückkam.
Rachel blickte schnell auf ihren Gatten, während Elisa bebend »ja« antwortete, indem sie in ihren stets regen Befürchtungen dachte, daß öffentliche Bekanntmachungen in Betreff ihrer möchten erlassen worden sein.
»Mutter!« sagte Simeon, in der Thür des Alkovens stehend, und Rachel zu sich rufend.
»Was willst Du, Vater?« sagte Rachel, ihre mehligen Hände reibend, während sie in den Alkoven ging.
»Jenes Kindes Ehemann ist in der Niederlassung und wird heute Abend hier sein,« sagte Simeon.
»Ist es möglich, Vater?« rief Rachel mit freudestrahlendem Gesichte.
»Es ist Alles wahr. Peter war gestern unten, mit dem Frachtwagen, in der andern Niederlassung, und traf dort eine alte Frau und zwei Männer, von denen der eine sagte, daß sein Name Georg Harris sei; und, nach dem zu urtheilen, was er von seiner Geschichte erzählt hat, habe ich keinen Zweifel darüber, wer er ist.«
»Sollen wir es ihr jetzt sagen?« fragte Simeon weiter.
»Wir wollen es erst Ruth sagen,« entgegnete Rachel. »Hier, Ruth, — komm hierher!«
Ruth legte ihr Strickzeug nieder und war im Augenblicke im Alkoven.
»Ruth, was glaubst Du?« sagte Rachel. »Vater sagt, Elisa's Ehemann sei hier in der Niederlassung, und werde heute Abend noch hier sein.«
Ein lauter Ausbruch der Freude von der kleinen Quäkerin unterbrach ihre Rede. Sie sprang so hoch vom Erdboden auf, während sie ihre kleinen Hände zusammenschlug, daß zwei Locken unter der Quäkermütze hervorfielen und auf ihrem weißen Halstuche liegen blieben.
»Still! still, Liebe!« sagte Rachel sanft; »still, Ruth! sprich, sollen wir es ihr jetzt sagen?«
[S. 33]
»Jetzt, versteht sich, jetzt gleich. Angenommen, es wäre mein John, wie würde mir dann zu Muthe sein? Bitte, Rachel, sage es ihr grad' heraus.«
»Du thust nichts als Dich bestreben, Deinen Nächsten zu lieben, Ruth,« sagte Simeon, sie mit strahlendem Gesichte betrachtend.
»Gewiß, sind wir nicht dazu da? Wenn ich nicht John und mein Kind liebte, würde ich nicht so für sie empfinden können. Komme nun, sag' es ihr, — bitte!« sagte Ruth, während sie ihre Hände bittend auf Rachel's Arm legte. »Gehe mit ihr dort in Dein Schlafzimmer, und laß mich die Hühner braten, während Du es ihr sagst.«
Rachel kam in die Küche zurück, wo Elisa saß und nähte, und indem sie die Thür zu einem kleinen Schlafgemach öffnete, sagte sie in sanftem Tone zu ihr: »Komm' hier herein, meine Tochter, ich habe Dir Neuigkeiten mitzutheilen.«
Das Blut schoß in Elisa's blasses Gesicht; sie stand, bebend vor Angst, auf, und blickte auf ihren Knaben.
»Nein, nein,« rief die kleine Ruth, aufspringend und ihre Hände ergreifend. »Fürchte nichts, Elisa, es sind gute Neuigkeiten, — geh hinein, geh hinein!« Und mit diesen Worten drängte sie sie sanft der Thüre zu, die sich hinter ihr schloß, und dann sich umdrehend, und den kleinen Harry in ihren Armen fangend, begann sie ihn zu küssen.
»Du wirst Deinen Vater sehen, Kind. Kennst Du ihn? Dein Vater kommt,« wiederholte sie immer von[S. 34] Neuem, während das Kind sie verwundrungsvoll anblickte.
Inzwischen fand jenseits der Thür eine andere Scene statt. Rachel Halliday zog Elisa zu sich heran und sagte: »Der Herr ist Dir gnädig gewesen, meine Tochter; Dein Ehemann ist dem »»Diensthause«« entflohen.«
Das Blut stieg plötzlich zu hoher Röthe in Elisa's Wangen auf, und floß eben so schnell zurück in ihr Herz. Blaß und heftig angegriffen, setzte sie sich nieder.
»Habe Muth, Kind,« sagte Rachel, ihre Hand auf Elisa's Kopf legend. »Er ist unter Freunden, die ihn heut Abend hierher bringen werden.«
»Heut Abend!« wiederholte Elisa, — »heut Abend!« Die Worte verloren alle Bedeutung für sie; ihr Kopf war träumerisch und verwirrt; Alles um sie war in Nebel gehüllt.
Als sie erwachte, lag sie dicht zugedeckt auf einem Bett, und die kleine Ruth war beschäftigt, ihre Hände mit Kampher zu reiben. Sie öffnete ihre Augen in einem Zustande süßer, traumartiger Mattigkeit, wie sie der empfindet, der lange eine schwere Last getragen hat, und sich nun davon befreit fühlt, und gern ruhen möchte. Die Spannung der Nerven, die bei ihr nie, vom ersten Augenblicke der Flucht ab nachgelassen hatte, war verschwunden, und ein eigenthümliches Gefühl von Sicherheit und Ruhe war über sie gekommen, und während sie dort lag, und ihre großen, dunklen Augen geöffnet hielt, folgte sie, wie in stillem Traume, den Bewegungen[S. 35] der sie Umgebenden. Sie sah die Thür der Küche halb geöffnet, sah den zum Abendessen bereiteten Tisch mit dem schneeweißen Tischtuch; hörte das träumerische Singen des Theekessels; sah Ruth emsig hin und her laufen mit Küchentellern und Gläsern mit Eingemachtem, und von Zeit zu Zeit stehen bleiben, um Harry ein Stück Kuchen zu geben, oder seinen Kopf zu klopfen, oder seine Locken um ihre weißen Finger zu rollen.
Sie sah die volle, mütterliche Gestalt Rachels von Zeit zu Zeit an ihr Bette kommen, und die Decken desselben streichen und glätten, und fühlte, daß dabei eine Art Sonnenschein aus ihren großen, klaren, braunen Augen auf sie nieder falle. Sie sah Ruth's Mann eintreten, — sah sie selbst zu ihm fliegen, ihm eifrig etwas zuflüstern, und von Zeit zu Zeit mit ihrem kleinen Finger nach dem Schlafzimmer deuten. Sie sah sie, mit ihrem Kinde im Arme am Theetisch nieder sitzen, — sah Alle darum versammelt, und ihren kleinen Harry aus einem hohen Stuhle, unter dem Schatten von Rachel's Flügeln; sie hörte die leise, murmelnde Unterhaltung, das sanfte Klingen der Theelöffel, das Geräusch der Tassen und Schalen, und Alles mischte sich vor ihrem Ohre zu einem süßen Traume von Ruhe; — und Elisa schlummerte ein so fest, wie sie nie zuvor, seit jener schrecklichen Mitternachtsstunde, wo sie ihr Kind aufnahm und durch die kalte Winternacht floh, geschlafen hatte.
Sie träumte von einer schönen Gegend, — einem Lande der Ruhe, wie es ihr schien, — grünen Ufern, schönen Inseln und hell funkelndem Wasser; und dort sah sie in einem Hause, von dem sanfte Stimmen ihr zuflüsterten, daß es ihr eigenes sei, ihren Knaben spielen, ein freies, glückliches Kind. Sie hörte die Tritte ihres Mannes, sie fühlte sie näher kommen; seine Arme schlangen sich um ihren Nacken, seine Thränen fielen auf ihr Gesicht, und sie erwachte! — Es war kein Traum.[S. 36] Das Tageslicht war lange verschwunden; ihr Kind lag sanft schlummernd an ihrer Seite; ein Licht brannte düster auf dem Tische, und — ihr Gatte kniete schluchzend an ihrem Bette.
Der nächste Morgen war ein sehr heiterer, fröhlicher im Quäkerhause. »Mutter« war zeitig auf, und umgeben von geschäftigen Mädchen und Knaben, die wir gestern aus Mangel an Zeit mit dem Leser bekannt zu machen unterließen, und die alle, gehorsam den sanften Winken ihrer Mutter Rachel, dazu behülflich waren, das Frühstück zu bereiten; denn in den üppigen, fruchtbaren Thälern von Indiana ist die Zubereitung eines Frühstücks ein sehr verwickeltes, vielseitiges Geschäft. Während deshalb John nach dem Brunnen ging, um frisches Wasser zu holen, und Simeon der Zweite Mehl zu Kornkuchen durchsiebte, und Marie Kaffee mahlte, bewegte sich Rachel sanft und ruhig unter ihnen umher, und bereitete Zwieback, schnitt Hühnchen auf, und verbreitete eine Art sonnigen Scheines über die ganze Scene. Wenn sich je die Gefahr einer Reibung durch den ungeregelten Eifer so vieler junger Arbeiter zeigte, so war das sanfte, mütterliche: »Komm! komm!« oder »nicht doch!« genügend, um jede Schwierigkeit zu beseitigen. Dichter und Sänger haben über den Gürtel der Venus geschrieben, der die Köpfe vieler Generationen nach einander verdreht hat; wir, unseres Theils, dagegen würden den Gürtel Rachel Halliday's vorziehen, der die Köpfe vor Verirrungen bewahrt, und Alles so harmonisch sich bewegen läßt. Wir halten ihn für entschieden mehr geeignet für unsere jetzige Zeit.
[S. 37]
Während alle übrigen Vorbereitungen rüstig fortschritten, stand Simeon der Aeltere in Hemdärmeln vor einem kleinen Spiegel in der einen Ecke der Küche, und war mit der antipatriarchalischen Operation des Barbirens beschäftigt. Alles ging in der großen, geräumigen Küche so gesellig, so ruhig, so harmonisch von Statten; — es schien einem Jeden so angenehm, grade das zu thun, was er that; es schwebte über dem ganzen Thun und Treiben daselbst eine Athmosphäre von so viel gegenseitigem Vertrauen und Gefälligkeit; und als Georg und Elisa mit ihrem kleinen Harry herein traten, wurden sie mit einem so frohen, herzlichen Willkommen begrüßt, daß es nicht zu verwundern war, wenn ihnen Alles wie ein Traum erschien.
Endlich saßen Alle beim Frühstück, während Marie beim Ofen stehen blieb, um Kornkuchen zu backen, die sie, sobald sie das ächte goldene Braun der Reife erlangt hatten, auf den Tisch beförderte. Nie sah Rachel so wahrhaft glücklich und beseligend aus, als wenn sie sich auf ihrem Vorsitze am Tische befand. Es lag so viel Mütterlichkeit und Herzensgüte selbst in der Art und Weise, wie sie einen Teller mit Kuchen reichte oder eine Tasse Kaffe einschenkte, daß es schien, als wenn Speise und Trank eine geistige Beigabe dadurch empfingen.
Es war dieses das erste Mal, daß Georg sich am Tische eines weißen Mannes zu gleichen Rechten mit den übrigen Anwesenden befand. Er verrieth deshalb anfangs etwas Scheu und Verlegenheit; allein alles dieses verschwand wie ein Nebel vor den Morgenstrahlen dieser einfachen, überfließenden Herzlichkeit. Dies war wirklich eine Heimath, — eine Heimath, — ein Wort, dessen Bedeutung Georg noch nie begriffen und empfunden hatte; und Glaube an Gott, und Vertrauen in die Vorsehung begannen in seinem Herzen zu erwachen, während dunkle, menschenfeindliche, nagende, gottesläugnerische Zweifel und wilde Verzweiflung vor dem Lichte[S. 38] des lebendigen Evangeliums hinweg schmolzen, das aus so vielen lebenden Gesichtern vor und neben ihm sprach, und von tausend unbewußten Handlungen der Liebe und des guten Willens gepredigt wurde, die gleich dem Becher kalten Wassers, gereicht in eines Jüngers Namen, nicht unbelohnt bleiben werden.
»Vater, was würde geschehen, wenn Du wieder angeklagt werden solltest?« fragte Simeon der Zweite, während er seinen Kuchen mit Butter bestrich.
»Ich würde meine Strafe bezahlen,« sagte Simeon ruhig.
»Aber wenn sie Dich nun in's Gefängniß sperrten?«
»Könntest Du denn und Mutter die Wirthschaft nicht allein besorgen?« fragte Simeon lächelnd.
»Mutter kann beinahe Alles thun,« sagte der Knabe; »aber ist es nicht eine Schande, solche Gesetze zu geben?«
»Du mußt nicht Uebles von Deiner Obrigkeit reden, Simeon,« sagte der Vater sehr ernst. »Gott gibt uns unsere irdischen Güter nur um Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu üben, wenn unsere Obrigkeit dafür eine Abgabe von uns verlangt, so müssen wir sie zahlen.«
»Gut, aber ich hasse diese alten Sklavenhalter!« sagte der Knabe, der eben so unchristliche Empfindungen hatte wie mancher unserer modernen Reformatoren.
»Ich wundere mich über Dich, Sohn,« sagte Simeon, der Vater, »das hat Dir Deine Mutter nie gelehrt. Ich würde dasselbe für den Sklavenhalter wie für den Sklaven thun, wenn der Herr ihn in Trübsal an meine Thür brächte.«
Simeon der Zweite wurde feuerroth; aber seine Mutter lächelte nur und sagte: »Simeon ist mein guter Sohn; er wird älter, und dann wie sein Vater werden.«
»Ich hoffe, mein guter Herr, daß Sie sich unserethalben[S. 39] keinen Unannehmlichkeiten aussetzen,« sagte Georg unruhig.
»Fürchte nichts, Georg, denn deshalb sind wir auf die Welt gekommen. Wenn wir uns für eine gute Sache keinen Schwierigkeiten aussetzen wollten, so wären wir nicht unseres Namens werth.«
»Aber um meinethalben,« sagte Georg, »ich könnte es nicht ertragen.«
»Nun, so fürchte nichts, Freund Georg, es ist nicht um Deinetwillen, sondern um Gottes und der Menschen willen, daß wir es thun,« sagte Simeon. »Und nun mußt Du Dich den heutigen Tag über hier ruhig aufhalten, und heut Abend, um zehn Uhr, soll Dich Phineas Fletcher weiter bis zur nächsten Niederlassung bringen, — Dich und die Uebrigen Deiner Gesellschaft. Deine Verfolger sind hart hinter Dir; wir dürfen nicht zaudern.«
»Wenn dies der Fall ist, warum warten wir bis zum Abende?« fragte Georg.
»Bei Tage bist Du hier sicher, denn ein Jeder in der Niederlassung hier ist ein Freund, und Alle sind wachsam. Es ist aber sicherer, bei Nacht zu reisen.«
Der Mississippi! Wie durch einen Zauberstab hat sich seine Scenerie verändert, seit Chateaubriand seine prosa-poetische Schilderung schrieb, die eines Flusses, der seine Wogen durch eine gewaltige, nie gestörte Einsamkeit, und[S. 40] durch ungeahnte Wunder der Pflanzen- und Thierwelt rollt. Dieser Strom wildromantischer Träume ist in eine Wirklichkeit getreten, die kaum weniger wunderbar und glänzend ist. Welcher andere Fluß der Welt trägt auf seinem Busen, dem Oceane den Reichthum eines ähnlichen Landes zu? — eines Landes, dessen Produkte Alles umfassen, was zwischen den Tropen und den Polen sich erzeugt! Jene trüben Wellen, die sich schäumend und reißend dahin stürzen, sind ein passendes Bild jener wilden Fluth von Geschäften, die ein Geschlecht auf sie ausströmen läßt, das kräftiger und energischer ist, als je eins die alte Welt sah. Wenn sie nur nicht auch eine noch schrecklichere Last mit sich trügen, die Thränen der Unterdrückten, die Seufzer der Hülflosen, die schmerzlichen Gebete der armen, unwissenden Herzen zu einem unbekannten Gotte, — unbekannt, ungesehen, und ungehört, aber der dennoch »ausgehen wird aus seinem Orte, um alle Leidenden zu erlösen.«
Die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne zittern auf der meerartigen Oberfläche des Flusses, und die schwankenden Rohre, und die hohen, dunklen Cypressen, umhangen mit Kränzen schwarzen Leichenmooses, glühen in den goldenen Strahlen, während das schwerbeladene Dampfschiff seinen Lauf verfolgt.
Angefüllt mit hoch aufgeschichteten Baumwollenballen aus zahlreichen Plantagen, die Deck und Seiten überragen und dem Schiffe in der Entfernung das Ansehen eines großen, massiven Steinblockes geben, bewegt es sich schwerfällig dem nächsten Markte zu. Wir werden auf seinem überfüllten Verdecke einige Zeit suchen müssen, ehe wir unsern bescheidenen Freund Tom wiederfinden. Hoch auf dem obersten Verdecke, in einer kleinen Ecke zwischen den überall sichtbaren Baumwollenballen finden wir ihn endlich.
Tom hatte, theils durch die von Mr. Shelby's Vorstellungen erweckte gute Meinung, und hauptsächlich durch[S. 41] sein eignes ruhiges und harmloses Wesen selbst einem Manne wie Haley ein gewisses Vertrauen abgewonnen. Anfangs hatte dieser ihn des Tages über streng bewacht, und ihm des Nachts nie erlaubt, ohne Fesseln zu schlafen; allein die unerschöpfliche Geduld und anscheinende Zufriedenheit in Tom's Wesen hatten ihn allmählig dazu vermocht, diese Beschränkungen aufzuheben, und seit einiger Zeit befand sich deshalb Tom in einer Art Haft auf Ehrenwort, indem es ihm erlaubt war, auf dem Schiffe frei umher zu gehen, wohin er wollte.
Immer ruhig und gefällig, und mehr als bereitwillig, den Schiffsarbeitern hülfreiche Hand zu leisten, wo sich nur immer eine Gelegenheit darbot, hatte er sich selbst die Gunst aller Schiffsleute erworben, und brachte manche Stunde damit zu, ihnen Beistand zu leisten, und zwar mit einem eben so guten Willen, als er je auf einer Kentucky'schen Farm gearbeitet hatte.
Wenn nichts für ihn zu thun war, stieg er in irgend einen Winkel zwischen den Baumwollenballen des obersten Deckes, und beschäftigte sich damit, seine Bibel zu studiren, und in dieser Beschäftigung finden wir ihn grade jetzt.
Etwa hundert Meilen oberhalb New-Orleans ist der Lauf des Stromes höher als die umliegende Gegend, und seine mächtigen Wogen rollen zwischen levées von ungefähr zwanzig Fuß Höhe. Der Reisende auf dem Verdeck des Dampfbootes kann, wie von der Höhe eines schwimmenden Thurmes, die ganze Gegend meilenweit übersehen. Tom hatte deshalb, in den auf einander folgenden Plantagen eine ganze Karte des Lebens vor sich, dem er entgegen ging. Er sah in der Entfernung die Sklaven bei ihrer Arbeit; er sah in mancher Plantage die langen Reihen ihrer Hütten, entfernt von den stattlichen Gebäuden und Lustplätzen des Herrn; und während sich das Gemälde immer weiter aufrollte, wendete sich sein armes, thörichtes Herz zurück nach der Farm in Kentucky, mit[S. 42] seinen alten, schattigen Buchen, — nach dem Hause seines Herrn, mit den weiten, kühlen Hallen, — und dicht dabei seine kleine Hütte, mit Jasmin und Immergrün überwachsen. Dort glaubte er die vertrauten Gesichter seiner Kameraden zu sehen, die mit ihm aufgewachsen waren; er sah seine geschäftige Frau bei der Zubereitung des Abendessens; er hörte das fröhliche Lachen seiner Kinder beim Spiele, und das Lallen seines jüngsten Kindes auf seinem Knie, — und dann war mit einem Male Alles wieder verschwunden, er sah wieder die Rohrgebüsche und Cypressen der vorüber gleitenden Plantagen, und hörte wieder das Knarren und Stöhnen der Maschinen, was ihm nur zu deutlich sagte, daß diese Periode seines Lebens für immer dahin sei.
In einem solchen Falle, lieber Leser, schreibst Du an Deine Frau und sendest Nachrichten an Deine Kinder; aber Tom konnte nicht schreiben, — die Post existirte für ihn nicht, und über den Abgrund, der ihn trennte, führte keine Brücke, selbst nicht die eines freundlichen Wortes oder Zeichens.
Kann man sich dann wundern, daß einige Thränen auf die Seiten seiner Bibel niederfallen, während er diese auf einem Baumwollenballen vor sich liegen hat, und mit geduldigem Finger langsam von Wort zu Wort geht, um ihre Verheißungen zu entziffern? Da Tom erst im späteren Alter angefangen hatte zu lernen, so war er ein langsamer Leser, und ging nur mit Schwierigkeit von einem Verse zum andern über. Ein glücklicher Umstand war es für ihn, daß das Buch, dem er seinen Fleiß zuwandte, ein solches war, dessen Werth durch langsames Lesen nicht verlieren konnte, — ja, vielmehr ein solches, dessen Worte, gleich Stücken massiven Goldes, oft einzeln abgewogen werden mußten, damit der Geist den unschätzbaren Werth derselben fassen könne. Wir wollen ihm einen Augenblick folgen, während er, auf jedes Wort[S. 43] seinen Finger besonders legend, und es halb aussprechend, lies't:
»Euer — Herz — erschrecke — nicht. In — meines — Vaters — Hause — sind — viele — Wohnungen. Ich — gehe, — Euch — die — Stätte — zu — bereiten.«
Als Cicero seine einzige, so sehr geliebte Tochter begrub, war sein Herz mit so wahrem Schmerz erfüllt, wie das unseres armen Tom, — vielleicht nicht mehr; denn Beide waren nur Menschen; aber Cicero konnte sich an keinen so erhabenen Worten der Hoffnung trösten, und keiner solchen zukünftigen Wiedervereinigung entgegen sehen; und wenn er diese Worte gesehen hätte, — zehn gegen eins — er würde ihnen nicht geglaubt, sondern seinen Kopf erst mit tausend Fragen über die Aechtheit der Manuscripte und die Korrektheit der Uebersetzungen beschwert haben. Aber für den armen Tom lag das Buch da, grade wie er es brauchte, so augenscheinlich wahr und göttlich, daß die Möglichkeit eines Zweifels nimmer in seinen einfachen Sinn kam.
Was Tom's Bibel betraf, so war sie, obgleich sie keine Anmerkungen von gelehrten Commentatoren am Rande hatte, doch durch verschiedene Zeichen und Wegweiser von Tom's eigner Erfindung verschönert worden, die ihm mehr nützten, als die gelehrtesten Erklärungen gethan haben würden. Es war früher die Gewohnheit gewesen, sich die Bibel von den Kindern seines Herrn, und namentlich vom jungen Master Georg vorlesen zu lassen; und während Diese lasen, pflegte er dann durch starke Zeichen und Federstriche diejenigen Stellen zu markiren, welche seinem Ohre besonders gefielen, oder sein Herz berührten. Auf diese Weise war seine ganze Bibel, von einem Ende bis zum andern, mit den verschiedenartigsten Zeichen versehen, die ihn in den Stand setzten,[S. 44] seine Lieblingsstellen im Augenblicke auffinden zu können, ohne die Mühe zu haben, alles zwischen Liegende zu buchstabiren; und während sie jetzt dort vor ihm lag, und jede Stelle ihn an irgend eine frühere häusliche Scene oder an einen dort gehabten Genuß erinnerte, schien ihm seine Bibel sowohl Alles, was ihm in diesem Leben übrig geblieben, wie die Verheißung eines zukünftigen zu sein.
Unter den Passagieren des Dampfbootes befand sich ein junger Mann von bedeutendem Vermögen und guter Familie, der in New-Orleans wohnte, und sich St. Clare nannte. In seiner Begleitung waren eine kleine Tochter zwischen fünf und sechs Jahren, und eine Dame, welche in verwandtschaftlicher Beziehung zu ihm zu stehen und das Kind unter ihrer besondern Aufsicht zu haben schien.
Tom hatte das kleine Mädchen öfters gesehen, — denn es war eins jener geschäftigen flüchtigen Wesen, die an einem Orte eben so wenig festgehalten werden können, wie ein Sonnenstrahl oder eine Frühlingsluft, und wer es einmal gesehen hatte, konnte es nicht leicht wieder vergessen. Die Formen desselben waren kindliche Schönheit in ihrer Vollendung, und ohne jene ungefälligen Umrisse von zu großer Fülle, eine wallende, luftige Grazie, wie man sie nur mythischen und allegorischen Gebilden in Träumen zuschreibt, umfloß das kleine Wesen, dessen Gesicht weniger durch die regelmäßige Schönheit seiner Züge, als vielmehr durch einen besondern, träumerischen Ernst auffiel, der selbst auf ganz stumpfe, unempfängliche Gemüther nie verfehlte, Eindruck zu machen, ohne daß diese wußten, weßhalb. Die Form ihres Kopfes und Nackens war besonders edel, und das lange, golden braune Haar, welches diese Theile wie ein Nebel umfloß, der tiefe, geistvolle Ernst ihrer veilchenblauen Augen, — Alles zeichnete sie von andern Kindern aus und veranlaßte einen Jeden, ihr nachzublicken, während sie auf dem Boote hin und her schwebte. Nichtsdestoweniger war die Kleine weder ein ernstes, noch trauriges[S. 45] Kind. Im Gegentheile schien ein lustiger, unschuldiger Muthwille, wie ein Schatten von Baumblättern im Sommer, auf ihrem kindlichen Gesichte und um ihre elastischen Glieder zu spielen. Stets war sie in Bewegung, und immer schwebte eine Art Lächeln um ihren rosigen Mund, während sie mit schwebendem, nebelartigem Schritte, und wie in einem glücklichen Traume still für sich singend, hin und her flog. Ihr Vater und ihre Aufseherin waren fortwährend mit ihrer Verfolgung beschäftigt; allein, kaum hatten sie sie gefangen, so entwich sie ihnen schon wieder wie ein Sommerlüftchen; und da nie ein verweisendes, tadelndes Wort je ihr Ohr berührte, was sie auch immer thun mochte, so folgte sie ihren eigenen Wegen auf dem ganzen Boote umher. Stets weiß gekleidet, schien sie einem Schatten gleich durch alle Oerter und Plätze zu schweben, ohne berührt oder beschmutzt zu werden; und es gab auf dem ganzen Schiffe, unten und oben, kein Eckchen, das ihre feenartigen Tritte nicht berührt, und wo ihre tiefblauen Augen nicht hingeschaut hatten.
Tom, der ganz die sanfte, empfängliche Natur seines Geschlechts besaß und sich immer zu einfachen, kindlichen Wesen hingezogen fühlte, beobachtete die Kleine mit täglich zunehmendem Interesse. Ihm erschien sie als etwas beinahe Göttliches; und jedesmal, wenn ihr goldener Kopf und ihre tiefen blauen Augen hinter irgend einem staubigen Baumwollenballen hervor und über irgend eine Wand Gepäck hinüber auf ihn blickten, war es ihm, als sehe er einen der Engel aus seinem Neuen Testamente hervortreten.
Oft schritt sie traurig um den Platz, wo Haley's Trupp von Männern und Weibern in Ketten saß. Dann pflegte sie zuweilen unter sie zu treten und sie mit einer Miene staunenden, traurigen Ernstes zu betrachten, oder die Ketten derselben mit ihren zarten Händen aufzuheben und schmerzlich zu seufzen, während sie sich wieder[S. 46] entfernte. Oefters auch erschien sie plötzlich unter ihnen, in ihren Händen Zuckerwerk, Nüsse und Orangen tragend, die sie fröhlich unter sie vertheilte und dann wieder verschwand.
Tom beobachtete die kleine Dame lange Zeit, ehe er sich einige Annäherungen Behufs einer anzuknüpfenden Bekanntschaft erlaubte. Er kannte viele Mittel, um die Gunst kleiner Menschen zu gewinnen, und beschloß, sich deren auf geschickte Weise zu bedienen. Er konnte niedliche kleine Körbe aus Kirschkernen schneiden, und groteske Gesichter und wunderliche, springende Figuren aus Hollundermark schnitzen, und in der Fabrikation der Pfeifen von allen Arten und Größen war er ein wahrer Pan. Seine Taschen waren voll von derartigen magnetischen Gegenständen, die er in früherer Zeit für die Kinder seines Herrn gesammelt hatte, und die er jetzt mit weiser Vorsicht und Oekonomie, eins nach dem andern, hervorzog, um sich ihrer als Mittel zu einer neuen Bekanntschaft und Freundschaft zu bedienen.
Die Kleine war, trotz ihres lebendigen Interesses in Allem, was um sie vorging, scheu, und nicht leicht zu zähmen. Anfangs nahm sie nur, wie ein Kanarienvogel, in einiger Entfernung von Tom, auf irgend einer Kiste Platz, um ihm zuzuschauen, wenn er mit den oben bezeichneten Künsten beschäftigt war, und nahm die ihr angebotenen kleinen Gegenstände mit einer Art schüchternen Ernstes an; allein nach einiger Zeit stellte sich zwischen Beiden ein ganz vertraulicher Ton her.
»Was ist kleine Miß's Name?« sagte Tom endlich, als er weit genug vorgerückt zu sein glaubte, um solche Frage thun zu dürfen.
»Evangeline St. Clare,« sagte die Kleine, »obgleich Papa und alle Andern mich immer nur Eva nennen. Nun, was ist Dein Name?«
»Mein Name ist Tom. Die Kinder pflegten mich[S. 47] immer Onkel Tom zu nennen, weit von hier, in Kentucky.«
»Dann will ich Dich auch Onkel Tom nennen, siehst Du, weil ich Dich lieb habe,« sagte Eva. »Also, Onkel Tom, wohin gehst Du?«
»Ich weiß nicht, Miß Eva.«
»Du weißt nicht?« sagte Eva.
»Nein. Ich soll an irgend Jemanden verkauft werden. Ich weiß nicht, an wen.«
»Mein Papa kann Dich kaufen,« sagte Eva schnell; »und wenn er Dich kauft, so wirst Du gute Zeiten haben. Ich will ihn heut noch drum bitten.«
»Ich danke schön, meine kleine Dame,« entgegnete Tom.
Das Boot hielt hier an vor einem kleinen Landungsplatze, um Holz einzunehmen, und Eva, die ihres Vaters Stimme hörte, sprang hurtig auf ihn zu. Tom stand auf und ging hin, um seine Dienste beim Einladen des Holzes anzubieten, und war bald mit den übrigen Arbeitern dabei beschäftigt.
Eva und ihr Vater standen am Geländer des Fahrzeuges, um das Abfahren vom Landungsplatze zu beobachten; das Rad hatte zwei oder drei Wendungen im Wasser gemacht, als durch eine unerwartete Bewegung des Bootes die Kleine plötzlich das Gleichgewicht verlor und über das Geländer in's Wasser hinab stürzte. Ihr Vater, kaum wissend, was er that, war im Begriffe, ihr nachzuspringen, wurde aber von Jemanden hinter ihm zurückgehalten, welcher bemerkt hatte, daß bereits eine kräftigere Hülfe dem Kinde nachgeeilt war.
Tom hatte gerade unter der Kleinen im untern Decke gestanden, als sie hinab stürzte. Er sah sie in das Wasser fallen und untersinken, und war im Augenblick ihr nach. Ein starkarmiger Mensch, mit breiter Brust, wie er war, kostete es ihm wenig Mühe, sich im Wasser zu erhalten, bis sie nach wenigen Momenten[S. 48] wieder zur Oberfläche herauf kam, und sie dann in seine Arme nehmend, schwamm er mit ihr an die Seite des Bootes und reichte sie dort triefend den hundert Händen hin, die sich ihm entgegen streckten, um sie zu empfangen. Wenige Augenblicke später trug sie ihr Vater bewußtlos in die Kajüte der Damen, wo, wie es gewöhnlich in solchen Fällen ist, sich aus bester und herzlichster Meinung ein lebhafter Streit unter den weiblichen Inwohnern darüber erhob, wer am meisten thun solle, um Unruhe zu verursachen und die Wiederbelebung des Kindes auf jede mögliche Weise zu verhindern.
Der folgende Tag war heiß und drückend, als das Dampfboot die Nähe von New-Orleans erreichte. Unter den Reisenden zeigte sich allmählig eine größere Bewegung, theils durch die Erwartung, theils durch die Vorbereitungen zum Landen hervorgerufen. Die Effekten wurden gesammelt und in Bereitschaft gehalten, und der Stewart und sein weibliches Dienstpersonal begannen eifrig das Boot zu reinigen, zu waschen, zu poliren und zu einer großen Entrée vorzubereiten.
Am untern Ende des Decks saß unser Freund Tom, mit untergeschlagenen Armen, und wandte von Zeit zu Zeit ängstlich seine Blicke auf eine Gruppe, die auf der andern Seite des Bootes stand. Dort befand sich die hübsche Evangeline, etwas blässer zwar als am vorigen Tage, aber sonst durch nichts den Unfall verrathend, der ihr zugestoßen war. Ein junger Mann von außerordentlich anmuthigem, elegantem Wesen stand neben ihr und lehnte sich mit dem einen Ellenbogen nachlässig auf einen Baumwollenballen, während ein großes Taschenbuch offen[S. 49] vor ihm lag. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daß er Eva's Vater war, denn dieselbe edle Form des Kopfes, dieselben großen blauen Augen, dasselbe golden braune Haar verriethen die innige Verwandtschaft mit dem Kinde; und dennoch war sein Gesichtsausdruck durchaus verschieden von dem Eva's. In den großen, klaren, blauen Augen, obgleich jenen in Form und Farbe ähnlich, fehlte die dämmerige, träumerische Tiefe des Ausdrucks; Alles war klar und hell, aber mit einem Lichte, das durchaus von dieser Welt war. Um den schön geschnittenen Mund zeigte sich ein stolzer und etwas sarkastischer Zug, während aus jeder Bewegung seiner schönen Gestalt eine leichte, freie und sich selbst bewußte Ueberlegenheit sprach. Er hörte in diesem Augenblicke mit gutmüthiger, halb komischer, halb verächtlicher Miene Haley an, der mit besonders geläufiger Zunge die Eigenschaften des Artikels pries, um den zwischen ihnen gehandelt wurde.
»Alle Moral und alle christlichen Tugenden in schwarzem Marokko, vollständig!« sagte er, als Haley geendet hatte. »Nun, mein guter Freund, was ist der Schade, wie man in Kentucky sagt? Mit einem Worte, wie viel ist zu zahlen für das Geschäft? um wie viel wollt Ihr mich betrügen? Heraus damit!«
»Nun,« entgegnete Haley, »wenn ich dreizehnhundert Dollar für den Burschen sagte, so käme ich nur grade ohne Schaden weg, — grade nur, mein' Seel!«
»Armer Mensch!« sagte der junge Mann, seine scharfen blauen Augen mit spöttischem Ausdrucke auf ihn heftend, »aber ich glaube, Ihr wollt ihn mir um diesen Preis aus besonderer Rücksicht für mich lassen?«
»Je nun, die junge Dame hier scheint ja so großes Gefallen an ihm gefunden zu haben, — und natürlich genug.«
»O freilich, das nimmt Eure Menschenfreundlichkeit[S. 50] in Anspruch. Also, um es als einen Akt christlicher Liebe zu betrachten, wie billig könnt Ihr ihn losschlagen, um einer jungen Dame gefällig zu sein, die ein besonderes Gefallen an ihm hat?«
»Sehen Sie nur,« sagte der Händler, »sehen Sie nur seine Glieder an, — die breite Brust, stark wie ein Pferd. Sehen Sie seinen Kopf; die hohen Stirnen zeigen immer Niggers von Verstand, die Alles thun können. Habe das bemerkt. Nun sehen Sie, ein Nigger von seiner Statur ist schon viel werth für seinen Körper, wenn er auch dumm ist; aber nun rechnen Sie seine Verstandeskräfte hinzu, die er ganz ungewöhnlich hat, — ich kann's Ihnen zeigen, — natürlich, das bringt ihn höher hinauf. Glauben Sie, der Kerl hat die ganze Wirthschaft seines Masters allein versehen, — hat ein außerordentliches Talent für Geschäfte.«
»Schlimm, schlimm, sehr schlimm; versteht viel zu viel!« entgegnete der junge Mann mit demselben spöttischen Lächeln um seinen Mund. »Thut nicht gut in der Welt. Eure geschickten Burschen laufen immer davon, oder stehlen Pferde, und treiben den Teufel aus überhaupt. Ich dächte, Ihr müßtet ein Paar Hundert für seine Geschicklichkeit nachlassen.«
»Könnte da 'was Wahres drin sein, wenn er nicht ein Zeugniß hätte; aber ich kann Ihnen Empfehlungen zeigen, von seinem Master und Anderen, daß er wirklich 'ne fromme, demüthige Kreatur ist, wie Sie nur je eine gesehen haben. Denken Sie nur, er hat da gepredigt in der Gegend, wo er her kommt.«
»Und so könnte ich ihn möglicher Weise als einen Kaplan für meine Familie gebrauchen,« fügte der junge Mann trocken hinzu. »Keine üble Idee! Religion ist nur ein gar zu rarer Artikel in unserm Hause.«
»Sie wollen Scherz machen!«
»Weshalb? Habt Ihr ihn nicht für einen Prädikanten[S. 51] ausgegeben? Ist er von irgend einer Synode examinirt worden? Kommt, laßt Eure Papiere sehen.«
Wenn der Händler nicht aus einem gewissen gutmüthigen Blinzeln seiner Augen mit Sicherheit geschlossen hätte, daß alle diese Spötterei am Ende zu einem guten Geldgeschäfte führen würde, so möchte er vielleicht etwas ungeduldig geworden sein, so aber zog er seine fettige Brieftasche hervor, legte sie auf den Ballen vor sich nieder, und begann eifrig, gewisse Papiere durchzustudiren, während der junge Mann mit leichtem, nachlässigem Wesen dabei stand und mit einer Miene muthwilligen Scherzes auf ihn herabschaute.
»Papa, bitte, kaufe ihn! Es kommt ja nicht darauf an, was Du bezahlst,« flüsterte Eva mit sanfter Stimme, auf eine Kiste steigend und ihren Arm um den Nacken des Vaters schlingend. »Du hast ja Geld genug, ich weiß es. Ich möchte ihn gerne haben.«
»Wozu, Kätzchen? Willst Du ihn zum Wiegenpferde haben, oder wozu?«
»Ich will ihn glücklich machen.«
»Ein origineller Grund, in der That.«
Der Händler überreichte hier ein Certifikat, von Mr. Shelby unterzeichnet, welches der junge Mann nur mit den Spitzen seiner langen Finger berührte, und nachlässig überblickte.
»Keine üble Hand,« sagte er, »und richtig geschrieben dazu. Aber ich bin immer noch nicht im Klaren über diese Art Religion,« fügte er hinzu, während der muthwillige Ausdruck seines Auges wiederkehrte; »das ganze Land ist beinahe zu Grunde gerichtet von allen den frommen weißen Leuten: solchen frommen Politikern, wie wir sie grade vor den Wahlen haben, — solchem frommen Treiben in allen Theilen von Staat und Kirche, daß ein Mensch nicht weiß, wer ihn zunächst betrügen wird. Ich weiß überhaupt nicht, wie Religion jetzt grade im Preise ist. Ich habe seit einiger Zeit keine Zeitungen gesehen,[S. 52] um zu wissen, was mit zu machen ist. Wie viel hundert Dollar schlagt Ihr denn für diese Religion an?«
»Sie wollen sich nun einen Scherz machen,« sagte der Händler; »aber 's ist doch Verstand in alle dem drin. Weiß wohl, da ist ein Unterschied zwischen Religion. Manche Sorten sind erbärmlich, — wie die Brüder, und dann die Singer und Schreier; — die alle taugen nichts, in Weiß oder Schwarz; — aber diese Art ist wirklich. Hab' sie so oft bei Niggers gefunden wie Einer, — die wirklichen sanften, stillen, stätigen, ehrlichen, frommen, die die ganze Welt nicht verführen kann, 'was zu thun, was sie denken ist unrecht; und Sie sehen ja in diesem Briefe, was Tom's alter Master von ihm sagt.«
»Gut,« sagte der junge Mann, indem er sich mit ernster Miene über sein Taschenbuch beugte, »wenn Ihr mir versichern könnt, daß ich wirklich diese Art Frömmigkeit kaufen kann, und daß sie mir in dem Buche da oben gut geschrieben werden wird, als Etwas, was mir zukommt, — nun, so soll es mir nicht darauf ankommen, eine Kleinigkeit extra dafür zu geben. Was meint Ihr?«
»Nein, wirklich, das kann ich nicht,« sagte der Händler. »Ich denke mir, da oben wird wohl Jeder an seinem eignen Haken hängen müssen.«
»Ist schlimm für einen Menschen, der extra für Religion bezahlt, und darf nicht einmal in dem Staate damit handeln, wo er sie am meisten nöthig hat, — nicht wahr?« sagte der junge Mann, der, während er sprach, eine Rolle Noten zusammengelegt hatte. »Da, hier, zählt Euer Geld, alter Bursche!« fügte er dann hinzu, indem er dem Händler die Noten einhändigte.
»Ganz richtig!« sagte Haley mit freudestrahlendem Gesichte, und zog Schreibmaterialien hervor, um den Verkaufsschein auszufüllen, den er nach wenigen Augenblicken dem jungen Manne übergab.
»Ich möchte doch wissen,« sagte der Letztere, während[S. 53] er das Papier überflog, »wie viel ich bringen würde, wenn ich gehörig klassifizirt und inventirt würde. So viel für die Form meines Kopfes, so viel für eine hohe Stirn, so viel für Arme, Hände und Beine, und dann so viel für Erziehung, Wissen, Talent, Ehrlichkeit, Religion! Du lieber Gott, ich glaube, das Letzte würde nicht hoch angeschlagen werden! — Aber komm, Eva!« rief er dann, die Hand des Kindes ergreifend und über das Boot auf Tom zu gehend, dem er nachlässig die Fingerspitze unter das Kinn legte, indem er in freundlichem Tone zu ihm sagte:
»Schau auf, Tom, und sieh, wie Dir Dein neuer Master gefällt!«
Tom blickte auf. Es war unmöglich, in dieses frohe, jugendliche, hübsche Gesicht ohne ein angenehmes Gefühl zu blicken; und Tom fühlte die Thränen in seine Augen treten, während er aus Herzensgrunde antwortete: »Gott segne Sie, Master!«
»Ich hoffe, er wird. Gut, was ist Dein Name? — Tom? Kannst Du mit Pferden umgehen, Tom?«
»Bin immer dabei gewesen,« sagte Tom; »Master Shelby zog groß viele Pferde auf.«
»Gut, ich werde Dich in's Fuhrwerk stecken, unter der Bedingung, daß Du nicht öfter als einmal wöchentlich betrunken bist, ausgenommen in besonderen Fällen, Tom.«
Tom sah ihn erstaunt und beinahe beleidigt an und sagte: »Ich trinke nie, Master.«
»Habe diese Geschichte schon oft gehört, Tom; aber wir wollen sehen. Es wird besonders angenehm für uns beide sein, wenn Du es nicht thust. Aber laß' nur gut sein, mein Junge,« fügte er gutmüthig hinzu, als er sah, daß Tom noch immer sehr ernst aussah: »Ich zweifle nicht, daß Du den Willen hast, ordentlich zu sein.«
»Gewiß will ich, Master,« sagte Tom.
»Und Du sollst gute Zeit haben,« fügte Eva hinzu.[S. 54] »Papa ist sehr gut gegen alle Leute; er lacht nur immer über sie.«
»Papa ist Dir sehr verbunden für Deine Empfehlung,« sagte St. Clare, während er sich lachend umwandte und fortging.
Da der Lebensfaden unseres Helden jetzt mit dem höherer Personen verwebt worden ist, so scheint es nothwendig, den Leser mit diesen etwas näher bekannt zu machen.
Augustin St. Clare war der Sohn eines reichen Pflanzers in Louisiana. Die Familie stammte ursprünglich aus Canada. Von zwei Brüdern, die in Temperament und Charakter einander sehr ähnlich waren, hatte sich der eine auf einer blühenden Farm in Vermont niedergelassen, während der andere ein reicher Pflanzer in Louisiana geworden war. Augustin's Mutter war eine französische Hugenottin gewesen, deren Familie in der Zeit der ersten Niederlassungen in Louisiana dahin ausgewandert war. Er und ein anderer Bruder waren die einzigen Kinder ihrer Eltern. Da Ersterer von seiner Mutter eine außerordentlich zarte Constitution ererbt hatte, so war er auf Anrathen der Aerzte in seinem Knabenalter mehrere Jahre lang zu seinem Onkel nach[S. 55] Vermont gesendet worden, um seine Constitution durch die frischere Luft eines nördlicheren Klima's zu stärken.
In seiner Kindheit zeichnete er sich durch eine außerordentliche Empfindsamkeit in seinem Wesen aus, die mehr mit der der weiblichen Natur eigenthümlichen Sanftheit, als mit der gewöhnlichen Härte seines eigenen Geschlechts verwandt zu sein schien. Die Zeit indeß überzog diese Weichheit des Gefühls mit der rauheren Rinde des Mannesalters, und nur Wenige wußten, wie lebendig und frisch dieses Gefühl noch im Marke seines Innern vorhanden war. Seine natürlichen Anlagen waren ausgezeichnet, obgleich sein Geist stets eine Vorliebe für das Ideale und Aesthetische verrieth; und als natürliche Folge davon zeigte sich bei ihm ein Widerwille gegen die gewöhnlichen Geschäfte des Lebens. Bald nach der Beendigung seines Cursus auf dem Collegium entzündete sich seine ganze Natur zu einer leidenschaftlichen Begeisterung für alles Romantische. Seine Stunde schlug, — die Stunde, die nur einmal schlägt; sein Stern ging auf am Horizonte, — der Stern, der so oft vergeblich aufgeht, und dessen später nur wie eines Traumbildes gedacht wird; und er ging auch für ihn vergeblich auf. Um das Bild nicht weiter zu verfolgen, — er sah und gewann die Liebe eines hochherzigen, schönen Mädchens in einem der nördlichen Staaten und verlobte sich mit ihr. Um die nöthigen Vorbereitungen zu seiner Verheirathung zu treffen, kehrte er nach seiner südlichen Heimath zurück, wo er nach einiger Zeit urplötzlich seine an sie gerichteten Briefe durch die Post zurück gesendet erhielt, und nur mit einer kurzen Bemerkung ihres Vormundes versehen, welche des Inhalts war, daß, ehe ihm noch diese Briefe wieder zu Händen kommen könnten, die junge Dame die Gattin eines Andern sein werde. Auf's Tiefste verletzt und fast wahnsinnig vor Schmerz, hoffte er vergeblich, wie mancher Andere gethan hätte, die ganze Sache durch eine gewaltsame Anstrengung von sich abwerfen[S. 56] zu können. Zu stolz, eine nähere Erklärung zu fordern oder zu erbitten, warf er sich auf einmal in den Strudel der großen Welt und war vierzehn Tage später der erklärte Liebhaber der herrschenden Schönen der Saison; und sobald die nöthigen Vorbereitungen getroffen worden waren, wurde er der Gatte einer schönen Figur, eines Paares glänzender, dunkler Augen und der runden Summe von hunderttausend Dollar; und Jedermann natürlich hielt ihn für glücklich.
Das junge Ehepaar befand sich noch in den Flitterwochen und hatte einen glänzenden Cirkel auf seiner Villa, in der Nähe des Lake Pontchartrain um sich versammelt, als ihm eines Tages ein Brief mit der ihm so wohl bekannten Handschrift gebracht wurde. Er wurde ihm übergeben, als er sich gerade in der vollen Fluth einer heitern, scherzenden Unterhaltung und in einem von Gästen angefüllten Salon befand. Beim Anblick der ihm so bekannten Handschrift wurde er leichenblaß, aber bewahrte doch noch so viel Fassung, daß er den scherzhaften Krieg, in welchem er mit einer Dame begriffen war, zu Ende führen konnte; und wenige Minuten später war er aus dem Kreise verschwunden. In seinem Zimmer, allein, öffnete er den Brief und las ihn, dessen Lesen jetzt mehr als nutzlos und überflüssig geworden war. Er war von ihr und gab eine lange Schilderung der Verfolgungen, denen sie von Seiten der Familie ihres Vormundes ausgesetzt gewesen war, um sie zu bestimmen, sich mit dem Sohne desselben zu verbinden; wie seit langer Zeit seine Briefe gänzlich ausgeblieben seien; wie sie wieder und immer wieder geschrieben habe, bis sie endlich zweifelhaft und dessen müde geworden sei; wie ihre Gesundheit von dieser inneren Unruhe gelitten habe und wie sie endlich den ganzen Betrug, der mit ihnen Beiden gespielt worden sei, entdeckt habe. Der Brief schloß mit Aeußerungen von Hoffnung und Dankbarkeit und Versicherungen ewiger[S. 57] Anhänglichkeit, die für den unglücklichen jungen Mann bitterer als der Tod waren. Er antwortete ihr sofort darauf:
»Ich habe Ihr Schreiben erhalten, — aber zu spät. Ich glaubte Alles, was mir gesagt wurde; — ich war verzweifelt. Ich bin verheirathet, und Alles ist nun vorbei. Vergessen — ist das Einzige, was uns Beiden übrig bleibt.«
Und damit endet der ganze Roman in Augustin St. Clare's Leben. Aber das Wirkliche blieb ihm, — das Wirkliche, gleich dem Schlamme der Fluth, der, wenn die blaue, durchsichtige Welle mit ihrer ganzen Begleitung schwimmender Boote und weißbewimpelter Schiffe, und der Musik ihrer Ruder, verschwunden ist, nackt und baar da liegt, — entsetzlich wirklich.
In einer Novelle muß natürlich das Herz der Leute brechen, sie sterben, — und damit ist's aus; allein im wirklichen Leben sterben wir nicht gleich, wenn auch Alles um uns stirbt, was uns das Leben schön macht. Es bleibt da noch ein sehr wichtiger und geschäftiger Kreislauf übrig, der aus Essen, Trinken, Ankleiden, Besuche machen, Kaufen, Verkaufen, Sprechen, Lesen und allem Dem besteht, was man gewöhnlich unter »leben« versteht; und dieser Kreislauf blieb für Augustin übrig. Wäre seine Frau ein ganzes Weib gewesen, so hätte sie viel thun können, — wie ein Weib es kann, — um die zerrissenen Lebensfäden zu heilen, und sie wieder zu einem Gewebe von Glück zu verbinden. Allein Marie St. Clare konnte selbst nicht entdecken, daß sie gerissen waren. Wie vorher erwähnt, bestand sie aus nichts als einer schönen Gestalt, einem Paar reizender Augen und hunderttausend Dollaren; und keine dieser Eigenschaften war besonders dazu geeignet, einem wunden, kranken Geiste Linderung zu verschaffen.
Als Augustin, blaß wie der Tod, auf dem Sopha liegend gefunden wurde, und plötzlichen Kopfschmerz als[S. 58] Ursache seiner Verstörung vorschützte, empfahl sie ihm auf Hirschhorn zu riechen; und als die Blässe und die Kopfschmerzen eine Woche nach der andern wiederkehrten, sagte sie nur, daß sie nimmer geglaubt habe, daß Mr. St. Clare so kränklich sei; aber daß es scheine, er sei sehr mit Unwohlsein und Kopfschmerz behaftet, und daß dies für sie ein höchst unglücklicher Umstand sei, da er deshalb kein Vergnügen daran finde, mit ihr in Gesellschaft zu gehen, und es für sie so sonderbar erscheine, so oft allein zu gehen, nachdem sie so kurze Zeit verheirathet seien. Augustin war froh im Herzen, daß er ein so wenig scharfsichtiges Frauenzimmer geheirathet hatte; allein als der Flitter und die Höflichkeiten der ersten Wochen vorüber waren, fing er an die Erfahrung zu machen, daß eine hübsche, junge Frau, die ihr ganzes Leben lang nichts gethan hatte, als sich hätscheln und aufwarten lassen, eine recht gestrenge Herrin abgeben könne. Marie war nie irgend einer Art Zuneigung besonders fähig gewesen; hatte nie viel Gefühl besessen; und das Wenige, das sie besaß, war in die unergründlichste Selbstsucht zusammen geflossen. Von früher Jugend an war sie von Dienern umgeben gewesen, die keinen andern Lebenszweck kannten, als den, ihre Grillen und Launen zu studiren; und der Gedanke, daß diese Geschöpfe Gefühle oder Rechte haben könnten, war nie in ihrem Geiste in fernster Ferne aufgedämmert. Ihr Vater, dessen einziges Kind sie war, hatte ihr niemals etwas versagt, was im Bereiche menschlicher Möglichkeit lag; und als sie, schön, vollendet, eine Erbin, in das Leben eintrat, lagen natürlicher Weise alle Wählbaren und Nichtwählbaren des andern Geschlechts seufzend zu ihren Füßen, und sie hegte daher keinen Zweifel darüber, daß Augustin ein außerordentlich glücklicher Mann um deshalb zu nennen sei, daß er ihren Besitz erlangt habe. Es ist ein großer Irrthum, anzunehmen, daß ein Weib, welches selbst kein Herz besitzt, ein nachsichtiger Gläubiger[S. 59] im Austausche der Empfindungen sei. Es gibt auf Erden keinen unbarmherzigeren Erpresser von Liebe gegen Andere, als ein durchaus selbstsüchtiges Weib; und je unliebenswürdiger sie selbst wird, desto eifersüchtiger verlangt sie Liebe. Als St. Clare deshalb begann mit den kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien nachzulassen, die während der Dauer der ersten Werbungen eingeführt worden waren, fand er seine Sultana nichts weniger als geneigt, ihren Sklaven zu entlassen. Es folgten reichliche Thränen, Schmollen, kleine Stürme und Vorwürfe. St. Clare war gutmüthig und nachsichtig und suchte durch Geschenke und Schmeicheleien wieder gut zu machen; und als Marie Mutter einer schönen Tochter wurde, fühlte er wirklich eine Zeit lang eine Art Zärtlichkeit in sich rege werden.
St. Clare's Mutter war eine Frau von ungewöhnlich hohem Geiste und reinem Charakter gewesen, und er gab deshalb diesem Kinde ihren Namen, in der süßen Hoffnung, daß es ein Nachbild derselben werden werde. Dieser Umstand wurde von seiner Frau mit eifersüchtigem Spotte gerügt, und selbst die hingebende Liebe des Vaters zum Kinde erweckte in ihr Mißtrauen und Unmuth, weil Alles, was dem Kinde zufloß, ihr in demselben Grade entzogen zu werden schien. Seit der Geburt des Kindes war ihre Gesundheit allmählig gesunken. Ein Leben von fortwährend geistiger und körperlicher Unthätigkeit, unaufhörliche Langeweile und Unzufriedenheit in Verbindung mit der gewöhnlichen Schwäche, welche das Mutterwerden zu Folge hat, verwandelten in wenigen Jahren die blühende, junge Schöne in eine gelbe, verwelkte, kränkliche Frau, die fortwährend an den verschiedenartigsten eingebildeten Krankheiten litt, und sich in jeder Beziehung als das am meisten gemißhandelte und leidende Wesen in der Natur ansah.
Da unter diesen Umständen die ganze häusliche Verwaltung in die Hände der Dienstboten fiel, so fühlte[S. 60] sich St. Clare in seiner Wirthschaft nichts weniger als behaglich. Seine einzige Tochter war außerordentlich zart und schwächlich, und er fürchtete, daß wenn dieselbe keine andere Aufsicht und Wartung genießen könne, ihre Gesundheit und sogar ihr Leben ein Opfer der mütterlichen Unthätigkeit werden könne. Er hatte sie mit sich auf eine Reise nach Vermont genommen, und dort seine Cousine, Miß Ophelia St. Clare bewogen, mit ihm nach seiner südlichen Heimath zu gehen; und Beide sind gerade jetzt in dem Dampfboote, auf dem wir sie kennen gelernt haben, auf ihrer Reise dahin begriffen.
Und nun, während die fernen Dome und Thürme von New-Orleans vor unsern Blicken aufsteigen, haben wir gerade noch Zeit, die nähere Bekanntschaft Miß Ophelia's zu machen.
Wer die Staaten von Neu-England durchreist hat, wird sich vielleicht erinnern, in einem kühl gelegenen Dorfe ein großes Farmgebäude wahrgenommen zu haben, dessen reingekehrter, grasiger Hof vom dichten Laubdache des Zuckerahorn's beschattet ist, und wird die Stille, Ordnung und durch nichts gestörte Ruhe bemerkt haben, die über dem Ganzen zu schweben scheint. Nichts ist hier in Unordnung, nichts geht hier verloren; nicht ein Pflock fehlt im Gartenzaune, und kein Strohhalm ist auf dem Rasen des Hofes zu sehen, auf dem dichte Gebüsche Hollunder unter den Fenstern des Gebäudes wachsen. Innerhalb desselben befinden sich große, weite Gemächer, in denen dieselbe Ruhe herrscht, wo Alles seinen streng angewiesenen Platz hat, und alle häuslichen Verrichtungen sich ebenso pünktlich reguliren, wie die alte, in der Ecke hängende Wanduhr. Im »Familienzimmer,« wie es genannt wird, steht der ernste, ehrwürdige, alte Bücherschrank, mit seinen Glasthüren, in welchem sich Rollin's Geschichte, Milton's verlorenes Paradies, Scott's Familien-Bibel, und viele andere, gleich ehrwürdige Bücher neben einander befinden. Dienstboten[S. 61] werden im Hause nicht gehalten; sondern die Dame in der weißen Mütze, mit der Brille, die jeden Nachmittag im Kreise ihrer Töchter, mit Nähen beschäftigt, sitzt, als wenn nie etwas von ihnen gethan worden wäre, oder überhaupt zu thun wäre, — sie und ihre Töchter hatten in einem lange vergessenen, früheren Theile des Tages »das Werk gethan,« der Fußboden der alten Küche war nie beschmutzt, nie waren Flecken da zu sehen; die Tische, Stühle, und die verschiedenen Küchengeräthschaften waren nie in Unordnung, obgleich täglich drei und zuweilen vier Mahlzeiten zubereitet, obgleich alles Waschen und Plätten der Familie dort vorgenommen wurde, und obgleich zahlreiche Pfunde Butter und Käse daselbst, in irgend einer geheimen, mysteriösen Weise ihre Existenz erlangten.
Auf solcher Farm, in solchem Hause, in solcher Familie hatte Miß Ophelia eine ruhige Existenz von ungefähr fünf und vierzig Jahren zugebracht, als ihr Vetter sie einlud, mit ihm nach seiner Besitzung im Süden zu gehen. Obgleich die Aelteste einer großen Familie, wurde sie von Vater und Mutter doch immer noch als eines der »Kinder« angesehen, und der Vorschlag, nach Orleans zu gehen, war für den ganzen Familienkreis ein Ereigniß von höchster Wichtigkeit. Der alte, greise Vater holte Morse's Atlas aus dem Bücherschranke hervor und suchte mit Genauigkeit den Längen- und Breitegrad auf, und las Flint's Reisen im Süden und Westen, um eine klare Vorstellung von der klimatischen Beschaffenheit der dortigen Gegend zu erlangen. Die gute Mutter fragte ängstlich, »ob Orleans nicht ein sehr verderbter Ort sei,« und bemerkte, »daß es ihr nicht besser vorkäme, als nach den Sandwich-Inseln oder irgend einer andern heidnischen Gegend zu gehen.«
Es war beim Geistlichen, und beim Doktor, und in Miß Peabody's Putzmacherladen bekannt geworden, daß Ophelia St. Clare »davon spreche,« mit ihrem[S. 62] Vetter nach New-Orleans gehen zu wollen, und das ganze Dorf konnte natürlicher Weise nichts anderes thun, als in diesem wichtigen Prozesse des »Besprechens« behülflich zu sein. Der Geistliche, welcher sich stark zu abolistischen Ansichten hinneigte, hegte große Zweifel darüber, ob ein solcher Schritt nicht dahin führen könne, die Südländer in ihrem Festhalten an dem Sklavensysteme zu bestärken; während der Doktor sich mehr für die Ansicht bestimmte, daß Miß Ophelia gehen sollte, um den Einwohnern von Orleans zu zeigen, daß die Bewohner der nördlichen Staaten dennoch nicht so schlimm von ihnen dächten. Als nun aber der Umstand, daß sie sich wirklich entschlossen hatte zu gehen, vollständig und allgemein bekannt geworden war, wurde sie vierzehn Tage lang bei allen ihren Freunden und Nachbarn feierlichst zum Thee eingeladen, wo dann eine gehörige Prüfung und Besprechung aller ihrer Pläne und Aussichten statt fand. Miß Moseley, welche das Haus zu besuchen pflegte, um bei der Anfertigung und Ausbesserung der Kleidungsstücke für die Familie Hülfe zu leisten, verlangte täglich neue und wichtige Aufschlüsse über die Beschaffenheit der für Miß Ophelia ausgestatteten Garderobe. Es war glaubwürdig in Erfahrung gebracht worden, daß Squire St. Clare, ihr Vater, fünfzig Dollar abgezählt und Miß Ophelien mit dem Auftrage gegeben hatte, sich dafür anzuschaffen, was sie für zweckmäßig erachte; und daß zwei neue seidene Kleider, nebst einem Hute, von Boston verschrieben worden seien. Ueber die Angemessenheit einer so bedeutenden Ausgabe war die öffentliche Meinung sehr getheilt, indem Einige der Ansicht waren, daß es wohl erlaubt sei, so etwas einmal im Leben zu thun, wogegen Andere behaupteten, daß es zweckmäßiger gewesen wäre, das Geld den Missionären zuzusenden. Alle indessen waren darin einverstanden, daß ein solcher Sonnenschirm, wie der von New-York gesandte war, noch nie in dem Theile Amerikas[S. 63] gesehen worden sei; und daß Miß Ophelia einen seidenen Anzug besitze, der, was auch immer über sie selbst gesagt werden möge, entschieden allein stehen könne. Es ging auch ein Gerücht von gestickten Taschentüchern, und Einige gingen sogar so weit, von einem mit Spitzen besetzten Tuche derselben Art zu sprechen, — allein dieser Umstand ist nie gehörig ins Licht gesetzt worden und bleibt deshalb bis jetzt noch unentschieden.
Miß Ophelia, wie Du sie jetzt siehst, lieber Leser, steht in einem glänzenden, braunen, leinenen Reisekleide vor Dir, groß, stark gebaut, und eckig. Ihr Gesicht war mager, und hatte scharfe Züge; ihre Lippen waren eng geschlossen, wie die einer Person, welche gewohnt ist, in allen Verhältnissen entschiedener Meinung zu sein, während ihre scharfen, dunklen Augen einen besonders prüfenden, bedächtigen Ausdruck hatten.
Alle ihre Bewegungen waren scharf, entschieden und energisch; und obgleich man sie nie viel sprechen hörte, so waren ihre Aeußerungen doch stets passend und treffend, sobald sie sprach. In ihren Gewohnheiten war sie eine lebendige Versinnlichung von Ordnung und Genauigkeit. In Bezug auf Pünktlichkeit war sie so zuverlässig wie eine Wanduhr, und so unerbittlich wie eine Lokomotive; und Alles, was dem zuwider war, erschien ihr als ein Gegenstand der tiefsten Verachtung.
Die größte Sünde aller Sünden, in ihren Augen, — die Summe aller Uebel — drückte sie durch ein in ihrem Wörterbuche sehr gewöhnliches und sehr bedeutungsvolles Wort aus: — »Zwecklosigkeit.« Der Ausdruck ihrer tiefsten Verachtung bestand in einer sehr nachdrücklichen Betonung des Wortes »zwecklos;« worunter sie jede Art von Handlungsweise verstand, welche nicht in directer Beziehung zu dem Streben nach einem bestimmt vorgesteckten Ziele und dessen Erreichung stand. Leute, welche nichts thaten, oder sich nicht deutlich dessen[S. 64] bewußt waren, was sie thaten oder thun sollten, oder die nicht den geradesten Weg zur Erreichung ihrer Zwecke einschlugen, waren Gegenstände ihrer völligen Verachtung, die sie seltener durch Worte als durch eine Art steinernen Grimmes ausdrückte, als halte sie es nicht der Mühe werth, irgend etwas darüber zu sagen.
Was intellektuelle Ausbildung betraf, so besaß sie einen klaren, kräftigen, thätigen Geist, war gründlich belesen in Geschichte und den älteren englischen Klassikern, und dachte mit großer Schärfe innerhalb gewisser, enger Gränzen. Ihre theologischen Grundsätze waren alle fertig, mit deutlicher Ueberschrift versehen, und auf die Seite gelegt grade so wie die Bündel in ihrem Flickenkasten. So und so viel waren es an der Zahl, und durften nie mehr werden. Von derselben Beschaffenheit waren meistentheils ihre Ideen über Gegenstände des praktischen Lebens, wie Haushaltung in allen ihren Zweigen, und die verschiedenen politischen Verhältnisse ihres Geburtsdorfes. Und allem diesem lag tiefer und breiter als irgend ein anderes Gefühl das stärkste Princip ihrer ganzen Existenz — Gewissenhaftigkeit zu Grunde. Sie war die absolute Sklavin des Wortes »muß.« Sobald sie sich einmal überzeugt hatte, daß der Weg der Pflicht, wie sie es gewöhnlich nannte, in einer bestimmten Richtung liege, so konnte sie weder Feuer noch Wasser davon zurückhalten. Sie würde geraden Weg's in einen Brunnen oder auf den Mund einer geladenen Kanone zu gegangen sein, wenn sie dessen gewiß gewesen wäre, daß der Weg der Pflicht in dieser Richtung liege. Die Fahne des Rechten stand bei ihr so hoch, war so allumfassend, und hatte so wenig Nachsicht mit menschlicher Gebrechlichkeit, daß, obgleich sie mit heroischem Muthe darnach strebte, sie zu erreichen, es ihr dennoch nie wirklich gelang, und sie deshalb fortwährend von dem quälenden Gefühle der[S. 65] Ohnmacht gedrückt war, was einen ernsten und zuweilen düstern Schatten über ihren religiösen Charakter warf.
Aber wie in aller Welt konnte Miß Ophelia mit Augustin St. Clare gehen? — dem fröhlichen, leichten, unpünktlichen, unpraktischen, ungläubigen jungen Manne, der ihre heiligsten Gewohnheiten und Meinungen mit leichter, unverschämter Freiheit behandelte?
Um denn die Wahrheit zu sagen, Miß Ophelia liebte ihn. Als er noch ein Knabe war, hatte es ihr obgelegen, ihm den Katechismus zu lehren, seine Kleider auszubessern, sein Haar zu kämmen, und ihn im Allgemeinen für den Weg zu erziehen, den er gehen sollte: und da ihr Herz warmes Gefühl besaß, so hatte Augustin, wie er es gewöhnlich mit den Leuten machte, einen bedeutenden Theil davon für sich selbst in Anspruch genommen, und fand deshalb jetzt keine große Schwierigkeit, sie davon zu überzeugen, daß »der Weg der Pflicht« in der Richtung nach New-Orleans liege, und daß sie mit ihm gehen müsse, um Eva unter ihre Obhut zu nehmen, und seine ganze Wirthschaft dagegen zu wahren, daß sie nicht während der fortwährenden Krankheit seiner Frau gänzlich zu Grunde gehe. Die Idee eines Haushaltes ohne Aufsicht darin ging ihr zu Herzen; und dann liebte sie das liebenswürdige kleine Mädchen, wie es fast alle thun mußten; und obgleich sie Augustin selbst als einen halben Heiden ansah, so liebte sie ihn dennoch, lachte über seine Scherze und ertrug seine Fehler mit einer Gelassenheit, welche Diejenigen, die ihn kannten, für unmöglich hielten. Allein was weiter über Miß Ophelia zu hören und zu lernen ist, muß der Leser in einer persönlichen Bekanntschaft mit ihr selbst entdecken.
Dort sitzt sie nun in ihrem Staatszimmer, umgeben von einer bunten Menge großer und kleiner Reisetaschen,[S. 66] Kisten und Körben, die sie mit großem Ernste zusammen bindet und zu befestigen sucht.
»Nun, Eva, hast Du Deine Sachen in Ordnung? Natürlich nicht, — wie Kinder immer. Da ist die gefleckte Reisetasche und die kleine blaue Bandschachtel mit Deiner besten Haube, — das sind zwei; und hier die Bücherkiste, sind drei; und meine Wachs- und Nadelschachtel, sind vier; und meine Bandschachtel, fünf; und meine Kragenschachtel, sechs; und der kleine Koffer dort, sieben. Was hast Du mit Deinem Sonnenschirm gemacht? Gieb ihn mir, ich will ihn in Papier einwickeln, und mit meinem Regenschirm und Parasol zusammenbinden; — so, nun ist's recht.«
»Aber, Tante, wir gehen ja nur nach Hause, — wozu denn das?« fragte Eva.
»Um sie in gutem Stande zu erhalten, Kind. Man muß seine Sachen in Acht nehmen, wenn man je was haben will. Hast Du Deinen Fingerhut nicht eingepackt, Eva?«
»Ich weiß wahrlich nicht, Tante.«
»Gut, laß mich Deinen Nähkasten übersehen; Fingerhut, Wachs, Scheere, Rollen, Messer, — richtig. Stelle ihn hier hinein. Was hast Du denn nur gemacht, Kind, wenn Du mit Deinem Papa allein gereist bist? Ich sollte denken, Du müßtest Alles verloren haben.«
»Ja, Tante, ich habe freilich viele Sachen verloren; aber wenn wir irgendwo anhielten, kaufte mir Papa wieder, was mir fehlte.«
»Gott sei uns gnädig, Kind, was ist das für ein Weg?«
»Es war ein sehr bequemer Weg, Tante,« sagte Eva.
»Ein schrecklich zweckloser,« entgegnete die Tante.
»Was willst Du denn nun thun, Tante?« sagte Eva. »Der Koffer ist zu voll, um zugemacht werden zu können.«
[S. 67]
»Er muß zugemacht werden,« sagte die Tante mit einer Generalsmiene, während sie die Sachen hinein drückte, und auf den Deckel sprang; allein dessen ungeachtet blieb eine kleine Oeffnung des Koffers sichtbar.
»Spring hier herauf, Eva!« rief Miß Ophelia muthig; »was gethan worden ist, muß wieder gethan werden können: der Koffer muß sich schließen lassen.«
Und der Koffer, ohne Zweifel erschreckt durch diese entschlossene Willenserklärung gab nach, das Schloß schnappte ein, und Miß Ophelia steckte triumphirend den Schlüssel in die Tasche.
»Jetzt sind wir fertig. Wo ist Dein Papa? Ich denke, es ist Zeit, daß das Gepäck hinauf gebracht werde. Sieh' zu, Eva, suche Deinen Papa.«
»O ja, ich weiß, er ist am andern Ende der Herrenkajüte; und ißt eine Orange.«
»Er wird es nicht wissen, wie nahe wir der Landung sind,« sagte die Tante; »wäre es nicht besser, wenn Du zu ihm liefest, und es ihm sagtest?«
»Papa ist nie in großer Eile,« bemerkte Eva, »und wir sind ja noch nicht am Ufer. Komme hier an das Geländer, Tante! Sieh', dort ist unser Haus, jene Straße dort hinauf!«
Jetzt begann das Dampfboot, gleich einem müden Ungeheuer, sich mit schwerem Stöhnen langsam zwischen die übrigen Fahrzeuge der levée hinein zu schieben, während Eva fröhlich die verschiedenen Thurmspitzen, Kuppeln und sonstigen Zeichen aufsuchte, an denen sie ihre Geburtsstadt erkannte.
»Ja, ja, liebes Kind; ist Alles sehr schön,« sagte Miß Ophelia; »aber, Himmel, das Boot hält schon an, wo ist denn nur Dein Vater?«
Und nun folgte die gewöhnliche Unruhe des Landens: — Kellner flogen hin und wieder, Träger schleppten Koffer, Kisten und Reisetaschen, Frauen[S. 68] riefen ängstlich nach ihren Kindern, und Alles drängte sich in dichter Menge dem Orte des Aussteigens zu.
Miß Ophelia ließ sich entschlossen auf den eben erst besiegten Koffer nieder, stellte alle ihre Kisten und Schachteln in militärischer Ordnung auf, und schien festen Willens zu sein, diese bis zum letzten Augenblicke zu vertheidigen.
»Soll ich diesen Koffer nehmen, Madame?« — »Soll ich Ihr Gepäck tragen? — Erlauben Sie mir Ihre Effekten zu befördern, Missis?« — regnete es unaufhörlich auf sie nieder. Allein sie saß mit grimmiger Entschlossenheit da, aufrecht wie eine Stopfnadel in einem Nähkissen, hielt ihr Bündel von Regen- und Sonnenschirmen fest an sich, und antwortete mit einer solchen Bestimmtheit, daß selbst Lastträger sich dadurch einschüchtern ließen, während sie von Zeit zu Zeit gegen Eva ihrer Unruhe und Verwunderung in wiederholten Ausrufungen Luft machte, wie: »wo in aller Welt nur ihr Vater sein könne! er werde doch nicht über Bord gefallen sein, — aber irgend Etwas müsse geschehen sein!« und grade als ihre Ungeduld den höchsten Grad erreicht hatte, kam er in seiner gewöhnlichen sorglosen Weise daher geschlendert, gab Eva einen Theil der Orange, welche er verzehrte, und sagte:
»Nun, Cousine Vermont, Du bist wohl schon ganz fertig?«
»Ich bin fertig und warte schon seit beinahe einer Stunde,« sagte Miß Ophelia; »ich fing an, wirklich unruhig um Dich zu werden.«
»Da, das ist ein gescheidter Bursche!« sagte er. »Der Wagen wartet auf uns. Nun kann man doch anständig und christlich an's Land gehen, ohne hin und her gestoßen zu werden. Hier,« fügte er zu einem hinter ihm stehenden Träger gewendet hinzu: »Nehmt diese Sachen!«
»Ich will mitgehen, und sehen, daß sie richtig aufgepackt werden,« bemerkte Miß Ophelia.
»Ah was, Cousine, wozu das?« sagte St. Clare.
[S. 69]
»Gut, so will ich wenigstens dies hier, und das, und das tragen,« entgegnete Ophelia, indem sie drei kleine Kisten und eine Reisetasche aussuchte.
»Meine liebe Miß Vermont, Du mußt nicht über die »grünen Berge« so zu uns kommen; Du mußt wenigstens etwas von unsern südlichen Maximen annehmen, und nicht unter einer solchen Last gehen. Man wird Dich für ein Kammermädchen halten. Gib die Sachen diesem Manne hier, er wird sie aufladen, als wenn es Eier wären.«
Miß Ophelia sah verzweiflungsvoll zu, als ihr Vetter ihr alle ihre Schätze abnahm, und war endlich froh, sich wieder vereint mit ihnen, und ohne daß sie Schaden gelitten hatten, im Wagen zu befinden.
»Wo ist Tom?« fragte Eva.
»Er sitzt auf dem Bocke, Kätzchen. Ich will Tom der Mutter als ein Sühnopfer für den betrunkenen Burschen bringen, der neulich den Wagen umwerfen ließ.«
»O, Tom wird gewiß ein vortrefflicher Kutscher sein,« sagte Eva, »er wird sich nie betrinken.«
Der Wagen hielt vor einem alten, herrschaftlichen Gebäude an, welches in jenem sonderbar gemischtem, halb spanischem, halb französischen Style gebaut war, der jetzt noch in einzelnen Häusern zu New-Orleans zu finden ist. Es war im maurischen Geschmacke errichtet, und bildete ein Viereck, welches einen Hof umschloß, in welchen der Wagen durch ein gewölbtes Portal einfuhr. Die Einrichtung des Hofes war üppig und malerisch. Weite Galerien liefen an den vier Seiten des Gebäudes entlang, deren gewölbte Bogen, schlanke Säulen und Arabesken den Geist, wie im Traume, in die Zeit der Herrschaft des Orients in Spanien zurück trugen. In der Mitte des Hofes warf ein Springbrunnen seine silbernen Wasserstrahlen hoch in die Luft, und ließ sie sodann unter ewigem Schaume in ein Marmorbecken zurückfallen, dessen Rand mit einem dichten Kranze blühender[S. 70] Veilchen umgeben war. Das Wasser in dem Springbrunnen, klar wie Krystall, war von Myriaden Gold- und Silberfischen belebt, die gleich eben so vielen lebendigen Juwelen darin hin- und herschossen. Rings um den Brunnen lief ein Fußweg mit einem in Mosaik gelegten Pflaster; und dieser war wieder vom sanftesten, grünen Rasen eingefaßt, während ein Fahrweg die ganze Anlage umschloß. Zwei große Orangenbäume, grade jetzt blühend, warfen einen köstlichen Schatten; und rings umher, auf dem Rasen, standen in einem Halbkreise zahlreiche Marmorvasen, welche die seltensten tropischen Pflanzen enthielten. Riesige Granatenbäume, mit ihren glänzenden Blättern und feuerfarbigen Blüthen, dunkelblätteriger arabischer Jasmin, Geranium und Rosenbäume, die sich unter der Last ihres Blüthenüberflusses senkten, — Alles vereinte hier Blüthenpracht und Duft, während hie und da eine geheimnißvolle, alte Aloe, mit ihren sonderbaren, schweren Blättern, gleich einem alten, greisen Zauberer, unter Blüthen und Duft von vergänglicherer Natur saß.
Als der Wagen hineinfuhr, schien Eva im wilden Eifer ihrer Freude gleich einem Vogel aus dem Käfig fliegen zu wollen.
»O, ist sie nicht schön, reizend, meine liebe, theure Heimath?« sagte sie zu Miß Ophelia. »Ist es nicht wunderschön hier?«
»Es ist hier sehr schön,« sagte Ophelia, während sie ausstieg, »aber es kommt mir beinahe etwas alt und heidnisch vor.«
Tom stieg vom Wagen ab, und schaute sich mit einer Miene stiller, stummer Verwunderung um. Der Neger ist, wie bekannt, ein exotisches Erzeugniß der üppigsten Gegenden der Erde, und trägt deshalb in seinem Herzen eine tiefwurzelnde Neigung für alles Prächtige, Ueppige, die Phantasie Ansprechende, — eine Neigung, die, wenn sie bei einem ungeregelten Geschmacke ihren natürlichen,[S. 71] wilden Lauf verfolgt, dem kälteren, gebildeteren weißen Geschlechte lächerlich erscheint.
St. Clare, der in seinem Herzen ein poetischer Wollüstling war, lächelte über Miß Ophelias Bemerkung, und wandte sich zu Tom um, dessen schwarzes Gesicht vor Staunen und Wonne förmlich strahlte, indem er zu ihm sagte:
»Tom, mein Junge, das scheint Dir zu gefallen.«
»Ja, Master,« sagte Tom, »das ist das Rechte!«
Alles dies geschah in einem Augenblicke, während das Abladen des Gepäckes vor sich ging, der Lohnfuhrmann bezahlt wurde, und eine Menge von Männern, Weibern und Kindern, von jedem Alter und jeder Größe, durch die Gallerien von allen Richtungen herbei gelaufen kamen, um Master ankommen zu sehen. An der Spitze von Allen stand ein junger Mulatte in sehr stattlicher Kleidung, augenscheinlich eine Person distinguée, anmuthig sein parfümirtes weißes Taschentuch in der Hand wehend.
Diese Person war eifrigst bemüht, den ganzen Schwarm von Dienstboten bis an das äußerste Ende der Veranda zurückzudrängen.
»Zurück! Ihr Alle hier. Ich schäme mich Eurer,« sagte er in einem Tone großer Autorität. »Wollt Ihr Euch in Masters häusliche Verhältnisse in der ersten Stunde seiner Ankunft eindrängen?«
Alle wurden verlegen bei dieser eleganten Rede, die mit wichtiger Miene gehalten wurde, und blieben zusammengedrängt in ehrerbietiger Entfernung stehen.
In Gemäßheit von Mr. Adolph's systematischer Anordnung befand sich, als St. Clare sich nach der Bezahlung des Fuhrmanns umwandte, Niemand vor ihm, als Mr. Adolph selbst, in glänzender, seidener Weste, mit goldener Kette und weißen Beinkleidern, und in tiefen, unaussprechlich anmuthigen Verbeugungen begriffen.
»Ah, Adolph, bist Du es?« sagte sein Herr, ihm[S. 72] die Hand entgegen streckend; »was machst Du, mein Junge?« während Adolph mit großer Geläufigkeit eine improvisirte Bewillkommnungsrede hielt, die er mit großer Mühe seit vierzehn Tagen einstudirt hatte.
»Schon gut, schon gut,« sagte St. Clare, während er mit seiner gewöhnlichen Miene nachlässigen Scherzes weiter ging, »hast das vortrefflich gemacht, Adolph. Sieh' nach dem Gepäck, daß es richtig herein gebracht wird; ich werde gleich bei den Leuten sein.«
So sagend, führte er Miß Ophelia in ein großes Zimmer, welches sich an der Seite der Veranda befand.
Während dies vor sich ging, war Eva wie ein Vogel durch die Halle und das Zimmer nach einem kleinen Kabinette geflogen, welches ebenfalls einen Ausgang auf die Veranda hatte. Eine große, bleiche Frau, mit dunklen Augen, richtete sich bei Eva's Eintritt halb vom Sopha auf, auf dem sie lag.
»Mamma!« rief Eva, sich in einer Art Entzücken um ihren Hals werfend, und sie wieder und immer wieder umarmend.
»Laß gut sein, — nimm Dich in Acht, Kind, — mache mir keine Kopfschmerzen!« sagte die Mutter, nachdem sie sie matt geküßt hatte.
St. Clare kam herein, umarmte seine Frau in ächt orthodoxer, ehemännlicher Weise, und stellte ihr sodann seine Cousine vor. Marie schlug ihre großen Augen zu Miß Ophelia mit einem Ausdrucke von Neugierde auf, und empfing sie mit schlaffer Höflichkeit. Ein Schwarm von Dienstboten drängte sich jetzt um die Thür, an deren Spitze ein Mulattenweib von mittleren Jahren und sehr ehrbarem Aeußeren bebend vor Freude und Erwartung stand.
»O, da ist Mammy!« rief Eva, während sie durch das Zimmer flog, sich um ihren Hals warf und sie wiederholt küßte.
Dieses Weib sagte nicht zu ihr, daß sie ihr Kopfschmerz[S. 73] verursache, sondern liebkoste das Kind vielmehr, und lachte und weinte, bis beinahe die Gesundheit ihres Verstandes in Zweifel zu ziehen war; und nachdem sich Eva von ihr losgemacht hatte, flog sie von Einem zum Andern, die Hand schüttelnd oder küssend, so daß Miß Ophelia, wie sie später versicherte, einen inneren Schauder dabei empfand.
»In der That!« sagte Miß Ophelia, »Ihr südlichen Kinder könnt Etwas, das mir nicht möglich wäre.«
»Bitte, was denn?« sagte St. Clare.
»Nun, ich bin gern freundlich gegen Jedermann, und möchte Niemanden beleidigen, — aber küssen —«
»Nigger küssen,« sagte St. Clare, »das wärest Du nicht im Stande, — he?«
»Nein, das wäre ich nicht im Stande! — Wie kann sie es nur thun?« St. Clare lachte, und ging der Vorhalle zu.
»Hallo! hier! Was gibt 's hier auszuzahlen? Hier, Ihr Alle, — Mammy, Jimmy, Polly, Sucky, — freut Ihr Euch, Master zu sehen?« sagte er, während er von Einem zum Andern ging, und Jedem die Hand schüttelte. »Nehmt Eure Kinder in Acht!« fügte er hinzu, als er über einen kleinen schwarzen Zwerg stolperte, der auf allen Vieren umher kroch. »Wenn ich auf eins trete, müssen sie 's mir sagen.«
Lachen und Frohsinn herrschte unter den Leuten, und reichliche Danksagungen flossen von ihren Lippen, während St. Clare kleine Münze unter sie vertheilte.
»Und nun geht, Kinder, und seid gute Jungens und Dirnen,« sagte St. Clare, worauf sich die ganze Gesellschaft durch eine nach der Veranda führende Thür entfernte, wohin ihnen Eva mit einer großen Schachtel folgte, die sie während ihrer ganzen Heimreise durch allmählige Sammlungen von Aepfeln, Nüssen, Zuckerwerk, Band, Spitzen und Spielwerk aller Arten gefüllt hatte.
Als St. Clare sich umwandte, um in das Zimmer[S. 74] zurückzugehen, fiel sein Blick auf Tom, der unruhig und ängstlich, und von einem Fuße auf den andern tretend dastand, während Adolph, nachlässig gegen die Wand gelehnt, ihn durch ein Opernglas und mit einer Miene beobachtete, die dem besten Stutzer Ehre gemacht haben würde.
»Pfui, Du Affe!« sagte sein Herr, ihm das Opernglas aus der Hand schlagend; »ist das die Art und Weise, wie Du Deines Gleichen behandelst — Es scheint mir, Dolph,« fügte er hinzu, indem er seinen Finger auf die elegante Weste legte, mit der sich Adolph brüstete, — »es scheint mir, dies ist meine Weste.«
»O Master! diese Weste ist ja ganz voll von Weinflecken! — natürlich, ein Herr von Masters Range wird nie eine solche Weste tragen. Ich dachte, ich dürfte sie nehmen; — ist für einen armen Nigger, wie ich bin, noch gut genug.«
Und Adolph warf seinen Kopf in die Höhe und strich seine Finger mit vieler Grazie durch sein parfümirtes Haar.
»So, das ist also der Grund, — wirklich?« sagte St. Clare nachlässig. »Gut, ich will hier Tom seiner Herrin zeigen und dann bringst Du ihn hinunter in die Küche; und ich rathe Dir, daß Du Dir nicht einfallen läßt, eine von Deinen gewöhnlichen Mienen gegen ihn anzunehmen. Er ist mehr werth als zwei solche Affen, wie Du bist.«
»Master will immer seinen Scherz haben,« sagte Adolph lachend. »Ich bin entzückt, Master in so guter Laune zu sehen.«
»Hier, Tom,« sagte St. Clare, ihn zu sich winkend.
Tom trat in das Zimmer und blickte scheu auf die sammetnen Teppiche und den nie zuvor geahnten Glanz von Spiegeln, Gemälden, Statuen und Gardinen, und, gleich der Königin Sheba vor Salomon, war kein Muth in ihm. Er fürchtete sich sogar, seinen Fuß niederzusetzen.
[S. 75]
»Sieh' hier, Marie,« sagte St. Clare zu seiner Frau, »ich habe Dir endlich einen Kutscher gekauft, wie Du ihn haben willst. Ich versichere Dich, was Farbe und Nüchternheit anbetrifft, so ist er ein wahrer Leichenwagen, und wird Dich fahren, wie auf einem Begräbniß, wenn Du es verlangst. Oeffne Deine Augen und schau' ihn an; und sage nun nicht wieder, daß ich nicht an Dich denke, wenn ich entfernt bin.«
Marie öffnete ihre Augen und richtete sie auf Tom, ohne sich zu erheben.
»Ich weiß, er wird sich betrinken,« sagte sie.
»Nein, er ist verbürgt als ein frommer und nüchterner Artikel,« entgegnete St. Clare.
»Wohl, ich hoffe, daß er sich so zeigen möge, obgleich es mehr ist, als ich erwarte,« sagte die Dame, sich umwendend.
»Dolph!« rief St. Clare, »bringe Tom die Treppe hinunter und nimm Dich in Acht; denke an das, was ich Dir gesagt habe.«
Adolph trippelte graziös voran, und Tom folgte ihm mit schwerem Tritte.
»Es ist ein förmlicher Behemoth!« bemerkte Marie.
»Komm' nun, Marie,« sagte St. Clare, sich auf einen niedrigen Stuhl neben dem Sopha setzend, »sei gnädig und sag' Einem etwas Angenehmes.«
»Ja, — Du bist vierzehn Tage über die Zeit ausgeblieben,« sagte die Dame schmollend.
»Nun ja, ich schrieb Dir ja die Ursache davon.«
»So einen kurzen, kalten Brief!« bemerkte die Dame.
»Mein Gott! Die Post ging grade ab, und ich mußte das abschicken oder nichts.«
»Ja, das ist immer so,« sagte die Dame; »da ist immer Etwas, was Deine Reisen lang und Deine Briefe kurz macht.«
»Nun, sieh' hier!« rief St. Clare, ein elegantes Sammetkästchen aus seiner Tasche hervorziehend und es[S. 76] öffnend. »Hier habe ich Dir ein Geschenk von New-York mitgebracht.«
Es war ein Daguerreotyp-Gemälde, welches Eva mit ihrem Vater, Beide Hand in Hand bei einander sitzend, darstellte.
Marie sah es mit unzufriedener Miene an.
»Wie konntest Du nur eine so unpassende Stellung wählen?« sagte sie nur.
»Nun, was die Stellung betrifft, so kommt das auf Ansicht an; aber was hältst Du von der Aehnlichkeit?«
»Wenn Dir meine Meinung in einem Falle nichts gilt, so glaube ich, wird sie Dir auch in einem andern nichts gelten,« sagte sie, das Kästchen zuschlagend.
»Sollst hängen, Weib!« sagte St. Clare im Stillen zu sich; aber laut fügte er hinzu: »Komm' nun, Marie, was denkst Du von der Aehnlichkeit? Sei doch nicht thöricht!«
»Es ist sehr rücksichtslos von Dir, St. Clare,« sagte die Dame, »daß Du mich zwingen willst, zu sprechen und Dinge zu betrachten. Du weißt, daß ich den ganzen Tag die heftigsten Kopfschmerzen gehabt habe; und seit Du gekommen bist, hat fortwährend ein solcher Tumult stattgefunden, daß ich halb todt bin.«
»Sie leiden an Kopfschmerz, Madame!« sagte Miß Ophelia, plötzlich aus den Tiefen ihres Armstuhles sich erhebend, wo sie bis dahin ruhig gesessen und ein Inventarium der Mobilien aufgenommen, und die dafür gemachten Ausgaben im Stillen veranschlagt hatte.
»Ja, ich bin ein förmliches Opfer derselben,« entgegnete Marie.
»Thee von Wachholderbeeren ist ein sehr gutes Mittel dagegen,« sagte Miß Ophelia; »wenigstens pflegte Auguste, die Frau des Diakonus Abraham Perry, so zu sagen, und sie war eine sehr geschickte Krankenpflegerin.«
»Gut, so will ich die ersten Wachholderbeeren, die in meinem Garten am See reif werden, zu diesem Zwecke[S. 77] holen lassen,« sagte St. Clare, während er mit ernstester Miene die Glocke zog; »allein, Cousine, Du bist jedenfalls ermüdet und sehnst Dich nach Deinem Zimmer, um Dich von der Reise auszuruhen. — Dolph,« fügte er hinzu, »sage Mammy, sie solle hierher kommen.«
Das ehrbare Mulattenweib, welches von Eva so leidenschaftlich geliebkost worden war, trat gleich darauf ein. Sie war reinlich gekleidet und trug auf dem Kopfe einen hohen Turban von gelber und rother Farbe, ein Geschenk von Eva, den das Kind selbst auf ihrem Kopfe arrangirt hatte.
»Mammy,« sagte St. Clare, »ich vertraue diese Dame Deiner Sorge an; sie ist müde und bedarf Ruhe. Bringe sie nach ihrem Zimmer, und sorge für jede Bequemlichkeit.«
Nach diesen Worten verschwanden Mammy und Miß Ophelia.
»Und nun, Marie,« sagte St. Clare, »fangen Deine goldenen Tage an. Hier ist unsere praktische, geschäftskundige Muhme von Neu-England, die die ganze Last der Sorgen auf ihre Schultern nehmen und Dir Zeit geben will, Dich zu erholen und wieder jung und hübsch zu werden. Die Ceremonie der Schlüsselübergabe wäre am besten gleich abgemacht.«
[S. 78]
Diese Bemerkung wurde beim Frühstücke, wenige Tage nach Opheliens Ankunft, gemacht.
»Mir sehr willkommen,« sagte Marie, ihren Kopf matt in die Hand legend. »Ich bin gewiß, daß, wenn sie's thut, sie hier eine Erfahrung machen wird, nämlich, daß wir Mistresses die Sklavinnen sind.«
»O, ohne Zweifel wird sie das entdecken, und eine Welt nützlicher Wahrheiten außerdem,« sagte St. Clare.
»Sprich nur von unserm Sklavenhalten,« erwiederte Marie, »als wenn wir es zu unserer Bequemlichkeit thäten. Wenn wir die zu Rath zögen, so könnten wir sie alle auf einmal gehen lassen.«
Eva heftete ihre großen Augen ernst und verwundert auf ihre Mutter, und sagte nur: »Warum hältst Du sie denn, Mamma?«
»Ich weiß es wirklich nicht, ausgenommen, um eine Plage zu haben, denn sie sind die Qual meines Lebens. Ich glaube fest, daß meine Krankheit mehr von ihnen, als irgend einem andern Grunde herrührt; und unsere sind die schlimmsten, die je einen Menschen geplagt haben.«
»O Marie, nicht doch! Du hast wieder Deine üble Laune diesen Morgen,« sagte St. Clare. »Du weißt, es ist nicht so. Da ist Mammy; die beste Kreatur der Welt; — was würdest Du ohne sie anfangen?«
»Mammy ist die beste von Allen, die ich je gekannt habe,« sagte Marie; — »und doch ist auch sie sogar selbstsüchtig, — schrecklich selbstsüchtig; das ist der Fehler des ganzen Geschlechts.«
»Selbstsucht ist ein schrecklicher Fehler!« sagte St. Clare ganz ernsthaft.
»Nun mit Mammy,« fuhr Marie fort, — »ich denke, es ist schrecklich selbstsüchtig von ihr, daß sie des Nachts so fest schläft. Sie weiß, daß ich fast alle Stunden Etwas nöthig habe, — wenn grade meine Anfälle am schlimmsten sind, — und doch ist sie so schwer zu erwecken. Ich bin diesen Morgen entschieden viel kränker[S. 79] nur von den Anstrengungen, die ich diese Nacht gehabt habe, sie zu erwecken.«
»Hat sie nicht kürzlich viele ganze Nächte bei Dir gewacht, Mamma?« fragte Eva.
»Woher weißt Du das?« sagte Marie in scharfem Tone. »Sie hat sich wohl beklagt?«
»Sie beklagte sich nicht; sie erzählte mir nur, was für böse Nächte Du gehabt habest, — so viele hinter einander.«
»Warum läßt Du nicht Jane oder Rosa eine oder zwei Nächte an ihrer Stelle wachen, und sie sich ausruhen?« sagte St. Clare.
»Wie kannst Du nur so Etwas sagen?« entgegnete Marie. »Wirklich, St. Clare, Du bist rücksichtslos. Bei meiner großen Nervenschwäche stört mich der leiseste Hauch, und wenn ich gar eine fremde Hand um mich haben sollte, so würde es mich vollständig wahnsinnig machen. Wenn Mammy so viel Anhänglichkeit für mich hätte, als sie haben sollte, so würde sie leichter aufwachen. Ich habe von Leuten gehört, die so aufmerksame und ergebene Dienstboten hatten, aber mir selbst ist das Glück nie zu Theil geworden,« fügte Marie seufzend hinzu.
Miß Ophelia hatte dieser Unterhaltung mit einer Art schlauen, beobachtenden Ernstes zugehört, und hielt ihre Lippen immer noch dicht geschlossen, als sei sie festen Willens, den Längen- und Breitengrad ihrer dortigen Stellung genau zu untersuchen, ehe sie sich selbst hören lasse.
»Es ist wahr, Mammy hat eine gute Seite,« fuhr Marie fort; »sie ist sanft und bescheiden, aber im Herzen ist sie selbstsüchtig. So zum Beispiel wird sie nie aufhören, mich wegen ihres alten Mannes zu plagen und zu quälen. Als ich nämlich mich verheirathete und hierher zog, mußte ich sie natürlich mit mir nehmen, und ihren Mann konnte mein Vater nicht entbehren. Er war ein Hufschmied und also unentbehrlich; und ich[S. 80] dachte und sagt's ihnen damals, daß sie am besten thäten, einander ganz aufzugeben, da es sich doch schwerlich für sie passen würde, jemals wieder zusammenzuleben. Ich wollte, ich hätte damals darauf bestanden, und Mammy an irgend einen Andern verheirathet; allein ich war thöricht und zu nachgiebig, und wollte nicht darauf bestehen. Ich sagte Mammy damals, daß sie nicht darauf rechnen dürfe, ihn öfter als ein oder zweimal in ihrem ganzen Leben wiederzusehen, weil die Luft auf Vaters Gute mir nicht zuträglich ist, und ich deshalb nicht hingehen kann; und ich gab ihr den Rath, sich einen andern Mann zu nehmen; aber nein, — sie wollte nicht. Mammy besitzt eine Art Hartnäckigkeit in gewissen Beziehungen, die nicht Jeder so sieht wie ich.«
»Hat sie Kinder?« fragte Miß Ophelia.
»Ja, zwei Kinder.«
»Wahrscheinlich fällt ihr die Trennung von ihnen schwer?«
»Ja, mag sein, aber ich konnte sie natürlich nicht mit mir nehmen. Es waren schmutzige, kleine Dinger, — die ich unmöglich hier um mich haben konnte; und überdies würden sie ihr zu viel Zeit weggenommen haben. Ich glaube sicher, daß Mammy darüber immer eine Art Unzufriedenheit empfunden hat. Einen Andern will sie nicht heirathen; und ich hege keinen Zweifel, obgleich sie weiß, wie nöthig sie mir ist, und wie schwach meine Gesundheit ist, daß sie morgen zu ihrem Manne zurückgehen würde, wenn sie könnte. Wirklich ich glaube das, — sie sind Alle so selbstsüchtig, auch die besten!«
»Es ist traurig, daran zu denken,« sagte St. Clare trocken. Miß Ophelia blickte ihn scharf an und erkannte deutlich in seinem Gesichte den innern, unterdrückten Aerger und den sarkastischen Zug um seinen Mund, während er sprach.
»Mammy ist sogar immer mein Liebling gewesen,« fuhr Marie fort. »Ich wollte, Eure nordischen Dienstboten[S. 81] könnten nur einmal in ihren Kleiderschrank sehen, — Seide und Mousselin hat sie darin hängen. Ich habe zuweilen ganze Nachmittage gearbeitet, um ihre Mützen zu säumen, und sie in Stand zu setzen, irgendwo zum Besuch zu gehen. Und was schlimme Behandlung betrifft, so weiß sie gar nicht, was das ist. Gepeitscht ist sie kaum ein- oder zweimal in ihrem ganzen Leben worden. Sie hat jeden Tag ihren starken Kaffee und Thee, mit weißem Zucker. Es ist freilich abscheulich; aber St. Clare will einmal hohes Leben unter den Sklaven haben, und sie leben Alle wie es ihnen gefällt. Kein Zweifel, unsere Leute sind zu sehr verwöhnt. Ich glaube, es ist großen Theils unsere eigene Schuld, daß sie so selbstsüchtig sind und sich gerade so benehmen wie verzogene Kinder; aber ich habe St. Clare so viele Vorstellungen darüber gemacht, daß ich's endlich überdrüssig geworden bin.«
»Ich auch,« sagte St. Clare, die Zeitung aufnehmend.
Eva, die schöne, kleine Eva, hatte horchend bei ihrer Mutter gestanden, mit jenem ihr so eigenthümlichen Ausdrucke tiefen, mysteriösen Ernstes. Sie schlich jetzt leise um den Stuhl ihrer Mutter und warf ihre Arme um ihren Hals.
»Nun, Eva, was giebt's?« fragte Marie.
»Mamma, könnte ich denn nicht eine Nacht bei Dir wachen, — nur eine? Ich weiß gewiß, ich würde Dir keine Unruhe verursachen, und ich würde auch nicht schlafen. Ich bin oft des Nachts wach und denke —«
»O Thorheit, Kind, — Thorheit!« sagte Marie, »Du bist ein sonderbares Kind!«
»Aber darf ich, Mamma? Ich glaube,« sagte sie furchtsam, »Mammy ist nicht wohl. Sie sagte mir, sie habe seit einiger Zeit immerwährend Kopfschmerzen.«
»Das ist gerade eine von Mammy's Finten! Sie[S. 82] ist gerade wie die Andern, — macht solch' ein Leben, wenn ihr der Kopf oder ein Finger ein wenig weh thut; — nein, so etwas darf man nie bestärken! — Es ist Grundsatz bei mir in solchen Dingen,« fügte sie hinzu, sich zu Miß Ophelia wendend, »Sie werden sehr bald die Nothwendigkeit dessen einsehen. Wenn Sie den Dienstboten erlauben, jeder kleinen Unbehaglichkeit und Unpäßlichkeit zu fröhnen, so werden Sie alle Hände voll zu thun haben. Ich selbst beklage mich nie, — Niemand weiß, was ich ausstehe. Ich halte es für meine Pflicht, es ruhig zu tragen, und ich thue es.«
Miß Ophelia's große Augen drückten ein unverhehltes Staunen bei dieser Rede aus, welches St. Clare so entsetzlich lächerlich vorkam, daß er in lautes Lachen ausbrach.
»St. Clare lacht stets, wenn ich die geringste Anspielung auf meine Kränklichkeit mache,« sagte Marie mit dem Tone eines leidenden Märtyrers. »Ich will nur wünschen, daß nicht eine Zeit komme, wo er es bereut!« und drückte dann ihr Taschentuch vor die Augen.
Nach diesen Worten trat natürlich ein etwas lächerliches Schweigen ein. Endlich stand St. Clare auf, sah nach der Uhr und sagte, er habe ein Geschäft in der Stadt. Eva trippelte hinter ihm her, und Miß Ophelia und Marie blieben allein am Tische sitzen.
»Das sieht St. Clare sehr ähnlich!« sagte die Letztere, ihr Taschentuch mit einer etwas heftigen Bewegung vom Gesichte nehmend, nachdem der Verbrecher, auf den es hatte Eindruck machen sollen, nicht länger sichtbar war. »Er kann und wird nie anerkennen, was ich leide und seit Jahren gelitten habe. Wenn ich je über das, was ich leiden muß, klagen wollte, so hätte ich Grund genug dazu. Die Männer werden natürlich einer Frau müde, die immerwährend klagt. Aber ich habe Alles stets für mich behalten und getragen, bis[S. 83] St. Clare endlich zu der Meinung gekommen ist, ich könne Alles tragen.«
Miß Ophelia wußte nicht genau, welche Antwort Marie von ihr hierauf erwarte. Während sie noch darüber nachdachte, was sie sagen sollte, trocknete Marie allmählig ihre Thränen, strich ihr Gefieder im Allgemeinen, wie eine Taube nach einem Regenschauer Toilette zu machen pflegt, und begann mit Ophelia ein haushälterisches Gespräch, über Schränke, Vorräthe und Vorrathskammern, und gab ihr so viele Verhaltungsmaßregeln und Aufträge, daß ein weniger systematischer und an Geschäfte gewöhnter Kopf, als Miß Ophelia's war, vollständig verwirrt geworden sein würde.
»Und nun,« fügte Marie hinzu, »glaube ich Ihnen Alles gesagt zu haben; so daß, wenn ich wieder meinen Anfall bekomme, Sie im Stande sein werden, Alles allein zu besorgen, ohne mich zu fragen; — nur Eva, — sie erfordert Aufmerksamkeit.«
»Sie scheint ein sehr gutes Kind zu sein,« sagte Miß Ophelia; »ich sah nie ein besseres.«
»Eva ist sehr eigenthümlich,« sagte die Mutter. »Sie hat so sonderbare Dinge an sich; sie ist mir auch nicht im Geringsten ähnlich!« fügte sie seufzend hinzu, als wenn dies in der That eine höchst traurige Betrachtung wäre.
Miß Ophelia sagte im Stillen zu sich: »ich hoffe nicht,« aber hatte Klugheit genug, es für sich zu behalten.
»Eva fand immer Gefallen daran, sich bei den Dienstboten aufzuhalten, und ich sehe darin nichts Nachtheiliges für manche Kinder. Ich habe auch immer mit Vaters kleinen Negern gespielt, — es hat mir durchaus keinen Schaden gethan. Allein Eva scheint sich mit jeder Kreatur, die ihr nahe kommt, auf eine und dieselbe Stufe zu stellen. Es ist sonderbar mit dem Kinde: ich habe ihr das nie abgewöhnen können. St. Clare, glaube[S. 84] ich, bestärkt sie darin, denn er verwöhnt jede Kreatur unter seinem Dache, ausgenommen seine Frau.«
Wieder saß Miß Ophelia in verlegenem Schweigen da.
»Es gibt aber keinen andern Weg, mit Dienstboten fertig zu werden, als den, sie gehörig unter dem Drucke zu halten. Mir war das natürlich von meiner Kindheit an; aber Eva ist genug, um ein ganzes Haus voll Dienstboten zu verderben. Was sie nur machen wird, wenn sie selbst dahin kommen sollte, eine Wirthschaft zu führen? — ich weiß es wahrlich nicht. Ich halte darauf, immer gütig gegen die Dienstboten zu sein, und ich bin es selbst immer; aber man muß sie ihre Stellung fühlen lassen. Das thut Eva nie; es ist dem Kinde noch nie im Entferntesten in den Kopf gekommen, was die Stellung eines Dienstboten ist! Sie haben sie heut selbst gehört, als sie sich anbot, bei mir zu wachen, um Mammy schlafen zu lassen! Das ist gerade ein Beispiel von der Art und Weise, in der es das Kind immer treiben würde, wenn es sich selbst überlassen wäre.«
»Nun,« platzte Ophelia hervor, »Sie werden doch Ihre Dienstboten für menschliche Wesen halten, die Ruhe haben müssen, wenn sie ermüdet sind.«
»Gewiß, natürlich. Ich sorge immer dafür, daß sie Alles haben, was einigermaßen angeht, — Alles, was Einen nicht zu sehr außer Ordnung bringt. Mammy kann ihren Schlaf zu jeder andern Zeit nachholen; es hindert sie Niemand. Sie ist das schläfrigste Geschöpf, was mir je vorgekommen ist; sie schläft überall, sie mag nähen, oder stehen oder sitzen. Es ist keine Gefahr, Mammy schläft schon genug. Aber diese Art und Weise, die Dienstboten zu behandeln, als wenn es exotische Blumen oder Porcellan-Vasen wären, ist wirklich lächerlich!«
Bei diesen Worten ließ sich Marie in die tiefen und weichen Kissen eines Faulbettes niederfallen, hielt ein[S. 85] feingeschliffenes Riechfläschchen vor die Nase und fuhr dann mit matter Stimme, dem letzten, sterbenden Hauche eines arabischen Jasmin, oder etwas Anderem, eben so Aetherischem ähnlich, fort:
»Sehen Sie, Cousine Ophelia, ich spreche nicht oft von mir selbst; es ist nicht meine Gewohnheit, — es sagt mir nicht zu, — und ich habe auch nicht Kraft dazu; aber es gibt Punkte, in denen ich mit St. Clare sehr verschiedener Meinung bin. St. Clare hat mich nie verstanden und richtig gewürdigt. Ich glaube, das ist die Ursache meiner ganzen Kränklichkeit. Ich glaube gern, St. Clare meint es gut, aber die Männer sind von Natur egoistisch und rücksichtslos gegen Frauen. Das ist wenigstens meine Meinung.«
Miß Ophelia, welche keinen geringen Antheil ächt amerikanischer Vorsicht und einen besondern Abscheu dagegen besaß, in unangenehme Familienverhältnisse hineingezogen zu werden, glaubte jetzt etwas dem Aehnliches kommen zu sehen. Indem sie deshalb ihr Gesicht in die finsterste Neutralität verzog und aus ihrer Tasche einen anderthalb Ellen langen Strumpf hervorholte, begann sie mit größtem Eifer zu stricken, während sie ihre Lippen auf eine solche Weise zusammenpreßte, als wollte sie damit sagen: »Du brauchst mich nicht zum Sprechen aufzufordern, ich will mit Deinen Angelegenheiten nichts zu thun haben,« und sah dabei so theilnehmend aus, wie etwa ein steinerner Löwe. Allein Marie fragte danach nichts. Sie hatte Jemanden gefunden, zu dem sie sprechen konnte, und sie hielt es für ihre Pflicht, zu sprechen, und das war genug; und indem sie sich deshalb durch ein nochmaliges Riechen an ihrem Fläschchen stärkte, fuhr sie fort:
»Sehen Sie, ich habe mein eignes Vermögen, und meine eignen Dienstboten hierher gebracht, als ich St. Clare heirathete, und ich bin deshalb auch berechtigt, diese nach meiner Art und Weise zu behandeln. St.[S. 86] Clare hat sein Vermögen und seine Leute, und ich habe nichts dagegen, daß er diese nach seiner Weise behandle; aber er will sich in Alles mischen. Er hat wilde, überspannte Begriffe von allen Dingen, und besonders von der Behandlung der Dienstboten. Er handelt wirklich so, als wenn er seine Leute über mich, und über sich selbst stellte; denn er erlaubt ihnen, ihm jede mögliche Art von Unruhe zu verursachen, ohne daß er auch nur einen Finger aufhebt. In manchen Dingen ist St. Clare wirklich fürchterlich, — und ich fürchte mich vor ihm, so gutmüthig er auch gewöhnlich aussieht. So hat er sich's einmal zum Grundsatz gemacht, daß in seinem Hause kein Schlag gethan werden solle, ausgenommen von ihm oder von mir; und er besteht darauf in einer solchen Weise, daß ich es wirklich nicht wage, ihm zu widersprechen. Sie können nun leicht sehen, wohin das führt; denn St. Clare würde seine Hand nicht aufheben und wenn jeder einzeln auf ihm herumträte; und ich — es wäre wirklich grausam, von mir zu erwarten, daß ich mich einer solchen Anstrengung unterziehen solle. Sie wissen ja, diese Leute sind nichts als große Kinder.«
»Ich weiß nichts davon, und danke Gott, daß ich es nicht weiß!« sagte Miß Ophelia kurz.
»Wohl, aber Sie werden etwas davon wissen müssen und es auf eigne Kosten lernen, wenn Sie hier bleiben. Sie glauben nicht, was diese Elenden für eine dumme, faule, unvernünftige, kindische und undankbare Klasse von Geschöpfen sind.«
Marie war immer außerordentlich lebhaft, wenn sie auf diesen Gegenstand zu sprechen kam, und in dem gegenwärtigen Falle schlug sie ihre Augen auf und schien sogar ganz ihre Mattigkeit zu vergessen.
»Sie wissen es nicht, und Sie können es nicht wissen, welchem täglichen, stündlichen Aerger eine Hausfrau ausgesetzt ist. Aber es ist ganz vergeblich, sich bei St. Clare darüber zu beklagen. Er antwortet das verwirrteste[S. 87] Zeug. Er sagt, wir hätten sie zu dem gemacht, was sie wären und müßten nun auch mit ihnen aushalten. Er sagt, wir seien an ihren Fehlern Schuld, und es würde grausam sein, den Fehler zu veranlassen und ihn dann auch zu bestrafen. Er sagt, wir würden es nicht besser machen, wenn wir an ihrer Stelle wären; grade, als wenn man uns mit ihnen vergleichen könnte.«
»Glauben Sie nicht, daß Gott sie aus einem Blute mit uns geschaffen hat?« sagte Miß Ophelia kurz.
»Nein, wahrhaftig, ich nicht! Eine allerliebste Idee, wahrlich! Das ist ein entartetes Geschlecht.«
»Nehmen Sie denn nicht an, daß sie unsterbliche Seelen haben?« fragte Miß Ophelia mit steigendem Unwillen.
»O ja,« sagte Marie gähnend, »das freilich, — Niemand zweifelt daran; aber sie gewissermaßen gleich stellen wollen mit uns, als wenn wir überhaupt damit verglichen werden könnten, — das ist unmöglich! St. Clare hat mir sogar vorgesprochen, daß Mammy's Getrenntsein von ihrem Manne dasselbe sei, als wenn ich von ihm getrennt wäre. Es ist auf diesem Wege gar keine Vergleichung möglich; denn Mammy kann die Gefühle nicht haben, die ich haben würde. Es ist durchaus ein anderes Verhältniß — ganz natürlich, — und doch will St. Clare das nicht einsehen. Grade als ob Mammy ihre schmutzigen kleinen Würmer so lieben könnte, wie ich Eva liebe! Und doch wollte St. Clare mich einmal in allem Ernste davon überzeugen, daß es, meiner schwachen Gesundheit und aller meiner Leiden ungeachtet, meine Pflicht sei, Mammy zurückgehen zu lassen und eine Andere an ihrer Stelle zu nehmen. Das war aber etwas zu viel — selbst für mich. Ich zeige selten meine Empfindungen; es ist mein Grundsatz, Alles schweigend zu tragen, denn das ist einmal das harte Loos einer Frau; aber da brach ich los, so daß er nie wieder von dem Gegenstande angefangen hat. Ich sehe indeß recht wohl[S. 88] aus seinen Blicken und kleinen Aeußerungen, die er fallen läßt, daß er noch immer dieselben Ideen hat, und das ist so ärgerlich!«
Miß Ophelia sah beinahe so aus, als wenn sie fürchte, Etwas sagen zu müssen; allein sie rasselte mit ihren Nadeln weiter und zwar in einer Weise, die genug sagte, wenn Marie es nur hätte verstehen können.
»Da sehen Sie also,« fuhr sie fort, »was Sie zu verwalten haben; — einen Haushalt ohne Regel, wo die Dienstboten ihre eignen Wege haben, thun, was sie wollen, und haben, was sie wollen, so weit ich mit meiner schwachen Gesundheit sie nicht in Schranken gehalten habe. Ich führe meine Kuhhaut, und lege sie auch zuweilen an; aber die Anstrengung ist immer zu heftig für mich. Wenn St. Clare nur das wenigstens thun wollte, was Andere thun!«
»Und was ist das?« fragte Miß Ophelia.
»Nun, die schicken sie nach dem Stadthause oder irgend einem andern Orte, um sie auspeitschen zu lassen. Das ist das einzige Mittel. Wenn ich nicht so elend wäre, so glaube ich, würde ich das Ganze mit doppelt so viel Energie als St. Clare verwalten.«
»Und wie richtet denn St. Clare seine Verwaltung ein?« fragte Miß Ophelia. »Sie sagten, daß er nie Schläge austheile.«
»Ja, sehen Sie, Männer haben mehr Gewalt in ihrem Wesen, — es ist viel leichter für sie; und überdies, wenn Sie je voll in sein Auge geblickt haben, es ist sonderbar, — das Auge: und wenn er in entschiedenem Tone spricht, — dann ist eine Art Blitz darin. Ich fürchte mich selbst davor, und die Dienstboten kennen das. Ich könnte mit allem Schelten nicht so viel thun, wie St. Clare mit einer einzigen Wendung seines Auges, wenn es ihm einmal Ernst ist. O, da ist keine Noth um St. Clare; das ist eben der Grund, weshalb er nicht mehr Gefühl für mich hat. Aber Sie werden finden,[S. 89] wenn Sie die Wirthschaft übernehmen, daß es unmöglich ist, ohne Strenge fertig zu werden, — das Volk ist so schlecht, so falsch, so faul.«
»Das alte Lied!« sagte St. Clare, langsam in's Zimmer schlendernd. »Was für eine schreckliche Rechnung diese abscheulichen Kreaturen abzubüßen haben werden, besonders deshalb, daß sie so faul sind! — Siehst Du, Cousine,« fügte er hinzu, indem er sich in voller Länge auf einem Sopha, Marien gegenüber ausstreckte, »diese Faulheit bei ihnen ist gar nicht zu entschuldigen, namentlich nach dem Beispiele, welches wir, Marie und ich, ihnen geben.«
»O höre auf, St. Clare, Du bist wirklich zu häßlich!« sagte Marie.
»Bin ich wirklich?« entgegnete St. Clare. »Wie? ich dachte, ich spräche erstaunlich gut für mich, wirklich. Ich bin immer bemüht, Marie, Deine Bemerkungen zu unterstützen.«
»Du weißt recht wohl, daß das nicht Deine Meinung war, St. Clare,« sagte Marie.
»O, dann muß ich mich wirklich getäuscht haben! Ich danke Dir, meine Liebe, daß Du mich berichtigt hast.«
»Du gibst Dir wirklich alle Mühe, mich zu kränken,« entgegnete Marie.
»O komm', Marie, der Tag wird heiß, und ich habe grade einen langen Streit mit Dolph gehabt, der mich heftig angegriffen hat: also, bitte, sei freundlich und laß mich im Lichte Deines Lächelns ausruhen.«
»Was hattest Du mit Dolph?« sagte Marie. »Die Unverschämtheit dieses Burschen ist so weit gediehen, daß sie mir förmlich unerträglich geworden ist. Ich wünschte nur, ich hätte eine Zeit lang unbeschränkte Herrschaft über ihn; ich wollte ihn schon demüthig machen!«
»Was Du da sagst, meine Liebe, verräth, wie gewöhnlich, Deinen Scharfsinn und richtigen Verstand,« entgegnete St. Clare. »Was ich mit Dolph hatte, bestand[S. 90] darin, daß er meine Anmuth und Vollkommenheiten so lange nachgeahmt hatte, bis er sich zuletzt selbst für den Herrn hielt, und ich genöthigt war, ihm einige Einsicht in seinen Irrthum zu verschaffen.«
»Wie meinst Du das?« fragte Marie.
»Nun, ich war genöthigt, ihm begreiflich zu machen, daß ich einige von meinen Kleidungsstücken für meinen eigenen, ausschließlichen Gebrauch zu behalten wünschte; ferner setzte ich seine Magnifizenz auf eine gewisse Quantität kölnischen Wassers, und war wirklich so grausam, ihn bis auf ein Dutzend meiner weißen leinenen Taschentücher zu beschränken. Dolph war darüber besonders ungehalten, und ich mußte wie ein Vater mit ihm reden, um es ihm begreiflich zu machen.«
»O, St. Clare, wann wirst Du jemals lernen, Deine Dienstboten richtig zu behandeln? Es ist abscheulich, sie auf diese Weise zu verwöhnen!« sagte Marie.
»Nun, was ist's denn am Ende für ein Unglück, daß der arme Teufel seinem Herrn 'was nachmachen will; und wenn ich ihn nicht besser auferzogen habe, als daß er sein höchstes Gut in Eau-de-Cologne und leinenen Taschentüchern findet, warum sollte ich sie ihm dann nicht geben?«
»Und warum hast Du ihn denn nicht besser auferzogen?« fragte Miß Ophelia mit dreister Bestimmtheit.
»Zu viel Umstände, — Trägheit, Cousine, Trägheit, — was mehr Seelen ruinirt, als Du verdammen kannst. Wenn die Trägheit nicht wäre, so hätte ich selbst ein vollkommener Engel werden müssen. Ich glaube, es ist Trägheit, was Euer alter Doktor Botherem in Vermont die »Essenz alles moralischen Uebels« zu nennen pflegte. Es ist eine schreckliche Betrachtung, wahrlich!«
»Ich denke, Ihr Sklavenhalter habt eine schreckliche Verantwortlichkeit auf Euch!« sagte Miß Ophelia. »Ich möchte sie um tausend Welten nicht haben. Es ist Eure Pflicht, Eure Sklaven zu erziehen und sie wie vernünftige[S. 91] Wesen zu behandeln, — wie unsterbliche Geschöpfe, über die Ihr Rechenschaft abzulegen habt vor dem Richterstuhle Gottes. Das ist meine Meinung!« rief die gute Dame, indem die ganze Fluth von Eifer plötzlich losbrach, die sich den Morgen über in ihr angesammelt hatte.
»O laß das gut sein,« sagte St. Clare, schnell aufstehend, »was weißt Du von uns?« Und sich sodann am Piano niedersetzend, begann er ein munteres Stückchen zu spielen.
St. Clare hatte entschiedenes Talent für Musik, sein Anschlag war leicht und sicher, und seine Finger flogen mit lustiger, vogelartiger Schnelligkeit über die Tasten. Er spielte jetzt ein Stück nach dem andern, wie ein Mensch, der sich gern in eine gute Laune hineinspielen will. Als er aufhörte, stand er auf und sagte heiteren Tones zu Miß Ophelia:
»Also liebe Cousine, Du hast uns eine gute Lehre gegeben, und Deine Pflicht gethan, und im Ganzen genommen, muß ich Dich deshalb nur um so höher schätzen. Ich hege keinen Zweifel, daß Du mir einen wahren Diamant von Wahrheit zugeworfen hast, allein er traf mich, wie Du bemerkt haben wirst, so gerade in's Gesicht, daß ich im ersten Augenblicke seinen Werth nicht recht zu würdigen vermochte.«
»Ich meines Theils sehe nicht ein, wozu solche Reden überhaupt nützen,« sagte Marie. »Wenn irgend Jemand mehr für seine Dienstboten thut als wir, so möchte ich wohl wissen, wer; aber es ist ohne allen und jeden Nutzen für sie, — sie werden dadurch nur noch schlechter. Was das anbetrifft, mit ihnen zu reden und ihnen Vorstellungen zu machen, so — ich habe so viel über ihre Pflichten und alles das mit ihnen gesprochen, daß ich müde und heiser geworden bin; und in die Kirche können sie gehen, wann sie wollen, obgleich sie kein Wort von der Predigt verstehen, nicht mehr als eine[S. 92] Heerde Schweine, — und ich kann also nicht einsehen, daß es von irgend einem Nutzen für sie ist; aber sie gehen hin und haben also jede Gelegenheit; aber wie ich schon vorher gesagt habe, es ist einmal ein entartetes Geschlecht, und wird es ewig bleiben, und alle Mühe, etwas aus ihnen zu machen, ist ganz vergeblich. Sehen Sie, Cousine Ophelia, ich habe 's versucht, und Sie noch nicht; ich bin unter ihnen geboren und erzogen worden, und ich kenne sie.«
Ophelia dachte, sie habe genug gesagt, und schwieg deshalb. St. Clare pfiff ein Liedchen.
»St. Clare, ich bitte Dich, pfeife nicht,« sagte Marie, »es vermehrt meine Kopfschmerzen.«
»Wohl, ich will nicht pfeifen,« sagte St. Clare. »Wünschest Du sonst noch etwas von mir?«
»Ich wünschte nur, daß Du etwas mehr Theilnahme für meine Leiden haben könntest; aber Du hast nie Gefühl für mich.«
»Mein theurer, anklagender Engel!« sagte St. Clare.
»Es ist wirklich kränkend, so mit sich reden lassen zu müssen.«
»So sage mir denn, wie ich mit Dir reden soll? Ich will ganz nach Befehl reden, — wie Du es haben willst; nur um Dich zufrieden zu stellen.«
Ein fröhliches Lachen erscholl in diesem Augenblicke vom Hofe her durch die seidenen Vorhänge der Veranda. St. Clare trat hinaus, schlug die Gardine zur Seite und lachte mit.
»Was gibt's?« sagte Miß Ophelia, zu ihm an das Geländer tretend.
Da saß Tom, auf einem kleinen moosigen Sitze im Hofe, geschmückt mit Jasminblumen in allen seinen Knopflöchern, während Eva ihm einen Rosenkranz um den Hals hing und sich dann lachend wie ein Sperling auf sein Knie setzte.
»O, Tom, Du siehst so komisch aus!«
[S. 93]
Tom zeigte nur ein ruhiges gefälliges Lächeln in seinem Gesichte, und schien sich in seiner Weise des Scherzes eben so sehr zu freuen, wie seine kleine Mistreß. Als er seinen Herrn gewahrte, schlug er seine Augen mit einem Blicke zu ihm auf, als wolle er ihn um Verzeihung bitten.
»Wie kannst Du das nur erlauben?« sagte Miß Ophelia.
»Warum nicht?« entgegnete St. Clare.
»Ich weiß nicht, es kommt mir so schrecklich vor!«
»Du würdest Dir nichts dabei denken, wenn ein Kind einen großen Hund liebkos'te; aber vor einem Wesen, das denken und empfinden kann und unsterblich ist, schauderst Du, — gestehe es nur, Cousine. Ich kenne einigermaßen die Ideen und Gefühle von Euch im Norden. Nicht daß die kleinste Tugend für uns darin liegt, daß wir sie nicht besitzen; Gewohnheit thut bei uns, was das Christenthum thun sollte, — sie beseitigt das Gefühl eines persönlichen Vorurtheils. Ich habe oft während meiner Reisen im Norden Gelegenheit gehabt, zu bemerken, wie viel stärker dieses Vorurtheil bei Euch ist, als bei uns. Ihr habt einen Abscheu vor ihnen, wie vor einer Schlange oder einer Kröte, und dennoch seid Ihr unwillig über das ihnen zugefügte Unrecht. Ihr wollt sie nicht mißhandelt sehen, aber Ihr wollt selbst nichts mit ihnen zu thun haben. Ihr möchtet sie nach Afrika, weit außerhalb des Bereiches Eures Gesichts und Geruches, senden, und ihnen dann ein Paar Missionäre nachschicken, um sie unterrichten zu lassen. Ist das nicht Eure Meinung?«
»Es ist möglich, Cousin,« sagte Miß Ophelia nachdenkend, »daß etwas Wahres darin liegt.«
»Was würden die Armen und Niedrigen machen, wenn es keine Kinder gäbe?« sagte St. Clare, während er am Geländer lehnend Eva beobachtete, welche jetzt fort trippelte und Tom mit sich führte. »Kinder sind[S. 94] die einzigen wahren Demokraten. Tom ist jetzt für Eva ein Hero; seine Erzählungen sind Wunder in ihren Augen, seine Gesänge und methodistischen Hymnen gelten ihr mehr als eine Oper, das Spielzeug und der Plunder in seinen Taschen ist eine Juwelenmine für sie, und er selbst der wundervollste Tom, der je eine schwarze Haut trug. Dies ist eine der Rosen des Eden, die Gott ausschließlich für die Armen und Niedrigen hat herabkommen lassen, die wenig andere pflücken.«
»Es ist sonderbar, Cousin,« sagte Miß Ophelia; »man möchte beinahe glauben, Du wärest ein Bekenner der Religion, wenn man Dich reden hört.«
»Nichts weniger als das; wenigstens nicht in dem Sinne, den das Volk gewöhnlich damit verbindet; und was noch schlimmer ist, wie ich fürchte, auch kein Ausüber derselben.«
»Wie kannst Du denn so reden?«
»Nichts ist leichter als reden,« sagte St. Clare. »Ich glaube Shakespeare sagt irgendwo: »»Ich könnte eher zwanzig Anderen zeigen, was sie zu thun haben, als einer derselben sein, um meiner eigenen Weisung zu folgen.«« Es geht nichts über die Theilung der Arbeit. Mein Forte liegt im Sprechen, Deins, liebe Cousine, im Handeln.«
Tom hatte gegenwärtig über seine äußere Stellung wie die Welt zu sagen pflegt, keine Klage zu führen. Eva's Vorliebe für ihn, — die instinktmäßige Dankbarkeit und Liebenswürdigkeit einer edlen Natur, — hatten sie bewogen, ihren Vater darum zu bitten, daß er ihr besonderer Begleiter auf allen ihren Spaziergängen oder[S. 95] Fahrten sein dürfe; und Tom hatte deshalb die allgemeine Weisung erhalten, jedes andere Geschäft zu verlassen, wenn Eva seiner bedürfe, — Befehle, welche, wie unsere Leser leicht denken können, ihm nichts weniger als unangenehm waren. Er trug sehr gute Kleidung, denn St. Clare war in diesem Punkte ganz besonders eigensinnig; seine Stallgeschäfte waren nichts als ein Amt ohne Arbeit, und bestanden nur in einer täglichen Beaufsichtigung eines ihm untergebenen Dieners; denn Marie hatte erklärt, daß sie durchaus keinen Stallgeruch an ihm dulden könne, wenn er ihr nahe komme, und daß er durchaus keine Geschäfte vornehmen dürfe, die ihn ihr unangenehm machen könnten, weil ihr Nervensystem darunter zu sehr leiden würde, und ein einziger übler Geruch vielleicht hinreichend sei, allen ihren irdischen Leiden mit einem Male ein Ende zu machen. Tom sah deshalb in seiner rein gebürsteten Kleidung von feinem Tuche, seinem sanften Filzhute, seinen blanken Stiefeln und weißen, fehlerfreien Manschetten und mit seinem ernsten, gutmüthigen, schwarzen Gesichte ehrwürdig genug aus, um ein Bischof von Karthago zu sein, was Männer seiner Farbe in früheren Jahrhunderten gewesen waren.
Außerdem befand er sich an einem schönen Orte, eine Betrachtung, für die sein sinnenreizbares Geschlecht nie unempfänglich ist; und er freute sich in stillem Genusse über die Vögel, die Blumen, die Springbrunnen, den Wohlgeruch, das Licht und die Schönheit des Hofes, die seidenen Vorhänge, die Gemälde, Statuen und die Vergoldungen, welche die Wohnzimmer zu Gemächern in Aladdin's Palast für ihn machten.
Wenn Afrika je ein höheres gebildeteres Geschlecht wird aufweisen können, — und kommen wird und muß die Zeit, wo auch dieser Erdtheil in dem großen Drama menschlicher Vervollkommnung seine Rolle spielen wird, — so wird das Leben dort mit einem Glanze und einer[S. 96] Pracht erwachen, von der unsere kälter empfindenden Geschlechter des Westens nur eine schwache Ahnung haben. In jenem fernen, mystischen Lande des Goldes, der Juwelen und Gewürze, wehender Palmen, wunderbarer Blumen und Fruchtbarkeit werden neue Formen der Kunst, neue Arten des Glanzes erwachen; und das Geschlecht der Neger, dann nicht mehr verachtet und mit Füßen getreten, wird vielleicht die kostbarsten Offenbarungen des menschlichen Lebens an das Licht bringen. Ohne Zweifel wird ihnen dies gelingen, und zwar vermöge der Sanftmuth, der demüthigen Gelehrigkeit ihres Herzens, ihrer natürlichen Geneigtheit auf einen höheren Willen und eine höhere Kraft zu vertrauen, der kindlichen Einfachheit ihrer Gefühle und der Leichtigkeit ihres Vergebens. In allen diesen Beziehungen werden sie das vollkommenste Beispiel eines ächt christlichen Lebens geben, und vielleicht hat Gott, da er diejenigen liebt, die er züchtigt, das arme Afrika im »Ofen des Elends« ausersehen, es zu dem höchsten und edelsten in dem Königreiche zu machen, das er errichten wird, wenn jedes andere Königreich gesunken ist; denn die Ersten sollen die Letzten und die Letzten die Ersten sein.
Waren es vielleicht diese Betrachtungen, welche Marie St. Clare beschäftigten, als sie eines Sonntags Morgens prächtig gekleidet in der Veranda stand, und ein diamantenes Armband um ihr zartes Handgelenk befestigte? — Wahrscheinlich; oder wenn nicht, so war etwas Aehnliches; denn Marie patronisirte alles Gute, und war jetzt in voller Rüstung, — Diamanten, Seide, Juwelen und Allem, — im Begriffe, in eine moderne Kirche zu gehen und sehr fromm zu sein. Marie machte es nämlich zum Grundsatze, Sonntags immer sehr fromm zu sein. Da stand sie nun, so schlank, so elegant, so luftartig in allen ihren Bewegungen, und umhüllt von ihrem Spitzentuche wie von einem leichten Nebel. Sie sah so anmuthig aus und hatte in diesem Augenblicke[S. 97] auch sehr gute, elegante Empfindungen. Miß Ophelia stand an ihrer Seite und bildete den vollständigsten Contrast. Nicht daß sie kein schönes seidenes Kleid, keinen Shawl und kein feines weißes Taschentuch hatte, sondern ihre Steifheit, Eckigkeit und die dreiste Offenheit ihres ganzen Wesens verliehen ihr eine von der ihrer Nachbarin ganz verschiedene persönliche Erscheinung.
»Wo ist Eva?« sagte Marie.
»Das Kind blieb auf der Treppe stehen, um Mammy etwas zu sagen,« entgegnete Ophelia.
Und was sagte Eva auf der Treppe zu Mammy? Horche, lieber Leser, und es wird Dir nicht entgehen, obgleich Marie es nicht hört.
»Liebe Mammy, ich weiß, Dein Kopf thut schrecklich weh.«
»Lieber Gott, Miß Eva, mein Kopf immer thut weh; — brauchen sich darum nicht zu ängstigen.«
»Ich freue mich, daß Du ausgehst; und hier, Mammy,« sagte das Kind, indem es seine Arme um Mammy's Nacken schlang, — «Du sollst mein Riechfläschchen nehmen.«
»Wie? das schöne, goldene Ding, mit den Diamanten? O, nein, Miß, — würde sich nicht passen, — gar nicht!«
»Warum nicht? Du hast es nöthig, und ich nicht. Mamma gebraucht es immer gegen Kopfschmerzen, und es wird Dir Erleichterung verschaffen. Nein, Du sollst es nehmen, — mir zum Gefallen.«
»Nun höre Einer das liebe Kind sprechen!« sagte Mammy, während Eva das Fläschchen in ihren Busen schob, und die Treppe hinabsprang zu ihrer Mutter.
»Weshalb hast Du Dich so lange aufgehalten?«
»Ich blieb bei Mammy stehen, um ihr mein Riechfläschchen zu geben, welches sie mit in die Kirche nehmen soll.«
»Eva,« sagte Marie, heftig mit dem Fuße stampfend, —[S. 98] »Dein goldenes Riechfläschchen an Mammy! Wann wirst Du endlich lernen, was sich schickt? — Gleich, den Augenblick, gehe hin zu ihr, und nimm' es zurück!«
Eva machte eine traurige, niedergeschlagene Miene, und wandte sich langsam um.
»Ich bitte Dich, Marie, laß das Kind gehen; Eva soll thun, was ihr gefällt!« sagte St. Clare.
»Aber St. Clare, wie wird sie denn je in der Welt fortkommen?« entgegnete Marie.
»Gott weiß!« sagte St. Clare, »aber sie wird jedenfalls im Himmel besser fortkommen, als Du oder ich!«
»O Papa, sage das nicht,« flüsterte ihm Eva zu, seinen Arm sanft berührend, »es thut Mutter weh.«
»Wohl, Cousin, bist Du bereit, mit uns in die Kirche zu gehen?« fragte Miß Ophelia, indem sie sich schroff zu St. Clare umwandte.
»Bedaure, ich werde nicht hingehen.«
»Ich wünschte wirklich, daß St. Clare nur einmal mit uns zur Kirche ginge,« sagte Marie; »aber er hat nicht die geringste Religion. Es ist gar nicht anständig und achtungswerth.«
»Ich weiß das,« entgegnete St. Clare. »Ihr Damen geht in die Kirche, um zu lernen, wie Ihr in der Welt fortkommen sollt, und Eure Frömmigkeit breitet Achtung über uns. Wenn ich überhaupt gehen wollte, so würde ich in die Versammlung gehen, in welche Mammy geht. Da ist wenigstens Etwas, was Einen munter erhält.«
»Was? Diese schreienden Methodisten? Schrecklich!« sagte Marie.
»Alles Andre, nur nicht das todte Meer unserer respektablen Kirche, Marie. Es ist entschieden zu viel von einem Menschen verlangt. Eva, willst Du hingehen? Komm', bleib' zu Hause, und spiele mit mir,« sagte St. Clare.
»Danke, Papa, ich möchte lieber in die Kirche gehen.«
[S. 99]
»Ist es denn nicht schrecklich langweilig da?« fragte St. Clare.
»Ich denke, Manches ist langweilig,« erwiederte Eva, »und ich werde oft schläfrig; aber ich gebe mir Mühe, wach zu bleiben.«
»Weshalb gehst Du denn also hin?«
»Sieh', lieber Papa,« flüsterte sie ihm leise zu, »Cousine sagte mir, daß Gott danach verlange, uns zu haben; und er gibt uns ja Alles, nicht wahr? und es ist nicht viel, was er von uns verlangt. Es ist auch überhaupt nicht so sehr langweilig!«
»Süße, liebe, gute Seele!« sagte St. Clare, sie küssend. »Geh', Du bist ein gutes Kind, bete für mich.«
»Gewiß, das thue ich immer,« rief das Kind, während es hinter der Mutter in den Wagen sprang.
St. Clare blieb an der Treppe stehen, und warf ihr Kußhände zu, während der Wagen fortfuhr; und große, schwere Thränentropfen standen in seinen Augen.
»O Evangeline! mit Recht so genannt!« sagte er; »hat Gott Dich nicht zu einem Evangelium für mich gesandt?«
Das war seine Empfindung einen Augenblick lang; dann rauchte er eine Cigarre, und las die Zeitung, und vergaß sein kleines Evangelium? War er anders, als andere Leute?
»Sieh', Eva,« sagte ihre Mutter, »es ist immer recht und gut, freundlich und gütig gegen Dienstboten zu sein, aber es ist nicht recht, sie grade so zu behandeln, wie unsere Angehörigen, oder andre Leute von demselben Stande wie wir. Zum Beispiel, wenn Mammy krank würde, so würdest Du sie nicht in Dein eignes Bett legen wollen, — nicht wahr?«
»Ich glaube, ich würde es gern thun wollen, Mamma,« entgegnete Eva, »weil es dann leichter wäre, sie zu pflegen, und weil mein Bett besser, als das ihrige ist.«
Marie war in Verzweiflung über den gänzlichen[S. 100] Mangel von Fassungsvermögen, der sich nach ihrer Ansicht in dieser Antwort aussprach.
»Was soll ich nur thun, daß dieses Kind mich verstehen lerne?« rief sie.
»Nichts,« entgegnete Miß Ophelia mit besonderem Nachdruck.
Eva war einen Augenblick lang traurig und verlegen; allein Kinder bewahren glücklicher Weise nicht lange einen und denselben Eindruck, und bald nachher lachte sie schon wieder herzlich über verschiedene Gegenstände, an denen der Wagen vorüberfuhr.
»Nun, meine Damen,« sagte St. Clare, als Alle behaglich um den Mittagstisch versammelt waren, »was für einen Speisezettel gab 's heut in der Kirche?«
»O, Doktor G — hielt eine vortreffliche Predigt,« sagte Marie.
»Es war grade eine solche Rede, wie Du sie hören solltest; sie stimmte ganz genau mit meinen Ansichten überein.«
»Dann muß der Gegenstand, wie ich vermuthe, sehr umfassend gewesen sein,« sagte St. Clare.
»Ich meine meine Ansichten über die gesellschaftlichen Verhältnisse und dergleichen Dinge,« fuhr Marie fort. »Der Text war: »Er aber thut Alles fein zu seiner Zeit«, und er zeigte, wie alle Ordnungen und Unterschiede in der menschlichen Gesellschaft von Gott kämen, und daß es so schön und so passend sei, verstehst Du, daß ein Theil hoch, und ein anderer niedrig sein solle; daß Einige geboren worden seien, um zu herrschen, und Andre um zu dienen, und alles das; und er wandte es so richtig[S. 101] auf den lächerlichen Lärm an, der über Sklaverei gemacht worden ist, und bewies ganz deutlich, daß die Bibel auf unserer Seite sei, und alle unsere Einrichtungen so überzeugend rechtfertige. Ich wollte nur, Du hättest ihn gehört.«
»O, ich habe das nicht nöthig,« sagte St. Clare. »Ich kann von der Picayune zu jeder Zeit viel lernen, was mir eben so nützlich ist, und dabei noch meine Cigarre rauchen, was ich in der Kirche nicht kann, wie Du weißt.«
»Nun, bist Du denn mit diesen Ansichten nicht einverstanden?« fragte Miß Ophelia.
»Wer — ich? Ja, sieh', ich bin von aller göttlichen Gnade so verlassen, daß eine solche religiöse Anschauung derartiger Gegenstände durchaus nicht erbaulich für mich ist. Wenn ich Etwas über diese Sklavenfrage sagen müßte, so würde ich rein heraus sagen: »Wir haben sie, und wir gedenken sie zu behalten; es geschieht für unsere Bequemlichkeit und unser Interesse;« denn das ist bei Licht betrachtet das Ganze, — und grade dasselbe, worauf alles das heilige Geschwätz hinaus will; und ich denke, das wird für Jedermann und überall verständlich sein.«
»Ich weiß nicht, Augustin, Du kommst mir so unehrerbietig vor!« sagte Marie; »es ist schrecklich, Dich reden zu hören.«
»Warum schrecklich? es ist die Wahrheit. Wenn dieses religiöse Geschwätz über solche Gegenstände nur noch etwas weiter gehen, und uns bei Gelegenheit auch einmal die Schönheit eines Menschen zeigen wollte, der ein Glas zu viel genommen hat, oder bei seinen Karten zu lange sitzen geblieben ist, und andrer ähnlicher weiser Einrichtungen der Vorsehung, die unter uns jungen Männern ziemlich häufig sind, — wir würden es gern hören, daß diese recht und gut genannt werden.«
»Nun, was denkst denn Du von der Sklaverei,«[S. 102] sagte Miß Ophelia, »hältst Du sie für recht oder unrecht?«
»Ich will keinen Eurer schrecklichen neuenglischen Angriffe haben, Cousine,« sagte St. Clare scherzhaft. »Wenn ich diese Frage beantworte, so weiß ich, daß Du mit einem halben Dutzend andrer über mich herfällst, von denen jede folgende schlimmer, als die vorhergehende ist; und ich bin keineswegs gesonnen, meine ganze Stellung deutlicher zu erklären. Ich bin einer von denen, die davon leben, Steine auf die Glashäuser Anderer zu werfen; aber es fällt mir nicht ein, eins aufzubauen, um Andre mit Steine danach werfen zu lassen.«
»Grade so spricht er immer,« sagte Marie; »Du kannst nie eine genügende Antwort aus ihm heraus bekommen. Ich glaube, grade deshalb, weil er die Religion überhaupt nicht liebt, läuft er immer davor fort, wie er jetzt eben gethan hat.«
»Religion!« sagte St. Clare in einem Tone, der beide Frauenzimmer unwillkührlich auf ihn blicken ließ. »Religion! Ist das Religion, was Ihr in der Kirche hört? Ist das Religion, was sich biegen und wenden läßt, was hinabsteigt und hinaufsteigt, um für jedes verkrüppelte Verhältniß in dieser selbstsüchtigen, menschlichen Gesellschaft zu passen? Ist das Religion, was weniger gewissenhaft, edelmüthig, gerecht und rücksichtsvoll für den Nebenmenschen ist, als selbst meine eigne gottlose, weltliche, verblendete Natur. Nein! Wenn ich Religion suche, so muß ich Etwas suchen, das über mir, aber nicht unter mir ist.«
»Du glaubst also nicht, daß die Bibel Sklaverei rechtfertigt?« sagte Miß Ophelia.
»Die Bibel war das Buch meiner Mutter,« sagte St. Clare; »nach ihr lebte sie, und nach ihr starb sie, und es würde mir sehr leid thun, wenn ich denken müßte, daß sie dies wirklich rechtfertigte. Ich könnte eben so gut den Beweis verlangen, daß meine Mutter Brandwein[S. 103] trinken, und Taback kauen, und fluchen konnte, um mich darüber zu beruhigen, daß ich recht handele, indem ich es selbst thue. Es würde meine eigne Ansicht über diese Dinge nicht ändern, sondern mir nur den Trost rauben, meine Mutter achten zu dürfen; und es ist wirklich ein Trost in dieser Welt, Etwas zu haben, was man achten kann. Mit einem Worte, Du siehst,« fuhr er fort, indem er plötzlich seinen heitern Ton wieder annahm, »Alles, was ich wünsche, ist, daß verschiedene Dinge in verschiedenen Kasten aufbewahrt werden. Das ganze Gestell der menschlichen Gesellschaft, in Europa sowohl wie in Amerika, besteht aus verschiedenartigen Bestandtheilen, die nicht den Probirstein einer strengen Moralität aushalten. Es ist wohl allgemein zugestanden, daß die Menschen nie nach dem absolut Rechten streben, sondern sich nur so zu handeln bemühen, wie es die übrige Welt thut. Wenn nun Jemand auftritt, der wie ein Mann spricht, und sagt, daß die Sklaverei für uns nothwendig sei, daß wir nicht ohne sie fertig werden können, sondern gänzlich verarmen würden, wenn wir sie aufgäben, und deshalb daran festhalten wollen, — so ist dies wenigstens kräftig, klar und deutlich gesprochen, und hat das Verdienst der Offenheit und Wahrheit für sich; allein, wenn er anfängt, ein langes Gesicht zu ziehen und zu schniffeln, und die Heilige Schrift anzuführen, so bin ich immer sehr geneigt zu glauben, daß er nicht ein Haar besser ist, als wofür er gehalten zu werden verdient.«
»Du bist sehr lieblos,« sagte Marie.
»Gut,« sagte St. Clare, »laß uns annehmen, daß irgend ein Umstand den Preis der Baumwolle für immer herunter bringen, und also das ganze Sklaveneigenthum zu einer werthlosen Waare machen sollte, — glaubst Du nicht, daß wir in diesem Falle sehr schnell eine andre Uebersetzung der biblischen Lehren bekommen würden? Welche Fluth von Licht würde dann plötzlich auf die Kirche einströmen, und wie schnell würde es dann entdeckt sein, daß die[S. 104] Bibel sowohl wie die Vernunft eine andre Richtung anweise!«
»Meinethalben,« sagte Marie, während sie sich auf ihrem Kanapee ausstreckte, »ich danke Gott, daß ich da geboren bin, wo Sklaverei besteht; und ich glaube, daß sie ganz in der Ordnung ist, — ja, ich fühle es deutlich, es muß so sein; und in jedem Falle weiß ich gewiß, daß ich nicht ohne sie fertig werden könnte.«
»Und was denkst Du denn darüber, Kätzchen?« fragte der Vater Eva, die grade in diesem Augenblicke, mit einer Blume in der Hand, in das Zimmer kam.
»Worüber, Papa?«
»Ich meine, — wo würdest Du lieber wohnen, in einem Hause wie bei Deinem Onkel in Vermont, oder in einem solchen, wie das unsrige ist, mit vielen Dienstboten?«
»O, natürlich, unser Haus ist das angenehmste,« sagte Eva.
»Weshalb?« fragte St. Clare, ihren Kopf streichelnd.
»O, weil hier so Viele sind, die man lieb haben kann, — verstehst Du?« sagte Eva, zu ihrem Vater aufblickend.
»Nun wahrlich, das sieht der Eva gänzlich ähnlich,« sagte Marie, »es ist genau eine von ihren gewöhnlichen Reden.«
»Ist es 'was Dummes, Papa?« flüsterte Eva ihrem Vater zu, während sie auf sein Knie stieg.
»Nach den Begriffen dieser Welt — beinahe, Kätzchen,« sagte St. Clare. »Aber wo ist meine kleine Eva denn während der ganzen Mittagszeit gewesen?«
»O, ich bin in Tom's Zimmer gewesen, und habe ihm zugehört singen, und Tante Dina hat mir Mittagessen gegeben.«
»Tom singen gehört, he?«
»Ja, o er singt so wunderschöne Dinge vom neuen[S. 105] Jerusalem, und den leuchtenden Engeln, und dem Lande Canaan!«
»Ich glaube, es ist noch besser als die Oper, nicht wahr?«
»Ja, und er will mir alle diese Gesänge lehren.«
»Singstunden, wie? — o, Du nimmst zu!«
»Ja, er singt mir etwas vor, und ich lese ihm meine Bibel vor; und er erklärt es mir dann, was es bedeutet.«
»Auf mein Wort,« sagte Marie lachend, »das ist der beste Spaß des ganzen Carnevals.«
»Tom ist gewiß kein schlechter Ausleger der Schrift, — ich möchte drauf schwören,« sagte St. Clare. »Tom hat natürliche Anlage für Religion. Diesen Morgen wollte ich die Pferde früh heraus haben, und stieg deshalb hinauf zu Tom's Residenz, über den Ställen, und hörte ihn da Betstunde mit sich selbst halten, und in der That, ich habe seit langer Zeit nichts so Herzstärkendes gehört, wie Tom's Gebet. Er verwandte sich für mich mit einem Eifer, der wahrhaft apostolisch war.«
»Vielleicht ahnte er, daß Du horchtest. Ich habe von solchen Kunststücken schon öfter gehört.«
»Wenn er mich vermuthete, so war er jedenfalls sehr unpolitisch; denn er gab dem lieben Gott eine sehr offenherzige Meinung über mich. Tom schien nämlich anzunehmen, daß in mir entschieden noch viel Raum für Besserung sei, und schien sehr eifrig zu wünschen, daß ich besser werden möchte.«
»Ich hoffe, Du wirst es Dir zu Herzen nehmen,« sagte Miß Ophelia.
»Ich glaube beinahe, Du bist stark derselben Meinung,« entgegnete St. Clare. »Gut, wir wollen sehen, — nicht wahr, Eva?«
[S. 106]
Als der Nachmittag heran kam, fand im Quäkerhause eine stille Bewegung Statt. Rachel Halliday schritt leise hin und her, und sammelte aus den Vorrathskammern ihres Haushaltes solche Gegenstände, welche sich, ohne Raum einzunehmen, transportiren ließen, und für die Wanderer von Nutzen waren, welche diese Nacht ihre Reise antreten sollten. Die Nachmittagsschatten begannen sich ostwärts zu strecken, und die runde, rothglühende Sonne stand gedankenvoll am Horizont, und ihre Strahlen warfen ihr gelbes Licht in die stille, kleine Bettkammer, in der Georg und seine Frau saßen. Er hatte sein Kind auf dem Knie, und hielt seines Weibes Hand in der seinigen. Beide schienen in ernsten Betrachtungen begriffen zu sein, und auf ihren Wangen waren Spuren von Thränen sichtbar.
»Ja, Elisa,« sagte Georg, »ich weiß, Alles, was Du sagst, ist wahr. Du bist ein gutes Kind, — viel besser als ich bin; und ich will mir Mühe geben, das zu thun, was Du sagst. Ich will mich bemühen, eines freien Menschen würdig zu handeln, und christliche Gefühle zu hegen. Gott der Allmächtige weiß, daß es immer mein Streben war, — mein eifriges Streben, — gut zu handeln, auch wenn Alles gegen mich war; und nun will ich die ganze Vergangenheit vergessen, und jedes bittere Gefühl unterdrücken, und meine Bibel lesen, und lernen, ein guter Mensch zu sein.«
»Und wenn wir nach Kanada kommen,« sagte Elisa, »kann ich Dir helfen. Ich verstehe das Kleidermachen,[S. 107] und kann feine Wäsche waschen und plätten, und für uns Beide wird sich schon etwas zu leben finden.«
»Ja, Elisa, so lange als wir uns und unser Kind haben. O Elisa! wenn diese Menschen nur wüßten, was für ein beseligendes Gefühl es für einen Mann ist, zu wissen, daß sein Weib und sein Kind ihm angehören! Ich habe mich oft über Menschen gewundert, die ihre Weiber und Kinder ihr eigen nennen konnten, und sich doch um andre Dinge abmühten und abquälten. Ich fühle mich reich und stark, obgleich wir nichts besitzen als unsere leeren Hände. Mir ist, als könne ich Gott kaum noch um etwas bitten. Ja, obgleich ich jeden Tag schwer gearbeitet habe bis zu meinem fünfundzwanzigsten Jahre, so besitze ich doch keinen Cent Geld, und weder ein Dach, das mich schützt, noch ein Stückchen Landes, das ich mein nennen könnte; aber, wenn sie mich jetzt nur in Ruhe lassen, so will ich zufrieden, — dankbar sein; ich will arbeiten, und das Geld für Dich und den Knaben zurücksenden. Was meinen alten Herrn betrifft, so hat er bereits durch mich fünfmal mehr eingenommen, als er je für mich ausgegeben; ihm schulde ich nichts.«
»Aber wir sind noch nicht außer Gefahr,« sagte Elisa, »wir sind noch nicht in Kanada.«
»Das ist wahr,« sagte Georg, »aber mir ist, als wenn ich freie Luft fühlte, — sie macht mich stark.«
In diesem Augenblicke wurden Stimmen in dem anstoßenden Zimmer gehört, die in eifriger Unterredung begriffen waren, und gleich darauf wurde an die Thür gepocht. Elisa stand auf und öffnete sie.
Simeon Halliday war da, und mit ihm ein Quäkerbruder, den er als Phineas Fletcher vorstellte. Phineas war lang, groß und rothhaarig, und trug den Ausdruck großer Schärfe und Schlauheit in seinem Gesichte. Er hatte nicht die gelassene, ruhige, unweltliche Miene Simeon Halliday's, sondern mehr die Erscheinung eines sehr aufgeweckten Mannes, der stolz darauf ist, zu wissen, was[S. 108] er wolle, und mit scharfem Blicke Alles um sich beobachtet: Eigenschaften, welche allerdings sonderbar zu dem breitkrempigen Hute und der breiten, förmlichen Phraseologie des Quäkers paßten.
»Unser Freund Phineas hat Etwas entdeckt, was von Wichtigkeit für Dich und Deine Gefährten ist, Georg,« sagte Simeon; »ich glaube, es ist nöthig, daß Du es hörest.«
»Ja,« sagte Phineas, »das habe ich, und es zeigt, welchen Nutzen es gewährt, wenn ein Mensch an gewissen Oertern stets mit einem Ohre offen schläft. Vorige Nacht blieb ich in einem kleinen, einsamen Wirthshause, ein gutes Stück weit von hier, am Wege. Du entsinnst Dich des Ortes, Simeon, wo wir im vorigen Jahre Aepfel an die dicke Frau mit den großen Ohrringen verkauften. Ich war müde vom langen Fahren, und als ich mit dem Abendbrod fertig war, legte ich mich auf einen Haufen Säcke in der Ecke nieder und zog eine Buffalohaut über mich, um zu warten, bis mein Bett fertig sein würde; und was geschah? — ich schlief fest ein.«
»Mit einem Ohre offen, Phineas?« fragte Simeon ruhig.
»Nein, ich schlief ein paar Stunden lang mit Ohren und Allem, denn ich war sehr müde; allein als ich wieder etwas munter wurde, bemerkte ich, daß inzwischen einige Leute in das Zimmer gekommen waren, die um einen Tisch saßen, und tranken und schwatzten; und ich dachte, ich wollte, ehe ich viel Lärm machte, erst einmal hören, was sie eigentlich vorhatten, um so mehr, als ich sie von Quäkern reden hörte. »»So,«« sagte Einer, »»das ist kein Zweifel, sie sind in der Quäker-Niederlassung.«« Dann horchte ich mit beiden Ohren und vernahm, daß sie gerade von diesen Leuten sprachen. So blieb ich also liegen und hörte sie alle ihre Pläne auseinandersetzen. Dieser junge Mann, sagten sie, solle nach Kentucky zu seinem Herrn zurückgeschickt werden, der ein[S. 109] Beispiel an ihm setzen wolle, um alle Neger vom Entlaufen abzuschrecken; und seine Frau sollten Zwei von ihnen nach New-Orleans hinunterbringen, und für eigene Rechnung verkaufen; und das Kind, sagten sie, gehe zu einem Händler, der es gekauft habe. Sie sagten auch, daß zwei Konstabels in der Stadt nahe bei wären, die ihnen helfen wollten, sie einzufangen; und das junge Frauenzimmer sollte vor einen Richter gebracht werden, und einer von den Burschen, ein kleiner, der so sanft spricht, sollte beschwören, daß sie ihm gehöre, und sie sich ausliefern lassen, um sie nach New-Orleans zu bringen, wo sie sechszehnhundert oder achtzehnhundert Dollars für sie zu bekommen hofften. Sie kannten die Richtung ganz genau, die wir diese Nacht nehmen wollten, und sie werden sechs oder acht Mann stark hinter uns sein. Was ist also nun zu thun?«
Die Gruppe, die sich nach dieser Mittheilung in verschiedenen Stellungen befand, war eines Malers werth. Rachel Halliday, welche ihre Hände aus einem Zwiebacksteige hervorgezogen hatte, um die Neuigkeiten zu hören, stand da, sie in ihrem mehligen Zustande emporgehoben haltend, und drückte die tiefste Besorgniß in ihrem Gesichte aus. Simeon schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein; und Elisa hatte ihre Arme um ihren Mann geschlungen und sah zu ihm auf. Georg stand mit geballten Fäusten und funkelnden Augen da, und sah gerade so aus, wie jeder andere Mann aussehen würde, dessen Weib meistbietend verkauft, und dessen Kind einem Sklavenhändler übergeben werden soll, und zwar unter dem Schutze der Gesetze einer christlichen Nation.
»Was sollen wir thun, Georg?« fragte Elisa angstvoll.
»Ich weiß, was ich thun werde,« entgegnete Georg, indem er in das kleine Zimmer ging und seine Pistolen zu untersuchen begann.
[S. 110]
»Aha,« sagte Phineas, Simeon zunickend, »Du siehst, Simeon, wo das hinaus will.«
»Ich sehe,« entgegnete Simeon seufzend; »und bitte Gott, daß es nicht dahin kommen möge.«
»Ich will Niemanden durch und für mich in Verlegenheit bringen,« sagte Georg. »Wenn Sie mir nur Ihren Wagen leihen und mir die Richtung angeben wollen, so will ich allein bis nach der nächsten Niederlassung fahren. Jim ist stark wie ein Riese, und tapfer wie Tod und Verzweiflung, und ich auch.«
»Das ist ganz gut, Freund,« sagte Phineas, »aber Du wirst doch immer einen Fuhrmann nöthig haben. Es ist mir ganz recht, wenn Du alle das Fechten und Schlagen allein besorgst, aber ich weiß etwas mehr vom Wege als Du.«
»Aber ich will Sie nicht in Verlegenheit bringen,« sagte Georg.
»In Verlegenheit bringen?« entgegnete Phineas, mit einer sonderbaren, sarkastischen Miene. »Freund, so bald Du mich in Verlegenheit bringen wirst, so sag' es mir nur.«
»Phineas ist ein kluger und geschickter Mann,« sagte Simeon. »Du thust wohl, Georg, wenn Du seinem Rathe folgst; und,« fügte er hinzu, seine Hand freundlich auf Georg's Schulter legend, und auf die Pistolen deutend, »sei nicht zu schnell mit diesen da, — junges Blut ist heiß.«
»Ich will Niemanden angreifen,« sagte Georg. »Alles, was ich von diesem Lande verlange, ist, daß man mich im Frieden ziehen lasse, und ich will still und ruhig hinausgehen; aber« — er hielt inne, während seine Stirne finster wie Nacht wurde, und sein Gesicht zu arbeiten anfing, — »ich hatte eine Schwester, die auf jenem Markte von New-Orleans verkauft wurde; — ich weiß, wozu sie dort verkauft werden, — und ich soll dabei stehen und zusehen, wie sie mir mein Weib nehmen[S. 111] und es verkaufen, wenn Gott mir ein Paar starke Arme, sie zu vertheidigen, gegeben hat? Nein, so wahr Gott mir helfe! Ich will kämpfen bis zum letzten Hauche, ehe sie mein Weib und mein Kind nehmen sollen. Können Sie mich deshalb tadeln?«
»Menschen können Dich darum nicht tadeln, Georg. Fleisch und Blut kann nicht anders handeln,« sagte Simeon. »Wehe der Welt der Aergerniß halber; doch wehe denen, durch welche Aergerniß kommt.«
»Würden Sie nicht sogar, Herr, dasselbe in meiner Stelle thun?«
»Ich bete, daß ich nicht in Versuchung fallen möge,« entgegnete Simeon; »das Fleisch ist schwach.«
»Ich denke, mein Fleisch würde in solchem Falle leidlich stark sein,« sagte Phineas, indem er ein Paar Arme wie die Flügel einer Windmühle ausstreckte. »Ich weiß nicht, Freund Georg, ob ich nicht vielleicht einen Burschen für Dich festhalten könnte, wenn Du eine Rechnung mit ihm abzumachen haben solltest.«
»Wenn der Mensch je berechtigt ist, sich dem Uebel zu widersetzen, so darf Georg es jetzt wohl thun; allein die Lehrer unseres Volkes haben uns ein besseres Mittel gezeigt, denn des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. Aber es streitet hart gegen den verderbten Willen des Menschen, und Niemand kann es empfangen, denn die, denen es gegeben ist. Also laßt uns Gott bitten, daß wir nicht in Versuchung fallen.«
»Das will ich auch,« sagte Phineas; »aber wenn wir zu stark versucht werden, — nun, dann laß Jene sich vorsehen.«
»Es ist deutlich erkennbar, daß Du nicht als ein Freund geboren worden bist,« sagte Simeon lächelnd. »Die alte Natur ist noch gewaltig stark in Dir.«
Um die Wahrheit zu sagen, Phineas war ein kräftiger Waldbewohner gewesen, mit zwei derben Fäusten, ein eifriger Jäger und ein gefährlicher Schütze für den[S. 112] Rehbock. Allein, als er sich um die Gunst einer hübschen Quäkerin bewarb, wurde er von der Macht ihrer Reize bewogen, ein Mitglied der in der Nähe wohnenden Brüderschaft zu werden; und obgleich er ein ehrbares, nüchternes, wirksames Mitglied wurde und nichts Besonderes gegen ihn einzuwenden war, so glaubten die geistig höher Stehenden in der Gemeinde doch einen großen Mangel an »Geruch in seiner Erkenntniß« zu bemerken.
»Freund Phineas will immer seine eigenen Wege haben,« sagte Rachel Halliday lächelnd; »aber wir sind dennoch alle der Meinung, daß sein Herz auf dem rechten Flecke ist.«
»Wohl,« sagte Georg, »ist es nicht besser, wir beeilen uns mit unserer Flucht?«
»Ich bin um vier Uhr aufgestanden und in größter Eile hierhergekommen, also wenigstens zwei bis drei Stunden Jenen voraus, wenn sie zu der Zeit aufgebrochen sind, wie sie wollten. Es ist nicht rathsam, vor der Dunkelheit zu gehen, denn in den Dörfern vor uns gibt es manche schlechte Burschen, die geneigt sein könnten, mit uns anzubinden, wenn sie unsern Wagen sehen, und das würde uns länger aufhalten, als wenn wir hier warten; aber in zwei Stunden, denke ich, können wir es wagen. Ich will zu Michael Croß gehen und ihm sagen, daß er uns mit seinem schnellfüßigen Klepper nachkomme und sich auf dem Wege scharf umsehe, und uns ein Zeichen gebe, im Falle er einen Trupp Männer antreffen sollte. Michael hat ein Pferd, das jedes andere Pferd leicht überholt; oder er könnte uns auch einen Schuß zum Zeichen geben, wenn Gefahr eintreten sollte. Ich gehe jetzt zu Jim, um ihm zu sagen, daß er mit der alten Frau bereit sein und nach dem Pferde sehen solle. Wir haben einen guten Vorsprung und alle Aussicht, die Niederlassung eher zu erreichen, als uns Jene einholen können. Also, guten Muth, Freund Georg! Dies ist nicht der erste böse Fall, in dem ich mit den[S. 113] Leuten deines Volkes zu thun gehabt habe,« sagte Phineas, indem er die Thür hinter sich schloß.
»Phineas ist schlau und gewandt,« sagte Simeon. »Er wird das Beste für Dich thun, was geschehen kann, Georg.«
»Was mir nur leid thut,« sagte Georg, »ist die Gefahr, der Sie sich aussetzen.«
»Du wirst uns einen großen Gefallen thun, Freund Georg,« entgegnete Simeon, »wenn Du das nicht mehr erwähnen willst. Was wir thun, befiehlt uns unser Gewissen zu thun; wir können nicht anders. Und nun, Mutter,« fügte er, zu Rachel gewendet, hinzu, »beeile Deine Zubereitungen für diese Freunde, denn wir dürfen sie nicht fastend entlassen.«
Während Rachel und ihre Kinder nunmehr geschäftig waren, Brodkuchen zu backen und Schinken und Hühner zu kochen, und alle et cetera's des Abendessens zu beeilen, saßen Georg und seine Frau in ihrem kleinen Zimmer, mit fest verschlungenen Armen, und in solchem Gespräch begriffen, wie es zwischen Mann und Frau stattfindet, wenn sie wissen, daß sie in wenigen Stunden vielleicht auf ewig von einander getrennt sind.
»Elisa,« sagte Georg, »Menschen, die Freunde und Häuser und Land und Geld und alle diese Dinge haben, können sich einander nicht so lieben, wie wir es thun, die nichts haben, als uns selbst. Ehe ich Dich kannte, Elisa, hatte mich nie ein menschliches Wesen geliebt, ausgenommen meine arme, unglückliche Mutter, und meine Schwester. Ich sah die arme Emilie an dem Morgen, wo sie von dem Händler fortgeschleppt wurde. Sie kam nach der Ecke, wo ich lag und schlief, und sagte: »»Armer Georg, Dein letzter Freund verläßt Dich jetzt. Was wird aus Dir werden, armer Junge?«« Ich sprang auf, und schlang meine Arme um sie, und weinte und schluchzte, und sie weinte mit. Dies waren die letzten freundlichen[S. 114] Worte, die ich in zehn langen Jahren hörte; mein Herz vertrocknete gänzlich, und war wie Asche geworden, als ich Dich fand. Deine Liebe erweckte mich gleichsam von den Todten! Ich bin ein neuer Mensch seitdem geworden! Und nun, Elisa, will ich meinen letzten Blutstropfen hingeben, ehe sie Dich mir entreißen. Wer Dich haben will, muß erst über meinen Leichnam gehen.«
»O Gott sei uns gnädig,« sagte Elisa schluchzend. »Wenn er uns aus diesem Lande glücklich führen wollte, — das ist Alles, um was wir ihn bitten.«
»Ist Gott auf ihrer Seite?« sagte Georg, weniger zu seiner Frau sprechend, als seinen eignen, bittern Betrachtungen folgend. »Sieht er Alles, was sie thun? Weshalb läßt er solche Dinge geschehen? Und sie behaupten, daß die Bibel auf ihrer Seite sei; — ja, alle Gewalt ist auf ihrer Seite. Sie sind reich, gesund und glücklich; sind Mitglieder von Kirchen, und gedenken in den Himmel zu kommen, und gehen so bequem durch die Welt, und haben Alles ganz so, wie sie es wünschen; und arme, ehrliche, treue Christen, — eben so gute, wie sie, und bessere vielleicht, — liegen im Staube unter ihren Füßen. Sie kaufen und verkaufen sie, treiben Handel mit ihrem Herzblut, mit ihren Seufzern und Thränen, — und Gott läßt es geschehen.«
»Freund Georg,« sagte Simeon von der Küche aus zu ihm, »höre diesen Psalm; er wird Dir vielleicht wohlthätig sein.«
Georg zog seinen Sitz bis nahe an die Thür, und Elisa, ihre Thränen trocknend, kam ebenfalls hervor, um zu horchen, während Simeon las wie folgt:
»Ich aber hätte sicher gestrauchelt mit meinen Füßen, mein Tritt hätte beinahe geglitten.
»Denn es verdroß mich auf die Ruhmräthigen, da ich sah, daß es den Gottlosen so wohl ging.
[S. 115]
»Sie sind nicht im Unglück, wie andre Leute, und werden nicht wie andre Menschen geplagt.
»Darum muß ihr Trotzen ein köstliches Ding sein, und ihr Frevel muß wohlgethan heißen.
»Ihre Person brüstet sich wie ein fetter Wanst; sie thun, was sie nur gedenken.
»Sie vernichten Alles, und reden übel davon, und reden und lästern hoch her.
»Darum fällt ihnen der Pöbel zu, und laufen ihnen zu mit Haufen wie Wasser,
»Und sprechen: Was sollte Gott nach jenen fragen? Was sollte der Höchste ihrer achten?«
»Sind das nicht Deine Empfindungen, Georg?« fragte Simeon nach Lesung dieser Verse.
»Sie sind es, in der That,« sagte Georg, »so genau, als wenn ich sie selbst niedergeschrieben hätte.«
»Dann höre weiter,« sagte Simeon, und las:
»Ich gedachte ihm nach, daß ich's begreifen möchte: aber es war mir zu schwer,
»Bis daß ich ging in das Heiligthum Gottes, und merkte auf ihr Ende.
»Aber Du setzest sie auf's Schlüpfrige, und stürzest sie zu Boden.
»Wie ein Traum, wenn Einer erwachet, so machst Du, Herr, ihr Bild in der Stadt verschmähet.
»Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand.
»Du leitest mich bei Deinem Rath, und nimmst mich endlich zu Ehren an.
»Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
»Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil.«
[S. 116]
Die Worte heiligen Vertrauens, die von den Lippen des freundlichen alten Mannes flossen, stahlen sich wie heilige Musik in den gequälten, erhitzten Geist Georg's; und als Jener geendet hatte, saß er da mit dem Ausdrucke von Sanftmuth und Demuth in seinen schönen Zügen.
»Wenn diese Welt Alles wäre, Georg,« sagte Simeon, »so könntest Du allerdings fragen, wo ist der Herr? Aber es sind oft Diejenigen, welche in diesem Leben am allerwenigsten haben, die er für sein Reich auserwählt. Vertraue auf ihn, und was auch immer Dich hier befallen möge, Er wird jenseits Alles gut machen.«
Wenn diese Worte von einem bequemen, selbstzufriedenen Ermahner gekommen wären, in dessen Munde sie als eine bloße rhetorische Redensart hätten gelten können, wie sie Unglücklichen gegenüber so häufig gebraucht werden, so hätten sie vielleicht keine große Wirkung gehabt; allein da sie aus dem Munde eines Mannes flossen, der sich für die heilige Sache Gottes und der Menschen täglich der Gefahr aussetzte, an seinem Gut und seiner Freiheit gestraft zu werden, so hatten sie ein Gewicht, das von jedem empfunden werden mußte, und unsere armen, heimathlosen Flüchtlinge, Georg und Elisa, fühlten deshalb Ruhe und Kraft aus ihnen in ihre Herzen strömen.
Und nun nahm Rachel Elisa freundlich bei der Hand, und führte sie an den Abendtisch. Als Alle darum saßen, wurde ein leises Klopfen an die Thür gehört, und Ruth trat ein.
»Ich bin nur grade hergelaufen,« sagte sie, »um die kleinen Strümpfe hier für den Knaben zu bringen, — drei Paar warme wollene. Es wird sehr kalt sein, verstehst Du, da in Kanada. Hast Du guten Muth, Elisa?« fügte sie hinzu, um den Tisch herum an Elisa's Seite trippelnd, und ihr herzlich die Hand schüttelnd, während sie zugleich in Harry's Hand einen kleinen Kuchen schob.[S. 117] »Ich habe hier ein kleines Packetchen für ihn,« sagte sie, indem sie an ihrer Tasche zupfte und zog, um es hervor zu holen. »Kinder, weißt Du, wollen immer etwas zu essen haben.«
»O, ich danke Ihnen, Sie sind so gütig,« sagte Elisa.
»Komm' Ruth, setz' Dich, und iß etwas mit,« sagte Rachel.
»Ich kann nicht, — unmöglich. Ich habe John mit dem Kinde zu Hause gelassen, und Zwiebacke im Ofen stehen. Ich kann also keinen Augenblick bleiben, sonst verbrennt mir John alle Zwiebacke, und gibt dem Kinde allen Zucker, der in der Schaale ist. So macht er es immer,« sagte die kleine Quäkerin lachend. »Also, leb' wohl, Elisa, leb' wohl, Georg, der Herr gebe Euch eine glückliche Reise!« und nach einigem Trippeln war Ruth aus dem Zimmer verschwunden.
Bald nach dem Essen fuhr ein großer, bedeckter Wagen vor die Hausthür. Die Nacht war sternhell, und Phineas sprang munter von seinem Sitze herab, um seine Passagiere in Ordnung zu bringen. Georg schritt zur Hausthür hinaus mit dem Kinde auf dem einen Arme, und mit seiner Frau am andern. Sein Schritt war fest, sein Gesicht ruhig und entschlossen. Simeon und Rachel folgten hinter ihnen.
»Steigt einen Augenblick heraus,« sagte Phineas zu denen innerhalb des Wagens, »und laßt mich den Rücksitz im Wagen für die Frauenzimmer und das Kind zurecht machen.«
»Hier sind die beiden Buffalohäute,« sagte Rachel. »Mache die Sitze so bequem wie möglich; es greift an, die ganze Nacht zu fahren.«
Jim kam zuerst heraus, und half seiner alten Mutter, die an seinem Arme hing, und sich ängstlich umsah, als wenn sie jeden Augenblick die Verfolger erwarte.
[S. 118]
»Jim, sind Deine Pistolen in Ordnung?« fragte Georg mit leiser, fester Stimme.
»Ja wohl,« entgegnete Jim.
»Und Du bist nicht zweifelhaft darüber, was Du zu thun hast, wenn sie kommen sollten?«
»Ich denke nicht,« sagte Jim, seine breite Brust mit einem tiefen Athemzuge aufwerfend. »Glaubst Du, ich will sie meine arme Mutter mir wieder abnehmen lassen?«
Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatte Elisa von ihrer gütigen Freundin Rachel Abschied genommen, und war von Simeon in den Wagen gehoben worden, wo sie, mit ihrem Kinde auf den Hintersitz kriechend, unter den Buffalohäuten Platz nahm. Die alte Frau wurde nächst ihr hinein befördert, und kam neben ihr zu sitzen, während Georg und Jim ihre Plätze auf einem rohen Brette ihnen gegenüber erhielten, und Phineas den Frontsitz des Wagens bestieg.
»Lebt wohl, meine Freunde,« sagte Simeon von außen.
»Gott segne Euch!« antworteten Alle von innen, und der Wagen fuhr rasselnd und stoßend über den hart gefrorenen Boden fort.
Wegen der Rauhigkeit des Weges und des Gerassels der Räder war keine Unterhaltung möglich. Der Wagen rumpelte deshalb fort durch lange, dunkle Waldwege, — über weite, einsame Ebenen, — bergauf und bergab, — eine Stunde nach der andern. Das Kind fiel bald in Schlaf und lag schwer auf dem Schooße seiner Mutter. Die arme, zitternde alte Frau vergaß zuletzt ihre Furcht; und selbst Elisa fand, als der Morgen graute, alle ihre Besorgnisse unzureichend, um ihre Augen ungeschlossen zu erhalten. Phineas schien der Munterste von der ganzen Gesellschaft zu sein, und suchte sich die Zeit seiner langen Fahrt dadurch zu verkürzen, daß er verschiedene sehr unquäckerische Lieder pfiff.
Gegen vier Uhr Morgens hörte Georg plötzlich[S. 119] deutliche Pferdehufe eiligst hinter ihnen her kommen, und stieß deshalb Phineas an den Ellenbogen. Phineas hielt die Pferde an und horchte.
»Das muß Michael sein,« sagte er; »ich glaube, ich kenne den Klang seines Gallops,« und streckte seinen Kopf weit zurück, um den Weg zu überschauen.
Jetzt wurde ein in größter Eile reitender Mann in einiger Entfernung auf der Spitze eines Hügels dunkel erkennbar.
»Das ist er, glaube ich!« sagte Phineas. Georg und Jim sprangen zum Wagen hinaus, ehe sie wußten, was sie eigentlich thaten. Alle standen im tiefsten Schweigen, während ihre Gesichter dem erwarteten Boten zugewendet waren, der immer näher kam. Jetzt ging sein Lauf in ein Thal hinab, wo sie ihn nicht sehen konnten, aber sie hörten den scharfen, hastigen Hufschlag immer deutlicher werden, bis er endlich auf der Höhe eines Hügels emportauchte und nahe genug war, um angerufen werden zu können.
»Ja, das ist Michael!« sagte Phineas, seine Stimme erhebend. »Holla, hier Michael!«
»Phineas! bist Du es?«
»Ja, was für Nachrichten, — kommen sie?«
»Geraden Wegs hinter mir, acht oder zehn Mann, voll von Brandwein, und fluchen und schäumen wie Wölfe.«
Und während er sprach, trug der Morgenwind ihnen den fernen Schall gallopirender Reiter zu.
»Hinein mit Euch, — schnell, Jungens, hinein!« rief Phineas. »Wenn Ihr einmal fechten müßt, so wartet, bis ich Euch ein Stück weiter gebracht habe.«
Nach diesen Worten sprangen Beide hinein, und Phineas trieb die Pferde an, während der Reiter dicht hinter ihnen folgte. Der Wagen rasselte, sprang und flog beinahe über den hartgefrorenen Boden hin; aber deutlicher und immer deutlicher wurde der Schall der[S. 120] verfolgenden Reiter hörbar. Die Weiber hörten ihn und blickten ängstlich hinaus, und sahen am Rande eines fernen Hügels hinter ihnen einen Trupp Männer gegen den röthlichen Morgenhimmel zum Vorschein kommen. Bald darauf hatten die Verfolger den Wagen entdeckt, dessen weißer Plan ihn in der Entfernung leicht erkennbar machte, und der Wind trug das wilde Gebrüll ihrer Freude zu den Fliehenden hinüber. Elisa war einer Ohnmacht nahe und preßte ihr Kind fester an den Busen; die alte Frau betete und stöhnte und Georg und Jim faßten ihre Pistolen mit verzweiflungsvollem Griffe. Die Verfolger kamen näher und immer näher, als der Wagen plötzlich eine Wendung machte und sie an die Wand eines steil überhängenden Felsens brachte, welcher sich in gewaltigen Massen vereinzelt erhob, während die umliegende Gegend, mit sanfter Abdachung, flach und eben war. Diese isolirte Felswand stieg schwarz und schwerfällig gegen den heller werdenden Himmel auf, und schien den Flüchtigen Schutz und einen Zufluchtsort gewähren zu wollen. Phineas kannte den Ort und die Lokalität aus seiner Jägerzeit her genau, und nur in der Absicht, diesen Punkt zu erreichen, hatte er seine Pferde so stark angetrieben.
»Nun schnell!« rief er, plötzlich seine Pferde anhaltend und von seinem Sitze herab springend. »Heraus mit Euch allen jetzt, blitzschnell, und fort mit mir in die Felsen. Michael, Du bindest Dein Pferd an den Wagen und fährst voraus zu Amariah, und sage ihm, er solle mit seinen Jungen hierher kommen und ein Wort mit den Burschen da reden.«
Im Nu waren Alle aus dem Wagen heraus.
»Kommt,« sagte Phineas, den kleinen Harry auf den Arm nehmend, »Ihr sorgt für die Weiber, und nun schnell, lauft jetzt, wenn Ihr je in Eurem Leben gelaufen seid!«
Es bedurfte keiner besondern Ermahnung. Schneller[S. 121] als wir es sagen können, hatte die ganze Gesellschaft die Umzäunung überstiegen und eilte den Felsen zu, während Michael, der inzwischen vom Pferde gesprungen war und dasselbe an den Wagen befestigt hatte, jetzt in vollem Laufe davon fuhr.
»Vorwärts!« rief Phineas, als sie die Felsen erreichten, und er in gemischtem Lichte der Sterne und der Morgendämmerung die Spuren eines rauhen, aber deutlich ausgetretenen Fußpfades entdeckte, welcher hinauf führte; »das ist eine unserer alten Jagdhöhlen!«
Phineas ging voran, indem er, einer Gemse gleich, von Fels zu Fels mit dem Knaben auf dem Arme sprang. Hinter ihm folgte Jim, der seine bebende, alte Mutter auf der Schulter trug, und Georg und Elisa bildeten den Schluß des Zuges. Während dessen hatten die Reiter die Umzäunung erreicht und stiegen jetzt schreiend und fluchend ab, um ihnen zu folgen. Wenige Sekunden Klettern brachte Jene auf die Höhe der Felsen, wo der Fußpfad einen so engen Paß bildete, daß nur Einer nach dem Andern gehen konnte, bis sie plötzlich an eine Felsspalte von beinahe drei Fuß Breite kamen, an deren gegenüber liegender Seite sich eine neue, abgesonderte Felswand von dreißig Fuß Höhe, und mit steilen, senkrechten Wänden, gleich denen eines Schlosses, erhob. Phineas sprang mit Leichtigkeit über die Felsspalte, und setzte dort den Knaben auf eine ebene, mit weichem, krausem Moose überwachsene Felsplatte nieder.
»Herüber mit Euch! springt jetzt, wenn Ihr je in Eurem Leben gesprungen seid!« rief er, während Einer nach dem Andern den Sprung glücklich vollbrachte. Mehrere Bruchstücke loser Steine bildeten eine Art Brustwehr, welche ihre Stellung gegen Beobachtung von Seiten der unten Befindlichen schützte.
»Also hier wären wir Alle,« sagte Phineas, während er über die steinerne Brustwehr lugte, um die Angreifer[S. 122] zu beobachten, welche lärmend und tobend den Felsweg herauf kamen. »Sie mögen uns fangen, wenn sie können. Wer heran will, muß einzeln durch den Paß da zwischen den beiden Felsen gehen, und ist also in der geraden Richtung Eurer Pistolen, — seht Ihr, Jungens?«
»Ich sehe es,« sagte Georg; »und da dies nun unsere Sache allein ist, so wollen wir auch alle Gefahr übernehmen, und den ganzen Kampf allein bestehen.«
»Ist mir ganz recht, wenn Du es ausfechten willst, Freund Georg,« entgegnete Phineas, »aber Du wirst mir doch den Spaß lassen, zuzuschauen? Sieh' nur, wie die Burschen da unten berathschlagen und hier herauf gucken wie Hennen, wenn sie zu Neste fliegen wollen. Wärs nicht besser, wenn Du ihnen 'nen guten Rath gäbest, ehe sie herauf kommen, und ihnen gelassen sagtest, daß sie todtgeschossen würden, wenn sie's thäten?«
Die Gesellschaft am Fuße des Felsens, welche jetzt im heller werdenden Morgenlichte deutlicher erkennbar wurde, bestand aus unsern alten Freunden Tom Locker und Marks, nebst zwei Konstablern und einer Anzahl liederlicher Bursche, die in der letzten Schenke durch etwas Brandwein geworben worden waren, bei dem interessanten Geschäfte, Nigger einzufangen, hülfreiche Hand zu leisten.
»He, Tom, Eure Affen sind glücklich aufgespürt,« sagte Einer von ihnen.
»Ja, ich sah sie gerade hier hinauf gehen,« erwiederte Tom, »hier ist der Fußweg. Sie können doch nicht Alle mit einem Male 'nunterspringen, und 's wird nicht lange dauern, um sie einzukreisen und herauszuholen.«
»Aber, Tom, sie könnten ja hinter den Felsen hervorschießen,« sagte Marks; — »das wäre unangenehm!«
»Uf!« entgegnete Tom mit höhnischem Lachen, —[S. 123] »Du bist immer für Deine Haut besorgt, Marks! Keine Gefahr hier, Nigger sind zu feig von Natur.«
»Ich weiß nicht, warum ich nicht für meine Haut besorgt sein soll,« sagte Marks; »sie ist das Beste, was ich habe; und Niggers fechten manchmal wie der Teufel.«
In diesem Augenblick erschien Georg auf der Höhe des Felsens über ihnen und sagte, indem er mit ruhiger, deutlicher Stimme sprach:
»Meine Herren, wer sind Sie, dort unten, und was wollen Sie hier?«
»Wir suchen 'ne Partie weggelaufener Nigger,« sagte Tom Locker. »Einen gewissen Georg Harris und Elisa Harris, und ihr Junges, und Jim Selden, und ein altes Weib. Wir haben die Konstabler hier und 'nen Haftsbefehl, und wir wollen sie haben, — versteht Ihr? — He, bist Du nicht selbst Georg Harris, der Mr. Harris in Kentucky gehört?«
»Ich bin Georg Harris. Ein Mr. Harris in Kentucky nannte mich sein Eigenthum; — aber ich bin jetzt ein freier Mensch, stehe auf Gottes freiem Boden und beanspruche mein Weib und mein Kind als mein eigen. Jim und seine Mutter sind auch hier. Wir haben Arme, uns zu vertheidigen, und wir sind fest entschlossen, es zu thun. Ihr mögt herauf kommen, wenn Ihr wollt; aber der Erste von Euch, der in den Bereich unserer Kugeln kommt, ist verloren, und so der nächste und der folgende, bis zum Letzten.«
»Ah, was!« sagte ein kleiner, aufgeblasener Mann hervortretend und sich seine Nase ausschnaubend. »Junger Mann, das ist gar keine Art Gespräch, was sich für Dich paßt. Du siehst, wir sind Konstabler. Wir haben das Gesetz auf unserer Seite, und die Macht, und so weiter; so also thust Du am Besten, Du ergiebst Dich gutwillig, denn endlich mußt Du es doch thun.«
»Ich weiß sehr wohl, daß Ihr das Recht und die[S. 124] Macht auf Eurer Seite habt,« sagte Georg mit bitterem Tone. »Ihr wollt mein Weib nehmen, um es in New-Orleans zu verkaufen, und mein Kind wollt Ihr wie ein Kalb einem Händler überliefern, und Jim's alte Mutter wollt Ihr zu dem viehischen Menschen zurücksenden, der sie gepeitscht und gemißhandelt hat, weil er ihren Sohn nicht mißhandeln konnte. Mich und Jim wollt Ihr zurück schicken, um gepeitscht und gemartert und von den Hacken derjenigen zertreten zu werden, die Ihr unsere Herren nennt; und Eure Gesetze werden Euch darin unterstützen, — was für sie und Euch um so mehr Schande ist! Aber Ihr habt uns noch nicht. Wir erkennen Eure Gesetze nicht an; wir erkennen Euer Land nicht an; wir stehen hier frei unter Gottes Himmel wie Ihr, und bei dem großen Gott, der uns geschaffen hat, wir wollen unsere Freiheit bis zum letzten Blutstropfen vertheidigen!«
Georg's Figur war vollständig sichtbar, als er auf der Höhe des Felsens stand, und diese Unabhängigkeitserklärung machte. Das Morgenlicht warf einen röthlichen Schein auf seine bräunliche Wange, und die innere Erbitterung und Verzweiflung verliehen seinem dunklen Auge Feuer, und als ob er an die Gerechtigkeit Gottes appellire, hob er während des Sprechens seine Hände gen Himmel. Seine Stellung, sein Auge, seine Stimme und die Art und die Weise seines Sprechens hatten auf die unten befindliche Gesellschaft einen momentanen Eindruck gemacht, und sie zum Schweigen gebracht. Es liegt etwas in Kühnheit und Entschlossenheit, was selbst der rohesten Natur eine Zeit lang imponirt. Marks war der Einzige, der ganz unempfänglich dafür blieb. Er spannte wohlbedächtig seine Pistole, und drückte während des momentanen Schweigens, das auf Georgs Rede folgte, auf ihn ab.
»Ihr wißt, Ihr bekommt gerade eben so viel für[S. 125] ihn todt wie lebendig in Kentucky,« sagte er, indem er seine Pistole kaltblütig am Rockärmel abwischte.
Georg sprang zurück, — Elisa stieß einen Schrei aus, die Kugel war dicht an seinem Haar vorüber gestrichen, hatte beinahe die Wange seiner Frau gestreift und war in einen Baum oberhalb gefahren.
»Es ist nichts, Elisa,« sagte Georg schnell.
»Du thätest besser, denen aus dem Gesichte zu gehen mit Deinen vielen Redensarten,« sagte Phineas, »das sind gemeine Banditen.«
»Nun, Jim,« sagte Georg, »sieh' zu, daß Deine Pistolen in Ordnung sind, und passe auf diesen Weg hier mit mir. Auf den Ersten, der sich zeigt, schieße ich; Du nimmst den Zweiten und so fort. Wir dürfen nicht zwei Schüsse auf Einen verschwenden, — verstehst Du?«
»Aber wenn Du nicht triffst?«
»Ich werde treffen,« entgegnete Georg kaltblütig.
»Brav! in dem Burschen steckt 'was!« murmelte Phineas zwischen den Zähnen.
Die Gesellschaft unten stand, nachdem Marks geschossen hatte, einen Augenblick unschlüssig.
»Ich denke, Du mußt Einen getroffen haben,« sagte einer der Männer; — »ich hörte ein Gekreisch.«
»Ich gehe jetzt gerade hinauf, und will mir Einen holen,« sagte Tom; — »habe mich nie vor Niggern gefürchtet, und werde 's jetzt auch nicht thun. Wer folgt mir?« rief er, die Felsen hinaufspringend.
Georg hörte diese Worte deutlich. Er spannte sein Pistol, prüfte es, und richtete es auf den Punkt im Engpasse, wo der erste Mann erscheinen mußte.
Einer der muthigsten von der ganzen Gesellschaft folgte Tom, und nachdem der Weg auf diese Weise eröffnet war, folgte die ganze übrige Gesellschaft die Felsen hinauf, wobei die hinten Gehenden ihre Vorderleute eiliger drängten, als diese aus eigenem Antrieb vorgeschritten[S. 126] sein würden. Einen Augenblick später erschien Tom's aufgedunsene Gestalt beinahe dicht am Rande der Felsspalte.
Georg feuerte und die Kugel traf Tom's Seite; allein, obgleich verwundet, wollte er doch nicht zurückweichen, sondern sprang mit einem gellen Schrei, wie dem eines rasenden Stieres, über den Abgrund auf die drüben Stehenden zu.
»Freund,« sagte Phineas, indem er plötzlich hervortrat, und ihn mit einem kräftigen Stoße seiner langen Arme empfing, »Du bist hier nicht nöthig.«
Nieder in den Abgrund fuhr Tom, durch Baumzweige und Gebüsche brechend und über Stämme und lose Steine rollend, bis er, zerschlagen und stöhnend, dreißig Fuß tief unten lag. Der Fall würde ihn getödtet haben, wenn er nicht dadurch aufgehalten worden wäre, daß seine Kleider an den Zweigen eines starken Baumes hängen blieben.
»Gott sei uns gnädig, das sind wahre Teufel!« sagte Marks, indem er den Rückzug den Felsen hinunter mit bei weitem mehr gutem Willen anführte, als er beim Hinaufsteigen gezeigt hatte, während alle Uebrigen in eiliger Flucht stolpernd hinter ihm drein kamen.
»Hört Leute,« sagte Marks, »Ihr geht hier herum, und hebt Tom auf, während ich nach meinem Pferde laufe, um Hülfe zu holen, — versteht Ihr?« und ohne sich um das Geschrei und die Verhöhnungen zu kümmern, war Marks seinem Worte getreu und gallopirte gleich darauf davon.
»Gab es je solch ein erbärmliches Gewürm?« sagte einer der Männer; — »kommt hierher in Geschäften, und läuft dann davon und läßt uns hier so im Stiche!«
»Was hilfts! wir müssen doch den Kerl aufnehmen,« sagte ein Anderer. »Will verflucht sein, wenn ich 'was darnach frage, ob er todt oder lebendig ist.«
Die Männer, geführt von Tom's Stöhnen, kletterten[S. 127] nun über Wurzeln und Stämme nach dem Orte zu, wo der Held fluchend und stöhnend lag.
»Ihr laßt Euch ziemlich laut hören, Tom,« sagte Einer. »Seid Ihr schwer verwundet?«
»Weiß nicht. Hebt mich auf, — könnt Ihr denn nicht. Der Teufel hole den verfluchten Quäker! Wenn er nicht gewesen wäre, so hätte ich ein Paar von ihnen hier hinunter gestoßen, daß sie hätten sagen können, wie's ihnen gefällt.«
Mit großer Mühe und unter heftigem Stöhnen wurde der gefallene Held aufgerichtet und gestützt unter beiden Armen endlich bis zu den Pferden gebracht.
»Wenn Ihr mich nur eine Meile weit bis nach dem Wirthshause zurückbringen könntet. Gebt mir doch ein Taschentuch oder sonst Etwas, um das verfluchte Bluten zu stillen.«
Georg sah über die Felsen und bemerkte, daß sie bemüht waren, die schwerfällige Gestalt Tom's in den Sattel zu heben. Nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen fing er an zu wanken, und fiel mit seinem ganzen Gewichte auf den Boden nieder.
»O, ich hoffe, er ist nicht todt!« sagte Elisa, die mit der ganzen übrigen Gesellschaft den Hergang beobachtete.
»Warum nicht?« fragte Phineas; — »geschieht ihm recht.«
»Weil nach dem Tode das Gericht kommt,« sagte Elisa.
»Ja,« sagte die alte Frau, die während der ganzen Handlung in ihrer methodistischen Form geseufzt und gebetet hatte, »'s ist erschrecklich für die Seele des armen Menschen.«
»Auf mein Wort, ich glaube, sie lassen ihn liegen!« sagte Phineas.
Er hatte Recht; denn nach einigen Augenblicken anscheinender Unentschlossenheit und Berathung sprangen[S. 128] alle plötzlich in ihre Sättel und ritten davon. Als sie vollständig aus dem Gesicht waren, begann Phineas sich zu regen.
»Wir müssen jetzt hinunter und ein Stück zu Fuß gehen,« sagte er. »Ich trug Michael auf, vorauszufahren, um Hülfe zu holen, und mit dem Wagen zurückzukommen; aber wir werden wohl ein Stück den Weg hinaufgehen müssen, um ihn zu treffen. Gott gebe nur, daß er bald komme! Es ist früh am Tage; jetzt ist noch nicht viel Volk auf der Landstraße und wir sind nur noch zwei Meilen vom Orte entfernt. Wenn der Weg diese Nacht nicht so rauh gewesen wäre, so hätten wir ihnen ganz und gar entgehen können.« Als sich die Gesellschaft der Umzäunung nahte, gewahrten Alle in einiger Entfernung ihren eigenen Wagen in Begleitung mehrerer Reiter auf der Landstraße zurückkommen.
»Hallo, da ist Michael und Stephan und Amariah,« rief Phineas freudig. »Nun sind wir geborgen, — so sicher, als wenn wir schon dort wären.«
»O dann wartet hier einen Augenblick,« sagte Elisa, »und thut Etwas für den armen Menschen. Sein Stöhnen ist schrecklich.«
»Es wäre nicht mehr als christlich,« sagte Georg, »wir wollen ihn aufnehmen und mit uns fortschaffen.«
»Und ihn bei den Quäkern zurecht doktern!« sagte Phineas; »ganz hübsch das! Wohl, ich habe nichts dagegen! — wir wollen ihn uns 'mal ansehen.«
Mit diesen Worten näherte sich ihm Phineas, der während seiner Lebensweise als Jäger und Waldbewohner einige oberflächliche Kenntniß von Chirurgie erlangt hatte, kniete bei dem Verwundeten nieder, und begann eine sorgfältige Untersuchung seines Zustandes.
»Marks,« sagte Tom schwach, »bist Du es, Marks?«
»Ich glaube nicht, Freund,« entgegnete Phineas. »Marks frägt viel nach Dir, wenn seine eigene Haut in Sicherheit ist; — ist fort, schon lange.«
[S. 129]
»Ich glaube, 's ist aus mit mir,« sagte Tom. »Der verfluchte, feige Hund, — mich hier allein zu lassen, wenn ich sterbe! Meine arme alte Mutter hat mir's immer vorher gesagt, daß es so kommen würde!«
»Gottes willen! just hört nur die arme Seele. Er hat 'ne Mammy,« sagte die alte Negerin. »Ich kann nicht anders, er thut mir leid!«
»Sachte, sachte! — knurre und beiße nicht, Freund,« sagte Phineas, als Tom um sich schlug und seine Hand wegstieß. »Es ist keine Hoffnung für Dich, wenn ich nicht das Blut stille.«
Während Phineas sich sodann bemühte, einen vorläufigen Verband mit seinem eigenen Taschentuche und denen, die sich bei den übrigen vorfanden, anzulegen, sagte Tom schwach:
»Ihr habt mich da hinunter gestoßen.«
»Ja, sieh, Freund, wenn ich's nicht gethan hätte, so hättest Du uns hinunter gestoßen,« sagte Phineas, während er seinen Verband anlegte. »Hier, hier, — laß mich das befestigen. Wir meinen's gut mit Dir, — haben keine Bosheit gegen Dich. Du sollst nach einem Hause gebracht werden, wo sie Dich auf's Beste pflegen, — so gut, wie es Deine eigne Mutter nur könnte.«
Tom stöhnte und schloß seine Augen. Bei Menschen seines Schlages hängen Kraft und Entschlossenheit nur von physischen Beschaffenheiten ab, und schwinden mit dem ausströmenden Blute. Der gigantische Mensch sah in seiner Hülflosigkeit wirklich bemitleidenswerth aus.
Nunmehr wurden die Sitze aus dem Wagen herausgenommen, die Büffelhäute wurden vierdoppelt zusammengelegt, und längs der einen Seite des Wagens ausgebreitet, worauf vier Männer mit großer Anstrengung den schweren Körper Tom's hineinhoben. Ehe dies ausgeführt wurde, versank er in eine vollständige Ohnmacht. Die alte Negerin im Ueberflusse ihres Mitleids setzte sich[S. 130] auf den Boden des Wagens nieder und nahm seinen Kopf in ihren Schooß. Elisa, Georg und Jim ließen sich in dem noch übrigen Raume des Wagens nieder, wie es ging, und die Reise ging weiter.
»Was haltet Ihr von seinem Zustande?« fragte Georg, der neben Phineas auf dem vordersten Sitze saß.
»Es ist nur eine tiefe Fleischwunde; aber das Herunterfallen da in die Tiefe hat ihn freilich nicht besser gemacht. Er hat ziemlich viel Blut verloren, — und Muth und Alles mit, — aber er wird's überstehen und vielleicht lernt er 'was dabei.«
»Es ist mir lieb, daß Du das sagst,« entgegnete Georg. »Es würde mir immer ein quälender Gedanke gewesen sein, wenn ich seinen Tod veranlaßt hätte, selbst in einer gerechten Sache.«
»Ja,« sagte Phineas, »tödten ist eine häßliche Operation, — gleichviel ob Mensch oder Thier. Ich bin zu meiner Zeit ein großer Jäger gewesen, und ich sage Dir, ich habe manches Mal einen Rehbock gesehen, wenn er niedergeschossen und im Verenden war, der Einen mit seinem Auge so anblickte, daß man's wirklich für 'ne Sünde hält, ihn geschossen zu haben; und menschliche Geschöpfe haben noch viel mehr zu bedeuten, denn, wie Deine Frau sagt, nach dem Tode kommt das Gericht.«
»Was gedenkst Du mit dem armen Menschen zu thun?« fragte Georg.
»O, zu Amariah bringen. Da ist die alte Großmutter Stephens, — Dorcas nennen sie sie, — das ist 'ne erstaunliche Krankenwärterin. Ihr ist es ganz natürlich geworden, und sie ist nie zufriedener, als wenn sie irgend einen kranken Körper zu pflegen hat. Wir können darauf rechnen, daß wir ihn ihr für vierzehn Tage oder so lassen müssen.«
Etwa eine Stunde später langte die ganze Gesellschaft vor einem reinlichen Farmhause an, wo die ermüdeten Reisenden zu einem reichlichen Frühstück empfangen[S. 131] wurden. Tom Locker befand sich sehr bald in ein reinlicheres und weicheres Bett niedergelegt, als er je zuvor zu benutzen gepflegt hatte. Seine Wunde war sorgfältig verbunden worden, und er lag nun da, seine Augen in völliger Mattigkeit vor den weißen Fenstervorhängen und den im Krankenzimmer leise hin und her gleitenden Personen abwechselnd öffnend und schließend. Und hier wollen wir für jetzt von dieser Gesellschaft Abschied nehmen.
Unser Freund Tom verglich oft in seinen stillen Betrachtungen sein glücklicheres Loos in der Sklaverei, in der er sich befand, mit der Josephs in Egypten; und wirklich nahm dieser Vergleich im Laufe der Zeit, während er seine Eigenschaften unter dem Auge seines Herrn mehr und mehr entwickelte, an Stärke zu.
St. Clare war träge und sorglos in der Verwaltung seines Geldes. Bisher waren die Geschäfte des Einkaufens der Lebensmittel und Vorräthe größtentheils durch Adolph besorgt worden, der eben so nachlässig und ausschweifend wie sein Herr war; und von Beiden war der Prozeß des Verschwendens mit großer Lebhaftigkeit betrieben worden. Seit vielen Jahren daran gewöhnt, das Eigenthum seines Herrn als sein eigenes anzusehen, hatte Tom die im Hause fortlaufende Verschwendung mit kaum zu unterdrückendem Unmuthe angesehen, und sich sogar zuweilen in der ihm eigenthümlichen ruhigen Art und[S. 132] Weise Bemerkungen erlaubt. St. Clare beschäftigte ihn anfangs in diesem Zweige nur gelegentlich; allein als er allmählig seinen gesunden Verstand und seine Brauchbarkeit in Geschäften erkannte, vertraute er ihm mehr und mehr an, bis ihm allmählig sämmtliche für die Familie zu machenden Einkäufe übertragen wurden.
»Nein, nein, Adolph,« sagte St. Clare eines Tages, als Ersterer sich dagegen sträubte, daß ihm die bisher genossene Macht entzogen werden solle; »laß Tom zufrieden. Du verstehst nur, was Du brauchst; Tom aber berechnet genauer und besser; und das Geld könnte leicht einmal gänzlich aufhören, wenn kein Einziger da ist, der das Geschäft besorgt.«
Indem Tom das unbegrenzte Vertrauen eines Herrn genoß, der ihm Geldanweisungen einhändigte, ohne sich deren Betrag zu merken und das zurück zu empfangende Geld einsteckte, ohne es zu prüfen, bot sich ihm jede mögliche Versuchung zur Unehrlichkeit dar; und nichts als die unbesiegbare Einfachheit seines Sinnes, gestärkt durch den christlichen Glauben, bewahrte ihn davor. Allein für diesen Sinn war gerade das in ihn gesetzte Vertrauen ein genügendes Motiv, die strengste Genauigkeit zu beobachten.
Mit Adolph war der Fall anders gewesen. Leichtsinnig und seinen Neigungen ergeben, und in nichts beschränkt durch einen Herrn, der es leichter fand, nachsichtig zu sein als strenge Ordnung zu erhalten, war er in eine totale Verwechslung des meum tuum mit Rücksicht auf sich selbst und seinen Herrn verfallen, so daß selbst St. Clare dadurch zuweilen in Verlegenheit gesetzt wurde. Der gesunde Verstand des Letzteren sagte ihm zwar, daß eine solche Behandlungsweise seiner Dienstboten ungerecht und gefährlich sei, und chronische Gewissensbisse verfolgten ihn dann überall; allein diese waren nicht stark genug, um eine durchgreifende Aenderung zu bewirken, und trugen am Ende nur dazu bei, ihn in seine Nachsicht[S. 133] und Sorglosigkeit zurücksinken zu lassen. Er ging leicht über die schwersten Vergehen hinweg, weil er sich selbst sagte, daß wenn er seine Schuldigkeit gethan hätte, die von ihm abhängigen Personen in derartige Fehler nicht verfallen sein würden.
Tom betrachtete seinen hübschen, fröhlichen, leichtsinnigen, jungen Herrn mit einem aus Treue, Ehrfurcht und väterlicher Besorgniß sonderbar gemischten Gefühle. Daß er nie die Bibel las, nie in die Kirche ging; daß er sich über Alles, was in den Bereich seines Witzes kam, lustig machte; daß er Sonntags seine Abende in der Oper oder im Theater zubrachte; daß er Weingesellschaften, Clubs und Abendessen öfter besuchte, als es wohlgethan sein konnte, — waren Dinge, die Tom eben so gut sehen konnte wie jeder Andere, und auf die er die Ueberzeugung gründete, daß »Master kein Christ sei;« — eine Ueberzeugung, die er jedoch Niemanden mitgetheilt haben würde, und die er nur zum Gegenstand zahlreicher Gebete in seiner eigenen einfachen Weise machte, wenn er in seinem kleinen Schlafgemache allein war. Es soll damit keineswegs gesagt werden, daß Tom nicht seine eigne Art und Weise hatte, seine Meinung auszusprechen, und zwar mit dem Takte, der zuweilen unter Leuten seiner Klasse gefunden wird. Zum Beispiel, am Tage nach dem von uns beschriebenen Sabbath war St. Clare in einer heitern Gesellschaft ausgesuchter Geister gewesen, und wurde zwischen ein und zwei Uhr in der Nacht in einem Zustande nach Hause geführt, in welchem das Physische ganz augenscheinlich die Oberhand über das Geistige gewonnen hatte. Tom und Adolph waren behülflich, ihn zur Ruhe zu bringen: Letzterer in munterster Laune, augenscheinlich die ganze Sache als einen guten Spaß ansehend, und herzlich über Toms bäurischen Schrecken lachend, der in der That einfältig genug war, den ganzen übrigen Theil der Nacht wachend zuzubringen, um für seinen jungen Herrn zu beten.
[S. 134]
»Nun, Tom, worauf wartest Du noch?« sagte St. Clare am folgenden Morgen, als er im Schlafrock und Pantoffeln in seinem Zimmer saß, und Tom so eben Geld zu verschiedenen Aufträgen eingehändigt hatte. »Ist nicht Alles richtig?« fügte er hinzu, als Tom noch immer wartend dastand.
»Master, ich fürchte — nicht,« sagte Ton, mit ernstem Gesichte.
»Wie so, Tom, was ist's? Du siehst ja so feierlich aus wie ein Leichenwagen.«
»Mir ist nicht wohl zu Muthe, Master. Ich habe immer gedacht, daß Master gegen Jeden gut sein wolle —«
»Nun, Tom, bin ich denn das nicht gewesen? Komm, sprich, was ist's? was willst Du? Hast Du irgend etwas nicht erhalten, und ist dies die Vorrede dazu?«
»Master ist immer gut gegen mich gewesen; — habe mich über nichts zu beklagen. Aber da ist Einer, gegen den Master nicht gut ist.«
»Wie Tom, was fällt Dir ein? Sprich heraus, was meinst Du?«
»Vorige Nacht zwischen ein und zwei Uhr fiel mir das ein. Ich dachte dann drüber nach. Master ist nicht gut gegen sich selbst.«
Tom sagte dies, während er seinem Herrn den Rücken zuwendete und die Thürklinke bereits in den Händen hielt. St. Clare fühlte sein Gesicht feuerroth werden, aber lachte.
»O, ist das Alles?« sagte er heiter.
»Alles!« sagte Tom, sich plötzlich umwendend und auf seine Kniee fallend. »O mein lieber junger Master! Ich fürchte, es wird Alles zu Grunde richten, — Alles — Leib und Seele. Das gute Buch sagt: »»er beißt wie eine Schlange und sticht wie eine Otter,«« mein lieber Master!«
Toms Stimme stockte und Thränen rannen über seine Wangen.
[S. 135]
»Armer Narr!« sagte St. Clare, während ihm die Thränen in die Augen traten. »Steh' auf, Tom, — ich bin's nicht werth, daß über mich geweint werde.«
Aber Tom wollte nicht aufstehen und sah ihn bittend an.
»Laß gut sein, Tom, ich will nie wieder nach den verdammten Orten gehen,« sagte St. Clare, — »nie wieder, mein Wort darauf. Ich weiß nicht, warum ich's nicht längst aufgegeben habe. Ich habe immer die ganze Sippschaft verachtet, und mich dazu, daß ich hinging, — also nun, Tom, trockne Deine Augen und geh' Deinen Geschäften nach. — Schon gut, schon gut, nur keine Segenswünsche jetzt; ich bin nicht so außerordentlich gut,« fügte er hinzu, während er Tom sanft nach der Thüre drängte. »Ich verpfände Dir meine Ehre, Tom, daß Du mich so nicht wieder siehst!« sagte er, worauf Tom, seine Augen trocknend, mit großer Beruhigung sich entfernte.
»Und ich will ihm mein Wort halten!« sagte St. Clare zu sich selbst, während er die Thür zumachte.
Und er hielt es, — denn grobe Sinneslust war keine seiner Natur eigenthümliche Versuchung.
Allein wer kann alle das Trübsal schildern, das unsere Freundin Miß Ophelia befiel, nachdem sie die Verwaltung und Leitung eines südlichen Haushaltes übernommen hatte.
Unter den Dienstboten des Südens herrschten alle möglichen Verschiedenheiten der Welt, die in der Regel von dem Charakter und den Fähigkeiten der Herrinnen abhängig sind, von denen sie erzogen worden. Im Süden sowohl wie im Norden gibt es Frauen, welche ein besonderes Talent des Befehlens und einen besonderen Takt in der Erziehungsweise haben. Diese sind im Stande, mit Leichtigkeit und ohne besondere Strenge die verschiedenen Mitglieder ihres kleinen Staates ihrem Willen zu unterwerfen und sie alle zu einer harmonischen,[S. 136] systematischen Ordnung unter einander zu verbinden. Eine solche Frau war Mrs. Shelby, die wir bereits geschildert haben, und unsere Leser werden deren vielleicht Mehrere kennen gelernt haben. Allein Marie St. Clare gehörte nicht zu dieser Klasse, und ebenso wenig hatte ihre Mutter dazu gehört. Träge und kindisch, unsystematisch und unvorsichtig, war es nicht anders zu erwarten, als daß die von ihr erzogenen Dienstboten eben so waren; und sie hatte die in der ganzen Wirthschaft herrschende Verwirrung Miß Ophelien ziemlich treu geschildert, obgleich sie dieselbe nicht ihrer wahren Ursache zugeschrieben hatte.
An dem ersten Morgen nach Uebernahme der Herrschaft stand Miß Ophelia bereits um vier Uhr auf, und nachdem sie zuvörderst ihr eigenes Zimmer in gehörige Ordnung gebracht hatte, was sie, zum großen Erstaunen der Stubenmagd, stets seit dem Tage ihrer Ankunft gethan, bereitete sie einen wirksamen Angriff auf die verschiedenen Schränke und sonstigen Behältnisse vor, zu denen sie die Schlüssel trug.
Die Vorrathskammer, das Leinwandlager, der Porcellanschrank, die Küche und der Keller, Alles wurde an diesem Tage einer strengen Untersuchung unterworfen, und lange verborgene Dinge der Finsterniß wurden auf solche Weise an's Tageslicht gebracht, daß alle Würdenträger der Küche und Kammer dadurch in lebhafte Unruhe geriethen, und vielfaches Staunen und Murmeln über »diese nördlichen Damen« im Domestiken-Kabinette Statt fand.
Die alte Dinah, die erste Köchin und Hauptperson im ganzen Küchendepartement, war mit großem Unwillen über das erfüllt, was sie als eine Beeinträchtigung ihrer Vorrechte ansah. Kein Baron des alten Feudalwesens zur Zeit der Magna Charta hätte einen Eingriff der Krone mit tieferem Groll erdulden können.
Dinah war ein eigenthümlicher Charakter, und es[S. 137] wäre ungerecht gegen ihr Andenken, wenn wir dem Leser nicht eine kurze Schilderung von ihr geben wollten. Sie war eine geborene und geschickte Köchin, so gut wie Tante Chloë; allein Chloë war für ihren Beruf gebildet worden, und deshalb methodisch, während Dinah ein selbstgebildetes Genie, und daher rechthaberisch, eingebildet und unordentlich im höchsten Grade war. Aehnlich einer gewissen Klasse moderner Philosophen, verachtete sie jede Art von Logik und Vernunftgründen, und verschanzte sich hinter einer positiven Gewißheit, in der sie unbezwinglich war. Kein Talent, keine Autorität, keine Vorstellung vermochte sie je davon zu überzeugen, daß irgend ein anderer Weg als ihr eigener besser sein könne, oder daß die von ihr in der unbedeutendsten Angelegenheit befolgte Art und Weise irgendwie geändert werden könne. Es war dies zwischen ihr und ihrer vormaligen Mistreß, Marien's Mutter, ein abgemachter Punkt gewesen; und »Miß Marie«, wie Dinah ihre junge Mistreß selbst nach ihrer Verheirathung zu nennen fortfuhr, hatte es bequemer gefunden, nachzugeben, als zu streiten; und auf diese Weise hatte Dinah vollständige Herrschaft erlangt. Es wurde ihr dies um so leichter, als sie eine vollendete Meisterin in jener diplomatischen Kunst war, die äußerste Unterwürfigkeit im Wesen mit der unbiegsamsten Beharrlichkeit in dem zu verfolgenden Zwecke zu vereinigen. Außerdem war Dinah Meisterin in der Kunst, Entschuldigungsgründe jeder Art aufzufinden. Es war in der That bei ihr Grundsatz, daß eine Köchin nie Unrecht haben könne; und eine Köchin in den Küchen des Südens findet leicht eine überflüssige Zahl von Köpfen und Schultern, auf die sie jede Sünde, jedes Versehen laden kann, um ihre eigene Unbeflecktheit zu bewahren. Wenn irgend ein Theil des Mittagessens mißrathen war, so gab es fünfzig unbestreitbare, gute Gründe dafür, und es war ganz unzweifelhaft lediglich[S. 138] die Schuld von fünfzig anderen Personen, die Dinah mit dem schonungslosesten Eifer anklagte.
Allein es geschah selten, daß Dinah's Zubereitungen gänzlich verunglückten. Obgleich ihre ganze Verfahrungsart im höchsten Grade umständlich und ohne jede Berechnung von Zeit und Ort war, — obgleich ihre Küche gewöhnlich so aussah, als wenn ein Sturmwind durchgeweht hätte, und sie für jedes Küchengeräth ebenso viel Plätze hatte, als Tage im Jahre waren, — so sandte sie dennoch, wenn man geduldig warten konnte, bis ihre rechte Zeit kam, ein Mittagessen in vollständigster Ordnung aus ihrer Küche heraus, und in einer Zubereitung, an der selbst ein Epikuräer nichts auszusetzen haben konnte.
Es war jetzt gerade die Zeit, um die Vorbereitungen zum Mittagessen zu beginnen. Dinah, welche große Zwischenräume von Ruhe und Ueberlegung bedurfte, und Behaglichkeit in allen ihren Verrichtungen liebte, saß auf dem Fußboden der Küche und rauchte aus einer kurzen Pfeife, der sie sehr ergeben war, und deren sie sich stets als einer Art Räucherfasses bediente, sobald sie das Bedürfniß einer Inspiration für ihre Anordnungen fühlte. Um sie herum saßen verschiedene Mitglieder eines aufkeimenden Geschlechts, an dem jeder südliche Haushalt in der Regel Ueberfluß hat, theils beschäftigt, Bohnen auszuhülsen, theils Kartoffeln zu schälen, oder Geflügel zu rupfen, während Dinah von Zeit zu Zeit ihre Betrachtungen dadurch unterbrach, daß sie dem einen oder dem andern der jungen Arbeiter bald einen Stoß und bald einen Schlag an den Kopf mit der an ihrer Seite stets bereit liegenden Puddingkelle versetzte. Dinah herrschte in der That über alle wolligen Häupter der jüngeren Mitglieder mit eiserner Ruthe, und schien sie als zu keinem andern Zwecke geboren anzusehen, als um »ihr dienstbar zu sein«, wie sie sich auszudrücken pflegte. Es war der Geist des Systemes, unter dem sie aufgewachsen[S. 139] war, und sie führte dasselbe in seiner vollsten Ausdehnung aus.
Miß Ophelia, nachdem sie auf ihrer Reformationsreise durch alle übrigen Abtheilungen des Haushaltes gegangen war, betrat jetzt die Küche. Dinah hatte bereits aus verschiedenen Quellen erfahren, was im Werke war, und deshalb fest beschlossen, sich auf defensivem und conservativem Boden zu erhalten, und jeder neuen Maßregel ohne sichtbaren Streit und Widerstand hemmend entgegen zu treten.
Die Küche war ein weites, mit Ziegelsteinen gepflastertes Gemach, an dessen einer Seite sich ein großer, langer Heerd erstreckte, dessen Wegschaffung St. Clare vergeblich von Dinah zu erlangen versucht hatte, um an seine Stelle einen modernen, eisernen Kochofen zu setzen. Sie gab ihre Einwilligung dazu nicht. Als St. Clare aus dem Norden zurückgekehrt war, hatte er nach dem Bilde der im Hause seines Onkels vorgefundenen Ordnung und Einrichtung der Küche verschiedene Schränke und andere Behältnisse in seiner eigenen anbringen lassen, um dadurch eine systematischere Ordnung einzuführen, und in der sanguinischen Hoffnung, daß dieselben von Nutzen für Dinah in ihren Einrichtungen sein würden. Er hätte sie ebenso gut für ein Eichkätzchen oder eine Elster bestimmen können; denn je mehr Kasten und Schränke vorhanden waren, desto mehr Schlupfwinkel standen Dinah zu Gebot, um alte Lumpen, Kämme, alte Schuhe, Bänder, abgelegte künstliche Blumen und andere werthvolle Gegenstände, an denen ihre Seele hing, darin aufzubewahren.
Als Miß Ophelia in die Küche trat, erhob sich Dinah nicht, sondern rauchte in erhabener Ruhe fort, und beobachtete ihre Bewegungen nur mittelst eines schielenden Blickes aus der einen Ecke ihres Auges, während sie scheinbar die um sie herum vorgehenden Beschäftigungen beobachtete.
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Miß Ophelia begann damit, eine in der Küche befindliche Kommode zu öffnen.
»Wozu ist diese Kommode bestimmt, Dinah?« fragte sie.
»Für Alles, Missis,« entgegnete Dinah.
So schien es; denn von den verschiedenartigen Artikeln, die sie enthielt, zog Miß Ophelia zunächst ein damastenes, mit Blut beflecktes Tischtuch hervor, welches augenscheinlich dazu benutzt worden war, rohes Fleisch einzuwickeln.
»Was ist das, Dinah? Du wickelst doch nicht Fleisch in die besten Tischtücher Deiner Mistreß ein?«
»O Herr, nein, Missis, — es waren gerade keine andere Tücher da, und so that ich es. Ich legte 's nur dahin, daß es gewaschen werden sollte, — deshalb.«
»Unordnung!« sagte Miß Ophelia zu sich selbst, während sie fortfuhr, die Kommode umzurühren, wo sie dann ein Reibeisen für Muskatennüsse, zwei oder drei Nüsse, ein methodistisches Gesangbuch, ein Strickzeug mit Garn, ein Papier mit Tabak, eine Pfeife, zwei vergoldete Porcellantassen mit Pommade darin, verschiedene alte Schuhe, ein Stück Flanell, sorgfältig zusammengesteckt, mit einigen weißen Zwiebeln darin, mehrere damastene Servietten, einige grobe Küchenhandtücher, Stopfnadeln und Zwirn, und verschiedene durchbrochene Stücke Papier mit Küchenkräutern vorfand, die sich in der Kommode verbreiteten.
»Wo bewahrst Du Deine Muskatennüsse auf, Dinah?« sagte Miß Ophelia mit einer Miene, die das Ende ihrer Geduld verrieth.
»Wo es ist, Missis; — hier sind ein paar, in der zerbrochenen Theetasse, und da welche in dem Schranke.«
»Hier sind einige in dem Reibeisen,« sagte Miß Ophelia, sie emporhaltend.
»O ja, — hab' sie da heut früh hin gethan, — habe gern meine Sachen bei der Hand,« sagte Dinah.[S. 141] »Du, Jake, warum thust Du nichts? Du wirst es kriegen! — Still da!« fügte sie mit einer merklichen Handbewegung nach dem Verbrecher hinzu.
»Was ist dies?« fragte Miß Ophelia, eine Tasse mit Pommade emporhaltend.
»O mein Gott, 's ist mein Haarfett; — hab's dahin gethan, um 's bei der Hand zu haben.«
»Gebrauchst Du die besten Tassen Deiner Mistreß zu diesem Zwecke?«
»O Missis, — war in solcher Eile, — gejagt, — wollt's heut noch wegthun.«
»Hier sind zwei damastene Servietten.«
»Die Servietten — die hab' ich da hingethan, — sollten nächster Gelegenheit gewaschen werden.«
»Hast Du denn keinen andern Ort zur Aufbewahrung derjenigen Stücke, welche gewaschen werden sollen?«
»Ja, Master hat den Kasten da machen lassen dazu,« sagte sie, »aber ich mache gern Zwieback drauf, und habe meine Sachen da; und dann ist es so umständlich, immer den Deckel aufzuheben.«
»Warum machst Du nicht Deinen Zwieback auf dem Backtische dort, der dazu bestimmt ist?«
»O Missis, der steht so voll von Geschirr, und Tellern, und Allem, da ist ja kein Platz nie —«
»Aber warum wäschest Du Dein Geschirr nie, und schaffest es bei Seite?«
»Mein Geschirr waschen!« sagte Dinah in einem hohen Tone, während ihr Zorn rege zu werden begann, und sie ihre gewöhnliche Unterwürfigkeit im Benehmen vergessen ließ; — »was verstehen Damen von Arbeit, möchte ich wissen? — Wenn soll denn Master sein Essen bekommen, wenn ich die ganze Zeit Geschirr waschen und wegschaffen soll? Miß Marie hat mir nie so 'was gesagt.«
»Was machen denn diese Zwiebeln hier?« fragte Ophelia weiter, das Stück Flanell hervorziehend.
[S. 142]
»Sieh! sieh! ja!« sagte Dinah, »da ist's, wo ich sie hingelegt habe; — konnte mich nicht drauf besinnen. Grade diese Zwiebeln hatte ich aufgehoben für dies Schmorfleisch hier, — hatte ganz vergessen, daß sie da in dem Flanell waren.«
Miß Ophelia hob das Stückchen Papier mit den Küchenkräutern auf.
»O, wenn Missis das doch nicht anfassen wollte! — habe meine Sachen gern alle an ihrem Platze, daß ich weiß, wo ich sie finden kann,« sagte Dinah in etwas entschiedenem Tone.
»Aber wozu sind denn diese Löcher im Papiere?« fragte Ophelia.
»O, die sind bequem, um zu sieben,« entgegnete Dinah.
»Aber es fällt ja Alles heraus über die ganze Kommode, siehst Du denn nicht?«
»O Herr, ja! wenn Missis Alles umkehrt, muß es. Missis hat die Hälfte ausgeschüttet,« erwiederte Dinah, ärgerlich an die Kommode tretend. »Wenn Missis nur hinaufgehen und warten will, bis meine Zeit kommt, wo ich Alles putze, dann wird schon Alles in Ordnung sein; — kann aber nichts thun, wenn Damen um mich herum sind, und mich hindern. Du, Sam! — daß Du mir nicht Jemmy die Zuckerschale gibst, oder ich gebe Dir eins über den Kopf!«
»Ich gehe jetzt durch die Küche, um Alles ein für allemal in Ordnung zu bringen, Dinah, und werde dann erwarten, daß Du es in Ordnung erhältst.«
»Nun, aber, Miß Phelia, das sind gar keine Sachen für Damen, — habe nie Damen so 'was thun sehen; — meine alte Missis und Miß Marie thaten's nie; — und sehe auch gar nicht ein, wozu es gut ist,« entgegnete Dinah, unwillig in der Küche auf- und abschreitend, während Miß Ophelia Teller aufsuchte und aufschichtete, Dutzende von herumstehenden Zuckerschalen[S. 143] in ein Behältniß leerte, Servietten, Tischtücher, Handtücher zum Waschen aussuchte, und Alles mit ihren eignen Händen, und mit einer Geschwindigkeit und einem Eifer in Ordnung brachte, die Dinah in vollständiges Staunen versetzten.
»Gott steh' mir bei! wenn's die Damen da in Norden so machen, na, dann sind's keine Damen,« sagte sie zu einem ihrer Satelliten, als sie sich in angemessener Entfernung von Ophelia befand. »Habe Alles in Ordnung wie Eine, wenn meine Putzzeit kommt, — brauche keine Damen hier herum, die Einen nur hindern, und die Sachen alle hinpacken, wo kein Mensch sie wieder finden kann.«
Um Dinah Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß erwähnt werden, daß sie von Zeit zu Zeit, zu ungewissen Perioden, Paroxismen für Reformation und Ordnung bekam, die sie »Putzzeit« nannte, wo sie sodann mit großem Eifer begann, jeden Kasten und jeden Schrank umzukehren, und den Inhalt auf den Fußboden oder die Tische umher zu werfen, und dadurch die Unordnung noch siebenfach zu vergrößern. Dann pflegte sie ihre Pfeife anzuzünden, und behaglich alle neuen Anordnungen vorzunehmen, die Gegenstände zu überschauen und zu besprechen, die ganze jüngere Brut mit dem Blankputzen der Zinnartikel eifrigst zu beschäftigen, und mehrere Stunden lang die denkbarste Confusion im Gange zu erhalten, welche sie als genügende Antwort auf alle Fragen als ihre »Putzzeit« bezeichnete. »»Sie könne die Sachen nicht mehr so fortgehen lassen, und wolle das jüngere Volk lehren, bessere Ordnung zu halten,«« pflegte sie zu sagen; denn Dinah gab sich gern der Täuschung hin, daß sie selbst die Seele aller Ordnung sei, und daß es nur das junge Volk und alle die Andern im Hause seien, die daran Mangel litten. Wenn alles Zinn gehörig gescheuert, und die Tische schneeweiß abgerieben worden waren, und Alles, was etwa Anstoß hätte geben können,[S. 144] in Löchern und Ecken seinen Platz gefunden hatte, pflegte Dinah ein sauberes Kleid anzuziehen, eine weiße Schürze vorzubinden, und einen hohen, prachtvollen Turban aufzusetzen, und dem sich umhertreibenden jüngeren Volke die Weisung zu geben, sich aus der Küche entfernt zu halten, weil sie Alles in guter Ordnung erhalten wolle. Diese periodischen Anfälle wurden in der That häufig dem ganzen Haushalte lästig; denn Dinah pflegte dann eine solche Vorliebe für ihr blank gescheuertes Zinn zu gewinnen, daß sie darauf zu bestehen versuchte, daß es überhaupt nie wieder zu irgend einem Zwecke benutzt werden solle, — wenigstens so lange bis der Eifer ihrer »Putzzeit« nachgelassen hatte.
In wenigen Tagen reformirte Miß Ophelia jede Abtheilung des ganzen Haushaltes in ein systematisches Muster; allein ihre Bemühungen in allen denjenigen Abtheilungen, welche von der Mitwirkung der Dienstboten abhängig waren, glichen den Arbeiten des Sisyphus und der Danaïden. In voller Verzweiflung wandte sie sich eines Tages an St. Clare.
»Es ist eine positive Unmöglichkeit, auch nur entfernte Ordnung in diesem Haushalte herzustellen,« sagte sie.
»Ohne Zweifel,« entgegnete St. Clare.
»Solches zwecklose Treiben, solche Verschwendung, solche Unordnung habe ich nie in meinem Leben gesehen.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Du würdest nicht so gleichgültig dabei sein, wenn Du selbst die Verwaltung zu führen hättest.«
»Meine liebe Cousine, Du mußt wissen, ein für allemal, daß wir Herren in zwei Klassen zu theilen sind, die Unterdrücker und die Unterdrückten. Wir, die wir von Natur gutmüthig sind und Härte verabscheuen, sind darauf gefaßt, viel Unannehmlichkeiten ertragen zu müssen. Wenn wir, unsrer Bequemlichkeit halber, lässige, lockere, unwissende Leute um uns haben wollen, so müssen wir die Folgen davon tragen. Ich kenne einige[S. 145] seltene Fälle von Personen, die mittelst eines besonderen Taktes, ohne Anwendung von Strenge, systematische Ordnung haben erhalten können; allein ich gehöre nicht zu diesen, — und so habe ich mich schon seit langer Zeit darin ergeben, die Sachen so gehen zu lassen, wie sie gehen. Ich will die armen Teufel nicht peitschen und in Stücke hauen lassen, und sie wissen es, — und haben deshalb das Heft in ihren Händen.«
»Aber nie Zeit, Ort und Ordnung zu haben, — Alles in dieser zwecklosen Weise fortgehen zu lassen?«
»Meine liebe Vermont, Ihr Eingebornen des Nordpols legt einen außerordentlichen Werth auf die Zeit! Aber sage mir, von welchem Werthe ist die Zeit für einen Menschen, der doppelt so viel hat, als er auszufüllen weiß? Und was Ordnung und Pünktlichkeit betrifft, von welchem Interesse ist es für denjenigen, der nichts weiter zu thun hat, als auf dem Sopha zu liegen und zu lesen, ob er sein Frühstück und sein Mittagessen eine Stunde früher oder später bekommt. Sieh, Dinah bereitet Dir ein vortreffliches Essen, Suppe, Ragout, Geflügel, Dessert, und Alles, — und schafft das Alles in dem Chaos ihrer finsteren Küche. Die Art und Weise, in der sie das möglich macht, scheint mir wirklich großartig. Aber der Himmel bewahre uns! wenn wir hinunter gehen wollen, und alle das Rauchen und die Wirthschaft der Vorbereitungen dazu mit ansehen, so würden wir nie wieder etwas essen wollen! Meine gute Cousine, mache Dir darüber keine Scrupel mehr! Es würde mehr als eine katholische Bußübung sein, und zu nichts nützen. Du wirst nur die Geduld verlieren, und Dinah ganz verwirrt machen. Laß sie ihren eignen Weg gehen.«
»Aber, Augustin, Du weißt nicht, in welchem Zustande ich dort Alles vorfand.«
»Warum denn nicht? Warum soll ich denn nicht wissen, daß die Mangel unter dem Bette liegt, und das[S. 146] Reibeisen mit dem Tabak zusammen in ihrer Tasche steckt; — daß da fünf und sechszig verschiedene Zuckerschalen zu finden sind, in jeder Ecke des Hauses eine, — und daß sie heut die Teller mit einem damastenen Tischtuche abwäscht, und morgen mit einem Fetzen eines alten Unterrockes? Aber das Resultat ist, daß sie uns bloß vortreffliches Essen auf den Tisch schickt, und superben Kaffe bereitet; und Du mußt sie beurtheilen, wie Krieger und Staatsmänner beurtheilt werden, — nach dem Erfolge.«
»Aber die Verschwendung, — die Ausgaben.«
»Was das betrifft, so verschließe Alles, und bewahre den Schlüssel. Gib nur in kleinen Quantitäten aus, und bekümmere Dich um alles Uebrige nicht, — ist es nicht das Beste?«
»Etwas beunruhigt mich, Augustin. Ich kann mir nicht anders denken, als daß diese Dienstboten nicht streng ehrlich sind. Glaubst Du dessen gewiß zu sein?«
Augustin brach in ein unmäßiges Lachen über das ernste besorgte Gesicht aus, mit dem Miß Ophelia diese Frage stellte.
»O Cousine, das ist zu gut! — ehrlich! — als wenn das überhaupt zu erwarten wäre! Ehrlich! — natürlich, das sind sie nicht. Weshalb sollten sie es sein? Was in aller Welt hätte sie dazu machen können?«
»Warum unterrichtest Du sie nicht?«
»Unterrichten! Possen. Worin sollte ich sie unterrichten? Ich sehe ganz danach aus. Marie hätte zwar Geist genug, das ist wahr, eine ganze Plantage umbringen zu lassen; aber die Betrügerei würde sie doch nicht aus ihnen herausbringen.«
»Gibt es denn gar keine Ehrlichen?«
»Dann und wann Einen, den die Natur so unerschütterlich treu und aufrichtig geschaffen hat, daß auch der nachtheiligste Einfluß ihn nicht verderben kann. Allein, sieh, von der Mutterbrust an sieht und fühlt das[S. 147] farbige Kind, daß ihm keine anderen Wege offen stehen, als Schleichwege. Es kann auf keine andere Weise mit seinen Eltern, seiner Mistreß, seinem jungen Master, und seiner jungen Miß fertig werden. List und Betrug werden nothwendige, unvermeidliche Gewohnheiten. Es wäre nicht gerecht, etwas Anderes zu erwarten. Der Sklave sollte dafür nicht bestraft werden. Er wird in einem so abhängigen, halb kindischen Zustande erhalten, daß er die Rechte des Eigenthums nie verstehen und unterscheiden, oder begreifen lernt, daß das Vermögen seines Herrn nicht sein eignes ist, sobald er es erlangen kann. Ich, meines Theils, sehe nicht ein, wie Sklaven ehrlich sein können. Solch' ein Mensch wie Tom — ist ein moralisches Wunder.«
»Und was wird aus ihren Seelen?« fragte Ophelia.
»Das ist nicht meine Sache, so viel ich weiß,« entgegnete St. Clare. »Ich spreche nur von den Verhältnissen dieses Lebens. Es wird ziemlich allgemein angenommen zu unserer Bequemlichkeit in diesem Leben, daß das ganze Geschlecht dem Teufel anheim falle; aber Gott weiß, was in jener Welt geschehen wird.«
»Das ist wirklich schrecklich!« sagte Miß Ophelia. »Ihr solltet Euch schämen!«
»Ich wüßte nicht weshalb. Wir sind wenigstens in ziemlich guter Gesellschaft,« sagte St. Clare, »wie Leute auf der breiten Landstraße gewöhnlich sind. Betrachte die hohen und niederen Stände in der ganzen Welt, und Du findest überall dieselbe Geschichte, — findest überall, daß die unteren Stände Körper, Geist und Seele zum Nutzen und Frommen der oberen aufopfern müssen. Es ist so in England, es ist überall so; und dennoch ist die ganze Christenheit mit tugendhaftem Unwillen erfüllt, weil wir dasselbe in etwas andrer Form thun als Jene.«
»Es ist nicht so in Vermont.«
»Ah freilich, in Neu-England und den Vereinigten[S. 148] Staaten seid ihr uns voraus, das gestehe ich zu. Aber da wird eben die Glocke gezogen; also, Cousine, laß uns für einige Zeit unsere Meinungsverschiedenheiten bei Seite legen, und komm' mit mir zum Mittagessen.«
Als Miß Ophelia sich einige Stunden später in der Küche befand, riefen plötzlich einige der schwarzen Kinder: »Da! da! Prue kommt und grunzt, wie sie immer thut.«
Ein großes, starkknochiges Weib trat gleich darauf in die Küche, und trug einen Korb mit Zwieback und heißen Wecken auf dem Kopfe.
»Ho, Prue, bist Du da!« sagte Dinah.
Prue hatte einen besonders finsteren Gesichtsausdruck und einen brummenden, mürrischen Ton der Stimme. Sie setzte ihren Korb auf den Boden, kauerte sich selbst nieder, indem sie ihre Ellbogen auf die Knie stützte, und sagte:
»O Herr, ich wollte, ich wäre todt!«
»Weshalb wünschest Du Dir den Tod?« fragte Ophelia.
»Dann wär' ich mein Elend los,« sagte das Weib mürrisch, ohne ihre Augen vom Boden aufzuschlagen.
»Wozu hast Du denn nöthig, Dich zu betrinken, und Dich auspeitschen zu lassen, Prue?« sagte ein geputztes, farbiges Kammermädchen, während es mit einem Paar Korallen-Ohrringen spielte.
Das Weib warf einen finsteren Blick auf das Mädchen.
»Vielleicht kommst Du auch noch dahin; — sollte mich freuen, wenn ich's sähe. Dann würdest Du froh sein, einen Tropfen zu haben, wie ich, um Dein Elend zu vergessen.«
»Komm', Prue,« sagte Dinah, »zeige uns Deine Zwiebacke. Hier, Missis wird dafür bezahlen.«
Miß Ophelia nahm einige Dutzend.
»Da sind noch einige Marken in dem alten Topfe[S. 149] da, oben auf dem Schranke. Hier, Jake, klettere hinauf und hole sie herunter.«
»Marken, — wozu sind die?« fragte Miß Ophelia.
»Wir kaufen die Marken von ihrem Master, und sie gibt uns Brod für.«
»Und wenn ich zu Hause komme, dann zählen sie mein Geld und die Marken, ob's richtig ist; und wenn's nicht ist, so bringen sie mich halb um.«
»Geschieht Dir recht,« sagte Jane, das schmucke Kammermädchen, »wenn Du ihr Geld nimmst, um Dich zu betrinken. Das thut sie immer, Missis.«
»Und das will ich thun, — ich kann nicht anders leben, — trinken und mein Elend vergessen.«
»Du bist sehr schlecht und sehr thöricht,« sagte Miß Ophelia, »das Geld Deines Herrn zu stehlen, um Dich zu einem Vieh zu machen.«
»Kann sein, Missis; aber ich will es thun, — ja, ich will. O Herr, ich wollte, ich wäre todt — ich wäre todt und mein Elend los!« und langsam und steif erhob sich das alte Geschöpf und setzte den Korb wieder auf den Kopf; allein ehe sie hinausging, blickte sie noch einmal nach dem Mulattenmädchen um, das noch immer mit seinen Ohrringen spielte.
»Denkst, Du bist wunderschön mit den Dingern da, wenn Du Deinen Kopf drehst und alle Welt stolz angaffst. Na, schadet nichts, — kannst auch noch so ein armes, altes, zerpeitschtes Weib werden, wie ich. Hoffe zu Gott, Du wirst, und dann sieh' zu, ob Du nicht trinkst — trinkst — trinkst — bis Du zur Hölle fährst; und geschieht Dir recht, — uff!« sagte das Weib mit boshaftem Lachen und verließ die Küche.
»Ekelhaftes altes Mensch!« sagte Adolph, der in die Küche gekommen war, um Barbierwasser für seinen Herrn zu holen. »Wenn ich ihr Master wäre, so wollte ich sie noch ganz anders peitschen.«
»Das könntest Du nicht, nicht möglich,« sagte Dinah.[S. 150] »Ihr Rücken sieht jetzt schon hübsch aus, — sie kann kein Kleid mehr drüber zumachen.«
»Ich denke, solchen niedrigen Geschöpfen sollte gar nicht erlaubt sein, in anständige Häuser zu kommen. Was meinen Sie, Mr. St. Clare?« sagte Miß Jane zu Adolph, indem sie ihren Kopf coquettirend zurückwarf.
Es muß bemerkt werden, daß, außer andern Zueignungen aus dem Eigenthume seines Herrn, Adolph auch seinen Namen angenommen hatte und unter diesem sich in allen farbigen Zirkeln New-Orleans's bewegte.
»Ich bin entschieden Ihrer Meinung, Miß Benoir,« entgegnete Adolph.
Benoir war der Geburtsname Marie St. Clare's und Jane eine der ihr zugehörigen Sklavinnen.
»Bitte, Miß Benoir, darf ich mir die Frage erlauben, ob diese Ohrringe für den Ball morgen Abend bestimmt sind? Sie sind wirklich bezaubernd schön!«
»Ich muß mich wundern, Mr. St. Clare, wie weit die Unverschämtheit der Männer geht!« erwiederte Jane, indem sie ihren hübschen Kopf zurückwarf, bis die Ohrringe von Neuem klangen. »Ich werde den ganzen Abend nicht mit Ihnen tanzen, wenn Sie noch mehr solche Fragen thun.«
»O, Sie könnten doch so grausam nicht sein! Ich starb grade vor Verlangen zu wissen, ob Sie morgen in Ihrem blaßrothen Kleide erscheinen werden,« sagte Adolph.
»Was gibt's?« rief Rosa, eine hübsche, pikante kleine Mulattin, die gerade in diesem Augenblicke die Treppe herunter gehüpft kam.
»O, Mr. St. Clare ist so unverschämt!«
»Auf meine Ehre,« sagte Adolph, »nun, Miß Roll soll entscheiden.«
»O ich weiß, er ist immer sehr verwegen,« bemerkte Rosa, während sie sich auf einem ihrer kleinen Füße[S. 151] wiegte und ihn boshaft anblickte. »Er macht mich immer so ärgerlich.«
»O, meine Damen, Sie wollen jedenfalls mein Herz brechen,« sagte Adolph. »Man wird mich eines schönen Morgens in meinem Bette todt finden, und Sie werden dafür verantwortlich sein.«
»Nun höre einer den schrecklichen Menschen reden!« riefen beide Damen mit unmäßigem Gelächter.
»Ihr da, macht fort! — kann Euren Lärm und Eure Narrheiten hier nicht haben in der Küche,« rief Dinah.
»Tante Dinah ist brummisch, weil sie nicht auf den Ball gehen kann,« sagte Rosa.
»Brauche Eure weißfarbigen Bälle nicht,« entgegnete Dinah; — »springen 'rum und thun gerade, als wenn sie weiße Leute wären. Seid doch nichts anderes als Niggers, so gut wie ich.«
»Tante Dinah beschmiert alle Tage ihre Wolle mit Pomade, damit sie glatt liegen soll,« sagte Jane.
»Und 's bleibt doch Wolle,« fügte Rosa hinzu, während sie boshaft ihre langen, seidenen Locken niederfallen ließ.
»Vor dem Herrn ist Wolle so gut wie Haar, alle Zeit!« sagte Dinah. »Möchte wohl von Missis hören, was mehr werth ist, — so ein Paar wie Ihr seid, oder ich allein. Packt Euch fort, Plunder, — will Euch hier nicht mehr haben!«
Die Unterhaltung wurde hier auf zwiefache Weise unterbrochen. St. Clare's Stimme ließ sich auf der Treppe vernehmen und fragte Adolph, ob er mit dem Rasirwasser die ganze Nacht in der Küche zu bleiben gedenke; und Miß Ophelia kam aus dem Eßzimmer und sagte:
»Jane und Rosa, weshalb verbringt Ihr Eure Zeit hier? Geht an Eure Näherei und arbeitet!«
Unser Freund Tom, welcher die Unterhaltung mit[S. 152] der Zwiebacksfrau in der Küche mitangehört hatte, war ihr auf die Straße gefolgt. Er sah sie vor sich hergehen und hörte sie in kurzen Pausen tiefe, unterdrückte Seufzer ausstoßen. Endlich setzte sie ihren Korb auf einen Thürtritt nieder und begann das alte Tuch, welches ihre Schultern bedeckte, in Ordnung zu bringen.
»Ich will Deinen Korb ein Stück weiter tragen,« sagte Tom mitleidig.
»Warum?« sagte das Weib; — »brauche keine Hülfe.«
»Du scheinst krank zu sein,« sagte Tom.
»Bin nicht krank,« entgegnete das Weib kurz.
»Ich wollte,« sagte Tom, indem er die Frau ernsthaft ansah, — »ich wollte, ich könnte Dich überreden, das Trinken zu lassen. Weißt Du denn nicht, daß es Dich zu Grunde richtet, Körper und Geist?«
»Weiß, daß ich in die Hölle gehe,« sagte das Weib finster. »Du brauchst mir das nicht zu sagen; — bin häßlich, — bin schlecht, — gehe grade zu in die Hölle. O Herr, ich wollte, ich wäre da!«
Tom schauderte bei diesen schrecklichen Worten, die mit einem finsteren, leidenschaftlichen Ernste gesprochen wurden.
»O, Gott sei Dir gnädig, armes Geschöpf! Hast Du denn nie von Jesus Christus gehört?«
»Jesus Christus, — wer ist das?«
»Es ist der Herr,« entgegnete Tom.
»Ich glaube, ich habe von ihm reden gehört, von dem Herrn, und von Gericht und Hölle. — Habe davon gehört.«
»Aber hat Dir denn Jemand von dem Herrn Jesus erzählt, der uns arme Sünder liebte und für uns starb?«
»Weiß nichts davon,« sagte das Weib; — »kein Mensch hat mich geliebt, seit mein alter Mann todt ist.«
»Wo bist Du denn aufgebracht worden?« fragte Tom.
[S. 153]
»Oben, in Kentucky. Ein Mann hielt mich da, um Kinder zu bringen und aufzuziehen für den Markt, die er dann verkaufte, so wie sie groß genug waren. Zuletzt verkaufte er mich auch an einen Händler, und mein Master nahm mich von ihm.«
»Was brachte Dich denn zu dieser schlechten Gewohnheit, zu trinken?« fragte Tom weiter.
»Um mein Elend zu vergessen. Ich hatte ein Kind, nachdem ich hierher kam, und dachte, ich würde wenigstens eins aufzuziehen haben, weil Master kein Händler war. Es war ein munteres kleines Ding, und Missis schien anfangs große Stücke drauf zu halten; — es schrie nie, es war gesund und fett. Aber Missis wurde krank und ich mußte sie warten; und ich bekam das Fieber und meine Milch hörte auf, und das Wurm magerte ab zu Haut und Knochen, weil Missis keine Milch kaufen wollte. Sie wollte mich nicht hören, wenn ich ihr sagte, daß ich keine Milch hätte. Sie sagte, sie wüßte, daß ich's damit füttern könnte, was andere Leute äßen; und das Kind wurde immer elender, und schrie, und schrie, und schrie Tag und Nacht, und Missis wurde ärgerlich drauf und sagte, es wäre nichts als Bosheit. Sie wünschte, es wäre todt, sagte sie, und wollte nicht zugeben, daß ich's des Nachts bei mir haben sollte, weil es mich nicht schlafen ließe, sagte sie, und mich zu nichts nütze machte. Ich mußte dann in ihrer Stube schlafen, und mußte das Kind in eine kleine Bodenkammer thun und da schrie es sich eine Nacht zu Tode. Das that's, — und dann fing ich an zu trinken, um mir das Schreien aus den Ohren zu bringen. So ist's, — und ich will trinken! ich will — und wenn ich in die Hölle dafür muß!«
»O Du armes Geschöpf!« sagte Tom, »hat Dir denn Niemand erzählt, wie unser Herr Jesus Christus Dich liebt und für Dich gestorben ist? Hat Dir Niemand[S. 154] gesagt, daß Er Dir helfen will, und daß Du in den Himmel gehen kannst, und endlich Ruhe haben?«
»Sehe ganz so aus, wie in den Himmel kommen,« sagte das Weib. »Kommen da nicht die weißen Menschen hin? Glaube, die würden mich da gern haben. Nein, will ich lieber in die Hölle, — fort von Master und Missis, — so ist's besser!« sagte sie, während sie mit ihrem gewöhnlichen Stöhnen aufstand, den Korb auf den Kopf setzte und mürrisch fort ging.
Tom wandte sich um und ging traurig nach dem Hause zurück. Im Hofe traf er die kleine Eva, mit einem Kranz von Tuberosen auf dem Kopfe und vor Freude strahlenden Augen.
»O Tom, da bist Du ja! Ich bin froh, daß ich Dich gefunden habe. Papa sagt, du kannst die Ponys aus dem Stalle nehmen und meinen kleinen neuen Wagen anspannen,« sagte sie, nach seiner Hand greifend. »Aber was ist Dir denn, Tom? — Du siehst ja so ernst aus.«
»Mir ist nicht wohl zu Muthe, Miß Eva,« sagte Tom traurig. »Aber ich will die Pferde herausholen.«
»Nein, Tom, sage mir erst, was es ist. Ich sah Dich mit der bösen alten Prue sprechen.«
Tom erzählte Eva in seiner schlichten, ernsten Weise die Geschichte des Weibes. Sie ließ weder Ausrufungen hören, noch verwunderte sie sich, oder weinte, wie andre Kinder thun. Aber ihre Wangen wurden bleich, und ein tiefer, schattiger Ernst legte sich über ihre Augen. Sie drückte beide Hände auf ihren Busen und seufzte tief.
[S. 155]
(Fortsetzung.)
»Tom, Du brauchst die Pferde nicht herauszuholen, ich will nicht fahren,« sagte Eva.
»Warum nicht, Miß Eva?«
»Diese Dinge sinken mir so in's Herz,« sagte Eva, — »so tief in's Herz,« wiederholte sie lebhaft. »Ich will nicht fahren;« und sie wandte sich um und ging in's Haus.
Wenige Tage später kam an Prue's Stelle eine andre Frau, um Zwiebacke zu bringen, während Miß Ophelia in der Küche anwesend war.
»Mein Gott!« sagte Dinah, »wo ist denn Prue?«
»Prue kommt nicht mehr,« sagte die Frau.
»Warum nicht?« fragte Dinah. »Sie ist doch nicht todt?«
»Weiß nicht genau; — sie ist unten im Keller,« entgegnete die Frau, mit einem Seitenblicke auf Ophelia.
Nachdem Miß Ophelia die gewöhnliche Anzahl Zwiebacke genommen hatte, folgte Dinah dem Weibe bis vor die Thür.
»Was ist aus Prue geworden, — was ist's?« fragte sie.
Die Frau schien sprechen zu wollen, aber sich zu fürchten, und sagte endlich in leisem, geheimnißvollem Tone:
»Wohl, aber Du mußt Niemanden davon sagen. Prue, sie hatte sich wieder betrunken, — und da haben sie sie in den Keller gebracht, — und da den ganzen Tag[S. 156] gelassen, — und ich hörte sagen, daß die Fliegen schon an ihr wären, — sie ist todt!«
Dinah hob vor Entsetzen ihre Hände auf, und als sie sich umwandte, gewahrte sie an ihrer Seite die geisterartige Gestalt Eva's stehen, aus deren großen, tiefen Augen der Schrecken sprach, und aus deren Wangen und Lippen jeder Blutstropfe gewichen war.
»Gott sei uns gnädig! Miß Eva wird ohnmächtig! Daß wir sie auch solche Sachen hören lassen! Ihr Papa wird wahnsinnig werden!«
»Ich werde nicht ohnmächtig, Dinah,« sagte das Kind mit fester Stimme, »und warum sollte ich's denn nicht hören? Es ist ja nicht für mich so viel, es zu hören, wie für die arme Prue, es zu leiden.«
»Gottes willen! 's ist gar nichts für so zarte, junge Damen, wie Sie sind, — diese Geschichten nicht; 's ist genug, Einen umzubringen.«
Eva seufzte wieder tief und ging langsam und traurig die Treppe hinauf.
Miß Ophelia erkundigte sich eifrig nach dem Schicksale der Frau; worauf Dinah eine sehr geschwätzige Uebersetzung derselben lieferte, zu der Tom hinzufügte, was er an jenem Morgen aus ihrem eignen Munde gehört hatte.
»Eine abscheuliche Geschichte, — wirklich fürchterlich!« rief sie, als sie in das Zimmer trat, wo St. Clare, auf dem Sopha liegend, die Zeitung las.
»Nun, was für eine Schlechtigkeit ist denn schon wieder begangen worden?« sagte er.
»Was? nun, jene Menschen haben das arme Weib, Prue, zu Tode gepeitscht!« sagte Miß Ophelia, während sie das Gehörte, mit starker Hervorhebung aller Einzelheiten, erzählte.
»Ich habe 's mir immer gedacht, daß es einmal so enden würde,« sagte St. Clare, während er fortfuhr, die Zeitung zu lesen.
[S. 157]
»Immer gedacht! — willst Du denn nichts in der Sache thun?« fragte Miß Ophelia. »Ist denn keine Obrigkeit hier, um solche Sachen zu untersuchen?«
»Es wird gewöhnlich angenommen, daß das Interesse des eigenen Eigenthums eine genügende Garantie in solchen Fällen sei. Wenn Leute ihr eigenes Besitzthum zu Grunde richten wollen, so weiß ich wirklich nicht, was da zu thun ist. Es scheint, das arme Geschöpf hatte die Laster des Stehlens und Trinkens und deshalb ist schwache Hoffnung vorhanden, irgendwo Sympathie für sie erwecken zu können.«
»Es ist wirklich empörend, — es ist schrecklich, Augustin! Es muß Gottes Rache auf Dich herabrufen!«
»Meine liebe Cousine, ich habe es ja nicht gethan, und ich kann es nicht ändern; — könnte ich, so würde ich es thun. Wenn niedrige, viehische Seelen so handeln wollen, was soll ich thun? Sie haben vollständige Gewalt, und sind Despoten ohne Verantwortung. Jede Einmischung würde vergeblich sein, denn es existirt kein praktisch anwendbares Gesetz für solche Fälle. Das Beste, was wir thun können, ist, unsere Augen und Ohren zu schließen und uns nicht darum zu bekümmern. Das ist der einzige Weg, der uns bleibt.«
»Wie kannst Du Deine Augen und Ohren schließen wollen? Wie kannst Du um solche Sachen unbekümmert bleiben wollen?«
»Mein liebes Kind, was verlangst Du von mir? Hier ist eine ganze Klasse von Wesen, — unerzogen, träg, verderbt, — ohne Beschränkungen und Bedingungen in die Macht solcher Menschen gegeben, die so sind, wie der größere Theil der Welt ist, die weder Rücksichten noch Mäßigung kennen, und nicht einmal ihr eigenes Interesse richtig zu beurtheilen wissen; — denn das ist der Fall bei der größeren Hälfte aller lebenden Menschen. Was kann nun ein Mann, der bessere menschliche Empfindungen hat, in einer auf diese Weise organisirten bürgerlichen[S. 158] Gesellschaft anders thun, als seine Augen schließen und sein Herz hart werden lassen? Ich kann nicht jeden Elenden und Unglücklichen kaufen, den ich sehe. Ich kann kein fahrender Ritter werden, um jeden einzelnen Akt von Ungerechtigkeit in einer Stadt wie diese zu verhindern. Alles, was ich thun kann, ist, derartigen Dingen möglichst aus dem Wege zu gehen.«
St. Clare's schönes Gesicht war einen Augenblick finster; er schien empfindlich erregt; aber schnell wieder ein heiteres Lächeln annehmend, fügte er hinzu:
»Komm, Cousine, stehe nicht da wie eine der Schicksalsgöttinnen; Du hast nur einen flüchtigen Blick durch den Vorhang gethan, fast nur ein Beispiel dessen gesehen, was in einer oder der andern Gestalt auf der ganzen Erde vorgeht. Wenn wir alles Elend des Lebens untersuchen und prüfen wollten, so würden wir am Ende für nichts mehr ein Herz haben. Es ist gerade eben so, als wenn Du zu genau in die Einzelheiten von Dinah's Küche blickst,« sagte St. Clare, während er sich zurücklegte und seine Zeitung wieder aufnahm.
Miß Ophelia setzte sich nieder, zog ihr Strickzeug hervor und begann mit Aerger und Unwillen daran zu arbeiten.
»Augustin, ich sage Dir, ich kann über diese Dinge nicht so hingehen wie Du,« begann sie nach einiger Zeit wieder. »Es ist ganz abscheulich von Dir, ein solches System zu vertheidigen; — das ist meine Meinung!«
»Was nun?« sagte St. Clare aufblickend. »Fängst Du von Neuem davon an?«
»Ich sage, es ist ganz abscheulich von Dir, ein solches System zu vertheidigen!« erwiederte Ophelia mit zunehmender Wärme.
»Ich — vertheidigen? Wer hat je behauptet, daß ich es vertheidige?« sagte St. Clare.
»Natürlich vertheidigst Du es, — Ihr thut es alle[S. 159] hier im Süden. Weshalb haltet Ihr Sklaven, wenn Ihr es nicht thut?«
»Bist Du denn noch so unschuldig zu glauben, daß Niemand in der Welt jemals Etwas thut, was er nicht für recht hält? Thust Du oder hast Du nie Etwas gethan, was Du nicht für streng recht hieltest?«
»Wenn ich es thue, so bereue ich es, hoffe ich,« entgegnete Miß Ophelia, während sie mit ihren Nadeln eifrig fortrasselte.
»Das thue ich auch,« sagte St. Clare, eine Orange abschälend, »ich bereue es unaufhörlich.«
»Weshalb fährst Du denn aber dann damit fort?«
»Hast Du denn niemals dasselbe wieder gethan, meine gute Cousine, was Du bereut hast?«
»Nur, wenn die Versuchung für mich zu stark war,« sagte Miß Ophelia.
»Siehst Du, das ist gerade bei mir der Fall, die Versuchung ist für mich zu stark,« erwiederte St. Clare, »das ist die Schwierigkeit.«
»Aber ich nehme mir jedes Mal vor, es nicht wieder zu thun, und ich gebe mir Mühe, es zu unterlassen.«
»Gut, ich habe 's mir seit zehn Jahren immer und immer wieder vorgenommen,« sagte St. Clare, »aber ich weiß nicht, es ist nie ganz dahin gekommen. Bist Du, liebe Cousine, von allen Deinen Sünden rein geworden?«
»Cousin Augustin,« sagte Miß Ophelia ernsthaft, indem sie ihr Strickzeug niederlegte, »ich weiß, daß ich Deinen Tadel meiner Schwächen wohl verdiene. Ich weiß, daß Alles, was Du sagst, nur zu wahr ist, — Niemand fühlt das mehr als ich; aber dennoch glaube ich, daß zwischen Dir und mir einiger Unterschied vorhanden ist. Ich würde mir lieber meine rechte Hand abhauen lassen, als Tag für Tag mit dem fortfahren, was ich für unrecht halte. Allein meine Handlungsweise ist[S. 160] freilich so wenig übereinstimmend mit meinen Grundsätzen, daß ich mich über Deinen Tadel nicht wundere.«
»O Cousine,« sagte Augustin, indem er sich auf den Fußboden vor sie setzte, und seinen Kopf rückwärts in ihren Schooß legte, »ich bitte Dich, fange nur nicht an, die Sache so schrecklich ernsthaft zu nehmen! Du weißt ja, was ich immer für ein Taugenichts, für ein ungezogener Junge gewesen bin. Ich will Dich ja nur necken, — das ist Alles, — um zu sehen, wie Du ernsthaft wirst. Ich weiß ja, Du bist zum Verzweifeln gut; — es ist mir peinlich, nur dran zu denken.«
»Aber es ist ein ernster Gegenstand, mein August,« sagte Miß Ophelia, ihre Hand auf seine Stirne legend.
»Schrecklich ernst,« entgegnete er, »und ich — ach ich kann nie ernsthaft reden, wenn es so heiß ist. Die Fliegen und alles das lassen einen Menschen gar nicht zu einer moralischen Höhe der Gefühle gelangen; — und ich glaube wahrhaftig,« fügte er, plötzlich aufstehend, hinzu, »das ist eine richtige Theorie! Ich sehe jetzt deutlich ein, weshalb ihr nördlichen Völker immer tugendhafter seid als die südlichen, — jetzt ist mir Alles klar.«
»O August, Du bist ein Wirbelkopf!«
»Wirklich? Wohl, mag sein; aber jetzt will ich einmal ernsthaft reden; — aber Du mußt mir den Korb mit Orangen dort geben, wenn ich den Versuch machen soll. — Also,« fuhr er fort, während er den Korb an sich zog, — »ich will jetzt anfangen: — wenn es im Laufe der menschlichen Begebenheiten nothwendig wird, daß ein Mensch zwei oder drei Dutzend seiner Mitwürmer in Gefangenschaft halte, so erfordert eine billige Rücksicht auf die Meinungen der menschlichen Gesellschaft —«
»Ich sehe nicht, daß Du anfängst, ernsthaft zu reden,« unterbrach ihn hier Miß Ophelia.
»Warte einen Augenblick, — ich komme dahin, — Du wirst es gleich hören. Mit einem Worte, Cousine,« sagte er, während sein schönes Gesicht plötzlich einen ernsten[S. 161] Ausdruck annahm, »es kann meiner Ansicht nach über diese Sklavenfrage nur eine Meinung geben. Plantagenbesitzer, die Geld dabei verdienen können,— Geistliche, die den Meinungen der Pflanzer huldigen müssen, — Politiker, die dadurch die Herrschaft erlangen wollen, mögen die Sprache und alle ethische Lehren drehen und wenden, daß alle Welt über ihre Geschicklichkeit erstaunt, sie mögen die Natur und die Bibel mit zu ihrem Dienste zwingen, — so glaubt dennoch weder einer von ihnen noch die Welt an eine Sylbe ihrer ganzen Theorie. Mit einem Worte, es kommt vom Teufel, und ich denke, es ist ein recht hübsches Beispiel von dem, was er in seiner Weise thun kann.«
Miß Ophelia hielt mit Stricken inne und blickte erstaunt auf St. Clare, und dieser, der sich ihrer Verwunderung zu freuen schien, fuhr fort:
»Du scheinst Dich zu wundern, aber wenn Du mich ganz hören willst, so will ich mit der Sprache frei heraus gehen. Dieses verfluchte Geschäft, von Gott und Menschen verflucht, — was ist es? Reiße allen Schmuck herunter, der darum hängt, gehe auf die Wurzel des Ganzen und was ist es? — Weil mein Bruder Quashy unwissend und schwach ist, und ich klug und stark bin, — weil ich Macht und Verstand genug habe, es auszuführen, — deshalb darf ich ihm Alles stehlen, was er hat, es behalten und ihm nur grade so und so viel davon geben, als mir gefällt. Was zu schwer, zu schmutzig, zu unangenehm für mich ist, Quashy muß es thun. Weil ich nicht gern arbeite, so muß Quashy arbeiten. Weil die Sonne mich zu sehr brennt, so mag Quashy in der Sonne stehen. Quashy soll das Geld verdienen und ich will es ausgeben. Quashy soll thun, was ich will, und nicht was er will, all' sein Leben lang, und endlich so viel Aussicht auf den Himmel haben, als ich für gut befinde. Das ist's ungefähr, worin die Sklaverei besteht. Ich möchte Den[S. 162] sehen, der unsere Gesetzgebung über die Sklavenverhältnisse liest, wie sie niedergeschrieben ist, und mir etwas Anderes daraus machen kann. Sprich mir von den Mißbräuchen der Sklaverei! Unsinn! Das ganze System selbst ist die Quintessenz alles Mißbrauches! Und der einzige Grund, weshalb das Land nicht darunter zusammensinkt wie Sodom und Gomorra ist der, daß das Uebel selbst in einer viel gelinderen Weise angewendet wird, als es zuläßt. Aus Mitleid, aus Scham, weil wir vom Weibe geborene Wesen und nicht wilde Thiere sind, wagen Viele nicht die volle Gewalt zu gebrauchen, die unsere barbarischen Gesetze in unsere Hände legen. Und selbst wer am weitesten geht und die äußerste Härte ausübt, bedient sich der ihm gegebenen Macht nur innerhalb der gesetzlichen Gränzen.«
St. Clare war während dieser Rede aufgestanden, und schritt, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, wenn er sich in Aufregung befand, lebhaft im Zimmer auf und ab. Sein schönes Gesicht, klassisch wie das einer griechischen Statue, glühte in der Wärme seiner Empfindungen, seine großen blauen Augen flammten, und aus allen seinen Bewegungen sprach eine sich selbst unbewußte Lebhaftigkeit. Miß Ophelia hatte ihn nie zuvor in einer solchen Stimmung gesehen und war völlig stumm vor Ueberraschung.
»Ich versichere Dich,« sagte er, plötzlich vor seiner Cousine stehen bleibend, — »es ist nicht meine Gewohnheit, viel über diesen Gegenstand zu sprechen und zu denken, — aber ich versichere Dich, es hat Zeiten gegeben, in denen ich gedacht habe, daß, wenn das ganze Land versinken wollte, um alle seine Ungerechtigkeit und sein Elend vor dem Tageslichte zu verbergen, ich willig mit versinken würde. Wenn ich während meiner vielfachen Reisen den Fluß auf und ab oft beobachtete, wie jeder viehische, widrige, gemeine, niedrige Kerl, den ich traf, durch unsere Gesetze die Freiheit genoß, der absolute[S. 163] Despot von ebenso viel Männern, Weibern und Kindern zu werden, als er Geld genug zusammen stehlen oder betrügen konnte, um zu kaufen; — und wenn ich solche Menschen als wirkliche Eigenthümer hülfloser Kinder, junger Mädchen und Frauen sah, so hätte ich mein Vaterland, ich hätte das ganze menschliche Geschlecht verfluchen mögen!«
»Augustin! — Augustin!« sagte Miß Ophelia, — »Du hast vollkommen genug gesagt. Nie in meinem Leben habe ich so Etwas gehört, selbst im Norden nicht.«
»Im Norden!« sagte St. Clare mit plötzlich verändertem Tone. »Puh! Ihr Nordländer habt alle kaltes Blut: — Ihr seid kalt in allen Dingen! Ihr könnt nicht einmal kräftig fluchen, wie wir, wenn's Noth thut.«
»Nun, aber die Frage ist,« sagte Miß Ophelia, —
»Ganz richtig, die Frage ist, — und eine verteufelte Frage ist es! — wie kamen wir in diesen Zustand von Sünde und Elend? Wohl, ich will Dir mit den guten, alten Worten darauf antworten, die Du mir Sonntags zu lehren pflegtest: »Ich kam dahin durch natürliche Abkunft.« Meine Sklaven gehörten meinem Vater, und was noch mehr ist, meiner Mutter; und jetzt gehören sie mir, mit allem ihrem Zuwachs, der nicht unbedeutend ist. Mein Vater, wie Du weißt, kam von Neu-England, und war grade so ein Mann, wie Dein Vater, — ein ächter, alter Römer, — aufrichtig, energisch, edelherzig und mit eisernem Willen. Dein Vater ließ sich in Neu-England nieder, um über Felsen und Steine zu herrschen und der Natur eine Existenz abzugewinnen; und der meinige ließ sich in Louisiana nieder, um über Männer und Weiber zu herrschen und durch sie eine Existenz zu gewinnen. Meine Mutter,« sagte St. Clare, auf ein am andern Ende des Gemaches befindliches Gemälde zugehend und es mit dem Ausdrucke der innigsten Verehrung in seinen Zügen betrachtend, »sie war göttlich! — Sieh mich nicht so an, Cousine! Du[S. 164] weißt, was ich meine. Sie war natürlich sterblichen Ursprungs, allein, so weit ich sehen konnte, war keine Spur menschlicher Schwäche oder menschlichen Irrthums an ihr zu finden; und Jeder, der sich ihrer erinnern kann, gleichviel, ob Sklave oder Freier, Freund oder Verwandter, sagt dasselbe. Glaube mir, Cousine, diese Mutter allein schützte mich jahrelang gegen gänzlichen Unglauben. Sie war eine wahrhafte Verkörperung des Neuen Testaments, — ein lebendiges Beispiel, das sich durch nichts Anderes erklären ließ, als durch seine Wahrheit. O Mutter! Mutter!« rief St. Clare, seine Hände in einer Art Entzückung faltend; und dann plötzlich sein Gefühl unterdrückend, kam er zurück, setzte sich auf den Sopha und fuhr fort:
»Mein Bruder und ich waren Zwillingsbrüder. Man sagt gewöhnlich, daß Zwillinge einander ähnlich sein müssen; allein wir waren verschieden von einander in fast allen Beziehungen. Er hatte dunkle, feurige Augen, rabenschwarzes Haar, ein schönes römisches Profil und eine üppige, bräunliche Farbe. Ich hatte blaue Augen, blondes Haar, griechische Züge und helle Farbe. Er war thätig und beobachtend, ich träumerisch und träge. Er war edelmüthig gegen seine Freunde und Personen seines Standes, aber stolz, herrschsüchtig und anmaßend gegen Untergebene, und unbarmherzig gegen Jeden, der es wagte, ihm Widerstand zu leisten. Wahrhaft waren wir beide, er aus Stolz und Muth, ich aus einer Art abstrakter Idealität. Wir liebten uns gegenseitig so wie Knaben gewöhnlich thun, — dann und wann, und im Allgemeinen; — er war meines Vaters Liebling und ich der meiner Mutter.
»Es war mir damals eine Art krankhafter Reizbarkeit des Gefühls eigen, die weder er noch mein Vater verstanden, und für die sie deshalb auch keine Sympathie hatten. Aber meine Mutter hatte sie, — und wenn ich deshalb mit Alfred Streit gehabt hatte, und der Vater[S. 165] mich finster anblickte, so ging ich nach dem Zimmer meiner Mutter und setzte mich zu ihr. Ich erinnere mich ihres Anblicks noch ganz deutlich, mit ihren bleichen Wangen, ihren tiefen, sanften, ernsten Augen, ihrer weißen Kleidung, — sie trug immer Weiß; und ich pflegte stets an sie zu denken, wenn ich in der Offenbarung Johannis von den Engeln las, die in reiner, weißer Leinwand gekleidet waren. Sie hatte großes Talent für Musik, und pflegte an ihrer Orgel zu sitzen und schöne alte Chorale der katholischen Kirche zu spielen und mit einer Stimme zu singen, die mehr der eines Engels als eines irdischen Weibes glich; und dann legte ich meinen Kopf in ihren Schooß, und weinte, und träumte, und fühlte — o, Dinge, die ich nicht auszudrücken vermochte!
»Zu jener Zeit wurde über Sklaverei nicht so viel gesprochen, wie jetzt: Niemand dachte daran, daß Unrecht darin läge. Mein Vater war ein geborener Aristokrat. Ich glaube, in einer früheren Existenz muß er den Cirkeln höherer Geister angehört, und jetzt alle den alten Hofstolz mitgebracht haben; denn dieser war tief begründet in seinem ganzen Wesen, obgleich er der Sohn armer und keineswegs vornehmer Eltern war. Mein Bruder war sein treues Abbild. Ein Aristokrat hat nun auf der ganzen Erde, wie Du weißt, über eine gewisse Linie hinaus durchaus keine menschlichen Sympathieen mehr. In England ist diese Linie anders gezogen als in Birmanien, und in Amerika wieder anders; aber der Aristokrat aller dieser Länder geht nie darüber hinaus. Was in seiner Klasse als Druck und Ungerechtigkeit angesehen werden würde, ist natürlich ein gleichgültiger Gegenstand in einer andern. Die Gränzlinie meines Vaters war die Farbe. Unter seines Gleichen konnte Niemand gerechter und edelmüthiger sein als er war; allein die Neger sah er durch alle mögliche Abstufungen der Farbe als nichts Anderes als einen Uebergang vom Menschen zum Thiere[S. 166] an. Ich glaube gewiß, wenn ihn Jemand grade heraus gefragt hätte, ob dieselben menschliche, unsterbliche Seelen hätten, so würde er nur stammelnd und stotternd Ja gesagt haben. Allein mein Vater war ein Mann, der sich nicht viel um das Geistige kümmerte, und religiöse Gefühle gar nicht besaß, ausgenommen eine Verehrung für Gott, als entschieden das Oberhaupt aller höheren Klassen.
»Wohl, mein Vater ließ etwa fünfhundert Neger arbeiten. Er war ein unbiegsamer, vorwärts strebender, pünktlicher Geschäftsmann; Alles war bei ihm in ein System gebracht und mußte mit äußerster Genauigkeit darin erhalten werden. Wenn Du nun bedenkst, daß alle Geschäfte nur durch eine Anzahl fauler, schwatzhafter, nachlässiger Arbeiter besorgt wurden, die ihr ganzes Leben lang jedem Motive fremd geblieben waren, etwas Anderes zu lernen, als zu »gaunern«, wie Ihr es in Vermont nennt, so wirst Du begreifen, daß in seiner Pflanzung nothwendig viele Dinge sein und geschehen mußten, die einem reizbaren Kinde, wie mir, schrecklich vorkamen. Ueberdies hatte er einen Aufseher, — einen großen, vierschrötigen Renegatensohn von Vermont, — mit Verlaub zu sagen — der seine förmliche Lehrzeit in Härte und Brutalität durchgemacht, und seine Prüfung bestanden hatte. Meine Mutter konnte ihn nie leiden und ich ebenso wenig; allein er gewann eine völlige Herrschaft über meinen Vater; und dieser Mensch war der absolute Despot auf unserer Besitzung.
»Ich war damals noch ein kleiner Bursche, aber hatte dieselbe Vorliebe wie jetzt für alles Menschliche, — eine Art Leidenschaft, die Menschheit zu studieren, gleich viel, in welcher Gestalt sie sich darbot. Ich war viel in den Hütten und unter den Feldarbeitern, und war natürlich ein großer Liebling. Alle Arten von Klagen und Beschwerden wurden in mein Ohr geflüstert, die ich meiner Mutter hinterbrachte, und zu deren Abhülfe wir eine Art[S. 167] Comité bildeten. Wir verhinderten auf diese Weise viel Grausamkeit, und wünschten uns Glück, so viel Gutes wirken zu können, bis, wie es oft geschieht, mein Eifer zu weit ging. Stubbs beschwerte sich bei meinem Vater, daß er die Arbeiter nicht mehr in Ordnung halten könne, und seine Stellung aufzugeben genöthigt sei. Mein Vater war ein zärtlicher, nachgiebiger Gatte, der sich aber vor Nichts scheute, was er für nothwendig erachtete; und so stellte er ohne Weiteres seinen Fuß, wie einen Felsen, zwischen uns und die Feldarbeiter. Er sagte meiner Mutter in der achtungsvollsten Weise, aber auch ebenso bestimmt, daß sie über die Haussklaven vollständige Herrin sei, aber daß er durchaus keine Einmischung von ihrer Seite in die Verhältnisse der Feldarbeiter erlauben könne. Er achtete und ehrte sie mehr als alle anderen lebenden Wesen; aber er würde dasselbe auch der Jungfrau Maria gesagt haben, wenn sie seinem Systeme irgendwie hinderlich geworden wäre.
»Ich hörte zuweilen meine Mutter über einzelne Fälle mit ihm streiten, — indem sie sein Mitgefühl zu erregen versuchte. Er hörte ihre rührendsten Vorstellungen mit der entmuthigendsten Höflichkeit und Gleichmüthigkeit an. »»Es läuft Alles darauf hinaus,«« pflegte er dann zu sagen, »»ob ich Stubbs entlassen muß, oder ihn behalten soll? Stubbs ist die Seele der Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Wirksamkeit, — durch und durch Geschäftsmann, und so menschlich, wie es alle Anderen sind. Wir können nichts Vollkommenes haben; und wenn ich ihn behalte, so muß ich die ganze Art und Weise der Verwaltung aufrecht erhalten, selbst wenn dann und wann Dinge vorkommen, die nicht ganz zu billigen sind. Jede Regierung muß nothwendig gewisse Härten mit sich führen. Allgemeine Gesetze werden immer in gewissen einzelnen Fällen hart erscheinen.«« Diese letztere Ansicht schien mein Vater in fast allen Fällen von Grausamkeit als durchgreifend und beseitigend anzusehen. Und nachdem[S. 168] er dies gesagt hatte, zog er gewöhnlich seine Füße auf das Sopha, wie ein Mann, der ein Geschäft abgemacht hat, und begann entweder ein Mittagsschläfchen, oder las die Zeitung, je nachdem die Gelegenheit war.
Ohne Zweifel ist es, daß mein Vater eine Art Talent für einen Staatsmann besaß. Er würde Polen eben so gleichmüthig wie eine Orange zertheilt, und Irland eben so systematisch mit Füßen getreten haben, wie irgend ein andrer lebender Mensch. Zuletzt gab meine Mutter alle derartigen Versuche in Verzweiflung auf. Es wird nie früher bekannt werden, als am Tage des Gerichts, was edle und fühlende Seelen, wie die ihrige war, gelitten haben, wenn sie, gänzlich hülflos, in einen Abgrund von Ungerechtigkeit und Grausamkeit geschleudert wurden, wo Niemand sie verstand. Was blieb noch Anderes übrig, als zu versuchen, ihre Kinder nach ihren Ansichten und Empfindungen zu erziehen? Allein Du magst sagen über Erziehung was Du willst, Kinder entwickeln sich hauptsächlich nur nach dem natürlich in ihnen vorhandenen Principe. Alfred war von der Wiege an ein Aristokrat; und während er aufwuchs, nahmen alle seine Gefühle und Gedanken instinktmäßig diese Richtung, und alle Ermahnungen der Mutter gingen in den Wind. Was mich betrifft, mir sanken sie tief in's Herz. Sie widersprach eigentlich nie einer Aeußerung meines Vaters, und schien selbst nie durchaus verschiedener Meinung von ihm zu sein; aber sie preßte, sie brannte in meine Seele mit der ganzen Kraft ihres tiefen, ernsten Gemüthes die Idee von der Würde und dem Werthe selbst der niedrigsten menschlichen Seele. Ich habe mit heiliger Ehrfurcht in ihr Gesicht geschaut, wenn sie Abends auf die Sterne deutete und zu mir sagte: »Sieh, dort, August! die ärmste, niedrigste Seele in unserer Pflanzung wird leben, wenn alle jene Sterne lange untergegangen sind, — wir leben so lange, wie Gott!««
»Sie hatte einige schöne, alte Gemälde, besonders[S. 169] eins, welches Jesus darstellt, wie er einen Blinden heilt. Diese machten einen tiefen Eindruck auf mich. »»Sieh', August,«« pflegte sie zu sagen, »»der blinde Mann war ein Bettler, arm und abschreckend; deshalb wollte er ihn nicht von fern heilen! Er rief ihn zu sich, und legte seine Hände auf ihn! Gedenke dessen, mein Sohn!«« Wenn ich unter ihrer Sorge hätte aufwachsen können, so würde sie mich vielleicht wer weiß zu welchem Enthusiasmus angeregt haben. Ich wäre vielleicht ein Heiliger, ein Reformator oder ein Märtyrer geworden; — aber ach! ich verließ sie, als ich dreizehn Jahre alt war, und sah sie nie wieder!«
St. Clare legte seinen Kopf in die Hand, und sprach mehrere Minuten lang gar nicht. Endlich blickte er wieder auf, und fuhr fort:
»Was für ein armseliger Plunder diese ganze menschliche Tugend ist! Ein Ding, das meistens nur von geographischer Länge und Breite, in Verbindung mit natürlichem Temperamente, abhängt, und häufig ein bloßer Zufall ist! Dein Vater, zum Beispiel, läßt sich in Vermont, in einer Stadt, wo alle frei und gleich sind, nieder, wird ein ordnungsmäßiges Mitglied der Kirche und Diakon, und tritt seiner Zeit in die Gesellschaft für Abschaffung der Sklaverei ein, und hält uns nunmehr alle für nichts Besseres als Heiden. Nichts desto weniger ist er in Gesinnung und Gewohnheit nur ein Seitenstück meines Vaters. Ich sehe gerade denselben starken herrischen Geist aus fünfzig verschiedenen Stellen bei ihm herausblicken. Du weißt sehr wohl, wie unmöglich es ist, irgend Jemanden in Eurem Dorfe davon zu überzeugen, daß Squire St. Clare sich nicht über ihm fühle. Außer Zweifel ist es, daß er, obgleich er in eine demokratische Zeit gefallen ist, und sich einem demokratischen Systeme angeschlossen hat, dennoch im Herzen ebensosehr Aristokrat ist, wie mein Vater, der über fünf bis sechs hundert Sklaven herrschte.«
[S. 170]
Miß Ophelia schien geneigt, diese Charakteristik anzugreifen, und legte deshalb ihr Strickzeug nieder, um zu beginnen, allein er ließ sie nicht dazu kommen.
»Ich weiß Alles, was Du sagen willst,« fuhr St. Clare fort. »Ich behaupte nicht, daß Beide in der That ganz gleich waren; denn der Eine war in Verhältnisse gefallen, wo Alles seiner natürlichen Neigung entgegen strebte, und der Andre in solche, wo Alles dafür arbeitete; und daher kam es, daß Jener ein ziemlich eigensinniger, derber, anmaßender alter Demokrat, und Dieser ein eigensinniger alter Despot wurde. Aber wenn beide Pflanzungen in Louisiana gehabt hätten, so würden sie einander so ähnlich geworden sein, wie zwei Kugeln, die in derselben Form gegossen worden sind.«
»Was für ein unehrerbietiger Sohn Du bist!« sagte Miß Ophelia.
»Ich meine nichts Unehrerbietiges,« sagte St. Clare; »übrigens weißt Du, daß große Ehrerbietung nie meine starke Seite gewesen ist. Aber nun zu meiner Geschichte zurück:
»Als mein Vater starb, ließ er sein ganzes Vermögen seinen beiden Zwillingssöhnen, um es zwischen uns nach unserer eigenen Uebereinkunft zu theilen. Es athmet auf Gottes weiter Erde kein edelherzigeres Wesen als Alfred in seinem ganzen Verhältniß zu den ihm gleich Stehenden, und wir wurden mit dieser Eigenthumsfrage ohne das geringste unbrüderliche Wort oder Gefühl, schnell und leicht, fertig. Wir kamen überein, die Plantage gemeinschaftlich zu bearbeiten, und Alfred, dessen ganzes Wesen und Fähigkeiten doppelt so viel Kraft besaßen, als ich, wurde ein leidenschaftlicher Pflanzer, und zwar mit dem günstigsten Erfolge. Allein ein zweijähriger Versuch überzeugte mich vollkommen, daß ich kein Theilhaber in einem derartigen Geschäfte sein könne. Eine Anzahl von sieben hundert Sklaven zu besitzen, die ich nicht persönlich kennen, und für die ich kein individuelles Interesse empfinden[S. 171] kann, die gekauft, zusammengetrieben, unter Dach und Fach gebracht, gefüttert und zur Arbeit angespannt werden, grade wie Hornvieh, — die Nothwendigkeit der Vögte und Aufseher, die ewig erforderliche Peitsche als erster, letzter und unaufhörlicher Hebel, — das Ganze wurde mir unerträglich zuwider und eckelhaft, und wenn ich daran dachte, welchen Werth meine Mutter auf eine arme, menschliche Seele gelegt hatte, so wurde es mir sogar schrecklich!
»Es klingt wie Unsinn in meinen Ohren, wenn mir Jemand davon spricht, daß Sklaven diese und jene Genüsse haben! Bis auf den heutigen Tag selbst verliere ich noch immer die Geduld, wenn ich das unerträgliche Geschwätz mancher Eurer nördlichen Verfechter der Sklaverei höre, die in ihrem Eifer unsere Sünden beschönigen wollen. Wir kennen das besser. Sage mir Einer, daß irgend ein lebender Mensch jeden Tag von der ersten Morgendämmerung bis in die sinkende Nacht, unter dem fortwährend ihn beobachtenden Auge seines Herrn, an derselben eintönigen, langweiligen Beschäftigung fortzuarbeiten bereit ist, ohne dabei einen selbstständigen Willen auch nur im Geringsten äußern zu dürfen, und zwar alles dies für nichts als zwei Paar Beinkleidern und ein Paar Schuh jährlich, und eine solche Nahrung nebst Obdach, daß er arbeitsfähig erhalten wird! Wer da glaubt, daß menschliche Wesen sich unter solchen oder ähnlichen Verhältnissen wohl fühlen können, mag es selbst versuchen. Ich möchte den Hund kaufen, und würde ihn mit dem ruhigsten Gewissen an die Arbeit treiben!«
»Ich war immer der Meinung,« sagte Miß Ophelia, »daß Du, und Ihr alle hier, diese Dinge gut hießet, und sie nach der Bibel für recht hieltet.«
»Unsinn! So weit sind wir noch nicht gekommen. Selbst Alfred, der der ausgemachteste Despot ist, denkt nicht an diese Art von Vertheidigung; — nein, er steht hoch und stolz auf dem guten, alten, achtungswerthen[S. 172] Grunde, dem Rechte des Stärkeren, und sagt, und zwar sehr richtig wie ich glaube, daß der amerikanische Pflanzer nur dasselbe in anderer Form thue, was die englische Aristokratie und Kapitalisten mit den unteren Klassen thäten, nämlich, Fleisch und Bein, Leib und Seele derselben zu ihrem Nutzen und zu ihrer Bequemlichkeit verwenden. Er vertheidigt Beide, — und ich glaube, wenigstens consequent. Er sagt, es könne keine hohe Civilisation ohne Sklaverei der Massen geben. Es müsse, sagt er, eine untere Klasse da sein für rohe, physische Arbeiten und mit einer mehr thierischen Natur, damit eine höhere durch sie Muße und Mittel zur Erhöhung der Intelligenz und Bildung erlange, und die leitende Seele der unteren Klasse werde. Dies sind seine Gründe, weil er, wie er sagt, ein geborener Aristokrat ist.«
»Wie in aller Welt können diese beiden Stände mit einander verglichen werden?« sagte Miß Ophelia. »Der englische Arbeiter wird nicht gekauft, nicht verkauft, nicht von seiner Familie gerissen, und nicht gepeitscht.«
»Er hängt von dem Willen Desjenigen, der ihm Arbeit gibt, eben so sehr ab, als wenn er ihm verkauft wäre. Der Sklavenhalter kann seinen widerspenstigen Sklaven zu Tode peitschen lassen, — der Kapitalist kann seinen Arbeiter verhungern lassen und was die Sicherheit der Familie betrifft, so ist es schwer zu sagen, was schrecklicher ist, seine Kinder verkauft, oder zu Hause verhungern zu sehen.«
»Aber es ist durchaus keine Entschuldigung für die Sklaverei, daß es andere, eben so schlimme Verhältnisse gibt.«
»Ich gab es für keine Entschuldigung aus, — ja, ich will sogar einräumen, daß unsere Art und Weise der Beschränkung menschlicher Rechte die dreistere und fühlbarere ist; weil, einen Menschen grade wie ein Pferd kaufen — seine Zähne, seine Glieder prüfen und untersuchen,[S. 173] und danach den Preis bezahlen, — Speculanten halten, Sklavenzüchter, Händler und Mäkler in menschlichen Körpern und Seelen, — das ganze Verhältniß in einem noch grelleren Lichte vor die Augen der civilisirten Welt bringt, obgleich im Ganzen genommen die Sache ihrem Wesen nach dieselbe ist, das heißt, einen Theil der menschlichen Wesen zum Nutzen und Vortheil eines anderen Theiles derselben, ohne Rücksicht auf die Wohlfahrt der Ersteren, verwenden.«
»Ich habe die Sache nie zuvor in diesem Lichte betrachtet,« sagte Ophelia.
»Wohl, ich bin ziemlich lange in England umhergereist, und habe genug von dem Verhältniß der unteren Klassen gesehen, um Alfred nicht widersprechen zu können, wenn er sagt, daß seine Sklaven besser daran seien, als ein großer Theil der Bevölkerung von England. Du mußt nämlich nach dem, was ich Dir gesagt habe, nicht glauben, daß Alfred ein harter Herr ist, — keineswegs. Er ist despotisch, unbarmherzig gegen Insubordination; er würde einen Kerl, der sich ihm widersetzte, eben so ruhig niederschießen wie einen Rehbock; aber er setzt im Allgemeinen seinen Stolz darein, seine Sklaven gut genährt und gut beherbergt zu sehen.«
»Wie kam es denn,« sagte Miß Ophelia, »daß Du Dein Pflanzerleben ganz aufgabst?«
»Wohl, wir trabten eine Weile mit einander fort, bis endlich Alfred deutlich genug sah, daß ich kein Pflanzer sei. Er hielt es für albern, daß ich, nachdem er fortwährend geändert, reformirt und verbessert hatte, um meinen Ideen zu genügen, immer noch unzufrieden war. Allein dies hatte darin seinen Grund, daß ich die ganze Sache haßte, — den Gebrauch der Männer und Weiber, die Fortführung dieser Unwissenheit, Brutalität und Laster, — nur, um Geld für mich zu verdienen! Ueberdies mischte ich mich fortwährend in die einzelnen Fälle. Da ich selbst einer der trägsten Sterblichen bin, so hatte ich[S. 174] zu viel natürliche Bruderliebe für die Trägen; und wenn arme, faule Bursche Steine in die Baumwollenkörbe thaten, um ihr Gewicht schwerer zu machen, oder wenn sie ihre Säcke mit Schmutz füllten, und obenauf nur Baumwolle legten, so kam mir dies genau so vor, als wenn ich es in ihrer Stelle selbst thun würde, so daß ich die armen Bursche deshalb nicht auspeitschen lassen konnte und wollte. Die Folge davon war natürlich, daß alle Disciplin in der Plantage aufhörte; und ich kam mit Alf ziemlich auf denselben Punkt zu stehen, auf dem ich mit meinem Vater in früheren Jahren gestanden hatte. Er sagte mir, daß ich ein weibischer Sentimentalist sei, und nie für ein derartiges Geschäft passen würde, und rieth mir deshalb, das in der Bank befindliche Vermögen mit dem Familiensitz in New-Orleans zu übernehmen, und Gedichte zu schreiben, während er die Plantage bewirthschaftete. So trennten wir uns und ich kam hierher.«
»Aber weßhalb hast Du denn Deine Sklaven nicht freigelassen?« fragte Ophelia.
»Ich weiß nicht, ich konnte mich nicht dazu verstehen. Sie zu halten, um für mich Geld zu verdienen, war mir nicht möglich; — allein sie zu haben, um Geld mit ausgeben zu helfen, schien mir nicht ganz so häßlich. Manche unter ihnen waren überdies alte Dienstboten des Hauses, für die ich Anhänglichkeit fühlte, und die Jüngeren waren deren Kinder. Alle waren auch mit ihrer Lage wohl zufrieden.«
Hier hielt er inne und schritt gedankenvoll im Zimmer auf und ab. Nach einer Pause fuhr er fort:
»Es gab einmal in meinem Leben eine Zeit, wo ich Pläne und Hoffnungen hegte, etwas mehr in dieser Welt zu sein, als ein bloßes Stück Treibholz, das sich hin und her werfen läßt. Ich fühlte eine dunkle Sehnsucht danach, ein Befreier zu werden, — mein Geburtsland von diesem Schandfleck zu reinigen. Ich glaube, alle jungen[S. 175] Männer haben einmal solche Fieberanfälle gehabt, — aber dann —«
»Weßhalb führtest Du es nicht aus?« sagte Miß Ophelia; »Du hättest Deine Hand nicht an den Pflug legen sollen, und rückwärts blicken.«
»Ganz recht; aber es ging nicht mit mir, so wie ich erwartet hatte, und ich verzweifelte am Leben wie Salomo. Ich glaube, es war bei uns Beiden eine nothwendige Folge der Weisheit; kurz, statt eine handelnde Person auf der Bühne der menschlichen Gesellschaft zu werden, und deren Wiedergeburt zu bewirken, wurde ich nichts als ein Stück Treibholz, das sich seitdem von Fluth und Ebbe hat umherwerfen lassen. Alfred macht mir wohl Vorwürfe, so oft wir uns sehen, und er hat recht, denn er steht wirklich über mir, — er thut etwas, er wirkt. Sein Leben ist eine logische Folge seiner Ansichten, während das meinige nichts als ein verächtliches non sequitur ist.«
»Mein lieber Vetter, kannst Du Dich mit einer solchen Rechtfertigung zufrieden stellen?«
»Zufrieden stellen? Sagte ich Dir nicht eben, daß ich sie verachte? Aber um auf diesen Punkt wieder zurückzukommen, — wir sprachen von dem Befreiungsgeschäfte. Ich glaube nicht, daß meine Ideen über Sklaverei besonderer Art sind, denn ich finde Viele, die in ihren Herzen grade ebenso empfinden wie ich. Das Land seufzt unter der Last, und so schwer sie auch den Sklaven drückt, so leidet der Herr doch noch mehr darunter. Es bedarf keiner Vergrößerungsgläser, um zu erkennen, daß eine zahlreiche Klasse lasterhaften, sorglosen, entarteten Volkes ein großes Uebel für uns ist. Die Aristokraten und Kapitalisten in England können das nicht so empfinden wie wir, weil sie mit der Klasse, die sie entarten, in keinen solchen Verkehr kommen wie wir. Sie sind in unsern Häusern, sie sind die Gesellschafter unserer Kinder, und bilden deren Geister schneller, als wir es können.[S. 176] Wenn Eva nicht mehr Engel, als gewöhnliches Kind wäre, so würde sie ruinirt werden. Wir könnten ebensowohl die Pocken unter ihnen grassiren lassen und glauben, daß unsere Kinder nicht angesteckt werden sollten, wie sie in einem unwissenden und lasterhaften Zustande lassen, und annehmen, daß unsere Kinder davon nicht leiden werden. Allein unsere Gesetze verbieten ganz ausdrücklich jede Art eines allgemeinen Erziehungssystemes für dieselben, und zwar aus einem sehr weisen Grunde; denn habe nur erst eine Generation gründlich erzogen, so würde die ganze Sache wie eine Pulvermine in die Luft fliegen. Sie würden sich dann die Freiheit nehmen, wenn wir sie ihnen nicht geben wollten.«
»Und was denkst Du denn, daß das Ende von dem Allen sein wird?« sagte Ophelia.
»Ich weiß es nicht. So viel ist gewiß, — daß eine Musterung der Massen jetzt auf der ganzen Erde gehalten wird, und daß ein dies irae früher oder später kommen muß. Es ist dasselbe in Europa, in England und in Amerika. Meine Mutter pflegte mir von einem tausendjährigen Reiche zu erzählen, das kommen, und wo Christus herrschen werde, und alle Menschen frei und glücklich sein sollten. Und sie lehrte mich, als ich ein Knabe war, beten: »»Dein Reich komme!«« Zuweilen ist mir, als sei alles dieses Seufzen und Stöhnen eine Ankündigung dessen, was da kommen müsse, wie sie mir sagte. Aber »»wer wird den Tag Seiner Zukunft erleiden mögen?««
»Augustin, zuweilen denke ich, daß Du vom Reiche Gottes nicht sehr fern bist,« sagte Miß Ophelia, während sie ihr Strickzeug niederlegte und ihn mit tiefem Gefühle anblickte.
»Danke Dir für Deine gute Meinung; allein es geht mit mir auf und nieder, — aufwärts bis an die Himmelspforten in der Theorie, und nieder in den Staub der Erde in der Ausübung. Aber da erschallt die Glocke zum Thee! Komm! laß uns gehen, und sage nur nicht wieder,[S. 177] daß ich nie in meinem Leben ein ernstes Gespräch geführt habe.«
Am Theetische erwähnte Marie des Vorfalles mit Prue. »Ich glaube, Cousine,« sagte sie, »Sie werden uns hier für Barbaren halten.«
»Ich halte dieses Ereigniß allerdings für eine barbarische Handlung,« entgegnete Ophelia; »allein ich glaube nicht, daß Sie alle Barbaren sind.«
»Ich weiß,« sagte Marie, »daß es durchaus unmöglich ist, mit manchen von diesen Geschöpfen fertig zu werden. Sie sind so schlecht, daß sie nicht zu leben verdienen. Wenn sie sich ordentlich betrügen, würde so etwas nicht vorkommen.«
»Aber, Mamma,« sagte Eva, »die arme Frau war unglücklich, deshalb hatte sie sich dem Trunk ergeben.«
»Ach, Possen, als wenn das eine Entschuldigung wäre! Ich bin sehr oft unglücklich. — Ich glaube,« fügte sie sinnend hinzu, »daß ich größere Leiden erduldet habe, als sie je empfunden hat. Es liegt nur daran, daß sie alle so schlecht sind. Manche von ihnen lassen sich sogar durch keinen Grad von Strenge bändigen. Ich besinne mich, Vater hatte einen Mann, der so faul war, daß er stets davonlief, nur um der Arbeit zu entgehen, und trieb sich dann in den Sümpfen umher, und stahl und verübte Schändlichkeiten aller Art. Dieser Mensch wurde eingefangen und gepeitscht, wieder und wieder, und es half alles nichts. Das letzte Mal kroch er nur davon, denn er konnte nicht mehr gehen, und starb im Sumpfe. Hier war nun gar kein Grund dazu vorhanden, denn Vaters Arbeiter wurden alle sehr gut behandelt.«
»Ich habe einmal einen Burschen zu Paaren getrieben,« sagte St. Clare, »an dem alle Aufseher und Herren ihre Kräfte vergeblich versucht hatten.«
»Du?« sagte Marie; »ich möchte wohl wissen, wann Du je so Etwas ausgeführt hättest!«
[S. 178]
»Es war ein kräftiger, riesengroßer Kerl, — ein geborener Afrikaner, der den rohen Instinkt der Freiheit in einem ungewöhnlichen Grade in sich trug, — ein ächter afrikanischer Löwe. Sein Name war Scipio. Niemand konnte etwas mit ihm anfangen, und er wurde deshalb von einem Aufseher an den andern verkauft, und kam so endlich in Alfred's Hände, weil dieser glaubte, er könne ihn bändigen. Wohl, eines Tages schlug er den Aufseher zu Boden, und war fort in die Sümpfe. Ich befand mich grade auf Alf's Plantage zum Besuch, denn es fand Statt, nachdem wir unsere Geschäftsverbindung bereits aufgelöst hatten. Alfred war aufgebracht im höchsten Grade; allein ich sagte ihm, daß es seine eigne Schuld sei, und machte eine Wette mit ihm, daß ich den Menschen bändigen wolle. Wir kamen endlich dahin überein, daß, wenn ich ihn einfinge, ich ihn haben solle, um meinen Versuch an ihm zu machen. Es wurde also eine Gesellschaft von sechs oder sieben Leuten mit Hunden und Gewehren ausgewählt, und die Jagd begann. Ihr müßt wissen, daß die Menschen mit demselben Eifer auf eins ihrer Mitgeschöpfe Jagd machen, wie auf einen Rehbock, sobald es Gewohnheit geworden ist. Die Hunde bellten und heulten, und wir streiften durch Busch und Wald, und jagten ihn endlich auf. Er lief und sprang wie ein Rehbock, und ließ uns eine lange Zeit hinter sich; allein endlich blieb er in einem undurchdringlichen Rohrgebüsch stecken, und dann wandte er sich um, und setzte sich zur Wehr, und kämpfte, versichere ich Euch, brav gegen die Hunde. Rechts und links schmetterte er sie nieder, und tödtete drei mit seinen bloßen Fäusten, als ein Schuß ihn zu Boden streckte, und er verwundet und blutend beinahe dicht vor meinen Füßen zusammenstürzte. Der arme Mensch schlug sein Auge mit männlicher Verzweiflung zu mir auf. Ich hielt die Hunde und die übrigen Jäger zurück, als diese herankamen, und sich um ihn drängten, und verlangte ihn als meinen Gefangenen.[S. 179] Alles was ich thun konnte, war, daß ich sie verhinderte, ihn in ihrer heftigen Aufregung niederzuschießen; allein ich bestand auf mein Fangrecht, und Alfred verkaufte ihn an mich. Nunmehr fing ich meine Kur mit ihm an, und in Zeit von vierzehn Tagen hatte ich ihn so zahm und unterwürfig gemacht, wie man es nur wünschen konnte.«
»Was in aller Welt hast Du denn mit ihm gemacht?« fragte Marie.
»Es war ein sehr einfacher Prozeß. Ich nahm ihn in mein eignes Zimmer, ließ ein gutes Bett für ihn herrichten, und verband seine Wunden, und pflegte ihn selbst, bis er wieder aufstehen konnte; und nach einiger Zeit ließ ich Freischeine für ihn ausfertigen, und sagte ihm, daß er gehen könne wohin er wolle.«
»Und ging er?« fragte Miß Ophelia.
»Nein; der närrische Mensch riß die Papiere entzwei, und weigerte sich durchaus, mich zu verlassen. Ich hatte nie einen besseren Diener um mich, — zuverlässig und treu wie Stahl. Er ging später zum Christenthume über, und wurde so sanft wie ein Kind. Längere Zeit war er Aufseher über meine Besitzung am See, und stand seinen Geschäften musterhaft vor. Ich verlor ihn in der ersten Cholerazeit. Er opferte eigentlich sein Leben für mich; denn ich war krank, beinahe todtkrank, und als alle Anderen von Schrecken ergriffen flohen, blieb Scipio bei mir allein zurück, und arbeitete an meinem Körper wie ein Riese, und brachte mich richtig wieder in das Leben zurück. Aber der arme Mensch wurde angesteckt, und es war keine Rettung für ihn. Nie habe ich einen Verlust schmerzlicher empfunden, als diesen.«
Eva war allmählig näher und näher an ihren Vater herangekommen, als er diese Geschichte erzählte, während ihre schmalen Lippen halb geöffnet waren, und aus ihren großen, ernsten Augen das tiefste Interesse sprach.
[S. 180]
Als er geendet hatte, warf sie sich plötzlich um seinen Hals, brach in Thränen aus, und schluchzte krampfhaft.
»Eva, liebes Kind! was ist Dir denn?« sagte St. Clare, während ihr zarter Körper von der Heftigkeit ihrer Empfindungen bebte und flog. »Dieses Kind,« fügte er hinzu, »müßte eigentlich nie so etwas hören, — es ist zu nervenschwach.«
»Nein, Papa, ich bin nicht nervenschwach,« sagte Eva, plötzlich sich sammelnd, mit einer für ein solches Kind wunderbaren Willenskraft. »Ich bin nicht nervenschwach, aber solche Dinge sinken mir in's Herz.«
»Was meinst Du damit, Eva?«
»Ich kann es Dir nicht sagen, Papa; ich habe viele, viele Gedanken. Vielleicht kann ich es Dir später einmal sagen.«
»Nun, so denke immer zu, Kind, — nur weine und quäle Deinen Papa nicht,« sagte St. Clare. »Sieh' hier, sieh', was für eine wunderschöne Pfirsich ich für Dich habe!«
Eva nahm die Frucht und lächelte, obgleich um ihre Mundwinkel noch immer ein fieberhaftes Zucken schwebte.
»Komm', sieh' hier den Goldfisch,« sagte St. Clare, ihre Hand nehmend, und mit ihr auf die Veranda hinaustretend. Einige Augenblicke später erscholl lautes Lachen durch die seidenen Gardinen, während Eva und ihr Vater sich einander mit Rosen warfen, und sich durch die Baumgänge des Hofes jagten.
Wir dürfen unsern Freund Tom über die Begebenheiten der höher Geborenen nicht ganz vergessen. Wenn uns deshalb unsere Leser nach seinem kleinen Verschlage[S. 181] über dem Stalle begleiten wollen, so können sie etwas von seinen Angelegenheiten erfahren. Es war ein einfaches, kleines Gemach, welches ein Bett, einen Stuhl, und ein rohes Gestell enthielt, auf dem Toms Bibel und Gesangbuch lagen, und wo er jetzt sitzt, mit seiner Tafel vor sich, in einer Beschäftigung begriffen, die ihm schweres Nachdenken zu verursachen scheint. Toms Sehnsucht nach Hause war nämlich so stark geworden, daß er sich von Eva einen Bogen Briefpapier erbeten hatte, und unter Aufbietung seines gesammten kleinen, wissenschaftlichen Schatzes, den er sich in Georg's Unterricht erworben, die kühne Idee gefaßt hatte, einen Brief zu schreiben; und jetzt grade war er beschäftigt, den ersten Entwurf dazu auf seiner Tafel niederzuschreiben. Tom war in nicht geringer Verlegenheit, denn er hatte die Figuren mancher Buchstaben ganz vergessen, und was er noch wußte, verstand er nicht anzuwenden. Und während er sich abmühte, und in seinem Eifer schwer athmete, stieg Eva wie ein Vogel hinter ihm auf seinen Stuhl, und blickte über seine Schulter.
»O, Onkel Tom! was für sonderbare Figuren machst Du da!« sagte sie.
»Ich versuche, an meine arme, alte Frau zu schreiben, Miß Eva, und an meine kleinen Kinder,« sagte Tom, während er mit der Kehrseite seiner Hand über die Augen fuhr; »aber ich fürchte, ich werde nicht damit fertig werden.«
»Ich wollte, ich könnte Dir helfen, Tom! Etwas schreiben kann ich. Voriges Jahr konnte ich alle Buchstaben machen; aber ich fürchte, ich habe sie wieder vergessen,« sagte Eva, indem sie ihren goldenen Kopf dicht an den seinigen hielt, worauf Beide sodann, gleich eifrig und gleich unwissend, das ernste Geschäft begannen, und unter vielfachen Zweifeln und Berathungen von Wort zu Wort schritten, und sich lebhaft über ihre Produktionen freuten.
[S. 182]
»Ja, Onkel Tom, jetzt fängt es an, hübsch zu werden,« sagte Eva, während sie mit Entzücken darauf blickte. »Wie Deine Frau sich freuen wird, und die armen kleinen Kinder! O, es ist eine Schande, daß Du von ihnen hast fortgehen müssen! Ich will nächstens Papa darum bitten, daß er Dich zurückgehen lasse.«
»Missis sagte, sie wollte Geld für mich herunterschicken, sobald sie es zusammenbringen könnten. Ich denke, sie wird es thun. Junge Master Georg sagte, er wollte mich holen, und gab mir diesen Dollar zum Zeichen,« erwiederte Tom, indem er den kostbaren Dollar unter seinen Kleidern hervorzog.
»O, dann kommt er gewiß!« sagte Eva. »Ich freue mich so!«
»Und ich wollte gern einen Brief hinschicken, daß sie wissen, wo ich bin,« sagte Tom, »und Chloë zu wissen thun, daß es mir gut geht, — denn sie war so unglücklich, das arme Wesen!«
»Tom!« rief St. Clare's Stimme, der in diesem Augenblicke in die Thür trat.
Tom und Eva sprangen auf.
»Was gibt's hier?« fragte St. Clare, indem er näher kam, und auf die Tafel blickte.
»O, es ist Toms Brief. Ich helfe ihm schreiben,« sagte Eva, — »ist es nicht hübsch?«
»Ich will keinem von euch den Muth nehmen,« entgegnete St. Clare, »aber ich denke, Tom, es wird besser sein, wenn ich den Brief für Dich schreibe. Ich will es thun, wenn ich von meinem Spazierritt zu Hause komme.«
»Es ist sehr nothwendig, daß er schreibt,« sagte Eva, »denn seine Mistreß will Geld herunterschicken, um ihn auszulösen, — verstehst Du, Papa? sie hat ihm das versprochen.«
St. Clare dachte im Stillen, daß dies wahrscheinlich nichts als eine solcher Verheißungen sei, die gutmüthige Herrschaften ihren Dienstboten machen, um deren Schrecken[S. 183] vor dem Verkauftwerden zu mildern, ohne wirklich die Absicht zu haben, diese Erwartung je zu verwirklichen; aber er äußerte keine Bemerkung darüber, sondern befahl Tom nur, die Pferde aus dem Stalle zu holen.
Toms Brief wurde an demselben Abende in bester Form geschrieben, und auf die Post befördert.
Miß Ophelia fuhr inzwischen in ihren Haushaltungsarbeiten fort. Alle Dienstboten, von Dinah abwärts bis zum jüngsten Zwerge, waren darüber einverstanden, daß Miß Ophelia entschieden sehr »curios« sei, — eine Bezeichnung, durch welche die Dienstboten des Südens zu verstehen zu geben pflegen, daß ihre respectiven Vorgesetzten ihnen nicht zusagen.
Der höhere Cirkel des Haushalts, — wie Adolph, Jane und Rosa, — waren der Meinung, daß sie keine Dame sei, da Damen nie solche Arbeiten verrichteten, wie sie, und daß sie auch gar nicht das Aeußere einer Dame habe, und wunderten sich, daß sie überhaupt eine Verwandte St. Clare's sein könne. Selbst Marie erklärte, daß es für sie in hohem Grade ermüdend sei, die Cousine fortwährend so geschäftig zu sehen. Und in der That war Miß Ophelia's Thätigkeit so ununterbrochen, daß sich beinahe darin etwas Grund zur Klage finden ließ. Sie nähte vom Morgen bis in die Nacht mit einem Eifer, als wäre ein besonders dringender Grund dazu vorhanden; und wenn es dunkel wurde, und sie ihre Arbeit zusammengelegt hatte, so kam im Nu der ewig bereite Strickstrumpf zum Vorschein, und sie begann von Neuem mit demselben Eifer. Es war wirklich eine Arbeit, ihr zuzusehen.